Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zur heutigen Veranstaltung im Rahmen der Reihe Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945 begrüßen. Diese Reihe ist ein Kooperationsprojekt mit der Alten Schmiede in Wien und dem Literaturhaus Graz. Ich begrüße wie immer sehr herzlich den Gesamtmoderator der Reihe, Prof. Dr. Klaus Kasperger. Herzlich willkommen. Das Grundbuch, das im Mittelpunkt der heutigen Veranstaltung steht, ist der Roman Die Bagage der Autorin Monika Helfer, 2020 im Karl-Hanser-Verlag erschienen. Wir freuen uns wirklich sehr, dass Monika Helfer heute bei uns ist und aus dem Roman lesen wird. Ebenfalls herzlich willkommen. Sehr herzlich begrüßen möchte ich auch die Literaturwissenschaftlerin, Literaturkritikerin und Essayistin Dr. Daniela Striegel. Sie wird heute über den Roman referieren. Auch Sie begrüße ich sehr herzlich. Applaus Monika Helfer war ja bereits wiederholte Male im Stifterhaus zu Gast, zuletzt erst im September des vergangenen Jahres mit ihrem Roman Die Jungfrau und ein Jahr davor mit dem Roman Löwenherz, um nur die beiden letzten Buchpräsentationen zu nennen. Auch wenn es daher nicht nötig wäre, Monika Helfer bei uns im Stifterhaus vorzustellen, vielleicht doch ein paar wenige biografische Daten, da sie an dieser Stelle in einer Grundbücherveranstaltung vorgesehen sind. Monika Helfer wurde 1947 in Au im Bregenzer Wald geboren. Ihr Vater, selbst Kriegsversehrter, leitete ein Kriegsopfererholungsheim auf der Cengla, dem Hochplateau in Vorarlberg. Hier wuchs Monika Helfer mit ihren Geschwistern auf, bis das Heim Ende der 50er Jahre in ein Hotel umgewandelt wird. Als die Mutter stirbt und die Familie auseinandergerissen wird, ist Monika Helfer elf Jahre alt. gerissen wird, ist Monika Helfer elf Jahre alt. Sehr viel von Monika Helfers Familiengeschichte ist in ihre Romane Die Bagage 2020, Fati 2021 und Löwenherz 2022 eingewoben. Die Genre-Bezeichnung Roman sei für sie sehr erleichternd gewesen, erzählt Monika Helfer in einem Interview, denn tatsächlich sei in den genannten Büchern viel Fiktion dabei. Im Roman Die Bagage schreibt sie, Zitat, die Erinnerung muss als heilloses Durcheinander gesehen werden. Erst wenn man ein Drama daraus macht, herrscht Ordnung. Zitat Ende. ein Drama daraus macht, herrscht Ordnung. Zitat Ende. Im Roman Die Bagage setzt sich Monika Helfer mit der Herkunftsfamilie ihrer Mutter Margarete auseinander, vor allem mit der Mutter ihrer Mutter Maria. Maria ist von großer Schönheit und lebt mit ihrem ebenfalls schönen Mann Josef und ihren zunächst vier Kindern zur Zeit des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs in großer Armut am Rande eines Dorfes im Bregenzer Wald. Daniela Striegel schreibt in ihrem auf der Einladung auch abgedruckten Text, Zitat, zwischen Märchenton und Verismus setzt Monika Helfer die schwankende Rekonstruktion einer in der Familie überlieferten Vergangenheit. Sie vertraut auf die Wirkung des Ausschnitts, des Fragments, sie erzeugt Distanz und kommt ihren Figuren doch erstaunlich nahe. Zitat Ende. ihrem familienbiografischen Erzählprojekt wie Daniela Striegel die drei Romane, die Bagage, Vati und Löwenherz in einer Rezension einmal nannte, hat Monika Helfer den Themenkomplex Familie und ihre Bedeutung für die Mitglieder einer Familie oder der Familie verhandelt. Etwa in ihrem Roman Schau mich an, wenn ich mit dir rede, mit dem sie 2017 für den Deutschen Buchpreis nominiert war und den sie auch im Stifterhaus vorgestellt hat. Es gibt also viel Stoff für ein Gespräch, das Klaus Kasperger mit Monika Helfer und Daniela Striegel im Anschluss an Lesung und Referat halten wird. Ich wünsche uns in diesem Sinne einen anregenden Abend und bitte Monika Helfer, mit der Lesung zu beginnen. Also ich beginne mit dem Anfang. Ich beginne mit dem Anfang. Hier, nimm die Stifte, male ein kleines Haus, einen Bach, ein Stück unterhalb des Hauses, einen Brunnen, aber male keine Sonne. Das Haus liegt nämlich im Schatten, dahinter der Berge wie ein aufrechter Stein. Vor dem Haus eine aufrechte Frau, sie hängt die Wäsche an die Leine. Die Leine ist schlecht gespannt. Geknotet zwischen zwei Kirschbäumen. Einer steht rechts von der Veranda zu Hause, der andere links. Jetzt gerade klammert die Frau eine Strampelose fest und ein Jäckchen, also hat sie Kinder. Sie wäscht oft die Sachen der Kinder und die ihres Mannes und ihrer Sachen. Sie besitzt eine besonders schöne weiße Bluse. Sie möchte, dass ihre Familie sauber ist wie die Familien in der Stadt. Sie hat viele weiße Sachen. Da kommen ihre dunklen Haare und dunklen Augen und die dunklen Haare und die dunklen Augen ihres Mannes gut zur Geltung. Die anderen unten im Dorf tragen selten weiß. Manche nicht einmal am Sonntag. Ein ernstes Gesicht hat sie, tiefe Augen. Die Augen male mit Kohlestift. Die Haare liegen eng am Kopf. Sie sind schwarz mit braun gemischt, weil der Kohlestift abgebrochen ist. Die guten Buntstifte glänzen nicht und sind außerdem teuer. Die Wirklichkeit weht hinein in das Bild, kalt und ohne Erbarmen. Sogar die Seife wird knapp. Die Familie ist arm, gerade zwei Kühe, eine Ziege, fünf Kinder. Der Mann schwarzhaarig wie die Frau, Lack glänzen seine Haare sogar. Ein Schöner ist er, doppelt so schön wie die anderen. Ein schmales Gesicht hat er, aber ohne Freude, wie es scheint. Die Frau, gerade noch dreißig ist sie, sie weiß, dass sie den Männern gefällt, nicht einen kennt sie, bei dem sie sich nicht sicher ist. Wenn der Mann sie an sich zieht, spürt er ihre Brüste und den Bauch. Er hat es genau so schon gesagt. Ihm wird schwarz vor Augen und Vermüdigkeit lässt er sich aufs Bett fallen. Sie entkleidet sich hastig, legt sich neben ihn und weiß, er stellt sich nur schlafen, der will nicht versagen. Darum hat sie das dünne Unterhemd angelassen, damit nicht alles gleich eindeutig ist. Sie schaut durch das offene Fenster hinaus in den Nachthimmel. Nicht einmal der Mond kommt hinter dem Berg hervor. Manchmal zieht er knapp vorbei, dann kann sie den Schimmer oben über dem Kamm sehen. Einmal schreit ein Kind, sie weiß welches, dann weint ein anderes, sie weiß welches. Aber ihr gelingt es nicht aufzustehen, müde ist sie nicht, sie denkt, träge bin ich halt. Wie alt werde ich werden, denkt sie. Das Mädchen, drei Jahre alt, steht vor dem Bett, mitten in der Nacht. Es ist Margarete, die Grete, sie zittert. Mama, flüstert sie. Die Mama flüstert, komm. Der Kleine kriegt sie unter die Decke. Der Vater soll es nicht wissen. Das Mädchen legt sich nicht zwischen die Eltern, es legt sich an den Rand des Bettes. Es muss festgehalten werden, damit es nicht heraus die Eltern, es legt sich an den Rand des Bettes. Es muss festgehalten werden, damit es nicht herausfällt, hin und auf den Boden. Das Bett ist nämlich hoch. Das Mädchen war meine Mutter Margarete, eine Scheue, die jedes Mal, wenn sie auf den Vater traf, sich duckte und nach dem Rock der Mutter schaute. Der Vater war liebevoll zu den anderen Kindern, im Großen und Ganzen war er liebevoll und er würde es auch zu den zwei Spätergeborenen sein. Nur dieses Mädchen verabscheute er, die Margarete, die meine Mutter werden wird, weil er dachte, dass sie nicht sein Kind sei. Er hatte keinen Zorn auf sie, keine Wut. Er verabscheute sie, er ecklte sich vor ihr, als würde sie nach dem Zudringlichen ihr Leben lang. Sie schlug er nie, die anderen Kinder manchmal. Die Grete nie. Er wollte sie nicht einmal im Schlagen berühren. Er tat, als gäbe es sie nicht. Er habe bis zu seinem Tod nie ein Wort mit ihr gesprochen. Und es sei ihm nicht bewusst, dass er sie jemals angeschaut hätte. Das hat mir meine Mutter erzählt, da war ich erst acht. Mein Großvater wollte mit der Scheu nichts zu tun haben. Für meine Großmutter war das der Grund, die Scheu mehr als die anderen Kinder zu herzen und auch mehr als die anderen zu mögen. Maria hieß meine schöne Großmutter, der alle Männer nachgestiegen wären, wenn nicht alle Männer Angst für ihren Mann gehabt hätten. Aber ich greife vor. Diese Geschichte beginnt nämlich, als meine Mutter noch gar nicht geboren war. Die Geschichte beginnt, als sie noch gar nicht gezeugt war. Sie beginnt an einem Nachmittag, als Maria wieder einmal die Wäsche an die Leine klammerte. Es war früh im September 1914. Da sah sie den Postboten unten am Weg. Sie sah ihn schon von Weitem. Vom Hofhaus hatte man Blick ins Tal hinunter bis zum Kirchturm, der über die Linden hinaufrangte. Der Postbote schob das Fahrrad, weil er steil aufwärts ging zu dem kleinen Haus und der Weg war nach der Abzeige nur noch grob geschottert. Postadjunkt war die offizielle Bezeichnung für seinen Beruf. Er trug eine Uniform mit glänzenden Knöpfen. Er schwätzte, hatte die Krawatte gelockert, den Kragen geöffnet. Er nahm die Kappe ab, nur kurz zum Großen und zum Lüften. Maria trat einen Schritt zurück, als er ihr den Brief entgegenhielt. Es war ein blauer Brief mit einem losen Abschnitt vorne drauf, den man abreißen sollte. Dieser Abschnitt musste unterschrieben und zurückgesandt werden an den Absender. Der Starter der Absender, der wollte einen Beweis in Händen halten. Der Adjunkt wusste, dass sie wusste, dass sie ihm gefehlt und noch mehr. Auch wusste er, dass es ihr gleichgültig war. Er war nicht halb so fesch wie Josef, ihr Mann mit dem finsteren Blick. Der Junge missbilligte, wie die Männer im Dorf über Josef und Maria redeten. Kinder seien kein Beweis für gar nichts. Auf jeden Fall nicht dafür, ob es einer gut könne oder eben nur könne. Auch vier Kinder würden rein gar nichts sagen. Eine Frau kann auch Kinder kriegen, wenn ihr den Mann nicht behergt. Das ist Natur. Und die Natur hat mit Liebe nichts zu tun. Und nur weil man zufällig Josef und Maria heiße, heiße das schon überhaupt gar nichts. Eher im Gegenteil. So hätten es die Männer gern gehabt, denn so dachten sie nämlich, hätten sie eventuell