Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, mein Name ist Stefan Kögelberger. Ich darf Sie ganz herzlich im Stifterhaus begrüßen zu einer Buch- und Verlagspräsentation des Otto-Müller-Verlags. Wir dürfen Ihnen heute zwei Bücher vorstellen, die neu im Otto-Müller-Verlag erschienen sind. Zum einen Anna Herzigs Die dritte Hälfte eines Lebens, Roman, und zum anderen ein Buch von Leopold Federmeyer mit dem Titel Parasiten des 21. Jahrhunderts, Essays aus beiden Welten. Beide Bücher und auch andere Werke aus dem Otto Müller Verlag finden Sie wie gewohnt am Büchertisch nach der Veranstaltung. Ich bitte Sie, begrüßen Sie gemeinsam mit mir die Autorin Anna Herzig und den Verleger Ar Gast, sondern er wird auch aus dem Buch von Leopold Federmeyer lesen. Herr Federmeyer hat einen Lebensmittelpunkt in Japan und kann aufgrund der Corona-Situation leider nicht bei uns sein. Es wartet also ein sehr intensiver Abend auf dich, lieber Arno. Ja, alles Gute. Ich darf nur noch darauf verweisen, dass Ihnen auch nach der Veranstaltung wie gewohnt das Literaturcafé für Erfrischungen zur Verfügung steht. Bevor ich das Wort gleich an Arno Kleibl übergebe, erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zur aktuellen Lage, weil ich denke, dass auf einer öffentlichen Veranstaltung aufgrund der Situation im Osten unseres Kontinents man nicht einfach kommentarlos zur Tagesordnung übergehen sollte. Ich persönlich und wahrscheinlich auch viele von Ihnen habe die Situation, wie sie heute im Osten Europas ist, im 21. Jahrhundert für völlig denkunmöglich gehalten. Ich glaube, dass es jedem von uns das Herz zerreißt, wenn man sieht, wie Mütter mit Kindern am Arm versuchen, aus der Ukraine zu fliehen, nach Polen, in die Republik Moldau, nach Rumänien, weil sie das müssen, weil sie aus einem europäischen Land vor einem europäischen Aggressor fliehen müssen. europäischen Aggressor fliehen müssen. Zugleich möchte ich auch sagen, dass ich persönlich das Heldentum schon für tot befunden hatte, nicht mehr dachte, dass es das noch gibt und dass ich mich großer Bewunderung den Taten der ukrainischen Bevölkerung zusehe, wie sie wahrscheinlich auch. Ganz ohne Frage werden auch viele Menschen aufgrund dieses Konflikts zu uns nach Österreich kommen und das ist eigentlich schon alles, was ich sagen möchte. Bitte lassen Sie uns dann da sein für diese Menschen, lassen Sie uns helfen, jeder wie er kann. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass diese Menschen eine Behandlung erfahren, wie auch wir sie zu erfahren wünschten, wie auch wir sie zu erfahren wünschten, wenn wir plötzlich ungerechtfertigt in eine solche Situation kommen. Ich danke Ihnen und darf das Wort an Arno Kleibl übergeben. Vielen Dank, Stefan Kögelberger. Erstens vielen Dank für die Einladung hierher und vielen Dank für deine Erklärung. Es ist jetzt richtig schwer hier anzuknüpfen, aber ich teile deinen Appell inhaltlich ohne jeglichen Abstrich. Ich komme immer sehr gern hierher nach Linz ins Stifterhaus, weil das ist ja auch für uns eine Messlatte, weil die Einladungspolitik des Stifterhauses schon so ist, dass sie immer die Manuskripte teilweise noch sehr genau prüfen wollen und es ist nicht selbstverständlich, dass man dann die Bücher, die man als Verlag produziert, auch hier präsentieren kann. Deswegen bin ich immer sehr gern hier, weil wir hier wirklich uns sehr verwöhnt fühlen und unser Programm hier sehr geschätzt wird. Auf der Einladung des heutigen Abends stehen eben diese beiden Bücher, Leobold Federmeyer und Anna Herzig. Es steht aber auch da, dass es eine Verlagspräsentation ist und deswegen darf ich ein paar Sätze, ein paar kurze Sätze zum Otto Müller Verlag verlieren. Auch ein bisschen in Anknüpfung an die Themen der beiden Bücher des heutigen Abends. Der Verlag wurde 1937 in Salzburg gegründet. Der Gründer war Otto Müller, der auch mein Großvater ist. Also so komme ich auch in diese Position, was sozusagen sehr linear klingt, in Wirklichkeit viel schwieriger ist, vor allem, wenn man die dritte Generation ist und der vierte von sechs Kindern. Das ist aber eine andere Geschichte. Das wäre mal ein Roman wert, wenn ich schreiben könnte. Der Schwerpunkt des Verlages lag immer auch auf der Literatur. Der erste, die Rechte eines sehr wichtigen Salzburger Autors, den mein Großvater sich sichern konnte, waren die Rechte an Georg Trakl, der natürlich schon tot war, 1914 gestorben, aber die Rechte waren damals frei, 1937. Und seither ist Drackel sozusagen in der Literatur der Maßstab an Qualität. Der Verlag hat sich sehr mit Drackel beschäftigt, hat 1968 eine bahnbrechende historisch-kritische Gesamtausgabe herausgebracht, die Vorbild war für viele weitere historisch-kritische Gesamtausgabe herausgebracht. Die Vorbild war für viele weitere historisch-kritische Gesamtausgaben von der Machart her. Es gibt eine Menge Tragel-Studien. Daneben hat der Verlag in seiner Anfangszeit, auch so bis hin in die 70er, 80er Jahre, auch einen starken Schwerpunkt auf Religion, Theologie und Geisteswissenschaft gehabt. Der Verlag ist nach dem frühen Tod meines Großvaters im Besitz meiner Mutter und meiner Tante übergegangen. Als katholischer Verleger hat mein Großvater, den ich persönlich nicht kennengelernt habe, weil er schon gestorben war, sechs Jahre bevor ich auf die Welt gekommen bin, hat immer darunter gelitten, dass er keinen Sohn hatte. Und meine Mutter hat immer gesagt, sie hat immer den Vorwurf von ihm bekommen, dass sie kein Bub ist. Und Gott sei Dank hat sie selber vier Söhne gehabt und ich bin eben der Dritte von den Vieren, es gibt dann noch zwei Mädchen. Gut, nach dem frühen Tod meines Großvaters hat meine Tante die Verlagsleitung übernommen, sie war damals erst 23 Jahre, ich habe das gerade oben in der Vorbereitung erzählt. In den 50er Jahren keine ganz leichte Aufgabe für eine junge, unverheiratete Frau in einer absoluten Männerwelt, aber sie hat sich mit einem Sturschädel, wie Christine Laband das genannt hat, durchgesetzt. Sehr erfolgreich hat sie das erste Buch von HC Atman verlegt mit einer schwarzen Tinten. HC Atman hätte heuer seinen 100. Geburtstag gefeiert und es gab keinen Bericht, wo nicht die Schwarze Dinten erwähnt worden ist. In deutschen Zeitungen und Zeitschriften werden wir noch immer öfters mit Langenmüller verwechselt, wo ich immer nicht weiß, ob ich das gut finden soll, mit so einem großen, bedeutenden Verlag verwechselt zu werden oder eben schlecht, weil ich eben der Otto-Müller-Verlag bin. Ich selbst habe im Jahr 1986 die Verlagsleitung übernommen. Der Verlag war damals geführt von einem Nichtfamilienmitglied, weil meine Tante sehr früh den Verlag wieder verlassen hat, um Medizin zu studieren, übernommen und habe das Programm total