Wie machen wir jetzt weiter? Gespräche mit Menschen, die Zukunft denken. Ein gemeinsames Projekt von Movement 21 und der Zeitschrift Welt der Frauen. Mein Gast heute ist Barbara Bachel-Eberhardt. Herzlich willkommen, Barbara. Grüß Gott, danke für die Einladung zum Gespräch. Barbara, du hast während der Corona-Zeit Aufzeichnungen gemacht, wie du es ja, glaube ich, grundsätzlich machst. Was ist denn da besonders wichtig gewesen? Was hat sich als wichtig herausgestellt im Zuge dieser Aufzeichnungen? Erstens war es für mich wunderschön, diese Aufzeichnungen, also ich schreibe immer Tagebuch, aber in dem Fall habe ich mich entschieden, dieses Tagebuch öffentlich zu machen als Blog und auch interaktiv, indem ich es auf Facebook immer wieder veröffentlicht habe. Und schon das war wunderschön für mich zu merken, wenn man mit seinen Gedanken nicht ganz allein ist, wenn man Antwort bekommt auf das, was man sich fragt und was man sich denkt, dann stärkt das unglaublich, dann führt das zu weiteren, zu neuen, interessanteren Fragen und auch zu immer interessanteren Blickwinkeln, die man einnehmen kann. Was hat dich emotional besonders mitgenommen in dieser Zeit oder was hat sich besonders eingeprägt? Die meisten Fragen, die ich mir gestellt habe, auf die ich teilweise bis heute keine schlüssige Antwort habe, die drehen sich um das Zusammensein mit meiner kleinen Tochter, um dieses rund um die Uhr, voll und ganz als betreuende Person verantwortlich sein für so ein kleines dreijähriges Kind, das einen einfach in jeder Sekunde des Tages fordert. Ich bin das nicht gewöhnt. Ich bin Working Mom, was auch anstrengend ist, aber anders anstrengend. Und ich glaube, es ist immer, wenn man in eine andere Lebenssituation kommt, die man nicht gewöhnt ist, dann hat man erst einmal Umstellungsschwierigkeiten. Und das ist anstrengend. Wie habt ihr das gelöst, Erika und du, dieses rund um die Uhr zusammen sein? Was ich wirklich gelernt habe in dieser Zeit, ist, meine Grenzen besser zu spüren, früher zu spüren, nicht erst, wenn sie schon überschritten sind, sondern da, wo wir uns annähern, da, wo ich noch freundlich und lieb sagen kann, du, jetzt reicht es, jetzt braucht die Mami was anderes. Und auch eigenverantwortlich dann eben etwas zu verändern, Entscheidungen noch nicht als Notwehr zu treffen, sondern noch aus Freiwilligkeit. Gehen wir jetzt in die Badewanne, ziehen wir uns die Jacke an und gehen wir raus oder kochen wir was oder biete ich ihr irgendeine neue Art von Spiel an, wenn ich schon nicht mehr Rollenspiel mag und nicht mehr Rollenspielen kann. Ja, also den Umgang mit meinen eigenen Grenzen, ich glaube, den musste ich vor allem lernen und den durfte ich lernen in dieser Zeit. Wir versuchen ja immer, ungewohnte Ereignisse einzuordnen und diese Pandemie mit all den Folgen, die wir erlebt haben, war ja auch so ein Ereignis. Jetzt sagen manche, okay, das war eigentlich ein Wahnsinn, so etwas haben wir noch nie erlebt. Andere sagen, im Verhältnis zu dem, was man noch erleben kann, war das eigentlich ein Glacks. Und du hast in deinem Leben ja schon auch ganz andere Einschnitte erlebt. Du hast deine erste Familie durch einen Unfall, durch Unfalltod verloren und musstest weitergehen. Soll man das überhaupt tun, solche Krisen miteinander vergleichen, sich dann möglicherweise sozusagen auch damit zu trösten, dass die jetzige gar nicht so schlimm ist? Aus meiner größten Krise, nämlich dem Tod meiner Familie, habe ich mitgenommen, man darf alles und man soll alles, was einem gut tut. Also wenn das Vergleich mit schon durchlebten Krisen oder auch mit dem, wie es anderen geht, einem hilft, einen irgendwie aufbaut, dann soll man das und darf man das, glaube ich, um jeden Preis tun. Wenn es einen noch mehr belastet oder einem