Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zur heutigen Veranstaltung begrüßen. Vor wenigen Tagen ist im Otto Müller Verlag Karin Peschkas neuer Roman Jomba erschienen. Wir freuen uns sehr, dass die österreichweite Erstpräsentation heute oder die offizielle Erstpräsentation heute bei uns stattfindet. Ich begrüße Karin Peschka sehr herzlich. Herzlich willkommen. Die Moderation des heutigen Abends hat die Autorin, Journalistin, Moderatorin und Lesebühnenpräsidentin Dominika Meindl übernommen. Danke dafür und ebenfalls herzlich willkommen. Es ist für ein Literaturhaus wunderbar, das Schaffen einer Autorin oder eines Autors kontinuierlich mitverfolgen zu können. Karin Peschka hat schon ihren ersten Roman Wagenmann bei uns präsentiert, auch die folgenden Bücher Fannypolt 2016 und Autolöse Wien, Erzählungen vom Ende 2017 und noch kurz vor dem ersten Lockdown, am 3. März 2020, den Roman Putzt euch, tanzt, lacht. In ihrem neuen Roman Jomba setzt sich Karin Peschka auf sehr berührende Weise mit einem eher unbekannten oder doch zumindest wenig beachteten Teil oberösterreichischer Zeitgeschichte auseinander. Auf zwei Zeitebenen spürt Peschka der Figur des Serben Tragan Jomba nach, der im November 1954 in Everding Aufmerksamkeit bei manchen Bürgerinnen und Bürgern Ärger erregt, indem er zwischen den Gräbern des Stadtfriedhofes tanzt. ihrer Gewirtstochter des Gasthofs zum Roten Krebs eine Scheue zuneigen zu dem inzwischen alt gewordenen Mann. Sie möchte mehr über ihn und seine Geschichte erfahren und über seine Beweggründe ausgerechnet hier nach Everding zu kommen und hier zu bleiben. Mehr über Karin Peschkas neuen Roman Jombo werden wir in den folgenden 75 bis 90 Minuten erfahren. Ich wünsche uns einen anregenden Abend und bitte Karin Peschka und Dominika Meindl auf die Bühne. Danke. Danke, liebe Regina Pinter. Jetzt muss ich meine Anmoderation leicht umbauen, damit wir keine Wiederholungen haben. Aber ich glaube, Sie halten auch die Wiederholungen aus. Es ist mir nicht nur eine Ehre, diese Buchpräsentation, die erste Buchpräsentation, die Premierenbuchpräsentation offiziell hier in Linz moderieren zu dürfen und ich habe der Karin Peschke schon angekündigt, das wird eine Lobeshymne und sie hat dann sehr uneitel das Gesicht verzogen, jetzt muss ich mich zusammenreißen, dass ich John Byrne nicht zu sehr lobe, man kann aber dieses Buch nicht über den grünen Klee loben, ich nehme es vorweg. Ich habe es heute erst zu lesen beendet und ich war richtig froh, dass ich dann die Moderation gleich darauf vorbereiten konnte, weil es ist eines von diesen Büchern, wo man nachher dann richtig, ich sage es jetzt germanistisch, in eine leichte Lücke hineinolpert und nicht wüsste, was man jetzt dann noch weiterlesen sollte. Also alle im Publikum, die von der Moderation vielleicht nur einen kleinen saftigen Verriss erwarten, muss ich jetzt schon enttäuschen. Die können jetzt schon in die Bar gehen. Nein, Jamba hat mich wieder sehr berührt. Parkin. Jamba hat mich wieder sehr berührt. Ich versuche jetzt nicht ganz zu viel davon zu berichten von meiner Begeisterung. Ganz cool und nüchtern. Es hat mich wieder sehr an den Watschenmann erinnert. Nicht nur, weil beide Bücher im selben Jahr spielen, also eine Zeitebene davon, und in dieser Aufbauzeit, wo die Traumata nach Möglichkeit vergraben werden. Es ist sehr viel Härte und unendlich viel Empathie drinnen und kein Funkenkitsch. Es geht ums Erzählen, es geht um das Eigene, das Fremde, um das sich Einrichten in der Fremde. Es geht um Everding und es geht ein wenig um das Aufwachsen als Wirtsdochter. Wir werden darüber noch sprechen. Ich mache eine ganz kurze persönliche Vorstellung mit der Bitte, sofort zu protestieren, wenn es nicht stimmt. Also ich schaue dann immer ein bisschen um. Du hast die Stirn franzen so, dass ich die Stirn zu wenig lesen kann. Ich kann das eh nicht. Der Toni, mein Sohn, kann das ganz gut. Nur eine Augenbraue hochziehen. So genau. Ich schaue einfach fest. Dann bist du Autorin und ich Moderatorin. Darum bist du Autorin und die Moderatorin. 1967 als jüngstes Kind der Betreiber des alten Wirtshauses zum Roten Krebsen geboren, die jüngste ist. Ich hoffe, das ist jetzt keine unscharmanten Irrtümer. Uschi schaut noch jünger aus. Gemeinsam mit ihrer Schwester betreibt sie das Everdinger Gastzimmer. Also es gibt leider den Roten Krebs nicht mehr, es wird es aus. Wenn man dir auf Facebook folgt, ich kriege immer so einen Hunger, wenn da wieder die Rezepte von deinem Vater, also schauen Sie es eigentlich, eigentlich sollten Sie es nicht anschauen, man kann dort nicht mehr essen. Genau, weil das Everdinger Gastzimmer gibt es die Institution noch und dort betreibt Karin Peschger mit ihrer Co-Kuratorin Marianne Jungmeier kongenial die Reihe 3x3. Also das ist auch so ein Aspekt, den ich sehr erwähnenswert finde, dass du auch Literatur anderer ermöglichst und präsentierst. Ich halte das doch auch relevant für dein Kunstwollen. Es wird immer darauf hingewiesen, dass du spät zu schreiben begonnen hast, was so wahrscheinlich nicht stimmt, aber zu veröffentlichen. Als Romanautorin 2013, und dann hat es aber gleich einmal gekracht und hat eigentlich nicht mehr ganz zu krachen aufgehört. Das ist der vierte Roman und preismäßig, ich erwähne gerne das Adalbert Stifter Stipendium, um dem Haus zu loben. Und dieses Buch ist dank des sehr tollen Robert Musil Stipendiums. Unter anderem deswegen. Also Dank für das Fördergeber herinnen sitzen. Das war gut angelegt, dieses Geld. Bevor du hauptberufliche Autorin wurdest, hast du als Sozialarbeiterin, also du hast die Sozialakademie absolviert und mit alkoholkranken Menschen, arbeitslosen Jugendlichen gearbeitet und das finde ich, kennt man im besten Sinne deiner Prosa auch an. Also es ist keine Literatur aus dem Elfenbeinturm und du hast aber auch schon im Kulturbereich für Ö1 in Online-Redaktionen als Projektorganisatorinnen. Und das ist durchaus ein Schaden. Stimmt das? Die Mutter schaut, die Duschen schauen, das ist alles geschwindelt, was ich sage. Mutti. Stimmt es eh? Noch. Bis hier richtig. Und bevor ich dich jetzt endlich um den ersten Leseblock bitte, möchte ich noch sagen, vorwegnehmen vielleicht, nur meine Meinung, den Begriff Heimatliteratur fasst man eigentlich nur gerne mit dicken Arbeitshandschuhen an oder mit der Kneifzange. Wenn Heimatliteratur, dann muss sie so geschrieben sein. Ich hoffe, Everding ist dann stolz, die erste Lesung in Everding, die offizielle steht noch aus, Hartkirchen und Alkofen sind auch dabei, nicht Alkofen, Aschach. Wir werden was machen in Aschach und Hartkirchen und es gibt vorab auch noch was in Everding bei uns. Kann man dann eigentlich wieder hinfahren? Es wird wieder eine ganz andere Lesung wahrscheinlich. Oder umgegehen, ich glaube es sind ein paar Everdinger da. Also es ist heute schon ein Heimspiel. Na ja, schauen wir mal. Ja, der Ausgangspunkt ist das kollektive Nichtwissen. Das gebe ich da jetzt aber schon als Stichwort für die Lesung. Ja, ich würde sagen, ich fange einfach an. Wir fangen einfach einmal an und dann machen wir einen Gesprächsblock. Ich würde sagen, ich fange einfach an. Wir fangen einfach einmal an und dann machen wir einen Gesprächsblock. Und wenn Sie Fragen haben, das geht eigentlich auch. Ja, genau. Wir haben es uns so ausgemacht, dass ich jetzt einmal lese, dann werden wir kurz reden und nochmal lesen, nochmal kurz reden oder länger reden. Je nachdem, du bist ja die Moderatorin, aber ich habe drei Leseblöcke vorbereitet. Und wenn ich gespürt, Zögert höre ich einfach auf. Also schauen Sie, bemüht interessiert es uns die Herzhafen. Das gespüre ich, da brauche ich gar nicht schauen. Gut, danke für die Einladung. Ich freue mich wirklich enorm, enorm, dass ich bei euch wieder lesen darf. Das ist einer meiner Lieblingsleseorte. Und dass Tragan hier quasi zum ersten Mal aus dem Buch steigt öffentlich. Ich erkläre jetzt wenig. Ich fange an mit dem ersten Kapitel und vielleicht, wenn ich dazwischen merke, dass da jetzt eine Figur vorkommt, zu der man ein, zwei Sachen sagen muss, damit sie sich auskennen, werde ich das einfach machen. Der Serbe tanzt. Steig mir aufs Grab, mein Freund, tanz zwischen den Toten, es regnet oder es regnet nicht, wen kümmert's? Seht euch diesen Mann an. Ob er immer noch so verrückt ist wie vor 23 Jahren, als er ankam in Everding? Das soll eine Stadt sein, soll er gerufen haben. Und das soll ein Friedhof sein. Und gleich den Pfarrer beleidigt, der kein einfacher Pfarrer war, sondern ein Dächern. Und das ist mehr. An der Großmutter lehnen sie Fragen. Was für ein Dächern. Sagt sie, dass es ein richtiger war. Einer, der die Predigt auch für sich hielt. Nicht allein für die Gemeinde. Die lauscht in den Bänken. Kalt war es in der Kirche damals schon, aber was weißt du, gehst ja nie. Stimmt nicht, Oma. Die Großmutter trägt eine Schürze über dem Kleid, hat die Hände im Schoß unter dem runden Bosen. Warum war der Dächern beleidigt? Weil er ihn einen Pfarrer genannt hat, als der ihn vom Friedhof, bricht ab die alte Frau, schaut nur. Sag Oma, erzähl, was hat er gemacht, der Verrückte? St, wirst still sein. Hast nicht gelernt, dass man nur gut reden soll über Fremde und über Nichtfremde auch? Erzähl, Oma. Stur bleiben. An der Schürze zupfen, kariert ist sie. Mit frischen Flecken vom