Die Frau hat das Recht, aufs Chafott zu steigen, erklärte Olympe de Gouges bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Sie soll ebenso das Recht haben, auf die Rednertribüne zu steigen. Frauen galten sogar zur Zeit der Französischen Revolution als unmündige Bürgerinnen. Genau deshalb setzte sich de Gouges lautstark für das politische Mitspracherecht und die gesellschaftliche Gleichstellung ein. 1793 wurde sie für ihre politischen Aktivitäten hingerichtet. Gut 120 Jahre später kämpfte die militante Suffragettenbewegung ebenfalls für Gleichberechtigung. Und allem voran für das Frauenwahlrecht. Du musst mehr Lärm schlagen als jeder andere, appellierte 1913 Emmeline Pankhurst, Anführerin der britischen Suffragetten. Emily Pankhurst, Anführerin der britischen Suffragetten. Du musst aufdringlicher sein als alle anderen. Über dich muss mehr in allen Zeitungen stehen als über jeden anderen, wenn du wirklich eine Veränderung durchsetzen willst. Auch Johanna Donal wusste, aus taktischen Gründen leise zu treten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen. Als Staatssekretärin für Frauenangelegenheiten in den 1970er Jahren und 20 Jahre später als Österreichs erste Frauenministerin erreichte sie nachhaltige Verbesserungen von Frauenrechten. Darunter die Einführung der Fristenregelung sowie die längst überfällige Reform des Ehe- und Familienrechts. Stimme ist Macht. Aufmerksamkeit ist Macht. Raum ist Macht. Wer wird gehört, wer wird gesehen? Wer hat das Wort? Nicht umsonst wird vom Stimmrecht gesprochen, vom Mitspracherecht, von der Widerrede und von Wortführerinnen. Es geht um das Bestimmen, die Stimme abzugeben oder Einspruch zu erheben, sich Gehör zu verschaffen und etwas zu sagen zu haben. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass es genau darum geht. In patriarchalen Gesellschaftssystemen wird Frauen systematisch der Raum für die öffentliche Rede abgesprochen und darüber hinaus der Klang ihrer Stimmen diskreditiert. In der Literatur des 19. Jahrhunderts wurde die weibliche Stimme beispielsweise als Neseln, Wispern, Schnaufen und Wiehern beschrieben. Gemeint war damit jedoch nicht ihr Erklingen im trauten Heim. Der süße häusliche Gesang wurde durchaus verehrt. In der Öffentlichkeit hingegen sorgte die weibliche Stimme für Angst und Schrecken. Henry James schrieb 1880 gar von der schädlichen, ansteckenden und gesellschaftlich destruktiven Wirkung der weiblichen Stimme. Die Sprache, so befürchtete er, würde zu einem allgemeinen Gemurmel, wilden Durcheinander, unartikulierten Sabbern verkommen und demzufolge bald klingen wie das Mohn der Kühe, wie Eselsgebrüll und Hundegebell. Die damalige Herabwürdigung der weiblichen Stimme erinnert stark an die in der Antike verbreiteten abwertenden Haltung. Die öffentliche Rede galt für den antiken Jüngling als Ritual zur Mannwerdung, wenn nicht sogar als das Merkmal von Männlichkeit schlechthin. Die männliche Rede war als gute Rede angesehen, die weibliche hingegen wurde als kreischende, unfreie, barbarische Rede disqualifiziert. Mehr noch wurde einer Frau, die öffentlich sprach, jegliche Weiblichkeit aberkannt. Auch der Stimmklang polarisierte. Stand die tiefe Tonlage für männlichen Mut, galt die hohe als Zeichen für weibliche Feigheit. Die Kunst der Rhetorik ist eine Erfindung der Antike. Wenn ihr Fundament auf der Überzeugung beruht, Männer seien im Gegensatz zu Frauen für das Reden geboren, verwundert es nicht, dass Frauen heute noch viel Widerstand entgegenschlägt, wenn es darum geht, öffentlich zu sprechen. Diese jahrhundertealte Festschreibung wirkt nach. Sprechende Frauen werden anders wahrgenommen als sprechende Männer. Sie werden unverhältnismäßig kritisch beäugt, ihnen wird Arroganz, Härte sowie auch Unsicherheit und Unglaubwürdigkeit vorgeworfen. Sie sind entweder underdressed oder overdressed, zu gut oder zu schlecht vorbereitet, sprechen zu laut oder zu leise, zu emotional oder zu bedeutungslos. Bis heute löst eine Frau in der Öffentlichkeit immer wieder Gefühle von Unbehagen und Irritation aus. Kein Wunder, denn bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus bewegte sich die für damalige Begriffe anständige Frau ausschließlich in den eigenen vier Wänden. Der Begriff öffentliche Frau hingegen bezeichnete wortwörtlich eine Prostituierte. Sich öffentlich zu zeigen galt stets als unschicklich, unangemessen, gar unmoralisch. gar unmoralisch. Nichtsdestotrotz sind seit jeher hochgebildete, einflussreiche Rednerinnen den Weg an die Öffentlichkeit gegangen. Im ersten Jahrhundert vor Christus war Gaia Afrania in Rom als Gerichtsrednerin tätig. Valerius Maximus unterstellte ihr in seinem Text denkwürdige Taten und Worte, sie sei auf Prozesse ganz versessen, weil sie kein Schamgefühl kenne. Ihr öffentliches Auftreten im Gerichtssaal erschien ihm so unglaublich widernatürlich, dass er sie ein Monstrum nannte. