Die Pest von Albiakar. Wir werden Ihnen heute Männer vorstellen. Nachdem im Gesundheitsbereich aber mehrheitlich Frauen arbeiten, ist das eigentlich zutiefst ungerecht. Wir haben uns aber entschieden, nahe an den Romanfiguren des Romans Die Pest von Albert Camus zu bleiben. In diesem Roman stoßen wir auf existenzielle Fragen, also auf Fragen, die existenzielle Themen wie Tod, wie Sinn, wie existenzielle Isolation und Freiheit betreffen. Camus bietet uns einzelne Figuren als Projektionsfläche an und daher werden wir uns mit folgenden Personen aus diesem Werk auseinandersetzen. Natürlich mit dem Arzt Dr. Bernard Rieu, dann mit dem Beamten und erfolglosen Poeten Joseph Grand, mit Pater Panellou, dem Journalisten Raymond Rombert und zuletzt mit dem Chronisten Jean Tarou. Zuerst aber möchte ich Ihnen kurz Albert Camus vorstellen. Camus wird 1913 in Algerien geboren. Sein Vater stirbt schon ein Jahr nach Albiers Geburt an einer Kriegsverletzung. von der Kolonialmacht Frankreich eingezogen worden und hatte als Soldat eine Verletzung erlitten, an der er bald darauf starb. Albert Camus wächst unter ärmlichsten Verhältnissen auf, in unterster sozialer Schicht im armen Viertel von Algier. Seine Mutter ist Analphabetin. Er schafft es an die Universität von Algier und studiert dort Philosophie. Nach seinem Studium, Heirat, eintritt in die Kommunistische Partei, aus der er nach drei Jahren wieder austritt. Er arbeitet als Journalist und Redakteur, geht 1940 nach Paris, Scheidung, später neuerliche Heirat. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitet er als Journalist bei einer Widerstandszeitung. Bekanntschaft mit Jean-Paul Sartre, einige Jahre später Meinungsverschiedenheiten mit demselben, auch politische Kontroversen mit der Gruppe um Sartre, Bruch. Während des Zweiten Weltkriegs Arbeit am Roman Die Pest, der 1947 erscheint. Nach dem Zweiten Weltkrieg versucht Camus, zwischen der Kolonialmacht Frankreich und dem kolonialisierten Algerien zu vermitteln und gelangt damit zwischen die Fronten und scheitert. Er arbeitet fortan als Schriftsteller und Philosoph. Nur um die wichtigsten seiner Werke zu erwähnen, Camus schreibt einerseits philosophische Abhandlungen wie der Mythos des Sisyphos oder der Mensch in der Revolte. Er schreibt Prosawerke wie der Fremde oder der Gast oder eben die Pest und er schreibt auch Theaterstücke wie Caligula oder Die Gerechten. 1957 erhält er den Nobelpreis für Literatur. Etwa zwei Jahre später, am 4. Jänner 1960, Etwa zwei Jahre später, am 4. Jänner 1960, stirbt Albert Camus, 47-jährig, an einem Verkehrsunfall im Auto seines Freundes Michel Gallimard, der dabei ebenfalls ums Leben kommt. Zwei Passagiere im Fond des Wagens überleben fast unverletzt. Im Fahrzeug findet man ein Manuskript, eine unvollständige Biografie, die erst in den 1990er Jahren unter dem Titel »Der erste Mensch« erscheinen wird. Camus, dieser Philosoph des Absurden, hatte für diese Fahrt nach Paris schon ein Bahnticket gelöst, das man ebenfalls bei seiner Leiche findet. Die seltsamen Ereignisse, die Gegenstand dieser Chronik sind, haben sich 1940 in Oran zugetragen. Nach allgemeiner Ansicht passten sie nicht dorthin, da sie etwas aus dem Rahmen des Gewöhnlichen fielen. Auf den ersten Blick ist Oran nämlich eine gewöhnliche Stadt und nichts weiter als eine französische Präfektur an der algerischen Küste. Die Stadt selbst ist, wie man zugeben muss, hässlich. Sie wirkt ruhig und man braucht einige Zeit, um das wahrzunehmen, was sie von so vielen anderen Handelsstätten in allen Breiten unterscheidet. Wie soll man auch das Bild einer Stadt ohne Tauben, ohne Bäume und Gärten vermitteln, wo einem weder Flügelschlagen noch Blätterrauschen begegnen mit einem Wort, einem neutralen Ort? Der Wechsel der Jahreszeiten lässt sich einzig am Himmel ablesen. Der Frühling kündet sich nur durch die Eigenart der Luft an oder durch die Blumenkörbe, die kleine Verkäufer aus den Vororten mitbringen. Es ist ein Frühling, der auf den Märkten verkauft wird. Im Sommer steckt die Sonne die ausgetrockneten Häuser in Brand und bedeckt die Mauern mit grauer Asche. Dann kann man nur noch im Dunkel hinter geschlossenen Läden leben. Der Herbst dagegen ist eine einzige Schlammflut. Die schönen Tage kommen erst im Winter. Unsere Mitbürger interessieren sich hauptsächlich für den Handel und befassen sich in erster Linie damit, was sie Geschäfte machen nennen. Natürlich haben sie auch Geschmack an den einfachen Freunden. Sie lieben die Frauen, das Kino und das Baden im Meer. Aber vernünftigerweise behalten Sie diese Vergnügungen dem Samstagabend und dem Sonntag vor und versuchen, an den anderen Wochentagen viel Geld zu verdienen. Wenn Sie am Abend aus Ihren Büros und Geschäften kommen, treffen Sie sich immer zur selben Zeit in den Cafés, gehen auf demselben Boulevard spazieren oder setzen sich auf ihren Balkon. Die Gelüste der Jüngeren sind heftig und kurz, während die Laster der Älteren nicht über die Zusammenkünfte besessener Bullspieler, Vereinsbankette und Clubs, in denen um hohe Einsätze Karten gespielt wird, hinausgehen. denen um hohe Einsätze Karten gespielt wird, hinausgehen. Man wird wahrscheinlich sagen, dass das nicht nur für unsere Stadt charakteristisch ist und dass genau genommen alle unsere Zeitgenossen so sind. Wahrscheinlich. Heute ist ja nichts normaler, als Leute von morgens bis abends arbeiten zu sehen, die sich dann entscheiden, beim Kartenspiel im Café und mit Geschwätz die Zeit zu vergeuden, die ihnen zum Leben noch bleibt. Diese paar Angaben vermitteln vielleicht eine hinlängliche Vorstellung von unserem Gemeinwesen. Im Übrigen soll man nicht übertreiben. Hervorgehoben werden musste die banale Seite der Stadt und des Lebens. Doch sobald man Gewohnheiten angenommen hat, verbringt man seine Tage mühelos. Da unsere Stadt Gewohnheiten fördert, kann man sagen, dass alles bestens ist. Und unsere offenherzige, sympathische und aktive Bevölkerung hat bei Reisenden immer die gebührende Achtung hervorgerufen. Diese Stadt ohne Pitoräskes, ohne Vegetation und ohne Seele wirkt am Ende geruhsam. Man schläft hier schließlich ein. Aber es ist angebracht hinzuzufügen, dass sie sich in einer unvergleichlichen Landschaft angesiedelt hat. Mitten auf einer von leuchtenden Hügeln umgebenden kahlen Hochebene an einer vollendet gezeichneten Bucht. Man kann nur bedauern, dass sie mit dem Rücken zu dieser Bucht erbaut wurde und es von daher unmöglich ist, das Meer zu sehen, das man immer vergebens suchen muss. Nach all dem wird man unschwer einräumen, dass nichts unsere Mitbürger die Vorkommnisse erwarten lassen konnte, die sich im Frühling jenes Jahres zutrugen und die, wie wir später begriffen, gleichsam die ersten Anzeichen der Serie von schlimmen waren, über die hier berichtet werden soll. Am Morgen des 16. April trat Dr. Bernard Rieu aus seiner Praxis. Sieht aus wie 35, mittelgroß, breite Schultern, beinahe rechteckiges Gesicht, Breite Schultern, beinahe rechteckiges Gesicht, dunkle, gerade Augen, aber vorspringender Kiefer. Die große Nase ist ebenmäßig, sehr kurz geschnittenes, schwarzes Haar. Der Mund ist geschwungen, die Lippen sind voll und fast immer zusammengepresst. Mit seiner verbrannten Haut, dem schwarzen Haar und der immer dunklen Kleidung, die ihm aber gut steht, sieht er ein bisschen aus wie ein sizilianischer Bauer. Er geht schnell, er tritt vom Bürgersteig herunter, ohne sein Tempo zu ändern, macht aber bei zwei von drei Malen einen kleinen Satz, wenn er den gegenüberliegenden Bürgersteig erreicht. Beim Autofahren ist er zerstreut und lässt den Winker draußen, wenn er schon abgebogen ist. Immer ohne Kopfbedeckung. Wirkt informiert. »Wirkt informiert.« Mitten auf dem Treppenabsatz stolperte er über eine tote Ratte. Vorerst schob er das Tier beiseite, ohne es zu beachten, und ging die Treppe hinunter. Aber auf der Straße kam ihm der Gedanke, dass diese Ratte dort nicht hingehörte, und er machte kehrt, um den Concierge zu informieren. Angesichts der Reaktion des alten Monsieur Michel wurde ihm klar, wie ungewöhnlich seine Entdeckung war. Das Vorhandensein dieser toten Ratte war ihm nur sonderbar vorgekommen, wohingegen es für den Concierge einen Skandal darstellte. Dessen Standpunkt war kategorisch. Es gab keine Ratten im Haus. Der Arzt mochte ihm noch so nachdrücklich versichern, dass auf dem Treppenabsatz im ersten Stock eine sei und vermutlich eine tote. Monsieur Michels Überzeugung blieb unangetastet. Es gäbe keine Ratten im Haus, diese müsse folglich von außen hereingebracht worden sein. Kurz, es handelt sich um einen Streich. von außen hereingebracht worden sein. Kurz, es handelt sich um einen Streich. Am selben Abend stand Bernard Rieu im Flur des Hauses und suchte seine Schlüssel, ehe er zu seiner Wohnung hinaufging, als er aus dem dunklen Hintergrund des Korridors eine unsicher laufende, dicke Ratte mit nassem Fell auftauchen sah. Das Tier blieb stehen, schien das Gleichgewicht zu suchen, lief auf den Arzt zu, blieb widerstehen, drehte sich mit einem kurzen Fiepen um sich selbst und fiel schließlich um, wobei sein Blut aus den halb geöffneten Läpsten spritzte. Der Arzt betrachtet es eine Weile und ging in seine Wohnung hinauf. Camus belässt es in seinem Roman, aber nicht bei wenigen Ratten. Sehr schnell müssen massenweise tote Ratten aufgesammelt und entsorgt werden. In der Folge werden die Ärzte der Stadt immer häufiger zu Patienten gerufen, die schmerzhafte Schwellungen von Lymphknoten und hohes Fieber aufweisen. Und bald wird der Verdacht geäußert, dass es sich bei dieser Krankheit um die Pest handeln könnte. Das Wort Pest war zum ersten Mal gefallen. An diesem Punkt des Berichts, während Bernard Rieu hinter seinem Fenster steht, sei es dem Erzähler gestattet, die Unsicherheit und Überraschung des Arztes zu rechtfertigen. Denn seine Reaktion entsprach bis auf Nuancen der der meisten seiner Mitbürger. Plagen sind ja etwas Häufiges. Aber es ist schwer, an Plagen zu glauben, wenn sie über einen hereinbrechen. Es hat auf der Welt genauso viele Pestepidemien gegeben wie Kriege. Und doch treffen Pest und Krieg die Menschen immer unvorbereitet. Wenn ein Krieg ausbricht, sagen die Leute, das wird nicht länger dauern, das ist doch zu dumm. Und zweifellos ist ein Krieg mit Sicherheit zu dumm. Aber er dauert trotzdem lange. Dummheit ist immer beharrlich. Wenn man nicht immer sich selbst dächte, würde man das merken. In dieser Hinsicht waren unsere Mitbürger wie jedermann. Sie dachten an sich selbst, anders gesagt, sie waren Humanisten. Sie glaubten nicht an die Plagen. Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten. Daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird. Aber er geht nicht immer vorüber. der vorübergehen wird. Aber er geht nicht immer vorüber. Und von einem bösen Traum zum nächsten sterben Menschen und die Humanisten zuerst, weil sie sich nicht vorgesehen haben. Unsere Mitbürger waren nicht schuldiger als andere. Sie vergaßen einfach nur bescheiden zu sein. Und sie dachten, Sie vergaßen einfach nur bescheiden zu sein. Und sie dachten, alles sei für sie noch möglich, was voraussetzt, dass Plagen unmöglich sind. Sie machten weiter Geschäfte, sie bereiteten Reisen vor und sie hatten Meinungen. Wie hätten sie an die Pest denken sollen, die Zukunft, Ortsveränderungen und Diskussionen aufhebt? Sie hielten sich für frei. Und niemand wird je frei sein, solange es Plagen gibt. Kaum dass der Arzt, während er aus dem Fenster auf seine Stadt sah, die sich nicht verändert hatte, jenen leichten Ekel vor der Zukunft in sich aufkommen spürte, den man Besorgnis nennt. Er versuchte, in seinem Kopf zusammenzubringen, was er über diese Krankheit wusste. Zahlen schwirrten durch sein Gedächtnis und er sagte sich, dass die etwa 30 größten Pestepidemien, die es in der Geschichte gegeben hatte, fast 100 Millionen Tote gefordert hatten. Aber was sind 100 Millionen Tote gefordert hatten. Aber was sind 100 Millionen Tote? Wenn man den Krieg mitgemacht hat, weiß man kaum, was ein Toter überhaupt ist. Und da ein toter Mensch nur von Bedeutung ist, wenn man ihn tot gesehen hat, sind 100 Millionen über die Geschichte verstreute Leichen in der Vorstellung nur Rauch. Wann ist ein toter Mensch von Bedeutung? Heute ist der Tod, passiert das Sterben, distanziert und steril, hinter Klinikmauern oder medial im Fernsehen, meist abstrakt, digital. Aufgrund dieser Distanzierung betrifft der Tod die Menschen nicht. Viele von uns leben in einer teilweise digitalen Parallelwelt. Albert Camus, ein toter Mensch und sein Sterben sind nur von Bedeutung, wenn es gesehen wird. Analog sozusagen. Der Arzt erinnerte sich an die Pest von Konstantinopel, die laut Prokopius an einem Tag 10.000 Opfer gefordert hatte. 10.000 Tote sind fünfmal so viel wie die Zuschauer in einem großen Kino. Das sollte man machen. Man sammelt die Leute am Ausgang von fünf Kinos, führt sie auf einen Platz der Stadt und lässt sie auf einem Haufen sterben, um ein bisschen klar zu sehen. Dann könnte man diesen anonymen Wust wenigstens mit bekannten Gesichtern versehen. Aber das ist natürlich nicht durchführbar. Und außerdem, wer kennt schon 10.000 Gesichter? Der Arzt sah noch immer aus dem Fenster. Auf der einen Seite der Scheibe der frische Frühlingshimmel, auf der anderen das Wort, das noch im Zimmer nachhallte. Die Pest. Das Wort enthielt nicht nur das, was die Wissenschaft gern hineinlegte, sondern eine lange Folge außergewöhnlicher Bilder, die nicht zu dieser gelb-grauen Stadt passten, die um diese Zeit mäßig belebt war, eher summend als laut, kurz und gut, glücklich, wenn es möglich ist, glücklich und trübsinnig auf einmal zu sein. Und eine so friedliche und so gleichmütige Ruhe verleugnete fast mühelos die alten Bilder der Plage. Das verpestete und von den Vögeln verlassene Athen, die chinesischen Städte vorher still mit dem Tode ringender, die Zuchhäusler von Marseille, die die zerfließenden Leichen übereinander in Löcher warfen, in der Provence der Bau der großen Mauer, die den verheerenden Pestwind aufhalten sollte, Jaffa und seine grässlichen Bettler, die feuchten, fauligen Betten, die an dem gestammten Boden des Spitals von Konstantinopel klebten, die an Haken gezogenen Kranken, der Karneval der maskierten Ärzte während der Schwarzen Pest, die Paarungen der Lebenden auf den Friedhöfen von Mailand, die toten Karren im entsetzten London und die überall und immer vom endlosen Schrei der Menschen erfüllten Tage und Nächte. Nein, all das war noch nicht stark genug, um dem Frieden dieses Tages den Garaus zu machen. Jenseits der Scheibe erklang auf einmal das Klingeln einer unsichtbaren Straßenbahn und widerlegte im Nu die Grausamkeit und den Schmerz. Nur das Mäh am Ende des stumpfen Schachbrettmusters der Häuser zeugte von den beunruhigenden und nie zur Ruhe kommenden in der Welt. Der Arzt öffnete das Fenster und der Lärm der Stadt schwoll mit einem Schlag an. Aus einer Werkstatt nebenan drang das kurze wiederholte Kreischen einer mechanischen Säge. Rieu schüttelte sich. Darin lag die Gewissheit in der alltäglichen Arbeit. Das Übrige hing an Fäden und an geringfügigen Bewegungen. Damit konnte man sich nicht aufhalten. Die Hauptsache war, seinen Beruf gut auszuüben. Eine erste Situation, auf die wir im Roman auf Dr. Rieu treffen, ist jene, als Rieu vom Beamten Joseph Grand zu einem Notfall gerufen wird. Nach dem Mittagessen las Rieu noch einmal das Telegramm der Privatklinik, die ihm die Ankunft einer Frau meldete, als das Telefon klingelte. Es war einer seiner ehemaligen Patienten, ein Angestellter der Stadtverwaltung. Er hatte lange an einer Verengung der Orta gelitten und da er arm war, hatte Rieu ihn kostenlos behandelt. Ja, sagte er, Sie erinnern sich an mich, aber es geht um einen anderen. Kommen Sie schnell, bei einem Nachbarn ist etwas passiert. Seine Stimme war atemlos. Rieu dachte an den Concierge und beschloss, ihn anschließend zu besuchen. Einige Minuten später betrat er ein niedriges Haus in der Rue Fed'Herbe in einem Außenbezirk. Auf halber Höhe der kühlen, stinkenden Treppe begegnete er Joseph Grand, dem Angestellten, der ihm entgegenkam. Er war ein Mann um die 50, mit gelbem Schnurrbart, groß und gebeugt, mit schmalen Schultern und mageren Lidern. Es geht ihm besser, sagte er, als er bei Rieu ankam. Aber ich dachte, er würde draufgehen. Er schnäuzte sich. Im zweiten und obersten Stockwerk las Rieu auf der linken Tür mit roter Kreide geschrieben, herein, ich habe mich aufgehängt. Sie gingen hinein. Der Strick hing über einem ungekippten Stuhl und dem in eine Ecke geschobenen Tisch von der Aufhängung herab. Aber er hing ins Leere. Ich habe ihn noch rechtzeitig abgehängt, sagte Grand, der immer nach Worten zu suchen schien, obwohl er die einfachste Sprache sprach. Ich wollte gerade aus dem Haus gehen und habe Lärm gehört. Als ich das Geschriebene gesehen habe, wie soll ich es ihnen erklären, habe ich in einen Streich geglaubt. Aber er hat so komisch gestöhnt und sogar unheimlich, kann man sagen. Er kratzte sich am Kopf. Meiner Meinung nach muss das Unternehmen schmerzhaft sein. Natürlich bin ich hineingegangen. Sie hatten eine Tür aufgestoßen und standen auf der Schwelle eines hellen, aber ärmlich möblierten Zimmers. Ein rundlicher kleiner Mann lag auf dem Messingbett. Er atmete schwer und sah sie mit blutunterlaufenden Augen an. Der Arzt blieb stehen. Ihm war, als höre er zwischen den Atemzügen das leise Fiepen von Ratten. Aber in den Ecken bewegte sich nichts. Rieu trat an das Bett. Der Mann war weder von zu hoch noch zu obdruckt gefallen und die Wirbel hatten gehalten. Natürlich leichte Ersteckungsanzeichen. Man würde ihn röntgen müssen. Der Arzt gab ihm eine Kampferölspritze und sagte, in ein paar Tagen werde alles wieder Natürlich leichte Ersteckungsanzeichen. Man würde ihn röntgen müssen. Der Arzt gab ihm eine Kampferölspritze und sagte, in ein paar Tagen werde alles wieder in Ordnung sein. Danke, Herr Doktor, sagte der Mann mit der stickten Stimme. Rieu fragte Grand, ob er die Polizei benachrichtigt habe. Der Angestellte machte ein kleinlautes Gesicht. Nein, sagte er. Nein, ich dachte das Dringendste. Selbstverständlich, unterbrach ihn Rühe. Das erledige ich dann. Aber im gleichen Augenblick wurde der Kranke unruhig, richtete sich im Bett auf und protestierte. Es gehe ihm gut und das sei nicht nötig. Beruhigen Sie sich, sagte Rüel. Das ist keine große Sache, glauben Sie mir. Und ich muss meine Meldung machen. Oh, sagte der andere. Und er warf sich zurück und weinte stoßweise. Grand, der schon eine Weile an seinem Schnurrbart herumzuffte, trat zu ihm. Na, na, Monsieur Cotard, sagte er, verstehen Sie das doch? Der Doktor ist sozusagen verantwortlich. Wenn Sie zum Beispiel Lust bekämen, es normal zu machen, aber Cotard sagte unter Tränen, er mache es nicht normal, es sei nur ein Augenblick der Verwirrung gewesen und er wünsche sich nur in Frieden gelassen zu werden. Rieu schrieb ein Rezept. Gut, sagte er, lassen wir das. Ich komme in zwei oder drei Tagen wieder. Aber machen Sie keine Dummheiten. Im Treppenhaus, sagte er zu Grand, sei er verpflichtet, seine Meldung zu machen, aber er werde den Polizeikommissar bitten, seine Untersuchung erst in zwei Tagen durchzuführen. Er muss heute Nacht überwacht werden, hatte er Familie. Ich kenne sie nicht, aber ich kann ja bei ihm wachen. Er schüttelte den Kopf. Ich kann übrigens auch nicht behaupten, dass ich ihn kenne, aber man muss sich gegenseitig helfen. Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem, den Selbstmord. Diese Eingangsfrage, an der sich Albert Camus im philosophischen Werk Der Mythos des Sisyphos abarbeitet, soll die Verzweiflung des Menschen ob seiner absurden Lebenssituation aufzeigen. Diese absurde Lebenssituation zeigt sich gemäß Albert Camus auf mehreren Ebenen. Eine erste Ebene ist die Ebene des Sins. Irgendwann im Lauf des Lebens stellt sich fast jeder Mensch die Frage nach dem Sinn seines Lebens und der Welt. Oder besser, diese Frage springt einen an. Camus schreibt in der Mythos des Sisyphos, das Gefühl der Absurdität kann an jeder beliebigen Straßenecke jeden beliebigen Menschen anspringen. Oder an anderer Stelle schreibt er, manchmal stürzen die Kulissen ein. Das ist wichtig. Camus meint also, dass das Absurde primär ein Gefühl sei. Er meint weniger einen Begriff des Absurden. einen Begriff des Absurden. Dies korrespondiert mit der Aussage, dass Sinn nicht etwas ist, das sich durch Sprache oder Begriffe vermitteln ließe, sondern Sinn ist eine Erfahrung. Man erfährt Sinn. Diese Erfahrung ist aber keine beliebige. Diese Erfahrung ist eine transformative. Sie alle kennen den Satz, Gott ist tot. Wir finden diesen Satz in einem Aphorismus bei Friedrich Nietzsche, geschrieben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wenn man diesen Aphorismus im Original liest, sieht man, dass es Nietzsche viel weniger um eine Behauptung geht, nämlich dass Gott tot sei, sondern viel eher um das Aufzeigen eines Dilemmas. Durch den Verlust religiösen Glaubens verliert der Mensch einen Sinn, der ihm von einem Gott gegeben zu sein schien. Nachdem der Mensch diesen göttlichen, universalen, metaphysischen Sinn nun verloren hat, verschiebt sich die Aufgabe der Sinnfindung zurück zum Menschen selbst, da er ja ein Wesen ist, das Sinn zu brauchen scheint. Nietzsche beschreibt also, dass vielen Menschen vor allem seit Beginn der Neuzeit der Glaube an einen göttlichen, universalen, kosmischen oder struktural weltanschaulichen Sinn abhandengekommen ist. Und dadurch ist der Mensch dazu verurteilt, selbst Sinn zu stiften, für sich selbst Sinn zu finden. Um zu Camus zurückzukehren, der Mensch wünscht sich Sinn, er scheint Sinn zu brauchen, es gibt aber keinen universalen Sinn mehr. In dieser Situation kann sich, gemäß Camus, manchmal schlagartig, ein absurdes Gefühl einstellen. Auch im Denken kann einem dabei schwindelig werden. Jedenfalls kann die dadurch auftretende Situation zu einer Not, zur Verzweiflung führen. Diese Situation würden wir als existenziell bezeichnen. Und Camus empfiehlt, sich dieser Verzweiflung zu stellen. Er zeigt Irrwege auf, verführerische, aber sinnlose Lösungsversuche wie Geschäftigkeit, übermäßiges Arbeiten, blinde Routinen, Unterhaltung, Ablenkung. Vielleicht gibt es heute noch andere mögliche Irrwege wie Flucht in Esoterik und in obskure Verschwörungstheorien, ein Abdriften in Süchte und digitale Parallelwelten, ein übermäßiges Anstreben von Macht und Geld sowieso. Das Absurde zeigt sich also in der Problematik des Sinns. Es zeigt sich aber noch auf anderen Ebenen. Der Mensch hegt in sich einen Wunsch nach Unendlichkeit. Je länger wir leben, desto eher wird uns aber unsere Endlichkeit bewusst. Auch hier ist weniger eine intellektuelle Einsicht in unsere Endlichkeit gemeint, auch hier vielmehr das Gefühl und die Betroffenheit, die uns ergreifen kann, wenn wir selbst schwer erkranken. Beim Tod einer geliebten Person oder manchmal auch bei kleineren Abschieden, wie beim Abgang von der Schule, bei Trennungen, bei der Pensionierung, vielleicht auch bei kleinsten Abschieden, selbst dann, wenn die Lieblingskaffeetasse zerbricht und für immer verloren ist. Auch sehnt sich der Mensch, um auf eine weitere Ebene des Absurden zu kommen, nach einer vernunftgeleiteten Welt, nach einer geordneten, logisch aufgebauten, ja berechenbaren Welt. Und auch hier macht er häufig gegenteilige Erfahrungen. Die absurde Lebenssituation verlangt vom Menschen, Zitat aus den Tagebüchern, die Nichtverstehbarkeit der Welt hinzunehmen und sich um den Menschen zu kümmern. Wir würden heute ergänzen, sich um die Welt zu kümmern. um die Welt zu kümmern. Aus all diesen Gründen, auf all diesen Ebenen, bemächtigt sich des Menschen ein Gefühl der Absurdität. Camus folgend kann den Menschen also dieses absurde Gefühl beschleichen oder anspringen und in der Frage münden, ob nicht Selbstmord eine logische Lösung wäre. In der Mythos des Sisyphos setzt sich Camus mit dieser Frage auseinander und Camus entscheidet sich gegen den Suizid. Ein paar Hinweise, warum er sich gegen die Selbsttötung wendet, Ein paar Hinweise, warum er sich gegen die Selbsttötung wendet, wenn auch nicht dogmatisch, finden wir schon in der Pest. Und diesen Hinweisen werden wir zu Folgen suchen. Camus propagiert in einem ersten Schritt, unserer absurden Lebenssituation mit Empörung, mit Auflehnung zu begegnen. Er nennt dies Revolte. Bei dieser Revolte aber, das sei schon vorweggenommen, wird er nicht stehen bleiben. Gemäß Camus ist es Aufgabe der Philosophie, sich mit existenziellen Themen zu befassen, ja, gemäß Camus ist es Aufgabe der Philosophie, jenseits von Metaphysik und Rationalismus sinnstiftend zu wirken. Aber auch wenn Sinnfindung gelingt, bleibt Melancholie ein vorherrschendes Gefühl. Man kann wohl sagen, dass von diesem Moment an die Pest uns alle betraf. Bis dahin war jeder unserer Mitbürger an seinem gewohnten Platz seiner Tätigkeit nachgegangen, so gut er konnte. Aber als die Tore auf einmal geschlossen waren, merkten sie, dass sie alle auch der Erzähler in derselben Falle saßen und sich damit abfinden mussten. Eine der spürbarsten Folgen der Schließung der Tore war die plötzliche Trennung von Menschen, die nicht darauf vorbereitet waren. Mütter und Kinder, Ehepaare, Liebende, die einige Tage zuvor geglaubt hatten, sich für eine vorübergehende Zeit zu trennen, sich auf dem Bahnsteig an unseres Bahnhofs mit zwei oder drei guten Ratschlägen zum Abschied geküsst hatten, waren mit einem Mal rettungslos entfernt voneinander, ohne die Möglichkeit zusammenzukommen. Die Tore waren einige Stunden vor der Bekanntmachung der Präfektursanordnung geschlossen worden und Sonderfälle konnten natürlich nicht berücksichtigt werden. Man kann sagen, dass die erste Auswirkung dieser brutalen Invasion der Krankheit darin bestand, unsere Mitbürger zu zwingen, so zu handeln, als hätten sie keine persönlichen Gefühle. In den ersten Stunden des Tages, an dem die Anordnung in Kraft trat, wurde die Präfektur von einer Menge von Anfragenden bestürmt, die am Telefon oder bei den Beamten ebenso teilnahmeerregende wie gleichzeitig nicht überprüfbare Situationen darlegten. wie gleichzeitig nicht überprüfbare Situationen darlegten. Wir brauchten allerdings mehrere Tage, bis uns klar wurde, dass wir uns in einer ausweglosen Situation befanden und dass die Wörter Verhandeln, Gunst, Ausnahme keinen Sinn mehr hatten. Selbst die leise Befriedigung zu schreiben wurde uns verwehrt. Zum einen nämlich war die Stadt nicht mehr durch die üblichen Kommunikationsmittel mit dem Rest des Landes verbunden und zum anderen verbot eine neue Anordnung den Austausch jeglicher Korrespondenz, damit die Briefe nicht zu Infektionsträgern würden. Als nach einigen Tagen klar wurde, dass niemand aus unserer Stadt hinaus gelangen würde, Als nach einigen Tagen klar wurde, dass niemand aus unserer Stadt hinaus gelangen würde, kam man übrigens auf die Idee, sich zu fragen, ob nicht den vor der Epidemie Verreisten die Rückkehr gestattet würde. Nach tagelangem Überlegen antwortete die Präfektur mit Ja. Sie legte aber fest, dass die Heimkehrer auf keinen Fall wieder aus der Stadt hinaus dürften. Dass es ihnen zwar frei steht zu kommen, aber nicht wieder zu gehen. Auch da nahmen einige, übrigens wenige, Familien die Situation auf die leichte Schulter. Sie stellten den Wunsch, ihre Verwandten wiederzusehen, über jede Vorsicht und forderten diese auf, die Gelegenheit zu nutzen. die Gelegenheit zu nutzen. Aber sehr schnell begriffen die Gefangenen der Pest, welcher Gefahr sie ihre Angehörigen aussetzten und fanden sich damit ab, unter dieser Trennung zu leiden. In den meisten Fällen, das lag auf der Hand, sollte die Trennung erst mit der Epidemie enden. Und das Gefühl, das unser Leben bestimmte und das wir doch so gut zu kennen meinten, die Urane haben, wie gesagt, schlichte Leidenschaften, nahm für uns alle eine neue Form an. Ehemänner und Liebhaber, die das größte Vertrauen in ihre Gefährtin hatten, entdeckten, dass sie eifersüchtig waren. Männer, die sich in der Liebe für leichtfertig hielten, wurden beständig. Söhne, die bei ihrer Mutter gelebt und sie kaum angesehen hatten, lasen den Grund für ihre ganze Besorgnis und Reue aus einer Falte ihres Gesichts ab, die sie in der Erinnerung verfolgte. Diese nahtlos eingetretene gewaltsame Trennung ohne absehbare Zukunft machte uns fassungslos, unfähig zu reagieren auf die Erinnerung an diese noch so nahe und schon so ferne Gegenwart, die jetzt unsere Tage erfüllte. Tatsächlich litten wir