Kochen. Sehen, dass die Hände müde sind. Lass. Getanzt hat er auf dem Friedhof. Nur getanzt, das war doch, du Quälgeist. Nackt soll er gewesen sein, komplett nackt, mitten im November, genieselt hat's. Und die Gräber alle aufgeputzt von aller Heiligen her, war nicht lang danach. und jedes Mal anders ausgeschmückt wird. Oder ist es wahr? Leibhaftige Augenzeugen gibt es wenige, sagt die Großmutter. Die meisten Leute kennen die Szene vom Hörensagen, vom Weitersagen, vom Hingehört haben und nichts Genaues weiß man nicht. Aber das, wer den Serben oder den Jugo, wie Zodo so genannt, ärgern will, er soll im Herbst 1954 nackt auf dem katholischen Friedhof zwischen den Gräbern herumgesprungen sein, barfuß auf dem Kies, mittelalt, nicht dünn, nicht dick. War ein gestandenes Mannsbild, sagt die Großmutter. Wenn ihn jemand ärgern will und zum Beispiel ruft, na Tragan, hast deine Toten heute schon durchgezählt? Nicht, dass du einen übersiehst? Dann antwortet er, der andere möge ihm aufs Grab steigen, es kümmere ihn nicht. Zufrieden sein für den Moment, sich lösen von der Großmutter, die eine Arbeit wieder aufnehmen will, die vor allem das Enkel loswerden will und es verscheucht. Geh jetzt. Damit wir Kinder uns zusammenfinden, hinten, wo der Konsum gebaut wurde. Daneben liegt brach ein Stück des inneren Grabens. Wird ein Parkplatz draus werden. Noch ist es ein Wäldchen voller Stauden, gerade hoch genug, um uns zu verbergen. Wir treffen uns in der Mitte. Bei der Königskerze ist unser Altar. Zu ihr tragen wir Geschichten wie jene des nackten Serben. Mag sein, die Zeit hat ihn ausgezogen und alles, was er, dieser Trager, dieser Fremde, sich tatsächlich vom Leib gerissen hatte, waren die Schuhe. Wir könnten ihn fragen, er hat einen Mund, er spricht unsere Sprache sogar im Dialekt, wenn er sprechen will. Aber wer von uns traut sich? Nein, nein, lieber spielen wir die Szene nach. Wer den kürzesten Grashalm zieht, muss der Jugo sein, muss verrückt herumtanzen und barfuß auf spitze Steine steigen. Ich überspringe jetzt ein Kapitel. Und wir sind jetzt nicht im Jahr 77, sondern im Jahr 54. Das stimmt nicht. Wir sind im Jahr 77. Ich hätte jetzt noch ein Kapitel übersprungen, das ich eigentlich lesen will. Wir sind im Jahr 77 und im Wirtshaus bei uns. Mann. Heute ist Tragan Csomba ein alter Mann. Alt, aber kein Greis wie unser Großvater, mit dem er manchmal am Stammtisch sitzt, immer an der schmalen Seite, im Rücken den grünen Kachelofen. Im Winter knackt das Holz darin, ab und zu kommt jemand und strottet mit dem langen Eisenstab in der Glut. Dazu muss man sich hinhocken, weil dem Kachelofen ein kleiner Tisch vorgebaut ist, eine Ablage für Zeitungen und Brotkörbe. Ohne sich klein zu machen, ist das Türchen nicht zu erreichen, durch das wir Geschwister Holzscheite in den Ofen schieben dürfen, aber nur, wenn der Vater es anschafft und hinter uns steht, zusieht. Der Kachelofen hält die Hitze so gut, dass er immer erst am nächsten Vormittag hergerichtet werden kann. Das zerknüllte Zeitungspapier würde sich von selbst entzünden, die Späne, die kurzen Scheite verbrennen. zünden, die Späne, die kurzen Scheite verbrennen. Alle paar Tage räumt ihn der Vater aus. Dann klappt er die kleine Tischplatte hoch und kehrt die Asche recht vorsichtig in den Ascheneimer, weil es sonst staubt. Am Morgen knarrt die Großmutter um sechs Uhr die Stiege hinunter, kümmert sich nicht um den Lärm und um unseren Schlaf, aber um alles andere. Schneidet das Gemüse, keiner kann es besser als Sie. Die Fisolen schräg für den Salat, schält Erdäpfel, arbeitet bis um 10 Uhr, das ist Ihr Tagwerk. Und Herr Jomber, das ist keiner, dem man vor das Gesicht springt und sagt, erzählen Sie uns etwas. Und darum geht es doch, dass jemand erzählt, nicht von dem, das wir kennen oder kennenlernen könnten von selbst, sondern vom Unerreichbaren, weil zu weit weg, zu lang vergangen. Kommt ein Fremder ins Gastzimmer oder einer, der zwar kein Fremder ist, weil ewig hier, aber dem das Fremde anhängt, schau wie er aussieht, wie er sich bewegt, dann weiß der mehr, dann wird es interessant, wie er sich bewegt, dann weiß der mehr, dann wird es interessant, vorausgesetzt er redet. Warten müssen, ist der Ofentisch frei, dort auf der Bank knien und probieren, wie lange sich die Hand oder die Wange an die heißen Kacheln drücken lässt und hoffen, nicht vertrieben zu werden von Gästen, die den Tisch brauchen. In Zeitungen blättern, Schlagzeilen lesen und sie kaum verstehen. Unfall im Kernkraftwerk Grundremmingen. Jimmy Carter, neuer Präsident. Die USA ist weit weg, Deutschland auch. Aber in Wahrheit lauschen. Alles aufsaugen, wie der gelbe Schwamm im Badezimmer der Großeltern. Ein kleiner Schwamm sein. Auf der anderen Seite des Kachelofens sitzt Herr Zschomba. Es ist sein Stammplatz. Sitzt ruhig, wo hinter ihm herumgewetzt wird, wo Bierdeckelhäuser gebaut werden und einstürzen. Sehr selten allein sein mit ihm, weil die Mutter Wäsche aufhängt und der Großvater fort ist. Der Vater oben im Wohnzimmer schläft bis halb vier, dann geht die Mutter hinauf und ruht sich aus bis fünf. Kurz aufs Geschäft aufpassen, falls jemand kommt. Und kommt ausgerechnet Herr Jombo, grüßt, setzt sich auf seinen Platz. Dann ist er ein freundlicher Mann. Stolz sein zu wissen, was er trinken will, es ändert sich nie. Ein Schnitt Bier, kein Seiterl, keine Halbe, ein Schnitt. Wir sind Wirtskinder und kennen keinen anderen Gast, der nicht zuvor mindestens eine Halbe trinkt, meistens zwei oder mehr, bevor er zum Schluss einen Schnitt Bier bestellt, in schon benutzte Glas hinein, das fast gerade unter den Zapfhahn gehalten wird, sodass es mehr Schaum gibt als sonst. Und erst wenn der Schaum sich senkt, steht fest, es ist ein guter Schnitt geworden oder ein schlechter. Der Großvater hat erklärt, Herr Jomber spielt nicht, weder Karten noch etwas anderes. Es gibt nur ein einziges Spiel, auf das er sich einlässt, jenes, einen guten oder einen schlechten Schnitt zu erwischen. Daher dürfen wir nie schwindeln und das Glas schräg erhalten, denn wir Schwestern und unser Bruder, wir können sehr wohl ordentlich Bier einschenken. Der Großvater sieht alles, ist still und schaut. Vor ihm, von ihm um die Schnapskarten und den Bummelzähler geschickt werden. Ein kleines Gestell mit verschiedenen farbigen Kugeln. Verstehen wollen, was damit gemacht wird. Der Bruder behauptet es zu wissen, aber ob das stimmt? So, und jetzt kommen wir noch zum Kapitel aus dem Jahr 54, wo nämlich eben dieser Jamba auf dem Friedhof tanzt. Der Dächs geholt worden ist der Herbert Genzel, der ist auch schon ein sehr greiser, geistlicher, und zwar vom Gendarmen, der wartet vor der Tür, Seiteneingang vom Everdinger Farbfriedhof und er geht hinein, um nachzuschauen, was da los ist. Füße. Die Wahrheit über das, was tatsächlich geschehen war auf dem Everdinger Friedhof im November 1954, sollten Zeit ihres Lebens nur zwei Menschen kennen. Herbert Gänzel, dächern, ursprünglich aus Steyr stammend, vor Jahren seitens der Diözese nach Everding versetzt. Und Tragan Csomba, aufgewachsen in einem kleinen Ort, am Ufer der Sawe gelegen und in der Nähe Belgrads, aus freien Stücken in Everding gelandet, die so frei nicht waren. Als Gänsel die Tür des schmalen Seiteneingangs hinter sich ins Schloss drückte, gab das einen kleinen Laut, ein metallisches Klicken. Herrgott Herbert, sagte er zu sich. Das Geräusch hatte den Brüllgesang auf der Stelle unterbrochen. Es hatte die Aufmerksamkeit des Fremden auf ihn gezogen. Dabei war der Geistliche noch unsicher, wie den Mann ansprechen, sanft, streng. Gänsel schloss die Tür, das Klicken unterbrach Gesang und Regen, es hörte auf zu nieseln. Jomba, die Arme in die Höhe gestreckt, stoppte in der Tanzbewegung, drehte sich um. Der Bart wirr, das Haar wirr, Augen und Mund aufgerissen, der Blick so traurig, das Gesicht so voller Verzweiflung, dass dem Geistlichen das Herz wehtat, es sich mit Mitleid füllte, es zum Bersten brachte und er zu Boden stürzte. Er fand sich auf der niedrigen Umrandung eines Grabes sitzend wieder, der Fremde neben ihm, ihn stützend. Der schwere Mantel, jener Mantel, der einen Grabstein verziert hatte, war ihm über den eigenen Mantel um die Schultern gelegt worden. Der Dächern, er saß gebeugt, den Kopf zwischen den Knien, spürte eine Hand im Rücken und betrachtete seine schwarzen Schuhe, die man putzen musste, dachte er, polieren. Schade drum, waren schön sauber gewesen. Sah neben seinen schon nasse Männerfüße mit Haaren auf Zehen und Rist, sah den Kopf vorsichtig zur Seite neigend, die dazugehörigen Beine ebenfalls gut behaart, darüber den Rand der bis zu den Knien aufgekrempelten Hosen, arme, schäbige Hosen. Das ist kein reicher Nicht, doppelte Verneinung, dachte er, und an den Deutschunterricht, den er in der Kaiser Franz Josef Schule manchmal supplierte, wenn der Lehrer ausfiel und er Zeit hatte. Wäre gern ein Lehrer geworden, ein weltlicher, aber die Familientradition. Weiter sah er nicht. Um weiter sehen zu können und den ganzen Mann in Augenschein zu nehmen, hätte Gänsel sich aufrichten müssen. Gott bewahre. er seine Tabletten genommen? Lagen sie im Pfarrhof auf dem Tisch in der kleinen Schüssel? Hatte ihn nicht der Arzt erst kürzlich gescholten, er solle seine Medizin gleich beim Frühstück einnehmen und nicht den ganzen Tag liegen lassen? Herrje! Gänsel