umgestellt und gesagt, mein Schwerpunkt ist die Literatur. Ich möchte sozusagen den Verlag wieder zu einem absoluten Literaturverlag machen. Und so ist das Programm auch geworden mit ein paar Sprengseln in Zeitgeschichte. Wenn Sie Österreich, Salzburg und die jüngere Geschichte Österreichs betreffen, sozusagen das sind meine Programmschwerpunkte geworden. Erleichtert hat mir diese Aufgabe die Tatsache, dass im Verlag seit 1966 die Zeitschrift Literatur und Kritik erscheint, gegründet von Gerhard Fritsch und mir ist es gelungen, für die Herausgabe dieser Zeitschrift ist auch sozusagen der Verbindungspunkt zu Leo Federmeyer, weil ich habe ihn kennengelernt, weil er regelmäßiger Beiträger von Literatur und Kritik und der Zeitschrift ist bis heute natürlich, weil er ja natürlich auch dann unser Autor geworden ist und daher die Nähe sehr klar ist. Der Wandel, allein in der Zeit, in dem ich den Verlag leite oder seitdem ich in den Buchhandel eingestiegen bin, nach der Matura habe ich nicht studiert, sondern habe eine Buchhandelslehre gemacht und habe in Buchhandlungen und Verlagen gearbeitet, ist eine dramatische und das ist ja auch ein Thema von Leo Federmeyer sozusagen in seinen Essays, wie er sich mit Digitalisierung auseinandersetzt, der Untertitel, Essays aus beiden Welten, den kann man sehr vielfältig deuten, mit Ost und West, wobei Osten, sozusagen den fernen Osten, eigentlich Japan generell meint und mit West eigentlich Mitteleuropa, Welten, der digitalen Medien ist eine ganz dramatische. Im Buchhandel sieht man das natürlich auch, wie ich eine Lehre gemacht habe, hat man noch zweimal im Jahr sehnsüchtig auf die neuen Kataloge des Verzeichnisses der lieferbaren Bücher gewartet. Als Verlag gab es zwei Daten im Jahr, wo man einfach die Bücher, die neu erscheinen, angemeldet haben musste, sonst waren sie ein halbes Jahr nicht auffindbar. Da ist die Eisenbahn drüber gefahren, diese Riesenkataloge. Und alshändler hat man halt, wenn man das Buch suchen musste, geblättert und geblättert. Das war eine gute Übung fürs Gehirn und fürs ABC-Lernen. Das hat sich heute völlig aufgehört, weil sozusagen diese Entwicklung eine radikale war, bis natürlich auch die Entwicklung in der Drucktechnik, die Entwicklung in der Kommunikation mit den Setzereien und auch mit den Venen. Das ist sozusagen nichts weltbewegend Neues, aber es ist eben Thema dieses Buches auch Thema sozusagen, das Buch von Anna Herzig hat zwar nur knappe 150 Seiten, aber es fängt sozusagen auch ein halbes Jahrhundert ein mit mehreren Generationen, die in der Schillingzeit beginnt und dann in der Eurozeit endet, sozusagen. Das ist das Verbindende. Eine seltsame Koinzidenz ist auch, dass der Untertitel Essays aus beiden Welten heißt und ergänzend dazu liefert Anna Herzig die dritte Hälfte des Lebens. Leo Federmeyer. Der Roman von Leo Federmeyer, ihn als Autor vorzustellen hier im Stifterhaus, ist wohl ein bisschen Eulen nach Athen tragen. Er ist hier in Oberösterreich 1957 geboren, hat in Salzburg Germanistik und Publizistik und Geschichte studiert und hat dann die Welt bereist, Italien, Frankreich, Südamerika und lebt seit 2005 in Japan, ist mit einer Japanerin verheiratet, hat dort eine Tochter. Das kommt alles auch in dem Text ein bisschen vor, den ich Ihnen gleich vorlesen werde. Er ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch regelmäßiger Beiträger in Zeitschriften und Zeitungen, ist einer der wenigen Österreicher, der regelmäßig in der Neuen Zürich publizieren kann. Er hat bedeutende Autoren übersetzt, er hat dafür auch den höchsten österreichischen Übersetzerpreis bekommen und ist ein Literaturmensch, wie man sich es nur vorstellen kann. Er ist, wie Christian Schacherreiter in seiner Kritik dieses Buches in den Oberstdorfer Nachrichten festgestellt hat, nicht nur ein sehr hintergründiger Intellektueller, sondern auch einer der meistbelesensten Autoren, den er kennt. Das merkt man auch teilweise an den sehr langen Ausführungen von Büchern, die er gelesen hat. Und in diesem Buch, das Buch enthält vier Essays, wobei Essay hier geschrieben ist in französischer Form, nicht in englischer mit Y, sondern mit E als sozusagen Hommage an den Erfinder oder den Essayisten Montaigne. Das war ihm sehr wichtig, dass wir sozusagen diese Form wählen, weil das ist eigentlich eine seiner Formen, wo er sich sozusagen auch am besten ausdrücken kann. Leo Federmeyer ist ein unbeschreiblich produktiver Schriftsteller. Es ist so, dass ein Verlag für ihn nicht ausreicht. Es erscheinen immer wieder kleinere Bücher in anderen Verlagen in Absprache mit uns, weil wir nicht sozusagen im Halbjahrestakt Federmeyer veröffentlichen können, so gern wir das wollten. Heuer kommt kein Buch, aber nächstes Jahr kommt wieder ein Tokio-Buch, ein sehr interessantes. Das Manuskript liegt schon da und die Pläne für die nächsten Jahre, was Federmeyer Bücher im Otto Müller Verlag betrifft, sind auch schon genau abgesteckt. Leo Federmeyer muss sozusagen lesen und schreiben gleichzeitig können, so produktiv wie er ist. Also ich frage mich immer, wie das technisch geht, wie viel er produziert an Büchern, die eine hervorragende Qualität haben. Als Verlag haben wir sozusagen, nur damit Sie sozusagen das kurz noch sozusagen rekapitulieren, möchte ich das festhalten, als Verlag arbeiten wir in Salzburg mit fünf Mitarbeitern, damit Sie eine Verlags- und Betriebsgröße auch ein bisschen haben. Wir machen acht bis zwölf Novität im Jahr, das heißt neue Bücher, haben ungefähr 300 Bücher in unserer Backlist stehen und geben eben Literatur und Kritik heraus, die Zeitschrift, die fünfmal im Jahr erscheint sozusagen. Wir machen das eben mit diesen fünf Mitarbeitern, die die Stabsstellen besetzen. Ein Verlag macht nicht nur im stillen Kämmerchen Lektorat und liest entspannt Manuskripte. Die Hauptarbeit ist eben die Bücher, für die man sich entschieden hat, unter die Leute zu bringen. Unsere Betriebswege sind der Buchhandel, unsere Marketingmöglichkeiten sind die Presse, die über unsere Bücher schreibt. Wir haben nicht das Geld, das wir ganzzeitig in den Zeitungen und Zeitschriften werben. Wir haben nur engagierte Mitarbeiterinnen, die eben Journalisten überzeugen und Journalistinnen von über unsere Bücher zu schreiben und Veranstalter wie das Stifterhaus zu überzeugen, unsere Bücher vorzustellen. Und damit bin ich sozusagen fast schon beim Vorlesen. Diese vier Essays mit ganz unterschiedlicher Länge und den provokanten Titeln Parasiten des 21. Jahrhunderts beschreiben in jedem Essay andere Parasiten. Darauf möchte ich jetzt auch gar nicht weiter eingehen. Es sind menschliche Parasiten, Parasiten, die aus dem, der längste Aufsatz geht, eben über die Digitalisierung und die Veränderungen, die die Menschheit damit