Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zur heutigen Buchpräsentation begrüßen. Vorgestellt wird heute der neue Roman von Kurt Palm, Der Hai im System, erschienen im Leitkampferlad. Ich begrüße Kurt Palm sehr herzlich. Herzlich willkommen. Besonders begrüßen möchte ich auch den Komponisten, Musiker, Tontechniker und Sounddesigner Armin Lehner. Er war unter anderem für die Musik und das Sounddesign bei Kurt Palms Inszenierung This is the End, my friend im Theater Phoenix im heurigen Frühjahr verantwortlich. Ebenfalls herzlich willkommen. Wir vom Stifterhaus freuen uns sehr, dass Kurt Palm seit mehr als zwei Jahrzehnten sehr kontinuierlich seine Bücher bei uns präsentiert. So hat er etwa auch seine beiden letzten Romane, 2017 Strandbadrevolution und 2019 seinen Roman Monster bei uns vorgestellt. Der neue Roman trägt, wie erwähnt, den Titel Der Hai im System und ganz kurz zu den drei Hauptfiguren. Eine der drei Hauptfiguren ist ein namenlos bleibender Mann, ein Ich-Erzähler, der im dritten Stock eines Wohnhauses lebt und dem bereits als Kind von seiner Umgebung, vor allem von seiner gewalttätigen Mutter, jede Empathie und jedes Mitleid mit anderen Lebewesen ausgetrieben wurde. Der Mann beobachtet mit einem Felsstecher vom Fenster aus eine nahegelegene Schule mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Er besitzt ein Sturmgewehr und der Leserin beziehungsweise dem Leser schwant von Anfang an Böses. Franziska Steinbrenner, 36 Jahre alt, ist Lehrerin in eben erwähnter Schule. Sie ist die zweite Hauptfigur. Sie ist geschieden und aufreibende Arbeit mit den Jugendlichen angesichts vieler Mängel im Bildungs- und Integrationssystem, aber auch der Sorgerechtstreit um ihre Tochter hat Franziska Steinbrenner zermürbt. Ohne Alkohol kann sie ihren Alltag fast nicht bewältigen. Dritte Hauptfigur ist Philipp Hoffmann, Polizist. Er ist verheiratet, seine Frau gerade schwanger und er in eine Sexasphäre verstrickt. Die Schule, in der Franziska Steinbrenner arbeitet, liegt in seinem Revier. Bernhard Flier schreibt in seiner Rezension in den Salzburger Nachrichten über die drei Hauptfiguren, Zitat, Zitat, alle lavieren sich irgendwie durch desaströses Bildungs- und Migrationssystem und in die bisweilen bittere Härte jeder Zwischenmenschlichkeit. Nichts geht zusammen, nirgends lauert Rettung. Zitat Ende. Unaufhaltsam treiben auf 260 Seiten die drei Protagonisten aufeinander zu, zieht sich die Schlinge um sie zusammen. Der Schulhof wird schließlich Schauplatz eines unausweichlich scheinenden Showdowns. Bernhard Flieher bezeichnet den Autor Kurt Palm in seiner Rezension deshalb als, Zitat, harten Hund ohne Gnade, mit einem, Zitat, realitätsnahen Blick aufs Scheitern in der Bedrängnis einer Welt im Zerstörungsmodus. Zitat Ende. Der Hai im System ist aber nicht nur schonungslos sezieren, sondern auch sehr spannend. Wir dürfen uns also auf einen sehr spannenden Abend erwarten. Ich bedanke mich bei Kurt Palm und Armin Lehner noch einmal für das Kommen und bitte Sie mit dem Programm zu beginnen. Vielen Dank, Frau Dr. Pinter, für diese tolle Einführung. Ja, harter Hund ohne Gnade, das hat mir irgendwie schon gefallen. Ich bin, wie Sie das erwähnt haben, zum ersten Mal im Jahr 2000 hier aufgetreten. Ich habe damals mein Buch Suppe, Taube, Spargel sehr, sehr gut präsentiert. Im Titel kommt auch ein Tier vor, eine Taube, dieses Mal ist es ein Hai. Im Titel kommt auch ein Tier vor, eine Taube. Dieses Mal ist es ein Hai. Und ich weiß, ich habe es nicht gezählt, wie oft ich seither im die Einladung, danke Ihnen fürs Kommen. Und ich habe sehr viele Lesungen hier im Stifthaus mit Musikbegleitung gemacht. Ich erinnere mich an Auftritte mit Hans-Peter Falkner von Artwenger, mit Christoph Köpf von den Molnar Maultrommlern, mit Peter Guschlbauer und Chris Haller, die mich bei Strandbadrevolution begleitet haben. Und heute ist es auch ein Experiment. Ich muss dazu sagen, alle diese Auftritte waren sozusagen Versuche, Literatur mit Musik zu verbinden. Und es waren eigentlich immer neue Sachen, die wir ausprobiert haben. Und das ist auch heute sozusagen eine Uraufführung, wenn man so will. Also wir präsentieren dieses Programm heute zum ersten Mal in dieser Konstellation. Und das heißt, es ist für den Armin und für mich genauso spannend oder vielleicht sogar noch spannender als für Sie. Und ja, wir schauen einmal, was dabei herauskommt. Frau Dr. Binder, Sie haben das wirklich hervorragend beschrieben. Können Sie die Rezension in den oberösterreichischen Nachrichten irgendwie unterbringen oder sonst in irgendeinem Medium? Haben die was geschrieben? Irgendwer hat gesagt, es ist ein Verriss erschienen, aber ich habe noch nichts. Vielleicht war das ein Irrtum, also vielleicht wollte mich da irgendwer ärgern. Ich habe vorgestern im Internet auf einem Bücherblog, einem deutschen Bücherblog, eine Besprechung meines Buches gesehen. Ich vermute oder ich glaube, er wurde von einer Frau verfasst. Er wurde von einer Frau verfasst. Und diese Besprechung fand ich persönlich sehr treffend und das möchte ich Ihnen vorlesen, damit Sie sozusagen auch noch zusätzlich zu den Informationen, die Sie von Frau Dr. Pinter bekommen haben, noch ein bisschen was erfahren zusätzlich dazu. Dieses Buch ist sehr dicht in allem, in der Handlung, in der Intensität und der ungebändigten Katastrophe, auf die alle zusteuern. Ja, eine thrillerhafte Handlung mit tiefen Kratern und Spuren der Verwüstung, die wir hier erblicken, wenn man in den gesellschaftlichen Abgrund schaut. Denn aus meiner Sicht geht es Kurt Palm nicht um den Grusel, sondern um die menschlichen Tragödien, die uns miteinander verbinden und zugleich entzweien. Das fatale Miteinander, das zu einem Pulverfass werden kann, eine psychologische Analyse. Sprachlich mitreißend und auch mal hart am Limit, aber packend ohne Frage. Dass Kurt Palm Österreicher ist, merkt