stöhnte kurz und legte sich in deine Hände, mein Herr, verbarg sein Gesicht und schüttelte den Kopf. Atmen Sie, Puppe, forderte der Halbmärkte auf. Die Stimme nicht so tief, wie Gänsel es erwartet hätte von so einem Mann, einem so präsenten Mann, der leise nach Schweiß roch, ja leise und vor Hitze dampfte, glaubte der Dächern zu wissen. Gänsel krechzte, Dächern, ich bin kein Poppe, kein Pfarrer, sondern ein Dechend. Und dann, weil der andere nicht reagierte, sagte er zur Sicherheit, Dola sim umiru. Dopo, lachte der Fremde, er lachte tatsächlich, sagte er auf Deutsch und ohne auffälligen Akzent, dass er sehr froh sei, dass der Herr Pfarrer entschuldige, der Herr Dechend in Frieden käme, sonst hätte er ihn womöglich erschlagen müssen und hier bei den Kindern begraben. Und griff nach der Hand des Dechants, einfach so, nach jener, die ihm am nächsten war, der rechten. Denn er saß zu seiner rechten Seite, rechts Mortalitas, links Immortalitas. Nein, genau umgekehrt, Jesus saß zur Rechten des Herrn. Gänsels Geist war ein Unruhiger. Nichts wollte gelingen. Aufstehen, seine Hand aus der des Fremden ziehen, es stach in der Brust allein beim Gedanken daran. Zudem war die Berührung angenehm, wenn er sie zuließ. War ein gutes Gefühl, das andauern durfte, sollte aber nicht. Er wurde etwas gefragt. Was? Musste den Kopf heben und den Mann ins Gesicht sehen, der ihm nicht mehr zur Seite saß, sondern vor ihm hockte, ihn musterte mit dunklen Augen, die sich nicht deuten ließen. Griff auch nach der linken Hand. Der Friedhof ist kein Platz für einen, der krank ist. Kam noch näher an ihn heran, im Atem kein Alkohol, dabei hätte ein Rausch vieles erklärt, wäre von allen akzeptiert worden, ein wenig Entrüstung, ein wenig Getue, aber mit der Zeit. Fühlte ihm die Stirn, verdunkelte die Handfläche des Offenkundig und Unbesorgten, gänzelte Sicht. Ein seltsamer Mensch. Hockte ruhig vor dem Dächern, sagte nichts, tat nichts, tröstete nicht, beschwichtigte nicht, überlegte, schürzte die Lippen und kratzte sich schließlich am Hals das Kinn gereckt. Warte, sagte der Fremde, der ein serbisches Wiegenlied gebrüllt hatte mit einer Stimme, die das Blut in den Adern, ach Blödsinn, dachte der Pfarrer, Verzeihung der Dächern. Er richtete sich im Sitzen auf und streckte die Beine in den Kies. So konnte er den anderen beobachten und dabei sein Herz vergessen. Was tat der da? Bückte sich von Grab zu Grab, rüttelte sacht an den Laternen, aber nur an solchen, in denen Kerzen brannten, ging von einer zur anderen. Ja, frohe der Mensch nicht. Denzel zog sich den Mantel enger um den Leib. Für seinen Teil, ihm war es so kalt, dass er zitterte. Das Zittern hatte er nicht wahrgenommen, oder war es erst jetzt gekommen? Sollte gerade eintreten, was ihm der Arzt prophezeit hatte? Früher oder später bei gleichbleibender Lebensweise zu sterben, nein, auf dem Friedhof zu sterben, das wäre ein prosaischer Tod für einen Geistlichen. Gänsel musste lächeln. Ob sie ihn im Pfarrhof aufbauen würden oder seinen Leichnam der armen Erna Zeisig in der Aufbahrungshalle als Gesellschaft beistellen? Beim Sarg hatten ihre Kinder sich ja tief in die Tasche gegriffen. Das schlechte Gewissen, das durch Ernas Familie zog, war ihm vertraut. Seiner wäre daneben eine Schande, lächelte wieder, dachte an sein Testament, in dem er sich ausdrücklich einen armen Leutesarg bestellt hatte und ein Begräbnis zweiter Klasse. Damit sie etwas zum Reden haben, seine Schäflein und zum Streiten auch. Na siehst du, es muss dir besser gehen, wenn du lachen kannst. Der Fremde stellte ihm eine Grablaterne zwischen die ausgestreckten Beine, in der ein Licht flackerte, hockte sich hin, nahm wieder Gänsels Hände in die Seinen, dann legte er sie auf das gewölbte Dach der kleinen Laterne. Warm war es, fast heiß, gerade so, dass man sich nicht verbrannte. Aber, fing Gänsel an, den Tränen nahe, weil das Zittern nachließ und mit ihm die Angst. Keine Sorge, ich riech's wieder. War schlecht angeschraubt, das Ding. Ist vieles hier nicht gut angeschraubt. Hockten zwei Männer auf einem Friedhof vor einer Laterne, wie ums Lagerfeuer in einer anderen Welt, kannten sich nicht, aber kümmerten sich. Der eine war alt, der andere im Vergleich noch jung. Der eine hatte schmutzige Schuhe und war in ihm auch Hose und Mantel dreckig geworden vom Sitzen auf der bemoosten Grabumrandung. Und wie viele Farben das Moos hatte, Gänselnames war. Und der andere hatte nur Hosen an und ein hoffenes Hemd, war barfuß und barhäuptig und sagte, Was machen wir? Soll ich dich nach Hause bringen oder noch mehr Laternen holen? Er sah zu einer Seitentür hinüber. Oder wird mich dein Polizist da wegen Grabschändung verhaften? Spannten sich ihm die Muskeln an, bei aller Gelassenheit war das nicht zu verbergen. Spaten spannten sich ihm die Muskeln an. Bei aller Gelassenheit war das nicht zu verbergen. Blieb ruhig, aber bereit. Blieb dem Dächern zugewandt. Behielt dabei den Gendarmen im Blick. Herbert Gänsel sagte Gänsel und streckte dem Fremden seine angewärmte Rechte entgegen. Hilf mir auf, bitte, und hilf mir heim. Winkte dann auch dem Gendarmen, er solle kommen, mithelfen. Steck die Waffe weg und beeil dich, rief er ihm zu. Sehe er denn nicht, dass der Regen wieder stärker werde? Danke für den ersten Block. Ich habe für die Fragen so drei, vier Komplexe. Wenn es dir recht ist, würde ich, weil du im Zwischenkapitel schon das Leben als Wirtskind beschrieben hast, würde ich das gerne vorziehen. Es gibt mehr oder weniger zwei Hauptfiguren. Also alle Figuren sind wichtig, dazu möchte ich auch dann später noch kommen, was du mit den Figuren machst. Aber eigentlich die wichtigste Person, nämlich die Erzählerin, die Wirtstochter, die diese Geschichte überhaupt erst erzählt, das könnte komplett autobiografisch gestaltet sein und ist es wahrscheinlich auch. Also ich kann mir vorstellen, da wird nicht sehr viel geschwindelt sein über das Leben als Wirtskind. Das klingt schon so, schon keine Leerfahrt in die Küche, was ist übrigens ein Schnitt genau? Ein Schnitt ist ein Bier, da benutzt du das Glas schon, und da kommt dann nur mehr Bier rein, aber du hältst das gerade und nicht schräg, oder Mutti, so kann man das sagen. Also das ist für Menschen, die nicht ernsthaft dann das nächste große Bier trinken, sondern sie mit dem... Der Abschluss, genau. Der Pfiff quasi. Nein, Pfiff ist wenig. Nein, ich weiß schon, aber das werden wir einmal ausprobieren. Es gibt eine jetzt schon lange brachliegende Tradition, dass wir uns nur ein letztes Bier teilen. Okay, aber das ist nicht die wichtigste Frage zum Buch. War es das? Interessierend hat es sich schon. Natürlich. Ich bin erleichtert, dass ich nicht die Einzige bin. Gut, es ist kein festgelegtes Maß, sondern okay. Aber das Wirtskind, die Zehnjährige, die dann so schön langsam auch, es geht so über ein paar Jahre, sie kommt dann ins Gym. In Warnengl. Nein. Genau, sie kommt dann auf jeden Fall, also sie entwächst der Volksschule, aber dieses Wirtskind nimmt sie total zurück. Also das fällt richtig auf. Ich sage die Menschen nur in der direkten Rede und gerade das Wirtskind sagt nie ich. Da kommt nie das Wort ich vor. Es ist sehr distanziert und spiegelt, denke ich, diese Situation vor, dass eben das Erlauschte, du hast es eh gesagt, das Erzählen ist doch das Wichtige, dass der Jamba erzählen soll. Die konkrete Frage ist dazu, ist man prädestiniert, das Wirtskind dann auch zu schreiben? Also es werden nicht alle können, aber... Oh, gute Frage. Die Geschwister sind keine Schriftstellerinnen. Wir haben in der Familie einige Wirtsleute und ich glaube, ich bin bis dato die Einzige, die schreibt, oder? Ja. Aber es ist auf jeden Fall viel Zuhören. Zuhören, erzählen können wir alle ziemlich gut. Das Reden und Erzählen und natürlich das Gesellige. Mir haben die Schilderungen dieses Kindheitsalltages im Wirtshaus schon sehr gut gefallen. Es ist pflichtenreich, aber relativ schön. Also auch der Umgang der Eltern mit den Kindern, das ist auch irgendwo, man kennt diese Literatur, wo diese furchtbaren Schattenseiten der Kinder, wo man immer hakeln muss. Als Kind habe ich es jetzt nicht immer super gefunden. Das kommt eher in die Zeit. Ich habe mich relativ oft ein bisschen gedrückt vor dem Arbeiten und eher lieber gelesen. Aber das war halt auch ein Thema des Buches. Es gibt es natürlich immer in allen Familien, wo Familienbetriebe sind, in jedem Bauernhof, in jeder Bauernfamilie wird es genau gleich sein. Da, sobald man einfach als Generationenbetrieb irgendwo mitarbeitet, geht irgendwas anderes verloren. Wir holen das Familienleben eigentlich jetzt erst richtig gut nach. Wir haben halt ein eigenartiges Familienleben gehabt. Wir haben halt ein eigenartiges Familienleben gehabt. Das ist auch so ein Thema oder ein Sujet, das auch alle Figuren betrifft. Es ist in der vorgelesenen Passage, auch der Pfarrer wäre gern weltlich geblieben, Familientradition. Immer wieder ist es im Buch so, dass einer nicht werden will, was er werden mag, sondern muss und das auch ein Teil des Unglücks ist. War es für dich schwer, etwas anderes zu machen? Also schwer im Sinne von, dass die Familie traurig war, dass du da mitwirst? Nein, wir haben überhaupt nie einen Druck gekriegt. Überhaupt nicht, dass da irgendjemand von uns das dann übernehmen müsste oder so. Nein, das war