23. Dezember Helmut Er hasste die Stadt. Mozartstadt, wie er sie nannte. Er hasste diese Stadt, in der man fast an jeder Straßenecke über dieses Arschloch von Mozart stolperte. Ob als Kugel, als Taler, als Toilettpapierhalter. Er hasste sie und trotzdem war er hier. Seit zwei Wochen trieb er sich in dieser Stadt herum. Eine Woche davon hatte er bei Karin gewohnt, in einer Mansarde auf der drüberen Seite. Ihretwegen war er auch aus Stahlstadt nach Mozartstadt übersiedelt mit seinem gesamten Hab und Gut. Er hatte Karin bei einer Hausbesetzer-Demo in Stahlstadt kennengelernt. Sie war eine Woche bei ihm geblieben, hatte sein Leben aufgemöbelt, seinen Hormonhaushalt wieder einmal auf gleich gebracht und war dann eines Morgens einfach abgehauen. Zurück nach Salzburg hatte sie auf einen Zettel geschrieben, sonst nichts. Sie war also fast einfach abgehauen, aus seinem Leben verschwunden, wie sie in es eingebrochen war. Er hatte tagelang nicht gewusst, was er tun sollte, hatte wieder gesoffen und seine runden Dinger geschluckt, war Tag und Nacht auf den Beinen gewesen. gesoffen und seine runden Dinger geschluckt, war Tag und Nacht auf den Beinen gewesen. Am vierten Tag hatte er sich dann plötzlich dabei ertappt, wie er weinend zu Hause gesetzen war, mitten im Chaos, das sie hinterlassen und er nicht verändert hatte. Er hatte reinen Tisch gemacht, hatte seine Ratte dem Zimmernachbarn überantwortet, hatte seine Habseligkeiten in den Seesack gestopft und war mit See- und Schlafsack zur Autobahnauffahrt in der Hafenstraße gestolpert. Nach relativ kurzer Zeit hatte ihn ein Typ aus Freistaat mitgekommen, der nach Wels gefahren war. Also war er bei der Autobahnraststelle in Heidansfelden ausgestiegen und hatte weiter sein Glück versucht. Auch von dort war er rasch weitergekommen. Ein Fernfahrer auf dem Weg nach München war sein Chauffeur gewesen. So war er nach Mozarts Stadt gekommen. Einen Tag und eine halbe Nacht hatte es gedauert und dann hatte er sie gefunden. Karin mit den grünen Haaren. Es war keine Frage gewesen, dass er mit dir nach Hause gegangen war. Es war keine Frage gewesen, dass er bei ihr geblieben war. Nach einer Woche aber hatte ihn Karins Mutter entfernt, hatte gemeint, dass ihr Haus ohnehin schon genug Ungeziefer beherberge, dass er sich nicht mehr blicken lassen sollte. Zwei Nächte hatte er noch unerlaubt und von Karins Mutter unbemerkt bei ihr geschlafen. Dann hat er sich auch mit Karin zerkracht und war auf der Straße gestanden am 19. Dezember. So schnell hatte er gar nicht schauen können, war er schon in der Szene gewesen. Sie kamen und gaben ihm zu trinken und zu schlucken und er lebte in Mozartstadt, als hätte er schon immer hier gelebt. Einmal noch traf er Karin, aber sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Seine Freunde waren Typen, die es in Mozartstadt gar nicht gab, gar nicht geben durfte. Reini, der von Kaufhausdiebstählen lebte, Karl der Dealer und Josef der Bettler. Sie schliefen in einem schönen alten Haus eine halbe Stunde Fußmarsch vom Zentrum entfernt, das gänzlich unbewohnt und ohne Strom und Heizung war. Es gefiel ihm dort und die Typen waren voll in den Vorbereitungen auf die Weihnachtsaktion, wie sie das nannten, an dem sie die ganze Zeit herumplanten. Es ging um eine Protestaktion am Christkindlmarkt und sie waren tagtäglich unterwegs, um auszukundschaften, wo der beste Ort und wann die beste Tageszeit für die Aktion wäre. Wie selbstverständlich ging er mit, war er dabei. Immer mehr identifizierte er sich mit dem Projekt, wurde die Aktion zu seiner. Irgendwann malten sie sich die Schilder, Reini hatte die dicken Filzstifte besorgt und er selbst hatte den Karton gekauft, weil Reini gesagt hatte, dass er weißen Karton nicht organisieren könnte. Mit Druckbuchstaben hatten sie auf ein Schild »Sie feiern, wir frieren« und auf ein zweites »Obdachlose alle Länder vereinigt euch« gemalt. Den Karton hatten sie nach dem ersten Tag der Aktion, sie hatten geknobelt, wer anfangen sollte, und Josef war als erster dran gewesen, mit durchsichtiger Klebefolie überzogen, damit die