7. Dezember, Befana. Sie müssen wissen, hatte er gesagt, Sie müssen wissen, dass wir schon seit einigen Jahren ein multinationaler Konzern sind. Früher, also das muss, naja, ich habe das auch noch nicht so richtig im Kopf. Das muss vor Jahren gewesen sein. Da war das noch so ein richtig kleiner Kleinbetrieb. Jeder hat jeden gekannt, das war gemütlich. Da hat es oft zwischendurch bei den Treffen einen Nachmittag zur freien Verfügung gegeben. Da sind wir dann zum Beispiel einmal, das muss in Prag gewesen sein. Vor allem in Prag war das, da war so ein kleines Café neben dem Dings, neben dem, mein Gott, wie heißt das jetzt wieder, ist weltberühmt, jeder Mensch kennt es und jetzt fällt es mir nicht ein, wie es heißt, aber ist ja egal, auf alle Fälle hat es da so ein kleines Café gegeben damals, der Kollege aus der Tschechei, der hat uns das gezeigt, weil von außen hätte man nie vermutet, dass da oben im ersten Stock so ein Lokal ist. Weil früher, also bevor die Grenzen gefallen sind, also damals, da war ja alles noch voller, da muss ja noch der Kommunismus gewesen sein. Und da hat uns eben der Kollege aus der Tschechei dieses Café gezeigt. Er hat bei einer kleinen Glocke geläutet und dann hat eine Frauenstimme etwas auf Tschechisch gefragt und da hat er dann etwas geantwortet und dann haben wir hinein dürfen. Drinnen ist die Treppe ziemlich steil hinaufgegangen und dann waren wir oben und da war dieses Café und dann waren so viele junge, hübsche Frauen, So hübsche Frauen habe ich vorher in Prag nicht gesehen. Die ganzen zwei Tage nicht, die unsere Tagung schon gedauert hat. Und die waren unheimlich freundlich zu uns. Und wir, wir auch. Also der Jirschi, der muss dort schon öfter gewesen sein, weil sie ihn schon mit Namen angeredet haben. Also wie der Irschi den Damen erklärt hat, dass wir alle in derselben Firma arbeiten, nur halt jede in einem anderen Land in Europa, da haben sie hell aufgelacht und waren noch netter zu uns. Mein Gott, das waren noch Zeiten. Schön war das damals. Und lustig. Auch schon anstrengend, aber eben familiärer, nicht so beinhart profitorientiert wie heute. Heute kann es dir passieren, dass du bei so einem Treffen, wir haben jetzt mindestens zweimal im Jahr unsere Tagungen, das ist auch neu, einem Frühling und einem Herbst. Früher haben wir uns einmal im Jahr getroffen, meist kurz nach dem Sommer. Aber jetzt, jetzt wollen Sie die Treffen vierteljährlich machen. Stellen Sie sich das vor, vierteljährlich. Heute kann es dir passieren, dass du nur mehr einen oder zwei kennst. Sie trauen uns nicht mehr, die neuen Eigentümer. Sie wollen alles unter Kontrolle haben, wissen Sie? Sogar unsere Urlaubsanschriften müssen wir bekannt geben, wenn wir zwischendurch einmal auf Urlaub gehen. Also, was wollte ich Ihnen eigentlich erzählen? Ach ja, von der Italienerin das. Das wollte ich Ihnen erzählen, damit Sie den Unterschied merken zwischen früher und heute. Haben Sie noch Zeit und interessiert Sie es überhaupt, was ich Ihnen da erzähle? Sie werden denken, der hört auch nicht mehr auf zu reden, der alte Depp. Aber es tut so gut, wenn man hin und wieder ein wenig jammern kann. Finden Sie nicht? Wird Ihnen ja auch nicht anders gehen, oder? Auf alle Fälle heuer im Frühling, heuer war das Treffen in Rom. Da lassen Sie sich nicht lumpen, unsere neuen Chefs. Also da fehlt uns wirklich nichts. Das muss ich schon sagen. Alles pipi fein, wie man so sagt. Picobello alles. Das Hotel ein Traum, Blick auf Rom, wunderschön. Aber was hast du denn von der schönsten Aussicht, wenn du dann von 9 Uhr früh bis 21 Uhr