The American Pronunciation Guide Presents ''How to Pronounce Jesus Christ'' Sehr geehrte Damen und Herren, Herzlich willkommen hier in der Literaturgalerie im Stifterhaus zu oder in einem literarischen Böhmen, in das wir uns gleich anschließend aufmachen werden, mit zwei Autoren, deren Werke heute Abend präsentiert werden sollen. Peter Becher wird seinen Roman Unter dem steinernen Meer erschienen 2022 im Vitalis Verlag Prag vorstellen, Ralf Höller, Wolfgang Schmid. Er, Schmid, würde in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern. Seine Bücher sind in eben jener Lebensphase entstanden, in der sich Peter Becher gerade befindet. Peter Becher gerade befindet. Eine deutliche Generation liegt zwischen den beiden Autoren. Im Handlungszeitraum ihrer Romane treffen sie gewissermaßen aufeinander. Über Parallelen und Unterschiede in diesem eben nur mehr literarischen Böhmen wird Dr. Johannes Jetschko mit Peter Becher und Ralf Höller ins Gespräch kommen. Wir begrüßen Peter Becher, Ralf Höller und Johannes Jetschko sehr, sehr herzlich im Hause Adalbert Stifters. Wie schön, dass Sie von nah und ferner heute hier sind. Was meint nun literarisches Böhmen? Wir wollen mit diesem bewusst sehr offen gehaltenen Titel oder Begriff einen Kulturraum ansprechen, mit dem wir eng verbunden sind, Böhmerwald in zumindest zwei Himmelsrichtungen, nach Mitternacht, wie Adalbert Stifter sagen würde, also nach Norden, wie auch nach Westen, ins Bayerische hinein. Böhmen ist allerdings mehr als der Böhmerwald. Wie nicht selten und wie auch nicht anders zu erwarten, ist ein Angelpunkt fürs Böhmische einmal mehr durchaus Adalbert Stifter, dessen prägende lebensgeschichtliche Erfahrungen, auch die Schulung seiner Wahrnehmungsfähigkeit aufs Engste mit Böhmen, dem Böhmer Wald, auch dem Bayerischen übrigens, verknüpft sind. Dessen Verständnis von Böhmen eines ist, dass im Wald und darüber hinaus Tschechen wie deutschsprachige umfasst, wie es etwa in Vitico oder auch in der dem Roman vorangestellten, seine Landsleute insbesondere in der alten ehrwürdigen Stadt Prag adressierenden Widmung zum Ausdruck kommt. Unser Interesse an der Literatur des Kulturraumes Böhmen gilt, gerade angesichts der Entwicklungen im späteren 19. und mehr noch der Ereignisse im 20. Jahrhundert, Fragen nach Verbindungen, nach Brücken, nach der Durchlässigkeit wie nach dem Trennenden, Fragen nach der Sprache als Mittel der Darstellung, als Möglichkeit einer Verständigung oder der Begrenzung, die wir auch in wiederholter Zusammenarbeit mit dem tschechischen Zentrum etwa und Lesungen mit tschechischen Autorinnen und Autoren womöglich aufzuheben versuchen. Es gab einige sehr schöne Veranstaltungen und wird sie weiterhin geben. Heute Abend geht die Reise in das südliche Böhmen, in zwei kleinere Städte, nach Budweis und nach Krummau, in die Provinz gewissermaßen, aber ins Zentrum von Zeitgeschichte, in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, das letzte Zeitfenster für ein mögliches Überwinden nationaler Konflikte, eine Zeit, in der sich das längst besiegelte Schicksal, um Wolfgang Schmidt zu zitieren, schon ankündigt. Den Blick auf diese Situation richten ein Zeitzeuge und ein Nachgeborener, sie spiegeln auch in Hinblick auf ihre eigene Biografie Verwerfungen der Geschichte. Peter Becher, 1952 geboren in München, Germanist mit besonderem Schwerpunkt auf dem Thema Donaumonarchie, langjähriger Geschäftsführer, jetzt Vorsitzender des Stiftervereins München, Stifterbiograf, 1951 heirat, übrigens in Ried im Innkreis, darum erwähne ich es, im selben Jahr Auswanderung nach Kanada, Jurist, Soziologe, er stirbt 2013. In den Romanen Unter dem steinernen Meer wie auch in Sie weinen doch nicht, mein Lieber, wirken, wenn auch auf unterschiedliche Weise, Ideologie und Politik unaufhaltsam auf das Individuum ein. Es sind die Möglichkeiten einer Lösung nicht erkennbar, versäumt, vertan, wirkt der Einzelne letztlich mit an der Katastrophe. In beiden Büchern bietet Literatur einen letzten kleinen Anker. In Peter Bechers Roman ist es das Zitieren von Stifter-Sätzen, das ein einander erkennen verspricht. In Schmitz, Sie weinen doch nicht, mein Lieber, ist es Gonscharow, der eine Flucht in ein Rollenspiel zeitweilig ermöglicht. In beiden Texten vermittelt sich transnationale und interkulturelle Verflochtenheit, ein in der Literatur aufgehobenes Böhmen. Ihnen allen einen schönen Abend, dort wie hier. Ja, Dankeschön, Frau Dr. Dallinger, für diese bereits wesentliche Punkte ansprechende Vorstellung. Ich darf Sie auch sehr herzlich zu dieser Doppelpräsentation begrüßen, die sozusagen eines gemeinsam hat, im Großen und Ganzen die literarische Landschaft des Böhmerwalds, die wir wissen ja in unzähligen belletristischen Werken beschrieben wurde. Beide Texte des heutigen Abends haben einen engen Bezug dazu. Der erste wurde schon gesagt, Peter Bechers Roman Unter dem steinernen Meer, ist eine geradezu gleichnishafte Wanderung durch diese Landschaft, eine Wanderung, die Sie vielleicht aus eigener Anschauung kennen. Die zweite ist durch den Autor Wolfgang Schmidt und dessen Lebensgeschichte dem Böhmerwald zugehörig. Und wir werden versuchen, an diesem Abend ein bisschen die Verzahnung, Verschränkung dieser beiden auch zu erläutern. Peter Becher wurde vorgestellt. Das Spannende daran ist, wo er doch jahrzehntelang Geschäftsführer des Adalbert-Stifter-Vereins München war und heute dessen Vorsitzender. Wir kennen ihn als eine wichtige Stimme, als eine engagierte Stimme im tschechisch-deutschen Dialog, nicht nur im kulturdialog, sondern auch im kulturpolitischen Dialog. Natürlich als Autor literaturwissenschaftlicher Publikationen und auch als Autor einer wichtigen Adalbert Stifter, die Biografie, die bei Pustet erschienen ist. Heute aber, und das ist auch für ihn eine Premiere in seiner schreibenden Karriere, ist er als Romanautor hier. Karriere ist er als Romanautor hier, aber man sollte dazu sagen, es ist dieser sein erster Roman eben ein, würde ich es nennen, semifikzionaler Roman. Peter Becher schreibt oder beschreibt die Suche eines älteren alten Mannes, der auf dieser Suche, die als Wanderung, wie ich sagte, in dem Böhmerwald unmittelbar nach der Wende in den frühen 90er Jahren angelegt ist, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, also wieder die Möglichkeit hat, die er ja 1968 schon kurz einmal erwogen hat, aber ist er nicht dazu gekommen, geht er diesen Weg und geht praktisch in seine eigene Vergangenheit, spürt diese Vergangenheit nach und wir werden nachher dann noch erörtern können, wie das endet. Und dabei erzählt er für uns in sehr abwechslungsreich und daher mache ich gerne ein Teasing für dieses Buch, weil es sich auch gut und spannend liest. Es geht bis zu Elementen des Kriminalromans, die Peter Becher anwendet. Er erzählt uns in Rückblenden und spannend ausgeführten, oft durchaus didaktischen Dialogen die Geschichte einer, würde ich sagen, verführten Jugend. Jugend, die Verführung einer Jugend zum totalitären Regime in der Zeitspanne der ersten tschechoslowakischen Republik. Die Geschichte der polarisierten Nationen, Deutsche in der damaligen Tschechoslowakei, Tschechen in der damaligen Tschechoslowakei und das alles in zwei Jugendverbänden bis hin zur Katastrophe, im historischen Sinn zur Katastrophe, wie auch im persönlichen dieser Figur Karl Tomaschek die Becher als Hauptfigur gestaltet. Der zweite Teil dieses Abends gehört einem Schriftsteller, der ein Spätberufener war, Wolfgang Schmidt. Wenn Sie seinen Namen nicht kennen, dann haben wir was gemeinsam, denn mir hat er auch nichts gesagt. Auch wenn Schmidt ein unverwechselbarer Name wäre, aber mir hat er wirklich nichts gesagt. Und ich war basserstaunt und ich war wirklich verwundert, dass man ihn heute nicht mehr nennt und nicht mehr lesen kann, weil seine Bücher vergriffen sind. Jedenfalls ist dieser Wolfgang Schmidt, nur so viel sei jetzt gesagt, gehört genau zu jener Generation, die Peter Becher in seinem rastlos suchenden Karl Tomaschek beschreibt. Schmidt hat seine Jugend in Südböhmen verbracht, wurde schon gesagt, hat seine einstige Heimat literarisch aufleben lassen, aber nicht, wie man es vielleicht vordergründig meinen könnte oder erwarten würde. Es ist eine Story, es ist ein Plot, der in jeder deutschen Kleinstadt spielen hätte können. Und er ist daher tatsächlich eine Überraschung, vor allem würde ich sagen in seiner Modernität. Wir beginnen mit dem Roman Peter Bechers, Unter dem steinernen Meer. Es liest der Autor. Ja, unter dem Steinernen Meer ist übrigens kein erfundener Titel, sondern so nennt sich eine Stelle im Böhmerwald, tschechisch Podkamenimorschem, unterhalb des steinernen Meers, ungefähr 200 Meter unterhalb des Blöckensteinsees. Und da dort auch einiges Dramatisches in meinem Roman passiert ist, haben wir uns auf diesen Titel geeinigt. Der Karl Tomaschek, der schon erwähnt wurde, ist sozusagen die eine Hauptfigur, er hat aber einen tschechischen Partner, eine Gegenfigur, mit der er sehr lange befreundet war, den Jan Hadra war. Sie waren beide Budweis-Schüler, der eine im deutschen Gymnasium, der andere am tschechischen und beide haben im Jahr 39 die Matura gemacht. Und da muss man sich klar machen, das war wenige Wochen, nachdem Budweis auch okkupiert worden ist, ähnlich wie Prag, und wenige Wochen bevor der Zweite Weltkrieg begonnen hat. Eine unglaublich spannungsreiche Zeit, in der eigentlich diese alte Jugendfreundschaft dann auch zerbrochen ist. Und im Jahr 90, als der eiserne Vorhang weg ist, wandert dieser Karl Tomaschek vom Lackenhäuser aus noch einmal in das böhmische Gebiet hinein, angeblich nur, um nach irgendwelchen versteckten Dingen zu suchen. angeblich nur, um nach irgendwelchen versteckten Dingen zu suchen. Aber je mehr er hinüber