Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zur heutigen Veranstaltung der Grazer Autorinnen-Autorenversammlung Regionalgruppe Oberösterreich begrüßen. Der Abend steht unter dem Thema Alltag, Wahrnehmung, Erzählung. Konzipiert wurde die Veranstaltung vom Autor Erich Klinger. Er wird auch moderieren. Ich begrüße ihn sehr herzlich. Herzlich willkommen. Erich Klinger hat zum Thema des heutigen Abends drei Autorinnen eingeladen. Ich begrüße Marlene Gölz, Ilse Kilic und Lisa-ische Theorien, subjektiv, je nach Aufnahme, Auswahl, Verarbeitung und Interpretation von Sinnesreizen. Daraus erklärt sich, dass zwei Personen in derselben Situation oder in derselben Umgebung häufig Unterschiedliches wahrnehmen und im Gedächtnis abspeichern. Die heutige Veranstaltung lotet nun diese Frage der Verarbeitung von Alltagseindrücken von politischen und gesellschaftspolitischen Kontexten im Zusammenhang mit literarischem Schreiben aus. Was greifen Autorinnen und Autoren, in diesem Falle was greifen die drei eingeladenen Autorinnen aus der Fülle an Umwelteindrücken heraus, was ist ihnen wichtig und wie beziehungsweise verarbeiten sie sie in der Literatur. Das ist ein sehr spannender Ansatz. Ich wünsche uns in diesem Sinne einen anregenden Abend und übergebe das Wort an Erich Klinger. Danke. Ich habe mit dem Kastl-Torleicht das Problem. Ich glaube, ich schalte das jetzt einfach aus. Und ich verzichte jetzt auf das, weil das irritiert ist mehr als wir es sorry. Danke, Regina, für die Einleitung. Danke, Marlene, Ilse und Lisa fürs Mitmachen, fürs Dabeisein, fürs Lesen. Danke ans Stifterhaus, an den Björn von der Technik und allen Menschen, die gekommen sind, um der heutigen Veranstaltung beizuwohnen. Ich fange gleich mit der Marlene an. Bitte. Bitte. Zum Biografischen jetzt. Marlene Gölz, 1978 in Linz geboren. Sie lebt und arbeitet in Oberösterreich, ist Autorin, Lektorin sowie freie Mitarbeiterin in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation im Adalbert-Stifter-Institut. Sie studierte Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften in Wien und Berlin mit Plom 2004. Diverse Preise und Stipendien, darunter der Marianne von Willemar Frauenliteraturpreis der Stadt Linz 2017, das Stadtschreiberinnenstipendium für Everding 2022 und zuletzt das Stipendium der Kunstsammlung Oberösterreich im Salzamt in Linz. Seit 2022 vermehrt Ausstellungsbeteiligungen und zahlreiche Lesungen. Veröffentlichungen gibt es seit 2017 von dir, vor allem in Anthologien und Zeitschriften. Ich glaube, ich spare mir jetzt, die ganzen Zeitschriften aufzuzählen. Das X-Blatt kommt bei dir nicht vor in der Auflistung, in der Biografie. Nein, das muss ich noch umtüten. Und dann gibt es auch beispielsweise Aufzeichnungen aus der Quarantäne. Das ist unter www.stifterhaus.at nachzuholen. Auch nicht mehr. Ist nicht mehr aktuell. Das habe ich mal nicht gestrichen, glaube ich. Okay. Das war gut. Zuletzt warst du in Weidhofen an der ÜBS, an der Ausstellung Wahrheit, beteiligt, in der Stadtgalerie und hast dort gelesen. Und du hast eine Lesung gemacht, ja gut, das habe ich jetzt eh schon gesagt, aus Paula Ludwigs Gedichten in Leonding am 9. März. Wie bist du auf diese Paula Ludwig gekommen? Das war auf Einladung von Walter Gschwandner, der heute hier sitzt, der Mann von der Regina Pinter. Der hat die Paula Ludwig entdeckt bei einer Lesung im Stifterhaus, glaube ich. Genau, er ist bildender Künstler und hat mich dann eingeladen und mich gefragt, ob ich die Gedichte lesen will und die wollte ich dann auch lesen. Okay, weil ich habe das spannend gefunden. Mir war der Name nicht geläufig, aber ich habe dann nachgeschaut. 1900 in Feldkirch, also noch zu Zeiten der Monarchie in Feldkirch geboren und gestorben 1974 in Darmstadt. Schriftstellerin und Malerin war sie und ihr Nachlass, wenn es nicht stimmt, bitte mich korrigieren, wird also der Nachlass von Paula Ludwig wird im Franz Michael Felder Archiv der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz aufgebaut. Das ist ja ein sehr imposantes und schönes Gebäude. Ich kenne das selber. In Sendungen im Freien Rundfunk Oberösterreich war Marlene in den letzten Jahren einige Mal zu hören, unter anderem in Autorinnenporträts, die ich gestaltet habe, im Auftrag von Walli Rettenbacher, dann in einem der Poetik-Acts von Walli Rettenbacher und mit dem Vortrag über Alice Munro, also noch zu Lebzeiten der Autorin, die leider vor zehn Tagen gestorben ist. Wie war deine Reaktion darauf, auf den Tod von Alice Munro, wie du das erfahren hast? drauf auf den Tod von Alice Munro, wie du das erfahren hast? Naja, ich bin da betroffen nicht, ehrlich gesagt. Ich meine, sie hat ein gutes Alter erreicht. Ich schätze sie als Autorin, aber ich habe sofort wieder ein Buch von ihr in die Hand genommen. Also, ja. Aber ich habe mich erinnert an diesen Vortrag im Wissensturm und auch an deine Radiosendung. Nein, ich habe es spannend gefunden, sie ist in Port Hope gestorben am 13. Mai und ich habe Port Hope einmal mit dem Zug durchfahren, beziehungsweise bin ich in Port Hope ausgestiegen, weil ich mir gedacht habe, das muss irgendwie ein total schöner Ort sein, Port Hope. Aber wenn man aus dem Zug aussteigt, muss man erstens mal aufpassen, dass man die Güterzüge irgendwie nicht mitreißen und zweitens muss man schon ein Stückchen gehen, dass man von dieser Industrie-Landschaft am See wegkommt, weil da ist ein Chemiewerk in der Nähe, also direkt in der Nähe vom Bahnhof, der Ort selber, das ist natürlich dann bei den kanadischen Dimensionen schon weiter hinten, hat dann schon ein anderes Gesicht. Aber das Erste, was man vom Portob sieht, ist nicht unbedingt so hoffnungsfreudig. diese Schrittfolge mit dem Alltag, mit der Wahrnehmung der Erzählung. Wie weit spielt Recherche bei dir eine Rolle, das Persönliche Erlebte? Wie selektierst du Informationen, die auf dich einbrechen und wie zukommen deine Geschichten zustande? Und wie feilst du sie aus? Sagen wir es so, ich verspüre jetzt nicht unbedingt einen gesellschaftspolitischen Auftrag oder irgendeinen anderen Auftrag im Schreiben. Also keinen, der der Literatur genügen muss oder irgendjemanden. Es ist für mich ein total freies Feld. Ich glaube, deswegen schreibe ich. Und natürlich fließt alles zeitgenössische Nachrichten und alles irgendwie mit ein. Aber das eher so ein Woman im Hintergrund vielleicht. Ich habe jetzt nicht die Ambitionen, irgendwas zu vermitteln im Sinne eines Bildungsauftrags. Es gibt oft andere Formate, die besser sind, vielleicht Reportagen oder Essays. Aber im Erzählen, das kommt schon aus dem Inneren. Also da kann man irgendwie vielleicht Sätze aufgreifen, die man hört? Oder irgendwas, was einen bewegt? Und das eine führt zum anderen. Also ich arbeite viel mit Assoziationsketten. Das merkt man vielleicht dann auch bei dem Text, den ich lesen werde. Ja. Gut. Dann kürze ich das jetzt ab, die Fragen vorher. Ich denke mal, es ist besser, wenn du jetzt einfach liest, anstatt dass ich dir jetzt nur mit weiteren Fragen löchere. Deine Homepage möchte ich nur erwähnen, also www.marlene-gölz-mit-umlaut.com Das ist auch sehr informativ, wenn man sich über dein Schaffen, auch dein künstlerisches Schaffen, irgendwie einen Überblick, wenn man den Überblick kriegen will. Und ich sitze mir jetzt dabei, ob das Bewegung eine bringt, aber ich glaube, dass die Konzentration auf die besser ist. Ja, dann danke, Erich. Ich habe einen Text gewählt, der, finde ich, diese drei Stichworte Alltag, Wahrnehmung, Erzählung ganz gut abhandelt und an dem man vielleicht erkennen kann, wie ich arbeite oder zu Geschichten komme. Die Erzählung heißt Am Fluss. Ich meine, entschuldige, aber ich schaue ja nicht nur aus dem Fenster. Ich habe keine Zeit, es ist, wie es ist, die Geschäfte, du weißt. Ich schalte mein Telefon aus. Ich will nicht behaupten, dass aus dem Fenster schauen Schwerstarbeit ist, aber aushalten muss man das schon. Seit Tagen schaue ich aus dem Fenster, seit Tagen hast du keine Zeit. Seit Tagen schreibe ich, was ich sehe, aber unpoetisch. Und dann stehen ich Sätze. Meist werden sie vergessen, manchmal gehen sie verloren. Wird der bei einem Umzug auf der Straße abgestellte Computer gestohlen oder ich lasse die Sätze irgendwo liegen. Vielleicht hat sie einen Hund gefressen, möge er satt werden, mir ist nicht leid darum. Ich weine nicht um ein Notizbuch. Ein billiger standener Stift ist ersetzbar, ein leeres Heft auch. Damit mir dennoch nichts mehr verloren geht, zumindest meine Sätze nicht, habe ich begonnen, die Wände mit Wörtern zu tätowieren. Nur meinen Körper halte ich frei davon. Kürzlich traf ich einen Schulfreund wieder. Er ist von Kopf bis Fuß tätowiert, ich hätte ihn fast nicht mehr erkannt. Seine Frau ist Hautärztin, erzählte er, und er, er