selber einen Stich bei der schönen Maria. Man sah diese beiden Eheleute auch so gut wie nie zusammen ins Dorf kommen. Daraus zogen die Männer abermals ihre Schlüsse und sahen darin einen weiteren Beleg. Und wenn man sie sehe, seien sie nicht fröhlich zueinander, nicht einander zugewandt, da Josef so gut wie immer ernst und die Maria meistens auch, als kämen sie gerade von einem Streit. Aber die Männer hatten keine Ahnung. Maria lag nämlich gern mit Josef eng umschlungen. Sie hatte Temperament und ihr Mann manchmal auch. Zwischen den beiden war es bei weitem nicht so, dass sie das Licht ausbliesen, wenn sie beieinander lagen, bei weitem nicht. Der Adjunkt stellte noch einmal in der Woche weit draußen zu, weil es ihr auch so weit war und mühsam. Und selten war Maria allein und selten war sie vor dem Haus. Oft hatte er schon an die Tür geklopft und niemand hatte ihm aufgemacht. Und wegen nix und wieder nix diesen Weg. Am liebsten wäre ihm gewesen, die Leute, die hier draußen und oben verstreut lebten, hätten Freunde unten im Dorf. Wenigstens einen, dem sie vertrauten, bei dem er die Briefe hätte abgeben können und sie hätten sie dann selber geholt. Ein Brief vom Staat allerdings muss ihr persönlich entgegengenommen werden. Wenigstens anschauen kann ich sie heute, dachte sich der Altjüngste. Was alles zum Dorf gehörte, war weit. Bis zum weitesten Hof war gut eine Stunde Weg ab der Kirche. Sechs Höfe lagen an den Rändern, dahinter begann der Berg. Sechs Höfe lagen an den Rändern, dahinter begann der Berg. Die an seinem Fuß in seinem Schatten wohnten, waren bei keinem im Dorf unten gut. Und untereinander waren sie auch nicht gut. Nicht gut sein bedeutet nicht wissen wollen, wie es den anderen geht. Mehr bedeutete es nicht. Sie wohnten dort, weil ihre Vorfahren später gekommen waren als die anderen und der Boden am billigsten war. Und am billigsten war der Boden, weil die Arbeit auf ihm so hart war. Am letzten Ende hinten oben wohnten Maria und Josef mit ihrer Familie. Man nannte sie die Bagage. Das stand damals noch lange Zeit für das Aufgeladene, weil der Vater und der Großvater von Josef Träger gewesen waren. Das waren die, die niemandem gehörten, die kein festes Dach über dem Kopf hatten, die von einem Hof zum anderen zogen und um Arbeit fragten und im Sommer übermannshohe Heuballen in die Scheunen der Bauern trugen. Das war der unterste aller Berufe unter dem Knecht. Der Brief kam vom Militär. Es war der Stellungsbefehl. Österreich hatte Serbien den Krieg erklärt und Russland war Serbien beigesprungen und der deutsche Kaiser war Österreich beigesprungen und hatte Russland den Krieg erklärt und Frankreich war Russland beigesprungen und hatte Deutschland und Österreich den Krieg erklärt. Und Deutschland war in Belgien einmarschiert. Der Postbote hielt immer noch den blauen Brief in der Hand. Für sich allein träumte er, dass er ihr beistehe, irgendetwas geschehe. Und er stehe Maria bei und sie erkennen dann endlich, was er in Wirklichkeit für einer war. Gerne hätte er sie von ihrem Ehemann befreit. Er bildete sich ein, dass sie unter ihm leide. Und er bildete sich ein, dass er selbst einer sei, der viel zarte Zuneigung zeigen könne, wenn es darauf ankäme. Und das nicht nur für kurz, für eine Nacht oder so, sondern bis der Tod einen scheidet. Keine roten Flecken waren in ihrem Gesicht und keine an ihrem Hals. Er sah kein Fältchen, nicht zwischen den Augen, aufwärts in die Stirn, nicht neben dem Mund und nicht von den Augenwinkeln hinüber zu den Schläfen. Ihre Hände waren rau, aber nur innen, oben waren sie wie vergoldet. Ihr Mann war oft unterwegs, er hatte Geschäftchen. Was für welche wusste der Adjunkt nicht und Maria wusste es auch nicht. Im Dorf wurde vermutet, es seien schräge und krumme Geschäftchen. Josef hatte den Ruf sofort zuzuschlagen. Aber damit beruhigten sich die Männer nur selber, damit rechtfertigten sie vor sich selber ihre Feigheit. Dass es keiner von ihnen bisher gewagt hatte, die Maria direkt anzugehen, eben war der Josef einer Seite, der sofort und brutal zuschlage. Zuschlagen gesehen hatte ihn allerdings noch keiner. Der Brief sei vom Militär, sagte der Erdjunkt, Maria müsse den Erhalt bestätigen mit Unterschrift. In Klammer solle sie Ehefrau schreiben. Er habe einen Tintenblei dabei, das sei zulässig, er selber leckte den Stift an. unhaben würde, dass man ihn hören würde bis hinein und hinaus und hinauf ins hinterste Tal, in den Schatten unter dem Berg. Das war ihr bisher nicht in den Sinn gekommen. Was genau und bis ins Einzelne in den gedruckten Briefen stand, hätte sie nicht nacherzählen können, so viel aber schon. Josef Mosbrugger musste in den Krieg. Brucker musste in den Krieg. Der Bürgermeister hieß Gottlieb Fink und er machte auch Geschäftchen. Er war der Einzige, mit dem Josef über das Notzodeckste hinaus redete, länger redete als Ja, Nein, Servus und wieder Ja, Nein. Manchmal war Josef vom Berg heruntergekommen und direkt auf das Haus vom Bürgermeister zugegangen und war eingetreten, ohne zu klopfen oder zu rufen und war eine gute Stunde im Haus geblieben. Aber die beiden waren keine Freunde. Der Bürgermeister wäre schon gern der Freund von Josef gewesen. Der war der Einzige, mit dem man reden konnte, hatte erstens keine Krankheiten und stank zweitens nicht wie ein Tier und war drittens kein Idiot. Er konnte lesen und schreiben und mehr als nur gut rechnen. Leg ihm die schwierigsten Multiplikationen vor, er verdreht einmal die Augen und schon hat er sie heraus. Der Bürgermeister war großzügig, Bei den Geschäffchen teilt er immer, auch dann, wenn Josef kaum beteiligt war. Immer halbe-halbe. Josef war nicht so großzügig. Aber das kreidete ihm der Bürgermeister nicht an. Der Bürgermeister hatte Kühe, Schweine, Hühner und ein paar Ziegen. Das hatten alle. Zudem aber war in seinem Haus eine Werkstatt angebaut. Er war gelernter Büchsenmacher. Früher hatte er die Gewehrläufe noch selbst gedreht und gefräst und die Kulben selber ausgesägt und zurechtgeschnitzt und geölt und poliert. Inzwischen bezog er die Einzelteile aus dem süddeutschen Raum und setzte sie lediglich zusammen. Das kam billiger und brachte mehr. Er nagelte seine Punze darauf. Der Stutzen war dann ein echter Fink und Finkstutzen hatten immer noch einen Ruf, als wäre an ihnen alles selbst und alles von der Hand gemacht. Dem Josef hatte der Bürgermeister ein Gewehr geschenkt, ein doppelläufiges sogar. Das war mehr als großzügig, darüber wunderte sich jeder, das sagte alles, obwohl keiner genau wusste, was er sagte. Dafür hätte er in Schreiner länger als ein halbes Jahr arbeiten müssen. Vielleicht war Josef ja tatsächlich sein Freund, nur weil er so tat, als hätte er einen Freund nicht nötig, hieß das noch lange nicht, dass er wirklich keinen nötig hatte. Als der Stellungsbefehl eingetroffen war, hatte Josef einen Freund nötig. Der Bürgermeister war nicht eingezogen worden. Begründung, er werde zu Hause gebraucht. Das stimmte. Josef zum Beispiel brauchte ihn. Josef liebte seine Frau. Er selber hat dieses Wort nie gesagt. Es gab dieses Wort in der Mundart nicht. Es war nicht möglich in der Mundart ich liebe dich zu sagen. Deshalb hatte er dieses Wort auch nie gedacht. Maria gehörte ihm und er wollte, dass sie ihm gehörte und dass sie zu ihm gehörte. Erstens meinte er das Bett, letzteres die Familie. Wenn er durchs Dorf ging und die Männer beim Brunnen sah, die mit hölzernen Messern spielten, die sich selber geschnitzt hatten, und wenn er sah, dass sie ihn sahen, dann las er in ihren Blicken, du bist der Mann von der Maria. Keiner von denen hatte nicht schon gedacht, wie es mit dir wäre. Und jetzt, nachdem er den Stellungsbefehl erhalten hatte, meinten sie, es tun sich Chancen auf. Mittelgroße Chancen, weil niemand genau wusste, wie lange der Krieg dauerte. Auch wenn man von Wien her und Berlin her hörte, die Sache werde bald zu Ende sein. Darauf wetten wollte keiner. Josef ging zum Bürgermeister und sagte, könntest du auf die Maria aufpassen, wenn ich im Feld bin? Der Bürgermeister wusste, was aufpassen in diesem Fall bedeutete, in erster Linie, so dachte er, meint der Josef doch, er kann seiner Frau nicht trauen. Kann sie sich selber trauen? Das war die Frage. Sie sieht sich ja jeden Morgen im Spiegel. Bei dem Gespräch war sonst niemand dabei. Ein delikates Gespräch, das keine Zeugen wollte. Wie könnte der Bürgermeister dem Mann meiner Großmutter antworten, würde er sich trauen zu sagen, du meinst, ich soll zuschauen, dass keiner zu ihr hinaufgeht, wenn du weg bist? Und Josef sagte, ja, das meine ich. Dann würde er zugeben, dass er seiner Frau nicht vertraut. Und Josef sagte, ja, es wäre mir recht, wenn du zuschaust, dass keiner zu ihr hinauf geht. Und warum, könnte der Bürgermeister fragen, damit aber würde er Josef kränken. Das will er nicht. Ist damit zu rechnen, dass einer der Männer aus dem Dorf oder von sonst woher der schöne Maria Gewalt antun könnte? Das in so einem Fall der Bürgermeister einschreiten würde? Und was würde das bedeuten? Dass er denjenigen erschießt? Der Bürgermeister sagte, ich werde mich um sie kümmern. Macht ihr im Krieg keine Sorgen, Josef? Kann es sein, dass eine schöne Frau nur für einen Mann gemacht ist? Der Bürgermeister glaubte, dass Maria treu war, nur wegen der Angst, die sie für ihren Mann hatte und nicht wegen mangelndem Interesse an anderen. Man brauchte auch kein großes Trara darum zu machen, wenn sich der eine oder andere ausrechnete, dass der Josef fällt. So ist der Mensch. Das hätte der Bürgermeister zum Josef natürlich nicht gesagt. Eben, weil er ihn zum Freund behalten wollte. Er war der Bürgermeister und er wünschte sich, dass nicht einer aus seinem Dorf fehlte, wenn dieser Krieg fertig war. Dass sie herunterzieht zu uns mit all ihren Kindern, sagte der Bürgermeister. Das geht leider nicht, wäre aber sicher