Einen schönen guten Abend, geschätzte Damen und Herren hier im Kepler Salon und zu Hause, die Sie uns mit Livestream zusehen. Ich freue mich sehr, dass Sie dabei sind bei Heidens Montag. Heute mit einem ganz besonderen Gast und mit einem Thema, das gerade sozusagen in die Zeit passt. Gestern war Muttertag. Ich weiß nicht, wie Sie den verbracht haben. Schön oder besinnlich oder gar nicht, je nachdem. Man kann sich es ja Gott sei Dank aussuchen. Das Buch, um das es heute geht und die Autorin, die dieses Buch geschrieben hat, sind bei uns Man kann Müttern nicht trauen, ein Buch aus der Feder von Andrea Rödig. Herzlich willkommen, Andrea Rödig. Danke für die Einladung. Andrea Rödig ist Publizistin, Herausgeberin unter anderem des Wespennest, einer sehr anspruchsvollen Zeitschrift. Philosophin, vielfach tätig in unterschiedlichen Medien im deutschen Sprachraum, mit ihrer philosophischen Expertise sehr gefragt. Philosophie ist ja meistens eher abstrakt, versucht die Dinge auf einer abstrakten Ebene zu verstehen. Mit diesem Buch bist du sehr ins Konkrete gegangen. Du hast quasi deine eigene Mutter-Tochter-Geschichte niedergeschrieben mit diesem Buch. Wie groß ist der Sprung von der philosophischen Abstraktion zur persönlichen Geschichte? Schon, ja. Ich schreibe ja sonst eher Essays oder eben Reportagen, Essays. Und das war dann nochmal, man muss auch sagen, der Verlag hat mir auch mal noch eine Lektorin an die Hand gegeben und die hat halt alle meine essayistischen Ausflüge, also wenn ich Literatur zitiert habe oder besonders neunmal klug schreiben wollte, irgendwas erklären wollte, das eigentlich rausgestrichen, damit es wirklich rein bei einer Erzählung bleibt. Ich hoffe aber, und das tue ich ja auch sonst bei Texten, die ich für Zeitungen schreibe, unter anderem ja auch für die Welt der Frauen oder so, dass ich versuche, Philosophie eigentlich ins Leben mit hineinzunehmen. Und ich hoffe halt auch, in dem Buch merkt man ein Stück weit, dass viel Denken zumindest dabei ist oder das auch Grund gelegt hat, das Buch. Also es nicht nur eine reine Erzählung ist, sondern eine Erzählung auf der Grundlage von viel Denken auch. Dieses viele Denken im Buch bezieht sich ja darauf, das Buch endet ja damit, man erzählt, um fühlen zu können oder um das Fühlen zu lernen. Also mit einem intellektuellen Zugang ein ganz spezielles Gefühl oder das Nichtvorhandensein eines Gefühls auszuloten. Und das ist das Gefühl der Beziehung zur eigenen Mutter. Die Frage, liebt mich meine Mutter, werde ich von ihr geliebt? Ist das so richtig auf den Punkt gebracht? Das ist das. Ich erzähle die Geschichte einer sehr distanzierten Mutter und einer sehr distanzierten Mutter-Tochter-Beziehung. Und was mich daran beschäftigt hat, ist eben, dass ich manchmal gar nicht nachvollziehen kann, wenn andere von ihren Mutterbeziehungen sprechen, dass bei mir so eine Leere ist, auch bei meinem Bruder. Und das Buch ging dann, also es endet eben damit, warum erzählen wir, damit wir fühlen lernen. Es geht natürlich auch darum zu gucken, wo ist dieses Gefühl, also was fühle ich nicht? Also warum kann ich, oder was erkenne ich nicht? Also fühlen und erkennen haben ja auch viel miteinander zu tun. Und warum ist das für mich eigentlich eine Leerstelle? Oder warum ist das so schwach, was ich da eigentlich fühle? Und das Buch hat mir, glaube ich, geholfen, mehr zu fühlen auf jeden Fall oder auch mehr zu schauen, wo die Fühllosigkeit herkommt. Steckt dahinter so doch ein Muttertagsideal? Man müsste eigentlich der Mutter gegenüber starke Gefühle haben oder die Mutter müsste dem Kind gegenüber starke Gefühle haben? Ich glaube schon, ja. Ich kann es ja nicht wissen. Also ich glaube, es gibt einen großen Wunsch nach einer starken Mutter oder nach einer sehr liebevollen Mutterbindung, die es eben so nicht gegeben hat oder vielleicht in Teilen gegeben hat, aber nicht wirklich. Und das Eigenartige ist, wenn man das nicht hatte, denkt man immer, es gäbe da etwas, was man verpasst hat. Und ich kann es einfach nicht sagen. Also, weil das natürlich ist, und es ist vielleicht ein sehr kitschiger Wunsch, also der Wunsch, irgendwie deine absolut liebende also und auch eine Mutter zu haben, der man trauen kann in der Liebe oder in der Beziehung. Meiner konnte man eben nicht ganz trauen. Man kann ihr auch nicht, also man kann ihr nicht trauen, das ist schon, aber es ist so, es ist eben, also das wird man im Lesen dann auch sehen, also eine sehr ambivalente Geschichte einfach. Das Buch hat einen sehr kühnen Titel, Man kann Müttern nicht trauen. Das ist ja immerhin eine Behauptung und nicht nur eine Frage. Wie lässt sich diese Behauptung belegen? Ich zeige es in meinem Buch, glaube ich, und das ist halt natürlich so, diese Titel kommen ja nicht so zustande, dass ich das Buch geschrieben habe und gedacht habe, yes, das ist der Titel und jetzt schreibe ich das Buch, sondern mein Arbeitstitel hieß eigentlich Die fremde Frau und das war nur der erste Satz des Buches. Und der Verlag hat dann aber gesagt, Fremde Frau kann ja alles sein. Das könnte ein Krimi sein und so weiter und so fort. Es sagt uns nichts. Und die haben dann vorgeschlagen, eben den ersten Satz zum Titel des Buches zu machen. Da musste ich zweimal schlucken. Aber dann habe ich halt dem Verlag getraut, dass das schon auch stimmt und in einer gewissen Weise trifft es das, weil es geht sehr viel um Vertrauen oder eben kein Vertrauen haben. Von daher passt der Titel schon auch. Natürlich ist es so ein bisschen kolportagemäßig. Man kann keiner Mutter trauen, steht da ja fast drin. Das würde ich jetzt so nicht sagen, aber ich glaube, man kann manchen Müttern eben Mutter trauen, das steht ja fast drin. Das würde ich jetzt so nicht sagen. Aber ich glaube, man kann manchen Müttern eben nicht trauen oder auch den eigenen Gefühlen manchmal auch nicht. Es ist ein sehr persönliches Buch, auch ein autobiografisches Buch. Wie viel Fiktion ist bei diesem Buch dabei oder ist es tatsächlich eine sehr persönliche Offenlegung? Es ist wenig Fiktion eigentlich. Also es ist natürlich so, es gibt Phasen im Leben meiner Mutter, die ich nicht gut kenne oder auch eben von ihrer Herkunft, was ich nicht so genau weiß, sondern eben anhand von Fotos und von Dokumenten versucht habe zu rekonstruieren. Und da habe ich so ein bisschen versucht, eine Geschichte herzustellen, von der ich nicht weiß. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie mein Großvater meine Großmutter kennengelernt hat, aber ich habe Bilder davon und habe mir ausgedacht, wie war das wohl, der war halt irgendwie, der hat bei so einer Schinken, Schinken, wie heißt das da, also auf jeden Fall bei so einer Schinkenfabrik gearbeitet und dann habe ich mir halt vorgestellt, okay, der hat eben den Schinken geliefert in die Metzgerei, in der meine Großmutter stand und weil er ein gut aussehender Mann war und sie eine gut aussehende Frau, wird er wohl ein oder zwei Witzchen gemacht haben, so im rheinischen Dialekt und so werden sie sich kennengelernt haben, das weiß ich aber nicht. Also da sind so ein paar Fiktionen drin, aber letztlich es heißt autofiktional ja auch ganz gerne und nicht autobiografisch heutzutage, ist eher so ein Neusprech. auch ganz gerne und nicht autobiografisch heutzutage, es ist eher so ein Neusprech. Es ist schon sehr viel autobiografisch und ein bisschen eben natürlich auch Versuch dann zu rekonstruieren, wo ich es nicht genau wusste. Also ich würde vorschlagen, wir steigen jetzt in diese persönliche Geschichte ein. Wir haben vereinbart, dass du jetzt auch liest, dass man ein bisschen eine Vorstellung von der Geschichte bekommt. Sie können natürlich dann gerne wieder mitreden, Ihre Frage stellen. Und wenn zu Hause oder online Fragen auftauchen, dann bitte einfach in den Chat schreiben. Die können wir dann auch gerne mit hineinnehmen. Wir gehen jetzt zurück in dein, wahrscheinlich vor deinem Geburtsjahr noch, in die späten 1950er Jahre nach Düsseldorf. Genau. Wir fangen aber erstmal an, da bin ich schon geboren. Das fängt so an und erklärt vielleicht auch ein bisschen den Titel. Er fängt, wie gesagt, der Titel ist ja der erste Satz des Buches. Das erste Kapitel heißt Fips. Man kann Müttern nicht trauen. Wir sind in einem Schwimmbad. Die Sonne scheint grell durch die hohen Fenster und alles ist blau. Das Wasser, die Kacheln. Bläulich schimmert der Boden des Beckens. Und hellblau ist das Plastiktierchen, das sich schwimmend vor mir herschiebe. Drei Wochen lang verbringen wir den Urlaub in diesem luxuriösen Hotel in Fischen im Allgäu und heute haben wir das Schwimmbad ganz für uns allein. An den Rändern des Beckens gurgeln Tennisballgroße Abflüsse ohne Fangsieb. Ein bisschen bin ich besorgt, dass Fips, mein kleiner Drache, angesogen werden und hineingeraten könnte. Ich habe so ein Ding mit kleinen Tierchen, eine Faszination für sie und muss jedoch gleichzeitig immer der Gefahr aussetzen. Ich muss sie operieren oder auf einem Holzstück gebunden im Rhein auf Fahrt schicken oder sie als Köder an Angeln hängen. Ich liebe meine Tierchen und dieses hier, der kleine Drache Fips, ist ein verzauberter Gott, um den sich viele Geschichten ranken. Meine Mutter, Lilo, schwebt mir auf ihrer Bahn entgegen. Sie hat eine dieser altmodischen Schwimmkappen auf, spitz läuft die nach oben hin zu und ist mit Blätterimitaten aus Gummi verziert, die Artischocken gleich wie Schuppen übereinander liegen. Lilo hält den Kopf steif emporgestreckt, damit die Haare nicht nass werden. Sie ist keine gute, keine sportliche Schwimmerin. Ins Wasser geht sie für gewöhnlich nur, um sich abzukühlen. Jetzt ist sie auf meiner Höhe angelangt, den Blick immer noch fest gerade ausgerichtet, fasst sie ohne hinzuschauen plötzlich rasch zur Seite, greift nach Fips, das Wasser vor mir strudelt auf und steuert dann auf einen der Abflüsse zu. Es geht blitzschnell. Ich schreie, schwimme hinterher. Sie soll mir Fips wiedergeben. Sie stopft seelenruhig ihre Finger in den Abfluss. Das kann nicht sein. Das kann sie nicht tun. Sie macht nur Spaß. Sie zieht die Finger wieder heraus. Ich erwarte meinen Fips bitte, aber sie zeigt mir eine leere Handfläche. Ich hatte ihn gar nicht, hab nur so getan, sagt sie. Vielleicht ist sie selbst betroffen über das Ausmaß des Unglücks, das dann folgt. Er nicht. Wie kann ein Kind so dumm sein? Lange suche ich das ganze Becken ab, aber ich finde Fips in all dem Blau nicht mehr. Diese Fips-Episode ist typisch. Meine Mutter führt mich auf die falsche Fährte. Sie tut, als täte sie etwas, aber eigentlich trifft sie keine Schuld. Doppelspiel. Ihre Hand ist leer und ich habe etwas