arbeite bei ihr in der Praxis. Und was machst du da, fragte ich ihn. Ich mache die Tattooentfernung. Hast du es bei dir auch schon ausprobiert? Ja, beim Namen einer Ex-Freundin, Romana. Er zeigte mir die kahle Stelle an seinen Pulsadern. An kein einziges seiner Tattoo-Motive kann ich mich erinnern, nur an die nackte Haut, nur an diese Schleerstelle. Ich habe ihn mir nicht zeigen lassen. Denn kurz nach mir hatte er eine, die denselben Namen trug wie ich. Nun, es gab mich ja mehrfach in deinem Leben. Damit war unser Gespräch beendet. Sich Namen und Sätze zu notieren, mag eine Maßnahme zur Demenzverbeugung sein. Simmering in Frakturschrift, Kevin und Colin auf Unterarmen, Sinssprüche auf Oberarmen oder in der Leistengegend. Oder aber, um die Zeit zu verewigen, damit irgendetwas bleibt von diesem Tag, diesem 19. Februar 2024, irgendein Wort. Nichts ist schlimmer als vergessen. Ich blättere in Gedanken, einem noch nicht verlorenen Notizheft. Ich brauche eine Geschichte, steht da, ziemlich am Anfang schon, 5. Februar. Das Beste an Geschichten ist, sie sind immer schon da, oft schon bevor sie sich ereignet oder nie ereignet haben. Sie müssen dir nur ins Netz gehen. Und heute, am 19. Februar, kurz vor 15.57 Uhr, hatte ich sie. Sie lag, man kann sagen, die ganze Zeit vor meinen Füßen. Denn mit einem Mal wusste ich, woran mich das Gelb der Villa am gegenüberliegenden Ufer vor meinem Fenster erinnerte. Es war Sommer. Ida hatte versucht, im Stehen zu pinkeln. Sie war vielleicht acht. Warm ran es ihre Schenkel hinunter, ihre dünne Hose drängte sich. Es war der einzige Versuch dieser Art. Wie sie so manches auch später noch nur ein einziges Mal versucht hat, um heimlich festzustellen, sie kann es nicht. Anderes probierte sie immer wieder, bis sie Florian schließlich einholte und schneller war als er. Auch trugen sie den gleichen Pullover, ihr Freund und sie, mit einem Flugzeug vorne drauf. Noch ein Mädchen gab es in Idas Alter, das kein Mädchen sein hat wollen oder nur halb. Es war anders als alle anderen Kinder im Ort. Anne. Sie sprach nach der Schrift. Wenn sie jemand Anni nannte, schaute sie böse. Immer trug sie Hosen und immer ganz schlicht. Anne war blond und blass, sie mied die Sonne. Bildhübsch war sie, in Turnen war sie schlecht. Anne wohnte mit ihrer Mutter in der Villa am Fluss. Ihr Vater machte Geschäfte irgendwo. Idas und Annes Freundschaft kam nicht freiwillig zustande. Annes Mutter hatte den Kontakt gesucht, weil bei Ida so vieles so leicht aussah, auch später noch, weil in Ida Leben war. Als hätte Annes Mutter das anzapfen wollen, als hätte ihre Tochter davon profitieren können und vielleicht tat sie das auch eine Zeit lang. Aber letztlich endete das immer in Enttäuschung. Ida war eine Enttäuschung, weil da immer auch andere waren, Florian und die Nachbarkinder, die mochte Anne nicht. Ich sitze in meinem Atelier gegenüber die Villa in Gelb, schön brunngelb, das sich im Fluss spiegelt. Es fällt mir leichter, die Spiegelung zu betreten als die Herrenhaus genannte Villa selbst. Die Erinnerungen fallen durcheinander, ein Frachter durchkreuzt das Bild und zieht gelbe Schlieren mit sich. Ida radelte den schmalen Kiesweg am Fluss entlang. Auf einer der Bänke zwischen Kastanienbäumen, durch die es hellgrün schimmerte, ein Liebespaar, die große Schwester einer Freundin, in schulterfreiem Top mit irgendeinem Typen. Alles, was Brüste hatte, war Ida verdächtig, schnell sah sie weg, schnell fuhr sie vorbei. Trat in die Pedale, so fest sie konnte. Hier war sonst niemand. Hier konnte man Sachen probieren, auf dem Hinterrad fahren und Bremsspur üben, den Kies fliegen lassen und Staub aufwirbeln. Man musste nur schnell genug sein, immer nur schnell genug sein. Bei der Villa angekommen, lehnte sie ihr Rad an den Schuppen. Das Holz war schon grau, ein schöner alter Schuppen, das war Ida damals aber egal, ob der schön war oder nicht, er stand einfach da. Viele Jahre später wurde er abgerissen, nachts, damit sich niemand aufregt. 16. Jahrhundert, Denkmalschutz. Da war Anne aber schon längst nicht mehr da. Ida hatte das Fahrrad ungeschickt abgestellt, es fiel um und sie kratzte sich an der Schraube der kaputten Fahrradklingel den Unterarm auf. Es brannte, aber es sah gut aus. Ida zögerte, bevor sie die schmiedeeisene Klinke des Gatters drückte. Dann atmete sie tief ein, weil sie da drinnen keine Luft bekam. Die Villa, die stand gefühlt unter Wasser. Es würde schnell gehen, sie würde nicht lange bleiben und hatte sich schon eine Ausrede ausgedacht, um früh wieder abhauen zu können. Sie hatte keinen festen Tritt da drinnen und fragte sich, ob das an ihr oder dem Herrenhaus lag. Knappe Shorts, Franzenshirt, Pferdeschwanz. Auf ihrem Arm der coole Kratzer und ihre Haut braun vom Sommer. Darauf war sie stolz, darauf, dass sie leicht Farbe bekam. vom Sommer. Darauf war sie stolz, darauf, dass sie leicht Farbe bekam. Blick ich heute auf die Donau, denke ich an den Nebenfluss. Alles war immer schon da. Durch manche Türen will man nicht mehr gehen. Nichts ist schlimmer als Erinnern. Doch dann legt man sich aufs Wasser, spieltote Frau, lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen, ehe man abtaucht in die Spiegelung. Das Gras um Annes Haus war nie verbrannt, die Wiese immer sumpfig und feucht. Der Sand in der Sandkiste war auch bei 30 Grad schwer und rieselte einem nie durch die Finger. Manchmal gingen Anne und Ida zum Fluss hinterm Haus und spielten mit Stöcken Renaturierung. Das Wort kannten sie damals noch nicht. Immer trug Anne dann Gummistiefel, selbst im Hochsommer, während sich durch Idas Zehen der Schlamm drückte. Durch den Fluss ist Anne aber nie gewartet, obwohl kaum Strömung drauf war. Nie ist sie mit zur kleinen Insel, an deren Ufer man handtellergroße Muscheln finden konnte, wenn man Glück hatte. Anne war kein Naturkind, ihre Fingernägel niemals schmutzig. Sie wusch Steine, die sie in einem Eimer sammelte. Manchmal fiel ihr eine Strähne der blonden, kinnlangen Haare ins Gesicht. Auf ihren Wangen zarte Sommersprossen. Ida betrachtete Anne genauer als andere Menschen. Vielleicht, weil Anne nicht viel redete. Vielleicht, weil man sonst so wenig erfuhr von ihr. Niemand wusste so recht, was es war. Sie war wie ein Fisch, der das Wasser fürchtet. Und dann dieser entsetzte Blick, die aufgerissenen Augen plötzlich. Was ist denn, fragte Ida, hatte sie einen Anfall? Blutegel, fein wie Suppennudeln, klebten auf Annes Handrücken. Aber erst als Ida das Wort aussprach, Blutegel, stieß Anne einen grellen Schrei aus und rannte davon. Der Schrei eines kleinen Hasen, dem die Katze ins Genick beißt. Ab dem Tag hat Anne aufgehört mit dem Steine waschen, aufgehört mit dem Fluss Kontakt zu halten. Nicht mal in das schaukelnde Holzboot, das am Ufer lag, wollte sie sich noch setzen. Als Ida es entdeckt hatte damals, hatte sie das Abenteuer gerochen. Sie wollte es losbinden, schloss die Augen und bemerkte die Schnelligkeit nicht, mit der sie stromabwärts getrieben wurde. Der Schatten eines abgestorbenen Baumes raste vorbei. Ida erschrak, wie schnell ein Baum an einem vorbeischießen kann und nicht, wie schnell sie selber war. Abends würde sie das Floß am Ufer vertauen und einen Fisch grillen, dann noch eine Weile am Lagerfeuer sitzen und sich wohlfühlen, ehe plötzlich die Einsamkeit über sie käme und sie sich schlafen legen würde, weil das immer noch das Beste für einen einsamen Menschen sei, hatte sie gelesen. Ida hätte es losgebunden, Anne nicht. hatte sie gelesen. Ida hätte es losgebunden, Anne nicht. Dafür hatte Anne Himbeersaft dabei und eine kleine Box mit Gummibärchen. Die Hellen hatte sie am liebsten, die Hellen hatte niemand am liebsten, aber Anne schon. Ida drückte die Klinke, warm lag der Knauf in ihrer Hand. In ihrer Sandalie ein Kiesel, unter den Arkaden weiße Korbmöbel wie in den Südstaaten. Hierher schaffte es die Sonne gerade noch. Der Rest lag im Dunklen. Es war kalt in diesem Haus. Im Winter waren nur wenige Räume beheizt. Oranges Wasser kam aus der Leitung und aus dem Naturschwamm im Badezimmer kroch ein Ohrenschläfer. Manchmal war da ein Bub. Er war behindert, so sagten sie damals, und dass Annes Mama mit ihm turnte, das war ihre Arbeit. Rote Gymnastikbälle lagen auf den Matten in dem einen Raum, der der freundlichste im ganzen Haus war. Wenn Tommy, so hieß er, weg war, durften die Mädchen hinein. Manchmal war da noch Speichel auf einem der Bälle. Trotzdem war Ida hier unten am liebsten, übte Rad und rollte sich herum. Nie hätte sie es zugegeben, aber vor dem ersten Stock, vor dem ersten Stock hatte sie Angst. Die breite Treppe empor, der dunkle Gang, an der Wand die fast schwarze, lederne Haut eines Krokodils, nicht mit den Armen messbar, sondern viel, viel größer. Ida war mutig. Als der