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Welt-Bilder | 08 | das mechanistische Welt-Bild II - 4.12.2012

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by dorftv

Univ. Prof. Dr. Walter Ötsch
Vorlesung „Themen und Theorien der Kulturwissenschaften I“ an der Johannes Kepler Universität Linz im Wintersemester 2012

8. Stunde, 4.12.2012
Das mechanistische Welt-Bild II

3. Strenger Dualismus (Fortsetzung)

Mit Descartes wird beiseite geschoben:

alle frühere Formen von qualitativen Unterschieden
alle Analogien von Mensch und Natur, wie Korrespondenzen oder Signaturen
animistische, beseelte und organische Sichtweisen von Natur
bei Kepler erfolgt der Übergang von einem Seelen- (anima) zu einem Kraft-Konzept (vis) für die Planeten
Gefühle der Natur. Gefühle werden jetzt rein subjektiv-seelisch verstanden.
die Zweckhaftigkeit der Natur. Die Ordnung der Natur ist nicht vorgegeben, sie muss empirisch erkundigt werden.
Grundrätsel der Dualität bei Descartes

Die Aprioris
Wie hängen die zwei Substanzen zusammen?
Parallelismus?
Okkasionismus: der dauernde Eingriff Gottes
Nur Geist = Idealismus
Nur Materie = Materialismus
Die Cartesianische Grund-Dualität ist die Grundlage vieler traditioneller Gegensatzpaare, die das wissenschaftliche wie als auch das Alltags-Denken heute noch beherrschen:

Beispiele sind: „Natur“ versus „Kultur“, „Natur“ versus „Geist“, „Sinnlichkeit“ versus „Vernunft“, „Körper“ versus „Geist“, „Leib“ versus „Seele“, usw.

In den Kulturwissenschaften werden diese Dualitäten grundsätzlich in Frage gestellt. Das Ziel sind Ansätze, die ohne diese Dualitäten auskommen.

4. Descartes’ Bild des Menschen

Der Mensch ist bei Descartes ein Zwitterwesen mit Seele und Körper.
Das traditionelle Leib-Seele-Problem (z.B. im Christentum: der sterbliche Leib ßà die unsterbliche Seele) wird bei ihm zu einem Körper-Geist-Problem.
Descartes konstruiert damit ein Grundrätsel: Körper und Geist haben für ihn nichts miteinander gemein (sie sind qualitativ verschieden), sie stehen auch nicht in einer Wechselbeziehung. Aber wie wird der Mensch zur Einheit?
Descartes „verbindet“ seine beiden Substanzen in den „Spiritus animales“ von Nerven, die zugleich Korpuskel und Geister sind. Der Sitz der Seele ist die Zirbeldrüse.
Ihre Funktionen sind:
Sie ist Mittlerin zwischen Körper und Geist
Sie ist Verbindungs- und Koordinationsstelle von Sensorik und Motorik: von der Zirbeldrüse werden über einen Zug- und Druckmechanismus die Befehle der Seele weitergeleitet.

5. Wahrnehmung bei Descartes

Descartes muss nun Wahrnehmung in diesem Welt-Bild „erklären“. Es geht um eine Interaktion von „Außen-Realität“ (res extensa) mit der „Innen-Welt“ (res cogitans).
Die Sinnesorgane als Mechanismen, eine mechanische Übertragung durch die Nerven
Am Beispiel des Sehens:
Die Augen sind wie eine Camera Obscura: Lichtstrahlen erzeugen ein Abbild (optische Wahrnehmung durch korpuskulare Übertragung)
Korpuskelbewegungen –>Sinne Z–> Zirbeldrüse: Muster physiologischer Aktivität –> Zirbeldrüse: Willensakt –> Befehl an Hand (Zeigefinger)
Das Sehen eines Gegenstandes ist wie die Gegenstandswahrnehmung durch Blinde, die über einen Taststock „gleichsam mit den Händen sehen“
Descartes begründet damit die neuzeitlichen Abbildtheorien des Geistes bzw. die Repräsentationstheorien
Damit wird ein einzelner Wahrnehmungsakt (im Prinzip) operationalisierbar.
Die „inneren“ Sinne werden nicht mehr gebraucht.
Damit wird die Natur entgeistert und entzaubert.

6. Ein neues Konzept von (philosophischen und physikalischen) Objekten

Physische Gegenstände (Körper) sind für ihn ausgedehnt (extensa) und bestehen aus einem Kontinuum aus unendlich teilbaren Korpuskeln (Korpuskulartheorie der Materie).
Objekte werden damit zu Mess-Objekten. Sie machen den Raum.
Gleichzeitig wird das Cartesianische Koordinaten-System möglich: ein 3-dimensionaler Mess-Raum mit einem gleichartigen (= homogenen) Raum, ohne ausgezeichnete Bereiche (= isotrop).

7. Der menschliche Körper als Objekt

Der Mensch in seiner Eigenschaft als Res Extensa: Der mittelalterliche vital beseelte Leib (mittelhochdeutsch lîp) wird zum reinen Materie-„Körper“ (corpus = Leiche)

8. Die analytische Geometrie

der mathematische Raum (der Denk-Raum der Mathematiker) ist isomorph zum geometrischen Raum (der physische gemessene Raum)
Damit ist der wechselseitige Übergang von Analysis (z.B. Formeln, Gleichungen, Funktionen, Ableitungen, …) zu Geometrie (z.B. die geometrische Darstellung von Funktionen durch Graphen) möglich.
Es können z.B. geometrische Punkt-Wolken (als Ergebnisse von empirischen Messungen) im Hinblick auf ihre impliziten funktionellen Zusammenhänge befragt werden à und daraus „Naturgesetze“ abgeleitet werden.
Mathematik als die ausgezeichnete Methode: mathematesis universale

9. Methodik bei Descartes

Neue Methoden der Naturwissenschaften:

Erfindung der Erfindung: dynamische Metaregeln für die Operationalisierung der Welt
Neue Standards der Realitäts-Produktion: Reduktionismus, Messen, Falsifikation
Konzept der Mathematisierung der Wissenschaften: mathematesis universale
Mit all dem wurde ein neuer konzeptioneller Rahmen für die Erforschung der Welt geschaffen. Das Ziel der Naturwissenschaften ist jetzt die Ableitung („Entdeckung“) von Naturgesetzen.

10. Das mechanistische Welt-Bild: das Bild von der Maschine

Descartes ist der Begründer des (neuzeitlichen) mechanistischen Welt-Bildes: das große Welt-Bild der Moderne.
Die Welt wird hier als Maschine verstanden/definiert/analysiert/untersucht …
Die Grundzüge dieses Welt-Bildes kann am einfachsten durch einen Vergleich mit dem Konzept einer Maschine erklärt werden.
Was ist eine Maschine?
Wie würden Sie eine Maschine definieren? Denken Sie darüber nach, bevor Sie weiterlesen.

Das mechanistische Welt-Bild bedeutet (sehr vereinfacht): Das Konzept/Bild der Maschine wird auf „alles“ übertragen:

D.h.: die Welt in ihrer Gesamtheit ist eine Maschine und/oder ist wie eine Maschine und/oder muss wie eine Maschine erforscht werden.

http://www.walteroetsch.at/videos-von-vorlesungen/videos-zur-vorlesung-…

Videoproduktion: Alexander Grömmer und JKU
Video auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=v25bXRxWMkA&index=11&list=PLxR1evLJul6Z…-

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Walter Ötsch

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