verloren. Was bedeutet meine Grausamkeit den Tierchen gegenüber und ihre uns, ihren Tierchen gegenüber? Denn ja, vielleicht waren wir, mein Bruder und ich, ihre Tierchen, vor denen sie sich immer auch ein bisschen fürchtete. Ich erzähle dann ziemlich viel von der Kriegskindheit meiner Mutter. Meine Mutter ist 1938 in Düsseldorf geboren. Ihr Vater, also mein Großvater, ist im Krieg geblieben, also ist im Russland-Weltzug verschollen. Das heißt, sie hat mit vier Jahren das letzte Mal ihren Vater gesehen. Sie wächst mit meiner Großmutter alleine auf und sie wird von meiner Großmutter sehr sadistisch geschlagen, kann man sagen, und hatte also eine nicht besonders schöne Kriegskindheit in Düsseldorf, gehört auch nicht zu den glücklichen Kindern, die verschickt werden, sondern sie bleibt halt in Düsseldorf, bekommt also auch Luftschutzkellerabende mit und auch traumatische Erlebnisse einfach, die sie uns zum Teil erzählt hat dann hinterher. Das heißt, ich schaue zurück darauf, was hat sie eigentlich geprägt und es ist schon eine ziemlich harte Kriegskindheit auch. Und dann aber gibt es dann eben nach dem Krieg auch sowas wie ein Wirtschaftswunder. Das Kapitel heißt, sie war die Schönste. Ich habe ein Tagebuch meiner Mutter. Es ist ein aufwendig in Pergament gebundenes quadratisches Heft, vermutlich als Poesiealbum gedacht, auf dessen Vorderseite ein Postillon auf einer Pferdekutsche sein Horn bläst. Das Tagebuch ist zum Teil in Geheimschrift verfasst. Weil der einzelne Buchstaben durch Zahlen ersetzt sind. Das macht es anstrengend zu lesen. Nichts in diesem Buch deutet darauf hin, was später mit meiner Mutter geschehen wird und nichts darauf, was vorher war, das Kindheitstrauma des Geschlagenwerdens, des ausbleibenden Vaters, der elenden Kriegs- und Nachkriegszeit. Es herrscht Wirtschaftswunder jetzt und Lieselotte Adler, Lotti, wird sie gerufen, meine junge noch nicht Mutter ist in Ausbildung als Modefachverkäuferin beim angesehenen Bekleidungshaus Raves auf der Düsseldorfer Königsallee. Erste Adresse. Lilo besucht noch die Berufsschule und lernt in den verschiedenen Abteilungen des Modehauses alles über Stoffe, Schnitte, Muster, Formen, Kleidungsstile und Trends. Die Kundschaft ist exklusiv, Raves fertigt vorzugsweise Einzelstücke an und als sie weiter kommt in ihrer Ausbildung, nicht mehr Lehrling ist, sondern schon Volontärin, darf Lilo auch Kollektionen vorführen. Die war ja ein Mannequin, wird eine der Schwestern meines Vaters später sagen. Das Tagebuch beginnt im sehr verregneten Sommer 1956. Lilo, 17 Jahre alt, hat drei Wochen frei, bleibt in der Stadt und ist unsterblich in Dieter verliebt. D-O-T-E-3 im Tagebuch. Ich weiß gar nicht, ob ich Dieter liebe. Alles ist so unglaublich normal. Lilo geht ins Kino, Lügen haben hübsche Beine, die Kirschen im Nachbarsgarten, die tätowierte Rose. Sie flaniert mit den Freundinnen Christa und Gerda über die Kö. Sie singt im Kirchenchor, gemeinsam mit Mami, die auch Solo-Parts übernimmt. Sie raucht ihre erste Zigarette am 1. Juli 1956, was ihr gar nicht schmeckt. Sie macht Ausflüge mit Tanti und Onkel Johnny ins Neandertal, Sie raucht ihre erste Zigarette am 1. Juli 1956, was ihr gar nicht schmeckt. Sie macht Ausflüge mit Tanti und Onkel Johnny ins Neandertal, nach Koblenz. Man geht ins Restaurant, geht Kaffee trinken, manchmal in die Düsseldorfer Rheinterrassen. Es war ganz prima, es war sehr nett, kommentiert sie und ist so unglücklich. Ich mag diese Stimmung, in der sie da ist, dieses Sehnen. Denn Dieter, ein Arbeitskollege aus der Herrenabteilung, der eine winzige Lampretta besitzt, immer werden die Jungs in einem Atemzug mit ihren Fahrzeugen vorgestellt, ist unerreichbar. Und meine Mutter sitzt da in diesem nicht enden wollenden Regen. Es gibt nichts Furchtbareres als Langeweile, schreibt sie, man kann richtig gemütskrank werden. Wenn ich doch nur nicht so einsam wäre, lieber Gott, lass mich bitte auch mal jemand lieben. Mein Herz ist so voll Sehnsucht, aber immer nur Regen. 19. Juli 1956. Verliebtheit macht so einsam. Lilo wohnt noch zu Hause bei ihrer Mutter in der kleinen Wohnung in der Brunnenstraße. Sie versucht, sich tagsüber mit Lesen, Spazieren, Aufräumen zu beschäftigen und nicht so oft an Dieter zu denken. Abends kommt Gertrud von der Arbeit, die jetzt stolz auf ihre Tochter ist. Das Schmuckstück, aber aufpassen muss man auf sie. Hin und wieder gibt es Streit, vor allem um Ausgang, bis 22 Uhr höchstens und keine Minute länger. Gertrud ist neugierig, deshalb ist Lilos Tagebuch in Geheimschrift verfasst. Mutter und Tochter gehen gemeinsam zu den wöchentlichen Proben des Kirchenchors, Lilo sind in der jungen Gruppe beim Sopran und sonntags bei der Messe. Als sie Dieter im Herbst wieder sieht, muss Lilo sich an einer Tischkante festhalten. So schwindelig war es mir plötzlich. Sie ist hin- und her gerissen zwischen grenzenlosem Vertrauen und Verzweiflung. Sie weiß ja aus den Romanen, die sie liest, dass die wahre Liebe Zeit braucht, aber Dieter ist wirklich sehr zurückhaltend und außerdem hat Christa ein Auge auf ihn geworfen. D-O-T-E-3, ach, es hat keinen Zweck weiterzuschreiben. An ihrem 18. Geburtstag wünscht sich Lilo nur eins, natürlich in Geheimschrift, lieber Gott, G6TT, bring mir in diesem Lebensjahr die Liebe des einen Menschen, den ich so innig und tief liebe. Amen. Etwas mehr als ein Jahr später ist Lilos Handschrift lockerer geworden, der Geheimcode aufgegeben, es gibt lange Lücken in den Aufzeichnungen. Sie hat mehrere Bekanntschaften gemacht, Klaffe, Eckhardt und Kalle. Sie gehen gern aus, ins Espresso, die Toni-Bar, das Labohem, das Kabelgat. Heute war Bäckerball, Christa und ich hatten wirklich ein entzückendes Kostüm. Wir gingen als Blumenmädchen, darunter eine winzige Modezeichnung, zwei Damen im Petticoat mit Wespentalie, hatten viele Chancen. Meine Mutter lernt dann einen jungen Mann kennen. Und das ist Manfred Irmer. Der fährt einen viertürigen, hellblauen Kapitän. Das erfahren wir und dann von ihm bekommt sie ihren ersten Kuss. Aber Manfred Irmer wird noch lange nicht mein Vater werden. Raupe Schmetterling. Die trübe Kriegskindheit und dieses jugendliche Aufblühen Irma wird noch lange nicht mein Vater werden. Raupe Schmetterling. Die trübe Kriegskindheit und dieses jugendliche Aufblühen sind kaum zusammenzubringen. Lilo hatte ihr Terrain gefunden und wurde zu einer sehr schönen, extravaganten Frau. Sehr schön und sehr eitel. Stoffe spielten eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Das trockene Gewebe überm nackten Fleisch? Es ist die Petticoat-Zeit. Lilo trägt manchmal drei übereinander auf ihrer perfekten Taille, die meine etwas molligen Tanten väterlicherseits später auf die Palme gebracht haben muss. Gepflegt war sie Zeitlebens. Eine Dame, eine junge Dame, dazwischen etwas weniger Dame, dann eine ältere Dame. Im Tagebuch erwähnt sie Friseurbesuche, die Blusen, die Schuhe, die sie kauft, das Cocktailkleid, das sie zu Weihnachten bekommt. Ich hatte mein blaues, ausgeschnittenes Kleid an und fühlte mich richtig in meinem Element. Wichtig ist, wie die Männer aussehen. Groß ist gut und dass sie modern sind. Was wäre aus Lilo geworden, wenn Dieter die tief empfundene Liebe Ja gesagt hätte, frage ich mich, und was, wenn sie mehr Bildungschancen gehabt hätte, wie das heute heißt, bessere Schulen, die Möglichkeit zu studieren, Modedesign etwa. Ich würde sie mir gerne intellektueller vorstellen, aber ein Kopfmensch war sie nicht, ein Herzmensch allerdings auch nicht. Ich habe mich mit einem ganz modernen verabredet, gehe aber nicht hin. Bei vielen Schauspielerinnen dieser Zeit, bei einer bestimmten Typ, ab harter, aber unnahbarer und komplizierter Weiblichkeit, denke ich an meine Mutter. Bei Romy Schneider wegen der Sissy-Unschuld und des Unglücks. Bei Catherine Deneuve wegen der kühlen Eleganz, wegen dieses Mundes. Bei Jean Moreau immer, wirklich, meine Mutter. Sie war die Schönste. Eine Prise Doris Day blieb stets dabei, proper, sauber, lustig, keusch. Nichts an Dilo war offen zur Schau getragener Sexappeal. Nichts erinnerte an Brigitte Bardot. Eigenartig. All diese Schauspielerinnen hatten Kinder. Nichts erinnerte an Brigitte Bardot. Eigenartig. All diese Schauspielerinnen hatten Kinder. Es wirkt nicht so. Ich erzähle dann, wie meine Mutter meinen Vater kennenlernt. Mein Vater war für sie ein sozialer Aufstieg, weil der war Sohn einer gut gehenden Metzger-Dynastie, nenne ich das, also einer Düsseldorfer Metzgerfamilie. Und es gab drei große Metzgereien in Düsseldorf und eine war eben die Metzgerei Erkelenz-Rödig. Und mein Vater würde dieses Geschäft erben. Das heißt, er war eine gute Partie. Und meine Mutter wollte eigentlich nie in einer Metzgerei arbeiten, aber vermutlich aus Liebe hat sie das dann getan, hat also meinen Vater geheiratet. Und die ersten Jahre waren, glaube ich, auch recht glücklich von den beiden. Es gab einen gewissen Vorbehalt der Rödig-Familie gegenüber meiner Mutter, weil sie eben aus der Modebranche kam, das heißt eher so wie ein leichtes Mädchen gesehen wurde im sehr katholischen Stadtteil Bilk in Düsseldorf. Hat man das nicht so gern gesehen, dass da einer aus der Modebranche kam. Und es gibt ein sehr wohlhabendes Leben. Also mein Vater schafft sich einen Porsche an und man muss sagen, mein Vater ist ein Halodri. Das heißt, er gibt das Geld auch ziemlich gerne aus. Und meine Mutter steht vorne im Laden als Chefin. Sie bekommt zwei Kinder, mich und meinen Bruder. Und wie das in diesen Metzgerfamilien so ist oder bei den Selbstständigen, also wir haben Kindermädchen, aber eigentlich bleibt meine Mutter immer weiter im Geschäft vorne stehen. Und nach so ein paar Jahren wird es dann, irgendetwas bricht auf und es ist nicht so ganz klar, warum die eigentlich nicht so glücklich sind, wie sie sein könnten. Eigentlich gibt es Wohlstand, es geht ihnen gut, aber es gibt irgendeinen Druck, der sich da breitmacht. Und ich steige jetzt so ein bisschen weiter in der Mitte ein, wo es schon nicht mehr ganz so glücklich und wohlhabend, wohlhabend noch, aber nicht mehr ganz so glücklich geht. Das Kapitel heißt Frontstage, Backstage. Vor nicht allzu langer Zeit haben mein Bruder und ich Sonnenkind, Schattenkind gespielt. Es war bei einem Treffen im Salzburg. Wir saßen in aufgekratzt heiterer Stimmung in einem gutbürgerlichen Restaurant, tranken Bier und malten nach der Vorlage des Bestsellers »Das Kind in dir muss Heimat finden« unsere inneren Sonnen- und Schattenkinder, wobei man auch Charakteristika der Eltern benennt. Die gute Mutter, so notierte ich, war lustig, machte Spaß, war tröstend, schön und