Schlangenbeschwerer in der Schule war, hatte sie die Schlange berührt und hier in der Villa berührte sie den wie mit kleinen Pyramiden übersäten Rücken des Krokodils. Zuerst mit der Zeigefingerspitze, dann mit der flachen Hand. Es fühlte sich gut an, wenn man Druck ausübte. Nicht anfassen, sagte Anne dann. Mein Vater mag das nicht. Ida kannte Annes Vater nicht. Es gab ihn vielleicht gar nicht wirklich. Aber afrikanische Masken gab es. Unzählige Masken, die einen anstarrten, mit rautenförmigen toten Augen. Etwas umschloss Idas Herz. Im Kinderzimmer Bücher, Teddybären und Fotos in kleinen silbernen Rahmen. Keine Puppen. Oft wussten die Mädchen nicht, was sie miteinander anfangen sollten. Sie setzten sich aufs Bett und Ida blickte Anne fragend an. Einmal war da ein Flimmern in Annes Augen, wie Ida noch nie eines gesehen hatte. Auch später nicht, bei niemandem. Eine Erwartung stand im Raum, doch diesmal brachte Ida kein Wort heraus. Etwas hatte sich gedreht. Gefällt dir mein Zimmer? fragte Anne scheu. Ehe Ida antworten konnte, drangen Geräusche aus dem Nebenzimmer zu ihnen herüber. Ein Stöhnen oder Schluchzen. Anne wurde unruhig, nestelte an ihrer Kleidung herum und rollte den Saum ihres T-Shirts nach oben. Wieder, es wurde lauter. Was ist das, fragte Ida. Es sollte beiläufig klingen, doch lag etwas Hektisches in ihr. Woher kommt das? Anne schloss die Flügel des Kastenfensters, legte eine Kassette ein und drückte auf Play. Kastenfensters, legte eine Kassette ein und drückte auf Play. Die habe ich von meinem Vater bekommen, sagte sie. Kennst du das Lied? Ida fand, dass der Sänger nicht singen konnte. Seine Stimme war viel zu hoch. Sie musste hier raus, möglichst unauffällig, ohne Hast. Hier war es nicht sicher. Wieder dieses Geräusch, von dem Gefahr ausging. Ein hysterisches Lachen oder Weinen, ein Stöhnen oder Schluchzen. Es war, wie verbranntes zu riechen. auf. Ja, aber ich muss jetzt nach Hause. Jetzt schon? Annes Augen füllten sich mit Wasser, wie damals, als sie die Hand zu tief in den Fluss getaucht hatte. Die Tür war dir nicht offen gestanden vorhin? Ida rüttelte daran, die Tür ging nach innen auf. Nichts wie raus. Sie wollte laufen, als ginge es um ihr Leben, doch alles verlief in Zeitlupe. Langsam ließ Ida die Hand über das blank polierte Treppengeländer gleiten, nur nicht den Halt verlieren, nur nicht stolpern. Vorbei an der offenen Tür zum finsteren Salon, in dem ein glänzender Flügel stand und in der Weihnachtszeit ein Christbaum. der Flügel stand und in der Weihnachtszeit ein Christbaum. Anne spielte Klavier, aber Ida hat sie nie spielen gehört. Der Salon war tabu. So tabu, wie die Hand ins Maul des Krokodils zu stecken und ihm einen Zahn auszubrechen. Irgendwann zogen Anne und ihre Mutter weg, wegen der Hochwassergefahr hieß es. Das ging alles ziemlich schnell, von heute auf morgen, bei Nacht und Nebel. Eines Tages erreichte Ida die Nachricht, dass Anne gestorben sei. Per Post, schwarz auf weiß, Anne. Dazwischen lagen viele Jahre. Annes Vater hielt in der Kirche eine Rede, Annes Mutter weinte. Ida hatte ein schlechtes Gewissen. Sie war nicht zu Annes Vater hielt in der Kirche eine Rede, Annes Mutter weinte. Ida hatte ein schlechtes Gewissen. Sie war nicht zu Annes Hochzeit gekommen damals, nur der Einladung zur Begräbnisfeier war sie gefolgt. In Annes Villa wohnen längst andere. Leute, die mit Kunst und Antiquitäten Geschäfte machen, Leute, die sich einsetzen für einen Hochwasserschutzdamm, um ihr Anwesen zu schützen. Doch wer baut schon noch so nah am Wasser, fragt man sich, wer kauft schon noch so nah am Wasser. Es ist spät, ich sitze im Dunklen. Gegenüber von meinem Atelier blinken bunte Lichter, die der Fluss ins Meer tragen möchte. Am ersten Abend dachte ich, die machen Party, aber die Lichter blinken da jeden Abend, immer in gleicher Abfolge. Keine Silhouetten, keine Menschen, die tun nur so, als wäre der Leben in der Herrenhaus genannten Villa am Fluss. Ich schalte mein Handy ein, eine neue Nachricht, ob ich vorangekommen wäre. Unter mir wummert ein Bass durch die Decke. Kurz darauf ist es stiller als zuvor. Ich klappe den Laptop zu, rücke das versiffte Sofa vors Fenster und öffne die Flügel. Es ist kühl geworden und ein Betrunkener grüllt Dinge, die ich nicht verstehe. Danke. Ich kann das mal abschalten, das Ding, oder? Es ist nicht zum ersten Mal, dass das mit den Fotos nicht hinkommt. Ich kann mich erinnern, bei der Eugenie Kain hätte ich auch schöne Fotos mitgehabt, aber ich kümmere mich da jetzt nicht zwischendurch darum, weil das einfach den Ablauf der Lesungen stört und den will ich nicht stören. Ilse Kilic, geboren 1958 in Wien, sie lebt in Wien im fröhlichen Wohnzimmer, schreibt, zeichnet, liest und schwimmt allein und mit anderen. verzeichnet, liest und schwimmt allein und mit anderen. Seit 2009 Präsidentin der Grazer Autorinnen-Autoren-Versammlung. 19? Nicht 9, seit 19 erst. Habe ich 9 gesagt? Ja, du hast 9 gesagt, aber da war es noch die Petra Ganglbach. Nein, nein, Entschuldigung. 2019 habe ich mir jetzt verlesen, die längst dienende Präsidentin war die Heide-Badler-G mit 15 Jahren, das wird die Ilse auch noch erreichen. Oder auch nicht. Schreibt seit 1998 gemeinsam mit Fritz Wildhalm den Verwicklungsroman, der biennal in der Edition CH veröffentlicht wird. Ganz neu ist erschienen von Ilse Kilic und Fritz Wittalm die Chronik der kleinen Gedanken, Fußnoten zur Weltgeschichte, Edition Tage Dieb in Wien, also am 15. April ist es erschienen, laut sehr informativer Seite des fröhlichen Wohnzimmers. Die kann man einfach unter www.dfw.at abrufen. Und von dir erschien jetzt zuletzt das Schlaue vom Himmel, eine Versuchsunordnung im Ritter Verlag 2023. Du bist ja auch eine schon langjährige Autorin des Ritter Verlags, beziehungsweise gab es auch ein Comicbändchen jetzt vor kurzem, das ist auch herausgefischt in der Edition Drei Zeichen in Meißen. Das ist auch gemeinsam mit dem Fritz entstanden. Ja, also die Homepage vom Fröhlichen Wohnzimmer ist ein Fundus der Kammer Tage und da könnte man sogar Jahre darin verbringen, aber um das geht es jetzt nicht. Du warst ja auch lange Zeit oder zum Teil bist du es ja jetzt auch noch gemeinsam mit Fritz Wiedheim Verlegerin in der Edition Das fröhliche Wohnzimmer. Einige Hörspiele und Hörstücke für Ö1 gab es auch, vor allem für die Kunststücke, beziehungsweise ein Auftragswerk für meine damalige Sendung, Summa 96ally Rettenbacher übernommen hat. Bevor ich die lesen lasse, kurz zur Frage, wie bist du zur Grazer Autorenversammlung gekommen. Das ist ja schon einige Jahre, Jahrzehnte her. Was war damals der Anhaltspunkt für dich? Naja, es ist 40 Jahre her. Also ich kann mich gar nicht so genau erinnern, aber es war für mich schon sehr wichtig, mit der anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Kontakt zu kommen. Und das hat mich dann dorthin geführt, eigentlich. Und es waren ja ganz viele Abende, ich weiß eh nicht, wie ich das alles geschafft habe, an Diskussionen, die man halt verbracht hat über Schreibweisen und verschiedene Zugänge. Und ja, diese Diskussionen gab es natürlich auch in der Grazer Autorinnen-Autorin-Versammlung und so kam ich dann irgendwann dazu und Ilse Aschner hat mich dann eben im Sekretariat willkommen geheißen und ich habe dort das Akademikertraining gemacht. leichtgestellt und konnte dann dort sozusagen die Nachfolgerin von der Ilse Aschner, während die in Pension gegangen ist, und war dann dort die Sekretärin. Und der Josef Haslinger war mein erster Chef, sozusagen. Ja, die Klazauer Autorenversammlung hat mittlerweile auch schon eine über 50-jährige Geschichte. Mit dem halten wir uns jetzt aber nicht auf. Die Reihenfolge, also das Alltag, Wahrnehmung und Erzählung, wie schaut das bei dir aus und wie entstehen deine Geschichten? Also ich habe mir entschlossen, aus dem Buch über viel zu lesen. Es ist in gewisser Weise mein persönlichstes Buch, weil sehr, und man sieht aber auch sehr gut, finde ich, oder für mich sehe ich halt sehr gut, was ich bin und wo sozusagen andere Wahrnehmungen auch von Kolleginnen, Kollegen, von Liedern, von Texten eindringen in mich und ins Leben und da in den Text und es beschreibt im Prinzip den Alltag, der mein Leben auch ist, aber eben auch durchbrochen von den Wahrnehmungen der anderen und auch nicht nur der anderen Menschen, sondern auch der ganzen anderen Welt, die mit mir da ist. Rund um mich und in deren Zentrum, ich bin es blöd, aber doch die rund um mich sozusagen sich bewegt. Okay. Ich lasse die jetzt einfach lesen. Und ich möchte mit einem Gedicht anfangen. Genau, jetzt werden wir doch die Brille aufsetzen, das macht es einfacher. Dann sehe ich euch zwar nicht so gut, aber so ist es. Ich weiß nicht, was soll ich bedeuten? Ich wurde, wie ich bin. Unmögliche