überhaupt nicht der Fall. Bei mir ist es immer Zufall gewesen, was ich gemacht habe. Ich wollte mit 19 nach Wien und bin dann erst mit 30 tatsächlich weggekommen. Und dazwischen habe ich dann zufällig die Sozialakademie gemacht, auch das war nicht geplant. Ich muss mir mein eigenes Buch über das schreiben. Aber es hat alles gepasst und um das ist es dann gegangen. Also ich habe das auch nicht bereut. Weil, ich meine gut, die Figuren, die meisten Figuren, die sind definitiv mindestens eine Generation älter, aber das ist so, das ist diese Zusatzlast. Es gibt viele Lasten. Die beiden Weltkriege, aber ebenso diese ländliche Tradition, dass die auch die dunkelste Figur der Hans, der Neider, auch da gibt es ein Kapitel, wo man dann, wenn einer nicht werden darf, was er will, oder wenn einem wirklich die Zukunft verbaut wird durch die Eltern, dann ja ihm. Es ist ein Topos, der Jamba. Genau, es ist sicher ein Thema, weil mich das halt auch interessiert, was eben diese Zwänge machen, also eben genau in den Familien, früher ist das sicher noch schlimmer gewesen als jetzt. Ich glaube, unser Vater hat auch nicht als erste Wahl Koch lernen wollen, sondern eher schon. Hat er nicht einmal gesagt, er will Tischler werden? Das hätte mich interessiert, aber da ist nicht lange geredet worden und dann hat er halt das gemacht und das hat halt auch gepasst. Also das waren sicher ganz andere Zeiten. Und bei uns war das schon nicht mehr so. Ich bin auch froh, dass ich das Handwerk daheim nicht übernehmen habe. Was wäre das gewesen bei dir? Die Nachbarn glauben, dass ich es mache. Die fragen mich ernsthaft nach H&O-Tipps. Wenn ich da jetzt nicht aufpasse, muss ich bald Mandeln operieren. Aber das gehört nicht hierher. Genau, das wird's heiß. Also es ist schon irgendwie eine Schatzkiste für Erzählungen, aber der Stoff ist von alleine gekommen. Ja, ich habe mir gedacht, indem ich das Buch schreibe, weil das ja bei mir immer Thema ist, bei fast allen Buchvorstellungen, das wird das Kind. Und ich habe es ja immer dazu gesagt. Und ich habe mir gedacht, jetzt schreibe ich das Buch und erledige das einmal. Und das schaut eigentlich auch durch die Recherche so aus, wie wenn ich sieben Bücher schreiben könnte, was ich alles noch an Stoff habe und was noch alles da ist und was ich durch die Gespräche mit meiner Familie, mit meinen Eltern erfahren habe, alles. Das wäre ja unmöglich gewesen, das alles einfließen zu lassen. Es ist viel eingeflossen, also nicht zu viel, das möchte ich nicht sagen. Genau, das ist ich nicht sagen. Fakten, zu denen wir dann ja später noch kommen. Also ich glaube, wir müssen über dieses große Kriegsgefangenenlager dann eigens noch sprechen. Aber wie war es für dich, in Everding, über Everding zu schreiben? Vorsichtig. Nichts gegen Fürsten? Das habe ich mir verliebt. Nein, ich habe da ist kein Thema. Es kommt einmal nur das Schloss kurz vor, also das ist jetzt nicht das Thema gewesen. Aber ich habe natürlich darauf geachtet und habe da große Unterstützung gehabt, dass ich keine Namen verwende, die dann irgendeinen Rückschluss auf eine Person wo man dann zu denken kommt, ja jetzt schreibt sie über das oder schreibt sie über die oder den. Es gibt natürlich schon in so einer Stadt wie Everdeen ganz viele Figuren, wo man nur zwei, drei Worte sagen muss und man weiß sofort, wer das ist. Und das wollte ich einfach nicht. Und das ist mir eben nicht gegangen. Um was es mir eher gegangen ist, ist einfach das Leben in der kleinsten Stadt, also eine Kleinstadt zu beschreiben. Und bin beim Schreiben draufgekommen, dass ich die Figuren auch so vorstelle. Also wie man durch einen Ort geht, wie man aufwächst in so einer kleinen Stadt. Man kennt alle, man kennt die schon ewig, aber man weiß nie genau, also das Leben erfährt man oft erst viel später. Man wird, weiß ich nicht, zu wem hingeschickt, vom Vater geschwind, gehe nur geschwind zum Medikfüri und hole einen Schnittlach. Leben erfährt man oft erst viel später. Man wird nicht zu wem hingeschickt vom Vortag geschwind, gehe nur geschwind zum Medikführer und hole ein Schnittlach vom Geschäft. Und irgendwann nach 20 Jahren erfährt man dann erst wie die waren, wie diese Medik-Damen, wie wir sie genannt haben, erfährt man dann einfach so biografische Details und das fühlt sich dann erst viel später irgendwie, das ganze Bild. Und das habe ich gemerkt, dass beim Schreiben mir das genauso passiert ist, weil ich reise ja viele Figuren schon an und dann erst später kommt auf einmal die Biografie dazu oder Details aus dem Leben. Und so habe ich das eigentlich erlebt, das Aufwachsen in so einer Stadt. Man kennt die Menschen ewig und irgendwann, das ist wie so ein Schatzkisterl, erfährt man dann wieder was mehr, die war in Australien oder die war in England oder der hat das gemacht in der und der Zeit. Das hat mich immer sehr fasziniert. Das ist doch immer das Faszinierende, dass da jeweils immer ein individuelles Universum an einem vorbeigeht, die es einem irgendwo gar nicht interessiert, weil man sich ja nicht interessieren kann für alle. Man sieht immer nur das, was da ist, und irgendwann kommt so eine Tiefe dazu. Und wahrscheinlich gerade sieht man sehr wenig in einer kleinen Stadt, wenn man dort aufgewachsen ist, und wundert sich dann, wie wenig man gesehen hat. Ja, aber gehört hat man viel. Im Wirtshaus. Liebe Karin, lass uns die Zeit nicht davon galoppiert. Bitte lies noch. So, dann kommen wir jetzt zur Agnes. Die Agnes, also die Geschichte geht so weiter, dass der Dechand den Tragan-Ciombe mitnimmt in den Pfarrhof und ihn dort unterbringt. Und der Stefan Hintersteiger, der Gendarm, eigentlich gar nicht sehr damit einverstanden ist, aber er muss sowieso auf die Wachstube, weil da gibt es ein paar Männer, die machen sich Sorgen und wollen eigentlich schauen, ob der Serbe schon inhaftiert wurde, machen einen kleinen Aufstand. Und es gibt eine Pfarrersköchin oder eine Haushälterin, das ist die Agnes. Die stelle ich da vor. Ich lese da jetzt nicht das ganze Kapitel. Da ist ein bisschen Chaos in meinen Unterlagen, aber es wird schon kehren. Agnes sah zu, wie Hintersteiger sich entfernte, auf dem Weg blieb, beim Stadtplatz nach links abbog und sie ihn nicht mehr sah, aber hörte. Hörte das Gebrühen der Männer ansteigen, schob sich der Lärm durch den frühen Abend bis zu ihr und weiter. Über dem Geschrei die Stimme des Gendarmen, er konnte laut sein, wenn er wollte, war es selten, aber wenn, dann war einiges passiert, dann war ihm die Laus über die Leber gelaufen. Agnes wohnt im Haus des Gendarmen, also bei seiner Mutter, quasi auch als Haushaltshilfe. Das sage ich jetzt noch vorab. So sei er als Bub schon gewesen, sagte seine Mutter. Der Stefan war ein braver Bub, aber wenn ihm die Laus über die Leber gelaufen ist, wehe, wehe, dann habe sein Vater selig den Gürtel aus dem Hosenbund gezogen. Agnes stand und lauschte sich zurück in die andere Küche, in die vom Gendarmenhaus. Der Vater habe zwar eine strenge Hand gehabt, aber die Menschen gekannt. War einer böse? War er böse. War einer gut? War er gut. Hatte keinen Unterschied gemacht, weder auf der Straße noch daheim. Nie, fuchtelte die Alte mit ihrem mageren Zeigefinger Agnes vor dem Gesicht herum, nie wurden die wässrigen Augen noch nasser. Agnes wusste, was kommen würde. Der schmerzhafte Teil der Erzählung, wo dem gerechten Unrecht widerfahren ist, weil bei einer Beförderung übergangen und ein anderes Amt versetzt, eines ohne Personenverkehr und ohne Uniform. Agnes fragte nicht danach, obwohl die Antwort Frau Hintersteiger deutlich auf der Zunge brannte. Die Antwort auf alle Fragen seit neun Jahren, dass er allein aus diesem Grund hätte eingezogen werden können. Wäre ihm nicht die Gendarmenuniformen genommen worden, hätten sich die richtigen Leute für ihn eingesetzt, wäre er noch am Leben. Hätte er sich nicht gewehrt gegen die neue Zeit, wäre er kriegswichtig gewesen für den zivilen Schutz der Heimatstadt, sagte sie, schmückte es aus, spann den Faden immer weiter und bräuchte ihr keine Fremde zur Hand gehen im eigenen Heim. Agnes wusch weiter das Geschirr ab, trocknete die Teller, richtete den Topf mit dem Dächern Essen. Hätte ihr die Alte ruhig helfen können, so gebrechlich war sie nicht. Hatte alle aus dem Haus gejagt, Bauerntöchter und Kleinhäuslerfrauen und Stadtmädchen, die ihr vom Sohn vorgestellt worden waren als Hilfe. Hilfe, schrie die Alte. Das sollen Hilfen gewesen sein, das waren Lasten, konnten nichts, taugten nichts, schrie die Alte, wenn sie auf die Depression vergaß. Die Real war, die da war, 24 Stunden am Tag und sich manchmal zurückzog. Eine Katze, die auf dem Ofen schläft. Es gab eine Katze im Gendarmenhaus, die sich an den Beinen rieb oder beim Fenster saß und hinaus wollte. Starr saß, unbewegt und hinaus wollte. Starr saß, unbewegt, und hinaus wollte. Bei der Tür lag, sich aufrichtete und den langen Körper dehnte, sobald die Tür aufging und hinaus wollte. Sie musste drinnen bleiben, unbedingt. Die Fenster im Erdgeschoss waren dünn vergittert, stand die Luft, auch wenn man sie öffnete. Die Gitter hatte der Sohn angebracht, weil die Katze, eine Freigängerin als Kätzchen, der einzige Trost der Mutter war. Würde die Mulde überfahren werden, würde sich die Mutter vor einen Lastwagen oder den Zug werfen. der unzufriedenen Männer im Ohr, darüber