wandert, umso mehr überwältigen ihn die Dämonen der Vergangenheit, bis er fast daran zerbricht. Er kommt nach Oberplan in das Hotel Smrtschina, das einige von Ihnen sicher auch noch gut kennengelernt haben damals. Und dort trifft er auf eine Totenfeier. Und einer, der dort mitfeiert, ist erstaunlicherweise sein alter Jugendfreund Jan Hadrawar. Und der ist nach Oberplan versetzt worden nach dem Jahr 68, als man viele Leute, die mit dem Regimewandel in Prag nicht einverstanden waren, dann in die Provinz einfach verwiesen hat. Sie kommen also zufällig zusammen, sie erkennen sich wieder und haben zunächst ganz viele gegenseitige Vorwürfe auszutauschen. Ja, sagte Hadravar im Gastraum des Hotels Myrcina zu Tomaszek, ihr habt unsere Republik kaputt gemacht, Masaryks Republik, eine der letzten Demokratien in der Mitte Europas. Ihr hattet alle Rechte einer Minderheit. Sogar an der Regierung waren eure Parteien beteiligt. Aber ihr wolltet keine demokratischen Rechte. Ihr wolltet eure nationale Vorherrschaft. Ihr wolltet zu den großen deutschen Brüdern, zum Deutschen Reich gehören. Und es war euch vollkommen egal, was für ein Regime dort herrschte, wie sehr man alle demokratischen Errungenschaften abgeschafft und eingestampft hatte. Bei uns hattet ihr alle Bürgerrechte, eure Sprache und eure Kultur. Und hattet ihr alle Bürgerrechte, eure Sprache und eure Kultur? Ihr hattet eigene Schulen und Vereine, eigene Buchhandlungen und Bibliotheken, eigene Theater, Zeitungen und Zeitschriften. Ihr hattet sogar eine eigene Universität. Ja, sagte Tomaszek, all das hatten wir, aber nicht als demokratische Regelung der Republik, sondern als Überbleibsel der Monarchie. Schon wenn du sagst, was wir bei euch hatten, sollte das nicht unser gemeinsamer Staat sein? Nein, für euch war es nur euer Staat. Ihr habt uns nicht als gleichberechtigte Nationalität gesehen. Ihr habt uns als ungeliebte Minderheit behandelt. Warum sagst du nicht, wie viele deutsche Schulen geschlossen und wie viele tschechische Schulen neu eröffnet wurden? Habt ihr uns nicht gleich zu Beginn der Republik unser schönes Gymnasialgebäude in Budweis weggenommen und uns euren abgenutzten alten Kasten überlassen? Warum sagst du nicht, dass ihr, wo ihr nur konntet, zweisprachige Schilder und deutsche Denkmäler demontiert habt und mit der wunderbaren 20-Prozent-Regel fast allen Sudetendeutschen die Möglichkeit genommen habt, auf den Ämtern ihre Muttersprache zu verwenden. Was für eine Freude, wenn ein tschechischer Beamter, der bestens Deutsch sprach, einen sudetendeutschen Bauern einfach nicht verstehen wollte und genüsslich auflaufen ließ. Sag nicht, dass du von all dem nichts gewusst hast, dass du nicht mitbekommen hast, wie arme sudetendeutsche Familien um den Finger gewickelt wurden, wie man sie gelockt, bedrängt und bedroht hat, ihre Kinder auf tschechische Schulen zu schicken und dass ihr euch jahrelang geweigert habt, auch deutsche Künstler und Schriftsteller der Tschechoslowakei mit Staatspreisen auszuzeichnen. Wo waren die höheren Offiziere und die höheren Diplomaten deutscher Nationalität. Arroganz und Misstrauen, Hadrawah, das habt ihr uns entgegengebracht. Wie schwer ihr euch doch tut, euren eigenen Nationalismus einzugestehen und wie schnell ihr den der Sudetendeutschen anprangert. ihr den der sudetendeutschen anprangert ja thomas schick auch wir haben fehler gemacht wir haben uns allzu gerne als herrn über die ehemaligen herren aufgespielt wir haben uns allzu laut über die souveränität gefreut und zu wenig um die minderheiten gekümmert. All das haben wir gemacht. Nicht jeder, aber doch recht viele. Chauvinisten, das weißt du nur zu gut, hat es auf beiden Seiten gegeben. Und es ist allzu billig, die der einen Seite anzubrangen und die der eigenen Seite zu übersehen. Das habe ich gerade gesagt, Hadrawa. Nicht ganz so, aber ich sage es jetzt auch. Und vielleicht siehst du, dass ihr trotz aller Nachteile in der Ersten Republik, die du so heftig beklagst, trotz all der Versäumnisse, die oft nur Gedankenlosigkeiten waren, trotz der vielen kleinen Überheblichkeiten und Sticheleien, der Rücksichtslosigkeiten und Machtdemonstrationen, dass ihr in Budweis als Deutsche ganz gut gelebt habt. Und vielleicht siehst du, dass diese Nachteile, auch wenn ihr das damals nicht so empfunden habt, so wirst du es heute wohl kaum leugnen, geringfügig und lächerlich waren, verglichen mit dem, was danach kam. Dass sie bei Weitem übertroffen wurden von dem kalten Triumph, mit dem ihr uns nach der Okkupation durch die deutschen Truppen behandelt habt, von der brutalen Gleichschaltung und Auflösung aller Verbände und Vereine, von dem Verbot aller demokratischen Parteien, von einer Atmosphäre der Einschüchterung und Bedrohung, die durch Verhaftungen, Folterungen und Erschießungen aufrechterhalten wurde. Das kann dir nicht entgangen sein, Tomaszek. All das hast du hautnah erlebt. Die brutale Verfolgung und Inhaftierung nicht nur tschechischer Antifaschisten und deutscher Immigranten, sondern auch sudetendeutscher Regimegegner, Sozialdemokraten, Kommunisten und Katholiken. Von den Juden ganz zu schweigen. Warum erzählst du nicht von eurer besoffenen Begeisterung, als die Wehrmacht in Budweis einmarschiert ist, von euren Sprechchören und Heilrufen, von eurem Eifer, mit dem ihr schon Wochen vorher Hakenkreuzfahnen genäht habt, wie ihr euch gestreckt und gedehnt habt, um endlich auch zum Reich zu gehören, mit welcher Begeisterung ihr euch um die Aufnahme in nationalsozialistische Organisationen, in die HJ, die SA und die SS bemüht habt, wie gerne ihr über den Ringplatz marschiert seid, immer wieder über den Ring mit Trommeln und Fanfaren, wie ihr alles gut und fabelhaft und überwältigend gefunden habt und wie es euch dabei jeden Maßstab an Anstand, Moral und Glauben verzogen hat. und Glauben verzogen hat. Ja, sagte Tomaszek, viele von uns waren ganz verrückt nach Hitler und nach der NSDAP und haben die Verbote und Verfolgungen begrüßt. Aber nicht alle waren das, bei weitem nicht alle. Und glaubst du wirklich, dass eure Racheakte nach Kriegsende, dass eure Begeisterung für die Kommunisten, eure Verbote und Verfolgungen, eure Aufmärsche und Kundgebungen auf dem Ringplatz anständiger und moralischer gewesen sind? Glaubst du das wirklich? Ich bin noch nicht fertig, sagte Hadrawa. Auch das gehört dazu, wie mitleidlos ihr eure jüdischen Mitschüler, Lehrer und Nachbarn behandelt habt, wie ihr euch von ihnen weggesetzt, sie nicht mehr gegrüßt, bei ihnen nicht mehr eingekauft habt. So lange habt ihr sie aus dem städtischen Leben verbannt, bis es für euch ganz selbstverständlich war, dass sie nicht mehr mit der Straßenbahn fahren durften, nicht mehr in die Kinos gehen, keine Parkanlagen betreten, nur noch zu bestimmten Zeiten einkaufen durften, dass sie erst keine deutschen und schließlich auch keine tschechischen Schulen mehr besuchen durften. Was für ein Akt der Diskriminierung und Unmenschlichkeit, Tomaszek. Natürlich, du hast niemanden umgebracht. Die meisten von euch haben niemanden umgebracht, waren nicht aktiv an den Quälereien und Mordtaten beteiligt. Aber es gibt Zeiten, da macht man sich auch dadurch schuldig, dass man nichts tut, dass man wegschaut, dass man billigend in Kauf nimmt und oft genug nicht nur zustimmt, sondern auch anfeuert und aufhetzt. Und nicht einmal für Elsa hast du eine Hand gerührt. Du weißt genau, dass ich das getan habe, Hadrawa. Nichts weiß ich, gar nichts. Wir waren befreundet, Kali. Wir sind zusammen ins Kino gegangen, in den Zirkus und einmal mit Elsa und Lenka sogar auf den Schöninger gestiegen. Hast du das alles vergessen? Nichts habe ich vergessen, Honsa. Den Zirkus Sarasani nicht, in dem die Hunde besser Fußball gespielt haben als wir und auch die Kinos nicht, den Flug einer Nacht, den Tiger von Eschnapur, den King Kong-Film, über den wir so viel gelacht haben. Und erinnerst du dich auch, wie zwei junge Burschen Elsa einmal Judenfotze nachgerufen haben und wie du ihnen links und rechts eine runtergehauen hast? Ja, Honza, auch daran erinnere ich mich. Das waren deutsche Jungen von deiner Schule. Ich weiß, sie haben sich am nächsten Tag bei ihrem Klassleiter beschwert. Ohne Erfolg. Ja, Kali, so gut waren wir einmal befreundet. Und Elsa konnte so viel lachen. Die ernste, verschlossene Elsa, wenn sie im Kreis ihrer Freundinnen war, wenn sie die Leute nach Figuren aus Stifters Erzählungen klassifizierte. Das war urkomisch. Nanking, Uldum, Gregor, Riesach, Sture Mure. Weißt du, wie sie euren Professor Köhler nannte? Keine Ahnung. Einen Nanking-König. Das weißt du nicht? Nein, Honza. Weil er jeden Tag eine andere Krawatte trug und so viel Wert auf sein Aussehen legte. Nanking, was soll das heißen? Das weißt du nicht? Das kommt von der Nankinghose, einer dottergelben Hose, die einmal bei Männern in Mode war. Stifter hat sich in einer Erzählung darüber lustig gemacht und für Elsa war seitdem jeder eitle Tropf ein Nanking, wenn er freundlich und elegant war, ein Nanking-König und wenn er primitiv und aufdringlich war, ein Nanking-Kon. Das hast du nie gehört? Nein, Honza, das wusste ich nicht. Ich erinnere mich nur an irgendeinen Spruch mit einem Huhn, der jedes Mal ein lautes Kichern zur Folge hatte. Ach, denkt denn nichts, Kali, du warst eben kein enger Freund von ihr. Das mit dem Huhn, das war ein Erkennungszeichen, eine Parole, von der nur ihre besten Freundinnen wusste. Freundinnen wusste, wenn jemand den ersten Satz sagte, dann musste die Eingeweihte den zweiten Satz sagen und stimmte schließlich auch der dritte Satz, so war klar, dass man zum innersten Kreis der Stifterfreunde erzählte. Das wusste ich nicht, weil du nicht dazugehört hast. Oder was hättest du auf den Satz geantwortet? Ein Huhn ist nicht möglich, sagte die Wirtin. Keine