Schrift nicht verwischen konnte, durch Schnee, Regen oder unachtsame Passanten. Am zweiten Tag war Reini dran gewesen, am dritten, dem Tag vor Weihnachten, Karl, und am Weihnachtstag war er selbst dran. Sie hatten sich geeinigt, dass jeder den Ort der Aktion selbst bestimmen konnte und den Zeitpunkt und die Dauer, dass er aber die anderen drei am Vormittag informieren müsse, damit sie in der Nähe sein konnten und den, der dran war, unterstützen, falls es notwendig sein würde. Josef hatte beim Mirabellmarkt angefangen und hatte mehr als eine halbe Stunde durchgehalten, bevor ihn die Bullen abgeschleppt hatten. Vor seiner Verhaftung hatte er Reini und Karl noch die Schilder zugeworfen und sie waren in der Menge damit entkommen. Reini war auf dem alten Markt gegangen und dort hatte er nicht einmal eine halbe Stunde gebraucht, bis ihn die Bullen geholt hatten. Auch er konnte die Schilder noch rechtzeitig weitergeben, auch diesmal konnten sie flüchten. Auch Reini hielten sie für 24 Stunden im Knast. Am dritten Tag war Reini also noch im Knast, als sie Karl am Domplatz erwischten. Josef konnte das Schild, das ihm Karl zuwarf, nicht auffangen und lief ohne Schild davon. Er selbst nahm das Schild an und lief auch davon. Erst zwei Straßen weiter ging er langsam und konnte schauen, welches Schild er ger Er selbst nahm das Schild an und lief auch davon. Erst zwei Straßen weiter ging er langsam und konnte schauen, welches Schild er gerettet hatte. Sie feiern, wir frieren. Er stellte das Schild hinter eine Mülltonne, als hätte es jemand dort für die Müllabfuhr deponiert und ging zurück zum Domplatz. Er brauchte Kerzen, Christbaumkerzen und er wollte schöne rote und er fand sie. Ein Paket war schnell gestohlen und er freute sich kindisch. Der nächste Weg war zurück zur Schilderdeponie. Er nahm sein Schild und wanderte gemütlich Richtung Heimat. Sein Aktionsort war seit Tagen klar, er wollte am Alten Markt vor dem Café Tomaselli stehen. Als er bei der Tankstelle vorbeikam, überlegte er, ob er Benzin stehlen sollte, aber er wusste nicht, wie man Benzin stehlen kann, also kaufte er einen Kanister und ließ ihn mit Superbenzin füllen. Fünf Liter mussten genügen. Liter mussten genügen. Die Nacht überstand er mit viel Geschluckten, schlief sehr unruhig, wurde oft wach, aber schlief immer wieder schnell ein. Den 24. begann er sehr bald, es war 10 Uhr, als er losging und er wanderte den ganzen Tag durch die Stadt, deponierte seine Utensilien am Alten Markt und ging ab zwei Uhr nachmittags auf Punsch-Tour. Um 5 Uhr war er zurück am alten Markt und begann sich für die Aktion vorzubereiten. Um halb 6 stellte er sich auf, keine 5 Minuten stand er. Dann ging er in den Hintereingang neben dem Tomaselli, wo er den Kanister abgestellt hatte, steckte sich die Christbaumkerzen an und übergoss sich mit dem Benzin. Dann ging er vorsichtig hinaus, stellte sich wieder auf, lehnte das Schild an seinen Fuß. Kurz blieb er stehen mit ausgestreckten Armen. Dann holte er sein Feuerzeug aus der Jacke und zündete ganz vorsichtig die Kerzen an. Es dauerte noch ein paar Sekunden und die Passanten schauten ihn erstaunt an. Und dann fing seine Jacke Feuer. Heiß, immer heißer wurde es. Er konnte seine Arme nicht mehr ausgestreckt halten. Heiß, immer heißer. Die Kerzen fielen ab. Heiß, immer heißer. Er konnte sich nicht mehr ruhig stehen. Heiß, immer heißer. Er fing an zu tanzen. Heiß, immer heißer. Er fing an zu singen. Heiß, immer heißer. Er fing an zu tanzen. Heiß, immer heißer. Er fing an zu singen. Heiß, immer heißer. Er fing an zu schreien. Heiß, immer heißer. Er drehte sich im Kreis. Heiß, immer heißer. Er stand auf und sprang auf und nieder. Heiß, immer heißer. Er schrie. Heiß, immer heißer. Er sprang. Heiß, immer heißer. Er schlug um sich. Heiß, immer heißer. Er kippte nach vorne. Heiß, immer heißer. Er kippte und schrie. Heiß, immer heißer. Er wandte sich auf den Boden. Heiß, immer heißer, er kippte nach vorne, heiß immer heißer, er kippte und schrie, heiß immer heißer, er wandte sich auf den Boden, heiß immer heißer. Ein letzter gellender Aufschrei.