doppelt. Einmal unter unserem Leid und dann unter dem, dass wir den Abwesenden, dem Sohn, der Gattingen oder Geliebten andichteten. Unter anderen Umständen hätten unsere Mitbürger übrigens einen Ausweg in einem äußerlichen und aktiveren Leben gefunden. Aber die Pest machte sie untätig. Zwang sie dazu, sich in ihrer trostlosen Stadt im Kreis zu drehen. Tag um Tag den trügerischen Spielen der Erinnerung ausgeliefert. Denn ihre ziellosen Spaziergänge führten sie immer wieder auf dieselben Wege. Und meistens waren diese Wege in einer so kleinen Stadt genau jene, die sie in einer anderen Zeit mit den Abwesenden gegangen waren. Vor allem legten alle unsere Mitbürger sehr schnell sogar in der Öffentlichkeit die Gewohnheit ab, die sie angenommen haben mochten, die Dauer ihrer Trennung zu schätzen. Warum? Als die größten Pessimisten sich zum Beispiel auf sechs Monate festgelegt hatten. Als sie im Voraus die ganze Bitterkeit dieser kommenden Monate durchgemacht, mit großer Mühe ihren Mut dieser Prüfung angepasst und ihre letzten Kräfte angespannt hatten, um ohne zu wanken und auf der Höhe dieses über eine so lange Folge von Tagen ausgedehnten Leids zu bleiben, Und da brachte sie manchmal ein zufällig getroffener Freund, eine in einer Zeitung geäußerte Meinung, ein flüchtiger Argwohn oder eine plötzliche Einsicht auf die Idee, dass es schließlich keinen Grund gab, warum die Krankheit nicht länger als sechs Monate dauern sollte, vielleicht ein Jahr oder noch länger. Dann brachen ihr Mut, ihr Wille und ihre Geduld so abrupt zusammen, dass ihnen vorkam, als könnten sie nie wieder aus dem Loch hervorkommen. Zitat aus Camus' Tagebüchern Elend und Größe dieser Welt, sie bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten. Es herrscht das Absurde und die Liebe errettet davon. Am Nachmittag desselben Tages hatte auch Joseph Grand Dr. Rieu sch schließlich persönliches anvertraut. Er hatte Madame Rieus Foto auf dem Schreibtisch entdeckt und hatte den Arzt angesehen. Rieu antwortete, seine Frau mache außerhalb der Stadt eine Kur. In gewisser Hinsicht ist das ein Glück, hatte Grand gesagt. Der Arzt antwortete, es sei zweifellos ein Glück und man müsse nur hoffen, dass seine Frau gesund werde. Ah, ich verstehe, sagte Grand. Und zum ersten Mal seit Rue ihn kannte, redete er in einem Zug. Obwohl er wieder seine Wörter suchte, gelang es ihm fast immer, sie zu finden. So als habe er lange über das nachgedacht, was er jetzt gerade sagte. Er hatte blutjung ein armes, junges Mädchen aus seiner Nachbarschaft geheiratet. Um zu heiraten, hatte er sogar sein Studium abgebrochen und eine Stelle angenommen. Weder Jeanne noch er verließen je ihr Viertel. Er besuchte sie bei ihr zu Hause und Jeannes Eltern lachten ein bisschen über diesen stillen linkischen Heiratskandidaten. Der Vater war bei der Eisenbahn. Die Mutter war immerzu mit dem Haushalt beschäftigt und Jeanne half hier dabei. Jeanne war so winzig, dass Grand sie nie ohne Angst eine Straße überqueren sehen konnte. Die Fahrzeuge kamen ihm dann unmäßig groß vor. Eines Tages vor einem weihnachtlichen Geschäft, hatte sich Jeanne, die hingerissen das Schaufenster betrachtete, an ihn geschmiegt und gesagt, wie schön, er hatte ihr Handgelenk gedrückt. So war die Heirat beschlossen worden. Der Rest der Geschichte war Grands zufolge sehr einfach. So ergeht es allen. Man heiratet, man liebt noch ein bisschen, man arbeitet. Man arbeitet so viel, dass man darüber das Lieben vergisst. Jeanne arbeitete auch, da die Versprechungen des Bürovorstehers nicht gehalten worden waren. Hier war jetzt ein wenig Fantasie nötig, um zu verstehen, was Grand sagen wollte. Die Müdigkeit tat ein Übriges, sodass er sich gehen gelassen, mehr und mehr geschwiegen und seine junge Frau nicht in der Vorstellung bestärkt hatte, geliebt zu werden. Ein Mann, der arbeitet, die Armut, die langsam verschlossene Zukunft, das abendliche Schweigen bei Tisch. In einer solchen Welt ist kein Raum für Leidenschaft. Wahrscheinlich hatte Jeanne gelitten. Dennoch war sie geblieben. Es kommt vor, dass man lange leidet, ohne es zu merken. Die Jahre waren vergangen. Später war sie gegangen. Natürlich nicht allein. Ich habe dich sehr gern gehabt, aber jetzt bin ich müde. Ich bin nicht glücklich, dass ich weggehe, aber man braucht nicht glücklich zu sein, um neu anzufangen. Das ungefähr hatte sie ihm geschrieben. Joseph Grand hatte ebenfalls gelitten. Er hätte neu anfangen können, wie Rieu ihm zu bedenken gab, aber er glaubte nun einmal nicht daran. Nur dachte er immer an sie. Er hätte ihr gern einen Brief geschrieben, um sich zu rechtfertigen. Aber das ist schwierig, sagte er. Ich denke schon lange daran. Solange wir uns liebten, haben wir uns ohne Worte verstanden. Aber man liebt sich nicht immer. Irgendwann hätte ich die Worte finden müssen, die sie zurückgehalten hätten, aber ich habe es nicht gekonnt. Grand schnäuzte sich in eine Art karierte Serviette. Dann wischte er sich den Schnurrbart ab, Rieu sah ihn an. Entschuldigen Sie, Herr Doktor, sagte der Al der alte aber wie soll ich sagen ich ich vertraue ihnen mit ihnen kann ich reden das geht mir dann nahe was ich dich meilenweit von der pest entfernt elend und größe dieser welt sie bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten. Es herrscht das Absurde und die Liebe errettet davon. Dieses Zitat aus den Tagebüchern von Albert Camus weist darauf hin, dass die Welt, unser Leben uns Liebesmöglichkeiten bietet, die es zu erkennen und zu ergreifen gilt. Es ist dies ein Aufruf des Autors über unsere absurde Lebenssituation, über die Empörung hinaus ins Handeln zu kommen, also nicht in der Empörung im Protest stecken zu bleiben. Also nicht in der Empörung, im Protest stecken zu bleiben. Die Empörung, die Auflehnung allein, ist weder heroisch noch verlangt sie Mut, auch verkommt sie leicht zur Attitüde. Diese Liebesmöglichkeiten, die Camus beschreibt und die uns die Welt bietet, sind vielfältiger Art. Sie sind jedenfalls ein Aufruf zum Tun. Bei diesen Liebesmöglichkeiten dürfen wir natürlich nicht nur an die romantische Liebe denken, die in der Pest nur wenig Raum einnimmt. Eine andere Liebesmöglichkeit jenseits der romantischen Liebe sieht Camus in der Liebe zur Ästhetik, zur Schönheit, in der Liebe zur Kunst. Er verweist aber weniger auf ein geschaffenes oder fertiges Kunstwerk, sondern mehr auf den Schaffensprozess. Er verweist weniger auf das Ergebnis, sondern mehr auf das Ringen und die Tätigkeit. Camus verweist auf Joseph Grand. verweist auf Joseph Grand. Joseph Grand, ein kleiner Beamter, ein gescheiterter Liebhaber und noch erfolgloserer Poet. In dem kleinen Café, das sie betraten und das von einer einzigen Lampe über der Theke beleuchtet war, sparen die Leute in der dicken grötlichen Luft ohne ersichtlichen Grund leise. An der Theke bestellte Grand zur Überraschung des Arztes einen Schnaps, den er in einem Zug austrank und als stark bezeichnete. Zum Glück, zum Glück, sagte Grand. Rieu fragte sich, was er meinte. Zum Glück, sagte der andere, zum Glück habe ich meine Arbeit. Ja, sagte Rieu, das ist ein Vorteil. Nun, ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg. Haben Sie noch lange daran zu tun? Granchy lebhafter zu werden, die Wärme des Schnapses ging in seine Stimme über. Ich weiß nicht, aber darum geht es nicht, Herr Doktor, nein. Nein, darum geht es nicht. Im Dunkeln antorio das Grand mit den armen Fuchtüten. Er schien etwas vorzubereiten, was mit plötzlicher Beretsamkeit herauskam. Wissen Sie, Herr Doktor, ich möchte nämlich, dass an dem Tag, wenn mein Manuskript bei dem Verleger ankommt, der nach der Lektüre aufsteht und zu seinen Mitarbeitern sagt, meine Herren, Hut ab. Diese unvermittelte Erklärung überraschte Rieu. Es kam ihm so vor, als mache sein Begleiter die Geste des Hutlüftens, indem er die Hand zum Kopf hob und den Arm waagerecht schwenkte. Ja, Armwagerecht schwenkte. Ja, sagte Grand, es muss vollkommen sein. Obwohl Jury mit den Bräuchen in der Literatur wenig vertraut war, hatte er doch den Eindruck, dass es dort wohl nicht so simpel zugehe und dass zum Beispiel die Verleger ohne Hut in ihrem Büro säßen. Grand redete unterdessen weiter und Jury begriff nicht alles, was der kleine Mann sagte. Er verstand nur, dass das fragliche Werk schon viele Seiten umfasste, dass aber die Qual es zur Vollendung zu bringen für seinen Verfasser sehr schmerzhaft sei. Ganze Abende, ganze Wochen für ein Wort und manchmal ein einfaches Bindewort. Hier blieb Grand stehen und fasste den Arzt bei einem Knopf seines Mantels. Die Wörter kamen aus seinem fast zahnlosen Mund gestolpert. Verstehen Sie recht, Herr Doktor. Andernfalls ist es ja ziemlich leicht zwischen aber und und zu wählen. Schwieriger wird es schon bei und und dann. Bei dann und darauf nimmt die Schwierigkeit noch zu. Aber am schwierigsten ist mit Sicherheit zu wissen, ob man und schreiben soll oder nicht. Ja, sagte Rühe, ich verstehe. Er ging weiter. Der andere schien verwirrt, schloss sich ihm aber an. »Entschuldigen Sie, Stotter, der ich weiß nicht, was heute Abend mit mir los ist.