Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich willkommen bei uns im Stifterhaus. Ein langer Sommer liegt hinter uns, die letzten Tage erleben wir gerade noch, aber an Abenden wie heute freut man sich direkt auf den Herbst, auf kühlere Tage und längere Nächte, dass die Sonne früher untergeht, darauf, dass man guten Gewissens um 19.30 Uhr ins Stifterhaus kommen kann, zu einer Literaturveranstaltung in der Literaturgalerie, ohne schlechtes Gewissen, dass man einen letzten Sonnenstrahl versäumt oder ein launiges Gespräch in einem Gastgarten. Vor allem gilt das für Abende wie heute, wenn zwei Oberösterreicher zu Gast sind, die beide, man kann sagen, eine kulturelle Strahlkraft über die Grenzen unseres Bundeslandes hinaus besitzen. Ihre zahlreiche Anwesenheit ist ja Zeugnis für hohe Erwartungen an die beiden Herren hier vorne. Das Buch unseres heutigen Autors ist eine Sammlung von Kurzgeschichten und ist mit diese paar Minuten betitelt. Ich freue mich, dass er heute hier ist, um uns einen Einblick in diesen im letzten Monat im Otto Müller Verlag erschienenen Erzählband zu geben. Herzlich willkommen, Rudi Das tut der Seele gut, so einen Applaus, oder? Gleich zu Beginn. Rudi Habringer ist ein künstlerischer Tausendsasser, wenn man so will, und das seit Jahrzehnten, egal ob Kabarett, Musik, Gesang oder Literatur. In all diesen Bereichen bewegt sich Rudi Habringer ganz einfach und sein Schaffen ist immer geprägt von großer Qualität. Die Literatur jedoch ist es, so hat er mir in einem persönlichen Gespräch einmal versichert, die er als sein vornehmliches Arbeitsfeld, als sein Geschäft begreift. Geboren wurde Rudi Habringer 1960 in Desselbrunn. Ich habe extra nachgeschaut, wo das genau ist, weil ich den Rudi schon mehrmals angekündigt habe. Also Schwanenstadt, Vöcklerbruck, Adnang-Buchheim und daneben ein, ich denke, nicht allzu großer Ort, ich weiß nicht, Desselbrunn. Er studierte Germanistik und Theologie in Salzburg und schloss das Studium mit einer Arbeit über Thomas Bernhard als Journalist ab. Für sein Werk hat er zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, darunter unter anderem das Stifterstipendium des Landes Oberösterreich 2012. Im Stifterhaus ist der Wahl-Waldinger, wenn man so will, ein gern und oft gesehener Gast, entweder mit seinen eigenen Werken, zuletzt mit dem Roman Leirichs Zögern oder als Lesender bei einer Veranstaltung der Grazer Autorinnen-Autoren-Versammlung, deren Mitglied er ist. Und auch in der Rolle des Moderators ist er schon auf dieser Bühne gesessen und hat sein literaturwissenschaftliches Wissen mit uns allen geteilt. Sein aktuelles Buch, diese paar Minuten, wurde unmittelbar nach seinem Erscheinen von Christian Schacherreiter in den Oberösterreichischen Nachrichten rezensiert. ihren Schacherreiter in den oberösterreichischen Nachrichten rezensiert. Der Rezensent ortet ein interessantes Grundmotiv bei den elf im Buch versammelten Texten, nämlich die soziale und psychische Schieflage der männlichen Protagonisten. Ob wir diese Beobachtung dann gut finden und ob wir der zustimmen können, das wird die Lesung von Rudi Habringer zeigen und jeder kann sich selbst sein Bild machen. Der Vollständigkeit halber immer, wie am Schluss, wenn man Rudi Habringer ankündigt, eine höchst private und äußerst positive Eigenschaft, Rudi Habringer ist glühender Lask-Anhänger. Das sei erwähnt. Nun aber zum Moderator unseres heutigen Abends. Ich darf ihn ganz herzlich im Stifterhaus begrüßen. Herzlich willkommen, Günter Keindlstorfer. Schön, dass Sie da sind. Günter Keindlsdorfer wurde 1963 in Bad Ischl geboren. Gesicht und Stimme sind den allermeisten von Ihnen sicher aus Fernsehen und Radio bekannt. Ist Günter Keindlsdorfer doch seit den frühen 90er Jahren für den ORF und daneben auch für eine Vielzahl anderer Sendeanstalten und Printmedien im Dachraum tätig. Der vielseitige Journalist und Literaturkritiker, der unter dem Pseudonym Günter Wels auch als Schriftsteller in Erscheinung tritt, wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt er auch 2019 mit dem Elfriede-Grünberg-Preis einen Preis für Verdienste gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Ich wünsche uns allen einen anregenden und interessanten Abend mit Rudi Habringer und Günter Keindlsdorfer, dem ich das Wort übergeben darf. Vielen Dank. Vielen Dank, Stefan. Rudi Habringer, ich muss Ihnen gratulieren. Applaus kommt mir vor, aber auch in sich sehr, sehr unterschiedlich sind. Es sind auch sehr unterschiedliche Geschichten mit unterschiedlichen Motiven. Ich habe das mit großer Spannung von der ersten bis zur letzten Seite gelesen. Das sind starke, dichte, fesselnde Geschichten. Das möchte ich gleich einmal loswerden, ganz am Anfang. Danke sehr. Ich greife das auf, was Christian Schacherreiter geschrieben hat. Ein zentrales Motiv wäre die Schieflage männlicher Protagonisten. Ich würde da widersprechen, bei Ihnen liegen auch viele weibliche Protagonistinnen schief. Wie würden Sie das sehen, den Gender-Aspekt in Ihrem Buch? Naja, die Beobachtung eines Rezensenten ist ja was völlig anderes als die Herangehensweise eines Autors. Stellen Sie sich vor, der Autor überlegt sich, okay, ich schreibe jetzt ein Buch über die Schieflage von Männern. So ist es ja nicht. Sondern es ist wirklich so, Und es ist wirklich so, dass die Texte sich ganz unterschiedlichen Anlässen verdanken und trotzdem gab es dann irgendwann mal einen Plan, sie zusammenzuführen in einem Band. Aber die älteste Geschichte zum Beispiel ist hier unter einem anderen Titel angeführt. Ich weiß jetzt gar nicht, den Walter Kohler habe ich noch gar nicht gesehen, aber der Andreas Weber ist da. Da winkt er. Wir haben im Stifterjahr einmal ein Buch gemacht, das war 2006, wenn ich mich richtig erinnere, 2005, Stifter Reloaded. Das heißt, wir haben mit einer Gruppe von tschechischen Autoren und Autorinnen ein Buch gemacht zum Thema dieser bunten Steine von Stifter. Und da jeder hat sich eine Geschichte hergenommen und adaptiert. Und meine Geschichte war diese erste Geschichte in dem Buch. Ist natürlich ein Stifterzitat, aber ich habe jetzt einen Haufen Kurzrezensionen gelesen im Netz. Spielt überhaupt keine Rolle, sozusagen, weil ein anderer Kontext und ein anderer Zusammenhang da ist. Ich wollte nur sagen, also diese ist die allerälteste Geschichte. Dann gibt es eine Geschichte drinnen, die habe ich für eine Krimi-Anthologie geschrieben. Wieder, eigentlich müsste man sagen, das passt ja gar nicht dazu. Wieder, eigentlich müsste man sagen, das passt ja gar nicht dazu. Und die Idee war dann doch, auch wenn es kein LP ist wie früher, hat es ja Konzeptalben gegeben. Sgt. Pepper von den Beatles gilt ja als einer der ersten Konzeptalben, aber auch die Beachbody und so weiter. Und trotzdem hängen sie zusammen. Also das war die Überlegung. Also kein Konzeptalbum, aber durch, ich weiß es nicht, wundersame Mechanismen, die in Ihrem Unbewussten vielleicht tätig sind, gibt es doch Zusammenhänge. Naja, es ist auch die Location, also die örtliche Anordnung dieses Buches. Die Geschichten spielen alle in einem Vorstadtgebiet, also in der Umgebung einer Großstadt, die man sich als Linz vielleicht vorstellen kann. Ich wohne ja auch da draußen in Walding, da gibt es ja die Mühlkreisbahn. Und die Protagonistinnen dieses Buches wohnen entlang einer Bahnstrecke. dieses Buches wohnen entlang einer Bahnstrecke und diese Bahnstrecke kommt gelegentlich vor und verbindet so auch mehrere Figuren und Protagonistinnen miteinander. Das habe