Möglichkeiten gehen mir nicht aus dem Sinn. Die Lust ist eine Karotte, ein Esel hinter dreien. Ich bin Karotte und Esel im Abendsonnenschein. Meine Vergangenheit sitzt und erzählt mich, wie ich war. Meine Vergangenheit blitzet, sie kämmt mein struppiges Haar. Ich bin an sie gebunden, sie läuft mir hinterdrein. So hat sie mich erfunden im Abendsonnenschein. Mein kleines Schifflein heute, es kennt das Morgen nicht. Es ist es gestern Beute und trägt sein ganzes Gewicht. Die Botschaft des Ach-wenn-doch zieht dem Gestern hinterdrein. Das Heute ist mein Schlupfloch im Abendsonnenschein. So, und jetzt geht er an den Anfang. I loudly present me. In Gedanken gehe ich in einem Kreis unter einer Wolke, Kopf hoch in meinem Wald, einem Garten voller Bäume. Das Gehen unterscheidet sich vom Laufen, da ich dabei keine Flugphase kenne, also fest verankert, obligat, aufrecht, die Schwerkraft benutze, um ihr zu trotzen. Ich keuche, mein Wald ist meine Wolle, aus der ich Masche um Masche stricke, Masche um Masche, um Masche, um Masche, glatt verkehrt, glatt verkehrt, einen Fuß vor den anderen, da capo alfine. Rundum erblüht heftig und gelb das Wollkraut, auch Welkeblume, Himmelsbrand, Fackelblume, Wollblume genannt. Es besitzt einen eigenen Käfer, den Wollkrautblütenkäfer und hat den Ruf, Husten zu heilen. Ich huste mir etwas, während ich gehe. Dann bemerke ich den Zaun. Ja, es gibt den Zaun, dessen natürlicher Feind das Wildschwein ist. Wilde Schweine durchwühlen den Waldboden. Im schottischen Moor ist das sogar die ihnen vom Menschen zugedachte Aufgabe. Hat das Leben einen Sinn? Die Gedanken sind hurtig, laufen und ziehen andere nach. Eins führt zum anderen und das andere zum einen. Kreis, sage ich, eine ansprechende Form und eine zeichnerische Herausforderung. Jedes Wort kenne ich aus anderen Zusammenhängen, Recycling also, immer wenn ich spreche. Manches geht den Bach runter, in einer Wolke aus dem, was ich meine, was die anderen meinen, was wir meinen. Es gibt einen, deinen, unseren Zaun. Einen unseren Zaun. Es war einmal ein Lattenzaun mit Zwischenraum hindurchzuschauen. Mein Zaun ist ein grünererstoff. Tiere und Pflanzen werden nicht rostig, solange sie ausatmen. Rappeler, das französische Erinnern, ist ein Zurückrufen, gewissermaßen ein Appell und vielleicht ein Rappel. Wienerische Betonung auf der ersten Silbe, es rappelt im Stübchen. In meinem Stübchen rappelt es gewaltig, ich gehe durch dick und dünn, auch wenn ich stehe. Meine Zeit, meine Seligkeit, Prost. Wer Prost sagt, sagt Rost. Wer Frost sagt, sagt Rost. Halt, sage ich, und alt. Masche, sage ich, und Asche. Herde, sage kann ich nicht mehr. Mein erstes Schulzeugen ist eine Beurteilung meiner Fähigkeiten. Arglos entsprach ich der Norm, stammt aus dem Jahr 1964. Narben, von denen die zweite angelegt worden war, um die erste zu verdecken. Eine dritte Narbe wurde später angelegt, um die zweite zu verdecken. Sie verdeckte das, was die zweite Narbe von der ersten nicht verdeckt hatte, so wie einen großen Teil der zweiten Narbe, in dem sie größer war als diese. Eine vierte Narbe, um die dritte Narbe und den noch immer sichtbaren Teil der zweiten Narbe zu verdecken, wurde in Erwägung gezogen. Ich aber bevorzugte den Anblick der dritten Narbe und empfing die vierte Narbe anderswo, sodass sie die dritte und das, was von der zweiten Narbe sichtbar war, nicht verdeckte. Ebenso wenig verdeckte die fünfte Narbe, die vierte, die sechste, die fünfte, die siebte, die sechste, die achte, die siebte, die neunte, die achte und auch die zehnte Narbe hatte nicht die Absicht, die neunte zu verdecken. Sie stand für sich allein. Ich genese. Genese ist gleich Beginn, Ursprung. Ich genese Lebensweg. Eine Narbe, zwei Narben, drei Narben, vier Narben, fünf Narben, sechs Narben, sieben Narben. Die Zahlenreihe ist nach oben offen. Alles ist möglich, auch nichts. Heile, heile Gänzchen, es wird wieder gut. Ich erkläre mir die Anrufung des Gänzchens damit, dass Gänsefett als Salbengrundlage für verschiedene Heilsalben dienen kann. Dieser Salbengrundlage werden dann die wirksamen Pflanzenteile beigemengt. Beinwell, Arnica, Aloe Vera, Hopfenblüten, Rotklee. Alle Narben sind überstanden. Aus ihren Buchstaben entsteht Banner, Laternenpfahl, Wimpel, Symbol. Ich schwenke, ich schwanke, Unfug, ich schwenke meine beherzte Nase in den Wind, in den Wald, im Himbeerschlag, neben dem Wollgras, hinter dem Maschentrauzahn, erklingt die Stimme der freundlichen Zustimmung. Ich erhoffe sie täglich. Es gibt so viel, dass man nicht sehen kann. Röntgenstrahlen, den Osterhasen, die Dunkelheit und das eigene Herz. Ich bin noch 52 Jahre alt. Damals. Ich koche meine eigene Suppe und löffle sie aus. Suppe kochen, Suppe löffeln, ist das das Leben? Suppe und Löffel, Nase und Herz, heute und gestern, Rad und Narbe. Lange Zeit dachte ich, dass die Radnarbe eigentlich Radnarbe heißt und fragte mich warum. Das Rad ist ohne seine Narbe in gewisser Weise unvollständig. Mein Körper war ohne meine Narben bereits vollständig, will sagen funktionsfähig im Hinblick auf die von ihm erwarteten Funktionen. Jetzt mit den Narben ist er vollständiger als vollständig. Das heißt, es wurde ihm etwas hinzugefügt. Genau genommen wäre der ganz vollständige Körper einer, dem nichts mehr zugefügt werden kann. Der Körper, dem nichts mehr zugefügt werden kann, ist mehr oder weniger tot. Als ich verstand, dass das Rad eine Narbe, aber keine Narbe hat, dass also auch der am Rad befestigte Dynamo Narbendynamo heißt und nicht Narbendynamo, hielt ich aus die Grasnarbe für eine Narbe. Da mir die genaue Definition einer Radnarbe nicht geläufig war, ich diese also einfach diffus als Zentrum des Rades wahrnahm, lag es nahe, mir unter der Grasnarbe eine Art Zentrum des Grases vorzustellen, was allerdings jeder Logik entbehrt. Später dachte ich dann, dass eine Grasnarbe eine Stelle ist, wo dem Gras etwas zugefügt wurde. In der sogenannten wirklich und real existierenden Wirklichkeit der Sprache bezeichnet die Grasnarbe den durch Wurzeln fest zusammenhängenden, geschlossenen Bewuchs des Bodens durch Gräser und Kräuter. Auch die Blume hat eine Narbe. Diese wird Stigma genannt. Sie bildet zusammen mit Griffel und Fruchtknoten die weiblichen Blütenanteile, den Stempel. Die Narbe dient der Aufnahme der männlichen Pollen. Die Narbe der Blume ist keine Narbe, wenngleich ein Zentrum der Blüte. Sie würde der Blume auch nicht zugefügt, sondern ist für sie integrativer Bestandteil. Ohne Narbe keine Blume. Ohne Narben keine Ilse. Ja, das stimmt auch. Und da blättert es nach vorne, genau. Entschuldigung, ich habe das nämlich in verschiedenen Farben angestrichen und habe mich jetzt geirrt. Okay. Wenn ich nicht ich wäre, wer wäre ich dann? Sei du selbst, ich kichere. Was bin ich? Heiteres Beruf erraten mit Glücksschwein und Robert Lemke. Was ich tue, bin ich. Was ich nicht tue, bin ich nicht. Ich wäre nicht ich ohne meinen Bauchnabel. Ihn habe ich mit allen Menschen gemeinsam, ausgenommen vielleicht Adam und Eva. Er bedeutet, dass das Leben einen Anfang hat. Ich wäre nicht ich ohne meine Angst. Sie weist darauf hin, dass das Leben ein Ende hat. Ich habe sie mit vielen Menschen gemeinsam und ich spiele Flöte. Wer einen Nabel hat? Der Esel. Ich, du und der Hund, die Katze, die Maus, der Hase. Der Pinguin nicht? Oh doch, auch der Pinguin, das Huhn und die Schlange. Hat das Leben einen Sinn? Ein Mensch kann kein Diamant werden, solange er lebt. Das gilt auch für mich. In einem Brief an eine Freundin vergliche ich mein Herz mit einer Salami. Ich meinte nicht die Wurstform, die dem Herz in der Tat nicht zusteht, sondern die Festigkeit. Das Herz soll nicht aus Butter sein, aber auch nicht aus Stein. Zwischen Butter und Stein liegt die zarte Weiche einer Wurst. Mein Herz hat auch Eigenschaften eines Gummiballs, einer Feuerqualle oder einer Sternschnuppe. Ohne mich hat mein Herz keine Chance. Ich wäre nicht ich ohne mein Herz. Ich wäre nicht ich ohne meine große Zehe. Ich wäre nicht ich ohne mein Herz. Ich wäre nicht ich ohne meine große Zehe. Ich wäre nicht ich ohne meine Liebe. Ich wäre nicht ich ohne Werner Herbst, der mein erstes Buch verlegt hat. Ich wäre nicht ich ohne das Geschäft mit sauren Rollmops aus der Vergangenheit der Josefstätterstraße. Ich wäre nicht ich ohne meinen unteren Schneidezahn. Falsch. Manche Teile sind entbehrlich. Manche Teile sind ersetzbar. Ilse bleibt Ilse. Mit oder ohne Schneidezahn. Dafür bleibt der Schneidezahn recht anonym in seiner kleinen Schachtel, die auf dem Schreibtisch steht. Eigentlich bewahrt man nur erste Zähne auf. Milchzähne. Sie gehen natürlich verloren und machen den zweiten Zähnenplatz. Es ist nämlich so, die ersten Zähne machen den zweiten Zähnenplatz, die ersten Worte machen den zweiten Wortenplatz, die