Ja, hallo, danke für die Einladung. Ich werde noch ein bisschen Hochwasser beisteuern. Da ist Leben vorm Fenster und an jedem Fenster sitzt jemand und schaut hinaus. An jedem Fenster schreibt jemand was auf. Ziehen Gedanken vorbei und fliegende Fische. An jedem Fenster will jemand hinaus. Mit dem Schwemmholz schwimmen und solche Dinge. Und auf dem Gehweg tote Fische. An der Stelle, wo das Haus gestanden war, befanden sich vier hohe Schutthaufen, streng nach Farben sortiert, ziegelrot, grau, dunkelgrau und Braun wie Erde. Sie glichen einem Kunstwerk in der Landschaft. Manchmal spielten Kinder darauf. Wüsste man es nicht besser, man könnte von Landart sprechen. Für uns aber waren es die illegalen Haufen. Illegal deshalb, weil sie kurz nach dem Abriss und der war Monate her, hätten weggebracht werden müssen. Vielleicht, dachten die Behörden, würde Gras über die Hügel wachsen. Doch die Haufen mussten weg, spätestens zum Jahreswechsel, hieß es. Nie begann das neue Jahr mit Silvester. Es begann mit dem Entschluss, den Christbaum aus dem Fenster zu werfen, die Tannennadeln wegzufegen und den Teppich wieder auszurollen. In den Supermärkten wurden Lachsfilets und Fitnessmatten zu Schleuderpreisen verkauft. Und dann kam die Schneeschmelze. Das stand in keinem Bauernkalender, aber so war es jedes Jahr. Mit den Sonderangeboten kommt das Wasser. Wir waren vorbereitet. In der Garage lagerten Sandsäcke. Gehen wir Hochwasser schauen, hieß es dann. Wir gingen Richtung Brücke und schauten Hochwasser. Man kann nicht sagen, dass der Frühling schon Einzug hielt, dafür war es zu kalt. Doch das Licht hatte sich verändert in den letzten Tagen, das Licht war heller geworden. Es wird schon Frühling, sagte ich, wie jedes Jahr. Tom schüttelte den Kopf und sprach von Winter. Es ist doch eiskalt, fuhr er mich an. Die Wiesen waren überflutet, die Landschaft glich einem See, die Haufen waren nun Inseln. Wenn nichts mehr übrig ist von diesem Ort, sind die Haufen wahrscheinlich immer noch da, sagte Tom, leicht gereizt, leicht nervös. Der Pegel stieg. Mir war, als wäre ich weit weg. Die Sonne spiegelte sich im Wasser. Endlich am Meer, dachte ich. Doch das sprach ich nicht aus. Ich sagte, Hochwasser gibt es nur, weil es uns gibt. Und Tom sah mich an und meinte, das sagst du jedes Jahr. Die illegalen Haufen aber, die waren vor einem Jahr noch nicht hier gewesen. Und diese Haufen, die gefielen mir, sprach ich auch nicht aus. Ich weiß, was du denkst, sagte mein Mann. Und irgendwie hast du recht. Es ist fast schön. Das war viel für ihn, das hatte er bei Schneeschmelze noch nie gesagt. Mit schön, meinte er die Sonne, die im Wasser unterging. Allen war leid um das abgerissene Haus, das hätten manche gern gehabt, aus dem hätte man was wach machen können, hieß es. Was es denn kosten würde, hatten sie gefragt. Doch der Hochwasserschutzverband hatte der Witwe immer noch mehr Geld geboten. Und so kam es, dass der Verband das Grundstück kaufte, um einen Damm darauf zu bauen und nun Eigentümer dieser vier illegalen Hügel war. Ausgerechnet der Hochwasserschutzverband. Niemand sprach es aus, dass doch endlich was geschehen müsste, das wäre doch kein Zustand. Doch es war ein Zustand, ganz offensichtlich war es einer. Diese Hügel, schön oder nicht, gehörten nicht hierher. Eigentlich müsste man sie verklagen, das Wasser muss doch versickern können, meinte Tom. Im selben Moment trat ich auf einen kleinen, toten Fisch. Es war ekelhaft. Zumindest hatte ich Schuhe an und er war schon vorher tot gewesen. Erstickt. Nicht wie die Nacktschnecke, die noch gelebt hatte, als ich im Sommer barfuß darauf getreten war und sich der orange Schleim zwischen die Zehen gedrückt hatte. Wenigstens ist jetzt kein Loch in der Landschaft. Man sieht noch, dass hier jemand gelebt hat. Vom ausbezahlten Geld für das Haus hatte sich Waltraud, die Witwe, eine Wohnung im Ortszentrum gekauft. Sprach man mit ihr, konnte man fast den Eindruck gewinnen, als hätte sie es nicht erwarten können, dass Fredel stirbt und sie endlich von ihr wegziehen konnte. Ihren Mann hatte sie damals hinter dem Haus begraben lassen, bei den Brennnesseln. Eine Gartenbestattung hat er sich immer gewünscht, hatte sie gesagt, und kurz danach das Grundstück verkauft. Jetzt ist der Hügel, jetzt ist das Grab überschwemmt, sagte Tom und ich dachte, nicht umsonst liegt der Friedhof auf einem Hügel. Ich wohne am Berg, mich kümmert das Hochwasser nicht, sagten die, die in sonniger Hanglage wohnten, die teuerste Gegend des Ortes, ausgerechnet neben dem Friedhof. Dort möchte ich auch nicht leben, sagte ich, neben dem Bürgermeister und dem Friedhof. Aber begraben willst du dort schon werden, oder? Und dann sprachen wir über Wasserbestattung. Die Asche ausstreuen in der Donau. Geht das? Dann musst du dich nicht um mein Grab kümmern, sagte ich. Und mein Mann meinte, und du dich nicht um meines. Hoffentlich machen sie endlich was, was Gescheites. Hochwasserschutz, Renaturierung. Zuerst müssen die Haufen weg, sagte Tom. Und ich gab ihm recht und sagte, ja, die Haufen müssen weg. Wir gingen bis zur Brücke und standen noch eine Weile so da. Ich hielt mich am Geländer fest, denn ich hatte Angst vor mir, Angst zu fallen, aber das war normal. Mein Mann umfasste mein Handgelenk, nichts konnte passieren und der Gedanke, einmal Asche zu sein, verstreut in diesem Fluss, der irgendwo ins Meer mündet, der gefiel mir. Dankeschön.