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte der Kanon vor, Frauen wären für politische Partizipation biologisch unfähig, zu emotional, zu irrational. Ich will nicht, erklärte 1901 ein preußischer Minister zum damaligen Vereinsgesetz, dass die Frauen in politischen Versammlungen mitreden. dass die Frauen in politischen Versammlungen mitreden. Ich glaube, es sähe traurig aus um unseren preußischen Staat, wenn die leichte Erregsamkeit der Frauen gerade in öffentlichen Versammlungen das Volk bewegen sollte. Auch in Österreich wurde es Frauen bis 1911 gesetzlich nicht zugestanden, sich politisch zu organisieren. Erst 1918 schaffte die Einführung des Frauenwahlrechts das Beitrittsverbot von Frauen zu politischen Vereinen ab. Frauen erhielten erst ab diesem Zeitpunkt die gleiche Vereins- und Versammlungsfreiheit wie Männer. Bis heute scheinen sich Männer wie selbstverständlich im politischen Leben zu bewegen. Frauen hingegen nehmen sich selbst darin allzu oft als Fremdkörper wahr. Leider ist diese Ungleichheit in der allgemeinen Wahrnehmung nicht nur auf Jahrhunderte alte Stereotype zurückzuführen. Der Ausschluss von Frauen aus der Öffentlichkeit findet auch gegenwärtig immer wieder aufs Neue statt. Das Institut Media Affairs hat 2018 die mediale Sichtbarkeit von Frauen analysiert. Die Studie Frauen, Politik, Medien zeigt unter anderem, wie wenig Frauen auf der Bildfläche der österreichischen Massenmedien präsent sind. Ihnen wird insgesamt ein Drittel der Aufmerksamkeit zugestanden. Zwei Drittel werden von Männern besetzt. Deren Bilder und Texte dominieren, wenn es um Politik, Religion, Justiz, Medizin, Sport geht. Beim Thema Wirtschaft sind es gar 85%. Wenn es um Schönheit, Mode, Sex geht, sind hauptsächlich Frauen repräsentiert. Das Thema Pornografie wird bezeichnenderweise zu 100% mit Bildern von Frauen illustriert. Die Frage, ob und wie Frauen in der Öffentlichkeit präsent sein dürfen, ist allgegenwärtig. Einer aktuellen Studie zufolge sind Influencerinnen auf YouTube auch mit der Frage konfrontiert, worüber sie eigentlich sprechen dürfen. Denn für sie ist das Geldverdienen leichter, wenn sie sich auf das Feld Schönheit beschränken und eben nicht politisch werden. Eine YouTuberin sagt im Interview, eine starke persönliche Meinung reduziert deinen finanziellen Wert. Wenn sie diese Regel missachtet, erntet sie allenfalls Shitstorms und Hate Speech. Eine Gegenbewegung zu verkrusteten Rollenbildern wie diesen stellt hingegen die Tatsache dar, dass sich die Stimmen von Frauen in Mitteleuropa in den letzten 20 Jahren um durchschnittlich zwei bis drei Halbtöne gesenkt haben. Untersuchungen zufolge nehmen weder biologische noch hormonelle Faktoren Einfluss auf diese Veränderung. Forscherinnen und Forscher nennen die Emanzipation als einzig plausiblen Grund, da eine piepsige Stimme lange nicht mehr mit dem zeitgenössischen Frauenbild übereinstimmt. Es wurden sogar Stimmen in einzelnen Ländern untersucht. Die Stimmen von Norwegerinnen sind beispielsweise deutlich tiefer als die Stimmen von Italienerinnen, was sich auf die historisch viel weiter fortgeschrittene Emanzipation in skandinavischen Ländern zurückführen lässt. Emanzipation in skandinavischen Ländern zurückführen lässt. Ich rufe alle Frauen und Mädchen also auf. Erheben wir unsere Stimmen und erobern wir mit vereinten Kräften das Territorium des Sprechens zurück. Verteidigen wir unser Recht auf Präsenz. Machen wir uns breit. Brechen wir mit den überholten Strukturen der antiken Redekunst, die sich als rein männlich verstand. Finden wir unsere eigene lautstarke Sprache. Thank you.