man dem Text an, was ich immer sehr charmant finde, dass es da doch Unterschiede im Sprachgebrauch gibt. Das Cover ist unglaublich passend zum Buch gestaltet. Nicht nur der Titel wird hier aufgenommen und wiedergespiegelt, auch ist es eine Szene im Buch, die fast so stattfindet, aber nur fast. Wer Quentin Tarantino schaut, kann auch Kurt Palm lesen. Da freut man sich als Autor, als harter Hund ohne Gnade. Fangen wir an, Armin? Die Liebe zur Wurstverkäuferin war nicht schön. Und es war auch gar keine richtige Liebe. Einmal haben wir uns getroffen bei mir. Dann habe ich sie nie wieder gesehen, auch nicht im Supermarkt. Bianca hat sie geheißen. Man hat sie wahrscheinlich versetzt oder sie hat sich versetzen lassen. Keine Ahnung, ist mir auch egal. Dabei ist zwischen uns gar nichts passiert, leider. Ich hatte bereits alles vorbereitet, eine Kerze, gelbe Gummihandschuhe, zwei Dildos und eine CD mit dem Cocksucker Blues von den Rolling Stones. Dass die Sache schiefgelaufen ist, war nicht meine Schuld. Ich war mir sicher, dass sie mit mir, warum nicht? Sie war ja auch eher dick, wie ich. Allerdings war ich damals noch nicht so fett wie heute. Trotzdem wollte sie nicht, weil sie viel zu verklemmt war. Ich habe sie gefragt, ob sie sich einen Pornofilm ansehen möchte, als Vorspiel sozusagen. Ich hatte auch schon einen ausgewählt, einen über fickende Mormonen. Wahrscheinlich hat sie aber gar nicht gewusst, wer da was fickende Mormonen überhaupt sind. Vielleicht hat sie gedacht, dass es sich dabei um Murmeltiere handelt oder um Kormorane, egal. Als ich ihr das mit dem Pornofilm vorgeschlagen habe, ist sie aufgestanden und gegangen. Oder sagen wir so, sie wollte gehen. Aber das wollte ich nicht. Also habe ich sie an den Oberarmen gepackt und festgehalten. Sie hat zu schreien begonnen. Da habe ich dann ein bisschen fester zugedrückt. Ich wollte ja nicht, dass irgendjemand im Haus etwas hört. Okay, einen leichten Stoß habe ich ihr auch versetzt. Aber passiert ist ihr nichts, außer die Ohrfeige hat sie dann zur Besinnung gebracht. Jetzt fangen die Schüler im Pausenhof wieder an herumzuschreien, grauenhaft. Nur wenn es kalt ist oder regnet, habe ich Ruhe. Aber heute ist es heiß, sehr heiß sogar. Durch den Feldstecher sehe ich genau, wer gerade mit wem streitet. Von meiner Wohnung im dritten Stock habe ich freie Sicht auf den Schulhof. Ein paar Mal bin ich hinübergegangen und habe mich beim Direktor beschwert, aber es hat nichts genützt. Da kann man nichts machen, hat er gesagt und dabei die Bleistifte auf seinem Schreibtisch der Größe nach geordnet. In Wirklichkeit hat ihn das gar nicht interessiert. Beim Verlassen des Direktionszimmers haben mich die Schüler am Gang ausgelacht. Fettsack, hat mir einer nachgeschrien und fettes Sau, ein anderer, das waren Jugos oder Türken, deren Väter wahrscheinlich alle schwarz am Bau arbeiten und deren Mütter als Putzfrauen zusätzlich Geld verdienen müssen, damit sie sich ihre Häuser in Serbien oder Anatolien leisten können, die aber nie fertig werden, weil sie ja keine Zeit zum Bauen haben oder weil ihnen ständig die Kohle ausgeht. Dann wohnen sie zu zehnt in zwei Zimmern und bringen sich gegenseitig um. Es hätte ein schöner Abend werden können. Und was macht Bianca? Sie schaut mich entsetzt an. Was hat sie sich erwartet? Dass wir vor dem Ficken noch beten? Wie die polnischen Nutten? Dabei hatte ich die Kerze neben dem Bett schon angezündet. Und die CD war auch schon vorbereitet. Oh, where can I get my cock sucked? Where can I get my ass fucked? Bianca hatte rote Lippen, was sicher kein Zufall war. Rote Lippen soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da. Warum malt sich eine Frau die Lippen rot an, wenn sie nichts von einem Mann will? Mir kann da keiner etwas erzählen. Stiefel hatte sie auch an. Es war zwar Winter, trotzdem hätte sie ihre Stiefel ausziehen können, aber sie wollte nicht. Um jederzeit flüchten zu können? Sie hat so komisch geschaut und mich gefragt, weshalb in meiner Wohnung so viele Kisten herumstehen und warum meine Fenster mit Zeitungspapier zugeklebt sind. Ich habe mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass ich in den Kisten alles aufbewahre, was mir wichtig ist. Zum Beispiel mein Sturmgewehr 77, volles Magazin, 42 Schuss, Halbautomatik, 4 Kilo, sehr handlich. Aber das habe ich Bianca natürlich nicht gesagt. Stattdessen habe ich ihr erzählt, dass ich meine Gitarre darin aufbewahre und dass ich früher in einer Band gespielt habe. Ist schon lange her. Wir haben harte Sachen gespielt. Keine Schmachtfetzen wie Melancholie, oh oh oh oh. Im September, das ist alles, was mir blieb von dir. Am Land sind wir besonders gut angekommen, da mussten wir ab und zu auch solche Schlager spielen, weil die Weiber so darauf abgefahren sind. Tiefe Geschichten waren das. sind. Tiefe Geschichten waren das. Am wildesten ist es bei den Hochzeiten zugegangen, da wurde gesoffen, bis sich keiner mehr ausgekannt hat. Oft hat die Braut nicht mehr gewusst, mit wem sie gerade bumst. Ganz in weiß, mit einem Blumenstrauß. Und am nächsten Tag war alles aus. Natürlich gab es auch viele Schlägereien. Wie ich das alles ausgehalten habe, weiß ich nicht. Damals war ich noch fit. Heute bin ich ein Wrack. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Moment, was raschelt da? Da raschelt doch etwas hinter einer der Kisten. Um Gottes Willen, wenn das Mäuse sind, drehe ich durch. Obwohl es mir eigentlich egal sein könnte. Voriges Jahr habe ich einmal Mäuse gehabt. Ich habe sofort bei der Hausverwaltung angerufen und mich darüber beschwert, dass es im Haus Mäuse gibt. Die Frau am Telefon hat gesagt, dass es noch nie Beschwerden wegen Mäusen gab und dass ich jemanden vorbeischicken werde. Ich habe das natürlich abgelehnt. wegen Mäusen gab und dass ich jemanden vorbeischicken werde. Ich habe das natürlich abgelehnt. In meine Wohnung lasse ich niemanden herein, außer Frauen wie Bianca. Ich habe mir dann ein paar Mausefallen gekauft und im Laufe einer Woche tatsächlich ein Dutzend Mäuse gefangen. Dann war Schluss. Wie die in meine Wohnung gekommen sind, ist mir ein Rätsel. Mit den Kakerlaken war es genau dasselbe. Plötzlich waren sie da. Und sie waren riesig. Zuerst habe ich gar nicht gewusst, was das für Tiere sind, weil sie ziemlich schnell waren. Dann habe ich gemerkt, dass sie gerne Bier mögen. Also habe ich Bier in eine Untertasse geleert und gewartet, bis sie der Reihe nach aus ihren Verstecken gekrochen kamen, so wie die Tiere bei den Wasserstellen im Dschungel oder in der Wüste, was weiß ich. Sobald sie mit dem Trinken angefangen haben, habe ich mit dem Schuh auf sie eingeschlagen. Weil Kakerlaken einen sehr dicken Panzer haben, hat es immer ordentlich geknackt, wie wenn man jemandem einen Knochen bricht. Das Geräusch kannte ich von früher. Es war eine ziemliche Sauerei, weil einige von ihnen voll mit Eiern waren, Kakerlaken fressen sogar die Überreste ihrer toten Artgenossen. Kein schöner Anblick, auch wenn Kannibalismus im Tierreich weit verbreitet sein soll. Angeblich gibt es sogar Riesenechsen, die es mit toten Weibchen treiben. Das muss man sich einmal vorstellen. Obwohl ich selbst auch einmal... Kakerlaken sind auch in der Nacht unglaublich aktiv. Schlimm war, dass sie oft im Schlaf an meinen Mundwinkeln gesaugt haben und zwar dort, wo sich Bierreste angesammelt hatten. Einmal habe ich in meinem Schrecks tatsächlich eine verschluckt. Die ist mir im Hals stecken geblieben. Ich habe gedacht, ich sterbe. Wenn sich Kakerlaken einmal in einer Wohnung eingenistet haben, ist es schwer, sie wieder loszuwerden. Die legen nämlich tausende Eier. Ich habe das gesehen, weil sie unter einem Haufen gebrauchter Papiertaschentücher neben meinem Bett Eier abgelegt haben. Hunderte winzige Kakerlaken sind dort herumgekrochen. Es hat ausgesehen wie in einem Horrorfilm. Mein Leben war auch ein Horrorfilm. Bianca, Bianca, ewig schade um die roten Lippen. Aber eigentlich ist das alles gar nicht mehr wichtig. Ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass nichts mehr von Bedeutung ist. Mir ist sogar egal, ob die Wohnung über mir wieder vermietet wird, obwohl gar nicht klar ist, ob diese Japanerin tatsächlich ausgezogen ist oder ob sie nur eine Reise gemacht hat, eine lange Reise. Es geht eine Träne auf Reisen. Jedenfalls war das die Hölle. Da gibt es weltweit mindestens eine Milliarde Wohnungen und dann muss diese Yumiko Kobayashi ausgerechnet in die Wohnung über mir einziehen. Einen Lotto 6 habe ich nie gemacht. Dafür ist eine Geigenspielende Japanerin über mir eingezogen. So viel Pech musst du erst einmal haben. Am Anfang habe ich mir noch nichts dabei gedacht, obwohl mir gleich beim ersten Geigenton Übles schwante. Viele Japanerinnen fahren ja nach Wien, um hier ein Instrument zu lernen. Weiß der Teufel warum? Japan hat 126 Millionen Einwohner, aber anscheinend keine Geigenlehrer. Diese Yumiko Kobayashi hat also jeden Tag Geige gespielt. Nein, falsch. Sie hat Geige geübt. Und zwar tagelang das gleiche Stück. Das treibt jeden normalen Menschen in den Wahnsinn. Ich habe mich auf die Leiter gestellt und das Geigengekratze aufgenommen. Zum Beweis, man kann ja nie wissen, das Gurgeln im Badezimmer, das gekläffter Hunde, das Geschrei der Frauen beim Orgasmus oder wenn sie geschlagen werden, das Quietschen der Straßenbahn, das Scheppern der Gastherme, das Gurren der Tauben, das Getrampel der Kinder, das Knarren der Sesselleisten, das Plärren der Babys, das Geschrei der Schüler im Pausenhof. Alles habe ich aufgenommen. Oft hat man die Geräusche aber gar nicht mehr gehört, weil das Rauschen des Tonbands lauter war als die Aufnahme selbst. Yumiko heißt auf Deutsch übrigens schönes Kind. Den Namen muss diese Yumiko allerdings zu einem Zeitpunkt bekommen haben, als man noch nicht wissen konnte, wie sie später einmal aussehen wird. Schön ist sie jedenfalls nicht gewesen und Obeine hatte sie auch, wie die meisten Japanerinnen. Jetzt knarren wieder diese Sesselleisten, vielleicht wegen der Hitze. Ich habe mir extra einen Silikonfugendichter gekauft, der oben hineingedrückt wird, damit die Leisten keinen Spielraum mehr haben. Der Verkäufer im Baumarkt hat mich nur blöd angeschaut, als ich ihm mein Problem geschildert habe. Knarrende Sesselleisten? Nie gehört. Dem hätte ich wahrscheinlich zuerst einmal erklären müssen, was Sesselleisten überhaupt sind. Woher kommen eigentlich die Arbeitskräfte in den Baumärkten? Sind das Freigänger aus den Gefängnissen oder Leute, die man bei der Post hinausgeschmissen hat? Aber warum die Sesselleisten trotz Silikonfugendichter wieder knarren, ist mir ein Rätsel. Wie so vieles andere im Leben auch. Ich habe das Gekratze der Japanerin mindestens drei oder vier Mal aufgenommen. Ich wollte ja wissen, was das für ein Stück ist, mit dem sie mich da täglich quält. Also bin ich in einen Musikladen gegangen und habe die Aufnahme einer Verkäuferin vorgespielt. In den großen CD-Geschäften kann man ohnehin niemanden fragen. vorgespielt. In den großen CD-Geschäften kann man ohnehin niemanden fragen. Das sind ja alles ungeschulte Metzger oder Konditorlehrlinge, die außer Lady Gaga und Katy Perry niemanden kennen. Die Frau im Musikladen hat das Stück zwar auch nicht gekannt, aber ein Kunde, der zufällig anwesend war, hat gleich gewusst, was es ist. Das Gekratze war demnach Teil der instruktiven Übungsstücke für Violine in verschiedenen Lagen und Sticharten Opus 31 eines gewissen Karl Henning, Karl mit C. Das muss man sich einmal vorstellen. Da fliegt diese Yumiko Kobayashi 9132 Kilometer von Tokio nach Wien, um mich mit Übungsstücken eines Herrn Karl Henning mit C zu quälen. Und dann unterzeichnen sie ausgerechnet in Japan das Kyoto-Protokoll über den Klimaschutz. Diese Idioten sollen mit