deutlich Stefans Stimme. Agnes dachte, so gebrechlich ist sie nicht, die Mutter, als dass sie am Weg zum Bahnübergang scheitern würde. Vielleicht, wenn man vergisst, die Tür zu schließen, man könnte es vergessen. Gebrechlich, zerbrechlich. War ihr, der gründlichen Sorgfältigen, am ersten Tag ein Glas zerbrochen, beim Abwaschen? War vorher ein Haarriss zu sehen sehen gewesen hätte aussortiert werden sollen so aber ist noch gut wird verwendet tut seinen dienst die alte ist mein glas ich bin es gewohnt der ries ist nur an der oberfläche ist mein glas seit jahren und zerbrach beim abwasch musste so sein war sein, war zu erwarten gewesen, zog sich ein Schnitt über die Handfläche, mit der Agnes der Witwe nicht ins Gesicht schlug, als diese ihre Depression vergaß und mit dem Stock aufzog und drohte und zetterte und keifte und keine Fremde haben wollte in ihrer Küche, keinen Trampel, der ihr das Liebste nimmt. Die Katze versteckte sich in der Speis, auch dort das Fenster, auch dort ein Fenster, auch das vergittert seit jeher wegen der Motten und Fliegen. und sagte nichts agnes die fremd war im fremden haus und keine lust mehr hatte auf geschrei und beschuldigung aber auch keine sich neu ein heim zu suchen packte zu und hielt fest und schüttete die alte grad so dass die aufhörte und still wurde und sie duldete von dem zeitpunkt an aber die bluse ungewaschen in einen sack steckte und im Kasten verbarg, bei den Stoffresten, den selbstgenähten und nach dem Krieg wieder aufgetrennten Fahnen, die ihr der Mann verboten hatte aufzuhängen, hätte er nicht, wäre er, war schon Damenwitwe, sammelte Beweise. Agnes hatte die Bauerndüchter und Kleinhäusler, Frauen und Stadtmädchen kennengelernt und von Gläsern mit Sprüngen gehört und Narben gesehen und die Ehre nicht gezeigt. Da breche ich jetzt dieses Kapitel ab und springe weiter zu einer Szene, zu einer Szene, wo Tragan Chomba schon auf dem Friedhof lebt, auf dem Deinhammer Kriegerfriedhof, der bei uns im Everdinger Raum Serbenfriedhof heißt, und das nicht ohne Grund, dazu kommen wir wahrscheinlich noch, steht eine Hütte, Deinhammer Nummer 20, die hat tatsächlich eine Hausnummer und da hat auch früher mal wer gewohnt. Und ich habe den Tragan dort einquartiert. Ich habe es eh markiert, ich weiß nicht, warum ich so blöd herumblähte. Das ist die Nervosität wahrscheinlich. Und das ist jetzt quasi Tragans erste Nacht in dieser Hütte. Ihre Licht. Zwei Räume gab es, einen Vorraum und einen Hauptraum, ein Klosett, kleine Fenster, die Wände, das Dach, der Boden, Holz. Zwischen den Latten Streu eingedämmt. Trager umschritt die Hütte, fuhr mit dem Finger in die Spalten, wo sich die Bretter verbogen und verzogen hatten. War feucht, war trocken, war, sobald das Wetter stabiler wurde, auszubessern. Musste Abstand nehmen, der neue Bewohner, um die Lage einzuschätzen. Stand die Stille des Friedhofs im Rücken zwischen den Stählen. Das letzte Licht des Tages machte das Sehen schwer. Eine Leiter hing an der rückwärtigen Hüttenwand, eine Sense daneben. Morgen würde er sich den Dachbogen vornehmen oder übermorgen. Zuerst die beiden Räume sich herrichten, damit man darin leben konnte und es mehr war als ein Hausen. Anständig leben, was immer das geheißen hatte früher. Und wenn ich es verlernt habe, sagte Dragan zu niemandem, kein halbes Jahr im Pfarrhof, so schnell gewöhnt sich der Mensch an ein ordentliches Bett und an warmes Essen, an Sauberkeit und frische Wäsche, an Gesellschaft, an Menschen. Hätte gern den Hund hier behalten, den Psitsch des Dächerns, die kleine Bonny. Es wäre nicht der erste Hund auf einem Friedhof gewesen, kannte Geschichten und hatte erlebt, der Serbe. Aber Bonny war zu unruhig, würde die Fasane jagen und die Hasen, die unter dem Zaun durchschlüpften, die Eichhörnchen, die Hühner, falls er welche halten würde, würde er. Nun also, sagte sich Tragan, knapp über fünfzig und bettest dich zur letzten Ruhe auf einem toten Acker, auf einem, wie hatte Gänzle es genannt, auf einem Ehrenfeld. Beziehst ein Haus. Ist es die letzte Ruhe? Ankommen, suchen, finden und dann. Eins nach dem anderen, Tragan Schomba. Bald war die Hütte kaum auszumachen. Hier gab es keine Straßenlaternen, waren Wolken aufgezogen und es windig geworden. Kein Mond, keine Sterne, keine Elektrizität im Haus, kein Feuer im Ofen, war drauf und dran, sehr frisch zu werden, frostig. So war Dragans erste Nacht in der Hütte, die zwischen Donau, Auwald und Feldern auf dem Kriegerfriedhof stand. Spät fuhren zwei Buben auf ihren Fahrrädern vorbei, sahen eine Laterne über den Boden schwenken und hin und her geschwenkt sei sie geworden, ein tanzendes Irrlicht, wie in den Sagen, die sie in der Schule lesen mussten. ein tanzendes Irrlicht, wie in den Sagen, die sie in der Schule lesen mussten, keuchten die Buben den Eltern vor, deren Haus eines der neuen Häuser in der benachbarten Siedlung war. Und die Eltern glaubten ihren Söhnen nicht. So war Tragans erste Nacht in der Hütte. Er war noch einmal hinausgegangen, da es drinnen zu einsam war, hatte eine Laterne gefunden, eine Kerze hineingesteckt und angezündet. Einmal den Zaun entlang, rundherum, in die Reihen hinein, wo es Namen zu lesen gab, diese gemurmelt. Ja, Sandragan, sadashimim ofte, Prachomoya. Ich lebe jetzt hier, meine Brüder. Prachomoya, meine Brüder, lachte es, dieses flackernde, tanzende Irrlicht, das die Buben gesehen hatten, das sie dazu brachte, schneller in die Pedale zu treten und jahrelang, würden sie vom Schreck jener Märznacht im Jahr 1955 erzählen, ein lachendes, tanzendes Irrlicht auf dem Serbenfriedhof und konnten nicht einschlafen vor Angst und Ärger, weil die Eltern es nicht geglaubt hatten, nicht nachsehen wollten, obwohl keine 300 Meter entfernt und starke Taschenlampen im Haus. So war Tragans erste Nacht hier, hatte die Laterne in ein Fenster gestellt, die Tür verschlossen, die dünne Matratze, die ihm der Kleinhäusler Silvester gestenkt hatte, auf der Holzbritsche ausgerollt, sich so wie er war hingelegt, unter der Decke, er froh unter der Decke. Die Kerze brannte herunter erlosch, war kurz ein Klimmen zu sehen, das sich nicht festhalten ließ mit den Augen, war das Dunkel im Inneren dichter als draußen und wie der Stand tragernder versuchen aufzustehen und seinen Rucksack zu packen. Weil es keine Vorhänge gab, drehte er sich auf der Pritsche zur Wand, dachte sich zurück in der Zeit, womöglich half auch das gegen die Kälte, dachte an Agnes, die darauf bestanden hatte, sein neues Heim zu begutachten, ob es eines Menschen würdig wäre. War, Tragan schloss die Augen, um das Bild sich ins Gedächtnis zu rufen, mit verschränkten Armen mitten im größeren Raum stehen geblieben, die Lippe verzogen, war es Erstaunen gewesen oder Mitleid, hatte geschwiegen und den Kopf geschüttelt. Erst beim Abschied gesagt, im Fahrhof gebe es Sachen doppelt und dreifach, man könnte ein Zuhause daraus machen, aus dem da, zeigte hinter sich, sie käme vorbei. Keine Frage, ob es im Recht sei. Eine Ankündigung. Keine Frage auch an Gänsel, ob der Pfarrhof Inventar entbehren könne. Und weiter zurück in der Zeit ging es, Wochen, Monate, Pfarrhof, Everding weiter, Wien, die Jahre dort weiter, die lange Reise weiter, immer tiefer ging es, hinunter die Donau entlang Richtung Balkan, bis er einschlief, ein weißer Vorhang wehte aus einem hellen Haus, ein Sommertag und Stimmen und ein Plätschern an der Saabe und aufwachte am nächsten Morgen, so wie er eingeschlafen war. Bitterkalter Raum, Dragan streckte sich, ächzte, sah zu den Fenstern, ob jemand dort gewesen war in der Nacht. Lässt sich das feststellen im Nachhinein? Bleibt ein Wehen zurück, wenn es sich um Durchlässiges gehandelt hatte, so etwas wie einen Geist oder ein Geisterherr vom Soldatenfriedhof. Pudalo Matora schimpfte sich tragan, dass man im Aufwachen oft ein Kind ist, gut und schön, aber einmal muss Schluss sein, muss Lärm gemacht werden, in die Stiefel geschlüpft und kräftig aufgestampft und die Fensterflügel aufgerissen, dass das Glas im Rahmen schepperte. Auch das war zu kitten, alles Schäbige und Kaputte und heute zu beginnen damit. Zwei Buben radelten langsam vorbei, hatten wenig geschlafen in der Nacht, hatte sie das Irrlicht in ihre Träume begleitet, jetzt mussten sie nachsehen auf dem Weg in die Schule. Zu sehen war ein nackter Mann, der sich am Brunnen wusch, mit einer Hand am Brunnenschwängel, mit der anderen den dicken Wasserstrahl, sich über den Körper schöpfend und spritzend und das Gesicht hineinhaltend und schnaubend und die Haare darunter und gar nicht beruhigt waren die Brüder. Aber etwas zu erzählen hatten sie. etwas zu erzählen hatten Sie? Jetzt überlege ich gerade, welchen Fragekomplex ich, nein, ich muss ja nicht alles durchbringen. Du musst alles vorlesen. Lass uns über den sogenannten Serben Friedhof sprechen, weil ja ein Ursprung dieses Buches, das wirklich komplett unangenehm faszinierende Faktum ist, dass es so nordwestlich von Everding ein Kriegsgefangenenlager gab, zwischen 1915 und 1918, in dem bis zu oder mindestens 30.000 Menschen interniert wurden. Also verschiedenster Herkunft, Serben, Italiener, dort auch zu Tausenden gestorben sind. Also die teilen sich da zum Teil ein Kreuz. Wenn sie an einem Tag gestorben sind, dann gibt man alle Italiener da hinein. Also das ist ein historisches Faktum, das eigentlich komplett unbekannt