gar ein schlechtes Gewissen macht im Sinne von, was jammerst denn du an, dann geht es doch viel schlechter und wenn es dazu führt, dass man den eigenen Kummer, die eigene Überforderung, Überlastung oder die eigene Angst nicht mehr ernst nimmt, dann ist es, glaube ich, keine gute Strategie. Ich selber habe also nicht aktiv verglichen. Teilweise war ich konfrontiert, gerade bei meinem öffentlichen Blog, mit Menschen, die sich mit mir verglichen haben, die gesagt haben, hier geht es doch im Vergleich zu uns immer noch gut. Das hat mir Kraft genommen. Das hat mich natürlich beeinflusst und mich traurig gemacht oder auch manchmal in eine Verteidigungshaltung gebracht. Aber ich glaube auch, unser Kopf ist ja nicht so groß und unser Brustkorb, in dem wir da so unsere Gefühle haben, der ist jetzt auch nicht so groß. Und da ist halt das, was wirklich groß ist an Angst, an Schmerz, an Verzweiflung, die kann ja eh immer nur so groß sein. Das ist tröstlich, weil größer wird es nicht, aber es ist auch eben, es ist dann immer so groß. Also egal, ob ich jetzt drei Tage nicht gescheit geschlafen habe und völlig überlastet bin, dieser Platz wird ganz eingenommen. Genauso wie er eingenommen wird von der Tatsache, dass meine Kinder gerade im Sterben liegen, so wie es bei mir vor zwölf Jahren war. Und ich glaube, also dieser Vergleich letztendlich bringt da nicht wirklich was. Überhaupt nichts. Die großen Krisen des Lebens treffen einen ja eher immer unvermutet oder so, wie du getroffen worden bist von dieser ganz großen Krise. Jetzt gibt es Menschen, die in erwartbare Krisen momentan kommen, also zum Beispiel wirtschaftlicher Art, weil Unternehmen sehen, das wird sich nicht ausgehen, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen, ich werde meinen Job verlieren. Aus deiner Erfahrung, kann man sich da irgendwie einstellen oder kann man da irgendetwas schon in der Vorbereitung machen? Es ist auch so eine Lehre, die ich mitgenommen habe. Ich gehe grundsätzlich gerne sehr blauäugig und naiv immer so in den neuen nächsten Tagen. Ich lasse mich auch immer sehr gerne überraschen und sage immer, Pläne sind schon gut, aber noch schöner ist es, sich vom Leben überraschen zu lassen. Jetzt in dieser Krise musste ich das ein bisschen revidieren oder ich musste ein bisschen dazulernen. Es gibt ja dieses Sprichwort, das heißt, Fragen kostet nichts. Und ich habe für mich ein zweites Sprichwort aus dieser Zeit mitgenommen, nämlich nicht fragen kann unter Umständen sehr viel kosten. Und ich glaube, zu fragen, um Hilfe zu bitten, Informationen gezielt einzuholen und die eigenen Ängste vielleicht nicht überernst zu nehmen, aber immer wieder zu lauschen, welche Fragen stellt denn meine Angst? Was weiß ich nicht, was mir gerade so Angst macht? Das ist, glaube ich, eine sehr gute Art der Angst im Moment zu begegnen, diese Fragen hinter der Angst zu holen und alle Wissensbausteine, die man nur ansammeln kann, die man jetzt brauchen könnte. Und das kann auch der Blick aufs eigene Konto sein, sitzen mit dem Taschenrechner oder die Steuerberaterin anzurufen oder sich durch diesen Härtefallfonds Wust durchzuwühlen. Das alles ist, glaube ich, sehr sinnvoll und da muss man Mühe aufwenden, das ist anstrengend. Aber ich glaube, es kann wirklich sehr viel kosten, das alles nicht zu tun. Also wenn ich dich richtig verstehe, dann sagst du, schau konkret hin. Also lass dich sozusagen nicht von der großen dunklen Wolke, die dir den Kopf vernebelt, zu sehr bestimmen, sondern versuch konkret hinzuschauen. Ja, genau. Also ich glaube, wozu uns diese ganze Krise jetzt aufruft, und das habe ich auch in meiner ersten großen Krise schon gemerkt, ist eine Abkehr vom Schwarz-Weiß-Denken. Es ist nicht alles schlimm, aber es ist eben auch nicht mehr