ich mich gefragt, in welchem Universum, wenn wir es so nennen wollen, spielen diese Geschichten. Ich bin auch relativ schnell draufgekommen, Großraum Linz, das wird ja nicht nur, es wird angedeutet, also wenn es heißt, jemand geht auf der Landstraße und sieht dort das und das, dann kann man seine Schlüsse ziehen. Sie fransen aber auch, oder sie, wie nennt man das, die Tentakel, was tut man mit Tentakeln? Sie fahren ihre Tentakel aber auch durchaus in den süddeutschen, hessischen und brandenburgischen Bereich aus, nach Berlin. Auch das erkennt man, ein bisschen Regensburg kommt, glaube ich, vor, Frankfurt. Auch das war in früheren Büchern von Ihnen schon so, wenn ich mich richtig erinnere. Regensburg kommt nicht zum ersten Mal vor. Also es ist, das Universum ist der Linzer Zentralraum mit Ausfransungen in die nähere und weitere Umgebung. Was es noch gibt in diesem Buch, das klingt jetzt alles sehr theoretisch, das nenne ich Metatext. Das klingt wahnsinnig gescheit, ist aber nicht so gemeint, sondern das heißt einfach, dass ich Figuren habe aus früheren Büchern, die wieder auftauchen. Jetzt ist dieses Buch beim Otto Müller in Salzburg herausgekommen, aber es tummeln sich in dem Buch Protagonistinnen, die schon früher beim Pikus Verlag vorgekommen sind. Wer meine Bücher kennt, kann erkennen, aha, die gibt es schon, die Figur. Das ist ein kleines genähtes Spiel von mir, wenn ich das so nennen kann, was mich als Autor interessiert. Also, dass Figuren einfach weiterleben und dass die dann durch andere Texte geistern. Ist sicher einmal eine reizvolle Aufgabe für eine vorwissenschaftliche Arbeit an einem Linzer Gymnasium, die verschiedenen Bezüge im Habringerschen Gesamtwerk herzustellen, die Personenbezüge. Ich würde sagen, wir haben uns ausgemacht, der Rudi wird drei kurze, relativ kurze Passagen aus drei verschiedenen Erzählungen lesen. Ich würde vorschlagen, vielleicht dass wir mit der ersten Lesung beginnen. Die Erzählung heißt, dann sage ich es ihm und beginnt mit einem Adalbert Stifter Zitat. Etwa auf der größten Erhöhung, wo nach und nach sich der Weg in das jenseitige Tal hinab zu senken beginnt, steht eine sogenannte Unglückssäule. Es ist einmal ein Bäcker, welcher Brot in seinem Korbe über den Hals trug, an jener Stelle tot gefunden worden. Wo ist der Mann mit dem Schäferhund, fragte eine Frau aus der Gegend vor einigen Tagen. Er ist doch der Nachbar. Sie haben ihn schon lang nicht mehr gesehen. Ich zog den Kopf ein und zögerte, eine Antwort zu geben. Am liebsten hätte ich gelogen. Weg, sagte ich. Schon seit fast einem Jahr. Mehr sagte ich nicht. Dann redeten wir von etwas anderem. Das ist die Geschichte eines Unglücks. Hier wird keiner gesucht und keiner gerettet. Ich wüsste nicht, wie. Der Heilige Abend ist vorbei. Spielen Kinder eine Rolle? Ja. Eines davon hat die Welt nicht gesehen. Vom Gebirge, vom Eis soll keine Rede sein. Wir wohnen im Hügelland. Berge stehen bei Föhn als gezackte Formation am Horizont. Wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich die Unglücksstelle erahnen. Den Blick ins Tal durchkreuzt ein mächtiger Nussbaum, durch dessen Geäst ich im Winter hindurchsehen kann wie durch ein Spinnennetz. An schönen Tagen spiegelt sich weit unten das Sonnenlicht in der Donau. In einer Schale auf meinem Schreibtisch liegt ein Stein, kleiner als eine Murmel. Der bringt Glück, der baut dich wieder auf, sagte Ferber, als er ihn mir schenkte. Die Tage nach Weihnachten waren grau und regnerisch, endlich kam der Schnee und mit ihm ein heftiger, kalter Wind. Das Windrad vor dem Haus schnarrte in schnellen Umdrehungen, die Tage waren kurz. Rasch kam die Dämmerung, schwarz fiel die Nacht auf die Gegend, verstreute Häuser zwischen Hügeln, weit unten blinkten bei guter Sicht die Lichter der Siedlungen. Färber muss mich vom Balkon aus gesehen haben, denke ich heute, als ich gegen Abend noch einmal in mein Büro zurückgekehrt bin. Der Begriff Büro ist übertrieben. Es handelt sich um eine Schreibstube in einem Bauernhof, hoch oben im Hügelland über dem Donautal. Die Wände zwischen den Zimmern sind dünn. Ich hörte Ferbers kratziges Husten, das Geräusch, wenn er ausspuckte. Ich hörte, wenn sein Fernseher lief, wenn er mit lauter Stimme telefonierte. Ich bildete mir ein, in Gestikulieren zu hören. Dreimal schon hatten meine Nachbarn gewechselt. Den ersten, Wall, einen ehemaligen Briefträger, hatte ein unbekanntes Schicksal aus der Bahn geworfen. Eines Tages verirrte sich Wall in seinem Rayon, verfehlte einen Teil seiner Kunden, Briefe und Pakete verschwanden. Er wurde entlassen und sitzt seither als Frühpensionist und Stammgast in den Wirtshäusern der Gegend. Er gilt als verrückt, aber umgänglich. Als ich meine Schreibstube bezog, bereitete er gerade seinen Umzug vor, ein freundlicher Mensch, der unentwegt das Gespräch suchte, in endlosen Schleifen seine Misere nacherzählte, das Brevier seiner Leiden herunterbetete, ohne aber zum Eigentlichen zu kommen. Wall schleppt seinen Körper wie eine Entschuldigung, geduckt, devot, als ginge es darum, um Nachsicht zu bieten, dass er noch da sei. Sein Körper eine einzige Geste der Beschwichtigung. Was soll ich denn machen? Was hätte ich denn tun sollen? Wall, der manisch-depressive, mit flinker Zunge, wenn er sich im emotionalen Aufwind befand, wochenlang nicht zu sehen, wenn er vollgepumpt mit Medikamenten sich in seinem Zimmer verkroch. Als Wall auszog, folgte Kubek, ein Lastwagenfahrer mit wirrem Blick und grausen Gedanken. Ich tippte auf Schizophrenie, eine reine Vermutung, ich bin ja kein Arzt. nie eine reine Vermutung. Ich bin ja kein Arzt. Jetzt noch ein Lottogewinn und dann wandere ich nach Australien oder Kanada aus, sagte Kubek immer, wenn ich ihn traf. Die Behörde sei schon verständigt. Ich bin Kubek aus dem Weg gegangen. Ich habe ihn gefürchtet. Ich kann meine Furcht, gebastelt aus reinem Vorurteil, bis heute nicht begründen. In meiner Voreingenommenheit halte ich Leute wie Kubek für fähig, Amok zu laufen, wenn sie den Augenblick für richtig halten. Kubek verschwand, während ich einmal für eine Woche nicht in meiner Schreibklause war. Angeblich hat man ihn in die Psychiatrie gesteckt. Kanada und Australien hat er sicher nie gesehen. Dann zog Ferber in das Zimmer neben mir. Er rauchte viel, er trank, wenn er sich nicht beherrschen konnte und er konnte sich nicht beherrschen, wenn er unter Menschen war. Deswegen ist er aus der Stadt aufs Land gezogen und der südlichen Vorstadt hat er als berüchtigter Raufer gegolten. In jungen Jahren muss er ein schöner Mann gewesen sein, dem es vermutlich nicht schwergefallen war, mit Frauen in Kontakt zu kommen. Die Jahre hatten ihn altern lassen, verlebt sah er jetzt aus, tiefe Falten furchten seine Wangen. Ich erwähne noch, dass Ferber einen Hund besaß, einen Schäfer. Ich fürchte Hunde, vor allem große, aber ich habe noch keinen besser abgerichteten Hund als den von Ferber gesehen. In den Jahren, in denen Ferber im Zimmer neben mir lebte, habe ich den Hund niemals aggressiv erlebt. Kein einziges Mal. Seine Alkoholsucht war mir bald aufgefallen. Ich habe ihn direkt darauf angesprochen. Ihn störte das nicht. Ferber spürte, dass ich ihn mochte. Er klopfte an meine Tür und schenkte mir Kaffee und Kakao in riesigen Packungen. Er kannte den Besitzer einer Bar in der Vorstadt, von dem er manchmal eine Ration abbekam. Vielleicht handelte es sich um Spielschulden, die auf diese Art eingelöst wurden. Das reimte ich mir später zusammen. Der Kakao ist für deinen Sohn, sagte