dem Klimaschutz zuerst einmal im eigenen Land beginnen und allen Japanerinnen verbieten, in Wien ein Musikinstrument zu lernen. Was glauben die eigentlich? Dass hier die Geigen auf den Bäumen wachsen und Johann Strauss an jeder Straßenecke spielt? In Wirklichkeit scheißen die Hunde auf die Straße und die besoffenen Schiffen ungeniert gegen die Hausmauern. Habe ich auch gemacht früher. Aber das ist diesen Yumiko und Sakura, so wie sie alle heißen, vollkommen egal. Die sind glücklich, wenn sie in Wien instruktive Übungsstücke für Violine in verschiedenen Lagen und Sticharten Opus 31 von Carl Henning Karl mit C spielen können. Ich habe zweimal nachschauen müssen, aber das heißt tatsächlich Sticharten. Ich dachte immer, dass es sich bei der Geige um ein Streichinstrument handelt und nicht um ein Stichinstrument. Vielleicht hat das Gekratze dieser Yumiko aber auch deshalb so grauenvoll geklungen, weil sie auf ihre Violine eingestochen hat. Jetzt bellt wieder dieser verdammte Köter im Nachbarhof, aber heute wird reiner Tisch gemacht. Das Problem mit dieser Yumiko war ja nicht nur das Geigenspiel, sondern auch dieses unerträglich laute Getrampel in ihrer Wohnung. Anfangs wusste ich gar nicht, was das ist. Erst am dritten oder vierten Tag habe ich mitbekommen, dass diese wahnsinnige Holzschuhe trägt. Kaum hat sie die Wohnung betreten, ist sie schon in ihre Holzschuhe geschlüpft und keine fünf Minuten später ist das Geigengekratze losgegangen. Vorher wird sie noch irgend so einen japanischen Fraß verschlungen haben, Sushi oder Kimchi oder wie dieses verdorbene Zeug heißt, von dem man nur fürchterliche Blähungen bekommt. Natürlich habe ich immer sofort an die Decke geklopft, wenn sie einen Schritt gemacht hat. Aber das war Yumiko vollkommen egal. Wahrscheinlich hat sie gedacht, dass das normal ist, wenn jemand klopft. Ich habe ja keine Ahnung, wie die Japaner wohnen, aber soviel ich weiß, sind dort die Häuser so gebaut, dass praktisch jeder jeden hören kann. Ein Albtraum. Aber ich glaube, dass es mit den Erdbeben zusammenhängt. Deshalb sind die Wände in den Häusern ja auch so dünn. Wenn dort einer furzt, rennen die Nachbarn sofort auf die Straße, weil sie glauben, dass die Erde bebt oder dass ein Vulkan ausgebrochen ist oder dass ein Atomkraftwerk in die Luft geflogen ist. Sobald diese Yumiko also den ersten Schritt in der Wohnung gemacht hat, habe ich mit dem Besenstiel gegen die Decke geklopft, wodurch sich im Laufe der Zeit leider Dellen gebildet haben. Einen Zusatzbesen hatte ich auch immer griffbereit neben dem Bett. Da habe ich mir so eine Verlängerung gebaut, damit ich nicht extra aufstehen musste und die Zimmerdecke auch im Liegen erreichen konnte. Das Blöde war nur, dass irgendwann der Putz zu rieseln begonnen hat und das ganze Zeug genau auf meinem Kopfpolster gelandet ist. Nach einer Woche hat es mir dann gereicht und ich habe ihr einen Zettel an die Tür geklebt. Please, could you be so kind and take off your wooden shoes when you walk in your room? Ich habe natürlich mit verstellter Schrift geschrieben und ohne meinen Namen zu nennen. Ich war ja sicher nicht der Einzige im Haus, den das gestört hat. Es hätte also jeder sein können. Vielleicht hat sie die Nachricht nicht verstanden, weil ich für die Übersetzung mein altes Wörterbuch aus der Hauptschule verwendet habe. Die Holzschuhe ausgezogen hat sie jedenfalls nicht. Keine Spur von Einsicht. Ich habe ihr dann einen zweiten Zettel geschrieben. Your wooden shoes are so loud that I cannot sleep. I ask you again to put off your wooden shoes when you are at home. Wieder nichts. Sobald sie nach Hause gekommen ist, habe ich mit dem Besenstiel zu klopfen begonnen, noch bevor sie den ersten Schritt gemacht hat. Aber sie hat sich dumm gestellt. Beim dritten Mal habe ich nur noch einen Zettel mit einem Totenkopf an die Tür gehängt. Auch das war ihr egal. Pech für sie. Jetzt ist die Wohnung leer. Wer nicht hören will, muss fühlen. Das hat meine Mutter auch immer zu mir gesagt. Wer nicht hören will, muss fühlen. Wenn ich als Kind geheult habe, bin ich von ihr verdroschen worden. Sie hat mich auch nie getröstet oder so. Ich kann mich noch gut erinnern. Einmal hat sie mir aus unerfindlichen Gründen einen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Da war ich vielleicht sieben oder acht. Ich war so überrascht, dass ich Danke gesagt habe. Daraufhin hat sie einen Wutanfall bekommen und mir links und rechts eine geknallt, dass ich nur noch Sterne gesehen habe und tagelang Ohrenschmerzen hatte. Zum Arzt durfte ich nicht gehen, weil sie sonst Probleme bekommen hätte, diese verdammte Sau. Jetzt steigt wieder dieser Hass in mir auf und mein Blick bleibt beim Sturmgewehr hängen, das neben dem Fenster lehnt. Die Waffe wirkt beruhigend auf mich, weil sie bedeutet, dass ich heute alles unter Kontrolle habe. Ob mein Vater überhaupt gewusst hat, dass es mich gibt? Vielleicht ist es auch besser, dass ich ihn nie kennengelernt habe, weil wenn er genauso gewesen wäre wie meine Mutter, dann... Ein einziges Mal bin ich auf einen Skikurs mitgefahren, den hat meine Tante bezahlt. Einer der Lehrer hat mich am Abend auf sein Zimmer bestellt, weil ich auf der Piste einen anderen Schüler absichtlich von hinten umgenietet habe. Das war aber nur ein Vorwand. Der Lehrer ist nämlich schon im Bett gelegen und hat gesagt, ich soll mich auf den Sessel neben dem Bett setzen. Er hat mir gedroht, dass er mich nach Hause schicken wird. Ich habe aber sofort gemerkt, dass er ziemlich nervös war. Plötzlich hat er meine Hand genommen und unter die Bettdecke geschoben. Ich war 13 und wusste genau, was er wollte. Meine Freunde und ich haben uns im Park oder im Keller ja gegenseitig oft einen runtergeholt. Entweder sie geben mir Geld oder ich gehe zur Polizei, habe ich gesagt. Ich war ganz ruhig, während ich seinen pulsierenden Schwanz ganz fest gedrückt