geschmackvoll. Die Adjektive, die Christoph wählte, lauteten lustig, schön, kreativ, tröstend. Lustig, schön und tröstend, das ist die Schnittmenge. Denn lustig und tröstend war Lilo auch. Sie machte gern Witze, ulkte herum, wie eine Komikerin verzog sie das Gesicht, schielte, bis wir kreischten vor Vergnügen und wenn wir gar nicht mehr aufhören konnten mit dem Lachen, sagte sie mit so nohrballender Stimme, jetzt aber Schluss, Respekt, ich bin doch eure Hotter. Das eigenartigerweise für mich intimste Gefühl der Nähe ist das, kann es wahr sein, dass sie meinen Kopf sanft an ihren Bauch drückt, an einen Bauch im weißen, frischen Kittel. Vermutlich hat sie uns in den Arm genommen und sie hat uns geschützt. Sie hatte, als ich in der Grundschulzeit einmal die Hausaufgaben nicht machen konnte, wie ein Wunder war, dass fein säuberlich alle Lösungen der Rechenaufgaben auf meine Schiefertafel geschrieben. Sie lud an einem Sonntag, als ich schwer unter dem Armen dir, so nannten wir die deprimierte Stimmung, litt meinen Freund Maxi ein. Sie konnte wie aus dem Nichts irgendetwas Schönes zaubern und sie verstand unsere Traurigkeit. Diese Momente des Trostes oder der Lustigkeit dauerten allerdings nie lange. Ein kurzer Moment musste reichen, dann hieß es Zähne zusammenbeißen, weiter im Geschäft. Viel Zeit hatte sie nie. Ein Adjektiv, das mein Bruder bei unserem Spiel für die Schattenseite Lilos aufschrieb, lautete unberechenbar. Lilo stand vorne im Laden im weißen Kittel, war sie die perfekte Frau und sorgte für gute Stimmung, während man auf Hundschaft wartete. Sie, die Chefin, scherzte auch mit Monika, der Verkäuferin. Sie bestellte per Lieferung jede Menge Waren, eine Lockenschere zum Beispiel, die sie wirklich benutzte, eine Höhensonne, vor die sie sich abends setzte, um braun zu werden und die diese eigenartig verbrannt süßlichen Geruch auf der Haut hinterließ. Gegenüber lag die Bäckerei Ohlenforst, die man durch das Schaufenster hindurch beobachten konnte und wir lachten, wenn meine Mutter in einer eigens erfundenen Melodie vor sich hingsah, grüßt sie doch Frau Ohlenforst, Dudli, Dudli, Dudli, Dum. Lilo gab auch komische Geschichten über die Kundinnen zum Besten. Etwa über die kleine, geistig etwas zurückgebliebene Frau, die er erzählt hatte, dass sie im Bett mit ihrer Kamelia binden kuschelte. Oder sie schickte uns manchmal mit hinterhältigen Aufträgen aus. Einmal gab Lilo mir ein Taschentuch, in dem Niespulver versteckt war. Ich sollte in die Wurstküche nach hinten laufen und den Papi daran riechen lassen. Wir ärgern ihn ein bisschen. Anstatt seine Nase hineinzustecken, blies er kräftig ins Tuch und mir das Niespulver in die Augen. Wer sich mit Mami verbündet, wird nicht gewinnen, war die Lektion. Wir liefen durch den Laden, natürlich, wenn wir mit dem Kindermädchen vom Spielplatz oder später allein aus der Schule kamen. Man wusste immer, wo die Mutter ist. Aber im Grunde störten wir dort. Sie hatte nur kurz Zeit, sie wandte sich uns mit ein oder zwei Sätzen zu und schaltete dann augenblicklich wieder in den anderen Modus um. Lächeln, Auftritt, der Kunde kommt. Dieser Zusammenhang zwischen Bühne und Verkauf, sich zurecht machen, sich schminken, die Kundschaft ist Publikum. Das lange Warten in den Pausen, bis die Szene beginnt. Dass Lilo sich Waren ins Haus bestellte, hatte nicht nur unterhaltsamen Charakter, sondern einen ernsten Hintergrund. Sie traute sich nicht hinaus. Hinter der Theke war sie sicher, ich denke, die Frau ohne Unterleib. Aber bei allem, was außerhalb lag, entwickelte sie zunehmend eine Platzangst, wie sie das nannte. Der Schweiß brach ihr aus, ihr wurde schwindelig, sie geriet in unerklärliche Panik. Zeitweise war es so schlimm, dass sie nicht einmal mehr nach drüben gehen konnte, zu Frau Ohlenforst auf die andere Straßenseite oder zur Modeboutique, die gleich daneben lag. Sie schickte uns oder Monika. Sie ließ sich Kleiderkollektionen zur Ansicht liefern. Mami war die Beste, die Schönste, aber sie war kompliziert. Sie ging nicht zu den Elternabenden in der Schule. Sie drückte sich vor Gesellschaft, vor Zusammenkünften. Sie brauchte ihre Ruhe. Sie sah ja genug Menschen tagsüber im Laden. Sie freute sich auf die Erholung im Urlaub, drei Wochen im Sommer, aber sie hatte regelmäßig am ersten Tag das arme Dir, weil alles fremd war und am letzten, weil man wieder abfuhr. Sie verkrampfte in Sesselliften, klammerte sich fest an den Schließbügel, weil sie nicht wusste, ob sie ihn vielleicht aufmachen und hinunterspringen würde. Ich saß neben ihr und verstand nicht, was das war. Sie hätte Hilfe gebraucht. Wer tröstete sie? Dr. Pudenz vielleicht, so hieß er doch, oder? Ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen, stelle ihn mir vor als einen älteren, weißhaarigen Herrn mit Praxis in der Friedenstraße. Zudem musste sie nicht mehr persönlich gehen, die Rezepte kamen ins Haus. Kaptagon, Optalidon und Strafmittel. Mothers, little helpers. Ihre Kompliziertheit war wie ein Korridor, die Verbindung zwischen zwei Leben, denn es gab zwei Mamis, eine vorne im Laden, die beherrschte Göttin in weiß, und die andere im Wohnzimmer auf der Couch, die wochentags nach Feierabend ein bisschen und nach Ladenschluss am Samstag heftiger zu trinken begannen. Bier und Dornkart. Wir waren der Lieferservice. Geht zum Bütchen, hieß es, und wir holten dort eine Flasche Dornkart für die Eltern, zwei Salino und zwei Superbum für uns. Die dickwandigen Gläser auf den marmonen Wohnzimmertisch klongen, macht das beim Absetzen, oben rund und nach unten hin zu vier Seiten abgeflacht, das große fürs Bier, das kleine für den Dornkart. Beide Eltern rauchten Rothändler, sie mit Filter, er ohne, und beide tranken, aber auf verschiedene Weise. Lilo merkte man es deutlicher an. Wenn Samstagabend die Hitparade mit Dieter Thomas Heck anfing, war sie schon beschwipst und tanzte vor dem Fernseher zur Musik. Ihre Stimme wurde schleppend, der Blick verschleiert, unklar, ihr Kopf hing lose nach vorn. Mami ist komisch, so nannten wir das. Es war mir peinlich, wenn Freundinnen kamen und sie in diesem Zustand sahen. Besser niemanden einladen. Eigentlich begannen diese Samstagabende fröhlich und ausgelassen. Wir spielten Fesseln und Befreien mit meinem Vater. Alle Bademantelgürtel mussten dran glauben. Wir spielten Beherrschung, wobei er uns unter den Füßen kitzelte und wir nicht lachen durften. Auch sich gegenseitig kraulen gehörte zum Ritual. Der Papi konnte das gut, den Rücken, die Arme, so zart. Und Christoph war immer für Lilo zuständig. Noch ein bisschen bettelte sie. Wir tobten, wir lachten, endlich hatten die Eltern Zeit. Wir holten Abendessen von draußen, gebratene Hähnchen beim Wiener Wald und Lömpias beim Chinesen. Mein Vater schmierte brennend scharfen Zambal-Ulek auf die knusprigen Ecken, die wir eigentlich so gern gegessen hätten. Am späten Abend wurde es schlimm. Wenn wir im Bett waren, begann der Streit. Sie schrien sich an, im Wohnzimmer, dem Höllenraum. Einmal waren sonntags die Wände schwärzlich beschmiert, weil Lilo unseren Vater, der sich hinter der Tür des Fernsehschrankes verschanzte, mit Blumenmeerde beschmissen hatte. Der große Kübel der Topfpflanzen bot viel Nachschub. über ihn lustig. Sie verachtete Feigheit. Wenn es ganz heftig kam, weckte sie uns, holte uns aus den Betten, setzte uns nebeneinander auf das braune Sofa in die weichen Kissen, die an den Rändern mit einer gedrehten Kordel umspannt waren, und es begann ein endloses, zähes Ringen. Wir lassen uns scheiden, zu wem geht ihr, zu mir oder zum Papi. Das war kein Spiel. Das war blutiger Ernst, jedes Mal. Und wir durften nicht zurück ins Bett, bevor nicht eine Lösung auf dem Tisch wäre. Wir weinten. Wir wollen euch beide. Mami nicht verlieren, Papi nicht verlieren. Es ging ewig und ewig. Und Lilo hielt uns in ihrer Geiselhaft, bis mein Vater dramatisch stöhnte, sagt, dass ihr zu ihr geht, dann gibt sie Ruhe. Er verließ die Wohnung, knallte die Tür. Er konnte immer gehen. Es wird jetzt schlimmer mit der Familiensituation. Und dann gibt es halt einen Konkurs. Da lese ich noch ein bisschen dazu. Der schönste Familienurlaub, der schönste Familienurlaub, an den ich mich erinnere, war 1973. Wir waren für drei Wochen nach Mallorca geflogen, in ein kleines Ferienhaus in einer Bucht. Während der ersten Tage hatte Lilo wieder das arme Tier und ich weiß gar nicht, womit sie die Zeit verbrachte. Ich jedenfalls kletterte in den Felsen am Meer herum, fuhr mit meinem Vater auf einer gemieteten Vespa durchs Land. Wir liehen auch eine kleine Motorjacht aus. Ich durfte lenken und stand im Fahrtwind, frei, unbeschwert. Ich war zehn Jahre alt. Als wir von diesem Urlaub zurückkehrten, nach Düsseldorf, verkündete mein Vater trocken, wir machen den Laden nicht mehr auf. Wir waren bankrott. Schon lange im Vorfeld war viel Geld geflossen. Schulden, vor allem bei dem Schlachthof, hatte mein Großvater beglichen. Etwas von 300.000 Mark schnappte ich auf, die er nach und nach in den nicht mehr gut laufenden Laden gesteckt habe. Und jetzt weigerte er sich, weiter für seinen Sohn zu zahlen. Nach diesem Urlaub, den der Schlitz-Uhrich noch über Kredit auf den guten Namen Rödig finanziert hatte, leistete mein Vater den Offenbarungseid. Nichts von dem Niedergang hatten wir als Kinder mitbekommen, und ich glaube, auch Lilo ahnte nicht, wie schlimm es wirklich stand. Überraschend und doch nicht völlig unerwartet kam also jetzt der radikale Schnitt, so wie mein Vater es liebte. Eine kleine Schonfrist der Zärtlichkeit, einmal noch liebevoll am wackelnden Milchzahn gefühlt und dann zack, ihn herausgerissen. Einmal noch dem überzähligen Kaninchenbaby sanft mit dem Daumen über den Nacken gefahren und dann zack, das Genick gebrochen. Einmal noch richtig fett auf Kosten der künftigen Gläubiger in den Urlaub fahren und dann, zack, beginnt ein völlig anderes Leben. Es gibt in meiner Kiste mit Tagebüchern, sie ist riesig und randvoll, einen braunen Umschlag, auf dem steht Krise 74 und der Schlüssel zum Code einer Geheimschrift, die ich zum Teil verwendete. Ich zögere, das Kuvert zu öffnen, denn was ich darin finden werde, ist giftig. Die Krise 74, die Mendelssohnstraßenzeit, ist das schwarze Loch in mir, das ich herumtrage seitdem. Sie ist das, was mir die Mami herausreißen wird aus dem Herzen oder so tief in es hineinstoßen, dass sie nur noch fühlbar wird als Stein, als etwas Unentwirrbar, Dichtes, Schweres, das sie nabzieht und am Fliegen hindert. In dem Tagebuchumschlag finde ich kleine, beschriebene Ringbuchblätter, Notizzettel und einzelne A4-Seiten, auf denen ich mit großem Druck fest eingepressten