er. Den genauen Grund, weshalb Ferber zu uns auf den Berg gezogen ist, habe ich nie erfahren. Irgendwo existierte seine geschiedene Frau, irgendwo lebte sein Sohn, ein schlagsiger junger Mann. Ferber trug sein Foto in der Geldbörse mit sich. Manchmal traf ich Ferber draußen am Gang, wenn er gerade zur Toilette schlurfte und ich vor meiner Tür den Schlüssel suchte. Wie geht's? fragte ich. Und wir redeten alltägliches, übers Wetter, über die Gesundheit, über das, was er vorhatte. Da kenne ich nichts, sagte er oft. das, was er vorhatte. Da kenne ich nichts, sagte er oft. Einmal erzählte er mir, dass er vor Jahren als Arbeiter für eine Firma in Weißrussland gewesen sei, beim Bau eines Stahlwerkes, mitten in der Taiga. Dort habe er die Mitternachtssonne gesehen. Er sei fast verrückt geworden. Die Sonne sei wochenlang nicht untergegangen. Er habe unter einer unerträglichen Schlaflosigkeit gelitten. Die Helligkeit habe ihn fast umgebracht. Soviel ich weiß, gibt es die Mitternachtssonne nur nördlich des Polarkreises, hatte ich vorsichtig eingewandt und Weißrussland liegt bekanntlich weit darunter. Mein Argument hat ihn nicht beeindruckt. Er sei in Weißrussland gewesen, er habe die Mitternachtssonne erlebt, er wisse, wovon er spreche. Später schlug ich in einem Atlas nach, um mich meiner Behauptung zu vergewissern. Er musste mich an jenem Abend, als ich mit meinem Sohn zum Hof gefahren bin, um ihm die Mitteilung zu machen, die ich den ganzen Tag lang aufgeschoben hatte, beobachtet haben. Ferber ist auf dem Balkon, der von den Fenstern unserer Zimmer an der Südfront des Hauses verläuft, gestanden und hat geraucht, habe ich später gedacht. Ferber hat alles gehört. Deswegen hat er zwei Tage später an meine Tür geklopft. an meine Tür geklopft. Ein Mann mittleren Alters, ein nicht mehr ganz junger Vater, sitzt auf der Zuschauertribüne einer Dorfturnhalle und beobachtet eine Gruppe von Kindern beim Fußballtraining. Der Mann trägt einen warmen Anorak, die Halle ist nur schwach beheizt. Neben ihm liegt eine Zeitung auf der hölzernen Sitzbank, ungelesen. Kommandos von zwei Trainern schallen durch die Halle, in der sich ein gutes Dutzend Buben bemüht, den Ball ins Tor der jeweils gegnerischen Mannschaft zu befördern. Es wird mehr gebolzt als gespielt, denn meisten Buben fehlt noch jede technische Fertigkeit. Mitten unter den Kindern der Sohn des Mannes, der Jüngste der Gruppe. Mit rot erhitzten Wangen stürmt er den Ball nach, ganz in seinem Element. Manchmal winkt er seinem Vater auf der Tribüne zu. Der Vater hat sein Kind vorhin im Kindergarten wie vereinbart abgeholt. Noch ist alles so, wie es sein sollte. Der Vater sitzt nicht nur als Wartender auf der Tribüne, wie ein paar andere Mütter, die ihre Söhne anfeuern. Er sitzt heute auch als Bote dort, als Überbringer einer Nachricht. Etwas Unvorhergesehenes ist geschehen. Der Vater denkt, jetzt dann, nach dem Ende des Trainings, wird er seinem Sohn sagen, was auch er erst am Vormittag erfahren hat. Er hat lange überlegt, wie er seinem Sohn die Nachricht beibringen soll und hat sich entschlossen, das Ende des Trainings abzuwarten. Warum dem Kleinen den Spaß am Spiel vergellen? An diesem Nachmittag in der schlecht geheizten Turnhalle gelingen den Buben sogar mehrere Tore. Nach dem Training sage ich es ihm. Das hat der Vater beschlossen. Er weiß, dass es ihm schwerfallen wird. Er weiß nicht, wie man so etwas macht. Er blickt auf die Uhr. Es ist halb fünf. Die Zeitung bleibt ungeöffnet neben ihm liegen. Die Schlagzeilen bilanzieren ein abgelaufenes Jahr. Es ist dreiviertel fünf. Um fünf ist das Training zu Ende. Dann sage ich es ihm. Der Vater blickt auf die Uhr. In einer Stunde habe ich es ihm bereits gesagt. Gestern um diese Zeit habe ich es selbst noch nicht gewusst. Die Zeit ist etwas Seltsames. Wenn ich es ihm gesagt habe, werden wir beide andere sein als vorher. Die Hände des Vaters werden vor Nebosität feucht. Er lässt sich seine Unruhe nicht anmerken. Eine andere Mutter, deren Sohn auch unten am Parkett kickt, spricht ihn an, lenkt ihn ab. Noch zehn Minuten. Ich möchte es ihm sagen, wenn wir allein sind. Ich möchte mit ihm allein sein, entscheidet der Mann. Das Auto steht draußen auf dem Parkplatz. Vielleicht sage ich es ihm im Auto. Nein, im Auto sage ich es ihm nicht. Ich möchte ihn ansehen. Ich muss ihn ansehen, wenn ich es ihm sage, denkt der Mann. Ich muss es ihm ins Gesicht sagen. Ich kann ihm die Wahrheit nicht ersparen, denkt er. Das Training ist zu Ende. Die Mannschaft seines Sohnes hat gewonnen. Der Bub strahlt über das ganze runde, rot geschwitzte Gesicht. Der Vater streicht ihm zärtlich über den Kopf. Nichts trübt die Freude des Sohnes. Er ist der Sieger des Tages. Der Tag ist gerettet. Die Welt kann ihm nichts anhaben. Er ist der Größte. Er ist ein Kind, sechs Jahre alt. Jetzt gehen wir umziehen und dann fahren wir nach Hause, sagt der Vater. Der Vater ringt auch weiter damit, wann er dem Buben die schlechte, schreckliche Nachricht überbringt. Ich glaube, das war jetzt ein gutes Beispiel dafür, wie es dem Rudi Habringer gelingt, in diesen Geschichten auch immer wieder Spannung zu erzeugen. Es wird aufgelöst, was der Knabe am Ende erfahren soll. Rudi Habringer, Sie haben in dieser ersten Geschichte eigentlich zwei Geschichten ineinander montiert, auch aus zwei, beide jetzt gelesen. In der ersten Geschichte lernen wir diesen Nachbarn kennen, diesen Ferber, diesen Alkoholiker. Wir erfahren, das haben Sie nicht gelesen, ich darf es aber kurz ein bisschen spoilern, wir erfahren, was es mit diesem Ferber auf sich hat. Er war als Fränkenlegionär in seinem früheren Leben auf Tahiti ausgerechnet und hat dort, ich erzähle das jetzt einfach, einen schikanierenden Vorgesetzten liquidiert und wurde dafür nie belangt. Aber das ist eines der dunkleren Kapitel im Färbers Leben. Mit dem Färber nimmt es kein gutes Ende. Was haben der Färber und der Knabe und die Geschichte dieses Turnhallenvaters miteinander zu tun? Ja, das ist der Ort sozusagen. Also das ist das Interessante für mich und vielleicht auch ein Thema dieses Buches. Man sitzt in einem Zug oder man wohnt in einem Haus, hat Nachbarn und die haben alle ihre Geschichten. Und diese Geschichten laufen parallel oder berühren einander irgendwann oder irgendwo. Und das finde ich einfach spannend. Das heißt, das ist das Lindenstraßenprinzip, aber auf literarisch ungleich höherem Niveau. Ich hoffe doch. Ja, ja, absolut. Niveau. Ich hoffe doch. Ja, ja, absolut. Aber sozusagen der Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Geschichten, die oft ein bisschen traurig sind, aber auch komische Aspekte haben, sehr alltäglich sind, aber immer wieder auch mit Abgründen zu tun haben, die sich öffnen. Es ist der Ort. Wie nennen wir es? Großraum Linz. Und bei der Geschichte war natürlich öffnen. Es ist der Ort, dieser, wie nennen wir es, Großraum Linz, oder ist es in Genre? Also und bei der Geschichte war natürlich auch noch die Vorlage, da müsste man jetzt sozusagen Stifter geistert nur ganz, ganz sanft durch diesen Text, aber ich glaube, im Bergkristall heißt eine Figur zum Beispiel Konrad und der Konrad ist der Bauer, der in dieser Geschichte ist. Und es gibt ein paar motivische Angelegenheiten, die mit Stifter was zu tun haben. Das ist sozusagen noch eine andere Ebene. Das ist dann schon die nächste vorwissenschaftliche Arbeit an einem anderen Lenzer Gymnasium. Rudi Habringer, woher kommen die Ideen zu Ihren Geschichten? Wie kommen diese Geschichten zu Ihnen? Haben Sie