zweiten Worte machen den dritten Wortenplatz. Der erste Tag macht den zweiten Tag Platz, der zweite Tag macht den dritten Tag Platz, dieser den vierten, dann folgt der fünfte, sechste, siebente, wir sprechen von einer Woche. Die erste Woche macht der zweiten Woche Platz, ein Jahr ist vergangen, wenn die 52. Woche der 53. Woche Platz machen will. Ich wäre nicht Ilse, wenn ich nicht Ilse. Entschuldigung, haben wir die Gläser schon aufgebraucht. Ich habe einen Termin vergessen. Ich habe mich zwar gut vorbereitet, bin aber durch die Sprünge, die ich jetzt da gemacht habe, etwas abgedriftet. Ich wollte eigentlich bei der Marlene sagen, dass sie am 8.6. im Strandgut lesen wird. Am 4. im Strandgut und am 8. im Kunstoffizien. Und die Ilse Kilic wird man auch schon wieder bald in Linz erleben können, am 13. Juni im Stifterhaus. Und bei der Lisa ist es so, dass sie morgen in Wien lesen wird, weil das noch aktuell ist, was ich da rausgefischt habe. Da wirst du etwas anderes lesen als heute. Genau, weil morgen kriege ich nur zehn Minuten. Morgen kriegst du nur zehn Minuten, heute hättest du länger gehabt. Du bist 1988 geboren, arbeitest als Autorin und Kulturwissenschaftlerin in Linz, schreibst Prosa, Essays, Texte für Kinder, journalistische Beiträge unter anderem für die Zeitung der KUPF, also der Kulturplattform Oberösterreich, leitest Schreibwerkstätten und konzipierst, moderierst Literaturveranstaltungen. Und im Frühjahr 2024 erschien Helle Sterne, Dunkle Nacht, ein Kindersachbuch, dieses schöne Buch liegt hinten auf, bewacht dankenswerterweise von Fritz Wittalm. Du arbeitest momentan, wann das jetzt noch aktuell ist, an einem Romanprojekt, einem Essay über Dunkelheit und die Lehrveranstaltung zum Thema Schreiben für KünstlerInnen an der Kunstuni Linz. Aktuelle Auszeichnungen, Arbeitsstipendium des Landes Oberösterreich, Startstipendium des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport und den Exil-Literaturpreis. Auch Lisa war schon in Sendungen des Freien Rundfunks Oberösterreich zu hören, unter anderem in Poetik-Act alles sehen Sie 2022. Das war auch wieder in Valerettenbachers poetologischen Ortungen, in Helga Schagers und Michaela Schuysengeiers XY gelöst und ungelöst, unerhört in einem Mitschnitt von Zur Lage für Froh live, den ich gemacht habe und in der Bücherstimme Folge 36 findet sich eine Besprechung von Helle Sterne, Dunkle Nacht. Du hast jetzt schon einige Lesungen aus Helle Sterne, Dunkle Nacht hinter dir. Wie war da die Resonanz und ist das beim Publikum ankommendes Buch und wie ist dir gegangen dabei beim Vorstellen des Buches? Für mich ist es vor allem sehr ungewohnt gewesen, vor Kindern zu lesen, weil das halt doch ein großer Unterschied ist, ob man vor Erwachsenen liest oder vor Kindern. Kinder haben für kürzere Aufmerksamkeitsspanne und die sind vor allem nicht so höflich. Die haben diesen antrainierten Bildungsbürgerlichen, wir schauen immer interessiert rein, auch wenn uns das eigentlich nicht taugt, blicken wir nicht so drauf, sondern die zeigen da das. so drauf, sondern die zeigen dir das. Oder sie bei der letzten Lesung in Hallein zum Beispiel, während ich gelesen habe, ein Kind aufgestanden und hat angefangen, es mit meiner Federschachtel zu spüren. Und da sind Kinder am Boden gelegen und haben die Augen zu gehabt und dann haben wir gedacht, eigentlich ist das voll cool, warum haben wir nicht bei allen Lesungen Sitzkissen und Teppiche und dürfen am Boden liegen? Also es ist total interessant und es gibt im Gegensatz zu in den Erwachsenenlesungen gibt es manchmal so Zwischenrufe, so zum Beispiel, ich erzähle irgendwas über Nachtfalter und sage, Nachtfalter sind eigentlich Schmetterlinge, nur dass sie heute in der Nacht unterwegs sind und dann am Tag. Und dann der Kind zeigt auf und ich sage, ja, und sie sagt, wir haben Schmetterlinge in der Schule. Cool, danke fürs Erzählen, weiter im Text. Und sowas passiert halt regelmäßig bei Kinderlesungen. Das ist eine gewisse Herausforderung, aber halt irgendwie cool und das macht das Ganze irgendwie kurzweilig. Würdest du dir das jetzt für andere Lesungen auch wünschen, dass die Leute dann irgendwie dazwischenrufen oder ist es dann eher nicht so cool? Also ich glaube, dass das bei einer Lesung der Zwischenruf, das ist ungefähr die Albtraumvorstellung schlechthin, jetzt bei Texte für Erwachsene, also es haut dir ja aus dem Floh total raus und es bringt da Unruhe ins Publikum und es ist schwierig, dass man dann wieder reinfindet. Und bei den Kinderlesungen ist es irgendwie generell ein bisschen unruhiger und ein bisschen lockerer und da werden mehr Zwischenfragen gestellt und ich bin auch nicht so sehr im Text wie jetzt, weil ich ja zum Beispiel immer wieder aufhöre zum Lesen, um die Illustrationen zu erklären, die ich halt mit PowerPoint mithabe und so, also das Ganze ist eine ganz andere Erzählsituation, wo Zwischenfragen in Ordnung sind, aber jetzt in so einem klassischen Wasserglas- Lesesetting, wir können es jetzt gern testen, aber ich glaube, dass jetzt Zwischenfragen ein bisschen merkwürdig waren und die Dramaturgie der Geschichte jetzt nicht wirklich förderlich wären. Ja, auch deine Homepage ist sehr ergiebig. Also ich habe auch einiges herausgefunden über dich zusätzlich zu der Basisbiografie, die ich für das Leporello vom Stifterhaus ausgesucht habe. Also lisa-viktoria-niederberger-in-einem.at und da findet man auch deine Lesungstermine und vieles, was du bereits gemacht hast. Du wirst heute, oder wie kommen deine Erzählungen zustande in Bezug auf Eindrücke, die von außen auf dich eindringen, die du auf dich auf Eindrücke, die von außen auf dich eindringen, die du auf dich eindringen lässt? Oder was hast du für Filter, zum Beispiel, wenn du jetzt Tagesgeschehen, politisches Tagesgeschehen, das, was in der Welt rings um dich passiert, wenn du das irgendwie wahrnimmst? Und wie übersetzt du das dann ins Schreiben? Meistens ist es bei mir so, dass ich irgendeine Situation, irgendeine Sache, irgendeinen Blick oder so habe oder erkenne oder erlebe und mir denke, okay, gute Situation, guter Satz, guter Blick, gute alltägliche Begebenheit, um die herum kann man irgendwas bauen. Und wenn es um tagesaktuell politische Sachen geht, dann verwende ich die schon manchmal, aber halt eher allgemein. Ich habe zum Beispiel schon einen Text über Femizid, und der ist auch beeinflusst von einem Zeitungsartikel, wo, ich glaube, es war ein Joker, eine weibliche Leiche auf einem Forstweg gefunden hat. Und dann habe ich einen kurzbrusen Text geschrieben, wo ich mich versuche, mit dem auseinanderzusetzen, was passieren wird, wenn eine Figur Frauenleiche im Wald findet. Also manchmal ist das schon direkt inspiriert, aber nicht immer. Und bei dem Text jetzt zum Beispiel, diese Situation, die da am Anfang geschildert ist, so viel kann ich erzählen, da geht es um Rehe in einem Freiluftgehege. Ich habe Rehe in einem Freiluftgehege gesehen und das war irgendwie ein schräger, cooler Moment, weil es so leise war und weil ich habe so geschaut und diese Rehe haben so geschaut und ich habe mir gedacht, okay, passt, dann schreibe ich jetzt einen Text über Rehe, die schauen. Und alles rundherum hat sich halt dann im Schreiben entwickelt. Es gibt bei mir oft irgendeine Initialsituation und auf die rausfange ich zum Schreiben an, aber wo der Text hin will, erfahre ich dann eigentlich erst während dem Schreiben. Oft. Meistens. Der Wald. Ich lasse dir jetzt die Nummer. Keine weiteren Fragen. Außer, du hastest du irgendeinen Lesungstermin in Linz in nächster Zeit? Ich habe Lesungstermine aus dem Kinderbuch in Linz. Also in Linz stimmt nichts. In Ottensheim ist fast Linz. ist Forstlinz am 21. Juni und in Linz tatsächlich am 13. August in der Sternwarte. Der Wald. Obwohl es so viel zu sehen gäbe, schaust du nur auf deine Schuhe, diese alten, gatschigen Dinger, die einmal meinem Vater gehört haben. Du siehst nicht die letzten, tanzenden Wipfel, nicht das junge Grün, die Triebe, die sich zwischen trockenem Reisig und Fichtenzapfen nach oben ans Licht schieben. Du schaust auf deine Schuhe, weil du die Blicke der Tiere nicht aushältst, es nicht erträgst, dass diese hundert Schaft an Rehen uns durch den doppelten Maschendrahtzaun beobachtet, seit wir aus der verkraterten Monokultur, an deren Rand man sie auf eine Wiese verfrachtet hat, herausgestolpert sind. Hinter uns schiefgesägte Baumstümpfe, wie verfaulte Zahnstummel stehen sie da und vor uns unzählige Körper mit glänzenden Nüstern eng beisammen. Alle Rehe drängen sich unter die wenigen Bäume. Das bisschen Geborgenheit, das ihnen jene, die den Zaun gebaut haben, zugestehen. Sie starren uns an und rühren sich keinen Millimeter. Entrisch würdest du sagen, wenn du endlich den Blick heben, dich auf