Zuerst dachte ich, es wäre ein Teil eines verdorrten Blattes und fragte mich, weshalb es mir jemand auf meinen Schreibtisch gelegt haben könnte. Nun, in gewisser Weise war es auch ein verdorrtes Blatt. gesehen, dass es der Aufkleber von einem der Gläser war, in denen ich vor langer Zeit Sande aus meinen bzw. unseren Urlaubsorten gesammelt hatte. Auf diesem stand säuberlich mit Schreibmaschine geschrieben, Santa Maria del Mar. Ich wunderte mich, war ich doch der Meinung, die Aufkleber wären im Laufe der Jahrzehnte schon längst alle abgefallen. Zumindest einer hatte aber offenbar die Zeitläufte überdauert. Aber Santa Maria del Mar? Ich erinnerte mich an keinen Urlaubsort dieses Namens. Also klappte ich den Laptop auf und bemühte die Suchmaschine. Gotische Kirche in Barcelona. Aus einer Kirche hatte ich ganz gewiss keinen Sand mitgenommen. Im weiteren jedoch immer nur Einträge über diese Kirche, bis schließlich einer über einen Strand in Andalusien auftauchte, ein, wie es da hieß, kleiner, abgelegener, über Rampen oder Wendeltreppen zu erreichen, in Cadiz. Mit der Stadt Cadiz verbinden sich für mich allerdings keine Erinnerungen. Wir sind einmal in Andalusien gewesen und ich nehme an, dass damals Almeria, die zum Urlaubsort nächstgelegene Stadt war. Aber ich erinnere mich ohnehin kaum an jenen Urlaub, abgesehen davon, dass ich nicht in Granada gewesen bin und nicht die Alhambra gesehen habe, da ich Frau und Kind zurücklassend vorzeitig heimflog, nachdem mich der Arzt meiner Mutter angerufen hatte, um mir mitzuteilen, die Mutter liege bei den Lieseln, also im Krankenhaus der Elisabethinen, auf der Intensivstation. Auf der Website jenes Strandes bei Cadiz wird die Farbe des Sandes mit Goldgelb angegeben. Wie der aus meinem Santa Maria del Mar stammende Sand aussieht, kann ich nun, nachdem der Aufkleber vom Fläschchen abgefallen ist, nicht mehr feststellen. Lediglich einen der gesammelten Sande könnte ich wohl auch ohne Aufkleber jederzeit identifizieren, dachte ich. Den schwarzen Sand, den wir von Santorin mitgebracht hatten. Got erast demonstrandum. Die Fläschchen mit den gesammelten Sanden standen längst nicht mehr nebeneinander gereiht im Bücherregal, wohl im Zuge einer Abstaubaktion waren sie in einem Fach des Regals achtlos in eine Ecke geschoben, zum Teil sogar übereinander gestapelt worden. Und als ich auf der Suche nach dem Santorinsand begann, sie wieder nebeneinander zu reihen, war da gar nicht genügend Platz und ich musste sogleich feststellen, dass auf einer ganzen Reihe von Fläschchen doch noch die Aufkleber vorhanden waren. So sammelte ich in einem Fach die mit und im anderen Fach die ohne Aufkleber. Insgesamt 16 Fläschchen, 8 davon, genau die Hälfte, noch identifizierbar, darunter auch das mit dem schwarzen Sand. Er war einzigartig, obwohl auch einige andere Sande schwarze Einsprängsel hatten, etwa der aus Irak und einer, bei dem nicht mehr feststellbar war, woher er stammte. Unter diesem war auch ein rötlicher und einer, den man am ehesten Violett nennen konnte. Die Bezeichnung Sandfarben ist im Grunde nichtssagend. Selbst die Sande, die man so nennen könnte, unterscheiden sich, wenn man sie nebeneinander sieht. Die Nuancen aufzuzeigen hatte ja meiner einstigen Sammelleidenschaft geführt. Und sollte die Farbe von zwei Sanden tatsächlich einmal identisch sein, dann war auf jeden Fall noch die Körnung verschieden, waren die Körner des einen größer bzw. kleiner als die des anderen. Ich hätte auf den Aufkleber nicht nur den Ort, sondern auch das Jahr vermerken sollen, fand ich, als ich die Fläschchen, die noch einen trugen, in eine Reihenfolge bringen wollte. Wann wir wo waren, war aber kaum von Bedeutung, also ordnete ich sie alphabetisch. Alania, Dures, Iraklion, Limassol, Marsalforn, Santorin, Tolon, Trasimena See. Abgesehen vom letzten kamen alle von Urlauben am Meer, doch meine Sande waren keineswegs alle nur Strandgut. Es war bestimmt auch Wüstengut dabei. Tunesien, Marokko, Jordanien. Aus Petra stammte jedenfalls die kleine Flasche, die möglicherweise einmal in der Minibar eines Hotels gestanden ist, in der aber letztlich der Alkohol durch Sand von Einheimischen kunstvoll ersetzt wurde, rote, violette, graue, goldgelbe, helle Sande der umliegenden Wüste zu Bildern gegossen. Ich erinnere mich nicht, wo wir aus Ackerbau auch noch Sand mitgebracht haben, der nun nicht mehr identifizierbar war. Irgendwann erstarb die Sammelleidenschaft. Sie versandete. Außerdem will man ja auch nicht kriminell werden. Damals war schließlich immer öfter die Rede davon, wie viel Sand gestohlen wurde. Um die Erde zuzubetonieren, braucht man schließlich Sand. Ich habe gelesen, dass 50 Milliarden Tonnen Sand jährlich für die Herstellung von Beton verbraucht werden. Das wären etwa 18 Kilogramm täglich pro Einwohner unseres Planeten. Wüstensand ist übrigens für die Herstellung von Beton nicht geeignet. Für die 330.000 Kubikmeter Beton, die im Burj Khalifa, dem 828 Meter hohen Wolkenkratzer in Dubai verbaut wurden, wurde der Sand aus Australien in das Wüstenemirat importiert. In absehbarer Zukunft könnte die Redewendung wie Sand am Meer nicht mehr zeitgemäß sein. wie Sand am Meer nicht mehr zeitgemäß sein. Schon vor Jahren ist in Jamaika ein 400 Meter langer Strand gewissermaßen über Nacht spurlos verschwunden. Viele Tonnen Sand füllten die Ladeflächen von Lastern, unglücklicherweise kam aber kein bisschen davon in die Getriebe, weshalb man dort seither den Kopf nicht mehr in den Sand stecken kann. Danke. Aplausos.