sich ein bisschen was von der Wirklichkeit abgeschaut? Wie tun Sie da? Das Erste ist, dass ich, jetzt zitiere ich den Franz Xaver Kreutz, den vielleicht manche von Ihnen noch kennen, Dramatiker, vor allem in den 70er, 80er Jahre. Der hat einmal in einem Interview gesagt, er hört sich Geschichten an, die so durch ihn durchgehen und wenn er was im Herzen spürt, wenn er einen Schmerz spürt, dann sagt er, das interessiert mich, damit beschreibe ich. Ich bin natürlich ein passionierter Zeitungleser, manche dieser Texte verdanken sich einfach einer schlichten Lektüre irgendeines Zeitungstextes, wo ich mir denke, da würde mich noch mehr interessieren. Ich erwähne nur ein Detail, nämlich das ist eine Geschichte, die ich gar nicht lese, die Geschichte eines Zwölfjährigen, der in Deutschland in einer Großstadt ermordet wird und der Mörder wird nie bekannt. Also der Fall löst sich nicht auf. Die Lektüre dieses Textes hat bei mir... Bei Ihnen löst sich schon auf? Bei mir schon, ja. Aber bei mir hat es... Da habe ich mir gedacht, wie kann man zum Beispiel als Eltern mit so einer Tatsache weiterleben, wenn der Mörder nie gefasst wird. Und dann gibt es eine statistische Zahl, ich weiß es nicht, Hausnummer, zwischen 10 und 20 Prozent aller Mordfälle werden ja gar nie aufgedeckt. Aufgedeckt oder aufgeklärt? Aufgeklärt, ja. Aufgedeckt, ist das ein Unterschied? Aufgedeckt heißt für mich, Menschen werden umgebracht und es wird gar nicht bekannt, dass sie umgebracht worden sind. Auch das. Und für mich war dann interessant, ich habe mir dann gedacht, ich gehe in eine Figur hinein, nämlich genau in die Figur dieses Täters, der mit so einer Geschichte leben muss. Wie geht man eigentlich damit um, wenn man ein Verbrechen begangen hat? Das ist ja auch eine Frage, die sich auf eine andere, vielleicht sogar auf eine politische oder zeithistorische Ebene übertragen lässt. Aber in dem Fall ist es sozusagen eine private Geschichte. Der Mann hat einen Mord begangen und wie geht man damit um? Und Jahre später wird er wieder konfrontiert mit dieser Frage und so weiter. Also es ist halb Mord, halb Unfall, muss man sagen. Also er hat jetzt nicht, es war kein geplanter Mord. Wir wissen es nicht, genau. Der geht damit um, indem er es verdrängt. Indem er es verdrängt, ja. Und wird aber dann wieder, heute würde man sagen, modern angetriggert. Und wir wissen nicht, ob sich nicht so ein Vorfall vielleicht wiederholt. Aber der Auslöser, weil Sie gefragt haben nach den Motiven, wie eine Geschichte zustande kommt, kann eine banale Zeitungsnotiz sein. Und ich versuche dann sozusagen einen Erzählkern zu finden. Schon auch manchmal, also ich würde jetzt, das wäre vermessen, aber in der griechischen Mythologie gibt es sehr viele Geschichten, die verhängnisvoll sind. Und jetzt habe ich das heruntergebrochen auf dieses Milieu der Angestellten, die in die Stadt fahren zur Arbeit, aber da gibt es auch Verhängnisse sozusagen oder Zufälle oder schicksalshafte Ereignisse, die sich dann gravierend auf die Individuen auswirken. Das heißt, Sie nehmen die Stoffe für diese Erzählungen oder überhaupt Ihre literarischen Stoffe aus Geschichten, die Ihnen zugetragen werden, aus Zeitungslektüre, aus Plaudereien, die Sie in der Straßenbahn hören, aber Sie müssen eine existenzielle Dringlichkeit verspüren. Irgendwas in Ihnen, irgendeinen Stich muss es Ihnen geben. Persönlichkeit verspüren. Irgendwas in ihnen, irgendeinen Stich muss es ihnen geben. Ja, und ich versuche natürlich dann auch das so zu erzählen, dass das in irgendeiner Weise eine Resonanz auslöst. Ja, weil deswegen, da bekenne ich mich dazu. Also ich bekenne mich zum Schreiben als kommunikativen Vorgang. Diesen Streit hat es ja unter Autorinnen und Autoren immer gegeben. Wofür schreibt man eigentlich? Ein Kollege hat einmal gesagt, wenn ich verstanden werde, dann habe ich etwas falsch gemacht. Das ist nicht Ihr Zugang. Nein, das ist nicht mein Zugang, sondern mir geht es auch um Resonanz. Es hat bei dieser einen Geschichte mit diesem Kind, wo ich dann in den Mörder reingegangen bin, die Lektorin hat mir nach der Lektüre dieser Texte gesagt, passt, aber einen Text bitte nicht. Und das war dieser. Und ich habe ihr dann erklärt, wie es dazu gekommen ist. Und sie hat gesagt, sie hat selber ein Kind und das ist ihr eigentlich zu arg. Und ich habe sie dann gefragt, wie das gewirkt hat, dieser Text auf sie. Ich weiß es nicht mehr ganz wörtlich, aber sie hat gesagt, der hat mich betroffen gemacht und verstört. Und dann habe ich als Autor gesagt, wenn ich erreiche, dass ein Text von mir eine Resonanz in diese Richtung auch auslöst, dann glaube ich, habe ich nichts falsch gemacht. Nach den Kriterien Ihrer Lektorin dürfte man Macbeth heute an österreichischen oder internationalen Theatern gar nicht mehr spielen, weil auch dort werden Kinder auf brutale Art und Weise abgeschlachtet. Also das kann ja nicht das Kriterium sein. Ein Teil der Weltliteratur, glaube ich, müsste man dann sofort canceln. M, eine Stadtsucht, einen Mörder. Könnte man vieles nicht mehr senden und lesen und spielen. Da würde man gar nicht fertig werden, glaube ich, mit der Liste. Das würde dann gehen von der Bibel bis zu Goethe oder was weiß ich. Nichts mehr. Schon Cain und Abel, nicht?, eigentlich auch schwer zu verkraften. Na gut, Rudi Habringer, viele Autorinnen und Autoren sagen, das ist jetzt nicht die Kategorie, wenn ich verstanden werde, habe ich etwas falsch gemacht, sondern die Gegenfraktion, die sagen eigentlich, Schreiben ist schwere Arbeit, aber wenn es gelingt, ich möchte Texte produzieren, Bücher produzieren, die ich eigentlich auch selber gern lesen würde. Mein Vorbild sind tolle Bücher, die mich bewegt und erschüttert haben, aber auch natürlich irgendwie ästhetischen Genuss haben. Ist das bei Ihnen auch so? Sie schreiben das, was Sie gern lesen würden? Also diese Ebene spielt sicher eine Rolle. Sie ist in der Literatur ein bisschen sozusagen, hat ein bisschen einen Auteur sozusagen, ein bisschen einen Geruch. In der Musik ist es völlig klar, dass ein Musiker oder ein Komponist sagt, bevor ich beginne zu komponieren, beschäftige ich mich mit der Tradition und lerne einmal, wie der Tonsatz funktioniert. In der Literatur ist schnell der Begriff des Epigonalen da, der schreibt ja wie oder was weiß ich. Aber es gibt Lektüreerfahrungen, muss ich sagen, die mir einfach nahe sind und hier im speziellen Fall handelt es sich ja um die Short Story oder es steht Erzählungen drauf, aber es sind Erzählungen, die sind oft nicht länger als 15 Seiten und da gibt es natürlich eine lange Tradition, auch im Amerikanischen, einer meiner Entdeckungen, vor 20 Jahren war diese Entdeckung ganz groß, Raymond Carver. Erst vor 20 Jahren. Ja, ja. Er war schon länger toll, aber Sie haben ihn vor 20 Jahren entdeckt. Genau. Der Carver wurde, glaube ich, sogar in den 70er Jahren erstmals übersetzt ins Deutsche und dann 20 Jahre oder 30 Jahre später wurde er plötzlich entdeckt und auch rezipiert, nämlich auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Ingo Schulze. Judith Herrmann. Genau. Haben sich auch auf den Stadtberuf bezogen. Ich habe auch mal ein Essay geschrieben über den Raymond Carver, weil der eine sehr interessante Biografie auch hat, weil das Besondere an dem war, ein unglaublich scharfer Lektor, Lisch hat er geheißen, Gordon, glaube ich, Gordon Lisch, der bis zu 75 Prozent von Texten radikal vernichtet hat. Und das hat dem Carverawa sehr wehgetan. Und heute kann man auch Texte vergleichen in der