auf sich nimmt und auf sich nehmen muss, bis dahin, dass man Entscheidungen, wichtige Entscheidungen, Lebensentscheidungen nicht mehr selber trifft oder zu treffen glaubt, sondern den Algorithmus im Netz überlasst. Das ist sozusagen eine parasitäre Erscheinung. Ich habe jetzt in Absprache mit Leo Federmeyer, der nicht nur wegen Corona nicht reisen darf, sondern das ist kein Geheimnis, dass ich verrate, er postet das auch im Netz, er ist auf Facebook, er hat auch eine schwere Herzoperation gehabt und kann auch deswegen im Momentifterhaus anwesend. Er hat mich gebeten, aus dem dritten Essay den Beginn vorzulesen. Dieser Essay heißt Flüchtlingsgespräche in Oberösterreich. Und ich lese Ihnen jetzt den Beginn dieses Essays vor. Migranten leben in zwei Welten. Die eine haben sie verlassen müssen oder freiwillig verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben. Die andere hat sie aufgenommen und konfrontiert sie nun mit Herausforderungen, die die meisten von Ihnen annehmen wollen. Wenigstens eine Zeit lang leben Sie weiterhin in zwei Welten. Die Vernetzung, die Fortschritte der Kommunikationstechnologie machen es möglich. In so gut wie jedem Land kann sich jeder über alle Orte in der gemeinsamen, der globalisierten Welt informieren, auch wenn er über die Medien oft nur Druckbilder erhält und sich Illusionen macht über das, was ihn in Europa erwartet. Da schon viele hier sind in Europa, gibt es persönliche Kontakte über das Handy, über soziale Medien. Man ist nicht mehr auf die Massenmedien angewiesen, kann Verwandte und Freunde unmittelbar fragen, wie es dort ist, wie es ihnen geht, was sie erleben. Die Migration, sagt der Internet-Experte Sascha Lobo, unlängst in einem Interview, Interview sein zutiefst digitales Phänomen. Die ewigen Neider und fremden Feinde zeigten in der letzten Flüchtlingsgrüße gerne mit dem Finger auf die Neuankömmlinge. Die haben alle Smartphones, so schlecht kann es denen nicht gehen. Unausgesprochene Konklusion, sollen sie doch zu Hause bleiben. Es wurde zwar oft bemerkt, bemerkte Lobo, dass die Geflüchteten 2015 fast alle Smartphones hatten, aber nur selten die Frage gestellt, was das eigentlich bedeutet. Die sozialen Medien haben auf viele Arten die Migrationsschwelle gesenkt. Über soziale Netzwerke und über lebenswichtiges Insiderwissen verbreitet, der ganze Migrationsprozess organisiert. Man kann auch leichter mit den daheimgebliebenen kommunizieren. Kontakte im Ankunftsland können viel schneller geknüpft werden. Gut, schreibt Federmeier, ich bin selbst Migrant. Ich wurde nicht vertrieben, habe aber das Weite gesucht. Nach vielen Jahren geschieht es mir immer öfter, dass ich mich zurücksehne, ohne genau zu wissen, wohin. Manchmal dahin, manchmal dorthin. Denn ich bin an mehreren Orten ein wenig heimisch geworden. Trotzdem spüre ich mehr und mehr diesen Stachel des Zurück, dorthin, wo ich herkomme. Also nach Sadlet, ins Traunviertel, nach Oberösterreich. Aber Sadlet gibt es nicht mehr. Die Leute dort gibt es nicht mehr. Die Plätze, die Winkel, die Häuser, die großen Kastanenbäume, die Felder, die Atmosphäre. Alles hat sich verändert, oft nicht zum Besseren, sagt man, sagt mir wenigstens mein Gefühl. Wenn es ein Zurück gibt, dann nur in die Vergangenheit, ein unmögliches Zurück. Es sei denn, man begnügt sich mit der Erinnerung. Aber das will ich nicht. Allenfalls lebe ich in diesen zwei Welten, in der Vergangenheit und in der Gegenwart, wobei sich die Vergangenheit, ihre Umrisse und ihr Sinn durch die Gespräche, von denen ich hier berichten werde, wieder einmal verändert hat. Nicht nur die Gegenwart, auch die Vergangenheit lebt. Wir können und müssen sie gestalten. Genau das ist mir bei den Flüchtlingsgesprächen im Sommer 2019 geschehen. Ich habe nicht nur viele Geschichten von Fremden erfahren, ich habe begonnen, den Ort meiner Herkunft und seine Bewohner neu zu sehen. Das war für mich die eigentliche Überraschung. Nicht nur Migranten kommen hier ins Bild, sondern auch Einheimische und zwar auf andere Art, als ich sie bisher dort im Bild hatte. Im Folgenden Bericht werden unterschiedliche Sichtweisen geäußert. Ich habe versucht, sie zu versöhnen. Dass nicht alle der von den Befragten gemachten Angaben überprüft werden konnten, liegt auf der Hand. Es ging mir darum, die verschiedenen Erzählungen zu bündeln, den Stand der Dinge Ende 2019. Darüber hinaus habe ich nicht zu aktualisieren versucht. Omid, der Cousin meiner Tochter. Lange Zeit kamiener Westbahnhof die abgerissenen, übernächtigen Gestalten angestaunt haben, die die Züge füllten. Und auch die spätere Entwicklung, die Flüchtlingsheime, die Ablehnung und die Hilfsbereitschaft war ganz normal. Irgendwann war Omid da, im Haus meiner Schwester in Thalheim bei Wels. Und bald gehör gehört er zur Familie. Erst vor kurzem, im Frühjahr 2019, in Japan lebend und so vernetzt wie jedermann, sagte ich mir, das Normale ist eben nie ganz normal. Wie sich die Dinge eigentlich abspielen, oft vor unseren Augen, nicht im Verborgenen, man sollte dem doch einmal nachgehen. Über Flüchtlinge ist viel geredet und geschrieben worden, zwanghaft viel, ein Dauerbrenner. Und in den Massenmedien aber meist wurde das Thema im allgemeinen politischen, ideologischen Begriffen abgehandelt. Das Gerede ist normal geworden, aber der Blick auf den Einzelnen, auf die Betroffenen und Beteiligten wurde dadurch nur abgelenkt. Der Blick für die sich verändernde Normalität. Omid ist mit 13 Jahren nach Österreich gekommen, als einziges Mitglied einer vielköpfigen Familie, die im Iran zurückblieb. Ich komme aus Afghanistan, aber ich bin im Iran geboren, sagte er im Kreis seiner ungefähr gleichaltrigen afghanischen Freunde. Ein vielsagender Widerspruch. Omid war überhaupt noch nie in dem Land, das seine Eltern vor seiner Geburt verlassen haben. Damals, bei seiner Flucht in Richtung Europa, hatten sie gehofft, die Familie oder ein Teil von ihr könne nachkommen. Aber das hat sich als illusorisch herausgestellt. In seiner Anfangszeit in Österreich hatte Omid besonders starke Sehnsucht nach seiner Familie, vor allem nach den jüngeren Schwestern. Er telefonierte in den Iran, aber schon im zweiten Jahr, während des Ramadan, legte er eine Pause ein, weil er nicht lügen wollte und auch nicht sagen, dass er sich nicht so streng an die Fastenregeln hielt. Omids Familie gehört zur Volksgruppe der Hazara, die knapp zehn Prozent der afghanischen Bevölkerung ausmacht und insbesondere von den Taliban bedroht wird. Die Hasara sprechen einen persischen Dialekt. Hunderttausende von ihnen sind in den letzten Jahren über die Grenze in den Iran geflüchtet. Sie werden dort als Bürger zweiter Klasse behandelt und haben die Rückführung nach Afghanistan zu befürchten. Im Iran müssen