am besten. Das ist nicht nötig, sagte Josef. Es reicht, dass du die Augen offen hältst. Angeblich ist bis in den Oktober hinein alles vorbei. Dann bin ich eh wieder da. Und Fronturlaub geht uns ja auch, sagte der Bürgermeister. Wenn das Ganze so kurz wird, wie es heißt, dann wird sich ein Fronturlaub gar nicht ausgehen, sagte Josef. So haben alle gedacht. Für Josef würden sich sogar zwei Fronturlaube ausgehen. Nachdem sich Josef von seiner Frau in den Krieg verabschiedet hatte mit einer Umarmung und einem leichten Kuss, er war schon auf dem Weg, sagte beim Abwärtsgehen lässig in die Knie, wie es so seine Art war. Da lief sie ihm nach und zog ihn ins Haus und zurück und hinein ins Schlafzimmer, öffnete seinen Gürtel und schminkte sich an ihn. Warum machst du so ein Gesicht, fragte sie. Ich habe Zahnweh, sagte er. Aber das wird doch noch schlimmer, sagte sie. Im Feld gibt es Zahnärzte, sagte Josef. Woher weißt du das? Er stand vom Bett auf und hielt sich vom Leib. Sie solle aufhören zu fragen, das kenne er. Sie finde dann kein Ende und er komme zu spät. Es war Anfang September, noch sehr heiß. Lorenz zog sein Hemd aus und bannte sich um den Hosenbund. Sein Gesicht war ernst wie das seines Vaters, sogar ein bisschen grimmig war es schon. Der Hund wartete vor dem Haus, immer wieder setzte er eine Pfote auf die Grenze, die ihm gezogen worden war. Noch nie hatte er sich von der Steinreihe, noch nie hatte er die Steinreihe überschritten. Er trippelte und quietschte in hohen Tönen. Wolf, sagte er, gleich gehen wir los. Maria war im Haus, im Schlafzimmer lag sie. Das war nicht viel größer als das Doppelbett. Ein Kasten hatte noch Platz. Die Tür stand in einem Spalt weit offen. Lorenz sah seine Mutter auf dem Bauch liegen, den Kopf auf einem Arm. Er schließt sich den Flur entlang und stieg über die Leiter in den Dachboden. Neben einem der Dachsparen hatte der Vater an einem schmalen Verschlag genagelt. Das war ein Versteck, aber nicht zu erkennen. Dort war das Gewehr, das Geschenk vom Gottlieb Fink. Und Munition war auch noch dort. Jetzt, dachte Lorenz, jetzt kriegt der Vater ein Gewehr vom Kaiser und dieses hier, dieser Fink-Stutzen, der gehört jetzt mir. Bis der Vater aus dem Krieg zurückkommt, gehört er mir. Er streckte eine Schachtel mit Patronen in den Hosensack, wickelte das Gewehr in sein Hemd und stieg über die Leiter nach unten. Er lief aus dem Haus, rief dem Hund zu, komm, Wolf. Die beiden rannten über den Abhang zum Brunnen vorbei, über den Weg den Bach hinunter, indem sie von Stein zu Stein sprangen, auf die andere Seite hinauf in den Wald. Da kannte Lorenz eine gute Stelle, eine Senke, die von keiner Seite eingesehen werden konnte. Vielleicht würde die Mutter das Knallen hören. Lorenz meinte, es würde sie nicht kümmern. Manchmal waren Jäger unterwegs im Wald. Im Dorf unten würde niemand etwas hören. Auf einem Moosbank reihte er faustgroße Steine. In einem Abstand von 20 Schritten legte er sich in den Fahnen, das Gewehr im Anschlag und schoss. Wie man den Rückschlag auffing, ohne dass es allzu sehr weh tat, hatte ihm der Vater schon gezeigt. Nur ihn, Lorenz, hatte der Vater zum Schießen mitgenommen. Wo war jetzt das? Sobald sich Josef von Maria verabschiedet hatte, war sie aufs Bett gefallen und hatte die Augen zugemacht. Walter legte sich auf ihren Bauch, obwohl er doch schon zu groß und zu schwer war. Er war ein freundliches Kind. Auch zum Hund legte er sich gerne in die Hütte. Der Hund war scharf wie alle Hunde hier draußen, aber Walter durfte mit ihm machen, was er wollte und wehe, jemand, der nicht zur Familie gehörte, hätte den Walter angefasst. Katharina streckte, das hätte ihr die Mutter beigebracht. Sie war geschickt, aus der roten Wolle sollte ein Schal werden für den Papa. Sie solle sich beeilen, damit es sie fertig wird, wenn der Krieg fertig ist. Die Mutter hatte Bilder von Soldaten gesehen. Die blauen Uniformen hatten ihr gefallen. Die machten auch aus einem unscheinbaren Mann einen Stadtlichten. Sie konnte sich nichts anderes denken, als dass Josef in Uniform nach Hause komme und zu blau passte rot gut. Die Mutter war müde und könnte sich die Müdigkeit, jetzt wo der Vater außer Haus war, sonst hätte sie sich am Tag nie aufs Bett gelegt. Es gab wenig zu essen. Der Bürgermeister, der am meisten besaß, würde sie jede Woche einmal zum Essen mit Essen versorgen, solange der Vater weg war. Das war so ausgemacht. Dafür würde ihm Josef die Buchhaltung frisieren, wenn er wieder zurück war. Die Kinder mochten den lustigen Bürgermeister. Dem Lorenz gegenüber war er zurückhaltend. Der war seinem Vater zu ähnlich, dass sie ratierte den Bürgermeister. Schon am selben Tag, an dem Josef und die drei anderen in den Krieg gezogen waren, kam der Bürgermeister zu Maria ins Haus. Er brachte Kartoffeln, Zwiebeln und Äpfel mit. Er hatte einen Karn beladen und einer aus dem Dorf hatte den gezogen. Den schickte er oben gleich zurück. Er selbst war auf dem Pferd geritten. Kirschen hatten die oben selber welche und die besten oben rein. Josef hatte zu Maria gesagt, sie solle dem Bürgermeister einen Sack voll Kirschen geben, weil er die so gern habe. Er würde am Wochenende nach Elz und Viehmarkt fahren, sagte der Bürgermeister. Er wolle sich nach einem Stier umschauen. Durch den Krieg waren die Preise günstig, aber niemand könne sagen, wie lange noch. Im Krieg gelten keine Regeln. Auch dort nicht, wo nicht geschossen wird, im Wald, das könne er garantieren, werde nie geschossen, jetzt einen Stier für das Dorf zu kaufen. Jeder zahlt einen entsprechenden Betrag und jeder hat etwas davon. Wenn ich ehrlich bin, sagte Maria, weil sie gefragt wurde, würde ich schon gern mitfahren auf den Markt. Sie wollte sich aber noch überlegen. Der Bürgermeister trieb die Pferde an, er wollte Eindruck schinden bei Maria. Zwei dicke Pferde mit breitem braunem Rücken, das rechte mit einer hellen, langen Mähne und einem ebensochten Schreif, das linke dunkler mit einem stolzen Kopf und unruhiger als das andere. Maria hielt sich den Hut, damit er ihr nicht wegfliegen konnte. Sehr wohl spürte sie, wie der Bürgermeister näher und näher rückte, sodass sich bei ihren Bewegungen ihre Oberschenkel berührten. Sie zog das Kleid eng um sich. Du singst sicher gut, sagte er. Was ist dein Lieblingslied? Das könnten wir singen. Ich singe auch gut. Maria halb im Ernst, halb scherzend. Maria durch Herrn Dortwald ging. Ist doch ein Kirchenlied. Das ist ein Kanon, erklärte sie ihm. Das klingt gut, wenn man es kann. Ich singe doch jetzt kein Kirchenlied, sagte der Bürgermeister. Dann eben nicht. Sie drehte den Kopf weg, tat aber so, als sähe sie neben dem Weg etwas Interessantes. Der Wagen hatte Gummireifen, das war angenehm und selten, jedenfalls im hinteren Wald. Der Weg war grob und erst ab dem übernächsten Dorf begann der feine geplättete Belag. Kurz erhob sich der Bürgermeister von Bock und klatschte die Zügel auf den Rücken. Das Fell setzte sich gleich wieder und kam wie zufällig noch näher, neben Maria zu sitzen. Damit hatte sie gerechnet. Das würde so hinwärts gehen und auch zurück. Das würde so hinwärts gehen und auch zurück. Manchmal würde er sich über sie beugen, weil er irgendetwas schauen müsste oder so, dass er immer wieder an ihr anstreifen könnte. Wenn er nicht mehr sein würde, wäre daran nichts auszusetzen. Sie war gespannt, was es sich da alles ausdenken könnte, was nicht nach Absicht aussähe und ob er vielleicht doch irgendwann etwas tun würde, was absichtlich wie mit Absicht aussähe. Vor dem Bürgermeister fürchtete sie sich nicht. Sein Atem war ihr aber dennoch nicht angenehm, zu nahe, nicht, dass er schlecht geruchten hätte, eher im Gegenteil, er lutschte Pfefferminzbonbons, eben weil er wollte, dass er gut riecht. Gleichzeitig ging ihr durch den Kopf, dass sie freundlich zu ihm sein sollte, schließlich war von ihm einiges zu erwarten. Er wollte Lebensmittel für die Familie besorgen und um Stoff und Fahrten könne sie ihn auffragen und um Schuhe. Heinrich würde sich genieren, Schuhe von einem Fremden anzuziehen, er hatte Füße wie ein Erwachsener, so groß. Lorenz würde aus Prinzip nichts anziehen, was schon einer angehabt hätte, nämlich weil es in jedem Fall etwas Geschenktes wäre und das Prinzip von Lorenz lautete, ich will von niemandem und aus Prinzip schon nicht von anderen. Bürgermeister, sagte sie, ist es fein so nah bei mir dran? Entschuldigung, sagte er und rückte weg. Ich meine nur, sagte sie, kein Mensch muss mich Bürgermeister nennen, sagte er, jedenfalls keiner von uns. Mensch muss mich Bürgermeister nennen, sagte er, jedenfalls keiner von uns. Gottlieb, sagte sie. Nach einer Weile sagte er, Gottlieb ist das Gleiche wie Amadeus, hast du das gewusst, Maria? Nein, das habe ich nicht gewusst. Wie Amadeus Mozart? Nein, das habe ich nicht gewusst, wiederholte sie. Sie fuhren auf die Gemeinde zu und von Weitem hörten sie schon Kuhglocken und Musik. Als Kind war sie jedes Jahr auf den Viehmarkt gewesen. Damals hatte es angefangen, dass auch Stände wie auf einem Rummelplatz aufgestellt wurden, Schießstände zum Beispiel, wo es Armbänder, Kettchen und Halsdücher gab. Die Besucher waren gut angezogen, das Beste, was sie hatten, trugen sie. Most wurde getrunken und die Köpfe waren rot, schon früh am Morgen. Eine Blasmusik spielte, also doch, hinten eine Cinelle, eine große Trommel und eine kleine Trommel. Josef hatte als Bubklarinette gelernt, aber keine eigene besessen und darum wieder aufgehört. Den gleichen Militärmann spielte die Kapelle dreimal hintereinander, bis es wirklich jedem auf die Nerven ging. Ein Mann kam auf sie zu, er war schneidig, trug nur ein weißes Hemd und zu einer schwarzen Hose, hatte keine Jacke dabei und sah fremd aus. Er redete auch fremd, fremd war vor allem sein Haarschnitt. An den Schläfen hinauf war es kahl und oben der Schopf. Suchen Sie