Länge und in der Kürze. Also den Kawa-Text im Original gibt es und die Skelettfassung, die der Lektor daraus gemacht hat, das kann man vergleichen. Beides auch in Übersetzungen. Naja, vielleicht war Ihre Lektorin zu wenig streng. Nein, sie war eh streng genug. Sie war streng genug. Nein, muss sie auch sein. Also eine Lektorin muss sowieso streng sein, weil sie ist die letzte Instanz, die dann, weil man, ich bin jetzt nicht unbedingt der totale Perfektionist, ich bin froh, wenn ich, wie sagt man da, hilfreiche, wie sagt man da bei Aktenzeichen, Gesübselung. Hinweise. Ja, aber wie heißen die Hinweise? Sachdienliche Hinweise. Sachdienliche Hinweise. Ja, danke, danke. Ja, weil man ist ja auch in einer gewissen Weise, gibt es ja auch die eigene Blindheit. Also, um die Frage noch einmal kurz zu beantworten, natürlich gibt es Referenztexte oder Autoren, was diese Short Story betrifft. Aber ich habe doch etliche andere Bücher auch geschrieben, zum Teil mit einem völlig anderen Sound. Dann würde ich vorschlagen, kommen wir zur zweiten kurzen Lesung. Die Lesung beginnt pikant mit einer ehebruch szene diese geschichte heißt diese paar minuten danach duschte er. Es war ein kleines Ritual, bevor er Clara verließ. Wenn er sich ihren Geruch mit Seife aus den Fingern wusch, verspürte er jedes Mal diesen Anflug von Traurigkeit, ehe er losfuhr. In wenigen Minuten würde er schon auf der Straße sein und in Richtung Grenze fahren. In der Dusche und auf den Badezimmerregalen standen die Kosmetikartikel von Harald, Klaras Mann, sein Deo, sein Rasierschaum, seine Zahnbürste, die Zahnseide, die Pflegesalben, ein alter Rasierapparat, von dem eine Ecke des Gehäuses abgebrochen war. Er griff nach der Shampooflasche, die Harald am Vortag vielleicht noch selbst verwendet hatte. Es war wichtig, dass er so wenig persönliche Gegenstände wie möglich dabei hatte, wenn er Clara besuchte, um nicht versehentlich Spuren zu hinterlassen. Einmal hatte er einen Kamm auf dem Sims im Badezimmer vergessen. Noch während der Fahrt war ihm aufgefallen, dass ihm ein Fehler unterlaufen war. Er hatte Clara eine SMS geschickt. Sie hatte den Kamm verschwinden lassen, bevor ihr Mann nach Hause gekommen war. Mit Claras Mann verband ihn, dass sie beide in einem Beruf arbeiteten, der häufig Dienstreisen notwendig machte. Harald hatte oft in Wien zu tun, er wiederum fuhr regelmäßig in die entgegengesetzte Richtung nach Deutschland. Ein- bis zweimal im Jahr traf man sich zufällig im Dorf. Vielleicht im Sommer am Sportplatz bei einem Fußballspiel oder im Dezember beim Weihnachtsmarkt vor der Kirche. Beide stammten sie nicht aus dem Dorf, beide galten als Zugereiste. Das Badezimmerfenster zum Fluss hinaus stand offen, das Rauschen des Wassers, das sich dort draußen seinen Weg zwischen großen Granitsteinen suchte, war überlaut zu hören. heißer Sommertag war vergangen. Bald würde es ein starkes Unwetter geben. Von fern begann es bereits zu krollen. Im Süden, dort wo die Bergkette lag, kündigte sich das Gewitter mit einem unentwegten Flackern an. Er stieg aus der Dusche, trocknete sich ab. Clara würde die feuchten Handtücher sofort in die Waschmaschine stecken. Er zog sich an, trocknete sein Haar mit dem Föhn, den Clara und ihre Familienmitglieder verwendeten. Er durfte nichts vergessen. Er sah auf die Armbanduhr. Es war Zeit, dass er aus dem Haus kam. Bald würde Sina, Claras Tochter, nach Hause kommen. Clara wartete in der Küche auf ihn. Sie fragte ihn, ob er noch etwas trinken wolle. Sie holte Orangensaft aus dem Kühlschrank, goss den Saft in ein Glas und streckte ihn mit Leitungswasser. Er trank in zweigierigen Zügen aus. Auf der Fahrt würde er bei einer Autobahnraststätte noch einmal Halt machen und einen Espresso trinken, auch so ein Ritual, das er pflegte. Er nahm Clara in den Arm. Sie legte den Kopf an seine Schulter, er roch ihr Haar, er leckte an ihrem Ohrläppchen, das mit einem kleinen Ring geschmückt war. Er spürte, wie sie sich an ihn drückte. Sie schüttelte den Kopf. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch so aushalte, flüsterte sie. Vielleicht können wir uns bald wieder in einer Stadt treffen, sagte er. Ein paar Mal war Clara ihm schon nachgereist. Er deutete auf die Uhr. Clara nickte. Sina wird gleich nach Hause kommen, sagte sie. Sina ging in der Stadt aufs Gymnasium. Nach der Schule nahm sie den Zug aufs Land hinaus. Am Bahnhof hatte sie ein Fahrrad stehen, mit dem sie das letzte Stück nach Hause fuhr. Es donnerte nun deutlich hörbar. Das Gewitter kam rasch näher. Ich hoffe, dass sie es noch trocken nach Hause schafft, sagte Clara. Sie begleitete ihn zur Tür. Sie flüsterten, obwohl niemand da war, der sie hören konnte. Nichts vergessen, fragte sie. Er griff nach seiner Geldbörse, seinem Handy, dem Schlüsselbund. Keine Anrufe, keine SMS, sagte er, nur eine Mail, wenn es etwas Dringendes gibt, schärfte er Clara ein. Er küßte sie zum Abschied. Vor einem kurzen Moment spürte er ihre feuchte Zungenspitze an der seinen. Clara trat vor ihm aus dem Haus und ging bis zur Gartentür. Sie blickte sich um, ob nicht jemand aus einem Nachbarhaus zufällig in diesem Moment aus der Tür trat. Sie taten alles, um nicht in einer verfänglichen Situation gesehen zu werden. Sie taten alles, um nicht in einer verfänglichen Situation gesehen zu werden. Deshalb parkte er seinen Wagen stets ein Stück unterhalb der Siedlung an einem kleinen Stellplatz neben dem Fluss. Plötzlich kam Wind auf, der den Straßenstaub aufwirbelte und energisch durch die Sträucher an der Böschung fegte. Gleich danach begann es in schweren Tropfen zu regnen. Die Zeitspanne zwischen Blitz und Donner war bereits erstaunlich kurz. Das letzte Stück zu seinem Wagen legte er laufend zurück, die Schulterpartie seiner Sarkose über den Kopf gezogen. Atemlos saß er endlich im Wagen. Durch den plötzlichen Temperatursturz beschlugen die Scheiben. Er merkte, dass seine Hose nass geworden war, das Hemd feucht. Er griff nach dem Schal, der auf dem Rücksitz lag und versuchte, die Haare abzutrocknen. um sich nicht zu erkälten. Er drehte die Heizung voll auf und fuhr los. Der Regen trommelte wütend aufs Autodach. Länger hatte es nicht geregnet. Alle hatten den Regen ersehnt. Er schaltete die Scheibenwischer auf die höchste Stufe und konnte doch kaum etwas auf der Straße erkennen. Er fuhr die schmale Zufahrt das Flusttal zur Hauptstraße entlang. Ein greller Blitz zuckte in der Umgebung auf, dem unvermittelt ein krachender Donner folgte. Die Gewitterzelle musste unmittelbar über der Siedlung hängen. Früher hatten sich hier eine Fabrik befunden. Heute wohnten vor allem Familien da, die aus der Stadt ins Grüne gezogen waren und hier ihre Wohnhäuser gebaut hatten. Am Ende des Tales, das sich tief in die Landschaft schnitt, bog er nach links ab. Die Straße verlief leicht abschüssig. Durch das Seitenfenster beobachtete er ein Rinnsaal, einen kleinen Sturzbach, der die Straße entlang lief. Er klebte an der Windschutzscheibe. Trotz laufender Scheibenwischer konnte er kaum etwas auf der Fahrbahn erkennen. Dem nächsten Blitz folgte ein Donnerschlag, der den Wagen erzittern ließ. Gleich darauf spürte er einen Schlag links vorn am Wagen. Er verriß das Fahrzeug leicht nach rechts. Es gelang ihm, sich auf der Straße zu halten. Wieder krachte der Donner. War er eben gegen ein Hindernis gefahren? Die Straße war eng. Sie führten an einer kleinen Brücke vorbei, von wo die Wanderwege in das Flusstal ihren Ausgang nahmen. Der Blick links in den Seitenspiegel war nicht möglich. Am