afghanische Flüchtlingskinder Schulgeld für die Grundschule zahlen, wozu ihre Eltern in den meisten Fällen nicht in die Lage sind, während sie für die einheimischen Kinder gratis ist. Mit dem internationalen Wirtschafts- boykott, der sich verschärfenden Krise, wird das Klima in der Gesellschaft trauerleidtragender, sind zuerst die Schwächsten die Migranten. Dankeschön. Ich darf jetzt mit großer Freude Anna Herzig auch begrüßen als Verleger. Es ist ihr erstes Buch, das im Otto-Müller-Verlag erscheint. Es ist ihr erster Roman, den sie veröffentlicht. Sie hat vorher zwei Novellenbände in einem anderen Verlag veröffentlicht. in einem anderen Verlag veröffentlicht. Die dritte Hälfte des Lebens ist, obwohl es so dünn ist, ein Roman, der, wie ich schon gesagt habe, sich über mehrere Jahrzehnte hinzieht. Es treten in diesem Roman viele Personen auf, sozusagen das Personal ist sehr vielfältig und trotzdem gelingt es Anna Herzig, und das hat mich wirklich so überzeugt, wie ich das Manuskript gelesen habe, diese Personen in der Kürze so plastisch und so scharf zu charakterisieren, dass man denkt, man hätte sie schon lange gekannt. Die ganze Situation spielt in einer dörflichen Umgebung, wobei das Dorf immer sozusagen ein Synonym ist für eine geschlossene Gesellschaft. Es sind mir Sätze hängen geblieben wie das Dorf sieht alles und das Dorf weiß alles, sozusagen diese gegenseitige Beobachtung. Und im Dorf ist nichts zulässig, was außerhalb der Norm darf eigentlich nichts sein, was nicht sozusagen von der dörflichen Gesellschaft verurteilt und auf seine Art auch geahndet wird. Es ist in seiner Dichtheit einzigartig faszinierend und wenn sie es lesen wird, wird sie es von der ersten bis zur letzten Seite nicht loslassen. Es ist auch gefüllt mit Skurrilitäten, die man aber sozusagen so nimmt. Qualitäten, die man aber sozusagen so nimmt. Es treten dort Menschen auf, die körperliche Sondermale haben, eine Frau mit drei Brüsten. Es treten Leute auf, die aufgrund ihrer Herkunft Schwierigkeiten haben, weil sie einen Vater haben, der farbiger ist und nach Südafrika verschwindet und das Kind badet das aus. Es ist sozusagen alle sozialen Komponenten werden auf diesen knappen 150 Seiten angetönt in einer Art und Weise, die wirklich seinesgleichen sucht. Wir haben uns ausgemacht nach dieser Einführung, dass wir kurz ein Gespräch führen, bevor Anna Herzig dann zu lesen beginnt. Und ich möchte sozusagen die erste Frage gleich nach dem Dorf richten. In der ersten Rezension steht schon sozusagen Provinzroman und Anti-Heimat-Roman. Fels sozusagen, die sozusagen mit Namen wie Inhofer und sozusagen eine ganze Reihe von österreichischen Autoren, die bis hin zu vielen, es geht natürlich auch weiter zurück. Ist dir das bewusst sozusagen? War dir das wichtig oder konnte der Roman nur in einem Dorf spielen und deswegen spielt er in einem Dorf? dass sie sich, ich schweife nur kurz aus, dass sie sich Zeit nehmen für Kultur und für das Gesprochene und das geschriebene Wort. Das finde ich sehr nett. Also danke, dass Sie da sind, sich die Zeit genommen haben und zuhören. Es ist mir wichtig, dass ich das sage. Ich weiß grundsätzlich, ich tue gerne Discovery Writing. Das heißt, ich habe eine Figur oder einen Ort und dann fange ich zum Schreiben an und schaue, wo es hinführt. Und zuerst war der Grimbinger Kirschkernhügel da und das Grimbing war einfach schon so da, dieses Wort. Dann habe ich gegoogelt, gibt es das schon, gab es nicht, habe ich mir genommen. Und fasziniert hat mich der Grimbinger Kirschkernhügel, auf dem ein Apfelbaum steht. Also der hat gar nichts mit Kirschen zu tun, der heißt einfach so. Und dann gab es den Steinlachner Sepp, der auf einmal da heruntergebaumelt ist und so hat das begonnen. Und das war nicht geplant, dass es Dorf ist, es war nicht mehr geplant, um was es geht, sondern meistens erscheint ein, zwei Figuren und dann schaue ich, was passiert. Und dann ist es einfach, ja, Grimming war dann einfach ein Dorf. Also ich wollte jetzt nicht bewusst einen Dorfroman schreiben, aber irgendwann habe ich das in der Kurzvita dann auch abgehakt. Aber was natürlich schön ist an einem Dorfroman, weil ich kann mit dem Begriff Anti-Heimat-Literatur gar nichts anfangen, weil im Prinzip ist alles, was mir gesagt wird und mich wehre mit einer Stimme, die vielleicht nicht der Gruppe entspricht, ist es schon anti. Also deswegen, ja, lange ausschweifende Antwort. Nein, es war nicht klar, dass es ein Dorfroman wird. Ich habe Ihnen noch vorenthalten, wollte aber zuerst die erste Frage stellen, dass Anna Herzig 1987 als Tochter eines Ägypters und einer Kanadierin in Wien geboren wurde. Das Fremdsein und das Anderssein ist dir vielleicht ein bisschen in die Wiege gelegt. Das kann man nur erahnen, möchte ich gar nicht dazu sagen. Anna Herzig lebt als freischaffende Künstlerin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Entschuldigung, kann ich das sagen? Ja, gerne. Also, sie lebt als schriftsterellen Künstlerin und als Autorin jetzt als Freischaffende, was ganz wichtig ist, weil das auch einen ziemlichen Mut erfordert, sozusagen in Zeiten, nicht nur in Zeiten wie diesen, immer sozusagen nur von der Kunst leben zu wollen und das auch zu können. Das ist schon respektvoll. Was mich noch fasziniert und ist sozusagen, was ich auch schon angedeutet habe, die präzise Darstellung von den Leuten, dass man eben glaubt, man kennt sie, aber trotzdem wird so viel ausgelassen und so viel aussparung. Wie ist da die Technik, wie kommst du dazu, es so zu schreiben, dass man es trotzdem, man den Eindruck hat, man sieht die Leute vor sich? Das ist ganz, ganz einfach beantwortet und sehr unsympathisch sogar. Ich bin ja irrsinnig faule Schreiberin. Ich werde nie, also ich schreibe nie, ich würde gerne diese 300 Seiten Romane schreiben, die Furore machen und die ganz, ganz viel besprochen werden, wo man ganz viel reininterpretieren kann. Und ich bin draufgekommen, das kann man auch mit ganz, ganz wenigen, kurzen, intensiven Schreibphasen erreichen. Und bei mir ist es einfach so, dass ich tatsächlich nicht diesen Schreibrhythmus habe, dass ich sage, ich kann jetzt, also an diesem Text, und Sie sehen, es ist wirklich ein sehr, sehr schmales Büchlein, ich habe eineinhalb Jahre geschrieben. Von den Anfängen bis zur Veröffentlichung am 23. Februar, das waren eineinhalb Jahre. Einfach weil es kurz ist, weil es intensiv ist, weil man einfach für alles, was sich lohnt, vielleicht, oder jede Geschichte ein bisschen bluten muss und dann dauert es wieder, bis so der Krug an Lebensfreude wieder aufgefüllt ist. Und ich glaube, wenn man einfach kurz und intensiv schreibt und gar nicht vorhat, lang und ausschweifend zu schreiben, dann bleibt einem über kurz oder lang nichts anderes