Ich und das andere. Die 80er, ein Versuch in Nadelstreif und Mickey Maus, mit bunten Hosen, manchmal Leggings und einem rosaroten Pullover aus Polyester. Die Musik war seltsam, der Alkoholspiegel konstant, kein Geld mehr in der Tasche, doch wir schafften es durchzuhalten, abzuräumen, kotzten uns um zwei Uhr nachmittags die Reste aus dem Leib. Beim Flanieren durch die Stadt ist sie mir immer wieder begegnet. Manchmal kam sie mir entgegen, ein andermal sah ich sie vor mir gehen. Anja stand auf ihrem Sweater, mehr weiß ich nicht von ihr. Anja stand auf ihrem Sweater. Mehr weiß ich nicht von ihr. Das Telefon und zwei Liter Rotwein, das genügte einen Sonntagvormittag lang. Deine Eltern waren in der Messe und wir hatten Zeit für uns. Die Nachmittage waren verloren, gingen einfach so vorüber, die Straßen und Plätze waren leer, die Gasthäuser geschlossen und ich kam nicht mehr zur Ruhe. Zwei, drei Klänge dieser Komposition müssten genügen, um unsterblich zu sein, dachte ich, als ich sie zum ersten Mal spielen hörte am verstimmten Flügel in diesem seltsamen Haus, in dem so viele ein und aus gen, doch an diesem Abend spielte sie nur für mich. Die Gespräche am Nebentisch drehten sich um verschiedene Ausgänge, wie Notausgänge und Seitenausgänge. Irgendwann reichte mir das und ich verließ das Lokal durch den Haupteingang. Im Regionalbus, der sich durch die ländliche Gegend bewegt, unterhalten sich der junge Busfahrer und ein noch jüngerer Fahrgast über die Vor- und Nachteile von künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Als mich der großgewachsene, muskulöse und reichlich bebilderte Mann auf der Straße mit raschen Schritten überholt, entströmt seine E-Zigarette ein süßlicher Erzbeerdufter. Der detuierte Leuchtturm auf dem Oberschenkel des Mädchens irritierte mich anfangs, doch langsam entdeckte ich, dass man auch in einem Bilderbuch lesen kann. Das Credo damals lautete, am besten die Kirche im Dorf lassen, aber den Opferstock mitnehmen. Opferstock mitnehmen. Wir hatten kaum noch zu essen, aber alkoholische Getränke in rauen Mengen. Es genügte einfach zu sehen. Das Dach über dem Kopf konnte auch das Dach eines Abbruchhauses sein. Es waren die letzten Tage vor dem Zusammenbruch. Keine Wünsche an die Zukunft, nur der Rausch im Jetzt, der zählte. Wir lagen im Boot, damals im See, in der waldigen Gegend, vom Schilf vor Blicken geschützt. Unsere Zehen berührten sich sanft. Und das ist auch alles gewesen. Es muss Anfang der 90er Jahre gewesen sein, unterm Tisch sitzend und knutschend, vom Tischtuch verdeckt, beobachteten wir die vorbeitanzenden Füße der Partygäste. Der Mann im Bus, groß, kräftig, längeres, welliges Haar, bewacht umsichtig seinen riesigen roten mit Stretchfolie und einer schweren Kette umwickelten Koffer. Am Griff des Gepäckstückes ist eine Ausgabe des Strafgesetzbuches eingeklemmt. Manchmal sehne ich mich nach dem Orange der 70er Jahre. Nach diesen bunten Tapeten, den mit großflächigen Mustern bedruckten Teppichböden, nach Fototapeten mit stillen Gebirgsseen oder tropischen Sonnenuntergängen. Kontrastierend dazu trugen wir im Laden beige Arbeitsmäntel mit Namensschildern. Beim Durchblättern der vergilbten Alpen kommt sie wieder, diese Sehnsucht nach den Bildern der 70er Jahre, den Bildern in Kodachrom. Die Faschingszeit war immer die traurigste im ganzen Jahr. Der größte Irrsinn, die größte Kälte, die auferlegte Belustigung, Masken, Schminke, Alkohol und Koks. So waren sie auszuhalten, diese Bälle auf dem Land, verdreckt und blutig, mit einem toten Hasen über der Schulter, stapfte ich am Morgen durch den Schnee nach Hause. Laut Aussage einer Straßenbahnpassagierin wurde während eines EM-Fußballspiels ein Malakoff-Cocktail auf das Spielfeld geworfen. Die hochschwangere junge Frau fährt mit dem Elektroskuter zur Feingostdecke am Supermarkt, bestellt eine warme Leberkäse-Semmel, bietet aber die Verkäuferin, die Temperatur des Leberkäses vorher mit ihren Fingern prüfen zu dürfen. Ihre Hände habe sie sich gewaschen. sich gewaschen. Auf einem zusätzlichen Nummernschild an der Heckscheibe des Oka-metallikfarbenen Dacia Dasta steht FUZI geschrieben. Zwischen den beiden im Bus vor mir sitzenden Frauen entspinnt sich ein interessantes Gespräch über die derzeitige Konstellation der Regierung. Vor allem die Frage, wie der neue Innereienminister heißt, wird intensiv erörtert. Der vegane Leberkäse ist der Höhepunkt der Entwicklung fleischloser Fleischimitate. In einer kurzen Zeitungsnotiz wird von einem Fund von den reißfesten Müllsäcken verpackten Leichenteilen in einem bei Touristen beliebten See berichtet. Die Polizei schließt eine Gewalttat nicht aus. Das Profilbild des Anrufers des Smartphones der neben mir sitzenden Businsassin zeigt Jesus Christus. Im Fastfood-Restaurant pharisiert sich der Mitreißiger, während ihm seine Freundin aus einem Kinderbuch vorliest. Hin und wieder sehne ich mich nach der Zärtlichkeit einer Starkstromleitung. Dankeschön.