Seitenfenster lief Regen herunter, als schüttete jemand kübelweise Wasser über den Wagen. Im Rückspiegel war nichts zu erkennen. Er fuhr weiter, kurz darauf boge in die Bundesstraße ein, vorbei am Bahnhof, den er von Blitzen erleuchtet wahrnahm, nahm er die gewohnte Strecke in Richtung Grenze. Er fuhr dem Gewitter einfach davon. Später hielt er an einer Autobahnraststätte seiner Raststätte, um Kaffee zu trinken. Als er aus dem Wagen stieg, entdeckte er am linken Kotflügel vorne tatsächlich eine kleine Beule. Spätnachts stellte er den Wagen auf den Parkplatz der kleinen Pension in der bayerischen Stadt ab, in der er regelmäßig nächtigte. Die Firma hatte das Zimmer dauerhaft gemietet. Es war nicht nötig, einen Nachtdienst zu wecken. Er trug den Zimmerschlüssel immer bei sich. Die Pension wurde fast ausschließlich von Dienstreisenden gebucht. Man kannte einander vom Sehen, man nickte einander zu, Gespräche waren nicht nötig. Beim Frühstück saß er, wie oft, allein an einem Platz am Fenster. Ungestört konnte er die Zeitung lesen. Mehrmals hatte er in der Stadt bereits Kontakt zu einer Reparaturwerkstatt gehabt. Einmal hatte die Batterie den Geist aufgegeben, ein anderes Mal hatte ein Unbekannter beim Vorbeifahren an der Fahrertür eine Kratzspur hinterlassen. Zum Telefonieren ging er nach draußen hinters Haus. Er erreichte den Werkstattleiter persönlich. Der Mann konnte sich noch an ihn erinnern. Er meldete einen Parkschaden. Haben wir ja bereits einmal gehabt, sagte der Mechanikermeister. Sie vereinbarten, dass er den Wagen in die Werkstatt brachte. Selbstverständlich war es möglich, einen Leihwagen für einen Tag zu mieten. Ich bringe das Auto in einer halben Stunde, sagte er. Kein Problem, sagte der Werkstattleiter. Nach dem Frühstück fuhr er los. In wenigen Minuten waren die Formalitäten abgewickelt. Kleiner Lackschaden, sagte der Werkstattleiter, als er die Karosserie begutachtete. Ein paar Kratzer, sonst nichts. Die Delle klopfen wir aus. Wir schieben den Termin ein, sagte er. Am späten Nachmittag können Sie den Wagen wieder abholen. abholen. Er nahm den günstigsten Mietwagen, der zur Verfügung stand. Seine Termine waren hauptsächlich in der Stadt, ein einziger ein Stück außerhalb. Er klapperte zwei Gastronomiebetriebe ab, mit denen er Termine vereinbart hatte, legte Prospekte von Schankautomaten vor und überreichte Angebote, die er zu Hause ausgearbeitet hatte. Mit einem Barbesitzer kam er zu einem Abschluss. Der Rabatt, den er mit dem Unternehmer aushandelte, war ein Stück unter der Schmerzgrenze, bis zu der er gehen konnte, ohne in der Firma rückfragen zu müssen. Zum Mittag aß er bei einem Italiener, bei dem er jahrelang schon Stammgast war. Am Nebentisch lärmte ein Kleinkind, das seine Mutter und die Großmutter nervte, weil es die Nudeln nicht essen wollte. Der Kellner trug den vollen Teller zurück in die Küche. Er war froh, als die Familie das Lokal verließ. Er bestellte einen Espresso und klappte den Laptop auf, um Mails abzurufen. Clara hatte ihm noch in der Nacht geschrieben. Ich kann dich ja nicht anders erreichen, schrieb sie. Sie hatte den Satz mit zwei Rufzeichen versehen. Sina hatte einen Unfall während des Gewitters, schrieb Clara. Sie ist schwer gestürzt, sie liegt im Koma. Wir sind verzweifelt. Wir beten, dass sie überlebt. Du hast sie doch nicht gesehen, als du weggefahren bist. Ich denke an dich, schrieb er. Er korrigierte seinen Satz auf, ich denke an euch und schickte die Mail ab. Ja, das ist, finde ich, eine der zentralen Geschichten dieses Bandes, wenn nicht überhaupt die zentrale Geschichte, auf die sich viele andere Texte immer wieder leidmotivisch beziehen. Dieses Mädchen Sina, ich spoiler noch einmal, stirbt dann in der Klinik und es bleibt offen, ob der Liebhaber der verheirateten Frau, Sinas Mutter, der ist, der in einem Unfall verwickelt war oder ob er nichts damit zu tun hat. Es schaut eher so aus, als ob es schon er war, der dieses Mädchen zu Tode gebracht hat. Aber das wird nicht gesagt, das bleibt offen. Rudi Habringer, eine Frage an den Theologen oder früheren Theologiestudenten. Ich habe den Eindruck, das Thema Schuld, Leben mit Schuld, ist schon eines der zentralen Themen dieses Erzählbands. Das klingt an in der Geschichte, von der Sie zuerst schon gesprochen haben, mit diesem Mann, der das Kind inGeschichte und jetzt der Protagonist. Ist das so? Ist Schuld ein wichtiges Thema oder ist das auch mehr oder weniger passiert? Was ist passiert? Naja, dass viele Geschichten um das Thema Schuld kreisen. Ja, aber da muss ich wieder sagen, ich setze mich ja nicht hin und sage, jetzt schreibe ich, glaube ich, eine Geschichte über Schuld, sondern ich versuche eher über den Plot zu gehen, sozusagen. Also es entsteht ein Dilemma in dieser Figur, weil möglicherweise eine Person, die er liebt, ihr möglicherweise auch etwas angetan hat, nämlich etwas Katastrophales. Und diese Spannung, die wollte ich beschreiben. Das ist fast etwas Antikes eigentlich. Es geht nämlich nicht in jedem Text über Schuld. Es gibt zum Beispiel eine Erzählung mit einem Mörder, der völlig skrupellos und locker damit umgeht, dass er da jemanden umgelegt hat. Ja, könnte man sagen, er fühlt sich zwar nicht so, aber schuldig ist er trotzdem. Aber gerade die Geschichte hat wirklich was Antikes, finde ich, weil Sie das zuerst angesprochen haben. Ja, es gibt ja in der Antike, natürlich ist das mehrere Etagen höher, aber da gibt es Verwicklungen innerhalb von Familien, wo sich Familienmitglieder erschlagen und erst später drauf kommen, wen sie erschlagen haben. Was mir gut gefällt, ist die Klarheit, die Ungekünsteltheit, das Unmanierierte, das Präzise Ihrer Sprache. So kommt es mir vor, Sie bemühen sich nicht, originell zu formulieren, vielleicht gar poetisch zu formulieren, sondern nach dem gut oberösterreichischen Motto zu schreiben, was wiegt das Holz. Wie würden Sie sich als Stilisten sehen? Das hängt sehr von dem Text ab. Also in dem Fall tue ich nur ein Adjektiv dazu. Das kam aus dieser Kavarezeption, lakonisch. Witzigerweise wird dann diese Lakonie in Texten völlig unterschiedlich bewertet. Zum Beispiel ein Beispiel dieser Judith Herrmann, habe ich das einmal studieren können, die zuerst sehr gelobt wurde für ihre Lakonie und plötzlich aber in einer Kritik in der Zeit hat dann jemand geschrieben, sie hat zwei Probleme, sie hat nichts zu erzählen und sie kann nicht schreiben. Aufgrund dieses... Ja, jetzt darf man nicht immer alles allzu ernst nehmen. Da habe ich mir damals gedacht, bin ich froh, dass ich in diesen Sphären nicht vorkomme, weil mit so einer Kritik, das ist eigentlich gemein. Aber heißt, man könnte jeden stilistischen Zugang, je nachdem, wo es gerade in Mode ist, sozusagen auch abwerten. Ich bin sicher keiner, der sozusagen mit jedem Satz die Sprache neu erfinden möchte oder weiß ich nicht. Es ist relativ metaphernarm, glaube ich, wenn man da reinschaut in dieses Buch. Da gibt es nicht viel Metaphern. Metaphernarm, glaube ich, wenn man da reinschaut in dieses Buch, da gibt es nicht viele Metaphern. Was es gibt, sind so Versatzstücke, die Menschen sprechen. Da bin ich aber mehr bei Ödön von Horvath, der von diesem Jargon der Uneigentlichkeit gesprochen hat, nämlich, dass so wie wir in unserem Alltag sprechen, miteinander oder wie am Stammtisch gesprochen wird, wenn dann jemand sagt, naja, so gingen die Gang. Oder so ist, oder so ist halt. Und so haben wir eine Fülle. Und das heißt, das meint, dass sich Menschen eigentlich nicht wirklich ausdrücken