übrig, als wirklich zu überlegen natürlich, wenn man das Mittel der Reduktion anwendet, was ich sehr, sehr gerne mache, einfach ist eine Spielart, um zu schauen, funktioniert der Text, wenn ich alles, was Aufmerksamkeit heißt, wegnehme, funktioniert es dann immer noch, ist die Geschichte immer noch da, ist sie immer noch erzählenswert. Und vor allem, wenn ich alles weglasse, was Aufmerksamkeit erregen würde und was schreit, was ist das Stille, das übrig bleibt? Und was in dieser Stille ist es wert, erzählt zu werden? Oder was lohnt sich? Für mich ist in diesem reduzierten Text, sind immer so ein bisschen Schätze verborgen. Das mache ich selber auch, wenn ich lese. Ich bin ja eine Schatzsucherin. Vielen Dank. Ich denke, wir haben einen kleinen Eindruck gegeben. Ich kann Ihnen nur versprechen, dass es sich lohnt, diesem Buch zuzuhören und es zu lesen. Vielen Dank, dass du uns jetzt eine circa 25-minütige Leseprobe gibst. Und ich darf mich jetzt, bevor du anfängst, noch hier zurückziehen. Dankeschön. Dankeschön. Alles könnte ich erzählen über Grimving und die Menschen, die Schmerzen, die sie einem zufügen. Dass es keinen Unterschied macht, was man gehört hat, was die Leute sagen oder wie sehr man sich bemüht. Die Übung besteht darin, sich nicht in Nebensätzen zu verehren, was man gehört hat. Es sind die kleinen Verbrechen an der Seele, die die inneren Blutungen ausmachen. Welche Linie muss erfunden, vermessen und anerkannt werden, die klar definiert, wegen diesem, jenen und weil die Planetenkonstellation äußerst ungünstig war, hat sich der Steinlachner Sepp, einziger Sohn der Steinlachner, der ledigen Rosa Steinlachner, vor über 20 Jahren am Grimminger Kirschkernügel aufgehängt. Seither hat es Eindorf mehr in Österreich gegeben, das bewohnt war mit den freundlichen Geistern jener, die gern geholfen hätten, wenn sie nur gewusst hätten, wie. Es ist schwer, Vermutungen darüber anzustellen, weshalb sich das Sepp damals zu einer derart verzweifelten Tat genötigt sah. Vielleicht ist es möglich, sich anhand einer Rekonstruktion den wahrscheinlichsten Ereignissen anzunähern, ähnlich der Annäherung an eine zerrüttete Beziehung, nämlich mit intensiver melancholischer Zerklüftung der Anfänge. Der Hängende, der Unerwünschte und der Vertriebene. In gewissen österreichischen Gemeinden ist es oft ein und dieselbe Person. Lorenz Karl Ignatius Radbauer ist wenige Tage vor seinem zwölften Geburtstag eine Frau aus der Seele gewachsen. Ein Glücksfall eigentlich, weil Frauen ihn seit jeher und alles Saatglühende im Besonderen honigtopfartig angezogen haben. Wenn er über Feminines in seinem Inneren stolpert, dann sieht er sich am ehesten als Braunbärchen mit einem regenbogenfarbenen Propellerhut. Mit der Pranke in die Süße, das Unbekannte, das Magische tauchen, um darin vollends zu verschwinden und dann lange Zeit später, wenn die ersten Tauchgänge sich als erfolgreich erwiesen haben, als etwas anderes und Unbekanntes wieder in Borscheigen. Der Spiegel in seinem Zimmer zeigt ihm eine formbare Alternative, wenn er und der Spiegel gleichzeitig die Augen schließen. Langes, volles, kastanienbraunes Haar, das man sich lachend über die Schultern werfen kann, so wie die Frauen in der Werbung. Der Spiegel zeigt ihm, wie er mit dem gestohlenen Make-up-Köfferchen aus dem Einkaufszentrum seine Lippen noch stärker zur Geltung bringen kann. Mit dem Körper außerhalb dieses Spiegels kann er nichts anfangen, weder angezogen noch nackt, weil die Worte, die er braucht, um zu beschreiben, was er fühlt, lassen sich ohne Wanderlust nicht finden. Und dieser Junge hat bereits alles in seiner Reichung greifweite mit penibler Geduld und Konsequenz untersucht. Gefunden hat er nichts, nicht unter Felsen und auf keinen noch so grünen Wiesen, an keinem Feldweg und erst recht nicht bei den Eltern. Er ist auf der Suche nach Geschwärztem. Der Vater sagt, leg die Bücher in die Ecke, die bringen kein Essen auf den Tisch, mach dich nützlich und hilf am Hof. Die Mutter sagt, such da ein Frauenmacher, paar Kinder, kochen soll sie können, hörst du, bring mal kein Unfähiger nach Hause. Einen Verdacht, dass der LKI, so wie er von seinen Mitschülern der Einfachheit halber genannt wird, anders ist das alles bekannt, andere haben die Eltern nicht. Wie alle Verwundeten versteht er es, sich in sich zu verstecken. Nachts liegt er wach, versucht, sich ein Leben außerhalb dieser Ortschaft vorzustellen und wünscht sich die großen Gefühle. Seine erste große Liebe, Claudia Cardinale, die schönste aller Schönen, das wundersamste Wunderwesen, das jemals auf dieser Erde gewandelt ist, dazu bestimmt die Welt des Lorenz-Karl-Ignatius-Radbauer aus Grimming für immer zu erhellen. Bitte nach Italien zu meiner Claudia, hat er zum Schulbusfahrer gesagt. Dummer Bub, hat der Busfahrer geantwortet, steig ein und setz dich quälig hin, sonst kannst du zu Fuß in die Schule gehen. Claudia, hat der Junge beharrt, muss ich aufstehen? fragt der Busfahrer und hebt rund einen Finger. Frei sein, das müssen Sie, antwortet der Junge. Der Weniger hat seelenruhig den Motor abgestellt und sich umgeschaut. Dabei hat er sich Zeit gelassen, als würde er den Geruch des Busses, ein Bottborea Schulranzen, zerdrückten Pausenbroten, Sommer- und Winterschuhen, nasser Kleidung zum Abschied noch ein letztes Mal in sich aufnehmen. Er hat den LKI sanft beiseite geschoben, ist aus dem Bus gestiegen und davongangen. Vom Weniger Eduard hat man nie wieder was gehört, zumindest nicht in Grimwing. Wochenlang wurde er etwas von abstrakten Dingen wie Selbstverwirklichung und in Wien und völlig übergeschnappt und es wird schon Zeit, dass er sich wieder zusammenreißt und zurückkommt etc. geflüstert. Die an diesem 22. Juni im Bus zurückgebliebenen Mitschüler haben gedacht, der LKI ist schon jetzt ein echter Mann. Die Jungen haben sich untereinander erzählt, das ist ein wilder Hunder Hund sind Die Bart- und Beinhaare früher gewachsen als uns Die Stimme mit 14 schon so tief, dass die Mädels reihenweise umfällt, wenn er nur in deren Richtung blinzelt Sein Penis, ein Kuriosum, das ihm nichts bedeutet Sachte dagegen geschnippt, gezogen, beobachtet, abgewartet Vielleicht wird sich dieses unliebsame Stück Fleisch lockern, wenn ihm nur die richtige Technik aus Ziehen und Schnippen gelänge. Zum 15. Geburtstag hat er sich Brüste und eine Vagina gewünscht, diese Bitte in langsamen, klaren Worten an die Eltern herangetragen. Bekommen hat er einen Bluterguss auf der linken Wange und geprellte Rippen auf der rechten Seite, weil der Radbauer Senior überfordert mit dem Leben im Allgemeinen und den Veränderungen der Nachkriegszeit im Besonderen mit der Empathie eines Traktors ausgerüstet war. Die alte Radbauerin, eine gänzlich in sich