die Situation einlassen würdest. Auch mein gemurmeltes Wildtiergehege. Allein das Wort ist ein einziger Widerspruch, ignorierst du. Ich würde ja lauter sprechen, schreien, den Wald und diese Ungerechtigkeit niederschreien, aber auf meine Art macht mich der Anblick genauso stumm wie dich. Ich habe es heute in der Regionalzeitung gelesen, bei Getreidekaffee und dem allerletzten Kiwi-Marmeladenbrot. Da stand es ganz groß wie ein Erfolg, etwas, das es zu feiern gilt. Die Gemeinde habe unter Mithilfe zahlreicher Freiwilliger ernst gemacht. Gestern in der Dämmerung alle Rehe aus dem Bezirk in ein Wildtiergehege zusammengetrieben, zu ihrem eigenen Schutz wegen der vielen Autounfälle in den letzten Wochen. Vorübergehend, natürlich nur vorübergehend, wurde die Bürgermeisterin zitiert, nur bis die Sache mit dem Wald geklärt ist. Der Wald, was der Borkenkäfer stehen lässt, der Eschenpilz verschont, das holen sich seit ein paar Wochen die Menschen. Schleichend hat es angefangen, sodass nicht einmal die, denen die Wälder gehören, es gleich bemerkt haben. Da hat mal hier, mal da bei dem einen oder anderen Holzstoß im Wald ein Festmeter gefehlt. Als der Baumarkt und der Großhändler immer häufiger statt Heizmaterial Ausflüchte lieferten, die Probleme am Weltmarkt, der Käfer, die Waldbrände und so weiter, nachts plötzlich das Brüllen der Motorsägen aus dem Holz bis ins Schlafzimmer konnten wir es hören. Wir lenkten uns mit Fantasiegeschichten über dringende Forstarbeiten ab, obwohl du längst die Wahrheit kanntest. Also kannte auch ich sie. Damals haben wir uns noch alles erzählt. Mit rinnenden Nasen, fiebrigen Augen, ewig eiskalten Fingern und großer Sorge über die ganz Kleinen und die Alten, kommen die Leute aus dem Ort täglich zu dir in die Praxis. Du verschreibst Grippemedizin, Hühnersuppe und warme Fußbäder, rätst die Kinder nachts wieder ins Elternbett zu holen, das zu teilen, was an Wärme noch da ist. Aber du weißt schon lange, was dieses Dorf, was dieses Land braucht, ist Holz. Wir ignorierten den Lärm und die Kälte, nicht nur in unserem Haus, sondern auch in den Blicken, vor allem in denen der Bauern, der Waldbesitzer, der Forstarbeitenden. Wie sie nach ein paar Tagen der Holzwilderei, so nannten wir es, Mangels eines besseren Wortes dafür, ihre knallorangene Schutzkleidung gegen Jacken und Hosen in Dunkelgrün tauschten, sich versteckten, ausharrten, ihrem Wald verteidigten, zumindest tagsüber. Doch nachts, so hieß es im Dorfladen, sei alles anders. Man müsse nur die Richtigen kennen, fragen, ihnen ein Angebot machen, erzählte die Bäckerin augenzwinkend auch jenen, die es nicht hören wollten. Wir nickten, packten unsere Einkäufe ein und hielten uns raus. Zum Schlafen nahmen wir eine zweite, eine dritte Decke und tagsüber saßen wir nur zum Essen still. Wir waren im Bett oder arbeiteten, denn Ruhen kühlt aus. Wir bewegten uns also und lenkten uns ab, sammelten Vogelmiere und Hagebutten, räumten den Keller mit bunten Gläsern voll. Wir konnten so lange so tun, als ginge uns das alles nichts an, bis auch der Stoß vor unserem Küchenfenster keiner mehr war und ich dich fragen musste, ganz heiß bei mir auf einmal, ob du jemanden kennst, der weiß, wie das überhaupt jetzt geht mit dem Holz, was wir tun müssen. Eines Abends hast du gesagt, dass im Wirtshaus ein Fußballspiel von früher auf Großleinwand gezeigt wird. Ein bisschen alte Normalität, Glühwein gibt es auch, aber als du heimgekommen bist, hast du nach Wald und nicht nach Wein gerochen. Du hattest also jemanden gefunden, der bereit war, der neuen Hausärztin und ihrer Frau zu helfen. Ich habe dich nie gefragt, nie fragen können, was du dafür gegeben hast. Geld, Medikamente, vielleicht auch etwas ganz anderes, etwas, dessen Wert sich nicht beziffern lässt. vielleicht auch etwas ganz anderes, etwas, dessen Wert sich nicht beziffern lässt. Vielleicht schaust du deshalb jetzt auf deine Schuhe und noch immer nicht auf die Tiere, deren Wegen wir doch hier sind, weil ich es mit eigenen Augen sehen wollte. Ich könnte dich beruhigen, dir erzählen, dass es auch mir so geht. Jedes Mal, wenn ich einen Holzscheit in den Ofen lege, den meine Eltern wie alle vor ein paar Jahren gekauft haben, um die Gasheizung zu ersetzen, wie sich alles in mir zusammenzieht, weil ich denke, mein Wald, der Wald meiner Kindheit, weil ich mich frage, wohin das führen wird. Was kommt nach den Reden? Dass die Rehe panisch in die Autos gerannt sind, kann man ihnen das verdenken. Es ist doch vor allem ihr Wald gewesen. Du schaust auf den Boden und hinter meinen Augen drückt es. Vor dem Staat und unserem engsten Freundeskreis haben wir vor kurzem erst geschworen, ab jetzt machen wir im Leben alles gemeinsam. Niemals hätten wir uns dort im Rathaussaal der Stadt gedacht, dass sich das alles so bald als Unwahrheit entpuppen würde. Und doch, jetzt, hier, vor dem neu gebauten Wildtiergehege, stehen wir nebeneinander und schämen uns doch ganz allein. Am Heimweg kommt uns eine Mutter mit Kind entgegen. Beide tragen Stoffbeutel voller Zweige. Sie schauen zu Boden und grüßen uns nicht. Du und ich, wir verabschieden uns voneinander auf der Straße vor unserem Haus und plötzlich tust du mir leid. Es tut mir leid, dass du so sprachlos, so eingefroren bist und ich umarme dich, küsse deine Haare, deinen Nacken und du wirst ein bisschen weicher. Du kannst mir sogar in die Augen schauen, als du dich am Weg zur Praxis noch einmal zu mir umdrehst. Kannst mir sogar in die Augen schauen, als du dich am Weg zur Praxis noch einmal zu mir umdrehst. Es hat ein paar Monate gedauert, bis wir auf der Straße in der Öffentlichkeit wir sein konnten, bis ich das Dorf daran gewohnt hatte, dass ich mit einer Frau ankam und wir zusammen in das alte Haus meiner Eltern zogen. Du trägst die Haare, die schweren Schuhe und die gewalkte Jacke wie einer von ihnen, hast raue Hände und trinkst gern. Ich arbeite an den Fresken in der Kirche. All das hat geholfen. So richtig akzeptieren sie uns aber erst, seitdem du die Praxis hast. Eine Ärztin hat im Dorf schon lange gefehlt. Es hat sich herumgesprochen, wie du den Dekubitus der alten Gamsjäger behandelt hast, dass es dir nicht gegraust hat vor diesen Menschen mit dem Loch im Rücken, dass du auch diejenigen ohne Krankenversicherung untersuchst und als Bezahlung selbstgebranntes und selbstgebackenes annimmst, einmal sogar einen frisch geschossenen Fasan. Wie wir ihn heimlich hinter dem Haus vergraben haben, beide zu feige, ihn zu rupfen, auszuweiden, zu panisch wegen Salmonellen oder irgendwelchen Würmern und Viren und irgendwie auch, weil er uns leidgetan hat, wie ihm sein schillerndes Kleid, dunkelblau-golden und kupferfarben glänzend, nicht ausreißen konnten. dunkelblau-golden und kupferfarben glänzend nicht ausreißen konnten. Ein hirnloser Versuch, sich dieser neuen Wildheit der Welt zu verweigern. Eine Verschwendung, das wissen wir jetzt. Auf dem Weg zur Kirche hole ich Eier von der Nachbarin. Sie fragt mich, ob wir ein Gewehr kaufen wollen. Sie hat einen vollen Waffenschrank geerbt. Der Schwiegervater hat sich aufgehängt. Wie soll man das alles noch aushalten? Und ich nicke und schüttle gleich darauf den Kopf. Den Zehner für die Handvoll Eier nimmt sie nur zögerlich. Mir werbet lieber wir tauschen. Ich zucke mit den Schultern. Gegen was soll ich tauschen? Überleg dir was, sagt sie und steckt das Geld in ihre Kitteltasche. Ich verstecke die Eier unter den Polstern auf der Veranda und gehe zum See. Spiegel glatt ist der dunkelgrauen Tief. Zwischen den Holzdächern mit ihren spitzen Giebeln und Wetterhähnen steht der Kirchturm. Ein steinerner Klotz, aber ich will noch nicht arbeiten. Alle Umwege, die unser Dorf mir anbietet, die gehe ich. Über die Seepromenade, vorbei an der ehemaligen Anlegestelle der Ausflugsschiffe, der alten Schaumühle und dem Haus, das unter Denkmalschutz steht, weil da vor 200 Jahren einer ein berühmtes Gedicht geschrieben hat. Alles ist grau, irgendwo kreischt schon wieder eine Kreissäge und doch spüre ich ihn, den Charme von früher. Als meine Eltern mir erklärt haben, es sei doch etwas Gutes, die vielen Menschen, die täglich aus unzähligen Bussen und Autos strömen, wie sie sich vor unserer Veranda fotografieren ließen, zarte Frauen mit weißer Haut, schwarzen Haaren und Sonnenschirmen und mein Vater stolz sagte, bald werde ganz Japan seine Schnitzkunst und unseren Spalierpfir sich kennen. Die Bergspitzen am anderen Ufer und wie sie sich im See spiegelten, diesem See, einem der tiefsten der Region sagenden umwoben natürlich, die Berge voller Schätze aus Urzeiten hieß es. Unser Dorf hatte alles. Ein Skigebiet im Winter, Schaufischer und Trachten und zugeblumengeschmückte Kinder und Boote und Kühe im Sommer. Wegen der Tradition sagten die einen, für den