Ahnung. Siehst du, die richtige Antwort war, dann muss der Tropf gezüchtigt werden. Und was hättest du darauf gesagt? Woher soll ich das wissen? Oh, du heiliges Gold des Gewissens, das soll alles von Stifter sein? Ach, Elsa konnte aus jeder Erzählung zitieren, das habe ich nicht mitbekommen, weil du nur in deinen Turnerkreisen gelebt hast. Ach, so wie du in deinen Sokolkreisen, die immer nationaler und aggressiver geworden sind. Die Jungturner waren noch viel schlimmer. Wie ein Gockel bist du herumgelaufen, weil du auf das Turnfest nach Kommutau fahren durftest. Und du wie ein Pfau vor der Abreise zum großen Sokol-Fest in Prag im Sommer 38. Und bei euch hingen überall schon Hakenkreuzfahnen, als ein paar Turner von euch im September zum großen Turnfest nach Breslau gefahren sind. Ach ja, Herr Traver, da haben wir uns hineingesteigert und nichts anderes mehr gesehen, nichts anderes sehen wollen. Das war idiotisch von uns. Von euch und von uns, Tomaszek. So war das in diesem verdammten Jahr. Erst Österreich, dann die Sudeten und im nächsten Frühjahr gerade einmal zwei Jahre, nachdem wir in Berlin waren. Zwei Jahre nur und doch als ob 20 Jahre vergangen wären zwischen dem Sommer 36 und dem Sommer 38. Erinnerst du dich überhaupt noch an unsere Berlinfahrt? Ja, sagte Tomaszek, das war unglaublich damals in Berlin, das werde ich nie vergessen. Ich auch nicht, sagte Hertha war. Und zwei Jahre später haben wir uns nicht mehr gekannt. Auf einmal war alles anders, die Leute, die Atmosphäre, was für eine Feindseligkeit. Erinnerst du dich an den verrückten Autofahrer aus Krumau mit seinen Hühnern und Hunden? Ah, du meinst wohl den Schweder, den Chauffeur vom Schwarzenberg mit der Eisenplatte im Kopf. Ja, sagte Hadrawa, der hat alles vorausgesehen, das war geradezu unheimlich. Aber damals hat ihn niemand ernst genommen. Du erinnerst dich vielleicht noch an das Nordlicht. Natürlich, war ja überall zu sehen im Jänner 38. Und die Leute haben es für eine Warnung des Himmels gehalten. Kurz darauf ist Schweder wieder nach Budweis gekommen, sagte Hadravar, an einem eiskalten Tag. Die Marktfrauen waren in dicke Wolljacken gehüllt. Viele trugen Mützen statt der Kopftücher, nur die blanken Hände ragten aus den Ärmeln, die sie immer wieder aneinander rieben, rot und klamm von der Kälte. und klamm von der Kälte. Der knatternde Motor seines Wagens kündigte Schwäder an, bevor man ihn sehen konnte. Eingemummt in einen dicken Pelzmantel, die Haube über die Ohren gebunden, mit Lederhandschuhen und flatterndem Schal lenkte er seinen Wagen auf den Platz. Das Dach war zurückgeklappt wie im Sommer, auf der Rückbank neben den Hühnern auch Hunde, die ihre Schnauzen hechelnd in die Luft hielten. Da bin ich wieder, Damia Barnowell, meine Damen und Herren, Gott zum Gruße, er grüße euch, grüße euch alle. Hab ich's nicht gesagt? Unglück wird kommen, Unheil, Kalamita. Habt ihr die Sprache des Himmels verstanden, die Warnung des Nordlichts, das unheimliche grün-rot-schwarz-gelb-violett-schimmernde Licht am Himmel? Der ganze Böhmerwald in Flammen und er wird wieder in Flammen stehen. Kein Herz wird mehr schlagen, kein Name gerufen werden, niemand von euch wird mehr hier sein. Ein kleines Mädchen riss sich von seiner Mutter los, lief auf den Wagen zu und rief laut, Krumlowski Kapitän, nemaplan, nemaplan. Schweder packte das Mädchen, hob es hoch, dass es laut aufschrie und die Frauen zu kreischen begannen. Ein Polizist, der in der Nähe stand, rief, verschwinde Schweder, bevor ich dich einsperre und sag deinem Fürsten in Krumau, dass du hier Hausverbot hast. mit dröhnender Stimme. Die Enten werden gebraten, vom Himmel fallen und beim Aufprallen explodieren, dass ihr euch nur so umschaut in den Gassen. In den Kellern wird Blut fließen, wenn der Große schlechter kommt. Erst der eine, dann der andere, das wird ein Totentanz werden, wenn die Frauen am Wehr im Wasser liegen und die Kinder die Sterne aufsammeln, die ihre Väter vom Himmel herunterschießen, piff, piff, paff, bis eine große Dunkelheit auf dem Land liegt. Keine Mondfinsternis, sage ich euch, eine Menschenfinsternis. Ganz dunkel wird die Stadt sein, so dunkel, wie ihr sie noch nie erlebt habt. Alle Fenster verschlossen, alle Lampen erloschen, kein Mucks zu hören, nur die schauerliche Nachtflöte wird spielen, lauter als jeder Glockenschlag. Schweda fixierte die Frauen, die ihn erschrocken und ängstlich anstarrten. Du und du und du, ihr werdet es nicht überleben. Und du, er schaute das Mädchen an, das immer noch reglos vor ihm stand. Was starrst du mich so an? Er holte ein Huhn aus dem Wagen und warf es dem Kind in die Arme, packte es am Genick und zerrte es zum Brunnen, zur Brunnenfratze. Schau sie dir an, rief er mit dröhnender Stimme. Das ist der Tod, der Tod. Smirt, Smirt. Honza, es ist furchtbar. Wir haben beide unsere Geliebten verloren. Ich habe dich all die Jahre für ihren Mörder gehalten, jetzt weiß ich es nicht mehr. Ja, Carly, und mein Hass war ein versteinert der Klumpen in meinem Magen, den ich all die Jahre nicht verdauen konnte. Jetzt habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass er sich auflöst, weil wir beide unsere Jugendfreundinnen verloren und uns gegenseitig verdächtigt haben. Ich habe sie nicht verloren, Carly. Wie bitte? Ich wollte es dir nicht sagen, aber jetzt musst du es wissen. Elsa lebt, hat überlebt. Was erzählst du da? Ich habe sie gesehen. Hier in Oberplan, vor wenigen Tagen. Du nimmst mich auf den Arm, Honser. Damit macht man keine Witze. Ich schwöre dir, sie war da mit einer Reisegruppe. Lauter ältere Damen aus Israel, die ihre Heimat noch einmal sehen wollten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. mal sehen wollten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Aus Israel, sagst du? Aus Israel. Und alle von hier, von Prag, von Budweis, von Krumau, von Brachertitz, sie haben das Stifterhaus besucht. Du weißt ja, dass ich dort angestellt bin. Und noch bevor ich etwas sagen konnte, hat eine ältere Dame in bestem Deutsch von Stifter erzählt. Und was sie alles wusste, wann er gelebt, wo er aufgewachsen ist, was er geschrieben hat. Mir war schnell klar, dass diese Frau mehr von Stifter weiß als ich. Und wie sie gesprochen hat, mit glänzenden Augen und lauter Stimme, eine würdevolle, ältere Frau mit kurzenzen weißen Haaren und einer dunklen Brille. Und wisst ihr, sagte sie zu ihren Freundinnen, wir waren so vernarrt in Stifter damals, dass wir ganze Passagen aus seinen Erzählungen auswendig konnten und einen Geheimcode aus Zitaten entwickelt hatten, mit dem wir uns zu erkennen gaben, dass wir zum innersten Stifterkreis gehörten und eine kleine Brosche mit einer fünfblättrigen Waldrose besaßen. Sie musste plötzlich lachen und konnte gar nicht mehr aufhören, bis ihr die Tränen kamen. Und wisst ihr, rief sie, und es klang gleichermaßen begeistert und erschüttert, wenn jemand rief, ein Huhn ist nicht möglich, sagte die Wirtin. Dann gab es nur eine Antwort darauf. Könnt ihr sie erraten? Nein, das könnt ihr nicht. Ich glaubte meinen Ohren nicht, Kali. Das musste, das konnte nur Elsa sein. Und bevor sie selber die Antwort gab, sagte ich laut, dann muss der Tropf gezüchtigt werden. Da hättest du sehen sollen, wie Elsa zusammenfuhr, wie sie blass wurde und zu zittern begann und mit leiser, fast tonloser Stimme fragte, und der dritte Satz der Parole? Stimme fragte, und der dritte Satz der Parole? Ich flüsterte, oh, du heiliges Gold des Gewissens. Wir starrten uns beide an, als ob wir Gespenster wären. Die Reisegruppe bildete einen Kreis ratlosen Schweigens. Honsa, flüsterte sie. Elsa, sagte ich, du lebst? Karli, in meinem ganzen Leben habe ich nicht eine solche Gänsehaut bekommen, wie in diesem Augenblick. Mir fuhr es heiß und kalt über den Körper. Ein Sturm von Gefühlen, wahnsinnige Freude, bodenloses Erschrecken, Zweifel, Glückseligkeit, Trostlosigkeit. Später beim Essen in der Wirtschaft saßen wir zu zweit an einem Tisch. Die anderen Damen hatten ihn uns teilnahmsvoll überlassen. Wir hielten uns an den Händen und sagten lange kein Wort. Schließlich fragte ich, und deine Eltern, deine Mutter? Elsa zuckte traurig mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Dein Vater? Sie schüttelte den Kopf. Deine Schwester? Alle wurden umgebracht. Ich bin die Einzige. Es gibt kein Grab, nichts. Und deine Mutter Hansa? Die ist vor 15 Jahren gestorben, in Budweis, sagte ich. Und dein Vater? Der wurde von den Nazis erschossen. Elsa sagte nichts. Sie drückte nur meine Hände. Und weißt du, was aus meinen jüdischen Klassenkameraden geworden ist, fragte sie schließlich aus Editha Gans, Peter Flusser, Erich Kende. Viele sind ja schon vor der Matura weggeblieben. Editha, Leo Woldt, Hans-Charlotte. Keiner hat überlebt, Elsa. Alle wurden umgebracht. Das heißt, fast alle. Charlotte ist nach Kanada ausgewandert. Er ist einer der wenigen. Er soll in Wien sein. Und unser alter Professor Herz, der war in Theresienstadt, Auschwitz, Buchenwald und nach dem Krieg noch einmal Professor in Budweis am tschechischen Gymnasium. Ich habe ihn ein paar Mal besucht, ein feiner, alter Herr. Er ist 76 gestorben. Sein Grab ist auf dem jüdischen Friedhof. Und seine Söhne? Einer konnte nach Amerika emigrieren, angeblich, weil ihm Kreisleiter Westen geholfen hat. Und der andere? Der hat die Lage überlebt und ist nach Prag gegangen. Und du, Elsa? Hast du ihn das Leben zurückgefunden? Hast du die Trauer überwinden können? Die Trauer werde ich nie überwinden, Hansa, aber ich habe wieder Mut gefasst. Ich habe in einem Kibbutz gelebt und dort meinen Mann kennengelernt, der Offizier bei der Luftwaffe geworden ist und jetzt schon lange mit mir in Haifa lebt. der Offizier bei der Luftwaffe geworden ist und jetzt schon lange mit mir in Haifa lebt. Habt ihr