hineingefallene, fromme Frau mit Kopftuch, begleitet von einem ständig benutzten Stofftaschentuch in der einen oder anderen Hand, hat den Sohn mehrmals täglich sehr gebügt und sehr wimmernd vor den Sünden der Welt gewarnt. Drei Jahre später ist der Radbauer Senior 71-jährig mitten auf dem Feld umgefallen und nicht mehr aufgestanden. Es war ganz sicher der vorhergegangene Geburtstagswunsch des spät ins Leben geholten Sohnes, der ein bisschen die Knochen erschüttert hat und letztendlich das Leben gekostet hat, so wird es erzählt. An jenem Geburtstag, der seine Volljährigkeit eingeläutet hat, hat sich herausgestellt, dass sich diesem Dorf, seinen Mechanismen und der immer wiederkehrenden Monotonie zu ergeben, die einzige Gefahr für den jungen Bäuerinnensohn darstellt. für den jungen Bäuerinnensohn darstellt. Wo willst du denn hingehen, hat ihn die Mutter nach dem Abschluss einer wenig Möglichkeiten bietenden Ausbildung gefragt und mit zittrigen Fingern das Stofftaschentuch aus der Schütze gezogen. Es hat den LKI jahrelange eiserne Selbstbeherrschung abverlangt, sie nachts nicht mit eben diesem Stofftaschentuch auf den Nasenlöchern und einer Hand über den Mund zu ersticken. Nach Italien hat er geantwortet, eine gepackte Tasche in jeder Hand, ein Rucksack im Vorzimmer, der mit jedem weiteren Wort der Mutter untragbar geworden ist, schwerer, belastender und schließlich untragbar geworden ist. Ein paar Jahre bleibe ich noch, hat er gedacht, ein paar Jahre, und dann war die Mutter wieder froh, weil in Grimving gibt es viele von ihnen, jene, die ihre Kinder weder gern haben noch gehen lassen können und wer soll sich dann bitte noch auskennen bei all dem ihn und ihr. Eines Tages wird vom LKI samt seinen Träumen nur mehr der Radbauer übrig bleiben und er, die Mutter bereits lang verstorben, noch immer in Grimming sein. Aber da ist noch lange hin. Für jetzt begnügt er sich damit, vor dem Spiegel zu stehen, langsam und mit noch unsicherer Hand, zuerst beim rechten, dann beim linken Auge einen tiefschwarzen Lidstrich zu ziehen, den Mund zu einem O geformt. Die alte Radbauerin hinter ihm stehend, sich im Spiegelbild offenbarnd und bekreuzigend, ihr Stofftaschentuch faltend, faltend, immer weiter faltend. Die einem zugeteilte Lebenszeit hat nur eine Aufgabe, zu rinnen, unaufhörlich. Die Störgeräusche meinen Herumlassen unempfindlich werden für das, was wirklich wichtig ist. Und bis man das merkt, steht man bereits knietief im eigenen Lebenssand. Der kleine Seppi soll nicht stehlen, aber er stiehlt alles. Hauptsächlich Sachen, die verpackt sind in Einkaufshäusern zur Weihnachtszeit zum Beispiel. Da gibt es künstliche Weihnachtsbäume bedeckt mit noch künstlicherem Sprühschnee, an denen kleine quadratische Styroporwürfel hängen, verpackt in wunderschön glänzendem Geschenkpapier. Damit macht sich der kleine Seppi die Latzhosentaschen voll. Die Kunst des Stehlens ist an einen delikaten, schrittweise stattfindenden Lernfortschritt gebunden. Es können Objekte sein, die ihn faszinieren, aber ebenso Geld. Farben und Formen der Münzen und Scheine ziehen ihn an wie funkelnde Diamanten. Im Sommer hat der Seppi einen 500-Schilling-Schein aus der Geldbörse der Mutter genommen, in die Brusttasche seiner blauen Latzhose gesteckt und ist barfuß quer durch die Wiese über die Straße bis zur Tankstelle marschiert und hat, grüß Gott, grüß Gott, ich kaufe Sachen, gesagt, weil man muss sich wie ein Erwachsener verhalten, wenn man was kaufen will, damit niemand merkt, dass du ein Kind bist. Der Tankstellenwart hat ihn beobachtet, das geschäftige Persönchen, und das hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nach einiger Zeit hat der Tankstellenwart hinten vom Büro aus die Mutter angerufen, mit der er jeden Freitagabend im Wirtshaus zum grausamen Vibe-Dart spielt. Du schaust jetzt auf der Stelle, dass du nach Hause zur Mama kommst und das Geld zurückbringst, du kleiner Dreck. Der Seppi, zuerst erschrocken durch die laute Stimme des Tankwarts, der plötzlich aus dem Büro geschossen kam, lässt alle Süßigkeiten auf den Boden fallen, stemmt die Hände in die Hüfte und schreit, und du, du sagst mir gar nichts, weil du bist nicht meine Mama. Und der Tanksteller hat erwischt ihn am Ohrläppchen und zieht ihn mit Daumen und Zeigefinger bis vor den Eingang. Eine Prozedur, die der kleine Seppi von den Nonnen kennt. Die dürfen alles. Und die Eltern, die schauen in eine andere Richtung, als würden von dort ganz laute Geräusche kommen. Geräusche, die so laut sind, dass ihre eigenen Kinder nicht mehr weinen hören können. 50 Mal hat das siebenjährige Kind vor versammelter Gemeinde zu Beginn der Ostermesse in der Kirche laut, ich bin ein schlechtes Kind, ich habe gestohlen, aufsagen müssen. Nach Monaten danach ist er von Grimwing, seinen Henkern und Richtern mit herabwürdigenden Blicken bedacht worden. Ein Dorf wie jedes andere, das nicht zu niemandem vergisst. Zum Geburtstag hat der Seppi seine Lieblingstorte von der Mutter bekommen. Der Radbauer hat die tiefgekühlte Leckerei sogar persönlich vorbeigebracht und der Seppi hat wirklich sehr fest gepustet, weil er hofft, dass er wegen des gestohlenen Geldes nicht in die Hölle kommt. Sicher ist er sich da nicht, weil in der katholischen Privatschule muss er beten. Morgens, mittags und zu Hause, abends und manchmal nun ihm die Knie weh und die Hüfte und die Mittelknochen der Finger. Zu dick, sagt die Mutter beim Mittagessen, fortwährend dieser selbe Sermon aus ihrem Mund, während der Seppi trotzdem genüsslich an seinem Sonntagsschnitzel kaut. Er denkt sich zu der halb gegessenen Torte unter seinem Bett. Wenn der kleine Seppi erwachsen ist, wird er die Erfinderin der Grimminger Festtagsorte finden und sie zwingen ihn zu heiraten. Und wenn sie sich widersetzt oder unwillig ist, die genötigte Ehefrau, würde sie zwicken und beißen. Er rutscht von der Eckbank und huscht ins Zimmer. Es wird erst vom Tisch aufgestanden, Josef, schreit sie ihm nach, es wird erst vom Tisch aufgestanden, wenn alle mit dem Essen fertig sind. Alle, das sind er und die Mutter, die selten isst und dafür die meisten Mahlzeiten durch Zigaretten ersetzt, während das Kind, eingenebelt von Rauch, sein Essen zu sich nimmt. Der Seppi hat die Torte hervorgeholt, ein wenig Staub hat sich schon über die Sahnehäubchen gelegt und hält sie mit beiden Händen fest und klammert wie ein Preis vom Kirtag. Du legst das sofort auf den Boden, sagt die Mutter und unausgesprochen fügt sie hinzu, sonst heucht ihr den Hintern aus. Er hält den Augenkontakt, breitbeinig steht er da wie ein Cowboy bei einem Duell. Mit seiner kleinen pummeligen Hand schiebt er sein T-Shirt, das an den Oberarmen und dem Bauch sichtbar spannt, bis zum Kinn hoch. Wage es nicht, sagt die Mutter. Mit