etwas Bestimmtes? fragte er. Gehört Ihnen der Stand? fragte sie. Ich suche etwas für meinen Sohn, neun Jahre. Was interessiert ihn dann? Das weiß ich eben nicht, sie reden merkwürdig. Ich habe noch nie jemanden so reden hören. Was sind Sie für einer? Da lachte der Fremde laut heraus und lachte lang. Und ich habe noch nie erlebt, dass eine Frau so direkt ist. Was beinen Sie mit direkt, fragte Maria. Wenn ich angenommen eine schiefe Nase hätte und ich würde Sie fragen, ob ich eine schiefe Nase habe, dann würden Sie wahrscheinlich sagen, ja, Sie haben eine schiefe Nase, da habe ich recht. Was sollte ich denn sonst sagen? Ich heiße Georg, sagte der Fremde und hielt Maria die Hand in. Ich komme aus Deutschland, aus der Stadt Hannover. Ich bin nicht zufällig hier. Und sie? Er will mich nicht mustern, dachte Maria, aber er mustert mich doch. Und es gelingt ihm nicht, seinen Staunen zu verbergen, weil ich schön bin. So oder so ähnlich hatte sie schon oft gedacht. Es war keine Kunst, die Blicke der Männer zu deuten. Er erzählte ihr, dass er hier in diesem Dorf sei, um eine traurige Nachricht an eine Familie zu überbringen. Der Sohn dieser Familie sei gestorben. Es sei ein Freund von ihm gewesen, sein bester Freund, und es sei an ihm, den armen Leuten davon zu berechnen. Waren sie denn schon im Krieg und ihr Freund ist gefallen, fragte Maria. Nein, sagte er, es war ein Unfall, es hat nichts mit dem Krieg zu tun. Dann sind sie wieder heimgefahren und am nächsten Tag stand er vor der Tür der Fremde, der Georg hieß. Nicht angemeldet. Nie hat sich jemand bei Maria und Josef angemeldet. Wie auch? Warum auch? Er ist ein Schick, der sagen soll, man kommt und dann kommt er. Man kommt und dann kommt er. Was hätte das für einen Sinn? Zwei Wege von einem Fremden, aber sonst, von einem Fremden sollte man erwarten, dass er einen Burschen aus dem Dorf bittet, ihn zu begleiten, damit die friedliche Absicht bekundet würde. Dann auf einmal vor ihr. Sie war beim Wäscheaufhängen mit einem weißen Hemd in der Hand und dass sie nun schon dreimal gewaschen hatte aus Unachtsamkeit oder dass sie sich das saubere Hemd von allen in die Sputzwäsche geschmuggelt hatte, weil es den letzten Geruch von Josef loswerden sollte, weil die Dinge mehr wussten als die Menschen und das Hemd wusste, dass Josef nicht mehr zurückkehren würde. Nein, Maria war nicht da, aber gläubig. Der Fremde sah sie einfach nur an. Sie, die Manschetten in den Händen, die Arme ausgebreitet, damit das Hemd nicht den Boden berührte. Der Hund hatte keinen Laut von sich gegeben. Der Mann beugte sich zu ihr nieder. Er sah ihr tief ins Augeninnere. Das ist ein Ausdruck, den meine Mutter manchmal verwendete. Wenn sie glaubte, ich hätte sie angelogen, sagte sie, schau mir tief ins Augeninnere. Irgendwann sagte ich zu ihr, da war ich acht und war schon voll der Empörung über unsere Familie, weil ich schon so viele Geschichten gehört hatte über die Brüder meiner Mutter, vor allem von denen außer dem Heinrich. Keiner so war, wie er sein sollte. Da sagte ich zu meiner Mutter, niemand redet so wie du, immer redest du so, wie niemand redet. Warum redest du so, wie niemand sonst redet? Und sie sagte, gib mir ein Beispiel und verurteile mich nicht. Und ich sagte zum Beispiel, schau mir ins Augeninnere. Niemand sagt, schau mir ins Augeninnere. Wenn einer schon so etwas sagen will, dann sagt er, schau mir in die Augen, aber nicht ins Augeninnere. Wenn einer schon so etwas sagen will, dann sagt er, schau mir in die Augen, aber nicht in die Augeninnere. Das habe sie von ihrer Mutter, sagte sie, von deiner Großmutter und sprach in einem Atemzug weiter, die so wie du war. Ich wurde noch wütender. Was heißt das, rief ich und stampfte auf. Was heißt das jetzt schon wieder? Immer redest du in Andeutungen. Und sie antwortete, pass auf, dass du nicht so wirst, wie sie. Guten Abend. Guten Abend. Gar nicht mehr wahr. Fünf Anmerkungen zu Monika Helfers Roman Die Bagage. Als Die Bagage im Februar 2020 erschien, wurde sie rasch zum großen Erfolg, sowohl bei der Kritik als auch beim Lesepublikum. Monika Helfer erhielt im selben Jahr den Solothurner Literaturpreis und den Bodensee-Literaturpreis und ausdrücklich für die Bagage den Schubart-Literaturpreis. Als wunderbares Stück Autofiktion, so der Spiegel, feierte man das Buch einer Autorin, die schon lange auf dem Buchmarkt präsent war, aber ähnlich wie ihre Verlagskollegin Sylvie Schenk sich ebenso lange unter dem Radar einer größeren Öffentlichkeit bewegt hatte, bis ihre schmalen, halb autobiografischen, halb fiktiven Bücher ihr eine neue Aufmerksamkeit bescherten. Ich will hier jedoch nicht über die Wechselfälle der Rezeption sprechen, sondern über den Text. Wie ist er organisiert? Welche Motivketten knüpft er? Wie gelingt es ihm, reale Personen in Literatur zu verwandeln? Ich vermute, Thomas Stangl hat recht, wenn er in dem von Kurt Neumann angeregten Dialog mit Anne Weber unter dem Titel Gute Literatur, böse Literatur behauptet, dass man von manchem echten Menschen mehr in einem Buch, einem literarischen Text findet, als in der Wirklichkeit. Und zwar durch diese andere, reflektierte Beziehung, durch die zeitliche Distanz, durch die Mechanismen der Identifikation. Eins, Bilder. Der Schutzumschlag von Monika Helfers Roman, die Bagage, zeigt das Bild einer jungen Frau, die ihrerseits ungeschützt wirkt. Es stammt von Gerhard Richter. Ein Akt. Über dem linken unter der Brust abgewinkelten Arm trägt die Frau ein weißes Tuch oder Kleid, auf dem Kopf eine turbanartige Kappe oder Haube. Sie blickt seitwärts nach rechts. Der Zusammenhang zwischen den unscharfen Konturen der Gestalt und Helfers Erzählweise liegt auf der Hand. Auch die Literaturkritik hat den Verzicht auf Klarheit und Vollständigkeit auf der Ebene der Aussagen sowohl hervorgehoben als auch gewürdigt und metaphorisch die bildende Kunst bemüht. Die Bagage sei ein komplexes Familienporträt, das an ein Mosaik erinnert, aus dem einige Steinchen herausgebrochen oder verblasst sind, Einige Steinchen herausgebrochen oder verblasst sind, andere dagegen in voller Farbigkeit leuchten. So Christel Wester im Deutschlandfunk. Ein Mosaik, das gerade in seinen Leerstellen bei der Leserin Lange nachwirke. Als Coverbild würde freilich ebenso gut ein Gemälde von Peter Bruegel passen, das ein ganz anderes Konzept von Gegenständlichkeit repräsentiert. Gleich zweimal ruft die Ich-Erzählerin ein Bild Bruegels auf, einmal die niederländischen Sprichwörter und einmal die Kinderspiele. Hell verzieht eine Parallele zu den Familienerzählungen über die Meinigen, in denen die Kinder als kleine Erwachsene erscheinen. Die für den Uneingeweihten absurd anmutenden Szenen, die niederländische Sprichwörter darstellen, erinnern die Ich-Erzählerin an für sie unverständliche, nicht aufschlüsselbare Geschichten aus der familiären Überlieferung. nicht aufschlüsselbare Geschichten aus der familiären Überlieferung. Die Verknüpfung zwischen Bild und Text, die Wechselwirkung zwischen Bilden der Kunst und Literatur durchzieht die Bagage von der ersten Szene an. Diese imitiert eine Malanleitung. Die Erzählinstanz erzählt scheinbar nicht, sie verweigert sich ihrem Amt und adressiert stattdessen im ersten Satz den Leser. Er soll das Seine beitragen, damit der Schauplatz ausgemalt, die Familie samt Haus und Vieh aufgestellt werde. Hier, nimm die Stifte, male ein kleines Haus, einen Bach ein Stück unterhalb des Hauses, einen Brunnen, aber male keine Sonne, das Haus liegt nämlich im Schatten. Gleich der erste Satz, erinnert mit einem Rufzeichen, macht unmissverständlich klar, dass die Familie, um die es geht, auf der Schatzseite des Tales und der Existenz zu Hause ist. und der Existenz zu Hause ist. Und gleich die erste Szene zeigt Maria und Josef Moosbrugger in ihrem Anderssein. Sie haben schwarze Augen und schwarze Haare. Sie trägt gern weiß, notabene die Farbe der Unschuld, eher schwarze Anzüge und weiße Hemden, wie wir später erfahren. Die anderen unten im Dorf tragen selten weiß, heißt es. Es ist in biblischen Namen zum Trotz keine heilige Familie, aber mit dieser verbindet sie ihre Armut. Die Wirklichkeit weht hinein in das Bild, kalt und ohne Erbarmen. Sogar die Seife wird knapp. Die Familie ist arm. Gerade zwei Kühe, eine Ziege, fünf Kinder, heißt es. Beinahe unmerklich hat die Erzählerin das Heft in die Hand genommen, ist vom Beschreiben zum Erzählen übergegangen. Am Schluss der kurzen Szene steht wiederum ein Bild. Ein Bild, das die heimliche Hauptfigur des Romans einführt und zugleich auch deren Unglück. Margarete, Grete, ist zwei Jahre alt und darf nur heimlich ins elterliche Bett schlüpfen, genauer nur ohne Wissen des Vaters, weshalb sie am Rand zu liegen kommt, an der Bettkante, exponiert und absturzgefährdet. Das Mädchen war meine Mutter, heißt es am Beginn des zweiten Abschnitts. Damit hat das Ich der Erzählerin seinen Auftritt und verknüpft die dargestellte Szene über die Mutter mit der eigenen Biografie. Das skizzierte Bild wird verlassen, das Präsenz der Bildbeschreibung vom Imperfekt der Erzählung abgelöst. Im Zusammenhang mit Bruegels Bauernbildern kommt die Erzählerin später noch einmal auf das Malen zurück. Ich habe es probiert. Ein bisschen kann ich malen. kann ich malen. Und sie malt sich die Farben ihrer Vorvergangenheit, ihres Schauplatzes aus, Erdfarben viel grün, seltenes Sonnengelb, weiß und schwarz nur für Josef. Die imaginäre Farbpalette endet mit dem rätselhaften Satz, ich habe Wasserfarben gemischt, bis sie auf meinem Unterarm von der Haut nicht zu unterscheiden waren. Das scheint mir ein bemerkenswertes Bild für das Bemühen um Authentizität im Rahmen autobiografischer Fiktion. Die Fleischfarbe, der Hautton, der irgendwann nicht mehr von echter Haut, echtem Fleisch zu unterscheiden ist, für dessen Gewinnung die Erzählerin in der Rolle der Autorin