ist. Ich kann mich erinnern, du hast mir das erzählt, und was, 30.000 Menschen neben, ich habe extra gegoogelt, Einwohnerzahl, eh verdient zu diesem Zeitpunkt keine 3.000, also deutlich drunter. Wie Linz hat, glaube ich, zu der Zeit, irgendwas zwischen 40.000 und 50.000 gehabt, glaube ich. Also eigentlich ein unglaubliches Faktum. Halb Wales ist da zusammen gepfercht auf so zweimal eineinhalb Kilometer, hunderte Baracken und davon ist nichts mehr, also schon lange nichts mehr zu sehen, oder? Nein, nur der Friedhof. Nur der Friedhof und dort gibt es auch keinen Hinweis. Darum geht es ja, dass Dragan dann seinen Bruder sucht und kaum Chancen hat, den zu finden, weil es weiß niemand, die sind nicht registriert worden. Es gibt schon Unterlagen dazu, aber es geht jetzt nicht darum, dass er ihn findet, sondern in dem Buch. Es wäre auf jeden Fall schwierig, wo er begraben ist oder wo er geblieben ist. Es sind auch Unbekannte dort begraben, das stimmt schon auch. Ich glaube, es steht sogar auf der Tafel drauf, 24 Unbekannte. Kollektives Nichtwissen. Es ist eine ganz kurze Bemerkung. Es gibt einen Plan, wo man anschauen kann, wo dieses Gefangenenlager sich ungefähr erstreckt hat. Das ist ja dann auch wieder reaktiviert worden im Zweiten Weltkrieg. Woher rührt denn, also mir das unangenehm fasziniert, diese totale Spurlosigkeit? Also bei uns war es so, ich erzähle das immer so, das liegt ja nicht direkt neben einer Hauptstraße, das liegt ja so in einer sehr ländlichen Umgebung, so kleine Landstraßen, kleine Landstraßen führt vorbei dort in der Nähe von Pupping und es ist so zwischen Donau, Auwald, Felder, dann kommen wieder Felder und dann kommt größere Straßen und dann kommt schon die Schamburger Leiten, das ist eben in dem Plan alles eingezeichnet. wir sind da gefahren, dann bin ich sicher ganz schnell vorbeigefahren, weil das total unheimlich ausschaut. Das ist auf einmal ein Friedhof mit riesengroßen Bäumen und so kleinen verstreuten Kreuzgruppen drinnen. Ich habe nur gewusst, dass es den gibt. Ich habe gewusst, dass es der Serbenfriedhof ist, aber ich bin wirklich erst als Erwachsene, das war vor dem Watschenmann, deswegen ist der Trager schon im Watschenmann drinnen, weil ich die Geschichte damals schon erzählen wollte, weil mein Verleger gesagt hat, beim ersten Roman nicht mehr als 300 Seiten. Also es war auch gut so, weil ich habe wirklich noch einiges lernen müssen, um dieses Buch zu schreiben. Also dass da ein paar Bücher dazwischen waren, war sehr in Ordnung. Aber ich bin Anfang 40 oder so, oder Mitte 40, ich weiß es nicht mehr, vorbeigefahren mit dem Radl, stehen geblieben und reingegangen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich drinnen und habe mir dieses Schild gelesen, das da draußen daneben am Eingang steht. Und da steht halt auf diesem Ehrenfeld, Ruhen so und so viele Österreicher, über 1000 Italiener, 24 Unbekannte, ich glaube ein Albaner. Und dann eben diese unglaubliche Zahl von 5362 Serben. Und wann immer du eine Zahl merkst, das ist schon was, weil merkt man sowas nie. Ich war total perplex und bin nach Hause zu unseren Eltern gefahren und habe meinen Vater gefragt, Vater, wieso? Was ist dort gewesen? Und er sagt, habt ihr das in der Schule nicht gelernt? Ganz genau so. Ich sage, nein, also ich nicht. Und da gibt es ja eine Szene dazu, wo dann die Schülerin nachfragt und die Lehrerin dann total handtäglich. Ja, genau, das habe ich aber erfunden. Die Lehrerin hat schon ein reales Vorbild. Aber die Szene, wir haben nie darüber geredet. Also es war kein Thema. Es war im Heimatkunde kein Thema. Ich habe dann auch nachgefragt, ich habe meine Schwester gefragt, ich habe meinen Bruder gefragt, die waren alle viel aufmerksamer in der Schule als ich. Wirklich, ich bin einfach ein total unkonzentrierter Mensch gewesen immer. Also wenn mir wer etwas erzählt, bin ich oft weg gewesen, wenn es fad war in Gedanken und das war halt in der Schule oft. Deswegen habe ich mir gedacht, möglicherweise habe ich das überhört, aber ich habe wirklich nachgeforscht. Ich habe sogar meinen besten Freund, der ist in Hartkirchen zu Hause, der ist ein guter Schüler gewesen, hat es nicht gewusst. Aber sobald man ältere, also wirklich um einiges ältere Generationen gefragt hat, haben die gesagt, habt ihr das nicht gelernt in der Schule? Ja, da war das riesengroße Lager, die haben nämlich das zweite Lager gesehen, also unser Vater ist Jahrgang 1933 und im Zweiten Weltkrieg ist das ein bisschen versetzt und ähnlich auf dem Gelände, aber ein bisschen versetzt, wieder aufgebaut worden und das haben alle gesehen. Und da haben die natürlich auch schon gewusst, dass da vorher im Ersten Weltkrieg auch schon ein Lager war. Aber es ist kein Thema gewesen. Heimatkundeunterricht haben wir ja noch gehabt. Ich weiß nicht, ob es den jetzt noch gibt. Es war kein Thema. Also in der Volksschule ist sowas ganz sicher kein Thema. Nein, eh nicht, aber ich bin in die Hauptschule gegangen in Everding. Heimatkunde ist eine Volksschule. Ja, also das in Schwertberg-Kaolin-Erde abgebaut wird, das haben wir alle gelernt, aber dass zum Beispiel in Hartheim das eine der wichtigsten oder schrecklichsten Tötungsanstalten war, wo sogar meine eigene Schwester dort wieder in die Tagesbetreuung gegangen ist, aber ich kann mich schon noch gut an diesen Schock erinnern, als ich dann wirklich wusste, was Hartheim ist. Ja, genau. Spät, das ist sicher eine späte Einsicht. Ich habe an Martin Pollacks kontaminierte Landschaften denken müssen. Das habe ich auch, das Buch. Ja, großartiges Buch. Es gibt Menschen, die sich kümmern um den Friedhof, jetzt noch. Genau, und das es gibt eben keine es gibt Menschen, die sich kümmern um den Friedhof, jetzt noch es gibt aber keine Gedenktafel Nein, noch nicht, aber das ist mein Ziel Mir geht es halt gar nicht darum, dass ich mag Denkmäler prinzipiell nicht wirklich gern, also Denkmal ist immer so eine schwierige Sache, aber einfach eine Tafel hinhängen mit vielleicht dieser Umriss von der Ausdehnung des Lagers, das wäre interessant und einfach ein paar Sätze dazu, damit man da einen Kontext herstellen kann. Also mein Ziel habe ich eh schon erreicht. Ich wollte keinen historischen Roman schreiben, sondern ich wollte das Lager erwähnen. Roman schreiben, sondern ich wollte das Lager erwähnen. Genau, das wollte ich auch sagen. Es ist eben kein historischer Roman, es ist nichts, gegen historische Romane was zu sagen wäre, aber es ist auch diesem Buch nicht anzumerken, dass du da jetzt irgendwie eine Agenda für die reale Außenwelt verfolgst, sondern das ist schon Literatur, um Literatur zu schreiben. Die Fragen, ich stelle es vielleicht nur ganz kurz, bei all deinen Büchern gibt es eines, das immer wiederkehrt, das Schreckliche des Menschen einander antun, das klingt jetzt furchtbar banal, aber mir kommt es so wichtig vor bei deinen Büchern, und gleichzeitig, dass sich unwahrscheinliche Freundschaften ergeben und diese Menschen sich schon mehr oder weniger immer ein bisschen retten. Gegenseitig, oder? Ja, sie stützen sich, also die brauchen ja alle die Stütze und so, ähnlich wahrscheinlich wie Mikado Stäbe zusammenführen, es ist immer eine prekäre Stütze und so, ähnlich wahrscheinlich wie Mikado Stäbe zusammenführen, es ist immer eine prekäre Stütze und es hat auch nie etwas kitschiges, so zusammen ist man weniger allein und da macht man einen super Hollywood-Film, es wird jemand gerettet und das geht es nicht, aber irgendwer denkt dann nach und die Figuren spüren die inneren Kämpfe des anderen. Da gibt es so eine Szene, wo die Agnes im Jamba die Hand gibt und die Narbe, von der du erzählt hast, und sie hat so das Gefühl, der spürt jetzt das Brennen der Narbe. Und das ist so ein Bild für das, wie die Figuren bei dir miteinander umgehen. Ja. Es war nicht wirklich eine Frage. Nein, es ist halt so. Also, ich weiß nicht wirklich eine Frage. Es ist halt so. Ich weiß nicht, ich denke mir, ich werde sehr grausam genug. Für mich ist das Schreiben sicher eine Flucht in etwas, wo ich mich wohler fühle, wo das vertraut. Das ist mir halt einfach auch vertraut. Also es kommt ja das Grausameme durchaus eindeutig vor. Das will ich ja eben nicht ausklammern, aber ich will eben auch nicht das andere ausklammern. Ich denke mir, dass das wichtig ist, also für mich ist es wichtig. Und ich kenne das auch, also ich kenne das ja auch persönlich, solche Freundschaften. Ja, also das ist eben ein Punkt, den ich herausgestrichen haben wollte. Einfach diese, wie ich es nennen soll, diese Einfühlungsbereitschaft. Also die Figuren sind, wenn gleich, fiktionalisiert, aber die haben schon alle ihre Wahrhaftigkeit und die interagieren auch sehr intensiv miteinander. Ich weiß nicht, ob es dir auch so geht, wenn man sich einen billig geschriebenen Tatort anschaut, man kann sich dann oft grün und blau ärgern, weil man das Gefühl hat, da hat sich überhaupt keine Mühe gemacht, sich hineinzuversetzen, wie es die Figuren jetzt gehen muss. Und da ist bei dir eigentlich auf jeder Seite das Gegenteil der Fall. Fragezeichen? So? Rufzeichen? Kommt. Bitte? Die haben gesagt, die haben einen Läder gesehen, die sind sehr groß und einen Läder Da haben wir jetzt das Thema für die Nachbesprechung. Einen Einwand. Inhaltliche. Dieser Roman, also weil ich jetzt die Sprache nicht habe, da geht