einem Mal hat er das große weiche Tortenstück auf seinen nackten Bauch geklatscht und genüsslich verrieben und es fällt in kleinen und größeren Stücken auf das Parkett. Nachdem die Mutter aus dem Zimmer marschiert ist, die Türe zugeknallt und abgesperrt hat, widmet sich das Kinn in aller Ruhe den Resten auf dem Boden. Er steigt mit den Füßen hinein, isst die Sahne und die Serrkirschen von den kleinen Zehen, die abwechselnd in gelb, blau und grün lackiert sind. Nachdem ihm schlecht und er sicher ist, nie wieder, das heißt nie und nie mehr in seinem ganzen weiten Leben Süßes essen zu können, sieht er zu dem großen Teddybären neben seinem Bett, dem bereits ein Auge fehlt und sagt, und du, du sagst mir gar nichts, blöde Sau. Wenn der Seppi träumt, dann immer vom Tod. Der kleine Schmerz ist sein Begleiter, wie ein Stoff, der das immer und überall hin mitgezehrt wird. Der kleine Schmerz ist allgegenwärtig und füllt bereits jetzt, in diesem zarten Alter, sein gesamtes Wesen aus. Wenn der Seppi träumt, dann niemals von der Freude am Leben. Der kleine Schmerz kommt in Wellen, in Unerträglichen, dann hackt der Sepp sein Zimmer und die Second-Hand-Spiel-Sachen kurz und klein. Stoff, die Köpfe werden abgerissen, Arme und Beine verbogen, feste, unnachgiebige Tritte ins Lego-Haus. Weil wenn er zerstören kann, lindert das den Zorn. Manchmal hat er diesen Drang, den vollen Aschenbecher der Mutter zu nehmen, ihn auf seinem schmalen Kinderbett auszuleeren und sich immer und immer wieder gegen die Schläfe zu klopfen, weil vielleicht fällt dann der kleine Schmerz endlich aus seinem Kopf. Der kleine Seppi kann sich nicht an seinen Vater erinnern, nicht gut. Zwei Fotos hat ihm die Rose gelassen, die anderen sind aus Herzschmerz ihrer Zerreißwut zum Opfer gefallen, nachdem sie dem Jackson auf jedem Foto mit einer Bleistiftspitze die Augen ausgestochen hat. Die gesamte Grundschulzeit wird der Seppi damit verbringen, die Fotos seiner Kinderalben akribisch zu überprüfen, nach ausgestochenen Augen zu suchen und ein exzellentes Gespür für die Stimmungen und Spuren der Tigerin zu entwickeln. Das Kind, fortan ein hypersensibles Messgerät für all die wankelmütigen Bedürfnisse seiner Umgebung. Man geht betreten mit ihm um, das kann er spüren, noch bevor es ihm gesagt wird. Man geht betreten mit ihm um, das kann er spüren, noch bevor es ihm gesagt wird. Das mit der Sensibilität, die jedes Spiel zunichte macht, weil nie etwas so gemeint war, wie es von ihm aufgefasst wurde. Seine Augen, die sich für das Empfinden anderer zu schnell mit Tränen gefühlt haben. Ein Junge, der nicht erklären kann, weshalb ihm die Energien, die von Menschen ausgehen, zuerst im Kopf und dann auf der Haut wehtun wie Nadelstiche. In den beschützenswerten Jahren tobt die Intuition in seinem Bauch. Ein Stimmchen, das ihm sagt, was oder was nicht der Wahrheit entspricht. Aber dann sind da immer die anderen, die erneut beschwichtigen und bekräftigen, dass alles in Ordnung sei, unabhängig davon, wie sehr es dem Kind wehtut. Irgendwann kommt die Mutter ins Kinderzimmer und schüttet ihm ein kaltes Glas Wasser ins Gesicht. Das Kind stockt mit hochrotem Kopf und von Weinen verquollenen Augen, die kleinen Hände zu Fäusten geballt, jeder Muskel in seinem Körper angespannt. Er wirft sich beuchlings auf den Boden und beginnt zu schreien, bis er keine Stimme mehr hat, schreit, schreit, schreit sich den kleinen Schmerz aus den Kinderknochen. Und dabei möchte sich der Josef nur davongraben, irgendwo anders hin. Dieses Kind, denkt der Radbauer, wenn er nach seiner Schicht aus dem Lager vom Grün und Knusprig mit seinem Sechserpackbier in einem alten VW Golf an den See fährt und zufällig den Frido und den Seppi mit der Großmutter im Wasserplanschen sieht, dieses Kind wird Hilfe brauchen und Schutz vor all dem, was sich innerhalb dieser Gemeinde abspielt. Man hört, dass sie den kleinen Wastinger Ende des Sommers nach Wien schicken werden. Was dann aus dem Seppi wird, das möchte er sich nicht vorstellen. Wenn man spürt, wie er einem Grimm wegen seines spinnenartigen spitzen Beinen in den Kopf rammt, dort andockt und sich nähert, ist es fast schon zu spät. Der Radbauer denkt, nächsten Monat gehe ich weg von hier, spätestens. Dann beobachtet er die jungen Frauen, genauso alt wie der Radbauer selbst. Das Kreischen, das Lachen und ihre Körper erinnern ihn an alle Dinge, die ihm schon seit sehr langer Zeit wehtun. Ob er es in einem anderen Leben geschafft hätte, sich aus Grimming herauszudenken, bleibt ungewiss. Sich entleeren, das tut der Mensch generell gern. Vor allem in Österreich und am liebsten auf jemanden drauf, anstatt in etwas hinein. Das gehört so sehr zu Österreich dazu, wie Freundelwirtschaft und zärtliches Eierschaukeln beim Wirten. Da werden bei ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Bieren Karrieren gerichtet und wieder gebrochen, Affären beendet und neue begonnen, Menschen in einen imaginären Adelstand erhoben, die dann nicht mal mehr durch eine Scheidung in gesellschaftliche Ungnade fallen können. Vor hinter vorgehaltenen Händen geflüsterte Dinge, davon sollte man sich hüten. Sagen kann man, um sich der Wahrheit ein wenig anzunähern, dass das Flüstern hinter vorgehaltenen Händen kein ländlicher Zustand, sondern ein menschlicher ist. Manchmal fragt sich die Liesl, ob das Entleeren seiner Fäkalien an sich nicht die eigentliche Misere ist, weil Menschen so oft darüber nachdenken, auf was man scheißen, wem man anscheißen und wie lange man wo drauf scheißen kann, weil immer, wenn es um den zuvor beschriebenen Entleerungsprozess geht, kann man sicher sein, dass irgendwer oder irgendetwas leiden wird. Die Liesl denkt gelegentlich über Putzfrauen nach, weil wenn die die Scheiße von anderen wegwischen müssen, wer wischt dann deren weg? In Grimwing, dort wo die Liesl wohnt, sagt niemand zu ihr, haben sie dir ins Hirn geschissen? Nicht, weil die Leute dort freundlicher wären, die reden nur eher nicht mit einem. Dort, wo die Liesl wohnt, sagt man zueinander, so eine wie die, die meiden wir. Dick ist sie und gut drauf, noch dazu strahlt wie eine Sonne, trotz des Gewichts. Und das neue Fitnessstudio in Grimwing sei doch so erschwinglich, möchte man sich das nicht leisten? Es geht doch nur um die Gesundheit, weil Abklärergröße 46, was soll das hinführen? Es gibt zwar eine Dorfboutique in Grimwing, die Plus-Size-Damen-Mode verkauft, aber sind alle, allerdings sind alle Damen, die dort einkaufen könnten, in den letzten Jahren auf Size Zero heruntergemagert. Selbst die einst stämmigen Landwirtinnen. Die Liesl hat sich, als die Boutique neu eröffnet wurde, den Aussagen vom Stadtbrett im Dorfzentrum geschnappt und sich um die Teilzeitstelle als Verkäuferin beworben, aber dort