Buchstaben steht. Rache. Why? Aha. Wenn ich davon erzähle, sage ich nie, mein Vater hat Konkurs gemacht oder meine Eltern haben Konkurs gemacht, sondern wir haben Konkurs gemacht. Wir Kinder waren mit dabei, auch wir trugen Schuld, denn die ganze Familie hatte ja über ihre Verhältnisse gelebt. Wir hatten profitiert vom schönen Leben und mussten jetzt die Folgen tragen. Es war meine tiefe Überzeugung, dass wir jetzt die Rechnung bekommen und bestraft werden würden für zu viel Überschwang. Während die Familie langsam zerfiel, wie ein bröseliger Kuchen, und mein Vater sich nach und nach aus ihr verabschiedete, wurde dieses Wir von Lilo großgeschrieben. Wir müssen zusammenhalten, wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten, aus der Misere wieder herauszukommen. Ich weiß jetzt nicht, wie lange ich noch lesen soll. Vielleicht noch ein kurzes Stück. Diese Krisenzeit ist ziemlich heftig. Meine Eltern werden beide arbeitslos und wir sandeln sozusagen ziemlich ab. Und dann, es dauert ungefähr, also diese Zeit in der Mendelssohnstraße, also wir sind umgezogen von unserem alten Haus eben in diese neue Wohnung. Das dauert ungefähr zwei Jahre, in denen eigentlich nichts mehr gut ist. Die Eltern, also mein Vater trinkt, meine Mutter nimmt Tabletten und eigentlich sind sie fast die ganze Zeit arbeitslos. Wir haben kein Geld und müssen irgendwie gucken, dass wir uns alles Mögliche zusammenschnorren. Und dann gibt es halt den großen Knall zum Schluss. Das ist zumindest das, was dann eine Wende bringt. Im Februar 1975 kam die mehrmals angekündigte Zwangsräumung wegen Mietrückstands. Der Brief lag in der Wohnung. Ich hatte ihn gelesen. Ich hatte die kleine Kassandra es allen gesagt, die kommen. Aber ich war die Einzige, die an den Inhalt des Schreibens glaubte. In der Nacht hatte ich mein Zimmer aufgeräumt, eine kleine Tasche mit den Sachen gepackt, die mir am wichtigsten waren. Als die Spedition König am nächsten Morgen klingelte, schliefen die anderen noch. Ich drückte den Türöffner, verließ die Wohnung und fuhr zur Schule. Von Straßenbahnfenster aus sah ich im Vorbeifahren, wie die Möbelpacker das braune Sofa zum Umzugswagen trugen. Ich machte mich fürs Erste aus dem Staub. Als ich aus der Schule zurückkehrte, war die Wohnung verschlossen und ich fand Lilo zusammen mit Christoph und meiner Großmutter, die in Notsituationen einspringen musste, in einem Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite, beratschlagend, was nun zu tun sei. Oma im schwarzen Persiana. Es blieb nichts anderes übrig, als für die Nacht ein Hotel zu suchen, das sie bezahlen musste. Oma litt und jammerte immer. Ich bin doch keine melkende Kuh, wenn wieder Geld von ihr erbettelt wurde. Du kriegst alles zurück, wird Lilo ihr gesagt haben, wie immer. Überall waren Rechnungen offen. Beim Wirtshaus, im Kiosk, beim Supermarkt, natürlich bei meinen Großeltern, bei Bekannten, den Eltern meiner Freundinnen. Man darf sich nicht mal mehr auf die Straße trauen, schon schreien sie einen an, hatte ich ins Tagebuch geschrieben. Einige Jahre später noch, als ich unsere alte Drogerie auf der Loreto-Straße betrat, um etwas zu kaufen, erwähnte die freundliche, weißhaarige Frau Zimmer, die ich als Kind immer so gemocht hatte, es sei davon früher noch ein Betrag offen. Ich konnte die Schuld nicht begleichen. Heiß beschämt verließ ich den Laden. Eine Woche lang zogen wir, Lilo, Christoph und ich, mein Vater war nur partiell anwesend, von einem Hotel zum nächsten. Denn natürlich konnten wir nicht bezahlen, prellten die Zeche, wählten, wenn möglich, ebenerdige Zimmer, um am nächsten Morgen aus dem Fenster aussteigen zu können. Wir schlichen uns weg und suchten die nächste Unterkunft. Die Schule, in der meine Leistungen ziemlich nachgelassen hatten, und die Pfadfindergruppe mit ihren wöchentlichen Treffen im St. Martin-Jugendheim in Bilk, meinem alten Stadtteil, waren die einzigen klaren Bezugspunkte in dieser Zeit die Möglichkeit eines Außen. In meiner Klasse erzählte ich das Märchen, wir hätten bereits eine neue Wohnung, weil aber die alten Mieter dort noch nicht ausgezogen seien, müssten wir vorübergehend im Hotel leben. Dummerweise nannte ich die Namen der Unterkünfte. Und warum seid ihr jeden Tag in einem anderen? Frage der Mitschülerin. Red dich raus, halt dicht, erzähl niemandem, wie es zu Hause aussieht. Das ist eine Familienangelegenheit, geht keinen was an. Ich durfte nichts sagen, die ganze lange Mendels- und Straßenzeit über nicht. Nur einmal hatte ich meiner Freundin Simone alles, alles erzählt, weil es raus musste. Von Zwölfjähriger zu Zwölfjähriger. Simone machte nur große Augen und war komplett überfordert. Aber jetzt ist sie mein Anker, das Schlupfloch und die Lücke, in die ich das Dynamit legen kann. Donnerstags ist bei den Pfadfinderinnen Gruppenabend. Hier wird geredet, gebastelt und gemeinsam gespielt, 90 Minuten lang. Lorenzia, liebe Lorenzia, mein, ist das Abschlussritual. Da stehen alle im Kreis, fassen sich an den Händen, singen und gehen, immer wenn im Text das Wort Lorenzia oder ein Wochentag vorkommt, in die Knie. Ach, wenn es doch endlich Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag wäre und ich bei meiner Laurentia wäre. Wir sind als Familie bereits eine Woche lang durch die Hotels gezogen und jetzt, am Ende des Abends, nach dem Laurentia singen, als alle auseinander gehen, gebe ich mir diesen grausamen Ruck und rufe Simone, die eigentlich sinnlose Nachricht zu, heute Nacht sind wir im Fährhof. Ich rufe es laut, so laut, dass die Gruppenleiterin, die wir Pinky nennen und die ich sehr mag, es hören muss. Meine Rechnung geht auf. Pinky fragt nach, was da los ist und begleitet mich zum Hotel Fährhof. Sie findet meine Eltern, aggressiv, betrunken, abwehrend. Christoph tanzt wie ein kleiner Clown durchs Zimmer. Pinky setzt alle Hebel in Bewegung, der Stadtteil Bilk ist überschaubar, jeder kennt jeden, um über die Pfarre Druck auf meinen Großvater auszuüben, ihm einzuheizen, was ihm einfalle, als guter Christenmensch die Familie seines Sohnes in die Obdachlosigkeit zu schicken, während er selbst drei Häuser besitze und allein mit seiner Frau auf mehr als 300 Quadratmetern lebe. Ich war nicht dabei, als mein Großvater am folgenden Tag meinen Bruder aus dem Fährhaus nahm. Ihn Lilo entriss, die schrie. Christoph beschreibt es wie eine Kindesempführung. Mich holte Opa in seinem dunkelgrünen Mercedes von der Schule ab. Klein saß ich auf den cremefarbenen, kühlen Ledersitzen des Wagens, die immer ein wenig nach feuchter Garage rochen. Opa nahm uns auf, meinen Bruder, meinen Vater und mich. Meiner Mutter wies er die Tür. Das ist der Moment, gefroren zu einem harten Block. Lilo steht dort draußen, im hellpoliert glänzenden Steintreppen, raus der Vollmoswerterstraße 316. Sie hat einen Trenchcoat an, den Gürtel eng um die Talie gebunden. Opa lässt sie nicht herein. Sie bittet, sie fleht, sie ruft, ich will meine Kinder. Es muss Gehalt haben bis in die oberen Stockwerke. Immer diese Szene, dass die Mütter die Kinder zurückfordern. Sie hat meinen Großvater verehrt, in ihm ihren eigenen verlorenen Vater gesucht und jetzt steht er da, der Schwiegervater, und nimmt ihr die Kinder. Das Herz zerspringt. Wir stehen hinter dem breiten Rücken meines Großvaters. Er hat eine grobe, braun-grüne Strickjacke an. Mein Bruder, mein Vater und ich, ein kleines Trüppchen. Wir Kinder sind wie erstarrt, wir rennen nicht zu ihr, wir dürfen nicht, wir sind auf der anderen Seite im Trocknen und wollen nicht hinaus auf die Straße. Und vielleicht, vielleicht grinst mein Vater erleichtert. Lilo hielt sich noch für einige Zeit im Raum Düsseldorf auf. Manchmal versuchte sie, über Oma Adler Kontakt zu uns aufzunehmen. Ich weiß nicht, wie sie sich durchbrachte, was sie tat, um an Geld oder Tabletten zu kommen. Vielleicht ging sie putzen. Sie hatte für kurze Zeit eine Wohnung in Düsseldorf-Lohhausen angemietet, in der Nähe des Flughafens. Und als ich schon im Internat untergebracht war, besuchte ich sie dort. Sie war stark geschminkt, trug eine Art Turban und hatte hohe Plateaustiefel aus Jeansstoff an. Vielleicht hatte ich mich auf sie gefreut, aber sie war mir fremd und sagte sofort, als wir uns gegenüber saßen, hast du Geld? Sie brauchte, sie brauchte, sie brauchte. Zuletzt sprach ich mit ihr am Telefon. Sie rief bei meiner Großmutter an und fragte, ob ich denn zu ihr kommen wolle am Wochenende nach Lohhausen. Ich stand da im Flur dieser kleinen Wohnung, den Bauch an das Schränkchen gelehnt, auf dem das Telefon stand. Draußen schien die Sonne und antwortete ausweichend. Ich bin jetzt bei der Oma und habe da auch ein eigenes Bett. Ich wollte meine Mutter nicht sehen. Kurze Zeit später war sie verschwunden. Da höre ich mal auf. In dieser dramatischen Situation, die sich ja dann noch aus der Perspektive der Tochter weiter steigert. Wie ist der Kontakt weitergegangen? Also erstmal gab es eben keinen Kontakt. Also sie war weg. Also mein Bruder erinnert noch, dass er am Rhein war und mit meinem Vater dort ging und meine Mutter gesucht hat. Und mein Bruder sagte dann, wenn wir die treffen, spucke ich ihr ins Gesicht. Und mein Vater sagte, sei froh, wenn wir sie überhaupt nochmal wiedersehen. Und wir haben sie tatsächlich fast drei Jahre nicht wiedergesehen. Sie war weg. Und mein Bruder ist ins Kinderheim gekommen, ich ins Internat und habe bei meiner Großmutter mütterlicherseits am Wochenende gelebt. Mein Vater war nicht in der Lage, seine Kinder zu sich zu nehmen. Der war Trinker und musste erst erstmal einige Entzüge machen, bis es dann geklappt hat. Das heißt, eigentlich war die gesamte Familie total zersprengend und meine Mutter war eben drei Jahre nicht auffindbar. Und was ich beschreibe und was ich auch im Nachhinein nochmal interessant fand, war, wie sich meine Wahrnehmung verändert hatte. Ich hatte anfangs so eine, ich glaube, eine Mischung aus absolutem Schmerz und Schuldgefühl, weil sie war so eine Belastung in dieser Drogenabhängigkeit oder in dieser Tablettenabhängigkeit, dass man eigentlich erleichtert war, dass sie weg war. Also sie war auch eine Belastung in diesem permanent immer uns also eben vor Entscheidungen stellen zu wollen. Geht ihr zu Papi, geht ihr zu mir? Wir müssen an Geld kommen. Und es war einfach erst mal entlastend, dass sie weg war. Das heißt, ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen, sie weggeschickt zu haben auch. Und in diesen drei Jahren im Internat war es dann so, dass ich mir nach und nach selber so diese Geschichte erzählte, ich habe keine Mutter mehr, es gibt die nicht. Und dann eben, meine Mutter