es ja auch um Sprache und formale Aspekte. Ich habe Sprache vorbereitet, weil wir nur dazu gekommen sind. Ja, dann ziehen wir es gerne vor. Wir können gerne die Frage jetzt, haben Sie eine konkrete Frage? Also Richard, wenn es der Richt ist, dann kann ich meine Fragen zur Sprache stellen. Erzähl uns von der Poetologie und von dem, was du zur Sprache dieses Romans überlegt hast. Es ist mir aufgefallen, sehr oft, die Sätze sind manchmal kurz. Es ist durchaus an der gesprochenen Sprache angelehnt. Es ist aber eine ganz eigene Kunstsprache. Die Sätze beginnen sehr oft mit einem Verb. So ähnlich wie man Geschichte erzählt. Gestunken hat es und dann ist das. Und es ist aber gleichzeitig eine sehr literarische Sprache. Genau, und bitte, wenn ich noch dazu fragen darf, gleich, wie funktioniert eine Sprache zum Beispiel nördlich von München? Du hast es ja gelesen, das ist kein reicher Nicht, oder da hat jemand einen Kuster. Hast du da Streit mit der Lektorin? Nein, überhaupt nicht. Und meine Lektorin ist sogar aus Bayern. Überhaupt nicht, gar nicht. Aber es ist schon so, dass ich Rückmeldungen kriege, dass man manche Worte eben nicht versteht. Aber ich lese zum Beispiel auch englische Romane und mein Englisch ist jetzt nicht so super gut und manchmal versteht man halt ein Wort nicht, aber aus dem Kontext versteht man es halt doch. Also da mache ich mir keine großen Gedanken. Ich werde wahrscheinlich in Deutschland jetzt nicht so die Mega-Abräumerin sein, aber mir geht es ja nicht jetzt momentan vorrangig um das. Und zur Sprache komme ich, indem ich schreibe. Ich denke nicht darüber nach, was für eine Sprache ich habe. Es entwickelt sich ein Bild und ich schreibe dem Bild nach und dann kommt die Sprache von selber. Nachdem ich jedes Mal lese, ich lese laut, also jedes Mal, wenn ich geschrieben habe und dann wieder einsteigen in das Schreiben, indem ich vielleicht am nächsten Tag weitermache oder nach einer Pause, lese ich das vor mir selber, damit ich es höre, damit ich den Rhythmus höre. Das ist mir wichtig. Also das ist jetzt keine konstruierte Sprache, sondern das ist so, wie sie das Ding mir erzählt beim Schreiben. Also so wie die Figuren auch miteinander sprechen. Ja, das ist ganz einfach. Das ist jetzt nichts, wo man große Gedanken macht, sondern so ist es. Es könnte nämlich auch wirklich so sein, dass du jetzt wirklich ganz viel an die Sprache gedacht hast. Es ist ja auch eine Kunstsprache. Nein, aber das ist so. Nein, so gescheit bin ich nicht. Das kommt, wie es kommt und so schreibe ich es. Und wenn es passt, dann passt es. Da braucht man gar kein großes Gewäse dran machen. Ich weiß nicht, Richard, ob du zufrieden bist mit dem wenigen Gewäse um die Sprache. Mein Vorschlag ist, dass du jetzt noch den letzten Teil liest und dann schauen wir einfach, ob noch Zeit für Fragen bleibt. Und sonst, es ist ja insofern nicht schlimm, als Karin Peschke ja noch hier ist bei uns und Bücher signiert. Da kommen wir eh dann nachher noch dazu, falls Sie jetzt schon zum Alex zurückschleichen wollen und Bücher kaufen wollen. Ja, ich lese jetzt noch knappe Viertelstunde, wenn das passt. Ja, das geht so aus bis neun, oder? Keiner schüttelt den Kopf, also mache ich es einfach. Die suchen jetzt schon das Geld. Nein, ich lese schnell. Ich möchte einfach nur zwei Kapitel lesen. Das eine ist die Postkarte, da geht es ums Lager. Und dann möchte ich noch ganz gerne einmal kurz ins Gasthaus zurück, um es ein bisschen versöhnlich abzuschließen. Postkarten. Die Tür stand offen, die Fenster ebenfalls. War Dragan bei Tagesanbruch von der Pritsche gerollt und hatte ihr in die Decke gewickelt einen Tritt versetzt. Auf, auf, alles auf, Luft rein, Wind rein. Auch ein Friedhof ist lebendig, besonders der, der den Toten überlassen bleibt. Keine Grenze, keine Kerzen, kein Grabschmuck. Falls doch, fraßen die Rabenvögel das Wachs und zupften die Hasen das Grün aus den farbigen Gebinden, die an festlichen Tagen zum Gedenken und unter Gerede und so weiter. Oder die manchmal bei den einzelnen Kreuzen zu finden waren, hingelegt zu ihren Füßen, ein Ratespiel. Ruth, die gefallene Verwandtschaft, die sich längst in der Zeit entfernt hatte, tatsächlich hier? Immer wieder kam es vor, dass Fremde beim Tor zögerten, allein oder in kleinen Gruppen, hatten ein, zwei, drei Gräber ausgewählt und die Rehe, die über den Zaun sprangen in der Dämmerung, hatten zu tun. Während die Fremden in die Heimat zurückfuhren, italienische, albanische, serbische, rumänische, russische Städte und Dörfer ins Hügelland eingebettet, wie dieser Friedhof hier, fuhren zurück und hatten eine Pflicht erfüllt, ein Foto geschossen und den Bauern, bei denen der Großvater, Vater, Onkel, ein Foto geschossen und den Bauern, bei dem der Großvater, Vater, Onkel, der ältere Bruder, der Jugendfreund in einem der großen Kriege zur Zwangsarbeit verpflichtet gewesen war und von dem er, der Großvater, Vater, Onkel, der ältere Bruder, der Jugendfreund, in den seltenen Postgarten aus dem Kriegsgefangenenlager Aschachat Kirchen geschrieben hatte, es seien gute Menschen gewesen, es habe ihm dort an nichts gefehlt, er Großmüttern, Müttern, Tanten, den Schwestern und sich selbst gegenüber. Und waren erleichtert und waren es nicht. Wurden daheim erwartet und mussten erzählen, mussten auf Fragen antworten. Hatte der Altbäuer und die Altbäuerin in ihren Augen Tränen der Erinnerung an den Dragolju, Bianco, Eugenio, Lassa, Avram, Vassili, Bekim und waren sie freundlich zu denen, die die Erinnerung ins Haus gebracht hatten nach so vielen Jahren, nach den beiden großen Kriegen, bei denen der zweite auf die alte Last frisch eine neue gestapelt hatte, konnten die Besucher nichts anbieten außer verschlossene Türen und viel zu viele Gräber, reimten sich Heldengeschichten zusammen, während die Züge sie zurückbrachten, zurückschaukelten. Erfanden nicht zu viel und nicht zu wenig, gerade genug, um den Großvater, Vater, Onkel, den älteren Bruder, den Jugendfreund auf ein kleines Podest zu stellen, den Jugendfreund auf ein kleines Podest zu stellen, auf das er herausrage aus der Masse, der hier an Typhus, Ruhe und Menschenelend und Gewalt und Heimweh und gebrochenem Herzen Elend verreckten. Und manche erfanden zudem die Lüge, dass von dem riesigen Lager, das im Ersten Weltkrieg von hier nach dort weit über 30.000 Mann gefasst hatte, das mit eigenem Postamt, Bäckereien, Dampfwäschereien, einer Telefonanlage mit 30 Sprechzellen, Operationszimmern, Werkstätten, einem Pumpwerk und einer von acht Brunnen gespeisten Wasserleitung, verschiedenen Zonen, Stationen und militärischer Ordnung in der Nacht von Bergfried der Ruine Schaumberg aus betrachtet, als eigene Stadt hell geleuchtet hatte, mit unzähligen elektrischen Lampen. Ein wundersamer Anblick sei das gewesen, erzählt man sich. dass man nicht alles geschliffen hätte, sondern dort, wo Vierkante und schöne Felder waren und der Segelflughafen am Fuß der Schaumburger Leiten, flogen, um zur Ruhe zu kommen, zu einem Abschluss, dass eine Baracke stehen gelassen worden war und statt der Gefangenen nun ein Lagermuseum beherbergte, mit einer Tafelwand aus Marmor an der Außenseite, in die alle Namen der Verstorbenen geschlagen waren. Schulkinder würden hergebracht. Ein beliebtes Ziel für Wandertage, vorbildlich gelebte Heimatkunde. Und nach dem Museumsbesuch werden, stellt euch vor, von den Kindern Feld- und Wiesenblumen gepflückt und auf dem Friedhof bei den Kreuzen verteilt. Gelogen. Und dort, wo der deine, meine, unsere ruht mit großer Wahrscheinlichkeit ganz bestimmt, liegen besonders viele Blumen, als ob seine gute Seele die Kinder anziehe. Hast du nicht erzählt, dass ihm, dem Vater, Großvater, dem Bruder, Onkel, Jugendfreund, die Kinder immer zugelaufen waren? Warum ich keine Fotos davon gemacht habe? Ich habe es dir gesagt. Der Film war aus, das Licht war schlecht, die Kamera kaputt, die Blende falsch. Alles gelogen. Und gaben die Postkarten zurück, den Großmüttern, Müttern, Tanten, den Schwestern und sich selbst. Und standen in der fremde Kistchen und Pferdchen und geschnitzte Pfeifen aus Birnbaumholz auf Ehrenplätzen. Birnbaumholz auf Ehrenplätzen, Kleinode, die in den Lagerwerkstätten von Dragolio, Bianco, Eugenio, Lassar, Avram, Vassili, Bekim hergestellt und den braven Bauersleuten als Andenken geschenkt worden waren und nun zurückgegeben. Und wurden ihre glatten Flächen gestreichelt und beweint und belächelt und waren Teil der Beschwichtigung, waren Lüge. Aus dem Trödelmarkt vor dem Bahnhof gekauft, in aller Eile und Verdrängung, weil der Zug bereit stand und zur Abfahrt gepfiffen wurde gleich und gleich. Aber Tragan Jomba war nicht zurückgefahren mit falschen Geschichten und Souvenirs im Koffer. War viele Jahre unterwegs gewesen und endlich auf Um- und Abwegen hier angekommen, am beginnenden Frühjahr 1955. Stand am Morgen dieses Tages in der Hüttentür, bevor er sich aufmachte, Silvester Moor den Leiterwagen zu bringen. Bringst du mir wieder und kriegst ein Frühstück, hatte der am Vortag gesagt, als sie das Nötigste aufgeladen und verschnürt hatten, in der Holzhütte ohnehin zu wenig Licht, um weiter nach Brauchbarem zu suchen. Und Agnes Kern unter Dächern schon am Serbenfriedhof warteten. Am Morgen nach dieser ersten Nacht schepperte es und zwitscherte es und trieb es den Wind durchs Haus, ruckelten