« Rieu schlug ihm leicht auf die Schulter und sagte, er würde ihm gerne helfen und seine Geschichte interessiere ihn sehr. Grand schien wieder etwas beruhigt und als sie vor seinem Haus angekommen waren, schlug er dem Arzt nach kurzem Zögern vor, einen Augenblick mit hinaufzukommen. Rieu nahm an. Im Esszimmer forderte Grand ihn auf, sich an einen Tisch zu setzen, auf dem lauter Blätter mit einer mikroskopisch kleinen Schrift voller Streichungen lagen. Ja, das ist es, sagte Grand dem Arzt, der ihn fragend ansah. Möchten Sie etwas trinken? Ich habe ein bisschen Wein. Rieu lehnte ab. Er sah sich die Blätter an. Sehen Sie nicht hin, sagte Grand. Das ist alles mein erster Satz. Er macht mir Mühe, viel Mühe. Auch er betrachtete all diese Blätter und seine Hand schien unwiderstehlich von einem angezogen, das er vor die durchscheinende Glühbirne ohne Schirm hielt. Das Blatt zitterte in seiner Hand. Rieu bemerkte, dass die Stirn des Angestellten feucht war. Setzen Sie sich, sagte Rieu. Lesen Sie mir vor. Der andere sah ihn an und lächelte mit so etwas wie Dankbarkeit. Ja, sagte er, ich glaube, ich habe Lust dazu. Er wartete ein wenig und sah noch immer das Blatt an, dann setzte er sich. An einem schönen Morgen im Mai ritt eine elegante Amazone auf einer herrlichen Fuchsstute durch die blühenden Alleen des Bois de Boulogne. Die Stille kehrte wieder ein und mit ihr das undeutliche Tosen der leidenden Stadt. Grand hatte das Blatt hingelegt und sah es weiter an. Nach einer Weile blickte er auf. Was halten Sie davon? Rue antwortete, dieser Anfang mache ihn neugierig darauf, wie es weiterginge. Aber der andere sagte lebhaft, das sei nicht der richtige Gesichtspunkt. Er schlug mit der flachen Hand auf seine Blätter. Das ist nur eine Annäherung. Wenn ich es geschafft habe, das Bild, das ich im Kopf habe, vollkommen wiederzugeben, wenn mein Satz genau das Tempo dieses Ausritts im Trab hat, 1, 2, 3, 1, 2, 3, wird das Übrige leichter und vor allem wird die Illusion von Anfang an so stark sein, dass man sagen kann, Hut ab. Aber bis dahin hatte er noch viel zu tun. Er wäre nie bereit, diesen Satz so wie er war, einem Drucker zu überlassen. Denn trotz der Befriedigung, die er ihm manchmal verschaffte, war ihm klar, dass er noch nicht ganz und gar mit der Wirklichkeit übereinstimmte und dass er bis zu einem gewissen Grad eine Glätte in Ton aufwies, die eine, wenn auch ferne Verwandtschaft mit einem Klischee hatte. Das war wenigstens der Sinn dessen, was er sagte, als man Menschen unter den Fenstern vorbeilaufen hörte. Rieu stand auf. Sie werden sehen, was ich daraus mache, sagte Grand. Und zum Fenstergewand fügte er hinzu, »wenn das hier alles vorbei ist.« Diesem Wortsucher, diesem nach außen hin völlig erfolglosen Poeten gibt Albert Camus den Namen Grand, also groß. Camus den Namen Grand, also groß. Diesen grundehrlichen, unaufgeregten, im Hintergrund tätigen Arbeiter, diesen zurückgezogenen, asketisch lebenden Zeitgenossen, bezeichnet Camus als den eigentlichen Helden dieses Romans, wenn man denn einen Helden bräuchte. Ja, wenn es stimmt, dass den Menschen daran liegt, sich Beispiele und Vorbilder zu nehmen, die sie Helden nennen, und wenn es in dieser Geschichte unbedingt einen geben muss, dann schlägt der Erzähler gerade diesen unbedeutenden und unauffälligen Helden vor, für den nur ein wenig Herzensgüte und ein scheinbar lächerliches Ideal sprachen. Das Ende des ersten Pestmonats wurde verdüstert durch eine deutliche Verschlimmerung der Epidemie und eine eifernde Predigt. Das Jesuitenpastas Panelu, der dem alten Michel beim Ausbruch seiner Krankheit beigestanden hatte. Pater Panelu hatte sich schon durch häufige Mitarbeit beim Blatt der Geografischen Gesellschaft von Oran hervorgetan. geografischen Gesellschaft von Oran hervorgetan. Ein breiteres Publikum als ein Spezialist es findet, hatte er mit einer Vortragsreihe über den modernen Individualismus erreicht. Darin war er leidenschaftlich für ein anspruchsvolles Christentum eingetreten und bei dieser Gelegenheit seine Zuhörer nicht mit harten Wahrheiten verschont. Daher sein Ruf. Gegen Ende jenes Monats beschlossen die Kirchenbehörden unserer Stadt nun mit, in ihren eigenen Mitteln gegen die Pest zu kämpfen, indem sie eine Woche gemeinsamen Betens veranstalteten. Diese öffentlichen Bekundungen der Frömmigkeit sollten am Sonntag mit einer Messe und der Anrufung des Pestheiligen St. Rochus enden. Man hat der Pater Panellou gebeten, bei diesem Anlass das Wort zu ergreifen. Am Sonntag strömten Scharen von Menschen in das Kirchenschiff und standen bis in den Vorhof und auf den obersten Treppenstufen. Kirchenschiff und standen bis in den Vorhof und auf den obersten Treppenstufen. Seit dem Vortag hatte sich der Himmel verdunkelt und es regnete in Strömen. Die Draußenstehenden hatten ihre Regenschirme aufgespannt. Ein Geruch von Weihrauch und feuchtem Stoff schwebte in der Kathedrale, als Pater Pamelou auf die Kanzel stieg. Er war mittelgroß, aber stämmig. Als er sich auf den Rad der Kanzel stützte und das Holz mit seinen derben Händen umschloss, sah man von ihm nur eine mächtige schwarze Gestalt und darüber die zwei hochroten Flecken seiner Wangen unter der Stahlbrille. Er hatte eine kräftige, leidenschaftliche Stimme, die weit trug. Und als er einen einzigen, heftigen, gehämmerten Satz losließ, ging bis auf den Vorhof hinaus ein Ruck durch die Gemeinde. Liebe Brüder, ihr seid im Unglück. Liebe Brüder, ihr habt es verdient. Erst im Verlauf der Rede begriffen unsere Mitbürger, dass der Pate mit einem geschickten rhetorischen Kniff in einem einzigen Satz gleichsam einen Schlag versetzend das Thema seiner ganzen Predigt vorgegeben hatte. Gleich nach diesem Satz nämlich zitierte Panelu den Text über den Auszug aus Ägypten und die dortige Pest und sagte, Das erste Mal tritt diese Geisel in der Geschichte auf, um die Feinde Gottes heimzusuchen. Pharao widersetzt sich den Plänen des Ewigen und darauf zwingt die Pest ihn auf die Knie. ihn auf die Knie. Seit allem Anbeginn der Geschichte wirft die Geißel Gottes die Hoffertigen und die Verblendeten zu seinen Füßen nieder. Bedenke das und fallt auf die Knie. Der Regen draußen wurde stärker und dieser letzte Satz in eine absolute Stille hineingesprochen, die durch das Prasseln des Wolkenbruchs gegen die Kirchenfenster noch vertieft wurde, heilte mit solchem Nachdruck wieder, dass einige Zuhörer nach einer Sekunde des Zögerns von ihrem Stuhl auf das Bettpult rutschten. Andere meinten, ihrem Beispiel folgen zu müssen, sodass nach und nach, ohne ein anderes Geräusch als das Knacken einiger Stühle, bald die ganze Gemeinde kniete. Da richtete Panelu sich auf, atmete tief und fuhr immer eindringlicher werdend fort. Wenn die Pest heute euch betrifft, so weil der Augenblick zum Nachdenken gekommen ist. Die Gerechten brauchen sich nicht davor zu fürchten, aber die Bösen haben Grund zu zittern. In der unermesslichen Scheuer des Universums wird der erbarmungslose Dreschfregel das menschliche Korn schlagen, bis die Spreu vom Weizen getrennt ist. Es wird mehr Spreu als Weizen geben, mehr vor den Richter geladen als Auserwählte und dieses Unheil ist nicht von Gott gewollt. Allzu lange hat diese Welt sich mit dem Bösen abgefunden. Allzu lange hat sie sich auf göttliche Gnade verlassen. Das konnte nicht so weitergehen. Gott, der sein erbarmendes Antlitz so lange über die Menschen dieser Stadt neigte, hat, des Wartens müde, in seiner ewigen Hoffnung enttäuscht, seinen Blick abgewandt. Des göttlichen Lichtes beraubt sind wir nun für lange Zeit in der Finsternis der Pest gehüllt. Zeit in der Finsternis der Pest gehüllt. Ein feuchter Wind verfing sich jetzt im Kirchenschiff und die Flammen der Kerzen neigten sich knisternd. Ein schwerer Geruch nach Wachs, Husten und Niesen stiegen zu Pater Panelu auf, der ruhig fortfuhr. Ich weiß, dass viele von euch sich mich recht fragen, worauf ich eigentlich hinaus will. Ich will euch zur Wahrheit bringen und euch lehren, euch trotz allem, was ich gesagt habe, zu freuen. Die Zeit ist vorüber der Ratschläge und eine brüderliche Hand das Richtige waren, um euch zum Guten zu bewegen. Heute ist die Wahrheit ein Befehl. Und der Weg des Heils ist ein roter Spieß, der ihn euch zeigt und euch darauf stößt. Darin, liebe Brüder, tut sich endlich die göttliche Gnade kund, die in jedes Ding das Gute und das Böse, den Zorn und das Mitleid, die Pest und das Heil gelegt hat. Selbst diese Geißel, die euch quält, erhebt euch und weist euch den Weg. Pater Panelu, katholischer Priester und Jesuit. Im Angesicht der Pest, Angesicht des Absurden, beschreibt Camus hier einen Bewältigungsmechanismus und stellt diesen zur Diskussion. Anfangs noch recht sicher in seinen Ansichten beginnt Pater Panilou seinen eigenen Kampf mit der Pest. Anfangs noch geschützt durch die Lehre der Kirche, durch Glaubenssätze und Dogmen, wird dieses Weltbild im Lauf des Romans herausgefordert und hinterfragt. gefordert und hinterfragt. Aber nicht nur die Religion wird hinterfragt, auch jede Form von weltlicher und politischer Ideologie wird in diesem Roman auf die Probe gestellt. Diese Infragestellung und letztendlich Ablehnung von Religion und jeglicher Ideologie, wird in Camus' Leben später zu einem Bruch führen, zum Abbruch seiner Freundschaft mit Jean-Paul Sartre und dessen Kreis. Sartre wird Camus wegen dessen Ideologiekritik scharf kritisieren und dieser dadurch bedingte Bruch wird dann eine schmerzliche Erfahrung für Camus werden. Auch Pater Panellou benötigt also ein Erklärungs- und Bewältigungsmodell für diese Epidemie und findet sie bei seinem Gott. Camus zweifelt an dieser Form der Krisenbewältigung. Als Pannelou später an einer Erkrankung stirbt, deren Symptome unklar und der Pest nicht eindeutig zuordnenbar sind, schreibt der Arzt Rieu auf den Totenschein, ein zweifelhafter Fall. Aussicht Camus zweifelhaft wohl in mehrerer Hinsicht. Zuvor aber kommt es noch zu einer zentralen Auseinandersetzung