ist gegangen. Also nicht dieses eigentlich, was es ja gewesen ist, also dieses sehr Ambivalente. Sie ist ja auch weggeschickt worden, verfestigte sich zu diesem Ding, die ist eben jetzt weggegangen. Und dann meldete sie sich nach drei Jahren, meldete sie Jahren wieder und lebte mittlerweile in München mit einem Mann zusammen, Otto im Buch, eine etwas zwiespältige Figur. Und erstmal rief sie halt an und stellte dann langsam den Kontakt wieder her und wir haben uns dann halt in Düsseldorf getroffen, aber sie ist nie wieder zurückgekommen in dem Sinne. Also sie hat uns besucht mit diesem Mann und dann blieb sie aber letztlich bei ihm, wollte uns glaube ich auch vielleicht mal eine Zeit lang oder er wollte uns holen, das wollten wir aber nicht und dann war das so, dass sie immer im Süddeutschen geblieben ist und wir eigentlich sie besucht haben. Und das auf eine ganz komische Weise nie wieder eine enge Beziehung geworden ist. Es gab dann ja zeitweise sehr lange Lücken, wo ihr eure Mutter auch gar nicht gesehen habt, vor allem in ihrer späteren Lebensphase, wo es zum Teil sieben Jahre waren, fünf Jahre, sechs Jahre, sieben Jahre, wo sie ihrerseits jeden Besuch irgendwo abgewehrt hat, Gründe gefunden hat. Welche Vermutung gibt es da? Zuerst stellt sie den Kontakt her und dann, wenn er hergestellt ist, versucht sie die Kinder wieder fernzuhalten? Aber es war ja immer so ein bisschen, ich bin mir gar nicht sicher, ob sie den Kontakt hergestellt hat. Meine These ist immer noch, dass eigentlich, also es ist ja so eine Mischung aus Scham und Schuld,, über diese ganze letztlich schlimme Misere, auch ihrer Sucht und ich glaube, dass sie sich ohne diesen Otto nicht gemeldet hätte. Also ich glaube, dass der gesagt hat, melde dich bei deinen Kindern, du hast zwei Kinder, melde dich bei denen und dann hat sie das halt getan und hat uns getroffen und aber eigentlich, ich bin mir nicht sicher, ob sie uns wirklich hat wiedersehen wollen. Und dann war es halt immer so, dann waren wir halt dort bei ihr und sie hatte später dann eine Gastwirtschaft und noch später einen Bettenladen. Also sie hat dann noch mal geheiratet. Also sie hatte diesen Otto und dann noch einen Mann. Und wir sind ihr fremd geblieben und wir waren auch, und ich glaube, das war auch mit einem Motiv, wir waren halt Zeugen ihrer Vergangenheit und die wollte sie nicht so nah an sich ran haben. Und sie war immer schon eine distanzierte Frau gewesen. Das heißt, in einer gewissen Weise konnten wir sie besuchen, aber eigentlich so richtig wollte sie uns nicht da haben. Sie musste sich durchbringen, sie musste ihr Leben meistern. Also mein Bruder hat, also ich habe Philosophie studiert, mein Bruder Architektur. Also mich hat sie immer gefragt, wie heißt das noch, was du studierst? Dann muss ich mir mal aufschreiben, die Kunden fragen. Und bei meinem Bruder, der von ihr, für das BAföG eine Unterschrift braucht, also für diese Studienförderung in Deutschland, hat sie gesagt, ich kann mich nicht immer um deine Sachen kümmern. Also das war so, die war auch nicht, vielleicht war sie stolz. Also ich weiß es nicht. Wir kamen in ihrem Leben nicht vor und sollten auch nicht vorkommen. War es für dich leichter, mit der Mutter umzugehen, wenn du sie nicht gesehen hast? Es war beides schwer, glaube ich. Es gab lange Zeit eine Hoffnung, dass ich eine Nähe zu ihr herstellen kann. Ich beschreibe das eben auch im Buch. Als sie wiederkommt, bin ich 16 oder noch gerade 15 und werde dann 16. Und wir haben dann, also es gibt dann so Möglichkeiten. Also ich bin halt, ich werde, also ich versuche, mich zu bilden. Ich lese ganz viel und meine Mutter ist die schöne Frau, die eigentlich nicht wirklich Lust hat, also sich mit Dingen auseinander zu setzen und ich werde auch irgendwie, ich bin so eine kleine Feministin und so eine Psychologin und ich hätte sie auch so gerne gerettet aus diesen Fängen von diesem furchtbaren Otto und das ging aber nicht, also sondern sie, wir haben einfach überhaupt nicht zueinander gefunden und es war von daher, es gab diese Hoffnung, wenn ich sie sehe, dass es irgendeine nähe gibt und auch irgendeine art von zärtlichkeit oder wie auch immer das werden irgendwas anknüpfen können und es war wahnsinnig schwer und wenn sie aber nicht da war das war auch nicht leicht damit ihr es war einfach dann war es komisch dass man eigentlich so wenig kontakt hatte sie hat dann hinterher immer unglaublich große Geschenke geschickt, also zu Weihnachten und zum Geburtstag teures Zeug. Zum Teil dann auch große Schecks. Also obwohl sie nie für das Studium aufgekommen ist, finanziell oder so, sondern sie hat dann eben etwas über Geschenke gemacht. Und irgendwann habe ich ihr so einen Scheck zerrissen zurückgeschickt und habe eben gesagt, ich will so einen Scheck nicht. Ich will, dass du dir überlegst, was könnte deiner Tochter gefallen. Ich will, dass du dich mit mir auseinandersetzt. Und das hat sie auch nicht besonders gut aufgenommen. Also da hat sie mir dann einen bösen Brief zurückgeschrieben. Und ich konnte sie nicht herausfordern. Von daher war es weder leichter, wenn sie nicht da noch, wenn sie da war. Mein Vater ist auch eine schwierige Person, aber der war in einer gewissen Weise da, mit dem konnte man sich auseinandersetzen. Und sie hat sich in einer gewissen Weise entzogen. Es ist auch so, dass mein Bruder und ich beide homosexuell sind. Und ich glaube auch, dass zum Schluss hat sie dann gesagt, das sei für sie ganz schwierig. Und das habe ich ihr auch nie geglaubt. Ich glaube, sie hat einen Vorwand. Sie brauchte einen Vorwand, um uns nicht sehen zu können. Und sie schämt sich oder sie tut dann so, als ob sie sich schämt, wenn wir kommen. Und das heißt, wir sollen sie einfach nicht besuchen. So ist es. Und es waren wirklich eben, wie du sagst, sieben Jahre zum Teil, die wir sie nicht gesehen haben. Es waren immer solche Sequenzen. Anfangs war es ein bisschen mehr, da sind wir eben zu Weihnachten hingefahren oder so, aber hinterher waren es so Sequenzen von fünf bis sieben Jahren, die wir sie einfach nicht gesehen haben. Es kommt eine Stelle vor, wo die Mutter zu deinem Bruder sagt, er darf unter keinen Umständen erzählen, was gewesen ist. Ein Wort und ich bringe mich um, also eine sehr dramatische Drohung. Und du stellst dann die Frage, warum erzähle ich, was sie verbergen wollte? Das habe ich ja jetzt auf die ganze Geschichte bezogen. Deine Mutter ist schon verstorben. Warum erzählst du diese Geschichte, die sie eigentlich nicht erzählen wollte? Du hast ja, glaube ich, mal versucht, mit ihr Interviews zu führen. Du hast versucht, sozusagen mit ihr den Roman ihres Lebens aufzuschreiben. Was drängt dich so, diese Geschichte öffentlich zu erzählen, die sie verborgen haben wollte? Irgendwie so richtig bewusst. es gibt einfach einen Wunsch, das erzählt zu haben. Also auch diese Kindheitsgeschichte, diese Mendelssohn-Straßen-Zeit, die wirklich schlimm war. Mir ist auch oft von Bekannten gesagt worden, boah, schreib das auf. Also natürlich erzählt man immer, wir hatten eine schlimme Kindheit und so weiter und so fort. Und alle haben immer ganz gespannt zugehört. Also es war auch klar, da ist auch irgendwie, es ist schon auch ein Erzählstoff einfach drin. Und ich bin nun mal eine Schreiberin. Das heißt, ich möchte irgendwie, denke ich, okay, das ist jetzt ein guter Stoff, den könnte man auch erzählen. Das ist sicherlich die eine Sache. Also eben auch meine Profession als Schreibende. Das andere ist sicherlich so, es gab mal so eine Freundin, die sagte, willst du dich rächen oder was, dass du das jetzt tust? Und es ist keine Rache, es ist einfach mein Bedürfnis, dieses Schweigen zu brechen und auch mein Bed Sie hat gesagt, jetzt ist es aber auch gut. Und jetzt komme ich jetzt nicht immer damit. Also man konnte sie nicht stellen. Und es muss aber, es muss erzählt werden, damit es bewältigt werden kann. Aber es kommt auch einmal vor, dass deine Mutter zu dir gesagt hat, bei dem Versuch, mit dir über ihre Geschichte zu reden, dir erzähle ich, aber sinngemäß jetzt gesagt, die erzähle ich sowieso nicht die Wahrheit, wenn ich es dir erzählen würde. Für mich ist die Frage, haben Mütter, haben Eltern nicht auch ein Recht auf Diskretion? Also müssen Kinder alles über sie wissen? Nee, sicherlich nicht. Und sie haben auch sicher ein Recht auf Diskretion, aber wir haben auch ein Recht auf unsere Geschichte. Das sage ich jetzt für mich und meinen Bruder. Wir haben ein Recht auf unsere Geschichte, wir haben ein Recht darauf, das, was wir erlebt haben, zu erzählen. Und auch das, was wir mit ihr erlebt haben. Ich muss das erzählen dürfen auch das, was wir mit ihr erlebt haben. Ich muss das erzählen dürfen. Und wenn ich diese Mendelssohn-Straßenzeit erwähne, es ist für ein Kind wahnsinnig belastend und anstrengend, dieses Familiensystem geschlossen halten zu müssen. Ihr seid ja auch richtig bettelngeschickt worden, oder? Also Sie haben euch ja ausgeschickt, irgendwo Geld zu schnoren, damit es wieder Alkohol gibt, Tabletten und so. Genau. Und damit es auch was zu essen gibt. Und es war eine wahnsinnige Überforderung. Und gleichzeitig durften wir aber nichts sagen. Wir durften niemandem erzählen, was bei uns zu Hause los ist. Und ich glaube, auch das ist so, vielleicht ist es eine späte Erleichterung. Und ich weiß noch, wie ich dann, also ich war im Gymnasium bei den Ursulinen in Düsseldorf. Und nachdem dann, also ich habe zwei Jahre den Mund gehalten. Ich habe so getan, bei uns zu Hause ist alles in Ordnung. Und es war überhaupt nichts in Ordnung. Und die haben unsere Sachen versetzt. Ich bin nach Hause gekommen und dann war mein Kassettenrekorder weg, weil der war im Pfandhaus und so. Also es war wirklich, also Eltern, die süchtig sind, die Kinder sind nicht das Wichtigste. Also die Droge ist das Wichtigste. Und das haben wir halt ziemlich stark gemerkt. Und alles das nicht erzählen zu dürfen. Und ich wurde schlecht in der Schule. Und alle haben sich gewundert, warum wird sie schlecht in der Schule? Aber es war halt, ich konnte nicht sagen, warum. Und man hängt so drin in diesem Familiensystem. Und ich bin dann eben, nachdem alles draußen war, also nachdem es mein Großvater uns aufgenommen hat, meine Mutter aber nicht, ist er mit mir eben zu den Ursulinen gefahren und dann haben die, durfte ich da alles erzählen. Also ich durfte, und ich weiß noch, dass Schwester Dorothea mir so ein Butterbrot gegeben hat, da war Thüringer Wurst drauf. Und diese absolute Erleichterung, die saßen alle um mich rum mit offenen Mündern und wussten ja nicht, was los gewesen war bei uns zu Hause. Und