oder umgekehrt freilich die eigene Haut benutzen und zu Markte tragen muss. Im vorletzten Abschnitt des Romans fantasiert die Erzählerin in einer versöhnlichen Geste die Geschwister Schadebagage in Bruegels Kinderspiele hinein. Sie tolten über das Bild hinweg und ich stand davor und musste lachen. Dinge. Im 19. Jahrhundert hätte man einen Text für die Bagage wohl Novelle genannt, nicht zuletzt wegen der Bedeutung der Dinge für die Komposition des Ganzen. Das sind die Stoffe, die Maria liebt, wie auch die Erzählerin. Und unter diesen Stoffen vor allem einer, der rote, den der Bürgermeister ihr auf dem Jahrmarkt gekauft hat und aus dem sie schließlich doch kein Kleid schneidert. Da sind geheimnisvolle Päckchen, ausgetauscht zwischen Josef und dem Bürgermeister. Da ist der blaue Brief mit dem Einberufungsbefehl für Josef. Da ist ein Beutel, den Georg, der Fremde aus Hannover, Marias Sohn Lorenz für seine Mutter aushändigt, als Notgroschen für harte Zeiten und in dem sich, wie sich erst nach ihrem Tod herausstellt, kein Geld befindet, sondern ein Bergkristall und andere schöne Steine sowie ein Liebesgruß. und andere schöne Steine sowie ein Liebesgruß. Das sind Lebensmittel, die in Kriegszeiten zu Überlebensmitteln werden. Brot, Wurst, Käse, Speck. Auch der Titel des Buches hat mit Dingen zu tun, mit den Bürden, Lasten, die Josefs Vorfahren noch ohne eigenen Grund für die Bauern geschleppt haben und denen die Bagage sesshaft geworden, schließlich ihren Vulgonamen verdankt, der die Zweitbedeutung des Schimpfworts hat und am Ende zum Ehrentitel oder doch zumindest zur Respektsbezeugung mutiert. mutiert. Die allgemeingültige metaphorische Bedeutung der Bagage findet sich auch in Bruegel's Sprichwörtergemälde, wenn auch die Erzählerin nicht explizit darauf hinweist. Ein jeder hat sein Päckchen oder Bündel oder Binkerl hierzulande zu tragen, so lautet die Erklärung für einen gebückten Mann mit auf den Rücken gebundener Last. Vor allem aber ist es ein Ding, das hier bei der Schürzung und der Auflösung des dramaturgischen Knotens hilft. Und Tschechows berühmte Direktive, die da verkündet, ein Gewehr, das im ersten Akt an der Wand hänge, müsse im letzten auch losgehen, zugleich respektiert und widerlegt. Der sogenannte Finkstutzen. Es ist das Gewehr des Bürgermeisters, des gelernten Büchsenmachers, dass der neunjährige Lorenz im zweiten Anlauf zwar nicht gegen diesen abfeuert, aber mit dem er ihn doch bedroht und zu guter Letzt in die Flucht schlägt. Das Geschenk des Gottlob Fink an seinen Freund und Geschäftspartner oder Komplizen Josef richtet sich also gegen den Geschenkgeber und dient dem Schutz von Josephs Frau, wenn auch nicht von deren Ehre, welche nach der öffentlichen Meinung bereits von anderer Seite befleckt wurde. Später benutzt Lorenz es als Wilderer zur Versorgung seiner Geschwister. Versorgung seiner Geschwister. Die Kontrastgeschichte dazu, man könnte sie eine Räuberpistole nennen, erzählt Georg dem kleinen Lorenz über einen Raubüberfall, den er mit einem Freund begangen haben will, bei dem dieser vom Geldboten erschossen worden sein soll. Lorenz soll das erbeutete Geld für den Verehrer seiner Mutter aufbewahren. Doch er glaubt ihm die Geschichte nicht. Und er scheint damit richtig zu liegen, denn von der angeblichen Beute ist nie wieder die Rede. Drei Orte Die wichtigste Ortsangabe im Roman ist die über die Lage des kleinen Hauses der Bagage. Am letzten Ende, hinten, oben. Mit der Topografie ist die soziale Stellung der Familie hinlänglich definiert. Sie haust am Rand, sie gehört nicht dazu. In Umkehrung der hierarchischen Verhältnisse hat sich der unterste aller Berufe, wie es heißt, ganz oben angesiedelt, wo der Boden am kargsten und billigsten ist. Monika Helfers Roman ist so etwas wie die augensinnfällige Gestaltwerdung des Begriffs Marginalisierung. Er zeigt auch, wie die notgedrungene Positionierung sich als selbstgewählt darstellen und die Scham der Betroffenen sich in Stolz verkehren kann. In der Kirche besetzt die Bagage die letzte Bank. Alle, auch Josef, auf der Frauenseite. Die zwei, drei Reihen vor ihnen bleiben leer. Warum haben sich meine Leute immer absichtlich abgesondert? Warum? Warum blieben sie hinten in dem Tal, ganz hinten obendrein? Schließlich gibt es das Angebot des reichen Schwagers, zu ihnen in die Gemeinde L zu ziehen. Schließlich gibt es das Angebot des reichen Schwagers, zu ihnen in die Gemeinde El zu ziehen. Sogar bis Bregenz reichen seine hochfliegenden Pläne. Aber nein, die Bagage bleibt an ihrem Platz. Die Gliederung des Ortes entspricht einem archaischen Modell des Dorfes, wie es uns etwa eindrücklich im Werk Theodor Kramers begegnet. Kramer, Jahrgang 1897, schildert in seinen Gedichten ein Dorfleben im Weinviertel, das geprägt vom großen Krieg, dem im Prägenzer Wald stark ähnelt. Glied am Rand heißt ein Zyklus und das Gedicht Josepha ist der Dorfhure gewidmet. Denn die Situierung am Rand ist nicht nur mit einer sozialen, sondern vielfach auch mit einer moralischen Abwertung verknüpft, insbesondere für Frauen. Wo hinterm Dorf sich das schillernde Rinnsaal verdickt, liegt ein Stück Feld aus den Nieder-Nakazien gezwickt. Dort hat am Hohlweg Josepha ihr winziges Haus. Und die letzte Strophe. Ob die Akazien blühen, ob die Disteln verwehen, keiner im Dorf hat sie jemals sich klein machen sehen. Samt ihrem Haus, ihrer Geiß, ihrem kleinen Stück Feld zählt auch Josepha sich füglich zum Dorf und zur Welt. Während die klassische Heimatliteratur um 1900 im Zuge der Heimatkunstbewegung vom Zentrum ausgeht, vom im Boden verwurzelten Bauern, interessieren Autoren wie Kramer sich für die Peripherie, die Randlagen des Dorfes, wo nicht sesshafte, deklassierte und wurzellose, wie Ziegel- und Wanderarbeiter oder eben Lastenträger, sich meist nur vorübergehend niederlassen. Kastenträger, sich meist nur vorübergehend niederlassen. Diese Perspektive vom Rand übernimmt Helfer. Der Blick ihrer Erzählerin ist mit der Bagage von deren Hof ins Tal hinunter bis zum Kirchturm gerichtet, von dem aus man zu ihnen eine gute Stunde hinaufzusteigen hat. Ihr Gespür für Räume beweist Monika Helfer auch in der Art und Weise, wie sie das Innere des kleinen Hauses inszeniert, wie der Bürgermeister seinen Platz in der Küche besetzt und damit unausgesprochen die Anwartschaft auf das angrenzende Schlafzimmer anmeldet, wie er übergroß in der Beengtheit die Kinder buchstäblich an die Wand spielt, bis Lorenz die Kräfteverhältnisse umdreht. Das reale und das imaginierte Haus sind auch im Zusammenhang mit dem anderen, dem gern gesehenen Gast, im Text präsent. dem gern gesehenen Gast im Text präsent. Georg bittet um Einlass in die Stube, er wird ihm gewährt. Fortan wird das Haus zur Bühne für Fantasien, die die Erzählerin, indem sie sie verwirft, erst recht befeuert. Denn Georg und Maria treten so früh aus dem Haus, dass einer, wie es heißt, der zufällig zugeschaut hätte, und den gibt es ja, muss man sagen, im Dorf immer, dass einer meinen hätte können, der Mann sei über Nacht geblieben. Die Erzählerin deklariert sich an dieser Stelle nicht eindeutig. Ihre Frage ist, stellvertretend für die Dörfler, noch mit gespielter Naivität und also Hinterlist gestellt. Aber wo in dem kleinen Haus bitte hätte ein Fremder schlafen sollen? Vier Körper. Schmerz und Lust des Körpers grundieren diesen Roman. Seine sinnliche Dichte wird dabei nicht historisiert, sondern im Gegenteil über den Körper der Erzählerin auf der Gegenwartsebene aktualisiert. In der Struktur der Erzählung wird dies an einer unscheinbaren Stelle zum ersten Mal deutlich. Mitten in der Beschreibung der Farbpalette für die Kindheitswelt ihrer Jänner an der Türschnalle hängen, angefroren und habe mir ein Stück Haut abgerissen. Es ist dies Helfers literarische Methode, die Kontinuität der Erfahrung nicht zu behaupten, sondern zu zeigen. Die Zunge ist das Organ des Sprechens, des Schmeckens und des Küssens. Die frühe Verletzung durch Kälte sorgt dafür, dass das Körpergedächtnis den Schmerz bewahrt über alle Lust hinweg. Wann immer von der Lust der jungen Großmutter die Rede ist, bleibt auch die Erfahrung der Enkelin im Blick, die die Horizonte beider immer wieder aufs Neue in eins führt. Als Mädchen hatte sie sich vor sich selber geschämt, weil die Lust ihr so wichtig war. Sie war eben, was sie war, heißt es über Maria. Sie war eben, was sie war, heißt es über Maria. Die auffälligste Verbindung schafft die Autorin durch den Biss, den Maria Georg vor dem großen und nach der Überlieferung einzigen Kuss zum Abschied zufügt. Ein Biss in die Hand, es fließt Blut. Es heißt, ein kurzer Fluch, dann küsste er Maria und sie ließ es, starr und still und glücklich. Und er konnte nicht damit aufhören. In diesem Akt werden Schmerz und Lust ganz offenkundig eins. Küsse, Bisse, das reimt sich. Und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andere greifen, lesen wir in Kleists Penthesilea. Die Erzählerin knüpft an die Geschichte von Georgs und Marias Kuss mit einer eigenen an. Sie habe ihren ersten Freund ebenfalls in die Hand gebissen, ohne damals von dem Biss ihrer Großmutter gew Strafe als von einem Liebesbeweis. Es geht um eine komplizierte On-Off-Beziehung. Und die Erzählerin beschreibt prägnant die Phase der Loslösung, die durch einen gemeinsamen Besuch beim alten Karl Jaspers in Basel eingeläutet wird. in Basel eingeläutet wird. Eine so Unschuldige wie sie habe der Freund ihres Wissens noch keine gehabt, sagt eine wohlmeinende Frau auf einer Party zu Ehren des Philosophen. Sie kennen mich doch überhaupt nicht, sagte ich. Gegen die einfachen Urteile positioniert Helfer auch ihre Protagonistin Maria. Die ist, wie sie ist, ohne deshalb Ehebrecherin zu sein. Nicht nur für sie ist die Liebe nicht ohne Körper zu denken. Für Georg spricht allein nur die Lust. Auch für die vier Männer, deren Begehren zum Gegenstand des Romans wird. Josef hat kein Wort für die Liebe, weil es in der Mundart nicht existiert. Doch er und Maria vergewissern sich ihrer im physischen Vollzug. Der Bürgermeister beschränkt sein Verlangen, nicht ohne Scham, auf die sexuelle Ebene. Helfer komponiert ein Crescendo der Zudringlichkeiten, von der sacht übergriffigen Marktfahrt nach L bis zur beinahe Vergewaltigung und setzt ein Paradoxon. Die Berührung des nackten Körpers der Begehrten steht nicht am Ende, sondern ziemlich am Beginn und noch unter Vorgabe der Unschuld und des Samaritertums. Der Bürgermeister leistet sozusagen erste Hilfe. Der Fremde aus Deutschland projiziert sein Begehren auf eine eheliche Zukunft, in der er Josefs Platz einnehmen wird. Und der Briefträger sublimiert es in interesseloser Nächstenliebe. Auf der anderen Seite erscheint die vom Vater radikal verweigerte Berührung des vermeintlichen Kuckuckskindes Grete als unverdiente Strafe. Sie wird freilich auch der älteren Tochter Katharina zuteil. Vergeblich ersehnt sie die Küsse und Umarmungen von früher. Der Krieg hat den Vater deformiert. 