hat man ihr mit störischer Behutsamkeit nahegelegt, dass man eher nach einer ästhetischeren Verkaufspersönlichkeit sucht. Unter dem Fladorama befindet sich ein kleiner Stripclub, der damals in Griemening dermaßen wirtschaftlich einträglich war, dass sich in den 80er Jahren sogar der Tourismusführer Österreich einen Hinweis darauf erlaubt hat, in seinen Bundesländerbroschüren. Zwei Sparvereinsrunden, in einer von ihnen der Radbauer, haben jeden Freitagabend unermüdlich um die Gunst der sechs tanzenden Damen gebohlt. Die Liesl geht also abends ins Fladorama Geld verdienen, obwohl sie das nicht muss. also abends ins Fladorama Geld verdienen, obwohl sie das nicht muss. Zusammen mit dem Wassinger, dem Bürgermeister von Grimwing, hat sie Ferienhäuser in Italien, Frankreich und Österreich, aber das weiß niemand, weil sich keiner jemals die Mühe gemacht hat, die Liesl kennenzulernen. Beim Tanzen verdient sie mehr als die anderen Ehefrauen des Dorfes. Und diese Damen zahlen es der Liesl richtig heim, wenn und wann immer ihnen danach ist. Verstecken ihr Schminkzeug, die Schuhe, die Unterwäsche, an düsteren Tagen sogar den Schlüssel fürs Fahrradschloss, den Wohnungsschlüssel und das Portemonnaie. Die Liesl ist keineswegs die schönste Stripperin in Grimving, nur die mit dem meisten Charisma. So mühelos, so da, so leuchtend, so unantastbar strahlen und dieses Leuchten können sie ihr nicht stehlen, also muss man ihr anders beikommen. Menschen sind, wie sie sind, das hat der Bürgermeister oft zu ihr gesagt, meistens sturzbetrunken, wenn er nickt, also der Liesl so schüchtern zunickt in Richtung Bett. Du bist mein Katzerl, hat er gesagt und sich gefreut richtig arg, dass er das unnötige Brustgeschirr vom Körper reißen kann mit seinen Wurstfingern, die unzählige Dosen Frühstücksfleisch und Nutellasemmeln geschuldet sind. Sein Bauch hat weder den Wastinger noch die Liesl gestört, weil eine alte Pinselweise erstaunlich oft greift und die Laut hat ein gutes Werkzeug. Es braucht ein Dach über dem Kopf. oft greift und die lautet ein gutes Werkzeug, es braucht ein Dach über dem Kopf. Seit mehr als zehn Jahren lebt sie also mit dem Wasting und seinem Werkzeug zusammen. Was für alles schlüssig war da, wenn es um amtliche Angelegenheiten geht, niemand so akkurat und zuverlässig ist wie die Liesl. Der Bürgermeister hat eines Tages mit rotem Bäckchen gesagt, Katzel, wir werden heiraten. Und Grimwing hat geantwortet, der Gewastinger, das mit der Dicken, das ist nichts für dich. Der Frido hat die Liesl trotzdem bei der Hand und später zur Frau genommen. Und noch ein paar Monate später ist der Wastinger in der Tiefkühltruhe in seinem Keller gelegen. Und die Liesl hat so viele bittere Tränen hineingeweint, dass sich eine meterhohe Schicht aus Polaris um den verschiedenen gebildet hat. Ein letztes Mal noch möchte die Liesl mit ihrem Ehemann zu Abend essen, bevor sie geht, weg aus Grimming und dem Flüstern, das das Blut und die Seelen von Generationen vergiftet hat. weg aus Grimming und dem Flüstern, das das Blut und die Seelen von Generationen vergiftet hat. Im Landhaus von Wassing und der Liesl ist immer Weihnachten, selbst im Sommer und zu Ostern. Der Bürgermeister war entzückt von allem, was nur annähernd mit der Most Wonderful Time of the Year zu tun hatte. Jeder Raum im Haus, selbst die Sanitäranlagen, waren Orte der Freude und des Zaubers der kindlichen Weihnacht. Der Wastinger wollte so sehr nichts mehr mit dem Mannsein-müssen zu tun haben, hat sich geekelt vor allen Ritualen des Mann-zeigen-müssen-s im Dorf, das zuallererst seine Liebe durch den Dienst versagt hat, und zwar unwiderruflich. Ich glaube, ich möchte ihn nicht mehr benutzen, hat er gesagt, und ein Donnerwetter von seiner Frau erwartet. Okay, hat die Liesl geantwortet. Und der Wasting hat gefragt, wird uns das brechen? Nichts wird uns brechen, hat die Liesl geantwortet. Sie waren bei einem Psychotherapeuten in Wien, der gesagt hat, dass die Liesl ihn vermutlich bedrängt hat, wie es eigentlich um die Beziehung zur Wastingermutter bestellt ist. Und der Wasting hat gesagt, meine Mutter war eine wundervolle Frau. Und der Psychotherapeut hat gefragt, fordert sie zu viel, die Ehefrau? Und der Wastinger hat sich die Therapiestunde von den Hosenbändern abgeklopft und gesagt, die Liesl, das ist mein liebstes Katzerl. Und der Psychotherapeut hat geantwortet, lassen Sie uns dann die Dinge bearbeiten, die blind machen. Schauen uns, sagt der Wastinger, was mir wehtut, ist nicht die Ehefrau, sondern die Menschen. Eines Abends hat der Wastinger die Liesl gefragt, hast du diese Bedürfnisse? Manchmal antwortet sie, manchmal und der Wastinger war bereit und sagt, wir können Wege finden. Er sagt, ich will nicht mehr nach da draußen und er küsst ihr jeden Finger. Die Hände von der Liesl berühren denen Wassinger überall, als hätte sie 25 Hände mindestens. Die Handflächen seiner Frau, die geben ihm Hoffnung. Über den kalten Bauch, weiche Innenschenkel, die sich über seinem Gesicht bequem machen, die ausladenden Rundungen ihres Hinterns und ihre Brüste ganz nah vor seinen Augen, die schon von einer dichten Trübheit durchzogen sind. Der Fridolin, ihr Seestern, weil er sich der Gesellschaft eisern verweigert hat, der Beste aller Gefährten, mit Leib und Leben hat er sie beschützt vorm Dorf. Und nachdem er letztes Jahr am Heiligen Abend mit einem entsetzten Gesichtsausdruck und einer Hand auf der linken Brust plötzlich umgefallen ist und dabei sämtliche Dekorationen samt Festessen vom Tisch mitgerissen hat, war der Gedanke von der Liesl folgender. Bevor sie ihn mir nehmen, mitnehmen, aufschneiden, wieder zunähen und hinablassen in die Erde, bevor er zu etwas anderem wird, bleibt er bei mir. Sie hat es ihnen übel genommen, dass sie nicht mehr Jahre mit dem Wassinger hat haben können, weil ein Mord, der ist geplant, nicht zwingend mit einer durch und durch konsequent gedanklichen Architektur, aber immerhin mit einem vorhergehenden Bedürfnis. Es spielt keine Rolle, wie leise einem ein Bedürfnis in das Blut hineinflüstert. Die Anwesenheit ist nicht zu leugnen. Es arbeitet sich vor, bis aus dem Flüstern ein Brüllen wird und die Heugabeln gespickt mit aufgestauter Wut zu brennen beginnen. Also liegt der Wasting in seiner Tiefkühltruhe, umgeben von dem Besten, was in den Neuzigern in österreichischen Eisläckereien jemals verfügbar gewesen ist. Zusätzlich garniert mit acht Grimminger Äpfeln, einen für jeden Monat, seitdem der Wastinger bereits tot ist. Die Diesel hat sich in den letzten Wochen an dem Arrangement in der Truhe erfreut, dem Frido-Wastinger-Hetz gefallen. Sie stört sich weder am Anblick noch an der Kälte von Wastinger, weil eine gute Ehe, die hält einiges aus und noch viel mehr. Danke. Applaus