im Seminarraum hängst, mit einer Kaffeepause um halb 11, einer Mittagspause von halb 1 bis halb 2, noch einer Kaffeepause um 4 und dem Abendessen um halb 7. Glauben Sie, dass da irgendjemand noch der schöne Ausblick interessiert, wenn er um 9 am Abend den Kopf vollgestopft mit Informationen, neuen Regeln, Verhaltensvorschriften, Bekleidungsvorschriften, Produktinformationen, Garantiebestimmungen, Gewährleistungsgesetzen und was weiß ich noch mit was in allem sie uns quälen bei diesen Tagungen. Also da interessiert sich doch keiner mehr für die tolle Aussicht. Ja, was wollte ich? Ja, die Italienerin. Deshalb bin ich ja eigentlich auf Rom gekommen jetzt. Also die Italienerin. Also das war so, da sitze ich da vielleicht eine Viertelstunde vor Beginn der Tagung an der Bar und trinke noch einen Cappuccino, damit ich nicht gleich einschlafe, wenn es losgeht. Und da setzt sich eine ausgesprochen attraktive Dame neben mich, tolle Figur, vielleicht etwas zu sehr auf Jung zurechtgemacht in ihrem Alter, aber die setzt sich da neben mich, bestellt einen Espresso, zündet sich eine Zigarette an und fragt mich ungeniert, wer ich bin und wie es mir in Rom gefällt. Und Sie müssen wissen, also das ist auch neu, also wir dürfen ja seit neuestem nicht einmal mehr unsere Identität verraten, wenn wir bei solchen Tagungen sind. Irgendwann werden Sie uns auch noch den Kontakt zu den Einheimischen untersagen. Also die fragt mich und ich bin so baff, weil sie so gut ausgeschaut hat und weil sie sich so einfach neben mich gesetzt hat. Und ich sage die Wahrheit, wer ich bin und dass ich von Rom noch nichts gesehen habe, weil ich am Vorabend angekommen bin und in zehn Minuten die Tagung, wegen der ich hierbe anfängt. Und sie fängt an, weiterzufragen, ist total interessiert, zieht mir immer mehr aus der Nase heraus, was ich eigentlich gar nicht verraten hätte dürfen, aber sie hat mir halt so gut gefallen und ich habe mir gedacht, vielleicht wird noch was draus. Ich meine, ich bin doch auch nur ein Mann, alt zwar schon, aber ein Mann. Sie verstehen sicher, was ich meine, nicht wahr? Und wir unterhalten uns noch weiter und dann schaue ich auf die Uhr und sehe, dass meine Konferenz gleich anfängt und ich lade sie auf den Espresso ein und sie sagt ganz kokett, glatt sie, dreht sich lächelnd um und geht vor mir aus der Bar in unseren Tagesraum. Ich bezahle noch schnell, überlege dabei, wie ich an ihre Adresse komme und was sie da drinnen bei uns zu suchen hat, dabei, wie ich an ihre Adresse komme und was sie da drinnen bei uns zu suchen hat. Ob sie vielleicht die Sekretärin vom neuen Boss ist und wie die Vorstellrunde läuft. Was glauben Sie, wie sie sich vorstellt, die tolle Dame? I am Befana, the Italian member of the society, sagt sie und lächelt mir schelmisch zu. Ich denke mir, naja, vielleicht wird doch noch was draus, wer weiß. Da beugt sie sich zum neuen Chef hinüber und flüstert ihm etwas ins Ohr. Und der kriegt zuerst Schlitzaugen wie der japanische Kollege, dann reißt er sie auf seine Klubscher und starrt zu mir herüber. Und dann bin ich dran. Wissen Sie, wie mich der zur Sau gemacht hat? Vor all den Kolleginnen und Kollegen? Von Disziplinarverfahren hat er geschrien, von Missachtung der Betriebsvereinbarung, von schlimmen Konsequenzen für den Konzern, wenn das jeder machen würde und so weiter und so fort. Der Weihnachtsmann macht eine kurze Pause. Und das alles nur, weil ich die blöde Kuh nicht gekannt habe. Ich hätte der Kuh doch nie meine Identität verraten, wenn ich gewusst hätte, dass sie die italienische Weihnachtshexe ist.