Tourismus die anderen. Mit den Jahren schrumpfte unser Gletscher, auch der Neuschnee blieb aus. Die Gemeinde investierte in Schneekanonen und wir Einheimischen wendeten beschämt die Blicke von den grell-weißen Kunststoffbahnen ab, die sich nun wie überdimensionierte Spinnennetze über unsere immergrünen Berge spannten. Unseren Ort als Winterparadies am See. Das kannten Besucher in der bald nur noch von den ausgeblichenen Postkarten im Schaufenster der Trafik. Nach dem Schnee erwischte es die Saiblinge. Die allgegenwärtige Hitze, eine Krankheit oder ein Umweltgift, wir wissen nicht, was sie so plötzlich und in diesen Mengen umbrachte. Aber mir fällt jetzt ein, warum mich dieses Auf-die-Schuhe-Schauen so nervt, weil ich es kenne, und zwar von dem Tag, an dem sie die Kadaver entsorgten, als die vom Umweltamt wie Außerirdische in Schutzkleidung und mit Atemmasken anrückten und anfingen, Hunderte von blassen Fischen, die mit wunden Schuppen tot am Badestrand lagen, erst in Scheibtruhen zu schaufeln und dann in die Last wegen der Tierkörperverwertung. Wie das ganze Dorf schweigend dastand, zusah und ein paar alte, stumme Tränen vergossen. Ich sah hin und weinte auch und vielleicht weinte ich deswegen, weil ich es damals schon nicht ertragen konnte, die sie sich aus der Verantwortung ziehen. Wie das ganze Dorf kollektiv zu Boden starrte, als ginge uns das nichts an. So, wie es heute mit dem Wald und den Rehen ist. Und du, du machst mit. Du gehörst schon dazu. Bist längst eine von ihnen. Als der Schnee und die Fische verschwanden, der Blick auf den Hohen Götz nun befleckt war und die meisten von uns sich weigerten, länger im See zu baden, legte sich etwas Dunkles über unseren Ort. Ein zarter Schleier, der nichts verbarg, sondern eher etwas zeigte, der die Idylle als etwas Konstruiertes entlarvte. Auch die Gäste spürten es. Die Zeit der Sommerfrische und des Skiurlaubs war für sie vorbei und auch mich zog es weg. Ich verließ das Dorf verwirrt und ging nach Wien. Ich studierte, lernte alles über Farben, Pigmente, Verputze, Epochen. Als ich mich für ein Spezialgebiet entscheiden musste, wandte ich mich der Restaurierung von Wandmalerei und Architekturüberfläche zu, restaurierte Fresken in Österreich und Italien, ein heiliger Christophorus nach dem anderen und jeden Tag ging die Welt ein kleines bisschen mehr unter. Das redeten sich alle ein. Selbst als Kolleginnen und ich aus Venedig notevakuiert werden mussten, scherzten wir noch. Aquaelter habe es schließlich immer gegeben. Jahrtausenddürre wurde zum Unwort des Jahres gewählt. Und meine pragmatische Mutter pflanzte den Kiwibaum, der gleich im ersten Jahr kiloweise Früchte abwarf. Ich lernte dich kennen und obwohl wir uns monatelang versicherten, in diesen unsicheren Zeiten nichts Ernstes zu suchen und zu wollen, wurde es doch so ernst. Du warst die Erste, der ich ins Telefon stammelte, dass bei meinem Vater Demenz diagnostiziert wurde. Meine Mutter kümmerte sich, verzweifelte, hatte einen Schlaganfall und gerade als ich im Krankenhaus zu dir sagte, während ich ihr sanft über die Hand strich, dass sie das mit Absicht getan hatte, dass das wohl ihr Ausweg sei, da klingelte mein Handy und die Nachbarin schrie, auf der Bank säße der Vater mit Schaum vom Mund. Am Friedhof weist jetzt ein Schild darauf hin, beim Blumengießen dringend Wasser zu sparen und rät zu Grabschmuck aus Seide oder Plastik, aber dagegen wehrt sich das Dorf. Die Holzbank an der Friedhofsmauer ist weg, ebenso das geschnitzte Kreuz auf dem Grab in der Ecke. Ich zupfe an den vertrockneten Chrysanthemen herum, schaue noch ein letztes Mal auf den See. Ein Jahr sind die Eltern jetzt tot. Seit einem halben Jahr bin ich wieder da, arbeite direkt neben ihrem Grab und ertappe mich bei den ewig gleichen Gedanken, wie sie so friedlich nebeneinander liegen können, ob es einen danach gibt und ob er ihr dort den Schlaganfall verziehen hat und sie sie ihm das Rohrreiniger trinken. Ich schließe die Kirche auf. Der Pfarrer hat das Gestühl an einen sicheren Ort bringen lassen. Die Bänke sind 100 Jahre alt, sagt er. Seitdem komme das Dorf am Sonntag mit den Campingsesseln. Es ist egal, mein Gerüst sei ohnehin wichtiger. Wir würden groß feiern mit Bänken und Primborium, wenn ich fertig bin. Letzten Sommer, das erste Erdbeben in Österreich, das alle spürten. Ein Ereignis, aber weit nicht so aufregend wie das, was es hier freilegte. Spuren eines alten Deckenfreskos unter einer neuzeitlichen Putzschicht. Das Angebot stimmte, die Gelegenheit war günstig und du sofort dabei. Das Angebot stimmte, die Gelegenheit war günstig und du sofort dabei. Das Haus der Eltern stand schon ein paar Monate leer. Ihre Sachen staubten ein, wenn ich es nie schaffte auszumisten, mich nicht entscheiden konnte, wohin damit. Alles war plötzlich wichtig, unersetzlich, ein Puzzleteil der Erinnerung. Mit unserem Umzug konnte das Haus so bleiben, wie es war. Zumindest ein bisschen. Auf dem Altar stehen Papas alter Gaskocher und unser Campinggeschirr. Ich koche Wasser, gieße mir Lindenblütentee auf und bereite die Wärmekissen für meine Taschen und Schuhe vor. Jedes Geräusch halt von den Wänden der Kirche wieder und ich denke, das gehört sich nicht. Meine ganzen profanen Handlungen. Wie ich jetzt die Gummistiefel ausziehe, die kleinen warmen Plastikbeutel in sie hineinstopfe und die Schuhe mich am Altar festhaltend wieder anziehe. Sogar in der Kirche ist jetzt alles anders, aber sie scheint daran festzuhalten, dass es wieder gut wird, die Welt sich wieder fängt. Dass es einen Zeitpunkt in der Zukunft geben wird, an dem das, was ich freilege und restauriere, die verlorenen Schäfchen zurück in ihren Schutz treiben könnte, sie oder zumindest den Tourismus. Die Kirche ist mir suspekt. Diese Kirche mag ich. Wir haben es den Eltern hier noch ein letztes Mal richtig fein gemacht. Die Blumen aus dem Garten auf den Särgen, drei runden Rosenkranz, die singenden Volksschulkinder, dann das Essen. Eine schöne Laich wäre es geblieben, hätte nicht einer im Wirtshaus den Fernseher aufgedreht. Wenn wir die Rauchwolken nicht gesehen hätten, wie es brannte, überall so brannte, wie es noch nie jemand erlebt hatte, so brannte, sogar die Nachrichtensprecherin weinte. Es brannte in Rumänien, im Schwarzwald, in Italien, in Schweden. Der Nationalpark im Nachbarbundesland, ein Flammenmeer und plötzlich hörten wir die Löschhubschrauber, sahen durch die Gasthausfenster, wie sie mit großen, knallroten Kübeln Wasser aus unserem See schöpften und wegflogen, wieder und immer wieder. Wir kauten und tranken leise, bedächtig, während es brannte und neben mir saß die Nachbarin mit ihrem Kind, das ständig seine Mama nach dem Regen fragte, wissen wollte, wann er denn endlich wieder käme, so lange, bis einer der Alten mit der Faust auf den Tisch schlug, so fest sein Bier schwappte über. Hinter dem Altar hängt ein überlebensgroßer, hölzerner Jesus am Kreuz. Brustmuskeln, Unterarme, Waden, der ganze Körper schmerzvoll angespannt für alle Ewigkeit. Nur der Kopf liegt auf der Schulter, resigniert. Hättest du dir auch alles so nicht vorgestellt, oder? Sage ich zu ihm, steige aufs Gerüst und drehe das Baustellenradio laut auf. Wie war dein Tag? Fragst du mich Stunden später, als wir uns schon minutenlang über die Brennnesselsuppe hinweg angeschwiegen haben und ich hebe den Blick. später, als wir uns schon minutenlang über die Brennnesselsuppe hinweg angeschwiegen haben, und ich hebe den Blick. Ich habe Blattkohlreste an den Putten am Friese in der Vierung gefunden. Der Pfarrer hat schon um eine Budgeterhöhung angesucht, damit wir das restaurieren können, sage ich. Du wirfst den Löffel in deinen leeren Teller, schiebst ihn von dir weg und lachst laut. Bitter, giftig, ein Lachen, das ich so von dir nicht kenne. Was ist da so lustig? frage ich. Du stehst auf und gehst zum Küchenschrank, nimmst die Flasche heraus und drehst dich um. Allen geht das Geld aus. Es gibt kaum noch Medikamente. Als nächstes wollen sie den Strom rationieren. Heißt es Fleisch, Holz, alles wird unleistbar teuer und du, du sitzt in deinem heiligen Türmchen und spielst mit Gold herum. Herumspielen würde ich das jetzt nicht nennen, sage ich und stehe ebenfalls auf. Du schenkst in den Schnaps ein, trinkst und murmelst, ist das noch Nächstenliebe oder was? Das Hey kommt mir zu laut von den Lippen und vielleicht nehme ich dir auch das Glas zu grob aus der Hand. Du weißt, ich mag es nicht, wenn du seufzt, sage ich dir ins Gesicht. Deine Augen glänzen. Du hast noch die Flasche in der Hand, machst dir einen Schritt auf mich zu und knallst sie auf den Esstisch. Das Geschirr scheppert und in mir zittert etwas. Und ich, ich mag das alles hier nicht. Alles ist scheiße, schreist du und polterst aus der Küche. Die