blaugraue Tauben mit schmalen Köpfen, saßen am steinernen Brunnen-Trog und gurrten lauter, als Tragan sich dort auszog, um Kälte mit Kälte zu vertreiben, sich nackt wusch am Brunnen, obwohl noch alles im Schatten. Die Tauben flogen aufs Dach und schauten herunter vom First, flatterten auf, als zwei Buben erst langsam vorbeiradelten, dann schneller, dann so schnell sie es vermochten. Tragan schloss Fenster und Türen nicht, zog sich an, noch feucht und fröstelnd, das Zittern unterdrückend. Eine Kunst, die ihm, als er ein Kind war, der Alte am Fluss beigebracht hatte, ihm gezeigt, wie mit Kälte umzugehen war. Du musst dich konzentrieren, Draschko, hatte er gesagt. Sie waren am Saarweufer gestanden, zwischen den Steinen das flache Wasser mit Eis überzogen. Ein magerer Kreis und ein dünner Bub, weicher Pflaum zwischen den Schulterblättern, den Rücken hinunter, die weiten Hosen aufgekrempelt. Daneben hatte der Alte ohne Hemd gebückt, die Schuhe ausgezogen, die Socken, das Kind ihm nach. nimmt gebückt die Schuhe aus, gezogen die Socken, das Kind ihm nach. So, hatte der Alte gesagt, standen in der Eissonne und frohen, und wenn das Zittern kam, konzentrierten sie sich und ließen es nicht zu. Dass man mehr aushält, als man glaubt, dass ein bisschen Kälte einem nichts tut, dass man freier ist, wenn man damit umgehen kann. Der Alte, ein Einsiedler mit im Dorf verspotteter Weisheit, hatte dem kleinen Traschko, der von ihm lernen wollte, die warme Hand in den Rücken gelegt, weil sich die Wärme bewahren lässt. Es dauert, bis einer erfriert. Das kalte Wasser des Flusses seiner Kindheit, tragernd Schomba, die Jacke offen, den Kopf unbedeckt, das Hemd nicht bis oben zugeknöpft, den leeren Leiterwagen hinter sich herziehend auf dem Weg zum Kleinhäusler Silvester. Wusste die Donau ganz in der Nähe und dass es dort Stellen gab, wo sich das Eis lange hielt und welche, die flach oder tief waren. Wusste, dass jener, wegen dem er hier war, der sich von ihm entfernt hatte in der Zeit, wie er sich selbst am Ufer der Sabe gegen die Kälte gewappnet hatte, mit dem Alten im tiefsten Wind der Löcher ins Eis gehackt und hineingeklitten, nach Luft schnappend und lachend und was für ein Mann aus ihm geworden ist, Draschko, und du bist wie er, du erinnerst mich an ihn. War durch die Baracken des Lagers Hartkirchen-Aschach, von denen keine einzige mehr stand, deren Bretter verheizt worden waren oder verbaut in Scheunen und Holzhütten und Stallwänden, war durch diese Baracken der Wind gezogen wie ihm durch die Hütte und hatte es Eisblumen an den Fensterscheiben gegeben und einen Kanonenofen, dessen Glut in der Nacht erlosch und am Morgen Atemwolken vor dem Gesicht und Zittern und Fluchen und war einer auf seiner Pritsche gelegen und hatte der Kälte widerstanden, war etwas freier gewesen als die anderen Saatragern. All das sah er auf seinem Weg durch die frühe Märzsonne. Der Leiterwagen rumpelte, Knospen an Sträuchern und Bäumen, eine Ahnung von Grün, die Triebe und Tulpen und an geschützten Flecken die ersten weißen und gelben Blüten. Und zum Abschluss noch einmal ins 77er Jahr und ins Wirtshaus. Schanktisch. Das mit dem Alter muss nicht stimmen. Schaut die Schwester jünger aus, weil sie kleiner ist und zart gebaut und ist die ältere um 19 Monate und 21 Tage. Am Schanktisch die Frau sieht aus wie uralt und ist angeblich kaum älter als unsere Mutter. Auf einem Bierblock das Alter der Mutter ausrechnen. Es kann nicht sein, dass die Frau, die bei ihr sitzt an leeren Nachmittagen, dass die Frau mit dem verhunzelten Gesicht und den Knochenarmen und den Haaren, die so dünn und wenig sind, dass die Kopfhaut durchschimmert. Dass diese Frau nur drei Jahre älter ist als unsere Mutter, die jung aussieht und die Haare schöne Dauerwellen und eine Zeitung vor sich oder das Strickzeug dabei und sich unterhält mit der doch nicht so alten Frau. Die Haustür und die Gastzimmertür aufgespreizt, fahren Autos. Ab und zu bleibt jemand stehen und liest die Speisekarte. Und jeden Tag tippt der Vater die Tageskarte frisch mit zwei Fingern. Adlersuchsystem nennt er das. Bleiben Leute stehen und lesen die Karte und kommen nicht rein, weil zu spät zum Mittagessen und zu früh für eine Kleinigkeit und wegen Kaffee geht man ins Kaffeehaus, oder? meint die Mutter, ihren Kopf über ein Strickmuster gebeugt. Die Kaffeehäuser müssen auch ein Geschäft machen, sagt sie. Und Frau Tröger lächelt. Sie hält sich dabei wie immer, wenn sie lächelt oder lacht, die schmale Hand vor den Mund. Warum sie keine Zähne hat, wer kein Geld hat, hat keine Zähne. Wer nicht gesund ist, dem können keine neuen eingesetzt werden. Jetzt hätte ich gern einen Verlängerten, sagt Frau Tröger, weil die Frau Wirtin davon gesprochen hat, hat sie einen Guster drauf bekommen. Geh, macht der Frau Tröger einen Verlängerten. Die Dose mit dem Kaffee öffnen, der Duft, die Sudlade, eine Serviette auf das kleine Silbertablett, der Zuckerstreuer, ist noch Marisi da? Dass zum Verlängerten etwas Süßes gehöre, sagt die Mutter und steht auf, bringt aus der Küche ein halbes Stück Wachhauertorte, ein schmaler Spitz, ein Klecks, Schlagobers, nicht viel. Und dass das ein Resterl sei und Frau Tröger drauf eingeladen und beugt sich wieder über das Strickmuster, redet über dieses und jenes und dass sie uns Kindern Hosen nähen möchte, Latzhosen, und wir morgen eine Zierung hätten, die Totensemmeln wären schon bestellt, und da es ein großes Begräbnis sein werde, würden alle helfen müssen. Schaut auf und schaut auf uns, auf die Wirtskinder, und wir kennen unsere Rolle und stehen hinter der Schank. Im Kopf die Bilder vorab, die übergroßen, mit Anis bestreuten Semmeln, die heißen Schüsseln mit Semmelcreme, genug für jeden Tisch und zu jeder Schüssel einen Schöpflöffel, die Täler mit Rindfleisch und Erdäpfelgrößel und vorher Suppe und danach Wachauer oder Linzer Torte und so viele Cafés. Und dass die trauerschwarzen Leute auch lachen können bei einer Zerung. Die Schwester zeigt mir die Totenpate und das Foto des Verstorbenen und weiß, dass der Talbauer der Hausname ist. Hat jeder Bauernhof seinen Namen und jeder Gasthof auch. Sie haben brave Töchter, sagt Frau Tröger, ist winzige Bissen. Ob das so ihm auch helfen würde morgen? Wenn sie ein wenig gesünder wäre, sagt sie, dann käme sie selbst. Ich habe Kellnerin gelernt, beim Kirchenwirt, aber jetzt wäre sie zu schwach für die schweren Teller und legt die Kuchengabel weg, sucht etwas, wird ein Taschentuch sein, wird sich schnäuzen und dann ist es still, legt sich etwas Stilles rund um den Schanktisch, klappern die Stricknageln der Mutter leiser. Traurig sein wegen dieser Frau, sich aber auch ein wenig grausen vor ihrem Mund und den Haaren und den langen Fingern mit den gelblichen Nägeln. Immer hat seine Jacke an, kann noch so heiß sein draußen, mitten im Sommer wie mitten im Herbst. Kommt, wenn kaum Gäste da sind. Manchmal dreht Frau Tröger im Vorhaus um, bleibt stehen vor der Tür und lauscht, wer da ist. Einmal war am Nachmittag der Vater in der Küche, hat ihn einer vom Stammtisch zur Küchentür geholt, hat zum Vater gesagt, dass das nicht gut wäre fürs Geschäft, dass geredet wird. Die Frau hat vielleicht was Ansteckendes. Sie sitzen zu lassen am Schanktisch und die Wirtin daneben, was das für ein Bild wäre, brachte der Vater gleich ab, sagte dem Stammtisch, dass er gehen könne und nichts zahlen brauche, einfach gehen und nicht wiederkommen. Die Mutter nickt am Tisch. Frau Tröger erzählt aus dem Kellnerinnenleben. Sie habe das gern gemacht, sagt sie, und ihr Traum wäre gewesen, in München beim Oktoberfest viel Geld zu verdienen. Sie hätte sicher viele große Bierkrüge tragen können. Maß, heißen die in Bayern, sagt sie, wären doppelt so groß wie die unseren. Die Mutter nickt und sagt nicht, dass das wieder gut werden würde mit der Kraft und der Krankheit. Sagt nichts vom bald gesund werden. Sit sitzt da und hört zu und redet selbst etwas und verschenkt die Torte den schmalen Spitz, der kein Rest ist. Im Kühlraum steht die Torte frisch angeschnitten. Sind Schritte im Vorhaus und räuspert sich jemand die Kehle frei. Herr Zschomba kommt zur Umzeit, ist nicht seine Zeit. Hatte, sagt er, etwas zu erledigen in der Stadt und wollte sich einen Schnitt holen. Machst mir einen, De Wojka, und sieht, wer am Schranktisch bei der Mutter sitzt. Dankeschön. Jetzt muss ich unterbrechen, weil Sie müssen ja noch einmal applaudieren. Damit es uns nicht zu stark verjagt. Ich muss Ihnen nämlich jetzt ein bisschen aushelfen. Sie kennen das von der Kirche, da kommen dann noch so ein bisschen Verlautbarungen und dann kann man wieder in den Alltag steigen oder ins Wirtshaus. Ich möchte eigentlich jetzt gerne ins Wirtshaus gehen. Büchertisch von der Buchhandlung Alex, höchstpersönlich, hinten vertrieben. Ich glaube, es gibt mehrere Exemplare von Jamba, aber auch aus dem Oeuvre von Karin Peschke. Lieber Alex, hast du Oeuvre? Genau. Strafen Sie ihm Lügen, kaufen Sie ihm den Tisch leer. Bei Regina Pinter bedanke ich mich stellvertretend als Hausherrin des heutigen Abends. Und noch einmal möchte ich meiner Freude Ausdruck verleihen, dass ich heute moderieren durfte. Und jetzt aber bitte um einen sehr großen Schlussapplaus für Karin Peschke. Und einen schönen Abend. Jetzt aber bitte um einen sehr großen Schlussapplaus für Karin Peschke. Applaus