Kinder? Drei Söhne, die unser ganzer Stolz sind und fünf Enkelkinder. Du musst uns besuchen, Jan. Ich habe ihnen viel von dir erzählt. Das hat sie gesagt, Tomaszek, eine ältere Frau mit einem wunderschönen Gesicht, in dem du buchstäblich lesen konntest, Falte für Falte, in dem alles aufgeschrieben war, tiefste Trauer und tapferster Lebensmut, Heiterkeit und Wärme. Sie muss eine wunderbare Mutter sein und einen guten Mann gefunden haben. In diesem Augenblick ist mir klar geworden, dass ich sie endgültig verloren habe, dass ich all die Jahre ihr Jugendbild vor Augen hatte, als ob sie aus der Zeit gefallen, als ob sie nicht älter geworden wäre, für immer im Bernstein der späten 30er Jahre verewigt. sie hat weitergelebt, sie ist Jahr um Jahr älter geworden, sie hat unendliche Leiden durchgemacht und schließlich ein neues Leben begonnen und ist zu einer reifen Frau herangewachsen, Mutter, Großmutter, nichts davon haben wir gemeinsam erlebt. Was uns verbindet, das ist ein ferner Jugendtraum, sind wenige glückliche Monate bevor das Leben aus den Fugen geraten ist. Eine Insel der Erinnerung, die immer ferner gerückt, immer unwirklicher geworden ist. Das ist erschütternd, sagte Tomaszek. Und zugleich wunderbar. Was für ein Glück und was für ein Schmerz. Ich dagegen kann nur sagen, dass Lenka nie eine reife Frau werden durfte, dass sie nicht Mutter und Großmutter geworden ist, dass ich nicht in das gealterte Gesicht einer Jugendfreundin blicken kann, dass sie tatsächlich in den Bernstein der Erinnerung eingegossen ist. Eine junge, lebenslustige, zukunftsfrohe Frau, deren Leben ausgelöscht wurde, lebenslustige, zukunftsfrohe Frau, deren Leben ausgelöscht wurde, bevor es überhaupt sich entfalten konnte. Sie schwiegen lange. Dann fragte Tomaszek, wirst du sie besuchen in Haifa? Ich weiß nicht, Karlin, ich weiß nicht, ob ich das tun soll. Würdest du? Ich weiß es auch nicht, Honza. Danke. Dankeschön, Herr Becher. Natürlich haben Sie bewusst diese Passagen gewählt, denn es ist klar, dass es Stellen in diesem Roman gibt, die man heute völlig anders liest als noch vielleicht vor vier Monaten. Dazu gehören natürlich diese Passagen und es ist auch ein Schlüsselsatz, auch in Linz hat ja in diesen Novembertagen die Synagoge gebrannt, weil sie aus ihrem Roman zitieren, es gibt Zeiten, da macht man sich auch dadurch schuldig, dass man nichts tut. Das trifft sozusagen den Nerv dieser Geschichte, aus der Sie die dramatischsten oder einige der dramatischen Momente gelesen haben. Um vielleicht bei dem zu bleiben, warum war es für Sie wichtig, dieser Schülerin Elsa, Warum war es für sie wichtig, dieser Schülerin Elsa, die dann aus Israel als Touristin zurückkommt und im Oberplan, nicht nur im Oberplan, sondern im Geburtshaus Adelbert Stifters, sozusagen auf ihren Jugendfreund trifft, eine höchst emotionale Situation wir erlebt haben. Warum ist es für Sie wichtig, hier eben das jüdische Mädchen Elsa zu zitieren, das die Beste in Deutsch ist in ihrer Klasse, in dieser Klassengemeinschaft und die sozusagen die Literatur oder überhaupt Adalbert Stifter gegen die Vereinnahmung durch den Nazilehrer in Schutz nimmt? Ja, also die Geschichte hat natürlich eine Vorgeschichte. Ich habe nur kleine Bereiche gelesen und auch lesen können. Und da spielt tatsächlich das eine Rolle, was Sie anspielen, dass eben diese Elsa eine ganz besondere Stifterfreundin war in der Schule und sich sogar mit ihrem Lehrer angelegt hat. Und ich bin übrigens auf diese Idee gekommen, weil wir einmal Jeremy Adler in London besucht haben, den Sohn von H.G. Adler. Und Jeremy Adler hat uns erzählt, dass seine Eltern so große Stifterliebhaber waren, dass sie ganze Passagen auswendig konnten. Und dann dachte ich, das ist ja eine wunderbare Idee, die kann man hier mitnehmen und diesem jüdischen Mädchen, das eher sonst als sehr zurückhaltend geschildert wird, sozusagen anheimgeben und ihr damit eine ganz bestimmte Qualität auch noch zuvermitteln. In dem Roman spielt auch eine Rolle, diese Lenker, die hier nur kurz erwähnt wurde, das ist ein tschechisches Mädchen, die leider 1945 umgebracht wird. Und es gab dann so eine Zeit, eine ganz kurze Phase, wo diese vier zu viert Ausflüge gemacht haben auf den Schönecke und anderswo, wo sie wirklich eine Freundesgruppierung waren in einer vielleicht etwas ungewöhnlichen Konstellation der tschechische Junge mit dem jüdischen Mädchen und der deutsche eben mit dem tschechischen Mädchen. Und im Hintergrund spielen dann auch noch andere Dinge eine Rolle, die ich aber jetzt nicht so im Detail ausführen will, weil da hoffe ich, dass die Neugierde einige Leser zu ihm bringen wird. Genau, genau. Aber meine Frage wäre, in welcher Beziehung stehen für Sie die Ideen Adalbert Stifters? Das ist ja sozusagen ein leitmotivisches Element, das vom Blöckenstein, Stifterdenkmal usw. hinuntergeht, den Stiftergeburtsort. In welcher Beziehung stehen die Ideen Adalbert Stifters jetzt zu Ihrem Roman? In welcher Beziehung stehen die Ideen Adalbert Stifters jetzt zu ihrem Roman? Man hat manchmal den Eindruck, die Ideen Adalbert Stifters sind in dieser Zeit zunehmender geistiger Radikalisierung von Ihnen bewusst als korrektiv aufgerufen. Also ich empfinde es schon so und ich habe auch ein Motto vorangestellt aus der Erzählung Zuversicht, in der Stifter ja unterscheidet zwischen den himmlischen und den tigerhaften Anlagen, die in jedem Menschen enthalten sind. Und ob ein Mensch seine tigerhaften Anlage beherrschen kann, das zeigt sich eigentlich erst in Ausnahmesituationen wie Krieg, Überfällen und anderen Sachen. Und das halte ich für einen hochaktuellen Spruch, der immer wieder eine Rolle gespielt hat und der auch gerade in den 30er Jahren, die man ja auch beispielhaft lesen kann, man muss es jetzt nicht nur als historische Sache aufzeigen, wie zwei Gruppen, die in einem und demselben Staat gelebt haben und doch passagenweise immer sehr friedlich miteinander ausgekommen sind, weil die Reibereien nicht so stark waren, wie die plötzlich, wenn sich dann größere Mächte ihrer bedient haben, plötzlich in einer unglaublichen Art radikalisieren konnten und auch wirklich zu Verbrechern werden konnten. Und die Juden in Budweis haben das einfach mit am schlimmsten erlebt und nach dem Krieg sind sie kaum besser behandelt worden. Und muss man auch dazu sagen, Sie haben ja, deshalb habe ich vorhin gesagt, semifiktsional, weil Sie ja tatsächlich viel in Archiven, vor allem auch im Südböhmischen Archiv, gearbeitet haben, wenn Sie vielleicht, also diese Dinge, die sich so leicht hinlesen, ganz selbstverständlich, haben im Prinzip Fakten zum Hintergrund. Also der Hintergrund ist sehr genau recherchiert. Den Anschluss hatte ich eigentlich damals vor vielen Jahren, 1993, als ich in Budweis auf der Sommersprachschule Letnischkoller war. Und da habe ich auch den Bibliothekar Jan Marisch kennengelernt in der Südböhmischen Wissenschaftlichen Bibliothek. Und der hat mir zum ersten Mal hektografierte Blätter gezeigt, die über die Zerstörung der Synagoge in Budweis berichtet haben. Das hat man vorher nirgendwo lesen können und die Zerstörung war ja auch nicht 38 im Herbst, sondern erst 42, also mit einer gewissen Verzögerung und das ist dort sehr detailliert geschildert und das habe ich mir natürlich sehr genau angeschaut und habe dann weiter geforscht. Es gibt Berichte über die jüdische Gemeinde in Budweis und da findet man eine ganze Menge in den unterschiedlichen Archiven. Und es gibt Gott sei Dank im Internet einsehbar zweimal in der Woche erschienene Zeitungen, zweimal in der Woche erschienene Zeitungen, die Deutsche und auch die Jehojeske List, die Tschechischsprachige, die auch jeweils aus ihrer Perspektive ganz viel aufgelistet haben, was so den Alltag anbelangt, bis hin zu Kinoprogrammen, Zirkusvorstellungen und all diese Dinge, die im Hintergrund ja eine Rolle spielen. Weil wir hier im Stifterhaus sind, ich meine noch einmal, diese Vereinnahmung Stifters für wie wesentlich, Sie zitieren auch zum Beispiel Watzlik und Müllberger, Josef Müllberger. Nun ist vor allem Watzlik ein relativ bekannter Autor auch für die nächste Generation geblieben. nächste Generation geblieben. Wir wissen natürlich auch, dass es hier große Ambivalenzen gibt, wie sich Schriftsteller haben vereinnahmen lassen, dass es sogar perfiderweise Karl Hermann Frank war, der einen Adalbert-Stifterpreis gestiftet hat. Wie weit ist das heute, Sie sind ja auch Repräsentant des Stiftervereins München, aber haben sich jahrzehntelang nicht zuletzt als Biograf mit der Figur beschäftigt. Wie weit ist das heute doch auch ein wichtiges Thema zu zeigen, wie dieser große Autor, der vor allem mit seinen Bildungsgedanken politisch wirksam werden wollte, dann beschlagnahmt wurde vom Nationalsozialismus? Ja, unbedingt. Das war übrigens eine meiner ersten Vorträge, die ich hier halten durfte. Da ging es über die Stifterrezeption in Böhmen. Und das waren zwei Tagungen, die damals durchgeführt wurden. Und da habe ich mich eben speziell mit diesem Bereich befasst. Und das Erstaunliche ist, was man alles in Stifter hineingelesen hat. Während Mühlberger zu Recht, finde ich, gesagt hat, dass Stifter über den Nationen stand, weil er zum Beispiel in Wittiko sie gar nicht gegeneinander ausgespielt hat, sondern sie einfach gleichberechtigt nebeneinander hat stehen lassen als Gefolgsleute Wittikos, hat man dann immer mehr gesagt, Stifter war ein deutscher Autor, ein deutschnationaler Autor, auch August Sauer hat ein bisschen in diese Richtung sich entwickelt. Und dann in der Nazi-Zeit auf einmal war er ein nationalsozialistischer Autor. Und Watzlik habe ich erwähnt, das spielt nun genau in dieser Zeit, weil er zweimal bei einer Stifterfeier in Oberplan aufgetreten ist. Einmal 1938 und einmal 1939. 