zwischen Pater Paneleau und dem Arzt Rieu, zwischen Religion und Medizin, zwischen der Pest und einem kleinen Jungen. Das Kind wurde in das Behelfskrankenhaus in einen ehemaligen Klassenraum gebracht, in dem zehn Betten aufgestellt worden waren. Nach ungefähr 20 Stunden hielt Rieu den Fall für hoffnungslos. Der kleine Körper ließ sich ohne zu reagieren von der Infektion zerfressen. Ganz kleine, schmerzhafte, aber kaum ausgebildete Beulen blockierten die Gelenke seiner schmächtigen Blutmassen. Er war im Voraus besiegt. seiner schmächtigen Blutmassen. Er war im Voraus besiegt. Deshalb kam Rühe auf die Idee, Castells Serum an ihm auszuprobieren. Am selben Abend nach dem Essen nahmen sie die langwierige Impfung vor, ohne eine einzige Reaktion von Seiten des Kindes hervorzurufen. Im Morgengrauen des nächsten Tages fanden sich alle bei dem kleinen Jungen ein, um dieses entscheidende Experiment zu beurteilen. Das Kind war aus seiner Apathie erwacht und wälzte sich unter Krämpfen im Bett. Der Arzt, Castel und Tarou waren seit vier Uhr morgens bei ihm und verfolgten Schritt für Schritt das Fortschreiten oder Innehalten der Krankheit. das Fortschreiten oder Innehalten der Krankheit. Haben Sie etwas von dem Vater gehört? Nein, sagte Rieu, er ist im Isolierlager. Der Arzt umklammerte die Querstange des Bettes, in dem das Kind stöhnte. Er ließ den kleinen Kranken nicht aus den Augen, der plötzlich steif wurde und sich mit wieder zusammengebissenen Zähnen ein wenig in der Taille krümmte und langsam die Arme und die Beine spreizte. Von dem kleinen Körper, der nackt unter der Militärdecke lag, stieg ein Geruch nach Wolle und säulichem Schweiß auf. Das Kind entspannte sich nach und nach, zog Arme und Beine zur Mitte des Bettes hinein und schien noch immer blind und stumm schneller zu atmen. Rieu begegnete Tarous Blick und wandte die Augen ab. Sie hatten schon Kinder sterben sehen, denn der Schrecken schlug seit Monaten wahllos zu. Aber noch nie hatten sie deren Leiden Minute für Minute verfolgt, wie sie es seit dem Morgen taten. Aber noch nie hatten sie deren Leiden Minute für Minute verfolgt, wie sie es seit dem Morgen taten. Und natürlich hatte der Schmerz, den diese Unschuldigen erdulden mussten, nie aufgehört, ihnen als das zu erscheinen, was er in der Tat war, nämlich ein Skandal. Aber bisher zumindest empörten sie sich gewissermaßen abstrakt, weil sie der Agonie eines Unschuldigen nie so lange unmittelbar zugesehen hatten. In den fünf anderen Betten stöhnten und bewegten sich Gestalten, aber mit einer nie abgesprochenen Zurückhaltung. Der Einzige, der am anderen Ende des Raumes wimmerte, stieß in regelmäßigen Abständen kurze Schreie aus, die mehr Erstaunen als Schmerz auszudrücken schienen. Es war, als wenn sogar die Kranken nicht mehr das Grausen des Anfangs empfänden. In der Art, wie sie die Krankheit aufnahmen, lag jetzt so etwas wie Einwilligung. Nur dieses Kind wehrte sich aus Leibeskräften. Kind wehrte sich aus Leibeskräften. Rieu, der ihm hin und wieder den Puls fühlte, ohne Notwendigkeit übrigens und eher, um aus seiner ohnmächtigen Bewegungslosigkeit herauszukommen, spürte, wenn er die Augen schloss, wie diese Erregung sich mit dem Tosen seines eigenen Blutes vermischte. Er verschmolz dann mit dem gequälten Kind und versuchte ihm, mit seiner ganzen unverbrauchten Kraft beizustehen. Aber nach einer Minute der Vereinigung gerieten die Pulsschläge ihrer Herzen aus dem Gleichtakt. Das Kind entlitt ihm und seine Anstrengung ging in der Leere unter. Dann ließ er das schmale Handgelenk los und trat an seinen Platz zurück. Das Kind hatte noch immer die Augen geschlossen und schien sich etwas zu beruhigen. Die Hände, die wie Krallen geworden waren, bearbeiteten leicht die Seiten des Bettes. Sie wanderten nach oben, kratzten in Kniehöhe die Decke und plötzlich beugte das Kind die Knie, zog die Schenkel zum Bauch und bewegte sich nicht mehr. Dann schlug es zum ersten Mal die Augen auf und sah Rieu an, der vor ihm stand. In seinem jetzt zu grauem Ton erstarrten Gesicht öffnete sich der Mund und fast sofort kam ein einziger von der Atmung kaum veränderter, anhaltender Schrei heraus, der plötzlich den Raum mit einem monotonen, misstönenden Protest erfüllte, so wenig menschlich, dass er von allen Menschen zugleich zu kommen schien. Rieu biss die Zähne zusammen und Tarou wandte sich ab. Rombert trat ans Bett neben Castel, der das offen vor seinem Schoß liegende Buch zuklappte. Panellou sah diesen von der Krankheit besudelten, vom Schrei aller Zeiten erfüllten Kindermund an. Und er sank auf die Knie und alle fanden es normal, ihn mit etwas gedämpfter, aber trotz der namenlosen, unerführlichen Klage deutlicher Stimme sagen zu hören, mein Gott, rette dieses Kind. Aber das Kind schrie weiter und die Kranken ringsum wurden unruhig. Der eine, dessen Schrei am anderen Ende des Raumes nicht aufgehört hatten, beschleunigte den Rhythmus seines Jammerns, bis auch dieses ein richtiger Schrei wurde, während die anderen lauter und lauter stöhnten. Eine Flut von Schluchzen brandete durch den Raum und übertönte Panellus Gebet und Rieu, der das Bettgestelle umklammerte, schloss, trunken vor Müdigkeit und Ekel, die Augen. Als er sie wieder aufmachte sah er taru neben sie stehen ich muss gehen sagte rieu ich kann sie nicht mehr ertragen aber plötzlich verstummten die anderen kranken da merkte der arzt dass der schrei des kinders leiser geworden war noch leiser wurde und dann aufhörte. Ringsum fing das Jammern wieder an, aber gedämpft, wie ein fernes Echo des gerade zu Ende gegangenen Kampfes. Denn er war zu Ende. Castell war an die andere Seite des Bettes getreten und sagte, es sei zu Ende. Mit offenem Mund, aber stumm lag das Kind tief in den zerwühlten Decken. Es war auf einmal kleiner geworden und auf seinem Gesicht waren noch Spuren von Tränen. Panellou trat an das Bett und machte die Gesten des Segnens. Dann raffte er seine Soutane zusammen und ging durch den Mittelgang hinaus. Auch Rieu verließ mit stürmischen Schritten und einem solchen Ausdruck den Raum, das Panellou, als er von ihm überholt wurde, in den Arm ausstreckte, um den Arzt aufzuhalten. Na, Herr Doktor, sagte er. Ungestüm drehte Rieu sich um und schleuderte ihm entgegen. Ah, der hier zumindest war unschuldig, das wissen Sie doch genau. Dann wandte er sich ab, trat vor Panellou durch die Tür und ging hinten auf den Schulhof. Er setzte sich zwischen den staubigen kleinen Bäumen auf eine Bank und wischte sich den Schweiß ab, dem schon in die Augen ran. Am liebsten hätte er weitergeschrien, um endlich den gewaltigen Knoten zu lösen, der ihm das Herz zerdrückte. Die Hitze fiel langsam durch die Äste der Feigenbäume. Der blaue Morgenhimmel überzog sich schnell mit einer weißlichen Schicht, die die Luft stickiger machte. Rieu ließ sich auf seiner Bank zusammensinken. Er betrachtete die Äste, den Himmel, kam langsam wieder zu Atem und überwand allmählich seine Müdigkeit. Warum haben Sie so zornig mit mir gesprochen? sagte eine Stimme hinter ihm. Auch für mich war dieser Anblick unerträglich. Rieu drehte sich zu Panelle um. Das ist wahr, sagte er. Verzeihen Sie mir. Aber die Mündigkeit macht einen wahnsinnig. Und es gibt Stunden in dieser Stadt, in denen ich nur noch meine Empörung fühle. Ich verstehe, murmelte Panelu. Es ist empörend, weil es über unser Maß geht. Aber vielleicht müssen wir lieben, was wir nicht verstehen können. Rie richtete sich mit einem Ruck auf. Er sah Panelu mit aller Kraft und Leidenschaft an, deren er fähig war, und schüttelte den Kopf. Nein, Pater, sagte er, ich habe eine andere Vorstellung von der Liebe und ich werde mich bis zum Tode weigern, diese Schöpfung zu lieben, in der Kinder gematert werden. Aber ich will nicht mit ihnen darüber diskutieren. Wir arbeiten zusammen, aber für etwas, was uns jenseits von Gotteslästerung und Gebet vereint. Nur das ist wichtig. Paneleau setzte sich neben Rieu. Ja, ja, auch Sie arbeiten für das Heil des Menschen. Das Heil des Menschen ist ein zu großes Wort für mich. So weit gehe ich nicht. Mich interessiert seine Gesundheit. In erster Linie seine Gesundheit. Panilou zögerte. Herr Doktor, sagte er, aber er hielt inne. Auch auf seiner Stirn begann der Schweiß zu rinnen. Er murmelte auf Wiedersehen. Er wollte gehen, als Rieu, der nachdachte, ebenfalls aufstand und einen Schritt auf ihn zuging. »Verzeihen Sie mir noch einmal, sagte er. So ein Ausbruch wird nicht wieder vorkommen. Panelu streckte ihm die Hand hin. Und doch habe ich Sie nicht überzeugt. Was macht das schon, sagte Rieu. Was ich hasse, sind der Tod und das Böse. Das wissen Sie ja. Und ob Sie wollen oder nicht, wir sind zusammen da, um Sie zu erleiden und zu bekämpfen. Rieu hielt Panellus Hand fest. Sehen Sie, sagte er und vermiete es ihn anzusehen. Jetzt kann Gott selbst uns nicht trennen. anzusehen. Jetzt kann Gott selbst uns nicht trennen. In der Person von Dr. Rieu verweist uns Camus auf eine Liebesmöglichkeit, die wir heute existenziellen Humanismus oder einfacher und lebenspraktischer gesagt als Solidarität bezeichnen würden. Existenzieller Humanismus ist eine Form des Humanismus, die keinen Gott braucht. Es ist ein Humanismusbegriff, den wir heute allerdings erneuern, den wir vor allem erweitern müssen. den wir vor allem erweitern müssen. Wir müssen ihn um die Dimension Umwelt im weitesten Sinn, um Klima vergrößern. Wir müssen also zurückkommen auf eine kosmologische Sichtweise, die im antiken Griechenland bei den Stoikern und bei Epikur und auch in östlichen