alles gut, sondern wir müssen diese Graustufen dazwischen erkunden und wir müssen lernen zu differenzieren. Was ist jetzt gerade wirklich schlimm? Was ist auch ernst? Was ist lebensbedrohend ernst? Vielleicht existenzbedrohend ernst? Darum muss ich mich kümmern. Und da halte ich weder was von diesen ganzen Weichzeichner, esoterischen Weichzeichner-Strategien. Gehe nicht in deine Angst, lass sie los. Du musst ins Vertrauen gehen. Ja, grundsätzlich, aber nicht pauschal und nicht mit Weichzeichner, sondern mit Sinn und Verstand oder wie eine ganz liebe Therapeutin von mir mal sagte, mit warmen Füßen und kühlem Kopf. Ich glaube, das ist eine gute Haltung. Warme Füße und kühler Kopf ist ein schönes Bild. Du bist, hast du jetzt schon selbst gesagt, du versuchst sehr seismografisch wahrzunehmen, was sich an Fragen aufdrängt, was du wahrnimmst. Hast du auch ein Empfinden für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen? Nimmst du da auch Veränderungen wahr? Ja, also im Moment nehme ich leider eher traurige Veränderungen wahr, nämlich dass wir in Lagerbildungen gehen und dass viele dazu neigen, momentan zu moralisieren und Menschen auszugrenzen oder abzuwerten oder zu verurteilen. Das finde ich eine sehr traurige Entwicklung. Und ich glaube, wozu wir aufgerufen sind und was die Zeit letztendlich von uns verlangen wird, ist dieses Moralisieren abzulegen und uns, also jedem von, oder diesem im Menschsein, in jedem gegenüber nachzuspüren. Und ich glaube, wir müssen und dürfen immer mehr lernen zu fragen, statt zu wissen. Auch die anderen und vor allem die Menschen, die wir nicht verstehen, die Menschen, mit denen wir nicht sofort konform gehen, verstehen zu wollen und nachzufragen. Also das ist so mein Optimismus, der da spricht und der sagt, wir werden gar nicht anders durchkommen, als dass wir das lernen. Und dann wird es eine schöne Zeit, ein schönes Leben, eine schöne Welt. Wer moralisiert, hat ja meistens auch nicht besonders viel Humor. Jetzt bist du als Clownin ausgebildet. Wie geht eine Clownin an so etwas heran, wenn man auf dieses Moralisieren stößt und nicht zurück moralisieren möchte? Was macht man da? Ich habe ein Wort gehabt in meiner Clown-Zeit oder als Clown-Figur, die ich war, die Dr. Heidi Appenzeller. Die war Schweizerin und die hatte ein Lieblingswort und dieses Wort war interessant. Und hinter diesem Wort steckt ganz viel. Wenn ich in Schulen Theater gespielt habe, Clown-Theater oder auch in einzelnen Krankenhauszimmern, dann war das das Wort, das die Kinder auch sehr gerne übernommen haben. Das zeigt, da ist eine Haltung dahinter, die Menschen gut tut. Und dieses Interessant heißt, sich dafür interessieren und das erste Mal vor allem betrachtungs- und beachtungswürdig zu finden. Und allein das hebt einen ja schon aus der Gegenbewertung und aus der Gegenmoralisierung heraus. Und wenn Leute moralisieren, dann schaue ich hin und sage, das ist sehr interessant. Was bringt Menschen dazu? Oder was ist die Dynamik davon? Und dann, was der Clown noch kann, ist spielen. Und spielen und ausprobieren. Weil der Clown hat ja keine Angst vor dem Scheitern. Der findet ja auch das Scheitern oder da, wo es nicht gelingt, ja auch wieder höchst interessant. Also wenn man dann so jemandem schreibt oder versucht, ein Gegenargument zu bringen und man kriegt eine Ohrfeige zurück, dann kann der Clown sagen, ah, interessant, so ist das also. Und dann kann er das Nächste probieren. Und das Nächste, immer wieder aufstehen, auch in der Begegnung mit Menschen. Und diese kleinen Bewegungen der Zuwendung, das ist das, was ich von meiner Clown-Zeit mitgenommen habe und was ich versuche immer wieder zu praktizieren, auch wenn es schwer ist. Dein neues Buch heißt ja Wunder warten gleich ums Eck. Damit man