5. Lebensläufe Franz Michael Felder, Bauer und Schriftsteller aus Schoppernau im Pregenzer Wald, schreibt 1869, Auch für den ruhigsten Menschen ist es gefährlich, für etwas Besonderes zu gelten. Die in die Bagage nachgezeichneten Lebensläufe stehen allesamt im Zeichen des Besonderen. gezeichneten Lebensläufe stehen allesamt im Zeichen des Besonderen. Dieses offenbart sich in der implizit oder explizit anerkannten Schönheit der Großmutter wie der Enkelin. Die Schönheit des Großvaters gilt nicht als problematisch. Im sozialen Status der Bagage, ihrem Verhältnis zum halblegalen und verbotenen in ihrer Sprache. Meine Großmutter hatte gar keine Chance, nicht etwas Besonderes zu sein, sagt die Erzählerin und gesteht später, sie habe diesen Satz von jener Frau auf der Basler Party geklaut, die ihn auf sie gemünzt habe. Dass die Schönheit, dass überhaupt das Besonderssein über die Schicksale der Familienmitglieder in Form eines Fluches verhängt sein könnte, da spricht die Erzählerin nicht aus. Es scheint vielmehr, als würde sie sich davon distanzieren, weil sie dem bösen Pfarrer diesen Verdacht formulieren lässt, dass ein so schönes Gesicht nicht der Herrgott gemacht haben könne, womit nur der Teufel in Frage kommt. Doch allein durch den getreulichen Bericht all der Schicksalsschläge und frühen Tode in dieser Familie nährt die Erzählerin die mythische Vorstellung vom Fluch. Der Tod der Großmutter mit 32 an Blinddarmentzündung und des Großvaters, der äußerlich heil aus dem Krieg zurückgekehrt, ein Jahr später einer Blutvergiftung zum Opfer fällt. Das Unglück der Waisen, der Tod der Mutter Grete an Krebs, die gewaltsamen oder unnatürlichen Tode von Onkeln, Tanten, Nichten, der Unfalltod der 21-jährigen Tochter Paula beim Wandern, all das erscheint als unheilvolle Verkettung. Helfer schmückt es nicht aus, im Gegenteil, sie setzt scheinbar ungerührt den biografischen Zeitraffer ein, notiert lakonisch die Fakten. Eines Tages wird Onkel Lorenz von einem betrunkenen Autofahrer überfahren und Onkel Walter ertrinkt im Bodensee. So sehr Helfer hier jede deutliche Deutung vermeidet, so sehr betont sie Ähnlichkeiten und Verwandtschaften im Eigentümlichen über die Generationen hinweg. Wenn die Erzählerin unter dem Anderssein leidend ihrer Mutter vorwirft, sie würde anders reden als alle, sagt diese, das hätte sie von ihrer Mutter und kontert, die war wie du. Meine schöne Großmutter war Vorbild und Vorwurf. Nur folgerichtig, dass die Erzählerin das Stoffmusterbuch Marias erbt. richtig, dass die Erzählerin das Stoffmusterbuch Marias erbt. Und sie gibt quasi die Stafette weiter, wenn sie im Bedenken der einstmals negativen Konnotationen des Attributs lebhaft über ihre Tochter Paula meint, sie war die lebhafteste von uns allen, gleich lebhaft wie meine Großmutter. Monika Helfer konstituiert die Besonderheit ihrer Figuren über ihre Sprechweise, über ihren Familienjargon, ihre zum Teil enigmatischen Redensarten. Bedarf etwa die Wendung, wer sich entschuldigt, ist schuldig, keine Erklärung, so kapituliert das Ich vor Tante Kates Lieblingsspruch. Wir haben alles gehabt und das meiste war uns nicht vergönnt. Vielleicht lässt er sich ja als resignative Einsicht in die Missgunst der Außenwelt interpretieren, die von der Bagage als feindlich empfunden wird. Durchaus im Sinne von Franz Michael Felder, der die katholische Kirche ebenfalls als Widersacherin des Underdogs erlebte. In Aus meinem Leben resümiert Felder, der den einmal die öffentliche Meinung verurteilt oder auch nur auf die Seite wirft, stellt sich, wenn es ihm nicht ganz an Selbstgefühle fehlt, nur zu leichten Mächtigen gegenüber, die hier allen und vielen die einzigen Erzieher und Führer durchs Leben sind. Ganz ähnlich ist auch die Bagage eine Abrechnung mit dem wie ehedem wirkmächtigen Dämon der öffentlichen Meinung, die, so Felder, besonders gegen Reiche in vielen Stücken unglaublich nachsichtig ist. Monika Helfer beschreibt das Wechselspiel von verachtet werden und verachten als Folge eines, um es zeitgenössisch technisch zu sagen, transgenerationalen Traumas, zudem auch die umfassende Gewalterfahrung des Krieges gehört. Wann und wo endet die Bagage? Gehören meine Kinder noch dazu? Gehört mein Mann dazu? Die entscheidende Frage ist natürlich, wie diese Schicksale von der Autorin verknüpft und wiederum entflochten werden. Voraussetzung dafür ist eine Neugier, die sich auch auf Vergangenes richtet. Wenn Maria sich auf den Jahrmarkt freut, weil es dort Leute zum Anschauen und zum Belauschen gibt, das tat sie so gern, dann darf man das auch auf die Erzählerin, ja sogar auf die Autorin übertragen. Weil Helfer der linearen Ordnung der Erinnerung prinzipiell misstraut, wäre das nicht eine Lüge, heißt es, dient Peter Bruegel als Vorbild für ihre erzählerische Methode. Mit der anschaulich gemachten Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem. Ungleichzeitigem. Es geschieht nebeneinander, auch wenn es nacheinander geschieht, steht da. Ganz selbstverständlich setzt Helfer zwei Zeitebenen in eins. Katharina hüpfte herein, die meine strenge Tante Katha werden wird. Die Gewehrsleute der Erzählerin schieben sich mit ihren Schicksalen in die Erzählung. Helfer komponiert mit Konzentration, aber dem Novellencharakter durchaus adäquat, auch mit Wiederholungen und in der Mikrostruktur mit feinen Verschiebungen der idiomatischen Norm und schafft Raum für Witz und Hintersinn. Letzten Endes geht es bei der Rekonstruktion der Lebensläufe auf der Bühne der Autofiktion um eine Referenz gegenüber den Toten. In einer imaginären Familienaufstellung sieht sich die Erzählerin an der Herzseite ihrer stummen Mutter, neben ihrer Tochter Paula. Sie begleitet mich jeden Tag und den ganzen Tag, genauso wie meine Mutter. Das ist kein sanfter Hauch von Melancholie, so der Kritiker Carsten Otte, das ist tiefe, unverjährbare Trauer. Die Großmutter Maria Moosbrugger als eine Ikone selbstbewusster Eigenart und Devianz in patriarchaler Rahmung scheint bei aller Skizzenhaftigkeit leibhaftig anwesend. Denn, so sagt Thomas Stangl, bei der Transformation in einen literarischen Raum verliert eine Person etwas und etwas kommt zu ihr hinzu. Dieses etwas sollte ein Mehr sein. Sie kann Flügel bekommen, befreit sein von ihren realen Verhältnissen, ihren realen Fesseln, ihrem realen Tod. Eine solche Familiengeschichte emanzipiert sich von der biografischen Wahrheit, um so eine höhere Wahrhaftigkeit zu erlangen, könnte man sagen. In den Worten von Thomas Stangl, es ist alles lange her und weit weg und gar nicht mehr wahr, wie man bei uns über längst Vergangenes sagt. Was gar nicht mehr wahr ist, kann auch nicht verfälscht werden. Es gehört der Autorin. Applaus Wir haben diese Veranstaltung gestern in Wien gehabt und heute ist mir an den Text und auch an den Ausführungen von der Daniela Strickl eigentlich ganz was anderes aufgefallen als gestern. Weil eigentlich ist dieser Text ja, so sagen, eigentlich eine permanente Frage und er gibt ja nie Antworten. Also es ist ja immer so, dieses Nachfragen der Perspektive, auch bei dieser einleitenden Passage. Die Leute im Dorf fragen sich die ganze Zeit, oder die glauben, da ist Gewalt, die Diktatur ist es aber gar nicht, dass der Fink, der Bürgermeister, dem Josef den Stutzen schenkt. Da heißt es wörtlich, das sagt etwas, aber keiner weiß, was es sagt. Also es ist eigentlich eine dauernde Spekulation und letztlich auch die entscheidende oder eine der Fragen, die im Zentrum stehen, wer ist eigentlich der Vater von der Mutter? Da gibt es auch so eine unglaublich ambivalente Geschichte, die Daniela hat zitiert. Er geht zu einem Zeitpunkt, wo man meinen könnte, er hat die Nacht verbracht, aber es ist nicht sicher. Und immer an den entscheidenden Punkten verwischt sich da irgendetwas eigentlich, oder? Die Wahrheit wird nie befriedigt. Das ist natürlich für den Leser auch ein Problem wahrscheinlich. Wann weiß ich endlich, was los ist? Also, ich finde das ganz gut, wenn es offen bleibt. Ja. Weil ich wundere mich ja selber beim Schreiben. Du weißt das selber nicht? Ja. Es könnte möglich sein. Das finde ich spannend. Niemand redet so gern über Sachen, die man nicht genau weiß. Das ist das Spannendste. Wenn Tatsachen da liegen, dann gibt es nichts zu reden. Aber du lieferst eigentlich die ganze Zeit Indizien und nie einen Beweis. Also es ist immer nur Indiz, Indiz, Indiz könnte so sein, könnte anders sein. Teilweise ist das völlig irrsinnig, was die im Dorf denken. Also das wird dann sozusagen anhand der Familientradition zu Schanden. Und irgendwie, es bleibt immer offen. War. Und irgendwie, es bleibt immer offen. War das so irgendwie, eigentlich baust du ja, indem du etwas erzählst über diese Bagage, immer das Geheimnis auch wieder auf und