das war so erleichternd einfach zu erzählen, das war es. Also das war bei uns los. Und deswegen konnte ich nicht gut in der Schule sein. Deswegen war ich komisch. Ich habe auch so im Unterricht gesungen manchmal. Ich war schon verhaltensauffällig auch. Und ich glaube, das Erzählen, was sehr Erlösendes hat, ist, glaube ich, mein Motiv. Natürlich auch das, dass es eine Geschichte ist. Und ich glaube, ich warte bis zum Tod meiner Mutter. Ich habe es ja vorher nicht erzählt. Und ich erzähle auch viele Dinge über meinen Vater noch nicht. Und ich habe auch nicht alles erzählt. Aber ich habe ein Recht darauf, diese Geschichte zu erzählen, denke ich mir. Deine Mutter sprichst du meistens mit Lilo, du erzählst von Lilo. Und wenn du dich konkret erinnerst an Beziehungssituationen, dann ist sie die Mami. die Mami. Was hat das für Bedeutung in dieser doch sehr dramatischen Geschichte über deine Mutter als Lilo mit einem Namen, mit dem du sie wahrscheinlich im wirklichen Leben nie angesprochen hast, zu reden? Es ist eine Distanznahme. Also ich distanziere mich und ich will aber auch, weil mein Projekt war jetzt nicht, ich will nicht meine Geschichte erzählen. Ich will eigentlich rauskriegen, wer war Lilo. Also sie ist für mich das Rätsel. Also der erste Titel des Buches, den ich ja gewählt hätte, wäre ja eben, wie gesagt, die fremde Frau gewesen. Das ist sie für mich. jetzt einer Figur geworden, einer fremden Figur, die ich versuche zu ergründen auch. Und ich versuche auch ihre Geschichte zu rekonstruieren und auch der hoffentlich gerecht zu werden. Also die war nicht einfach eine böse Frau, die hatte selber ihren Rucksack aus Kriegskindheit, was sie allerdings auch selber immer zu ihrer Entschuldigung dann gesagt hat, die bösen Kriegsjahre. Aber dieses Lilo ist halt tatsächlich, ich stelle sie so vor mich und versuche tatsächlich nicht ganz in diese Familie, also nicht ich und Mami, es geht nicht um mich und Mami, sondern es geht um diese Geschichte von Lilo und ich bin da irgendwie auch eben diese Tochter da dran. Also es ist eher so eine Geschichte fast über eine Dritte. Anders hätte ich es, glaube ich, auch nicht erzählen können. Also das wäre dann zu emotional oder zu sehr so. Also ich versuche ja schon eine Distanz zu wahren und auch irgendwie hoffentlich auch eine Gerechtigkeit weitersetzen zu lassen. Du hast ja, schreibst du in dem Buch, verschiedene Therapien gemacht, verschiedene Erklärungen noch gesucht für diese Frau, die dir fremdgeblieben ist. Du hast unter anderem graphologische Gutachten machen lassen und anhand der Schriftentwicklung versucht nachzuvollziehen, was da war. Und da hat die Graphologin ja, glaube ich, auch diesen Bruch irgendwo in der Schrift gesehen, den du erzählt hast gerade. Du hast mit einer Familienaufstellung versucht, das zu machen. Und diese Familienaufstellung, die fand ich schon sehr interessant, weil sie das, was du zum Schluss jetzt gelesen hast, diese dramatische Situation, die man sich ja sehr plastisch vorstellen kann, dieser doch sehr vermögende Großvater, der in dem Moment quasi die Verantwortung ablehnt, weil du kommst ja dann auch ins Internat, dein Bruder ins Kinderheim, würde man sagen, unnötigerweise, wenn eigentlich das Material gar nicht notwendig gewesen wäre. Aber offenbar sind die mindestens so beziehungsunfähig, wie deine Mutter gewesen ist. Und in dieser Familienaufstellung, wo die Mutter ja weggeschickt wird, de facto, kommt ja dann heraus, dass sozusagen die Mutter sucht eigentlich die Liebe des Vaters und diese Liebe wird unterbrochen durch die Sucht. Die Sucht ist sozusagen das eigentliche Problem. Und ihr Kind steht da immer abseits. Jetzt könnte man sagen, das ist vielleicht sogar ein klassisches Setting, dass wer jemals mit einem suchtkranken Menschen gelebt hat, das wird mit einem suchtkranken Vater gelebt. mit einem suchtkranken Menschen gelebt hat, dass ich mit einem suchtkranken Vater gelebt habe. Das ist so, dass man einfach zu einem suchtkranken Menschen keine nahe Beziehung aufbauen kann, weil die Persönlichkeit ganz anders orientiert ist, nämlich auf diese Sucht hin. Und die Frage, ob das ein persönliches Versagen ist, dieser Person, die muss man ja, glaube ich, auch irgendwo noch einmal im Raum lassen. Also ob es Sinn hat, sich an dem abzuarbeiten, dass man zu einer suchtkranken Person eine Beziehung aufbauen möchte, die so ganz persönlich ist, die diesen fließenden Austausch, den man sich ja gerade als Kind wünscht, möglich machen. Aber was hieße das dann, wenn man Suchteltern hat, kann man es gleich aufgeben oder das tut man ja nicht. Das Mögliche sehen vielleicht und das Unmögliche sich nicht wünschen. Das kann man als Kind nicht. Als Erwachsene? Als Erwachsene kann man das, vielleicht nehme ich die Sucht nicht ernst genug, das kann schon sein. Also dass ich eigentlich immer noch denke, die selber wussten ja auch nicht, wie sie in die Sucht gekommen sind. Das hat mein Vater mal erzählt, die haben das nicht gemerkt. Das waren natürlich die 60er, 70er Jahre, diese Tabletten gab es erstmal so, ohne dass das großartig schwierig war. Und mein Vater sagte eben auch, also die haben einfach getrunken, das gehörte dazu. Und irgendwann hat er halt gemerkt, oder er hat es gar nicht, er hat sich glaube ich gar nicht selber als Alkoholiker wahrgenommen, sehr lange. Und also er ist auch er dann durch Entzug dann wirklich gemerkt, also wie man da reinrutscht, ohne dass man es merkt. Und bei meiner Mutter weiß ich es gar nicht, ob sie sich, die haben sich, glaube ich, beide gar nicht, es war einfach, wie es war. Zur Familienaufstellung muss ich natürlich sagen, dass die, also mein Vorbehalt ist, dass dort sehr viele Klischees reproduziert werden tatsächlich. Also ich fand das bei der Familienaufstellung, ich habe das dann ja auch so ein bisschen distanziert beschrieben, dass das eigentlich wie so ein Film ist. Ich sehe dann nochmal diese, von anderen Darstellern genau diese Szene, wo meine Mutter weggeschickt wird, nochmal gespielt. Und da ist sicherlich manches richtig dran gewesen, aber manches auch recht eigenartig. Also eine rief dann halt ich sehe Tote und mein Großvater müsste etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun gehabt haben. Das sind so Klischees, die dann eben aufkommen. Ich weiß es nicht. Es ist relativ unwahrscheinlich. ein bisschen hatte ich auch den Eindruck beim Lesen, das kann ich ja auch nachvollziehen, dass du als Tochter jetzt zur Mutter vor allem in so eine Situation etwas auch fast des Rechthabens hineinkommst, was sozusagen die Gefühle oder die Zuwendung, die man erwartet und die man einfach einfordert und die man bekommen möchte, was dann umgekehrt vielleicht aus der Perspektive der Mutter das Problem schafft, dass die Form von Zuneigung, die sie geben kann, nicht angenommen wird. Also wenn die ihr mögliche Form der Zuwendung ist, dir einen Scheck und schöne Geschenke zu schicken und du sagst, ich nehme die einfach nicht an, weil das ist nicht das, was ich wollte. Ich wollte ein persönliches Gespräch, ich wollte eine Umarmung, ich wollte einen Satz, der sagt, du bist das Wichtigste für mich und du schenkst mir Geschenke. Also das geht auch so aneinander vorbei und verhakt sich dann irgendwie im Rechthaben eigentlich, oder im Anspruch, dass ich eine bestimmte Art von Gefühl, eine bestimmte Art von Zuwendung haben möchte und man kann nicht mehr lesen, was man bekommt. Das mag so sein, also vor allem für eine bestimmte Phase in meinem Verhältnis zu meiner Mutter war das ganz hundertprozentig so und ich sage das ja jetzt auch im Nachhinein dass ich das auch nicht aushalte, wie rechthaberisch ich war also so nach, also mit im Vollton meiner, ich hab recht und sie ist die Böse und so weiter, also sehe ich heute komplett anders was ich nicht eigentlich glaube ich nicht nicht akzeptieren kann, ist trotzdem dieses, aber das ist eben, da bin ich eben Tochter und ich bin eben in meiner Position und nicht in ihrer. Also ich wollte einfach, dass sie ehrlich ist, also dass sie mit mir spricht, dass sie von mir aus sagt, ich habe euch nicht lieb genug gehabt oder irgendwas. Und man konnte aber dieses Gespräch nicht führen. Und ich weiß nicht, inwiefern Kinder nicht doch ein Recht darauf haben, dass Eltern mit ihnen sprechen. Das ist doch, ja, ich meine, das ist, natürlich würde die, ich habe ja auch viele Mütter interviewt, die eben auch ihre Familien verlassen haben. Das war die Vorarbeit zum Buch. Und mir sagte eine Mutter, und das hat mich irgendwie gekränkt, aber sie hat natürlich recht, sie hat gesagt, sie werden nie die Wahrheit erfahren. Was sie hören wollen, ist ihre Wahrheit. Und ihre Mutter hat eine andere Wahrheit. Und das stimmt natürlich. Und das weiß ich, als Philosophin im Kopf weiß ich das natürlich. Das ist so. Meine Mutter hat ihre Wahrheit, ich habe meine und von mir aus steht da die Sucht dazwischen. Da kommen wir nicht drüber. ich will die herausfordern, ich will, dass sie mit mir redet, ich will den Kontakt zu ihr haben. Und vielleicht ist das ganze Buch natürlich, irgendwie was im Kontakt zu ihr aufzunehmen auch. Bleibt man mit so einer so stark ambivalenten Mutterbeziehung ein bisschen im Trotzalter hängen? Tja, vielleicht. Das hat die Mutter ja mal gesagt zu dir, oder? Genau. Jetzt wie eine Dreijährige. Ja, aber bitte. Wieso dürfen wir auch nicht? Es gibt ja in uns, glaube ich, alle Lebensalter haben wir einfach gestaffelt in uns. Und da ist natürlich eine Dreijährige da, da ist auch natürlich eine Erwachsene. Was ich glaube nicht gut ist und was passiert, es gibt ja diese Bindungstheorie-Geschichten von John Bowlby und wem auch immer. Wer hat diese Kinder beobachtet? Ich glaube, das war Winnicott, keine Ahnung. Wie die reagieren, wenn sie eine unsichere Mutterbindung haben. Und es gibt natürlich, also es gibt Kinder, wenn sie eine sichere Mutterbindung haben, die Mutter geht raus, das Kind spielt weiter, die Mutter kommt rein, das Kind freut sich, weil die Mutter ist wieder da. Das ist relativ normal. Und dann gibt es eben diese unsicher gebundenen Kinder. Die Mutter geht raus, das Kind spielt, die Mutter kommt wieder rein und dann gibt es eben die unsicher gebundenen Kinder, die entweder total rumschreien, weil sie wütend sind auf diese Mutter. Das bin ich, glaube ich, nicht. Sondern es gibt so Kinder, die tun so, als ob sie die Mutter gar nicht sehen. Also so würde ich mich hier sehen. Also in dem Sinne, und das finde ich nicht gut, so zu tun, ach, macht doch eh nichts. Und das habe ich sehr oft gesagt. Es ist ja nicht so schlimm. Wir haben unsere Kindheitsgeschichte so erzählt, so nach dem