1938 gehörte Oberplan noch zur Tschechoslowakei und 1939 schon im Januar wohlgemerkt zu den Sudetengebieten, die abgetrennt worden waren. Budweis war damals noch nicht Teil des Deutschen Reiches oder des Protektorates und bei der ersten Rede hat Watzlik eigentlich sehr vergleichsweise, sagen wir mal, ausgewogen über die Deutschen und die Tschechen als Landeskinder gesprochen. Und ein Jahr später waren die Tschechen plötzlich diejenigen, die lautlärmend in den Böhmerwald einfallen und die deutsche Kulturlandschaft zerstören. Also so stark konnte er sich innerhalb dieser kurzen Zeit verändern. Was hat Sie als Autor bewogen, diesen Karl Tomaschek? Wir haben jetzt sein Gespräch gehört mit dem Jugendfreund im Wirtshaus in Oberplan, wo man sagt, die sind eigentlich sozusagen Runde um Runde, kommen die einander wieder näher. Einer beginnt den anderen zu verstehen, ist auch das, was ich mit didaktisch gemeint habe, wo sie sehr gut nachvollziehbar die Ressentiments oder Stereotypen, auch die gegenseitigen Fehler Minderheitenpolitik als Stichwort darstellen. Was hat Sie als Autor bewogen, diesen Karl Tomaschek dann am Schluss so ins Fantastische laufen zu lassen, denn ich will jetzt den Schluss nicht vorwegnehmen und verraten, aber in Wirklichkeit hätte man nach diesem Gespräch annehmen können, es kommt zu einem gelassenen, aufgeklärten, harmonischen Ende und genau das ist es nicht. Also ich denke, das hätte es auch gar nicht geben können, denn er hat ja die ganze Zeit etwas in sich eingekapselt, Erlebnisse. Er hat das nie herausgelassen, nie Wirklichkeit werden lassen und dieses scheinbar über die Grenze gehen, um nur noch mal nach irgendeinem versteckten Goldbahn zu suchen, das war ja nur ein ganz oberflächlicher Anlass. Aber ich habe dann versucht zu zeigen, dass je mehr er hineingeht, dass immer stärker die Vergangenheit auftaucht mit all ihren Widersprüchlichkeiten und eben mit ihren Dämonen, die ihn dann eigentlich ganz verrückt machen. Und am Schluss geht er ja eine ganze Nacht lang durch, also fast 30 Kilometer ohne Wasser, ohne was zu trinken und landet dann fast um Mitternacht auf dem Marktplatz von Budweis und ist dehydriert und halluziniert und so weiter. Und das ist dann sozusagen der Kipppunkt, wo er dann da rausfällt. Und der Rahmen, den muss man auch erwähnen, das erscheint mir auch symptomatisch, ist sein großes Schweigen. So gesprächiger er ist, wenn die Vergangenheit aufbricht im Dialog mit dem Jugendfreund, so verschlossen ist er gegenüber seinen eigenen Söhnen. Das ist ja dann eine Rahmenperspektive, die ich jetzt nicht angesprochen habe. Beide Söhne, die auch ganz unterschiedlich zu ihm gestellt sind, fahren zu seiner Beerdigung und da wird nochmal reflektiert, dass ihr Vater ihnen nie irgendetwas erzählt hat, was übrigens nicht ganz untypisch ist. Was symptomatisch ist in vielen Fällen für eine Generation, die das mit sich genommen hat, aber verschließt, auch vor der Familie. Haben Sie in dem Zusammenhang, man muss vielleicht trotzdem auch darauf hin, Ihr Buch steht in einer Tradition, möchte man sagen, wo es durchaus auch auf tschechischer Seite weniger gibt, Sie werden das besser wissen, aber eines der herausragendsten ist Gottes Regenbogen von Jaroslav Durich, der in sehr radikaler Form als katholischer, tschechischer Autor damals in den 50er Jahren, äußerst gefährlich, dieses Thema Gewalt und Vertreibung anspricht. Patočka hat ihn als Dichter der Reue angesprochen. Wie weit ist dieser ganze Themenkomplex, Vertreibung, Verfehlung davor, Totalitarismus, wie weit ist der Ihrer Meinung nach, jetzt spreche ich Sie wieder als Literaturwissenschaftler an, in der Literatur aktualisiert worden in den letzten 10, 20 Jahren? Also Sie reden jetzt von der tschechischen Literatur, es hat so Wellen gegeben, Sie reden jetzt von der tschechischen Literatur. Es hat zu Wellen gegeben. Es hat ja schon vor dem Niederschlagen des Prager Frühlings diesen berühmten Roman, der noch verfehlt worden ist, von Jan Brochaska, Kotscha do Vidni, also Kutsche nach Wien gegeben, der da auch sehr brutale Vorfälle eigentlich nochmal zeigt, wie eben so tschechische Partisanen Leute auf der Flucht überfallen, dann darf man nicht vergessen, dass es im Samistad eine ausgeprägte Diskussion gegeben hat, wie man eigentlich die Vorgänge nach Kriegsende einzuschätzen hat, weil die offizielle Ideologie war natürlich, das war eine Säuberung, die nur durch die Nazi-Verbrechen gerechtfertigt war, aber die Leute im Samistad haben das ganz anders gesehen. Und die haben wiederum korrespondiert mit den Leuten im Exil. Mit Skloretski in Kanada und mit Tigris in Paris und anderen. Also da hat sich eine ganze Menge entwickelt. Und jetzt haben auch jüngere Autoren, die Tutschko war mit dem Brünner Marsch oder die Dänemarko war oder andere, haben immer wieder solche Themen aufgegriffen. Einer der jüngsten trägt übrigens den Namen Stifter und er wohnt in Budweis, Stifter mit Hatschek geschrieben, Jan Stifter. Der hat also auch ein Buch mit dieser Thematik geschrieben. Ich glaube, da wird noch einiges kommen. Ich glaube, da wird noch einiges kommen. Ja, danke schön, dass wir am Schluss Ihre Literatur sozusagen in einen großen Rahmen, großen Kontext stellen könnten und ich kann nur sagen, ja, lesen Sie dieses Buch. Es ist nämlich, es liest sich wunderbar, muss ich sagen, und es hat vor allem mit dem Wissen darum, dass hier sozusagen historische Recherche als Fundament vorliegt, auch enorme Authentizität und dazu dürfen wir gratulieren. Danke. Ja, unser nächster Autor, wir haben es schon kurz angekündigt, ist eine Neuentdeckung, nämlich Wolfgang Schmid heißt er. Das heißt, er war genau in den Jahren, in denen Peter Becker Karl Tomaschek aufbrechen lässt, nämlich Anfang der 90er Jahre, als Autor tatsächlich erfolgreich. Denn dann sind seine Bücher vom Markt verschwunden und es ist das Verdienst unseres Gastes Ralf Höller, dass diese Bücher wieder eine Öffentlichkeit bekommen. dass diese Bücher wieder eine Öffentlichkeit bekommen. Herr Höller, jetzt sind Sie eigentlich Historiker und Anglist. Wann haben Sie die Romane Wolfgang Schmitz entdeckt? Ja, das war absoluter Zufall. Es war gerade Corona und ich brauchte was zu lesen. Und da gibt es in Bonn einige Bücherschränke. Einer ist direkt an der Universität in so einer roten Telefonzelle, die von der Partnerstadt Oxford den Bonnern überlassen wurde. Und darin war genau dieses Buch. Es war auch ohne Schutzumschlag. Ich schaute mal rein, hätte es fast schon wieder weggelegt und dann bin ich dann irgendwie hängen geblieben. Also nicht sofort bei der ersten Seite, sondern bei der dritten oder vierten, wo er die Schulstunde in dem Gymnasium in Kumau beschreibt. Und Sie verstehen, wenn Sie schon in Medias Res gehen, nämlich in den Roman, die Geschwister, diesen Roman, dass es so quasi autobiografisch zu lesen sei. Aber deshalb wollte ich zunächst noch fragen zum Autor, Wolfgang Schmidt. Sie haben sich dann auf die Spur begeben, aber das war mühsam. Ja, also ich war doch erstaunt, wie wenig von Schmidt übrig geblieben war. Das fing an. Ich habe dann natürlich auch nachher noch den Klappentext recherchiert. Das kann man im Internet recherchieren. Da stand zum Beispiel, dass er in Krumau geboren war. Und das stimmte überhaupt nicht. Er ist in Passau geboren. Die Eltern stammten aus Krumau. Der Großvater stammte aus Krumau. Und er hat auch den größten Teil seiner Jugend in Krumau verbracht, das schon. Aber was über Schmidt bekannt war, war sehr wenig. Selbst in Marbach, wo ich mich dann mal an Marbach gewandt hatte, die Informationen waren sehr dürftig. Woran konnte das gelegen haben? Denn, wenn Sie es vielleicht kurz zusammenfassen, Schmidt gehörte der vertriebenen Generation an. Also sein Vater ging wieder zurück, um in Metzgerny überhaupt Arbeit zu finden. Er hat dann das Gymnasium absolviert in Krumau und wurde aber dann wie seine Familie vertrieben bzw. ist geflohen nach Österreich. Wie ging es dann weiter? Genau, also die Familie ist der Vertreibung zuvor gekommen. Die Eltern sind nach Passau wieder über die grüne Grenze und er selber hat einen anderen Weg gewählt, er hat sich dann Richtung Südosten dann durchgeschlagen bis nach Graz und dann hat er dann angefangen Jura zu studieren. Also er ist also auch der Vertreibung im Januar, Februar 1946 dann zuvor gekommen. Und seine weitere Und sein weiterer Lebenslauf, er hat dann Europa verlassen. Ja, genau. Also er hatte eine völlig neue Existenz in Kanada. Er war Wissenschaftler, durchaus dekorierter. Er hat ein ganz ansehnliches wissenschaftliches Oeuvre hinterlassen. Suchtprävention. Genau, Suchtprävention. Genau, Suchtprävention. Und das fließt auch immer wieder in seine Bücher ein, zum Beispiel in Sie weinen doch nicht, mein Lieber oder in Albertines Knie. Da beschreibt er tatsächlich solche Suchtentwicklungen, die er nur aus der eigenen Praxis erfahren haben kann. Und dann kam plötzlich dieser nächste Bruch in seiner Biografie. Er hatte 1991 eine letzte wissenschaftliche Veröffentlichung gemacht und wenige Monate später lag sein Manuskript auf dem Tisch bei Scherz. Also das ist im Prinzip auch das Spannende. Da gibt es jemanden, der emigriert, geht nach Kanada, ist dort ein erfolgreicher Wissenschaftler, geht in Pension und dann startet er eine Schriftstellerlaufbahn, in der er Stoffe aufnimmt, die seine Jugend betreffen. Genau. die seine Jugend betreffen. Genau. Und der hatte auch ein erstaunliches Erinnerungsvermögen. Er war in den fünf Jahrzehnten zuvor nur noch selten in Krumau. Er war einige Male da. Sein Elternhaus praktisch dort, ein Großelternhaus, das gibt es noch, das ist heute eine Gaststätte in der Kajowska 66, die Gaststätte heißt Naloji, ich habe da selber schon übernachtet, das kann man, kann ich auch empfehlen, ist ganz nett