Philosophien schon angelegt ist. Um diese Form der Liebe, diese Haltung der Sorge, diese Form des Menschseins ist also viel weniger ein Gefühl, sondern vielmehr eine tätige Haltung mit all ihren Spannungsfeldern und Irrtümern. Auch im ärztlichen Tun zeigt sich diese Sorge in einem Spannungsfeld zwischen Empathie einerseits und der Abstraktion medizinischen Tuns andererseits. Empathie ist grundlegend im Umgang mit Patienten. Abstraktes medizinisches Denken und Tun ist aber genauso grundlegend in Bezug auf Diagnosestellung und Therapieentscheid. Mit Blick auf Corona, einerseits die Sorge um die einzelne Patientin, andererseits die abstrahierenden, kühlen Berechnungen der Epidemiologen. Und beides ist notwendig und manchmal schwer unter einen Hut zu bringen. Aber in diesem Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen müssen alle, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sich bewegen. In diesem Spannungsfeld verändern sie die Welt und gleichzeitig sich selbst. Zusammengefasst. Die Empörung angesichts der Absurdität, also die Revolte allein, führt laut Camus noch nicht zum Lebensglück. Erst die durch die Empörung ausgelöste Solidarisierung mit Mensch und Welt und Natur, ein in die Aktivität kommen, ein solidarisches, lebensförderliches Handeln kann zu einer gewissen Form von Lösung führen, führt aber zu keiner Erlösung, wie bei den Religionen. Und diese Form des existenziellen Humanismus ist durchaus auch politisch zu denken. ist durchaus auch politisch zu denken. Diese Form humanistischen Menschseins, diese Haltung der Sorge, kann auch als Bewältigungsmechanismus, als Sinnressource verstanden werden. Zitat Nichts widersteht der Hölle besser, als der den Dingen verliehene Sinn, meint dazu die französische Philosophin Anne Dufour-Montel. Eine weitere Liebesmöglichkeit, die uns die Welt und das Leben anbietet, ist die Freundschaft. Freundschaft kann uns auf mehreren Ebenen helfen. Wenn wir uns mit Menschen umgeben, die wir gut kennen, mit denen man vertraut ist, denen man traut, dann können wir mit deren Hilfe unsere inneren Wogen glätten. Es ist leichter, unseren Wunden, unseren seelischen Einbrüchen und Nöten zu begegnen. Wir brauchen uns freundschaftlich gesonnene Menschen, die uns dabei helfen, nicht zu vergessen, wer wir einmal waren und vor allem, ethisch gedacht, wer wir sein könnten. Wir brauchen also Menschen, die uns auf freundschaftliche Weise herausfordern und dazu beitragen, dass wir die beste Version unserer Selbst werden. Freundschaft. Damit sind wir bei zwei weiteren Romanfiguren angelangt. Bei Jean Tarou und bei Raymond Rombert. Stadt in Oran, als über sie die Quarantäne verhängt wird, die Stadttore geschlossen werden und er daher nicht mehr abreisen kann. Robert ist also gezwungen, in der Stadt zu bleiben, obwohl er nach eigenen Angaben mit dieser Stadt eigentlich nichts zu tun hat. Er ist durch diese Gegebenheit von seiner Geliebten, die in einer anderen Stadt wohnt, getrennt und möchte zu ihr zurück. Zunächst versucht er von Dr. Rieu eine Bescheinigung zu bekommen, um die Stadt auf legalem Wege verlassen zu können. Dr. Rieu, der diese Bescheinigung verweigert, befindet sich hier in einem Dilemma. Camus nimmt dieses ärztliche Dilemma, dieses Spannungsfeld zwischen Empathie und abstraktem medizinischen Tun nochmals auf, indem sich der Arzt Rieu dem Journalisten Rombert gegenüber empathisch verhält und die Legitimität seiner Glücks- und Freiheitssuche anerkennt. Andererseits aber verlangt die Situation vom Arzt die Notwendigkeit abstrakten medizinischen Tuns, in diesem Fall die Ablehnung, diese Bescheinigung auszustellen. Als Rombert auch aufgrund mehrerer Vorsprachen bei Behörden langsam erkennen muss, dass es unmöglich ist, auf legale Weise die Stadt zu verlassen, versucht er es auf illegalen Wegen. Stadt zu verlassen, versucht er es auf illegalen Wegen. Kostspielige Versuche schlagen fehl. Dann aber scheint sich eine Möglichkeit aufzutun und die nächtliche Flucht ist abgemacht. Am Tag davor aber kommt es bei einer Autofahrt zu einem Gespräch zwischen dem Journalisten Robert, Chantarou und dem Arzt Rieu. Rieu drehte sich um. Er kniff die Augen über der Maske zusammen, als er den Journalisten anblickte. Was machen Sie denn hier, sagte er. Sie sollten woanders sein. Ich möchte Sie sprechen, sagte Rombert. Wenig später setzten sich Rombert und Rieu hinten in das Auto des Arztes. Tarou fuhr. Kein Benzin mehr, sagte er beim Losfahren. Morgen werden wir zu Fuß gehen. »Ja«, sagte er beim Losfahren, »morgen werden wir zu Fuß gehen.« »Herr Doktor«, sagte Rombert, »ich gehe nicht weg. Ich will bei Ihnen bleiben.« Taro regte sich nicht. Er fuhr einfach weiter. Rieu schien unfähig, aus seiner Müdigkeit herauszufinden. »Ja, und was ist mit ihr? sagte er dumpf. Rombert sagte, er habe noch einmal darüber nachgedacht und glaube weiterhin, was er geglaubt habe, aber wenn er wegging, würde er sich schämen und das würde ihn in seiner Liebe zu der Zurückgelassenen stören. Aber Rieu richtete sich auf und sagte mit fester Stimme, das sei Blödsinn, man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe. Ja, sagte Rombert, aber man kann sich schämen, wenn man ganz allein glücklich ist. Tarou, der bisher geschwiegen hatte, wies, ohne den Kopf zu wenden, darauf hin, dass Rombert nie wieder Zeit für das Glück haben werde, wenn er das Unglück der Menschen teilen wolle, er müsse wählen. Darum geht es nicht, sagte Rombert. Ich habe immer gedacht, ich sei fremd in dieser Stadt und hätte nichts mit ihnen zu tun. Aber jetzt, wo ich gesehen habe, was ich gesehen habe, weiß ich, dass ich hierher gehöre, ob ich will oder nicht. Diese Geschichte geht uns alle an. Niemand antwortete und Rombert schien ungeduldig zu werden. Das wissen Sie doch ganz genau. Was würden Sie sonst in diesem Krankenhaus machen? Haben Sie etwa gewählt und auf das Glück verzichtet? Noch immer antworteten weder Tarou noch Rieu. Das Schweigen dauerte so lange, bis sie sich dem Haus des Arztes näherten. Und Rombert stellte seine letzte Frage noch einmal mit noch mehr Nachdruck. Und nur Rieu wandte sich ihm zu. Er richtete sich mühsam auf. Entschuldigen Sie, Rombert, sagte er, aber ich weiß es nicht. Bleiben Sie bei uns, wenn Sie es unbedingt wollen. Ein Schlenker des Autos brachte ihn zum Schweigen. Vor sich hinblickend fuhr er dann fort. Nichts auf der Welt ist es wert, sich von dem abzuwenden, was man liebt. Und doch wende auch ich mich ab, ohne dass ich weiß, warum." Er ließ sich in sein Polster zurücksinken. Es ist ganz einfach eine Tatsache, sagte er müde. Nehmen wir sie zur Kenntnis und ziehen wir sie Konsequenzen daraus. Welche Konsequenzen? fragte Rombert. Ach, man kann nicht gleichzeitig heilen und wissen, sagte Rieu. Also lassen Sie uns so schnell wie möglich heilen, das ist das Dringendste. Um Mitternacht, während Tarou und Rieu den Plan des Viertels aufzeichneten, den Rombert kontrollieren sollte, sah Tarou auf seine Uhr. Als er den Kopf hob, begegnete er Romberts Blick. Haben Sie Bescheid gesagt? Der Journalist wandte die Augen ab. Ich habe ihr ein paar Zeilen geschickt, bevor ich zu ihnen gegangen bin, sagte er mühsam. Gemäß Camus hat der Mensch also die Pflicht, glücklich zu sein, sich für sein Glück zu engagieren, auch angesichts der Pest, im Angesicht von Absurdität und Sinnlosigkeit. Durch dieses Glücksstreben ist der Mensch aber, so Camus, in ein Spannungsfeld geraten. Auf der einen Seite der Wunsch nach individuellem Glück, auf der anderen Seite aber verlangt die offensichtliche Sinnlosigkeit von Leid, Schmerz, Epidemie und Krieg eine Solidarisierung, eine solidarische Gesellschaft. Anders ausgedrückt, es besteht ein Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und einem kollektiven Freiheitsstreben. Und innerhalb dieser Problematik tauchen Fragen auf. Kann man individuell glücklich sein, wenn man ein Übermaß an Leid und Schmerz gesehen hat? Wenn man darin involviert ist? Wie weit kann sich ein Mensch von Schmerz und vom Leid anderer distanzieren, Schmerz und Leid anderer zurücklassen und unberührt, ungerührt ein neues Leben anfangen und glücklich werden? Inwieweit kann man überhaupt allein glücklich sein? Und dann taucht vielleicht, angelehnt an das Verhalten von Romer, ein heute etwas antiquierter Begriff auf, nämlich der Begriff der Würde. Wie wäre ein würdevoller Umgang, individuell und gesellschaftlich, mit einer Krise möglich? Was genau würde eine würdevolle Haltung angesichts einer Krise für mich, für uns, jetzt bedeuten. Aber wenden wir uns der letzten Romanfigur zu, mit der wir uns nun beschäftigen wollen, befassen wir uns mit Jean Tarou. Tarou und Dr. Rieu werden während und auch durch diese Krise Freunde. So wie die Pest auf die Menschen Einfluss nimmt, so formt sie auch die Freundschaft dieser beiden Männer. Sie tauschen sich aus, besprechen die wesentlichen Themen ihres Lebens, lernen zu verstehen und arbeiten an einer gemeinsamen Sache. Es klingelte an der Tür. Der Arzt ging öffnen. Im Halbdunkel des Treppenhauses sah Tarou aus wie ein großer, in Grau gekleideter Bär. Rieu bot dem Besucher einen Platz vor seinem Schreibtisch an. Sie waren durch die einzige im Zimmer brennende Lampe auf dem Schreibtisch getrennt. Ich weiß, sagte Taru ohne Umschweife, dass ich ganz offen mit Ihnen sprechen kann. Rieu stimmte schweigend zu. In 14 Tagen oder in einem Monat werden Sie hier nicht mehr nützlich sein können. Die Ereignisse wachsen Ihnen über den Kopf. Das stimmt, sagte Rieu. Die Organisation des Sanitätsdienstes