habe. Er hat Panik bekommen und hat mir 100 Schilling gegeben. Aber es dürfte ihm gefallen haben, weil ich ein paar Wochen später nachsitzen musste. Da ist er gekommen und hat gesagt, er gibt mir wieder einen Hunderter, wenn ich seinen Schwanz in den Mund nehme. Natürlich habe ich es gemacht. Mir war das egal. Aber ein paar Wochen später war er weg. Wahrscheinlich war ich nicht der Einzige, der mir einen geblasen hat. Wenn es mir zu Hause zu viel geworden ist, bin ich geflüchtet. Ich bin dann mit ein paar windigen Typen aus der Nachbarschaft herumgezogen. Wir haben geraucht und getrunken und Mädchen ausgegriffen. Von denen gab es genug in den Hinterhöfen und Parks. Wenn es kalt war, sind wir in die Keller gegangen, da hat uns niemand gestört. Romantisch ist es nicht gewesen, aber das war uns egal. Einmal hat eine gesagt, dass ich stinke und mich waschen soll, weil sie sich sonst nicht mehr von mir ausgreifen lässt. So eine blöde Sau. Du stinkst ja selbst, habe ich gesagt. In der Nacht habe ich dann geduscht. Unsere Dusche stand mitten in der Küche und plötzlich hat meine Mutter den Plastikvorhang zur Seite gezogen und so komisch geschaut. Sie war wieder einmal betrunken und hat gesagt, dass sie mich einseifen möchte. Ich habe geglaubt, ich spinne. Meine eigene Mutter, sie wollte tatsächlich meinen Pimmel anfassen. Da habe ich ihr einen Stoß versetzt, dass sie hingefallen ist. Am nächsten Tag hatte sie überall blaue Flecken, aber gesagt hat sie nichts. Meine Mutter ist im Badezimmer auf dem Boden gelegen, als ich sie gefunden habe. Kurz vor ihrem Tod hat sie eine neue Wohnung bekommen, also neu war sie nicht, aber immerhin hatte sie ein Badezimmer. Da ist sie gelegen und ich habe mir nur gedacht, recht geschieht dir du Sau. Vielleicht hat sie sogar noch gelebt, das weiß ich nicht mehr, weil ich ziemlich zugedröhnt war. In diesem Zustand konnte ich natürlich nicht die Rettung rufen. Also habe ich mich auf die Couch gelegt und nach ein paar Stunden, als ich wieder halbwegs klar im Kopf war, habe ich im Badezimmer nachgesehen. Da war sie dann wirklich tot. Aber sie hat von all dem ohne ihn nichts mehr mitbekommen, weil sie Alzheimer hatte und in ihrem Wahn die Fenster mit Zeitungspapier zugeklebt hat, weil sie überzeugt war, dass ständig jemand beim Fenster hereinschaut. Dabei war das nur ihr eigenes Spiegelbild. Den Spiegel hat sie auch zugeklebt. Geerbt habe ich nichts, außer dass ich die Fenster in meiner Wohnung auch mit Zeitungspapier zugeklebt habe. Geld für einen Grabstein gab es auch keines, also haben sie sie wahrscheinlich in einem armen Grab verscharrt. Ist mir vollkommen egal. Ich bin nicht einmal zu ihrem Begräbnis gegangen. Wozu auch? Norske Rundforskning Thank you. Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Zipralek Nach dem Frühstück hat Jürgen S. eine Zipralex genommen. Ohne Rücksprache mit seiner Ärztin hat er die Dosis von 5 auf 20 Milligramm erhöht. Aber er fühlt sich immer noch, als wäre er in Watte gepackt. Es fällt ihm schwer, die Umwelt als etwas Reales wahrzunehmen. Die dritte Nacht in Folge hat er kaum geschlafen und er spürt, wie sich eine ungeheure Müdigkeit in seinem Körper ausbreitet. Außerdem hat er Kopfschmerzen und ihm ist übel. Er steht vor dem Aquarium mit dem blauen Hintergrund, in dem sich die Kanonenkugelquallen nach einer geheimnisvollen Choreografie bewegen. Schwerelos schweben die galärtartigen Tierchen im Wasser und bilden bizarre Formationen. Er hält seine fünfjährige Tochter Sophia an der Hand und versucht, wenigstens auf diese Weise einen Kontakt zu ihr herzustellen, was ihm aber nicht gelingt. Er hätte nicht einmal sagen können, ob es seine oder ihre Hand ist, die schwitzt. Unbeteiligt verfolgt er den Tanz der Nesseltiere und fragt sich, warum er nicht als Qualle geboren wurde. Sophia verzieht das Gesicht. Sind die giftig? Jürgen S. wirft einen Blick auf den Monitor, der neben dem Aquarium an der Wand hängt. Nein, in Asien werden diese Quallen sogar gegessen und in der Medizin verwendet man sie gegen Bluthochdruck, Bronchitis und Arthritis. Sophia ist verwirrt. Was? Sie zieht das A in die Länge, um zu unterstreichen, dass sie von Bluthochdruck, Bronchitis und Arthritis keine Ahnung hat. Ich möchte die nicht essen. Die sehen so slabberig aus. Nach einer kurzen Pause fragt sie, ist das Wasser auch aus Sternenstaub? Was? Ist das Wasser auch aus Sternenstaub? Aus Sternenstaub? Ja, alles ist aus Sternenstaub. Ich bin aus Sternenstaub und du auch? Wenn alles aus Sternenstaub ist, muss das Wasser auch aus Sternenstaub und du auch? Wenn alles aus Sternenstaub ist, muss das Wasser auch aus Sternenstaub sein. Jürgen S. zuckt drahtlos mit den Schultern, das weiß ich nicht. Wer hat dir das erzählt, dass alles aus Sternenstaub ist? Melanie, die hat es in einem Film gesehen. Komm, gehen wir zur großen Sildkröte. Sophia zieht ihren Vater weg vom Aquarium, bleibt aber gleich wieder stehen, als ein Buggy an ihnen vorbeigeschoben wird. Gebannt starrt sie in den Wagen, in dem ein Baby schläft. Jürgen S. hätte gerne gewusst, weshalb seine Tochter so fasziniert von Babys ist. Aber wahrscheinlich ist das normal für Mädchen in ihrem Alter. Jetzt fällt ihm ein, dass sie Sophias Puppe im Auto vergessen haben. Er kann kaum noch die Augen offen halten und spürt, dass sein Herz viel zu schnell schlägt. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass wieder eine der gefürchteten Panikattacken im Anmarsch ist. Sein Handy klingelt. Erschrocken holt er es aus seiner Hosentasche. Er hofft, dass es nicht seine Ex-Frau Franziska Steinbrenner ist. Er sieht, dass es eine unbekannte Nummer ist und schaltet es aus. Wahrscheinlich wollte sich die Leiterin des Kindergartens erkundigen, ob mit Sophia alles in Ordnung ist. Eigentlich hätte er seine Tochter ja gar nicht abholen dürfen, aber nachdem er in der Früh erfahren hatte, dass seiner Exfrau das alleinige Sorgerecht für Sophia zugesprochen worden war, wollte er mit seiner Tochter noch einmal alleine sein. Also war er auf gut Glück zum Kindergarten gefahren und tatsächlich hatte die neue Kindergärtnerin nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass er Sophia abholte. Warum auch, schließlich war er ihr Vater. Ein Jahr lang war Jürgen S. im Aqua Terra Zoo ein- und ausgegangen, nachdem das Architekturbüro, in dem er bis vor kurzem gearbeitet hat, mit der Neugestaltung der Fassade und des Obergeschosses beauftragt worden war. Das ist auch der Grund, weshalb er immer noch die Schlüsselkarte besitzt, die er eigentlich schon längst hätte abgeben müssen. Jürgen S. hofft, keinem der Angestellten zu begegnen. Jedes Gespräch wäre ihm heute schwergefallen. Komm, gehen wir, sagt er müde zu seiner Tochter, die Schildkröte wartet. Sophia hätte dem schlafenden Baby gerne noch länger zugesehen, aber nach kurzem Zögern folgt sie dann doch ihrem Vater. Sie greift nach seiner Hand und schmiegt sich wegen der vielen Menschen enger an ihn. Jürgen S. bekommt eine Gänsehaut, weil er die Nähe seiner Tochter nicht mehr gewohnt ist. Überhaupt hat er schon lange keinen körperlichen Kontakt mehr gespürt. Auf einem Monitor liest er, dass die Fütterung der Haifische um 15.30 Uhr stattfindet, solange wird er nicht durchhalten. Vor dem Terrarium mit drei riesigen Anacondas bleiben sie stehen. Eine der Schlangen hat ihren massigen Körper gegen das Glas gedrückt und ein paar Kinder machen sich einen Spaß darauf, ihre Hände ebenfalls gegen das Glas zu drücken. Wie geht ist das eklig, kreischt eine junge Mutter. Hoffentlich bricht das Glas nicht, dann würden euch die Schlangen nämlich auffressen. Sophia wirft ihrem Vater einen fragenden Blick zu. Jürgen S. zuckt bloß mit den Schultern. Im Sekundentakt werden Handyfotos von den Schlangen gemacht. Argwöhnisch beobachtet Sophia die erstaunlich dicken Anacondas, die regungslos in ihrem Gefängnis verharren. Jürgen S. weiß nicht, wie viel Platz Anacondas in ihrer natürlichen Umgebung haben und er fragt sich, ob den Tieren überhaupt bewusst ist, dass sie für immer eingesperrt sind. Ich wünsche mir zum Geburtstag eine Tonybox. Melanie hat auch eine von ihrem Vater bekommen. Eine Tonybox? Was ist eine Tonybox? Da kann man Gesichter hören und auch Musik spielen. In Ordnung, ich werde es mir überlegen. In einer durchsichtigen Kunststoffröhre, die in Augenhöhe an den Gangwänden angebracht ist und über mehrere Stockwerke des Aquaterra-Zoos verläuft, schleppen Ameisen unermüdlich Materialien zu einem Bau, der sich in einem anderen Teil des Gebäudes befinden muss. Gibt es diese Röhre schon länger? Während der Umbauzeit ist sie ihm jedenfalls nicht aufgefallen. aufgefallen. Sie betreten einen abgedunkelten Raum, in dem in schummrigen Terrarien verschiedene Spinnen ihr trauriges Dasein fristen. Bei der riesigen Vogelspinne ist sich Jürgen S. nicht sicher, ob das Tier echt ist oder ob es sich um ein Präparat handelt. Lange starrt er die pelzige Spinne an, die entweder schläft, sich totstellt oder eine Leihgabe des Naturhistorischen Museums ist. Totstellen wäre auch eine Lösung, denkt er. Möchtest du die Krokodile sehen, fragt er um seiner Tochter zu signalisieren, dass er den Ausflug mit ihr ernst nimmt. Vor Krokodilen habe ich Angst, antwortet Sophia. Wenn es nur die Krokodile werden, denkt Jürgen S., dessen Herz immer heftiger schlägt. Er atmet tief durch, ohne dass sich sein Zustand dadurch bessern würde. Treiben Sie regelmäßig Sport, sorgen Sie für ausreichend Schlaf, essen Sie kleinere Mahlzeiten und meiden Sie Koffein, Nikotin und psychoaktive Drogen, hat ihm seine Psychiaterin gesagt. Die machten es sich leicht, die Ärzte. Papa, Sau, was ist denn das für ein hässliches Tier? Das Wort Papa lässt Jürgen S. zusammenzucken. Er hat es schon lange nicht mehr gehört. lässt Jürgen S. zusammenzucken. Er hat es schon lange nicht mehr gehört. Sophia deutet auf einen chinesischen Riesensalamander, der in der Tat abschreckend aussieht. Jürgen S. ist während der Zeit des Umbaus oft vor dem Aquarium gestanden und hat sich gefragt, weshalb dieses Tier, das in China in Bächen und Flüssen lebt, überhaupt bejagt wird. Bächen und Flüssen lebt, überhaupt bejagt wird. Essen die Chinesen tatsächlich solche Riesensalamander, die bis zu zwei Meter lang werden? Bei der Vorstellung, Salamanderfleisch essen zu müssen, wird ihm so übel, dass ihm fast das Frühstück hochkommt. Zum Glück hat er am Morgen kaum etwas gegessen. Das ist ein chinesischer Riesensalamander, der ist harmlos. Aber der ist größer als ich, kann mich der fressen? Jürgen S. versucht zu lächeln, nein, der ernährt sich von Fischen und Krebsen. Ich mag zur großen Sildkröte, quengelt Sophia und zieht ihren Vater weg vom Riesensalamander. Flora hat zwei Sildkröten und darf sie sogar streicheln. Warum bekomme ich keine Sildkröten? Da musst du Mama fragen, antwortet Jürgen S. nüchtern. Aber Mama sagt immer, dass Sildkröten oft krank sind und dass sie dann zum Tierarzt müssen. Das weiß ich nicht. Ich kenne mich mit Sildkröten nicht aus. Sophia scheint über die Antwort ihres Vaters nachzudenken. Komm, fahren wir mit dem Aufzug. Zum Treppensteigen ist er zu müde. In der Liftkabine riecht es nach Fastfood und Putzmittel. Jürgen S. lehnt sich an die Kabinenwand und schließt die Augen. Er ist froh, dass er alleine ist. Bist du müde? fragt Sophia. Nur ein bisschen. Sophia sieht ihren Vater an. Stirbst du zuerst oder die Mama? Jürgen S. öffnet verwirrt die Augen. Warum fragst du? Weil du älter bist und wer alt ist, stirbt. Naja, nicht jeder, der alt ist, stirbt. Es sterben auch junge Menschen. Auch Kinder? Ja, auch Kinder. Aber warum? Der Aufzug stoppt, sie steigen aus. Weil, ja, weil auch Kinder krank werden können und dann sterben. Er hasst sich für diese Antwort, aber ihm fällt nichts anderes ein, auch wenn die