Zeit friert ein oder dehnt sie sich aus. Plötzlich ist da ein Loch im Raum, im Gefüge, in mir und ich stehe einfach nur da und starre auf die Küchenzeile, als wäre irgendwo zwischen dreckigen Geschirrspülmitteln und getrockneten Kräutern diere auf die Küchenzeile, als wäre irgendwo zwischen dreckigen Geschirrspülmittel und getrockneten Kräutern die Antwort auf die Frage versteckt, warum alles so kaputt ist. Dann ist es vorbei. Ich höre die Uhr im Vorzimmer wieder ticken, einen Wasserhahn tropfen und dich, wie du draußen Holz hackst. Ich gieße einen Schluck Schnaps in meinen Tee und den Rest der Flasche in die Abwasch, Ich gieße einen Schluck Schnaps in meinen Tee und den Rest der Flasche in die Abwasch, öffne das Fenster und sehe dir zu, wie du mein altes Kinderbett kleinschlägst. Dir rinnt es von den Schläfen, deine Haare sind nassgeschwitzt und du keuchst bei jedem Mal ausholen. Ich sehe, wie deine Kraft nachlässt, wie du dich weiterquälst, hackst und hackst und hackst. Hast du gewusst, kreuchst du zwischen den Axtschlägen. Ärztinnen haben ein um 150 Prozent erhöhtes Suizidrisiko. Red doch sowas nicht, sage ich und schließe sofort wieder die Fensterläden. Das Bett ist klamm und ich warte lange, bis du auch kommst. Du fragst nicht, ob ich noch munter bin und ich tue auch nicht so, als ob ich schlafe. Als du dich wegdrehst, hat es etwas Demonstratives. Da sich deine Namen in die Dunkelheit flüstere, ignorierst du, also schwebt er dort wie ein Geist aus angenehmeren Zeiten. Die Tage gehen dahin und wir uns aus dem Weg. Das Blattgold wird geliefert, der Pfarrer sperrt es in den Safe. Du kommst immer später nach Hause. Am Ende der Straße zersägt und verheizt einer seine Veranda und die Nachbarin und ich, wir pflücken Hallimarsch auf einem verlassenen Grundstück an der Seepromenade. Sie sagt, ihr Mann mache sich Sorgen um dich, die Ärztin so viel im Wirtshaus. Die Leute reden schon, sollen sie reden und doch selbst weniger saufen, sage ich. Die Nachbarin nickt. Warum sie ihre Hühner jetzt auf dem Dachboden hält, will ich wissen. Gesindel, Elendiges, sagt sie und spuckt auf den Boden. Ob ich noch in den Wald will, wegen der Baumschwämme dort? Auf keinen Fall. Eines Nachts weinst du im Schlaf und endlich halte ich dich wieder fest. Du lässt dich streicheln und später küssen. Du legst mich auf den Bauch und dich auf mich, erinnerst dich an all die richtigen Stellen. Unsere Körper sind klebrig, warm und wir uns ganz nah. Für einen Moment fühlt es sich an, als könnte alles gut werden. Die Sonne geht auf, wir liegen noch immer eng zusammen, die Meisen unter dem Dach machen einen Zirkus und als ich in die Arbeit komme, fluten die Glasfenster der Kirche mit Regenbögen. Ich liege auf dem Rücken, direkt unter dem Gewölbe, summe zum Radio und wische vorsichtig Staub und Schmutz vom Mantelsaum der heiligen Katharina, als es draußen knallt. Mit dem Pinsel in der Hand erstarre ich. Wieder knallt es, der Lärm kommt vom Wasser. Ich richte mich auf, schaue durch ein Fenster im Obergarten und da sehe ich es. Auf der Badewiese am See steht einer und ballert auf die Stockenten und Schwäne am Ufer. Mir steht das Schweiß im Nacken, meine Handflächen sind feucht. Als ich das Gerüst herunterklettere, rutsche ich fast ab. Im Spiegel am Klo in der Sakristei sehe ich die roten Flecken auf meinen Wangen. Ich wasche mein Gesicht und meine Hände wieder und immer wieder, bis meine Haut pocht und meine Finger Eiszapfen sind. Als ich die Tür ins Seitenschiff öffne, steht er in der Vorhalle. Einer der Waldarbeiter, das Gewehr an zwei Wasserbecken gelehnt, taucht er seine Finger ein, senkt den Blick und macht das Kreuzzeichen. Der Raum trägt sein Flüstern zu mir. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. In seiner Linken die Vögel, ganz schlaff. Eine Ente, eine Krähe, etwas Graues, Blut tropft auf den Boden. Ich räuspere mich und trete vor den Altar. Wir schauen uns lange an, dann hebt er die toten Vögel hoch. Meine Frau hat vorgestern entbunden, sagt er. Ich schlucke. Herzlichen Glückwunsch. Er nickt mir zu, packt die Waffe und klemmt sie unter seine Achsel. Quietschend fällt die Kirchentür ins Schloss. Ich tauche ein benutztes Taschentuch ins Weihwasserbecken und wische die Blutstropfen vom Boden. Irgendwo auf dem Friedhof guren die Ringeltauben, als wäre nichts geschehen. Und unter dem Dach berichtet ein Nachrichtensprecher von Massenschlägereien in der Bezirkshauptstadt. Irgendwie geht der Tag zu Ende. Ich koche Grießkoch mit Hagebuttengelee. Wir reden wieder nichts und gehen früh ins Bett. Wir liegen weit auseinander. In diesem Bett hätte noch jemand Platz. Da schläft etwas Riesiges, Unausgesprochenes im Zwischenraum. Was ist da also? Der Unterschied zwischen Müdigkeit und Erschöpfung, denke ich und meine Augen fallen zu. Ich wache auf, weil du schreist, als hättest du Schmerzen. Du bist irgendwo unten und hörst gar nicht auf. Draußen dämmert es und ich finde meine Schlapfen nicht. Die Nachttischlampe will nicht brennen. Ich ziehe an der Schnur immer fester, bis sie abreißt. Im Erdgeschoss poltert es, als würdest du die Möbel umstellen. Nein, als würdest du sie zerschlagen. Dann heulst du laut, langgezogen, gar nicht mehr wie ein Mensch. Und als ich auf Zehenspitzen die Stiegen hinunterschleiche, da fürchte ich mich vor dir. Der Küchentisch ist umgeworfen, der Boden voller Scherben, der Zeppich klebt. Der Kühlschrank ist offen, dunkel, still. Der Lichtschalter geht nicht. Dein Schluchzen kommt von weiter unten, wie aus der Erde selbst. Du weinst so laut, ich spüre es in mir. Durch das vergitterte Fenster fällt blaues Licht in den Keller. Der Staub tanzt wie Detriusregen in der Tiefsee. Jetzt sind wir ganz unten. Hier ist unbekanntes Terrain. Der Boden schwimmt, vor meinen Augen schwimmt es. Du kniest vor der geöffneten Tiefkühltruhe, reißt ein dunkelroser Paket nach dem anderen heraus und wirfst es klatschend auf den Boden. Aufgetautes Fleisch, kiloweise, kaputt, nutzlos. Du raufst dir die Haare und murmelst nur noch Scheiße, Scheiße, Scheiße. Von wem hast du das? Es klopft an der Tür, wir ignorieren es. Ärztliche Schweigepflicht das sind, aber ich hebe die Hand. Du musst mir nichts mehr erklären, was das ist oder wer da eingefroren wurde. Stocksteif stehen sie da. Die Augen braun und wachsam, die Nüstern feucht unter den letzten Fichten. Die Rehe, der Wald. Und plötzlich bin ich es, die auf ihre Füße schaut, für weiß Gott wie lang. Es klopft wieder an der Haustür lauter, deutlicher so, dass man es nicht mehr ignorieren kann. Da steht die Nachbarin in einer dicken Jacke über der Kittelschürze mit Holzschuhen und mit einem aufmerksamen Blick. Eure Eierlieferung. Sie hält mir einen abgeschlagenen Karton hin und spät an mir vorbei in unser Vorzimmer. Sind frisch, noch ganz warm. Danke. So ein Service um diese Uhrzeit, sage ich, vielleicht etwas zu fröhlich. War ja nicht zu hören, nicht zu überhören, dass ihr schon auf seid. Sie senkt die Stimme und sieht mich an. Alles in Ordnung. Ich nicke. Bis auf den Strom halt. Der Strom, der kommt schon wieder. Du wegen der Eier, sagt sie. Und ich will sie aus der Hand nehmen, aber sie lässt sie nicht los. Gegen was tauschst du? Ich zögere. Ich zögere, räuspere mich. Wild? Wild hätte ich? Ach komm, wild, wild haben wir doch alle genug, sagt die Nachbarin und schüttelt den Kopf. Ihre Schritte klackern über die Steinplatten, erst in unserem, dann in ihrem Vorgarten, dann wieder stiller im Ort. Der Himmel ist rosa, die Berge leuchten, über dem See hängt der Nebel. Ein Schwarm Krähen fliegt von einer nahen Birke zum Wasser. Als es wieder knallt, einer der Vögel erst erstarrt und dann, wie in Zeitlupepe zu Boden fällt, zucke ich nicht zusammen. Am See bellt irgendwo ein Hund und du rufst meinen Namen. Danke und danke, Erich, fürs Kuratieren dieses schönen Abends. Ein Foto, das wir einfach uns gemeinsam... Also ein Foto, okay. Also für die anwesenden Menschen. Wie so ein bisschen Zauberrutschen. Ja, ja. Also ein erstes Foto. Danke. Wenn wir so ein hübsches Quartett sieht. Danke. Danke, Marlena, Ilse, Lisa. Danke an das Stifterhaus, an das Publikum, an die Regina, an den Helmut, an den Björn und die nächsten Veranstaltungen im Stifterhaus muss ich nicht ansagen. Am 28. ist die Marlene Strerowicz da und dann gibt es am 7., das ist kein Stifterhaus-Termin, im Linzer Rathaus im Renaissance-Saal die Preisverleihung des Eugénie und Franz-Kein-Preises und nächste Woche ist am 29. auch die nächste Sendung von Wally Rettenbachers poetologischen Ortungen. Ich glaube, das ist soweit für heute. Danke sehr und schönen Abend und die Autorinnen sind noch nicht entfleucht, also etwaige Fragen oder Bücher gibt es hinten und die Fragen an die Kollegin Lenzern vorne zu stellen. Danke sehr.