können, weil sie die Sprache nicht haben. Und der Ödyn von Horvath zum Beispiel hat in seinen Figuren das meisterhaft eigentlich beherrscht, die Leute in Sprüchen reden zu lassen. Und bei mir ist es, ich würde sagen, lakonisch und nüchtern. Und ja, in diesem Fall. Es gibt andere Texte, die haben schon einen anderen Sound. Weil zum Stilistischen gehört für mich schon auch, das ist vielleicht bei diesen Erzählungen, aber letztlich doch auch ein Rhythmus. Also da bin ich vielleicht auch ein bisschen in der Musik. Es gibt natürlich viele, viele rhythmischere Texte von mir, die früher sind. rhythmischere Texte von mir, die früher sind, aber dass ein Text einen guten Rhythmus braucht und daher auch, wenn man ihn laut liest, funktionieren sollte, das glaube ich schon auch, dass das bei mir zum Stil dazugehört. Da spricht auch der Musiker Rudi Habringer. Würden Sie das literarische Verfahren, das Sie in diesen Geschichten, aber eigentlich in allen Ihren Büchern, ich glaube, ich habe fast alle gelesen, anwenden, würden Sie dieses Verfahren als realistisch bezeichnen? Ist der Rudi Habringer ein Realist? Der Kawa war einer. Ich schaue jetzt so ein bisschen in die Runde und die Germanisten an. Das ist ja eine uralte Diskussion. Ja, ja, aber... Da gibt es 50 Jahre oder noch länger. Ich habe ja gar nichts gegen Realismus. Nein, nein, eh. Aber das sind die beiden sozusagen Kontrapunkte gewesen über viele Jahrzehnte in der österreichischen Gegenwartsliteratur. Hier die Realisten, da die experimentellen Autoren. Ja, natürlich bin ich ein Realist in dieser Sichtweise schon. Sonst würde ich ja Lyrik schreiben, poetisch aufgeladen. Es gibt natürlich auch realistische Lyrik, aber dieses Feld machen wir jetzt nicht auf. Ich habe mit dem Rudi Habringer ausgemacht, dass er noch zwei Seiten aus einer dritten Geschichte lesen wird, gemacht, dass er noch zwei Seiten aus einer dritten Geschichte lesen wird, damit Sie nur ein bisschen einen Eindruck bekommen, dass er Theologie studiert hat, haben wir schon zwei bis dreimal erwähnt. Das merkt man auch in dieser Geschichte. Aber das andere, ja, das ist eher die Alterskohorte. Da spreche ich meine eigene Kohorte an. Ist ja gut vertreten heute. Ja, sicher. Ja. Ja, sicher. Dass man als über 60-jähriger Autor sich einzubilden hätte, man erreicht die 30-Jährigen. Also diesen Ehrgeiz habe ich nicht mehr. Die Geschichte heißt Marily. Das Lesebuch bestand aus einzelnen Blättern, die die Lehrerin Woche für Woche an die Kinder austeilte. Die Blätter waren mit bunten Zeichnungen und Wörtern in Großbuchstaben bedruckt. Die gelochten Blätter fädelte Monika mit einem Faden zusammen und ordnete sie sorgfältig in eine Mappe ein. Aus Buchstabengruppen formten sich allmählich Wörter. Monika hatte Spaß daran, die Wörter zu entziffern und Mama vorzulesen. Hansi und Edi, Mimi und Susi. Jede Woche durfte sie sich ein Buch aus der Klassenbibliothek leihen und mit nach Hause nehmen. Anfangs las ihr Mama die Geschichten vor. Choo-Choo, die kleine Lok. Mama war früher selbst Lehrerin gewesen und arbeitete jetzt als Sekretärin bei einer Firma. Das Lesenüben war ihr besonders wichtig. Bald schon buchstabierte sich Monika allein durch die Bilderbücher. Woche für Woche neue Wörter, neue Klänge. Oma und Opa, Papa und Mama. Mama stand am Küchenherd und bereitete Marillenballatschinken vor, Monikas Lieblingsspeise. Mama, wo ist eigentlich mein Papa? Papa war nicht da. Papa war weit fort. Nicht alle Kinder haben einen Papa. Es gibt bei uns im Dorf viele Menschen, die keinen mehr haben, sagte Mama. Viele Väter waren damals im Krieg gefallen und nicht mehr nach Hause gekommen. Mama zeigte Monika das Kriegerdenkmal an der Außenwand der Kirche. Oben prangte der Spruch, unseren Gefallenen zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung. Da waren in zwei Kolonnen Familiennamen aufgelistet, die Monika vom Dorf vertraut waren. Das ist der Onkel von Erwin, sagte Mama jedes Mal und deutete auf einen Eintrag im Stein. Spießberger. Er ist in Stalingrad umgekommen, sagte sie. Aber wir haben jetzt keinen Krieg mehr, sagte Monika und ich bin lange danach geboren. Mein Papa ist doch nicht im Krieg gefallen. Mama ließ nicht mit sich reden. Andere haben auch keinen Papa, man kann nicht alles haben. Leider, sagte sie, und jetzt lasst ihr die Palatschinken schmecken, sagte sie und strich Monika die Locken aus der Stirn. Du hast mich, sagte Mama und drückte sie fest an sich. In der Schule wurde über die Eltern und die Herkunftsfamilien nicht gesprochen. Da waren nur die Mitschüler aus der Klasse wichtig und natürlich die Klassenlehrerin, die Handarbeitslehrerin, der Direktor, der Herr Katechet. Monikas Banknachbarin Marianne war auch ihre beste Freundin. Vor ihnen saß Teresa, eingebildet und hochnäsig. Sie kam von einem großen Bauernhof. Monika hatte immer das Gefühl, dass sich Teresa als etwas Besseres vorkam. Monika wohnte mit Mama im Haus von Oma. Das Haus war klein, windschief, mit winzigen Fenstern. Früher hatte hier einmal ein sogenannter Häuslmann gewohnt. Das war Omas Mann gewesen, Mamas Papa. Er hatte als Hilfsarbeiter bei einem Steinmetz gearbeitet und war nicht alt geworden. Monika hat ihren Opa nicht mehr kennengelernt. Du gehst, Teresa, einfach aus dem Weg, hatte Mama gesagt. Die kommt sich nur gut vor. Aber da ist nichts dahinter, sagte sie. Sie spielten in einer Schulpause Gummihüpfen, als Teresa unvermutet auftrumpfte. Ich habe zwei Opas, sagte sie, und du hast gar keinen. Ich habe auch zwei Omas und du hast nur eine, das weiß jeder, sagte Teresa. Und jeder hat einen Papa, aber deinen eine. Das weiß jeder, sagte Teresa. Und jeder hat einen Papa, aber deinen habe ich noch nie gesehen, sagte Teresa. Der ist eben woanders, sagte Monika. Der ist im Ausland. Das glaubst du doch selbst nicht, sagte Teresa. Die Zeit vor der Erstkommunion war aufregend. Wochenlang waren sie in der Schule mit den Vorbereitungen beschäftigt, lernten Lieder und Gebete, hörten auf alten verkratzten Schallplatten Geschichten aus der Bibel und überlegten, welches Kleid sie anziehen wollten und welche Kerze die richtige war. Aus dem Kleid einer Cousine nähte Mama ein neues, weiß mit Schleifen, ein Traum. Als das Fest kam, spielte die Blasmusik und Monika empfing den Leib des Herrn. Sie hatte sich vorher gefürchtet, dass die Hostie an ihrem Gaumen kleben bleiben würde oder im schlimmsten Fall sogar auf den Boden fiel. Nichts von alledem geschah. Die Sonne strahlte vom Himmel und nach dem Gottesdienst gab es ein gemeinsames Frühstück mit allen Kindern im Gasthaus. Monika wurde von ihrer Taufbatin Hedwig begleitet. Nachher wurden auf einer Wiese Fotos gemacht. Alle Kinder sprangen ausgelassen herum. Jetzt war es nicht mehr schlimm, wenn das Kleid vielleicht einen kleinen grünen Streifen vom Gras abbekam. Die Festlichkeit war vorbei. jetzt sollten sich alle freuen. Zuerst stellte sich die Klasse auf zu einem gemeinsamen Foto mit dem Pfarrer und der Lehrerin, dann wurden Porträtfotos von allen Kindern gemacht. Der Fotograf, der aus der Stadt gekommen war, achtete sorgsam darauf, dass sich niemand aus Versehen die Kerze vors Gesicht hielt. Dann schrie jemand, und jetzt ein Foto mit den Paten. Und die Kinder stellten sich mit den Patinnen und Paten zu einem Gruppenfoto auf. Dann hieß es, jetzt mit den Mamas. Die Kinder stellten sich mit den Müttern zu einem Foto auf. Monika spürte, wie Mama ihr die Hand auf die Schulter legte. Mama strahlte sie an. Sie war stolz auf ihre hübsche Tochter. Extra