Motto, ja, es ist so passiert, aber es ist ja nicht so schlimm. Es passieren ja auch viel schlimmere Sachen. Stimmt ja auch, es passiert tausendfältig viel, viel Schlimmeres. Aber trotzdem finde ich, und deswegen dieses Fühlen lernen im Erzählen, heißt eben auch, hallo, du darfst auch. Also ich darf auch sagen, ich hätte gerne eine Auseinandersetzung mit dieser Frau gehabt. eine Auseinandersetzung mit dieser Frau gehabt. Und es ist eben nicht egal, ob sie, und es ist auch nicht so schlimm, es ist eben schlimm gewesen, so, Punkt. Und wenn man das mal gesagt hat, dann kann man ja auch weitergehen. Aber wenn man immer so tut, so nach dem Motto, das war ja nicht so schlimm, dann wird das alles so verharmlost. Und deswegen, glaube ich, darf ich auch die Dreijährige sein oder die Sechsjährige. Meine Mutter ist es ja sicherlich auch. Ich schaue jetzt einmal in die Runde, ob es jemanden gibt, der gerne mitreden möchte oder etwas erzählen möchte. Ja, bitte, Sie bekommen das Mikrofon, das ist für die Damen und Herren, die zu Hause sind. Danke. Das liegt mir schon die ganze Zeit auf der Zunge. Was hätte die Mutter tun sollen, wenn sie weggeschickt wird, wenn sie nicht aufgenommen wird, wenn niemand für sie Partei ergreift, auch nicht der Vater? Also diese Kränkung, das ist ja unglaublich. Also was hätte sie sonst tun sollen? Also für mich ist das die einzige Möglichkeit, mit dem umzugehen. Ich glaube das auch. Also ich glaube in dem Moment, als es so war, konnte die auch nur weggehen. Das sehe ich auch so. Und ich sehe auch, dass sie eine Zeit braucht, in der sie sich nicht gemeldet hat. Also das schon. Was ich dann glaube ich nicht oder was mir eben wehtut, ist dieses, und das beschreibe ich eben auch im Buch, es gibt dann ja den Kontakt und sie ist dann im Süddeutschen und sie hat dieses, dann hinter dieses Gasthaus und wir fahren halt hin und ich versuche, oder ich glaube, ich versuche Kontakt zu ihr aufzunehmen und es gelingt aber nicht. Weil sie denkt, es ist so, sie hat dann ihr eigenes Leben, sie muss diese Gastwirtschaft führen und ich sitze da und warte auf etwas, ich warte auf ein Zeichen und es kommt aber nicht. Ich freue mich dann, wenn sie sich zu mir setzt und noch eine Zigarette raucht, weil sie dann für diese Zeit der Zigarette noch da ist. Aber sie ist eben, wie sie auch schon früher war. Sie ist diese Mami in weiß, die im Laden steht. Und das war eben auch schon vorher so, dass sie in einer gewissen Weise unerreichbar ist, weil es geht eben nicht nur die Sucht vor, sondern die Arbeit geht vor. Und die Männer gehen vor. Also letztlich auch das. Das ist einfach kränkend für so ein Kind. Aber ich verstehe schon, dass meine Mutter, ich verstehe es total und ich würde auch immer sagen, auch als Feministin, Frauen dürfen gehen, Mütter dürfen gehen. und ich habe ja eben viele Interviews geführt unter anderem auch mit Kindern und eine sagte mir, das fand ich eigentlich ziemlich gut, das Gehen der Mutter ist nicht das Schlimme, also es wichtig ist, was danach kommt, also ob die Kinder in irgendeiner Weise behütet sind, ob es Personen gibt, die da einspringen können, also an Mutter statt auch und ob das gute Personen sind, das ist das Wichtige für das Kind zumindest. Und ich bin auch total dafür, diesen Mythos Mutter und Mutter muss bleiben und so weiter, also damit irgendwie kritisch umzugehen. Mütter müssen nicht zu Hause bleiben. Sie sind freie Personen auch. Und es ist halt doof. Das Bedürfnis der Kinder ist grenzenlos. Man besetzt diese Mütter und will die ganz haben und ich verstehe, dass die Mütter sagen, nee, das ist jetzt zu viel. Ist zu viel. Und damit muss man aber irgendwie umgehen können. Es gibt ja auch dieses Konzept der Good Enough Mother, also eben diese Mutter, die gut genug ist. Sie muss nicht perfekt sein, sie muss einfach nur gut genug sein. Gab es für dich so eine Bezugsperson? Wir haben ja die Konstellation nicht so grob kennengelernt. Jetzt hast du gerade gesagt, wenn die Mutter geht, dann ist es gut, wenn es jemand anderen gibt. Das sagt ja auch die Resilienzforschung. Wichtig ist, dass ein Kind irgendjemand hat, der sozusagen ein stabiler Anker ist. Gab es diese Person in deinem Leben? Nicht wirklich. Also es gab verschiedene Personen, die gut waren. Also meine Pfadfinderführerin war gut. Aber es gab nicht eine Person, der ich hätte vertrauen können. Und ich habe wahnsinnig viel Tagebuch geschrieben. Und ich glaube, mein Tagebuch war dieses, also das Schreiben tatsächlich war mein Halt dann in dem Moment. Ich konnte nicht reden und ich war auch, ich meine, ich war komplett verstört und ich hatte auch dieses Gefühl, also was man eben hat, wenn man plötzlich ohne Familie dasteht, man hat kein Recht da zu sein. Alles ist auf Gnade. Also meine Großmutter hat mich aufgenommen, eine gnädige, ich habe das Gefühl, ich habe kein Anrecht, dort zu sein. Die bezahlt meine Anziehsachen. Da muss ich jetzt dankbar für sein. Es gibt diese Selbstverständlichkeit nicht mehr, in einer Familie zu sein. Und das hat mich hochgradig verstört. Und selbst wenn ich Geschenke bekommen habe, habe ich die kaum annehmen können, weil ich dachte, wir haben so viel Schulden. Diese Schuldproblematik und die Scham war halt auch wahnsinnig groß. Und im Gegensatz zu meinem Bruder, der ist halt drei Jahre jünger als ich und der hat das, glaube ich, komplett anders erlebt. Ich hatte das Gefühl, ich habe die Verantwortung auch für diese Familie und das war einfach zu viel. Deswegen konnte ich auch jetzt Gefühl, ich habe die Verantwortung auch für diese Familie. Und das war einfach zu viel. Und deswegen konnte ich auch jetzt nicht. Und es ist eben auch beginnende Pubertät. Das heißt, da ist es eh schwierig, dann irgendwie eine Person zu finden. Also ich schreibe das im Buch, dass ich dann halt so eine Art Mutterkomplex habe und immer Mütter suche in allen möglichen anderen Personen, aber irgendwie denen auch nicht traue und mir selber nicht traue und so weiter. Weil einfach die Sicherheit fehlt, dass man sich auf diese Beziehung oder Bindung verlassen kann. Da habe ich eine Hand gesehen. Wie war denn die Reaktion Ihres Bruders auf das Buch? Ist der Bruder der Christoph? Der ist der Christoph, genau. Und die Christoph und Sandra steht in Ihrer Danksage. Sind es zwei wichtige Familienmitglieder? Nein, also Sandra ist meine Freundin, meine Partnerin, und Christoph ist mein Bruder, genau. Also noch einmal meine Frage, wie hat der Bruder reagiert? Er kommt ja auch im Buch vor. Genau. Es gab eine Rohfassung des Buches, das hat er gelesen und fand er gut, aber es hat ihn nicht berührt, hat er gesagt. Und dann hat er die fertige... Es ist kaum zu glauben, aber ich beschreibe es eben auch, dass er, er hat wirklich dicht gemacht. Also der war eigentlich das Muttersöhnchen, der war wahnsinnig innig mit meiner Mutter und ab einem bestimmten Punkt hat er einfach, ich weiß nicht, ist bei dem einfach so ein Rollladen runtergegangen und der fühlt gar nichts. Also das ist wirklich eiseskälte. Also es ist, also auch so mütterliche Frauen, vor denen hat er, also ich glaube, er will ihnen gefallen, gleichzeitig hat er Angst vor denen und so. Und beim ersten hat er gesagt, es hat ihn selber gewundert, aber er sagte, es ist gut, er fand es total spannend, aber es berührt ihn nicht besonders. Und dann bei der zweiten Fassung, bei der fertigen, hat er dann schon gesagt, es hat ihn jetzt schon berührt. Aber eine Freundin von mir, die ist Psychoanalytikerin, das ist wahnsinnig emotional, die sagt, sie hat Rotz und Wasser geheult, sie konnte nicht schlafen, also furchtbare Geschichte und so weiter. Und mein Bruder hat, ich glaube, nicht geweint oder so. Aber er steht total hinter dem Buch. Und das muss ich auch sagen, also es ist einfach toll, dass es den gibt und dass wir das als Kinder nicht alleine machen, also dass wir zu zweit waren, das ist wichtig und ich war halt die Ältere, das heißt ich musste ihn beschützen, aber jemanden beschützen müssen, schützt einen auch selber oder hilft einem auch selber. Und eine zweite Frage, gibt es von anderen Familienmitgliedern Vorwürfe, dass sie ihre Familiengeschichte so quasi ausplaudern, so offenherzig? Also ich habe allen vorher Bescheid gesagt, dass ich das vorhabe und habe von allen die Erlaubnis bekommen, dass ich das tun darf. Also das habe ich natürlich vorher abgesprochen. Und es kommen ja auch jetzt nur meine Tanten mit klaren Namen vor, die noch leben. Es gab allerdings dann natürlich, also es ist keine lesende Familie, das heißt niemand wollte jetzt das Manuskript lesen und meine Tante Rita hat dann, also war dann schon noch sehr bestürzt und mein Onkel, also Gregor, der gar nicht vorkommt auch, also sie sind schon alle sehr betroffen irgendwie und haben sich das so nicht vorgestellt, dass es so ist, das Buch, wie es ist. Allerdings wissen sie ja auch, was passiert. Also sie wussten es nicht so genau. Sie wollten damals nicht hingucken, weil letztlich hätten natürlich diese Tanten und Onkel uns aufnehmen können. Und Tante Rita hat dann auch gesagt, mein Gott, wenn ich das gewusst hätte. Allerdings, also jeder hatte da selber was zu tun. Und mein Onkel hat auch gesagt, dass in dieser Rödig-Familie, in diesem Zweig, gab es halt immer so auch dieses jeder für sich und Gott für uns alle. Und das war natürlich so ein bisschen, also die haben meinen Vater auch ganz gut auflaufen lassen. Der hat das Geschäft in den Sand gesetzt und jetzt lassen wir den einfach mal gucken. Sie haben einfach nicht geholfen, weil sie dachten, okay, also der Großkotz mit seinem Porsche, jetzt kann er mal gucken. Es ist natürlich auch wirklich eine Kälte, auch so eine natürliche Nachkriegsgesellschaft. Also das ist schon auch, meine Partnerin sagt immer, das ist so BAD Noir, also wirklich in dieser Zeit des Wirtschaftswunders komischerweise, wo aber alle eben für sich scheffeln und keiner so richtig guckt, obwohl man eben in die Kirche geht und ganz katholisch ist. anschließen darf, ging das chronologisch? Es irgendwann entstand in Ihrem Kopf, dass der Gedanke, ein Buch zu schreiben, lebte Ihre Mutter noch? Dann stirbt die Mutter, Sie schreiben noch ein Buch. Wie war das chronologisch? Es gab ein, eigentlich wollte ich, ich wollte darüber schreiben über das Leben meiner Mutter und wollte eben Interviews mit ihr führen. Und dann hat sie eben genau das gesagt, dir sage ich eh nicht die Wahrheit und hat sich dem verweigert. Und dann habe ich gedacht, gut, dann geht das nicht, auch weil ich dachte, ich weiß zu wenig, mich erinnert zu wenig. Also ich habe natürlich sehr viele Tagebücher, das heißt, darauf konnte ich