und witzig ist, in der Gaststube unten, da sind ganz viele Emailleschilder und eines ist von der Kommunbrauerei in Kumau, wo der Großvater Schmidt Direktor war. So schließt sich der Kreis. Also im Prinzip holt Wolfgang Schmidt dann, als er bereits über 60 ist, mit praktisch ausgereiften Romanen, Texten, die er an die Verlage schickt und die bei Scherz dann auch eigentlich sofort aufgegriffen werden und publiziert werden, holt er seine Jugend zurück. Oder im Prinzip sind ja diese Romane, sie werden jetzt aus Geschwistern lesen, meine ich Beziehungsromane. Wenn man so will, könnte man sie auch als erotische Romane lesen. Sie sind auffallend modern und das wiederum bestärkt meine Verwunderung, dass er nicht weiter aufgelegt wurde. Wir werden nachher noch darüber reden können. Aber wenn wir jetzt zu diesem Roman, die Geschwister, kommen, wie ist die Konstellation der Figuren, damit wir uns ein bisschen orientieren können? Ja, genau. Also diese Beziehungen, diese Intensität, wie die gelebt werden, auch das, ich will jetzt nicht sagen das Krankhafte, das Andersartige, aber was auch von sehr vielen als krankhaft perzipiert wird, das ist halt das moderne Anschmitt. Und das Beispiel in die Geschwister, das sind drei Leute, die zusammenkommen, Jordan und Therese, das sind die Geschwister und der Ich-Erzähler Hans Wild, der lernt die beiden kennen. Und dann gibt es eine Dreiecksbeziehung, eine ganz ungewöhnliche. Also es gibt eine platonische und eine sexuelle Beziehung. Die platonische Beziehung ist zwischen Hans und Therese und auch zwischen Hans und Jordan. Und die sexuelle Beziehung, die ist zwischen den beiden Geschwistern. Und das Ganze wird jetzt völlig wertfrei geschildert. Geschwistern. Und das Ganze wird jetzt völlig wertfrei geschildert und das wiederum ist auch das Moderne an diesem Roman. Ja, und dieser, man muss dazu sagen, auch nüchterne Erzählton weitgehend, der sehr reflektiert ist, der Erzähler, das Verhältnis zu Jordan. Dieser Jordan ist ja auch ein, vielleicht hier noch etwas dazu, denn auch das haben sie recherchiert, es taucht da ein Dorf im Hochmoor auf. Er kommt nach Krumau oder in diese Kleinstadt und ist auffallend in seiner intellektuellen Schärfe nahezu in seinen Witz. Er liest in der Freizeit Sitzroh. Also er ist ein junger Mann, der Furore macht schon auf dieser Seite, dann auch erotisch enorm. Aber er hat natürlich auch ein Geheimnis. Und dieses Geheimnis, nicht zuletzt, wird er der Inzest sozusagen als Merkmal dieses Dorfes ausgeschildert. Dieses Dorf heißt Gottestal und das liegt im Hochmoor des Böhmerwalds. Sie haben recherchiert, ob es das wirklich gab. Ja, den Ort gab es. Also das ist das tschechische Krasnohora, das deutsche Schönberg, der Nachbarort von Böhmisch Röhren, Český Žlebi. Deutsche Schönberg, der Nachbarort von Böhmisch Röhren, Czeskij Lebi. Und ja, es ist nicht viel übrig geblieben von den Orten nach 1945. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob Schmidt noch mal da gewesen ist nach dem Krieg. Sonst hat er das alles halt aus der Erinnerung geschildert. Aber ich bin es auch noch mal nachgegangen, also ich werde Ihnen das nachher auch schildern, diesen Weg, den er gemacht hat, und ich habe das alles mal nachgeprüft. Und das stimmt alles im Großen und Ganzen. Das Einzige, was er verwechselt hat, waren jetzt die beiden Dörfer Böhmisch-Röhren und Schönberg. er verwechselt hat, waren jetzt die beiden Dörfer Böhmisch Röhren und Schönberg. Er hat also, in seiner Erinnerung war Böhmisch Röhren das Straßendorf und, nein, in seiner Erinnerung war Böhmisch Röhren die Haufensiedlung und Schönberg das Straßendorf, es war genau umgekehrt. Aber das, was vielleicht auch interessant ist, ist, dass genau dieses Dorf sozusagen am Schluss jener Punkt ist, an dem die Katastrophe aufleuchtet. Das heißt, der Zweite Weltkrieg sichtbar wird. dem Roman auftritt, was einen vielleicht überrascht. Aber es ist, wie gesagt, ein Beziehungsroman, es ist ein modern anmutender und zu lesender Beziehungsroman und am Schluss gibt es dann diese Stelle, wo es heißt, die jungen Männer der Waldenser wurden interniert, die Frauen in Rüstungsfabriken gebracht. Also sie wurden de facto von den Nazis diszipliniert, unter Anführungszeichen. Ja, und also Waldensa hat es, ich habe mich auch erkundigt, eigentlich dort nicht gegeben, in Steyr gab es mal eine größere Waldensa- Ansiedlung, aber in dem Teil des Böhmerwaldes, auf den Schmidt sich bezieht, gab es sie eigentlich nicht, aber ich denke mal, da haben auch so seine kanadischen Wurzeln jetzt wieder reingespielt, also in Kanada gibt es zum Beispiel die Hutterer, die ja auch damals aus Meeren, aus Tirol geflohen sind und er wird dann so seine Anleihungen auch bei den Hutterern und das gemacht haben und das in diese Waldenser reingespielt, das war für ihn glaubwürdiger und das muss man auch sagen, in der Zeit, in der er selber dort gelebt hatte, also im Böhmerwald, da gab es tatsächlich auch noch Historiker, auch Wissenschaftler, auch Palatzki hat geschrieben, dass es Waldenser gegeben hat. Also wenn man damals da aufgewachsen hat, ist man mit dem Mythos Waldenser aufgewachsen. Das kann durchaus sein. Welche Passage werden Sie uns jetzt lesen? Ja, also ich würde jetzt das Buch von vorne bis hinten lesen, aber natürlich nur in kurzen Auszügen. Angefangen, wo sich die beiden kennenlernen über nachher das zentrale Ereignis und dann auch nochmal ganz zum Schluss nochmal das Verhältnis der Geschwister untereinander und auch zu dem Erzähler, zu dem Ich-Erzähler Hans Wild beleuchten. Zuallererst muss ich mal einen Schluck Wasser trinken, sonst krie ich Jordan das erste Mal sah, lässt sich leicht ermitteln. Es war nach den Weihnachtsferien, ich war Septimaner, also muss es nach dem Dreikönigstag im Jahr 1935 gewesen sein. Ein Jahr später maturierte ich. Die Glocke, welche den Beginn des Unterrichts ankündigte, hatte schon geläutet. Wir saßen in unseren Bänken, da öffnete sich die Tür und ein Fremder, zu alt für einen Schüler, zu jung, um Lehrer sein zu können, trat ein, sah sich um im Raum. Er spähte einen leeren Platz in der zweiten Bank der rechten Reihe, wies auf ihn mit einer fragenden Geste, maß hierauf die Klasse mit Blicken, offensichtlich eine Antwort erwartend. Die Bank ist frei, rief ich mit einem entgegenkommenden Lächeln, den Kopf leicht seitlich geneigt, sagte er, sehr nett von dir. Ganz gegen meine Gewohnheit, wahrscheinlich angesteckt von seinem Benehmen, antwortete ich ein wenig förmlich, nichts zu danken, gerne geschehen, worauf ein Mädchen zu lachen begann. Jordan sah sie an und in diesem Augenblick ahnte ich, dass sich etwas Ungewöhnliches in unserer Klasse anzubahnen begonnen hatte. Es war Jordans Art, das Mädchen anzusehen, welche dieses Gefühl in mir ausgelöst hatte. Ein langer, leerer Blick war es, fast träge könnte man ihn nennen. Dieser Eindruck wurde auf eine seltsame Weise verstärkt, als Professor Kundig eintrat. Jordan richtete seinen Blick nicht gleich auf ihn, wie man erwartet hätte, sondern musterte weiterhin in aller Ruhe das Mädchen, bis er sich endlich entschloss, Kundig anzusehen. Dieser hatte gehüstelt und da erlebte ich auch schon die nächste Überraschung. Jordan verneigte sich kaum merklich im Sitzen und Kundig bemerkte, sie müssen der neue Schüler sein. Dann blätterte er hastig im Klassenbuch und sagte, ach ja, Jordan Tahedl. Obwohl ich mich an vieles, was sich an diesem Tag nach Heiligdreikönig ereignet hatte, genau erinnere, fällt es mir schwer, das Äußere Jordans zu beschreiben. Dunkel kommt mir in den Sinn, wenn ich versuche, ihn mir vorzustellen. Fremd fällt mir dann ein. Doch nur allmählich nehmen diese Eindrücke konkretere Formen an. Ich erinnere mich an einen schwarzen Rock, etwas hellere, lange Hosen und schwere Nagelschuhe. Auch eine Krawatte sehe ich plötzlich vor mir, ein abgetragenes, strickartiges Ding, das er in einem engen Knoten um den Hals gebunden hatte. Man muss sich nun diese Kleidungsstücke in einer Klasse von Septimanern vorstellen, um zu begreifen, warum das Wort fremd mir eingefallen war. Keiner meiner Klassenkameraden kleidete sich auf diese Weise, sein Gewand passte einfach nicht in diese Umgebung. Auch die große Hornbrille, die er trug, war ungewöhnlich. Dazu kam noch, dass er ganz glatt zurückgebürstetes, langes, schwarzes Haar hatte, das sich im Nacken kräuselte. An diesem Tag lernt also der einzigänglerische, grüblerische Held Hans Wild, der Ich-Erzähler, den neuen Freund kennen. Heute würde man sagen, dieser Jordan ist ein wahrer Exot. Und diese erste Szene spielt in einem Gymnasium, das war früher einmal ein Jesuitenkloster und inzwischen ist es ein römisches Regionalmuseum. Und wenn man durch die Fenster, durch zwei der Fenster schaut, den Fels herunter, dann sieht man unten die Moldau sich winden. Der Ort heißt, na klar, Krummau, seit 1918 Cesky Krummlauf. Und die Geschichte könnte aber an jedem anderen Ort in Deutschland spielen. Der Autor schildert das Leben in einer Kleinstadt, die ja zu vier Fünfteln damals von Deutschen bewohnt war und in der Schmidt auch selber aufgewachsen ist und die Verhältnisse dort, also bürgerlich, provinziell, manchmal spießig, manchmal auch liberal, die ließen sich, wie gesagt, auf jede andere deutsche Kleinstadt übertragen. Aber wo gab es sie noch 1935 im dritten Jahr des Dritten Reichs. Und im weiteren Verlauf gerät Hans immer mehr in den Bann von Jordan, der halt genial ist, auch ein bisschen von der Erscheinung her hinterwäldlerisch, aber auch viel reifer als alle anderen Mitschüler, auch als Hans und ihnen allen überlegen ist. Hans bewundert ihn, er beobachtet ihn, er verfolgt ihn, heute würde man sagen, er stalkt ihn. Noch am gleichen Abend, es dämmerte schon stark, sah ich Jordan im Hofgarten, einer Parkanlage, die zum