Wahrheit wehtut und vielleicht nicht kindgerecht ist. Ich möchte aber nicht sterben. Sophia ist den Tränen nahe. Du wirst auch nicht sterben. Komm, gehen wir. Vor dem riesigen Aquarium mit der Rifflandschaft drängt sich ein Pulk von Kindern, von denen eines einen herzförmigen Luftballon mit der Aufschrift Happy Birthday in der Hand hält. Die Kinder tragen Pappkronen eines Fastfood-Restaurants, viele von ihnen sind übergewichtig und wahrscheinlich jetzt schon zuckerkrank oder werden es in naher Zukunft sein. Neben dem Mädchen mit dem Luftballon steht eine Mitarbeiterin des Aquaterra-Zoos. Die Frau klatscht in die Hände. So, nachdem sich Betty zu ihrem Geburtstag einen Besuch bei unserer berühmten Schildkröte gewünscht hat, werde ich euch jetzt etwas über ihr Leben erzählen. Sophia sieht ihren Vater an, der ihr aufmunternd zunickt, woraufhin sie sich unter die Gruppe mischt. Ein Junge in der Gruppe wirft Sophia wegen ihrer fehlenden Pappkrone einen abfälligen Blick zu. Nicht nur ihr, sondern auch unsere Riesenschildkröte hat einen Namen und zwar heißt sie Puppi. Dort ist sie, ruft ein Mädchen und tatsächlich taucht in diesem Augenblick die Schildkröte auf und schnappt nach etwas Essbarem, das wie ein Büschel Gras aussieht. Ein paar Kinder machen Handyfotos, dann verschwindet die Schildkröte wieder hinter einer Felsformation. Dann verschwindet die Schildkröte wieder hinter einer Felsformation. Jürgen S. hat sich in der Zwischenzeit von der Gruppe entfernt und sich auf einen Stuhl gesetzt. Er versucht ruhig zu atmen, aber die Angst lässt sich nicht abschütteln. Sie scheint sich in seinem Inneren festgekrallt zu haben. Er kratzt sich am Unterarm und fixiert einen Punkt an der Wand. Wenn er allein gewesen wäre, hätte er sich jetzt einfach auf den Boden gelegt und geschlafen. Reflexartig holt er sein Handy hervor und schaltet es ein. Fünf Anrufe in Abwesenheit, alle von dieser ihm unbekannten Nummer, wahrscheinlich der Kindergarten. Er schaltet das Handy wieder aus und geht zur Geburtstagsgruppe zurück. Die Frau zahlte einen Dollar für die winzige Babyschildkröte, die sie damit vor dem sicheren Tod rettete. In ihrer Handtasche schmuggelte sie Puppi nach Wien, wo sie ein eigenes Aquarium bekam und sich gleich wie zu Hause fühlte. Jürgen S. kommt sich vor wie in einer Märchenstunde. Während die Betreuerin weitererzählt, beobachtet er die Riffhaie und die riesen Zackenbarsche, die unaufhörlich ihre Runden drehen. Für sie gibt es kein Entkommen, genau wie für ihn. Es ist jetzt 14 Uhr. In eineinhalb Stunden beginnt die Fütterung der Haifische. Ich muss raus hier. Aber Sophia scheint von Puppis Lebensgeschichte ganz begeistert zu sein. Jürgen S. macht ein paar Schritte Richtung Treppe und greift in seine Hosentasche, in der sich neben seinem Mobiltelefon auch die Schlüsselkarte befindet. Er geht die Stufen bis zum nächsten Stockwerk hoch und bleibt vor der Tür mit der Aufschrift Technikraum, Haibecken, Zutritt nur für Berechtigte stehen. Von hier gelangt man zu einer Plattform, von der aus Techniker, Biologen und Fischkundler einen direkten Zugang zum Wasser haben. Ohne lange zu überlegen, öffnet er mit seiner Schlüsselkarte die Tür. Die Salzaufbereitungsanlage arbeitet auf Hochtouren, aber das nimmt Jürgen S. gar nicht mehr wahr. Nachdem er die Plattform erreicht hat, hält er für einen Augenblick inne, bevor er sich wie in Trance bis auf seine Boxershorts auszieht. Das Wasser ist glasklar, so wie das Meer an jenem Tag, an dem sein Leben plötzlich stillstand. Er war mit Anita nach Griechenland gefahren, um das Ende seines Architekturstudiums zu feiern. In einem kleinen Dorf an der Südküste Kretas verbrachten sie zwei unbeschwerte Wochen. Nach einer Zeit ständiger Streitereien fühlte sich Jürgen beflügelt. Ein Boot wollte er chartern, um mit ihr den letzten Urlaubstag in einer einsamen Bucht zu verbringen. Der Bootsvermittler hatte ihn vor dem Sturm gewarnt, aber der Himmel war wolkenlos, das Meer windstill. Sie waren alleine in der Bucht, sie tranken Wein, sie liebten sich und er schlief mit der Gewissheit ein, dass sie zusammenbleiben würden. Dann kam der Wind. Es ging alles so schnell, der Himmel verdunkelte sich. Auf halbem Weg zum Hafen war der Wellengang bereits so hoch, dass Jürgen den Felsen übersah. Durch den Aufprall wurde Anita aus dem Boot geschleudert und kam dabei mit einer Hand in die Schiffsschraube. Erst nach mehreren Versuchen gelang es Jürgen, den Motor abzustellen. Das Boot wurde sofort abgetrieben. Anita schrie verzweifelt um Hilfe. wurde sofort abgetrieben. Anita schrie verzweifelt um Hilfe. Als er das Boot wieder in ihre Richtung manövrierte, war sie bereits in den dunkelgrauen Wellen versunken. Ihr Leichnam wurde mit demselben Flugzeug transportiert, mit dem auch er nach Hause flog. Zu seinem Entsetzen musste er nach der Landung mit ansehen, wie der Sarg noch vor dem Gepäck aus dem Frachtraum geholt wurde. Seither nagen die Schuldgefühle an ihm wie eine Ratte. Jürgen S. stellt sich an den Rand der Plattform, atmet tief ein und landet mit einem Kopfsprung im Haifischbecken. Das Wasser brennt in seinen Augen. Mit kräftigem Tempi taucht er nach unten. Und schon nach wenigen Sekunden sieht er hinter dem Glas leicht verzerrt die Kindergruppe. Ein Mädchen mit einer Papierkrone auf dem Kopf deutet aufgeregt in seine Richtung. Sofort sind alle Handys auf ihn gerichtet. Blitzlichter zucken. Und für einen kurzen Moment kann auch die Mitarbeiterin des Aqua Terra Zoos erkennen, die ihn mit offenem Mund anstarrt. Er merkt, wie ihm langsam die Luft weg bleibt und es ihm immer schwerer fällt, gegen den Auftrieb anzukämpfen. Sophia hat sich nach vorne gekämpft und stemmt ihre kleinen Hände gegen das Glas, so als würde sie versuchen, die Barriere zu durchstoßen, die sie von ihrem Vater trennt. Tränen laufen über ihre Wangen, aber Jürgen S. weiß, dass es kein Zurück mehr