mich dann auch stützen. Und dann, genau, ich habe erst nach dem Tod angefangen und auch da nicht sofort. Der Mann meiner Mutter, also der dritte Mann meiner Mutter, der lebte noch und der hat immer darauf gewartet, dass ich dieses Buch schreibe, der wollte daster. Ich schreibe nicht über meine Mutter, ich schreibe über andere Mütter, die gegangen sind und habe ziemlich viel mit, viele Interviews geführt und habe dann aber gemerkt, dass meine Geschichte, also fand ich, interessanter ist, weil ich immer nur Mütter getroffen habe, das klingt eitel, ich habe halt immer nur Mütter getroffen, die irgendwie noch Kontakt zur Familie gehalten haben und die sagten mir dann aber auch, Mütter, die, die irgendwie noch Kontakt zur Familie gehalten haben. Und die sagten mir dann aber auch, Mütter, die wirklich ihre Familie verlassen, werden sowieso nicht mit ihnen reden. Also denken Sie das mal gar nicht. Und dann habe ich gedacht, gut, dann schreibe ich jetzt, dann schreibe ich die eigene. Aber es musste natürlich meine Mutter schon gestorben sein, sonst wäre das nicht gegangen. Bitte, der Herr Feinen, genau. Ja, zuerst einmal herzliche Gratulation zu dem, was eigentlich sprachlos macht, in so eine schöne Sprache gegossen haben. Ich bin von Beruf klinischer Psychologin, Gesundheitspsychologin, beschäftige mich seit vielen Jahren mit Familienmuster. Mich würde interessieren, wie es Ihnen und Ihrem Bruder gelungen ist, aus den Mustern, die offensichtlich schon generationenlang grauslich gewesen sind, zu durchbrechen. Was wir heute Abend gehört haben von Ihnen ist ja auch das Leben Ihrer Mutter als Kind und wahrscheinlich auch davor das Leben Ihrer Großeltern nicht einfach gewesen, vielleicht mit vielen hässlichen Beziehungsmustern durchwachsen. Was ist geschehen, dass Sie und Ihr Bruder dieses Muster durchbrechen konnten? glaube ich, ich weiß nicht, ob es ein trauriges Resultat ist, aber es war mir zum Beispiel, also vielleicht wäre es jetzt möglich, aber ganz lange Zeit überhaupt gar nicht vorstellbar, Verantwortung für ein Kind übernehmen zu können. Und bei meinem Bruder war das, glaube ich, ähnlich. Also das ist schon mal das Erste. Wir tragen es einfach nicht weiter. Unsere Konsequenz ist, okay, hier ist Schluss. Also wir betragen es nicht weiter. Das Zweite ist, dass ich glaube, es muss etwas Gutes gegeben haben am Anfang. Also wenn diese Verhältnisse mit Tabletten, Alkohol, also auch natürlich Sadismen der Eltern, wenn die ganz von Anfang an so gewesen wären, wie ich sie schildere, wären wir hoffnungslos verloren gewesen, glaube ich. Also es muss eine gute Zeit gegeben haben. Es gab vielleicht ein gutes Kindermädchen, ich erinnere mich nicht mehr viel an die. Aber das heißt, es gab offenbar irgendwelche Beziehungen, die getragen haben. Und das Dritte ist, glaube ich, viel nachdenken und erzählen tatsächlich. Also das heißt, eben diese Sachen nicht einfach, weil das ist ja auch der Grund, wir erzählen auch, damit wir es loslassen können, damit wir es nicht, also weil das ist ja auch der Grund, also wir erzählen auch damit wir es loslassen können, damit wir es nicht, also ich gebe es weiter als Buch, aber hoffentlich nicht als als Grausamkeit anderen gegenüber. Ich hoffe, also weiß man nicht. Aber das ist glaube ich, das sind die Sachen, so würde ich das beantworten. Bitte. Ich wollte Sie auch fragen, ob Ihr Bruder Ihrer Erzählung zustimmt, aber das haben Sie jetzt sehr eng beantwortet. Und weil Sie es selber erwähnt haben, diese Frage ist eigentlich auch schon beantwortet, sehen Sie einen Zusammenhang mit Ihrer Geschichte, mit Ihrer Beide Homosexualität? Ist so die Frage. Ich glaube, es sind so Mischformen. Bei meinem Bruder weiß ich das nicht. Ich glaube, dass der relativ früh sehr klar homosexuell empfunden hat, das sagt er auch selber. Und bei mir glaube ich das auch. Man weiß ja immer nicht, wo es herk selber. Und bei mir glaube ich das auch, man weiß ja immer nicht, wo es herkommt, keine Ahnung. Ich glaube aber auch, dass zumindest aus der Generation, in der ich komme, für mich das Lesbischsein einfach eine Möglichkeit ist, nicht Mutter zu werden. Ich meine, das ist heute anders, aber für mich ist das tatsächlich natürlich ein Entwurf und da gibt es noch viele andere Geschichten, also das ist auch meine Mutter, diese Schönheit meiner Mutter, mit der muss man gar nicht erst konkurrieren, das heißt, ich mache irgendwas anderes. Ich denke schon, dass es, weiß ich nicht, zu 30, zu 40, zu 50 Prozent was damit zu tun haben kann, sicherlich nicht, also wenn wir jetzt nicht, also ich weiß nicht, Veranlagung oder sonst irgendwas gehabt hätten, würden wir uns da sicherlich nicht jetzt hinprügeln. Aber es gibt natürlich schon Motive. Du schreibst ja, wenn ich das ergänzen darf, selbst im Buch auf diese Frage und auch auf die Frage zuerst, was ist Homosexualität? Eine Form des Begehrens, ja, aber auch eine Form des Widerstands. Sexualität, eine Form des Begehrens, ja, aber auch eine Form des Widerstands. In meinem Fall jedenfalls ist sie das ganz sicher. Und die Weigerung, eine Familie zu gründen. Manchmal fühlt sich dieser Widerstand an wie Unfähigkeit, manchmal wie ein geheimer Auftrag. Und die einzig vernünftige Konsequenz, die aus den Erlebnissen der Kindheit zu ziehen ist, lösche es aus. Ja, also das ist es. Jetzt denken wir es einmal in die andere Richtung weiter, hypothetisch. Wenn du dir vorstellst, du hättest jetzt eigene Kinder und du hättest Kinder, die in der Situation sind, deine Nähe zu suchen, würdest du möglicherweise mit deiner Mutter etwas gnädiger umgehen? Hypothetisch gefragt, ich weiß es ja nicht. Ich weiß es nicht. Ich würde erstmal mit meinen Kindern hoffentlich gnädiger umgehen. Und meine Mutter hat halt, die hat sich sogar Enkel gewünscht. Also das fand ich wirklich, das hat sie einmal gesagt, das mit der Homosexualität sei ja furchtbar, weil dann kriegt sie sogar Enkel gewünscht. Also das fand ich wirklich, das hat sie einmal gesagt, sie hätte, also das mit der Homosexualität sei ja furchtbar, weil dann kriegt sie keine Enkel. Was auch natürlich ein altes Konzept von Homosexualität ist, also heute ist das ja alles anders. Aber damals war das auch tatsächlich eher noch so, dass man eben sagt, okay, gibt es eben keine Kinder. Und ich fand das unglaublich, dass die dann auch noch sagt, sie hätte gerne Enkel. Wobei man natürlich sagen muss, vermutlich hätte sie mit Enkeln besser umgehen können, als mit ihren eigenen Kindern. Das ist ja oft so. Aber bin ich ungenädig mit meiner Mutter? Kommt das? Ich weiß nicht. Christine Scheide. Nein, es war ja eine Frage. Ich habe es ja nicht als Behauptung. Es war ja eine Frage. Wo ist das Mikrofon? Vielleicht gehen wir es weiter. Bitte. Wo war der wer? Die Dame da. Frau Kapsamer. mit ihrer Mutter umgehen. Ich finde es fast ungnädig, wie sie mit sich selber umgehen. Also nicht im negativen Sinn, sondern mit diesem Mut, diese Scham zu überwinden, die Schuldgefühle zu überwinden, ihre Wunden offen zu zeigen, sich schutzlos zu machen. Also ich habe einen großen Respekt davor und ich wünsche Ihnen, dass das auch immer gut behandelt wird, diese Offenheit, die Sie mit dem Buch eigentlich zeigen. Ja, das wünsche ich mir dann auch. Aber als Schreibende ist man halt auch, es ist ja so, wir schlachten einfach alles gnadenlos aus. Ja, das weiß man auch schon. Da gab es noch einmal eine Wortmeldung. Es ist ja so, wir schlachten einfach alles gnadenlos aus. Das weiß man auch schon. Da gab es noch einmal eine Wortmeldung. Ich glaube aber schon, dass man das Verhalten oder bestimmte Verhaltensweisen der Mutter erst dann versteht, wenn man selber Mutter ist. Das kann auch sein. Das ist auch natürlich die Grenze, an die ich komme, an die ich, glaube ich, auch gekommen bin, als ich diese Interviews mit den Müttern geführt habe, die ihre Kinder verlassen haben, dass ich gemerkt habe, ich kann das rational verstehen, ich kann versuchen, mich einzufühlen, aber es gibt eine Grenze. Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich weiß es nicht, ich bin nicht Mutter. Wenn ich mit den verlassenen Kindern gesprochen habe, wusste ich sofort, was Sache ist. Ich konnte das sofort nachvollziehen. Und bei den Müttern, das ist die Grenze, und das weiß ich auch. Ich weiß es nicht, wie sich das anfühlt. Mir erzählen eben Mütter auch, ich könnte meine Kinder nie verlassen. Und ich kann immer nur sagen, ich kann es nicht, woher soll ich es wissen? Also ich kann versuchen, mich einzufühlen, aber das ist eben auch die Grenze, das weiß ich nicht. ich kann es nicht, woher soll ich es wissen? Also ich kann versuchen, mich einzufühlen, aber das ist eben auch die Grenze, das weiß ich nicht. Und vielleicht, okay, könnte ich dann, wenn ich selber Kinder gehabt hätte, natürlich meine Mutter besser verstehen nochmal. Wobei ich ja eben auch sage, sie hatte Kinder, wie so Königinnen Kinder haben. Also wir waren eben tatsächlich erst mal auch mit der Kinderfrau sehr eng. Sie hat jetzt nicht so die klassische Mutterrolle überhaupt einnehmen müssen. Jetzt könnten wir philosophisch, theoretisch ja natürlich noch einmal weit ausholen und in die Geschichte der Eltern-Kinder-Liebe zurückgehen und da würden wir wahrscheinlich relativ schnell merken, dass das ja menschheitsgeschichtlich ein sehr junges Konstrukt ist. Dass ja in dieser Form einer persönlichen Beziehung zwischen Eltern und Kindern eigentlich erst in der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts überhaupt zum Thema wird, das gab es vorher in der Form ja auch gar nicht. Aber es ist ja auch egal, wir haben es jetzt und es entspricht sozusagen unseren Bedürfnissen, unseren Wünschen, unseren auch sehr tiefen Sehnsüchten. Und ich glaube, das Buch habe ich auch so gelesen, als das Buch einer Sehnsucht, dass diese Mutter in ihrer ganzen Ambivalenz noch einmal herholt und noch einmal anschaut, was ihr auch miteinander erlebt habt. Und das ist ja eine sehr starke gemeinsame Geschichte, die vielleicht viel stärker ist als eine, wo man jeden Tag gesagt bekommen hätte, wie sehr man sich liebt, weil das ist schnell erzählt. man sich liebt, weil das ist schnell erzählt. Das ist die offenbar ganz starke Bindung, auch wenn man nicht die offensive Liebe zugesagt bekommen hat. Am Ende des Buches schreibst du vielleicht wollte ich von ihr hören, dass sie ehrlich sagt, ich liebe euch nicht oder ich liebe euch. Beides hätte ich nicht ausgehalten. Soll ich dazu noch was sagen? Ich hätte mit diesem Satz das jetzt beschlossen, weil ich bedanke mich an der Stelle bei dir sehr herzlich, auch für das heute sehr offene Gespräch. Danke für die Einladung.