hatte sie Monika tags zuvor die Zöpfe neu geflochten. Monika fühlte sich sicher und geborgen. Und jetzt ein Foto mit den Papas, schrieb plötzlich jemand. Nur wer mag. Schon drängten sich die Kinder auf der steinernen Treppe vor dem Kirchenportal und nahmen ihre Väter an die Hand. Monika sah Teresa mit ihrem Vater vorbeigehen. Teresas Vater trug einen Steireranzug und einen Hut. Er war ziemlich dick. Normalerweise sah Monika den Mann nur, wenn er auf seinem orangefarbenen neuen Masse-Fergusen-Traktor durch das Dorf fuhr. Du hast ja gar keinen Papa, zischte ihr Teresa im Vorbeigehen zu. Komm, wir gehen nach Hause, sagte Mama zu ihr und Tante Hedwig. Sie hatte nicht gehört, was Teresa gesagt hatte. Oma wartet schon mit der Suppe auf uns, sagte Mama. Und dann gibt es zur Feier des Tages ein Wiener Schnitzel. Dass Rudi Habringer das Thema Erstkommunion hier so liebevoll ausgestaltet hat, deutet vielleicht darauf hin, Sie ahnen es, auf die Frage, ob der Papa nicht auch ein geistlicher Herr gewesen sein könnte. Das verraten wir jetzt aber nicht. Rudi Habringer, ich würde Sie zum Schluss gern etwas fragen, von dem Sie mich gebeten haben, Sie das zu fragen. Rudi Habringer hat gesagt, frag mich doch, wie es ist, als Schriftsteller in Linz oder im Großraum Linz zu leben und nicht in einer größeren Stadt wie Berlin oder Wien oder München, ob das ein Nachteil ist. Rudi Habringer, wenn man als Autor im Großraum Linz lebt, finden Sie, dass man da im Nachteil ist gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die sich in den literarischen Metropolen tummeln? Jetzt ist die Zeit schon ein bisschen vorgeschritten. literarischen Metropolen tummeln. Jetzt ist die Zeit schon ein bisschen vorgeschritten. Wir könnten es in einem Symposium ausholen, weil es sind ja auch Kollegen und Kolleginnen da, über die ich mich freue, von der Graz-Haut-Urn-Versammlung, weil das ist natürlich manchmal ein Thema, nämlich gerade von denen, die quasi hier geblieben sind, und zwar ein Leben lang, meistens aufgrund familiärer Verhältnisse. Wenn man Kinder hat, dann ist man halt hier geblieben sind, und zwar ein Leben lang. Meistens aufgrund familiärer Verhältnisse. Wenn man Kinder hat, dann ist man halt hier geblieben und bewegt sich in einer anderen Zone als in dieser wirklichen literarischen Blase, die es vielleicht gar nicht gibt. Vielleicht ist das ja eine Schimäre, aber das darf ich als Provinzler sagen, dass ich glaube, die Sphäre ist woanders. Natürlich gibt es in Linz auch eine literarische Szene, aber ich glaube, es gibt schon so etwas wie einen Standortnachteil, wo man ein ganzes Leben lang eigentlich nicht dort sich zeigt, ständig, wo sozusagen der Zirkus spielt. Gibt es auch, ganz heikle Frage, gibt es auch einen Standortnachteil, wenn man in österreichischen Verlagen publiziert und nicht bei Surkamp, S. Fischer und Kippenheuer und Witsch? Ja, aber jetzt muss ich die Frage natürlich dann an den Direktor oder Präsidenten oder Direktor der Buch Wien zurückfragen, weil das war interessant. Also ich glaube natürlich spielt das eine Rolle. Also bei der Buch Wien haben österreichische Autorinnen und Autoren einen Startvorteil. Und da würde ich sagen, ist auch einer der wenigen Fälle, wo österreichische Verlage einen Startvorteil haben, weil die müssen einfach prominent vorkommen auf der Buch Wien. Startvorteil haben, weil die müssen einfach prominent vorkommen auf der Buchwien. Nein, aber wenn ich das jetzt als Radio und Fernsehmacher beantworten muss, die wirklich wahrhaftige Antwort ist selbstverständlich. Selbstverständlich, wenn ich in einer Redaktionssitzung sitze und sage, und dann geht es um die Frage, was bringen wir nächste Woche im Morgensjournal und im Mittagssjournal? Wenn das ein Buch ist, das bei Surkamp oder Kippenheu und Witsch erscheint, das ist schon mal gesetzt. Da braucht man überhaupt gar nicht mehr reden. Schollnei geht noch, aber ist nicht mehr selbstverständlich. Aber alle, das ist die bittere Wahrheit, alle anderen Bücher, die bei österreichischen Verlagen erscheinen, ist denkbar, dass man die macht im Mittagsschornal und im Morgensjournal, aber da muss man dann richtig kämpfen als der, der die Geschichte machen will. Und das ist einfach so. Ja, das ist einfach die Situation des Marktes. Ein Blick, den ich natürlich auch manchmal mache, auf die besten Liste des ORF. Man betrachtet diese Listen über einen längeren Zeitraum, nur einmal nach der Herkunft der Verlage. Und da gibt es natürlich dann in Summe eine Handvoll Verlagen, und zwar immer die gleichen natürlich, und zwar die sogenannten großen. Das sind die großen Player, das sind die Player, die auch die Kohle haben, PR zu machen und so weiter. Das sind aber auch die Player, die natürlich für die Leute, die diesen Markt bedienen und davon auch leben, Rezensenten, Rezensentinnen, natürlich auch, es macht einen Unterschied, ob ich jetzt ein Buch von Hansa oder ich weiß nicht, von Surkamp bespreche oder von einem Verlag, der heißt Kehrwasser Verlag und ist irgendwo. Auch für eine Rezensentin, würde ich sagen. Und so ist es. Und haben Sie es bereut, hier geblieben zu sein? Nein, also so kann ich das nicht sagen, aber natürlich leidet man oder man jammert halt manchmal, dass es so ist. Aber das passiert auch in Berlin, wie ich Ihnen sagen kann. Auch da gibt es Hunderte und aber Hunderte von Autorinnen und Künstlern, die jammern. Ja, das ist ja möglicherweise eine Grunde? Also von Autoren und Autorinnen. Also ich kenne auch ganz Berühmte, wo ich sagen würde, die hat ja ein Werk und die ist ja weiß ich gut wo erschienen und die trotzdem, also die noch mehr klagen würde als ich, der da ein bisschen jammert. Da könnte ich Ihnen viele Geschichten erzählen von ganz, ganz berühmten, viel gepriesenen österreichischen Romassiers, die dann eine Woche in Depression verfallen, weil sie im Linzer Volksblatt in einem Zweispoiter keine hymnische Besprechung bekommen haben, sondern ein Häuferries. Also das Klagen ist schon sehr weit verbreitet. Man lese auch die Tagebücher, das ist sehr interessant, also von Autoren, hauptsächlich sind es Männer, die ich da jetzt im Blick habe, aus der ersten bundesdeutschen Liga, die in der Zwischenzeit schon fast alle verstorben sind, aber der Rühmkorf zum Beispiel oder der Grass oder auch der Martin Walser, die haben sich ständig Gedanken gemacht, warum wird der jetzt in der FAZ besprochen und ich noch nicht? Wie gibt es das überhaupt? Tolle Lektüre. Gut, ich würde dafür plädieren, dass wir jetzt nicht jammernd schließen. Weiter zu haben wir nämlich keinen Grund. Diese paar Minuten, so heißt der Erzählplan vom Rudi Habringer 12, ich habe es schon gesagt, wirklich tolle, starke, beeindruckende Erzählungen, ganz große Empfehlung von meiner Seite. Ich darf jetzt Stephan Kugelberger noch einmal um die Schlussworte bitten. Den Applaus Wien und München und Wien nicht haben, ist das Stifterhaus. Das war vielleicht ein Grund, warum Rudi Habringer dankenswerterweise hier geblieben ist. Wir freuen uns, dass du geblieben bist, Rudi. Ich danke den beiden Herren für einen wirklich intellektuell anregenden und doch sehr kurzweiligen Abend. Das Buch, diese paar Minuten können Sie beim Büchertisch, bedeutet von der Buchhandlung Alex, erwerben. Rudi Habringer ist, wie ich weiß, gerne bereit zu signieren. Ich lade Sie noch ein, kommen Sie am Donnerstag wieder, da ist Monika Helfer hier zu Gast. Vielen Dank fürs Kommen und noch einen schönen Abend. Danke auch fürs Kommen. Ich bin sehr gefreut. Danke. Danke dir.