ist schlecht. Es fehlt an Menschen und an Zeit. Rieu gab zu, dass auch das stimmte. Ich habe erfahren, dass die Präfektur eine Art Zivildienst erwägt, um taugliche Männer zu zwingen, sich an der allgemeinen Rettung zu beteiligen. Sie sind gut informiert, aber die Unzufriedenheit ist schon groß und der Präfekt zögert. Warum werden keine Freiwilligen gerufen? Hat man getan, aber das Ergebnis war dürftig. Man hat es über die Behörden getan, ohne wirklich daran zu glauben. Was denen fehlt, ist Fantasie. Sie sind in solchen nie gewachsen. Und mit den Heilmitteln, die sie sich ausdenken, wird man kaum mit einem Schnupfen fertig. Wenn wir sie machen lassen, kommen sie um und wir mit ihnen. Das ist wahrscheinlich, sagte Rühe. Das ist wahrscheinlich, sagte Rühe. Also, ich habe einen Plan, freiwillige Sanitätsgruppen zu organisieren. Geben Sie mir die Vollmacht, mich darum zu kümmern und lassen wir die Behörden beiseite. Sie sind ohnehin überlastet. Ich habe fast überall Freunde, Sie werden den ersten Kern bilden und natürlich werde ich mitmachen. Rühe dachte nach. Aber diese Arbeit kann tödlich sein, das wissen Sie ja. Jedenfalls muss ich Sie davor warnen. Haben Sie es sich gut überlegt? Taru sah ihn mit seinen grauen Augen an. Was halten Sie von Pannelusus Predigt, Herr Doktor? Die Frage war unbefangen gestellt und Rühe beantwortete sie unbefangen. Ich habe zu lange in Krankenhäusern gelebt, um die Vorstellung einer Kollektivstrafe zu mögen. Sie glauben aber doch wie Paneleu, dass die Pest ihr Gutes hat, dass sie die Augen öffnet, dass sie zum Denken zwingt. Der Arzt schüttelte ungeduldig den Kopf. Wie alle Krankheiten dieser Welt. Aber was für die Übel dieser Welt gilt, gilt auch für die Pest. Das kann einigen dazu verhelfen zu wachsen. Wenn man jedoch das Elend und den Schmerz sieht, den die Pest bringt, muss man verrückt, blind oder feige sein, um sich mit ihr abzufinden. Aber sie haben mir nicht geantwortet, Tarou. Haben sie es sich überlegt? Tarou setzte sich in seinem Sessel zurecht. Glauben Sie an Gott, Herr Doktor? Diesmal zögerte Rieu. Nein, aber was besagt das? Ich tappe im Dunkeln und versuche Klarheit zu finden. Gut, sagte Tarou. Warum zeigen Sie selbst so viel Aufopferung, wenn Sie nicht an Gott glauben? Ihre Antwort wird mir vielleicht helfen, meinerseits zu antworten. Ohne aus dem Schatten herauszutreten, sagte der Arzt, er habe schon geantwortet. Wenn er an einen allmächtigen Gott glaubte, würde er aufhören, die Menschen zu heilen und würde diese Sorge ihm überlassen. würde er aufhören, die Menschen zu heilen und würde diese Sorge ihm überlassen. Vorerst sind da die Kranken und sie müssen geheilt werden. Danach werden sie nachdenken und ich auch, aber das Dringendste ist, sie zu heilen. Ich verteidige sie so gut ich kann, das ist alles. Gegen wen? Heriö wandte sich zum Fenster. An einer dichteren Dunkelheit des Horizonts erkannte er in der Ferne das Meer. Er spürte nur seine Müdigkeit und kämpfte gleichzeitig gegen einen plötzlichen, unsinnigen Wunsch, sich diesem eigenartigen, aber wie er fühlte, brüderlichen Mann etwas mehr anzuvertrauen. »Ich habe keine Ahnung, Tahu. Ich schwöre Ihnen, dass ich keine Ahnung habe. Als ich diesen Beruf ergriffen habe, geschah es gewissermaßen abstrakt, weil ich einen brauchte, weil es eine Stellung wie alle anderen war, eine von denen die jungen Leute sich zum Ziel setzten. Vielleicht auch, weil es besonders schwierig für einen Arbeitersohn wie mich war. Und dann musste man sterben sehen. Wissen Sie, dass es Leute gibt, die sich weigern zu sterben? Haben Sie je eine Frau im Sterben niemals schreien hören? Ich schon. Da die Weltordnung durch den Tod bestimmt wird, ist es für Gott vielleicht besser, dass man nicht an ihn glaubt und mit aller Kraft gegen den Tod ankämpft, ohne die Augen zu diesem Himmel zu erheben, in dem er schweigt. Ja, das kann ich verstehen, stimmte Tarot zu. Aber ihre Siege werden immer vorläufig sein. Das ist alles. Rieu schien sich zu verdüstern. Immer, das weiß ich. Und das ist kein Grund, den Kampf aufzugeben. Nein, das ist kein Grund. Aber ich kann mir jetzt vorstellen, was diese Pest für sie bedeuten muss. Ja, sagte Rieu, eine Niederlage ohne Ende. Vielleicht zeigen uns Epidemien und Krisen unsere gegenseitigen Abhängigkeiten, unsere Verschränktheit mit der Welt mehr auf, als wir dies in normalen Zeiten wahrnehmen oder wahrnehmen wollen. Vielleicht begünstigen Epidemien und Krisen das Entstehen eines Bewusstseins von fließenden Grenzen. Fließenden Grenzen zwischen uns selbst und unseren Mitmenschen, zwischen uns selbst und Welt und Umwelt. Wenn uns die gegenseitigen Verflochtenheiten bewusster werden, wenn wir sie am eigenen Leib spüren, kann dann ein Bewusstsein von fließenden Grenzen zu einer lebensförderlichen Haltung führen, zu einer ethischen Haltung, die aus sich selbst heraus eine Haltung der Sorge ist? Könnte es nicht sein, dass wir allein durch das Gefühl der Verbundenheit und das Erkennen der Verflechtungen und Verschränkungen mit der Welt solidarischer werden? Oder richtiger, wäre es nicht möglich, dass die Erkenntnis, dass wir Welt und Natur sind, dass diese Erkenntnis uns anleitet, eine Haltung der Solidarität mit Welt und Natur einzunehmen? Könnte es nicht sein, dass diese Haltung der Solidarität dann zu einer Notwendigkeit wird und eine durch Religion und Kultur verordnete Nächstenliebe überflüssig? Und vielleicht können wir uns erst dann Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen, wie Albert Camus dies in seinem letzten Satz in Der Mythos des Sisyphos behauptet. Vor diesem Hintergrund kann uns Freundschaft vielleicht helfen, nach einer gemeinsamen Empörung oder Revolte ins gemeinsame Tun, nach einer Pause, nach einem Bad im Meer, wieder ins Handeln zu kommen. wieder ins Handeln zu kommen. Plötzlich schoss sein hoher Lichtschein auf und ein diffuses Geschrei drang gegen den Wind bis zu den beiden Männern. Der Lichtschein wurde gleich wieder dunkler und in der Ferne am Ende der Terrassen blieb nur ein rötlicher Schimmer. In einer kurzen Windstille hörte man deutlich Menschen schreien, dann das Krachen von Schüssen und das Geschrei einer Menge. Tarrou war aufgestanden und lauschte. Man hörte nichts mehr. An den Toren wurde wieder gekämpft. Jetzt ist es vorbei, sagte Rieu. Der Wind erhob sich wieder und Rieu fühlte ihn lau auf seiner Haut. Tau schüttelte sich. Wissen Sie, was wir für die Freundschaft tun sollten, sagte er. Was Sie wollen, sagte Rieu. Im Meer baden. Das ist sogar für einen künftigen Heiligen wie Sie ein würdiges Vergnügen. Rieu lächelte. Wenig später hielt das Auto an den Gittertoren des Hafens. Der Mond war aufgegangen. Ein milchiger Himmel warf überall blasse Schatten. Hinter ihnen stieg die Stadt stufenförmig an und aus ihr kam ein heißer, kranker Hauch, der sie zum Meer trieb. Sie zeigten ihre Papiere einem Wachposten, der sie ziemlich lange prüfte. Sie wurden durchgelassen und gingen über die voll Fässer stehenden Dämme und durch Wein und Fischgerüche auf die Mole zu. Kurz davor kündigte ihnen der Geruch von Jod und Algen das Meer an. Dann hörten sie es. Es plätscherte leise gegen die untersten großen Blöcke der Mole, und als sie hinaufkletterten, tauchte es vor ihnen auf, dicht wie Samt, weich und glatt wie ein Tier. Sie setzten sich auf die Felsen, dem offenen Meer zugewandt. Das Wasser hob und senkte sich träge. Dieses ruhige Atmen des Meeres ließ Ölschlieren auf der Wasseroberfläche aufscheinen und verschwinden. Vor ihnen lag grenzenlos die Nacht. Rieu, der unter seinen Fingern das körnige Antlitz der Felsen spürte, war von einem seltsamen Glücksgefühl durchströmt. Als er sich Tarou zuwandte, erriet er auf dem ruhigen, ernsten Gesicht seines Freundes das gleiche Glücksgefühl, das nichts vergisst. Nicht einmal das Morden. Sie legten ihre Kleidung ab. Rieu sprang als erster. Das Wasser kam ihm zuerst kalt, dann, als er wieder auftauchte, lauwarm vor. Nach einigen Stößen wusste er, dass das Meer an diesem Abend lauwarm war, von der lauen Wärme der Herbstmeere, die der Erde die in langen Monaten gespeicherte Hitze entzogen. Er schwamm stetig. Sein Fußschlag ließ einen brodelnden Schaum hinter ihm. Das Wasser glitt an seinen Armen entlang und schmiegte sich um seine Beine. Ein schweres Klatschen sagte ihm, dass Tarou gesprungen war. Rieu drehte sich auf den Rücken und lag reglos angesichts des umgekippten Himmels mit dem Mond und den Sternen. Er atmete tief. Dann vernahm er immer deutlicher ein in der Stille der Einsamkeit und in der Nacht seltsam klares Klatschen im Wasser. Tarou näherte sich. Bald hörte er seinen Atmen. Rieu drehte sich wieder um, schloss zu seinem Freund auf und schwamm im gleichen Rhythmus. Taro machte kräftigere Züge als er und er musste sein Tempo steigern. Einige Minuten lang schwammeln sie im gleichen Takt und mit der gleichen Kraft, einsam, fern von der Welt, endlich von der Stadt und der Pest befreit. Rieu machte als erster Halt und sie schwammen langsam zurück, außer an einer Stelle, wo sie in eine eiskalte Strömung kamen. Von dieser Überraschung des Meeres gepeitscht, beschleunigten beide wortlos ihre Züge. Wieder angezogen brachen sie auf, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Aber ihre Herzen fühlten gleich und die Erinnerung an diese Nacht war Wohltun für sie. Als sie von Weitem die Pestwache erblickten, wusste Rieu das Tarot, wie er dachte, dass die Krankheit sie eben vergessen hatte, dass das gut war und dass es jetzt wieder anzufangen galt. Danke. Applaus