immer wieder auf. Ich finde es gut, wenn es nie klar herauskommt. Es hat ja auch etwas Detektivisches. Also ich meine, wie war es denn wirklich? Also erzählen Sie jetzt nicht um den Brei, reden Sie nicht um den Brei, sagen Sie, wie es wirklich war. Aber ich will es nicht sagen. Weil die Leser sollen entscheiden oder sollen sich ihre Meinungen bilden. Das finde ich viel interessanter. Ich meine, auch die gesellschaftliche Stellung von dieser Bagage, das ist mir heute aufgefallen. Ich meine, ja okay, also die sind einerseits die, die am letzten gekommen sind, also die soziale Stellung ist ziemlich genau markiert, die haben ja das letzte Haus dort irgendwie, wo es nicht mehr fruchtbar ist, aber andererseits haben sie ja auch irgendwie viel mehr zu bieten, als die Leute da im Dorf. Und es gibt eigentlich so unerklärbare Seltsamkeiten. Also was ist denn das zum Beispiel mit diesen komischen Geschäften da mit dem Bürgermeister? Und warum schickt ihr ihm diesen Stutzen? Und außerdem, dann haben sie ihre Schönheit die ganze Zeit, die die nicht haben. Also sie sind ja auch nicht so gesellschaftliche Außerseiter. Sie sind ja in gewisser Weise total privilegiert. Ja gut, es ist einfach so, sie sind trotzig und stolz und das ist das Einzige, was sie haben. Und die Geschäfte, da habe ich mir lange überlegt, soll ich da... Es ist was Kriminelles, das ist klar. Also da läuft irgendetwas. Ich meine, einmal heißt es ja auch, er frisiert die Buchhaltung und so. Also da wird halt betrogen und gelogen. Wie es damals auch üblich war, wie es jetzt üblich ist. Also da weiß man ja nichts genau. Sie wissen ja auch nicht genau, wie die Sachen von diesem Benko laufen. Wir sehen ihn ja nur dauernd und hören ihn. Aber das sind ja jetzt keine Benkos irgendwie, nicht? Nein, aber irgendwie sind sie auch verlogen. Was soll ich sagen? Wir sehen ihn ja nur dauernd und hören ihn. Aber das sind ja jetzt keine Bankos irgendwie, nicht? Nein, aber irgendwie sind sie auch verlogen und was soll ich sagen? Nein, weil ich denke mir, das sind die Armen. Aber auch in der Einleitungspassage, wo du sagst, die sind weiß angezogen und sonst ist niemand weiß angezogen dort eigentlich. Nicht einmal am Sonntag sind die anderen weiß angezogen. Also das ist eigentlich ein Merkmal, das sie eigentlich gegenüber die anderen in eine privilegierte Rolle bringt. Dann können sie alle rechnen. Warum können die alle rechnen da hinten? Also sie sind so gut in frisierter Buchhaltung. Ja, genau. Und dann haben sie, ich weiß nicht, ich habe einmal so eine Soziologievorlesung gehört, als ich angefangen habe zu studieren. Und dann hat der Schwarze, der geheißen hat, gesagt, es gibt sozusagen zwei so soziologische Grundbestimmungen. Das eine ist Sicherheit und das andere ist Freiheit. Und die im Dorf sind, die haben alle die Sicherheit und das ist halt ein total fadiges Leben. Aber die Nomaden, die noch in den Bergen leben, die haben noch so Freiheit. Und du hast ja auch diesen wilderen, dass die da einfach irgendwie oder Lorenz zumindest sich einfach die Freiheit herausnimmt da wild zu schießen er ist selbstherrlich, wie der Vater und dass das einfach akzeptiert wird und da ist auch so eine total spannende Szene, wo sich der Lorenz der dann die Familie ernährt, obwohl er nur der zweitälteste Sohn ist, das eigentlich durch stumme Gesten mit der Jägerschaft ausmacht. Also er trifft auf die Jäger da im Wald und irgendwie ist klar, der Lorenz hat das verdammte Recht zu jagen und die werden ihm das zugestehen. Die Jäger haben Angst vor ihm, weil sie wissen, jeder Jäger wird sich hundertmal überlegen, ob er einen Menschen erschießt, aber der Lorenz würde einfach, also der Lorenz würde einfach schießen. Erstens ist er doch ein Kind und er ist völlig amoralisch. Also da hat er, hätte er kein Problem und das wissen die Jäger. Und darum ist diese stumme Abmachung da. Aber eigentlich ist es ja ein Gesellschaftsroman. Also wenn, so sagen wir mal, das ist ja nicht nur ein Familienroman, sondern eigentlich in all diesen Dingen wird ja gesellschaftliches, oder, Daniela? Wird ja eigentlich gesellschaftliches verhandelt. Ich glaube, dagegen kann sich die Autorin jetzt nicht wehren, dass es ein Gesellschaftsroman ist. Und das Besondere ist eben, dass es in diesem kleinen Ausschnitt, also das ist ja zeitlich ein kleiner Ausschnitt, beziehungsweise es sind natürlich mehrere Zeitebenen, aber jeweils ein kleiner Ausschnitt, und räumlich ist es auch ein noch kleinerer Ausschnitt, dieses Dorf. Und dann später in der Gegenwart gibt es natürlich auch noch so Spotlights. Aber dass darin eben sich etwas spiegelt, wofür andere hunderte Seiten brauchen, das hat mich beim ersten Lesen beeindruckt, dass eben so viel zwischen den Zeilen steht. Das ist natürlich wirklich die Methode, dass Dinge angedeutet werden und dass die Fantasie, unsere Fant dann auch eben diese Indizien, die du erwähnt hast, dass man die auch sammelt und im Kopf diesen Prozess, das ist ja auch raffiniert gemacht, dass man unwillkürlich den Prozess gegen diese Frau im Kopf führt. Und das hat mich eben auch an Franz Michael Felder erinnert, wo die öffentliche Meinung so eine große Rolle spielt. Franz Michael Felder erinnert, wo die öffentliche Meinung so eine große Rolle spielt. Also diese öffentliche Meinung, die vor allem natürlich von der katholischen Kirche damals und eben auch noch zur Zeit des Ersten Weltkriegs maßgeblich bestimmt wurde, aber der Pfarrer ist ja ein Kind, sagt er, der wird in die Hölle kommen. Also der Pfarrer ist ja ein ganz mieser Typ, der selber einfach ein schlechter Mensch ist. Viel schlechter als die meisten seiner Schäfchen. Ja, das denkt er aber nicht. Ich meine, in diesem engen Tal wird natürlich viel geredet und da geht ja nichts nach außen. Man hat das Gefühl, es ist so eng, also wie das Tal, es geht immer nur. Und es ist auch so, dass ich schreibe und eigentlich oft gar nichts denke. Muss ich ehrlich sagen. Also wenn ich so Fragen bekomme und dann muss ich sagen, es ist halt so passiert. Ich habe gar nicht so, ich habe schon, also nicht so herumgetan. Ich habe einfach geschrieben. Es ist auch oft ein Glücksfall, wenn etwas gelingt. Das weckt natürlich schon einen Verdachtacht, was du so erzählst. Man könnte ja meinen, vielleicht ging es eher darum, rhetorisch Dinge auf den Punkt zu bringen und nicht unbedingt die Wahrheit über diese Familie zu erzählen. Ja, um die Wahrheit geht es mir sowieso nicht. Was ist die Wahrheit? Ja, aber man hat ja die Vorstellung, die sind reale Figuren und die werden da zum Leben erweckt irgendwie und natürlich wird alles total überzeichnet und auch der Pfarrer, wo ja sozusagen Teile der Gemeinde sich dann schon gegen diese Bösartigkeiten und diese Denunziationen richten, die er so verbreitet, also wo er so eigentlich den Rückhalt in der Gemeinde schon verliert, durch seine übertriebene Art, diese Bagage zu ächten, da irgendwie, und die Wahrheit zu suchen oder darunter stellen. Aber in diesen Dörfern, und das merkt man ja auch bei Franz Michel Feller, ist es ja so, also die Pfarrer, also die Geistlichen und die Ärzte, die waren ja die Heiligen im Dorf. Also beim Franz-Michel-Feller gibt es ja diese traurige Tatsache, der hatte ein kaputtes Auge und der betrunkene Arzt hat ihm das gesunde Auge operiert, also so, dass er schlussendlich kaum mehr etwas gesehen hat. Das finde ich schon, das gab aber keinen Trara daran, das war einfach so, die waren heilig, also Ärzte und das ist in der Stadt undenkbar eigentlich. Und die Daniela hat ja diesen entscheidenden Satz da von Felder auch zitiert oder einen der entscheidenden Sätze, es ist das Schlimmste, was passieren kann, wenn du was Besonderes bist. Ja, das stimmt. Aber nur die Bagage ist halt irgendwie in vielen Dimensionen gerade etwas Besonderes. Und es kommt ja auch im Text vor irgendwie, dass es unvermeidlich ist, schon an den Jungen, an den Kindern, dass sie was Besonderes sein werden. Also das ist ihnen vorbestimmt geradezu als Schicksal. Aber hätte man sie gefragt, die Leute eben darauf, ob sie so sein wollten, wie die Bagage, dann hätten sie gesagt, niemals. Es ist nicht so, dass sie tauschen wollten mit denen, es ist einfach ein Bild, das man immer anschauen kann. Naja, aber sexuell war das ja unglaublich attraktiv, also sie wollten ja alle ins Bett mit ihr. Ja klar, aber der Gedanke ist auch schon viel. Ich meine, die Vorstellungskraft wird wahrscheinlich unterschätzt. Aber es ist wirklich fulminant, dass du diese Ambivalenzen so schnell herstellst. Der Bürgermeister bekommt von dem Josef den Auftrag, pass auf die Frau, und das Erste, was er macht, ist, mit ihr am Jahrmarkt zu fahren und zu schauen, wie weit er gehen kann. Und es wird ja eigentlich nichts vorgegeben und nichts faktisch erzählt, sondern eigentlich alles permanent in so Situationen zwischen den Figuren ausgehandelt. Ja, es wird auch behauptet. Ich meine, es ist auch, der Josef muss ja wahnsinnig naiv gewesen sein, dass er sich nicht gedacht hat, der Bürgermeister, ich meine, das ist ein Vollblutmann, der wird sich da auf meine Frau stürzen. Das wollte er gar nicht wissen, weil er sich gedacht hat, die gehört mir. Mein Eigentum wird niemand angreifen. Das ist auch dieses Machoverhalten. Der hat sich das nicht gedacht. Ich glaube, der war auch nicht eifersüchtig. Aber es ist der klassische Bock als Gärtner, nicht? Ja, genau. Er hat den falschen Beschützer ausgesucht. Ja gut, es gab ja sonst auch niemand. Und ich meine, die Maria hat ja auch irgendwo die Raffinesse, dass er sich denkt, ich meine, der gibt uns was. Also ein bisschen nett müsste ich vielleicht doch zu ihm sein. Also nicht übertrieben. Aber das ist genau der Punkt, der ist auch unglaublich spannend, dass dauernd verhandelt wird. Es wird dauernd etwas verhandelt, wie weit man gehen kann, was hinzusteht irgendwie, auch als der Lorenz