Schloss der Rosenberger gehörte, mit der Babylonierin. Bevor ich auf diesen ungewöhnlichen Namen eingehe, will ich nur schnell erwähnen, dass der Grund meines Aufenthalts im Park zu dieser Stunde ein Rendezvous mit einer Mitschülerin war, die allerdings nicht gekommen war. Ihre Mutter, so gestand das Mädchen mir am nächsten Morgen, hatte ihre Ausrede, sie müsse einer Freundin in Chemie behilflich sein, nicht geglaubt und ihr den Ausgang so spät am Abend verboten. Ich war keineswegs untröstlich, zündete mir eine Zigarette an, ich rauchte seit einem Jahr, verstopfte gerade den Abfluss eines Springbrunnens mit totem Laub, um ihn zum Überfließen zu bringen, als ich zwei Gestalten aus einem Seitenweg in die Hauptallee einwiegen sah. In der Dunkelheit sahen sie wie ein sehr breites, sich gemächlich bewegendes, zweiköpfiges Wesen aus, denn es bestand kein Raum zwischen ihnen. Ich setzte mich schnell auf einen der Delfine des Brunnens, als ritte ich ihn, verhielt mich bewegungslos, sodass ich gegen den schwarzen Hintergrund der Buchenallee leicht für eine steinerne Brunnenfigur gehalten werden konnte. Die beiden, sichtlich in ein Gespräch vertieft, kamen auf mich zu, ohne auch nur einen Blick auf diese zusätzliche Figur zu werfen, waren auch schon an mir vorbei, als ich niesen musste. Jordan drehte sich um und sagte ungerührt, zerreißen soll es dich. Er hatte mich nicht nur gesehen, sondern auch erkannt, hatte aber anscheinend die Babylonierin nicht beunruhigen wollen. Die war nun offensichtlich doch ein wenig verstört, denn ich hörte ihn dringlich auf sie einreden. Doch zurück zur Babylonierin. Ihren Namen hatte ich schon vor längerer Zeit für meine privaten Zwecke erfunden. Sie sah nämlich so aus, wie ich mir eine Babylonierin vorstellte. Abbildungen mesopotamischer Wandmalereien in einem Geschichtsbuch hatten mich auf diesen Namen gebracht. Wäre die Angelegenheit nicht so vollkommen sinnlos und aussichtslos gewesen, hätte man sagen können, dass ich in die Babylonierin verliebt war. Doch in Anbetracht der Umstände ist diese Feststellung nicht nur lächerlich, sondern geradezu absurd. Nicht nur, dass sie sieben Jahre älter war als ich, das hatte ich schon herausgefunden, sie war auch ein wenig größer als ich, ich wuchs ja damals noch. Obendrein war sie mit dem Besitzer einer Flax- und Handspinnerei, der ein Cabriolet fuhr, verheiratet. Aussichtslos, keineswegs, übrigens eines von Jordans Lieblingsworten. Nichts ist unmöglich, Jordan verfügt weder über Geld noch über Statussymbole, jedoch über eine gewisse Repräsentanz. Und ganz problemlos landet er nämlich bei dieser Babylonierin und, Überraschung, später wird dies auch dem Hans gelingen. Und, Überraschung, später wird dies auch dem Hans gel wo der Hans gerade das Liebespaar beobachtet hat, im Krummauer Schlossgarten. Mein nächstes Treffen mit Therese verlief ganz anders als das erste. Wieder traf ich sie im Park, doch diesmal war sie auf dem Heimweg nach einem langen Arbeitstag. Langsam eine Jacke über die Schulter geworfen, ging sie vor mir her. Schon von Weitem hatte ich sie erkannt. Schnell holte ich sie ein, ergriff ihre Hand, bevor sie mich noch gesehen hatte und fragte sie dann, ob ich sie begleiten dürfe. Sie freute sich, mich zu sehen, zog aber ihre Hand gleich zurück. Ich habe Spielen, sagte sie entschuldigend. Jordan koche für sie beide, erzählte sie dann. Die Pflanzen seien gesetzt, morgen werde sie im Treibhaus arbeiten, sie freue sich schon darauf. An ihrer Seite vergaß sich Cäzilie, so war der bürgerliche Name der Babylonierin. Wie sehr Jordan mir helfe, erwähnte ich dann und fragte, ob ich sie gelegentlich von der Arbeit abholen dürfte. Oh, das wäre schön, sagte sie. Wir waren schon nahe ihrer Gasse, als sie den Schritt verlangsamte. Gleich darauf blieb sie stehen, lehnte sich an eine Hauswand und sah vor sich ins Leere. Ob sie sich nicht wohlfühle, fragte ich besorgt. Doch sie schien mich nicht zu hören. Ihre Augen waren ausdruckslos. Wieder ergriff ich ihre Hand, drückte sie, rief eindringlich ihren Namen. Plötzlich kam wieder Leben in ihre Züge. Verwundert schaute sie mich an, wandte sich dann abrupt von mir ab und sagte, wir müssen uns beeilen, Jordan wartet. sagte, wir müssen uns beeilen, Jordan wartet. Dieser seltsame Vorfall konnte nicht länger als eine Minute, vielleicht sogar nur 20, 30 Sekunden gedauert haben. Du hast mir Angst eingejagt, sagte ich, nachdem wir weitergegangen waren. Zu viel Sonne, eine leichte Übelkeit, meinte sie. Ich muss unbedingt einen Strohhut tragen. Als ich in die Fischergasse einbiegen wollte, hielt sie mich zurück. Mach einen kleinen Umweg mit mir, bat sie. Es ist so ein schöner Abend. Und Jordan? fragte ich. Sie schien vergessen zu haben, dass er auf sie wartete, zuckte nur die Achseln und meinte, es sei ja noch nicht spät. Glücklich, noch länger mit ihr beisammen sein zu können, schlug ich einen Weg ein, der uns bald aus der Stadt führte. Vor uns lag die Moldau, die hier dunkel zwischen Wiesen floss. An manchen Stellen leuchtete sie golden in den letzten schrägen Strahlen der sinkenden Sonne, deren Lichtfülle in das breite Tal fiel. Am Ufer setzten wir uns auf einen großen Stein. Therese ließ Wasser durch ihre Finger fließen, legte dann die nassen Hände auf ihre Stirn und Wangen und riet mir, das Gleiche zu tun. Diese kleine Übelkeit, sagte sie dann zögernd, macht ihr deswegen keine Gedanken. Es sind Absenzen, meint Jordan, kurze Urlaube von der Gegenwart. Wieder hielt sie ihre Hand in das kalte Wasser. Ich möchte ganz untertauchen, sagte sie. Zwischen Hans, Jordan und Therese entwickelt sich dann diese Dreiecksgeschichte, wie gesagt, der platronische Teil zwischen den beiden Jungs und dort zwischen Hans und Therese und der sexuelle Teil zwischen den Geschwistern. Und Hans merkt allmählich, dass er die Intimität der Geschwister eigentlich nur stören würde. Als Freund ist er beiden willkommen, aber damit will er sich nicht abspeisen lassen. Und er hält an Therese fest und es entwickelt sich so eine leichte Distanz inzwischen zu Jordan. Das ist ja auch ein Entwicklungsroman und der Hans hofft, seine Stelle zu finden, also nicht nur in der Gesellschaft, nicht nur in seiner Altersgruppe, sondern auch in diesem Dreieck. nicht nur in seiner Altersgruppe, sondern auch in diesem Dreieck. Aber bald kommt das Unheil und in Person eines Vierten, der in diesem Reigen mitmischt. Dieser Vierte heißt Rochus Wanders, ist der Sohn von Cäzilie Wanders, der Babylonierin. Der ist noch sehr jung, jünger als die anderen. Hans nennt ihn nur ein Taugenichts und der Rochus ist aber auch schon in der Pubertät und er weiß von den Liebschaften seiner Mutter und er macht sie sich zunutze. Hans ist nur in der Rolle des Beobachters und wie er damals das Liebespaar die Babylonierin und Jordan verfolgt hat, jetzt verfolgt er Rochos und Therese und er geht ihnen nach, wie sie an der Moldau spazieren gehen und er glaubt, es ist ein Rendezvous, das der Rochos erpresst hat. Plötzlich hörte ich einen Schuss und gleich darauf einen zweiten. Jungen, die auf Krähen oder nach Zielen schießen, dachte ich gerade, als ich in einiger Entfernung, es müssen gute 200 Meter gewesen sein, Therese und den jungen Wanders hinter einem Baum hervortreten sah. Offenbar hatten die Schüsse sie aufgestreckt. Sie strichen mit den Händen über die Rückseiten ihrer Kleider, als säuberten sie sich. Mich traf dieses Bild wie ein Hieb. Die sind dort gelegen, ging es mir blitzartig durch den Kopf. In größter Erregung duckte ich mich und sprang dann gebückt zu einer Reihe von Büschen am Feld rein, um mich zu verbergen. Mein Herz krampfte sich zusammen. Die Entfernung war zu groß, doch ich bildete mir ein, Erregung in Thereses Zügen gesehen zu haben. Immer noch standen sie zwischen den Bäumen und nun glaubte ich zu sehen, dass ihre Bekleidung in Unordnung geraten war. Die Bluse schien verschoben. Sie machte eine Bewegung, als rückte sie ihren Rock zurecht. Dann griff er nach ihrer Hand, doch sie zuckte zurück, als wäre ihr die Berührung unangenehm. Gleich darauf gab sie ihm selbst die Hand und so wanderten sie teilabwärts. Ich geriet nun vollkommen außer mir vor Empörung, erinnere mich jedoch auch an eine mir unangenehme, eigenartige Faszination, die das Verhalten der beiden auf mich ausübte. Sobald ich sicher war, dass sie mich nicht sehen konnten, folgte ich wie ein Soldat von Deckung zu Deckung springend, merkwürdig fügsam ging Therese neben ihm her. Er schien sie zu führen, hatte offensichtlich ein Ziel vor sich. hatte offensichtlich ein Ziel vor sich. Als sie zu einem dichten Jungwald kamen, blieb sie stehen. Offenbar wollte sie nicht weitergehen, doch er zog sie hinter sich her und sie gab nach. Was ich dann sah, als ich nach ein paar Minuten die beiden in den Dunkel des Dickichts wiederentdeckte, finde ich selbst heute noch beunruhigend, ja geradezu erschreckend. Der Taugenichts lag auf Therese, hatte seine Hose heruntergezogen und versuchte, in sie einzudringen. Ihre Abwehr war nicht überzeugend. Kurz darauf wird Hans Zeuge eines zweiten Treffens und da kann er sich ganz sicher sein, dass der Sex mit Rochus die Schuld, aber auch Jordan, dem Bruder, der gerade in seinem Heimatdorf in Gottesthal weilt und von alledem nichts mitbekommt. Und Hans überlegt eine Zeit, was er machen soll und dann fasst er einen Entschluss. In meinem Zimmer stellte ich den Wecker auf fünf. Am Morgen wollte ich nach Gottesthal fahren. Um sechs Uhr ging ein Zug, der mich an die Landesgrenze bringen würde. Von dort waren es noch elf Kilometer bis zur Jordanshochteil. Die wollte ich mit dem Fahrrad zurücklegen. Schon im Bett liegend fiel mir ein, dass ich nicht genug Geld für die etwa 50 Kilometer Bahnstrecke hatte, stand also nochmals auf, um mir den nötigen Betrag