gibt. Mit letzter Kraft hält er sich an den gezackten Steinen des Riffs fest und blickt Sophia tief in die Augen. In seinen Ohren dröhnt es und auch wenn seine Lungen zu platzen drohen, lässt er die Steine nicht mehr los. Der Schmerz in seinem Körper wird immer unerträglicher und er beginnt Wasser zu schlucken. Die Haifische kommen langsam näher und umkreisen ihn plötzlich, steuert der größte Hai auf ihn zu und verbeißt sich in den Oberarm des Eindringlings. Bevor es um ihn herum dunkel wird, sieht Jürgen S. noch, wie seine Tochter mit ihren winzigen Fäusten verzweifelt gegen das Glas des Aquariums trommelt. Dann färbt sich das Wasser langsam blutrot. Heute ist der Tag der Abrechnung. Es ist jetzt genau 15 Uhr, die Stunde, zu der Jesus gekreuzigt wurde. Ich blicke durch das Zielfernrohr und stelle die Entfernung ein. Ich lege meine rechte Wange an den Gewehrkolben und umklammere den Schaft mit der linken Hand. Ich versuche, ruhig zu atmen. Ich habe den Unterkörper jenes Schülers im Visier, der mich als fette Sau beschimpft hat. Er trägt eine Nike-Jacke und eine schwarze Trainingshose. Er wird der Erste sein, der mich die Eier wegschieße. Dann ist es vorbei mit der fetten Sau. Den anderen, der mir Fettsack nachgeschrieben hat und seine Kappe verkehrt herumträgt, werde ich mir im Anschluss vornehmen. Ich muss das Chaos, das jeden Augenblick ausbrechen wird, ausnutzen. Gleich ist es soweit. Was für ein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet heute jemand vom Fernsehen im Schulhof anwesend ist. Wahrscheinlich wieder so eine Trash-Reportage über eine Problemschule. Alle sind so mit sich beschäftigt, dass keiner in meine Richtung schaut, nicht einmal die Lehrerin mit der roten Jacke. Fotografiert hat sie mich einfach am Vormittag und dann hat sie mir wahrscheinlich auch die Polizei auf den Hals gehetzt. Ich entsichere die Waffe und atme langsam ein. Dann lege ich den Finger auf den Abzug. Es ist alles viel einfacher, als ich gedacht habe. Hanya steht in der Mitte des Schulhofs und sieht, wie ihre Freundinnen Halime, Zeida, Nermina und Fatma in verschiedene Richtungen laufen, wie sie schreien und stolpern. Gerade sind sie noch beisammen gestanden, weil sie unbedingt bei diesem Film mitmachen wollten und jetzt löst sich alles in einer Orgie aus Gewalt auf. Schon als die ersten Schüsse fallen, weiß Hanya, dass sie gerade zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Sie schließt die Augen und denkt an ihre Mutter und an Essaouira, aber sie findet keine passenden Bilder dazu, der Souk und der Fischmarktdiabat und der Strand. Es tauchen nur weiße Flecken auf, wenn sie an diese Orte denkt. Sie hält die Luft an, sie könnte jeden Moment von einer Kugel getroffen werden, wird sie sofort tot sein oder wird sie langsam vom Leben in den Tod hinübergleiten? Wie versteinert steht sie da und wagt es nicht, die Augen zu öffnen, obwohl sie weiß, dass sie die Augen öffnen muss, wenn sie überleben will. Also reißt sie die Augen auf und sieht das ganze Chaos um sich herum und die Angst trifft sie wie ein Faustschlag. Sie taumelt zurück und stolpert über Azra, die auf dem Boden liegt und wimmert. Hanya weiß nicht, was sie tun soll, also legt sie sich schützend über sie. Man könnte meinen, Azra und sie wären ein Liebespaar, was aber absolut keinen Sinn ergibt, wie alles, was gerade um sie herum passiert. Hilf mir, flüstert Azra, ich will nicht sterben. Hanya fällt keine passende Antwort ein, also sagt sie nichts. Sie möchte Azra nicht anlügen, wie in den Filmen, wo immer dann, wenn es zu spät ist, irgendjemand sagt, alles wird gut, ich bin bei dir, hab keine Angst, du wirst nicht sterben, alles wird gut. Ich bin bei dir, hab keine Angst, du wirst nicht sterben, alles wird gut. Aber nichts wird gut und hier im Schulhof an einem Freitag um drei Uhr am Nachmittag ist gerade eine Art Krieg ausgebrochen. Hanya hat keine Ahnung, warum überhaupt auf sie geschossen wird und wer der Schütze ist. Sie riecht das Blut, das immer noch aus dem Loch in Asras Schulter tropft. das immer noch aus dem Loch in Azras Schulter tropft. Sie hebt den Kopf, um besser atmen zu können. Die Kamerafrau lehnt an der Hausmauer, ihr Kopf ist zur Seite gekippt. Und wenn das Blut an der Wand nicht wäre, könnte man meinen, die Frau würde schlafen. Wieder fallen Schüsse und Hanya Seed, wie der Direktor kurz bevor er das rettende Schulgebäude erreicht, zu Boden stürzt. Er bleibt regungslos auf dem Bauch liegen und auf seinem weißen Hemd glänzt ein riesiger feuchter Blutfleck in der Sonne. Als neben Hanya eine Kugel in den Boden einschlägt, duckt sie sich instinktiv. Der Knall ist so laut, dass sie auf einem Ohr nur noch einen hohen Pfeifton hört. Warum sagt keiner der Erwachsenen, was sie tun sollen? Jetzt, wo sie sie so dringend brauchen würden, sind sie nicht da. Wahrscheinlich haben sie sich im Lehrerzimmer verschanzt und warten darauf, von der Polizei gerettet zu werden. Ich habe nichts mehr zu verlieren und schon gar nichts mehr zu gewinnen. Ich verschwinde. Im Schulhof ist immer noch die Hölle los und ich höre die Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Sie werden jeden Augenblick hier sein. Pech gehabt. Ich stecke mir den Lauf in den Mund und verbrenne mir dabei die Lippen. Dass der Lauf so heiß wird, habe ich nicht gedacht. Auch meine Zunge habe ich mir verbrannt und meinen Gauben. Zu spät, zu spät. Mein rechter Daumen liegt auf dem Abzug und in diesem Augenblick fällt mir ein, was meine Großmutter zu mir gesagt hat, kurz bevor sie starb. Du bist ein braver Bub, merk dir das. Ich war vier Jahre alt und bin zu meiner Mutter gelaufen, die am Krankenhausgang eine Zigarette geraucht hat. Oma hat gesagt, dass ich ein braver Bub bin. Meine Mutter hat nur höhnisch gelacht. Ein braver Bub, ein Nichtsnutzt bist du, merk dir das. Dabei blies sie den Rauch aus wie ein Drache. Danke vielmals. Applaus