dann kommt mit der Büchse in die Stube irgendwie. zu nehmen und dann versucht er trotzdem noch, das ein bisschen hinauszuzögern und sich Zeit zu lassen. Und es ist immer sozusagen irgendwie eigentlich der gesellschaftliche Raum und die Verhaltensmöglichkeiten werden dauernd ausgehandelt. Und man muss stark sein im Verhandeln dieser Dinge. Der Josef ist natürlich stark, weil er ein Kind ist. Ein Kind kann ja auch einen Mord begehen. Mit der Lorenz. Also das ist dieses, der denkt nicht an Bestrafung. Vielleicht, ich habe mir jetzt gedacht, vielleicht spielt dieses Rhetorische oder diese Dialoge spielen vielleicht wirklich auch eine Rolle für diese für diese Prägnanz und für das, was mitschwingt. Also wenn du sagst, dass du das nicht so zielgerichtet geschrieben hast, dann kommt mir vor, es würde das über die Dialoge sehr viel entwickelt werden. Ich stelle mir das so vor, dass beim Schreiben der Dialoge entsteht eine Situation. Die sprechen also miteinander und es klingt immer sehr viel mit. Es entwickelt sich aus diesem Ping-Pong, entwickelt sich eben dieses, was du Verhandeln nennst. Ich finde das auch spannend. Ich finde das in jeder Situation des Lebens spannend. Auch wenn ich einen Film anschaue, interessiert mich ja nicht mehr der Subplot als der Plot, weil was hinter den Worten steht. Also jemand redet mit dir und sagt etwas und ich denke mir, und was meinst du wirklich? Also es ist immer diese Argumenta oder diese Unsicherheit. Also es wird nie hundertprozentig geglaubt. Aber das wäre auch eigentlich mein Ansatz, dass diese Verhandlungssituationen, diese Dialogsituationen, das sind dann Situationen, die sich nicht 1914 oder 1918 abspielen, sondern die spielen sich in dem Moment ab, wo du das evozierst und wo du dich selber als Schreibende reinstellst. Und auch in dieser Beginnszene, da wird jetzt erst einmal das Panorama ganz kurz entworfen und dann kommt der Hinweis, es passiert gerade jetzt. Also gerade jetzt, es ist irgendwie so aktualisiert und es wird eigentlich nicht, das ist nicht etwas Historisches, kein historisches Erbe, das man übernimmt, sondern das ist etwas, was im Augenblick der Fiktion und des Erzählens eigentlich erst stattfindet. Oder war das so? Das war so, weil ich musste mir erst klar machen, wie sieht das aus, was ich beschreiben will? Also was ist das für ein Bild? Ich habe mir wirklich vorgestellt, es ist eine Zeichnung. Und dann kann ich in diese Zeichnung hinein und dann, das habe ich schon so gemacht. Ich meine, es gibt ja auch viele Autoren, die über Fotos schreiben oder über Bilder schreiben. Das finde ich auch sehr spannend, weil da entwickelt man auch etwas, was hinter den Gesichtern oder hinter dem Bild ist. Hattest du so die Vorstellung dieser Familienaufstellung, dass das wirklich so an einer Stelle, spricht ja die Erzählerin davon, aber hattest du so auch dauerhaft das Gefühl? Nein, ich hatte dort, als ich das geschrieben hatte, hatte ich das Gefühl von Familienaufstellung. Also mir persönlich ist Familienaufstellung ein Horror. Ich würde das nie machen. Du hast das auch nie gemacht? Nein. Nein? Aber einfach die Tatsache, dass es so etwas gibt und dass man das machen könnte und dass man sich denkt, da kommt eine Wahrheit heraus. Also wie kann man sich sowas denken? Was für eine Wahrheit soll das sein? Die Wahrheit war entweder da oder ist da. Die ist doch nie da. Es fällt mir natürlich ein, dass der Peter Handtke natürlich in Immer noch Sturm, da ist es ja ein Fünf-Stunden-Stück oder ein Vier-Stunden-Stück, und das Herangehen ist Familienaufstellung und ich bin aber sozusagen als erwachsener Autor Teil dieser Familienaufstellung. Das ist das, was auf die Bühne gebracht wird. Und bei ihm wird das sozusagen unglaublich produktiv gemacht und bei dir wird es eigentlich nur so angedeutet. Mir ist das nicht ganz koscher, die Familienaufstellung. Aber vielleicht hat der Handgeher auch einen stärkeren Authentizitäts- oder Wahrheitsbegriff hinter dem Ganzen. Ich glaube schon. Vielleicht eher Spielfiguren. Ich habe nicht das Gefühl, dass du jetzt verfolgt bist von den Figuren, die du da entworfen hast. Nein, überhaupt nicht. Das sind eher so literarische Produkte. Ich bin befreundet mit denen, ich habe es gut mit denen, aber ganz normal. Also ich tue da nicht noch Butter drauf. Haben Sie Anmerkungen, Fragen an die Monika Helfer? Gelegenheit ist günstig. Alles gesagt. Die Daniela hat alles so wunderbar schon gesagt. und du hast auch gesagt, du hast von Trotz und Stolz gesprochen, weil es über die Familie wieder hinausgehend das Gesellschaftsbild, ja. Das finde ich nämlich sehr spannend, weil das eben auch, welcher Klasse gehören die an? Das ist keine richtige Klasse, das sind eigentlich marxistisch gesprochen, ja, die Klassierte oder eben Lumpenproletariat, also die sind ja keine Bauern, sie sind keine Arbeiter, sie sind so dazwischen, aber sie haben eben diesen Stolz und ich finde, das ist im Detail so schön gezeigt, also was du vorhin gesagt hast, sie haben kein Unrechtsbewusstsein. Sie sind amoralisch. Ja, sie sind amoralisch. Und das erinnert mich daran, dass ja bei Schopenhauer kommt das vor, die Beschreibung von, was ist Gerechtigkeit, was wird als gerecht empfunden, dass man zum Beispiel als Wilderer nicht die bürgerliche Ehre verloren hat. Also das ist ein Verbrechen, wo irgendwie das Gefühl sagt, das ist in Ordnung, weil das Wild gehört nicht einem einzelnen Menschen. Das Wild ist sozusagen naturrechtlich, gehört allen. Und diese Familie, diese Bagage, die nimmt dieses Naturrecht für sich in Anspruch und wenn jetzt der Bürgermeister kommt und er ist der Starke und er übt Gewalt aus, dann ist es so ein bisschen David und Gohl, beim Lesen hat man so dieses Gefühl, ah, der David gewinnt jetzt, super. Und da geht man dann so mit und das ist aber doch eigentlich, weil sie, auch wenn die Geschäftchen mögen ja alle sein, aber in den entscheidenden Szenen haben die doch das Recht auf ihrer Seite. Also das gefühlte Recht. Also diese Gesetzlosigkeit ist ja wie Mildwestfamilien. Und das denkt man ja auch an so einen Showdown. Ja, in dieser Szene, ja. Und ich meine, die sind im Recht und wer Recht hat, der ist das Gesetz. Ja, ja, und es wird ja alles... In einer zivilisierten Gesellschaft so etwas zu sagen, ist natürlich völlig... Und es wird ja alles nur allein in diesem dörflichen Raum ausgehandelt. Da kommt jetzt keine übergeordnete Instanz oder eine Zentralgewalt. Und auch der Pfarrer ist sozusagen einfach da in dem Dorf drinnen. Und auch dem gegenüber behauptet man sich ja sozusagen als die moralisch Anständigen eigentlich. Und der Pfarrer erscheint als der, der eigentlich mit dem Teufel im Bunde steht. Und was auch irgendwie diese Bagage, das scheint so in manchen Szenen durch, die hätte ja jederzeit die Möglichkeit, dieses hinterste Tal zu verlassen, indem sie zum Beispiel mit diesem Schwager da irgendwie und in dieser aufkommenden Stickerei was macht und die hätten das Potenzial, die können rechnen und sie machen es einfach nicht. Ich glaube, weil sie Angst haben, dass sie verlieren, was sie haben. Also nicht verlieren im Sinne von Besitz, sondern dass sie ihre Einzigartigkeit verlieren, wenn sie unter vielen sind. Wenn sie eine unter vielen sind, dann sind sie völlig unbedeutend. Dann sind sie austauschbar beinahe. Ich glaube, das hat schon einen Grund, dass der Josef sich dem nicht aussetzen will. Ich meine, der Einzige, der natürlich irgendwie so das Gerichtsverfahren beendet, indem er eben mit dieser einen Tochter nichts redet, ist ja der Josef. Das ist ja der Einzige, der ein Urteil spricht. Und für den ist ja klar, dass da was war. Und das äußert sich, und er kann ja weiterleben in dem Ganzen irgendwie, aber es äußert sich halt dieser einen Tochter gegenüber und er ist ja der Einzige, also einer der wenigen, der dann wirklich auch faktisch etwas herstellt. Mich hat auch sehr gefallen, weil ich mich daran erinnert habe, in Graz gibt es diesen Cevat Karahasan, der vor kurzem gestorben ist. Das ist ein bosnischer Autor, der die Besetzung von Sarajevo mitbekommen hat und jahrzehntelang über diese Kriegserlebnisse geschrieben hat und er schreibt etwas, dass der Krieg, den er erlebt hat, dort irgendwie mit diesem Beschuss von Sarajevo, das ist etwas, wo sich alles ins andere verkehrt. Und er sagt zum Beispiel, die, die schweigsam waren vorher, die plappern dann die ganze Zeit und die, die plappern vorher, diese Quatschköpfe, die reden dann nichts mehr. Und genau sowas beschreibst du auch, dieser Josef, der dann irgendwie, als er nach Heim kommt und der Maria gegenüber nicht mehr aufhört zu quatschen und sie denkt sich, da ist jetzt irgendwie etwas passiert mit ihm irgendwie. Ja, und er hat ja auch keine saubere Wäsche, wenn er aus dem Krieg kommt und sie sieht, er hat Kleider an, die eigentlich ein Kriegsteilnehmer nicht haben kann. Und er hat ja auch keine saubere Wesse, wenn er aus dem Krieg kommt und sie sieht, er hat Kleider an, die eigentlich ein Kriegsteilnehmer nicht haben kann. Und dann hat er dauernd Heimaturlaub und keiner weiß warum. Also er macht schon immer schräge Sachen, aber das zu beschreiben, hätte ich nicht richtig gefunden, das auszuschreiben. Ja, weil solange es in den Andeutungen bleibt, ist es auch für uns Germanisten viel besser, weil wir dann sozusagen interpretieren können, was gibt es Faderes, als wenn etwas ausgeschrieben worden ist. Es gibt immer noch keine Fragen, es ist alles klar, das ist super, da können alle zum Büchertisch rennen und das Buch kaufen und die Monika Helfer unterschreibt es dann auch und signiert es. Und wir danken herzlich für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank, Monika Helfer unterschreibt es dann auch und signiert es. Und wir danken herzlich für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank, Monika Helfer. Danke. Danke.