aus der Geldbörse meines Vaters, die auf seinem Nachtkästchen lag, zu holen. Er murmelte Unverständliches im Halbschlaf, als er mich hörte. Ich habe mir Geld von dir geliehen, flüsterte ich. Ich verreise. Er antwortete nicht. Nach einer Viertelstunde rüttelte er mich wach und fragte, wohin ich denn reise. Nach Gottesthal zu Jordan, sagte ich. Um 5.30 Uhr stand ich auf dem Bahnsteig. Mein Fahrrad war schon im Gepäckwagen. Die Lokomotive stand unter Dampf. Der Zug wurde hier eingesetzt. Ich kannte die Strecke bis zur Landesgrenze gut, war sie schon dutzendmal gefahren. Immer waren es Ferienfahrten in den Böhmerwald gewesen. An meinem Ziel, der Ort ist Heidenhof, stieg alles aus. Hier musste man umsteigen, um ins Ausland zu gelangen. Der Ort Heidenhof ist in Wirklichkeit Nove Uddoli, Neutal bei Heidmühle. Und umsteigen musste man damals, um dann weiter bis nach Passau zu kommen. Ich holte mein Rad aus dem Gepäckwagen, erkundigte mich nach dem Weg und fuhr gleich los. Schon nach wenigen Minuten auf der steinigen Straße merkte ich, dass ich zu wenig Luft in dem rückwärtigen Reifen hatte. Immer wieder schlug ich auf die Felge. Vorsichtig wisch ich Unebenheiten aus, schwang das Rad immer wieder herum, fand Freude daran und vergaß für eine Weile Therese. Ein schriller Vogelschrei ließ mich aufschauen. Ein Wanderfalke kreiste unweit über einem Feld. Die Ehren glänzten seidig in dem frühen Licht. Schon jetzt war es heiß. Die Sonne lag brütend über dem Land. Birken und E glänzten seidig in dem frühen Licht. Schon jetzt war es heiß, die Sonne lag brütend über dem Land. Birken und Ebereschen säumten die Straße. Die Felder, meist Rüben und Kartoffeln, waren klein. Das wenige Getreide schien kärglich. Durch schüttere Halme sah ich bräunliche Erde. Die Straße stieg nun an, wurde auch enger. Immer wieder reichte der Wald bis an den Weg heran. Es war sehr einsam hier, weit und breit war kein Gehöft zu sehen. Zu meiner Linken floss ein Bach. Das Wasser war sehr dunkel, ich wollte mich ein wenig abkühlen, ließ das Rad am Straßenrand liegen, um den schmalen Wiesenstreifen zu überqueren. Doch kaum hatte ich den erhöhten Weg verlassen, versank ich bis zu den Knöcheln in dem moorigen Grund. Ich erschrak, zog meine Füße, den saugenden Griff des Morastes überwindend, Schritt für Schritt zurück auf trockenes Land. Verwundert sah ich mich um. Die Landschaft hatte sich verändert, das Tal begann sich zu erweitern, schien noch spärlicher bestellt zu sein. Drei Tümpel von der Größe runder Tische konnte ich in einiger Entfernung erkennen. Auf einem hölzernen Schild, das an der Erle nahe am Bach befestigt war, stand von der Straße gerade noch lesbar Poser-Ranitze. Entschuldigung. Darunter wesentlich kleiner waren zwei Worte, die ich nicht entziffern konnte. Achtung, Grenze muss es wohl geheißen haben. Nach einer letzten Windung der Straße öffnete sich das Land zu einem überraschend weiten Hochtal. Das ist Jordans Heimat, dachte ich. Das harte Licht der Mittagssonne ließ die Konturen mit einer schartenlosen Schärfe erscheinen. Knorrige Bäume standen weit verstreut auf Reinen. Die Felder waren noch kleiner hier. Jeder trockene Fleck Erde wurde für Saatgut genutzt. Erchwachsen mit Schilf und Binsengras zogen sich bis zu den dunkelbewalteten Hängen im Norden. Dort lag das Dorf. Leicht ansteigend, als suche es festen Boden, säumte es gleich einem Straßendorf den Weg. Es zählte an die vierzig Gehöfte, viel größer, als ich erwartet hatte. Kein Mensch war auf dem Hof zu sehen, nur aus den Stellen drangen Geräusche. An der Straßenseite des Gebäudes war eine Bank. Ich setzte mich und wartete. Um zwölf hörte ich von der Mitte des Dorfes her das Läuten einer Glocke. Bald darauf begannen kleine Gruppen von Männern, Frauen und Kindern auf der Dorfstraße näher zu kommen. Jordan war einer der Letzten, er ging allein. Ein überraschter Blick traf mich. Wild, was bringt dich nach Gottestal? fragte er mich. Ich muss dich sprechen, entgegnete ich. Das Ende des Romans hat mit dem geschilderten Moor zu tun. Darin wird jemand verschwinden, versenkt werden und nicht wieder auftauchen. Aber ich verrate nicht, wer das jetzt war. Die Leiche wird ohnehin nie gefunden. Und später, mitten im Krieg, kehrt Hans noch einmal nach Gottesthal zurück. Dort lebt Therese wieder und Hans besucht sie. Am nächsten Morgen zeigte Therese mir Jordans Aufzeichnungen. Eine Art Tagebuch, sagte sie, aber doch auch wieder ganz anders. Hier sind die Monate bei euch, wie sie auf einen Stapel von einigen hundert Bogen Papier. Ich fragte, ob ich sie lesen dürfe. Bereitwillig stimmte sie zu. In zwei Wochen wollte ich sie zurückbringen. In diesen Stunden in Gottesthal hatte Therese mir zu verstehen gegeben, dass Jordan und sie untrennbar waren. Hast du mich denn nie geliebt? fragte ich sie. Das war etwas ganz anderes, sagte sie. Du warst mir wie ein Bruder. Jordan ist so außerordentlich, er ist euch allen so überlegen, diesen Wochen begann ich mich mit dem Gedanken zu tragen, meine Erinnerungen an die Tahrhädels niederzuschreiben. Als ich in Jordans Aufzeichnungen nach den ersten Eintragungen suchte, die ich mit Sicherheit unserer gemeinsamen Zeit zuordnen konnte, fand ich folgende Sätze. Gesichter wie überall, langsam vor dem Begriff, eine Septima wie die andere, ein hübsches Mädchen in der Nebenreihe, hinter mir ein Junge mit pfiffigen Augen. Ich sehne mich nach Therese. Jetzt wollen wir Ihrer Stimme, die schon strapaziert ist, nicht noch weiter zusetzen, aber Herr Höller, Sie haben sich bemüht und zwar lange bemüht, für die Bücher Wolfgang Schmitz einen neuen Verlag zu finden, 1993, möchte man meinen, ist nicht ganz so lang aus. Warum ist das paradoxerweise nicht gelungen bei der Flut an Neuerscheinungen, die, wage ich mal zu sagen, vielleicht nicht die Qualität hat, die diese Bücher haben? Ja, also ich kann darauf keine befriedigende Antwort geben. Ich muss sagen, so eine ganz direkte Absage habe ich eigentlich nie erhalten. Ich sage Ihnen mal ein paar Verlage, wo ich das versucht habe. Das war Pieper, Hansa, Aufbau, Wagenbach, Vitalis, Fischer, Folio, Wieser, DTV, Antikunstmann und das kulturelle Gedächtnis. Immer hat sich jemand gemeldet, wir haben Mails ausgetauscht, wir haben telefoniert, Manuskripte sind gewandert. Und zwar, die waren immer an zwei Sachen interessiert. Einmal an die Geschwister, weil doch alle das für einen guten Roman hielten. Und dann an einem noch unveröffentlichten Manuskript, das heißt der Hedonist. Da spielen auch manche Szenen auf dem Schöninger zum Beispiel, auf dem Gletsch. Und dieses Manuskript, das lag lange Zeit bei der Schwägerin von Wolfgang Schmidt in Mannheim, bei Christel Schmidt-Bausch. Und die hat es mir irgendwann mal geschickt, damit ich es auch an Verlage schicke. Ich hatte das dann eingescannt, hatte das im Internet hinterlegt, sodass das Eingeweihte mit dem Passwort abrufen können. Und so wurde das auch gehandhabt. Der Tenor weiß, um das mal kurz zusammenzufassen, wir haben ja jetzt nicht ewig Zeit, Um das mal kurz zusammenzufassen, wir haben ja jetzt nicht ewig Zeit, dass die Geschwister vielleicht noch zu jung sind. Also 1993 gab noch eine Möglichkeit, sie Print-on-Demand zu bestellen bei Fischer. Und auf meine Intervention hin hat Fischer das eingestellt. Ich habe gesagt, es wäre einfach unwürdig gegenüber dem Schriftsteller, das nur noch als Print-on-Demand zu haben. Und tatsächlich, sie haben gesagt, ja, dann verzichten wir. Und die Rechte sind jetzt wieder bei dem Sohn von Wolfgang Schmidt, Tom Schmidt, der in Toronto lebt, aber kein Deutsch kann. Also er kann auch die Bücher seines Vaters nicht lesen. Ich habe ihm gesagt, ich habe ihm also die Manuskripte geschickt und ihm gesagt, er soll das bei Dieb L. machen, das ist der beste Übersetzer. Eigentlich ziemlich gut, dann hat er zumindest mal eine Ahnung, wie diese Romane sind. Und bei dem Hedonisten, das ist ein 700 Seiten starkes Manuskript, also so ein Packen, und der müsste, denke ich, aber auch stark gekürzt werden. Also der ist nicht so gut wie beispielsweise die Geschwister oder Albertines Knie. Und das müsste vielleicht ein Verleger stemmen. Aber Sie wollen dranbleiben. Ich will dranbleiben. Einen habe ich noch ausstehen, das ist Läuse Wieser vom Wieser Verlag. Der liest das gerade. mal schauen, was er sagt. Na gut, ja, jedenfalls das darf ich zum Schluss sagen, es gibt zwei Aufsätze von Ihnen, die Sie vielleicht uns noch nennen oder jenen, die den Kontext ein bisschen, sei es biografisch, aber auch den Kontext zur Literatur Wolfgang Schmitz kennenlernen wollen. Genau. Ich lasse Ihnen den einen noch mal hier, gerade. Das ist... Habe ich da was dran gekritzelt, an die Seite gekritzelt? Nö, glaube ich nicht. Es geht nur darum, dass ich es zitiere. Also ja gut, das war im Stifterjahrbuch erschienen. Da habe ich also ausführlich über meine Recherche geschrieben, wie ich auf den Wolfgang Schmidt gekommen bin und wie er rezipiert wurde. Dann habe ich mich näher mit dem Jahr 1935 beschäftigt in der Tschechoslowakei. In dem Jahr 1935 beschäftigt, in der Tschechoslowakei. In dem Jahr 1935 spielen die Geschwister. Und ich habe da noch einige Inhaltsangaben zu den drei Romanen gegeben von Schmidt. Um es nur zusammenzufassen, es sind sozusagen zwei Quellen, auf die man Interessierte hinweisen kann. Das eine ist Literatur und Kritik. Literatur und Kritik, das Österreich-Alphabet. Das war Anfang 22, glaube ich. Und das zweite ist dann halt im Stifterjahrbuch die Folge 34. Ja, aber wie gesagt, es lohnt sich. Danke Ihnen herzlich. Ja. Und ich danke auch Ihnen, meine Damen und Herren, nach diesem Abend, an dem es zwei literarische Empfehlungen zu entdecken gab, eine ganz neue und eine, die es wert wäre, aufgelegt zu werden und drei Autoren eigentlich. Danke. Applaus