das wahrnehmen kann, muss man sich aber irgendwie in Bewegung setzen, oder? Man muss um die Ecke biegen, wo man ja nicht weiß, was einem erwartet. Ja, also das ist meine Erfahrung und ich schreibe jetzt, glaube ich, schon seit sechs Jahren regelmäßig Wundertexte. Und aus denen ist dann eben ein Buch geworden. Und das ist so eine Kernerfahrung, dass die größte Kraft zum Wundersuchen in den zwei Füßen liegt, die man hat. Also darin, sich in Bewegung zu setzen. Und nicht zu glauben, wenn man zu Hause sitzt und lang nachdenkt, dann fällt einem alles ein und fällt einem alles zu. Und da ist natürlich das Element der Begegnung drin. Also ganz alleine lebt es sich nicht so menschlich wie im Blick auf andere, auf die Welt, eher in der Begegnung zu allem, was lebt. Du hast am Anfang des Gesprächs gesagt, besonders eindrücklich in der Corona-Zeit war jetzt diese intensive Zeit mit deiner Tochter Erika. Ich habe vor Jahren ein Interview mit einer 100-Jährigen gemacht und die hat mir gesagt, man muss von den Kindern lernen, was es heißt zu leben. Was hast du denn von der Erika in diesen intensiven Monaten über das Menschsein gelernt? Das ist eine so interessante Frage. Ich muss gestehen, dazu habe ich mir Notizen gemacht und auf die schaue ich jetzt. Ich bin ja nicht ganz so für die Verklärung von Kindern in der Trotzphase. Die sind ja auch recht egoistisch. Das müssen sie sein in dem Alter. Und ich glaube, man lernt dann schon einiges dazu, was auch gut ist für das Soziale, wenn man erwachsen wird. Aber es gibt schon ein paar Dinge. Also das eine ist so, was die Erika einfach hat, was sie Gott sei Dank hat und was, hoffe ich, fast jedes Kind erleben darf, ist so eine Anlaufstelle zu haben. In ihrem Fall bei mir als ihre Mama. In ihrem Fall bei mir als ihre Mama. Und das heißt nicht, dass ich immer zugänglich bin für sie. Also manchmal bin ich auch sauer oder müde oder erschöpft. Aber was die Erika einfach ganz sicher weiß, ist, wie sie mich knackt. Diese paar Gesten oder Worte oder das Streicheln oder den Augenaufschlag, wie sie ihr Herz für mich gewinnt. Und ich glaube, also meine Anlaufstelle, was ist das? Auch meine Mutter, aber es gibt noch eine höhere, bei mir eine transzendente Instanz, nämlich Gott. Und für mich die Frage, wie finde ich meinen Zugang zu Gott? Diese Strategien zu haben und anzuwenden oder zu einer Kraft, die ich als wohlmeinend und wohlwollend und mir zugewandt erachte. und mir zugewandt erachte. Das muss man ja nicht Gott nennen, das kann man ja auch die Natur nennen oder das Leben oder die Lebendigkeit oder wie auch immer. Aber diese Schlüssel zu kennen und immer wieder einzusetzen, das ist für mich so etwas, was ich von der Erika immer wieder lernen kann oder woran sie mich erinnert. Und das Zweite, was sie einfach macht ist, oder was sie kann, was sie hat, ist ihre Frustrationstoleranz. Nicht immer durchgehend, also manchmal gibt sie auch auf oder schimpft oder schmeißt mit Dingen, aber doch, sie probiert es wieder und sie probiert es wieder. Und sie vertraut auf ihr eigenes Wachstum, oft auch über Nacht oder sie probiert nach einer Woche etwas wieder. Also nicht aufgeben. Und das andere, also was ich sehr von ihr lernen kann im Moment, ist sich zu melden, wenn etwas nicht passt. Sich auch lautstark zu Wort zu melden, sich nicht ducken, sondern einzustehen für das, was einem wichtig ist und was man braucht. Das versuche ich auch zu pflegen. Dann habe ich noch eine letzte Frage an dich, Barbara. Wir reden ja jetzt immer davon, wie wird denn das alles weitergehen. Hast du eine Einschätzung, wie werden wir in einem Jahr, im Sommer 2021 voraussichtlich leben? Ich komme nochmal auf die Grauzonen zurück. Also vorausschicken muss ich, ich habe keine Ahnung, ich weiß es wirklich nicht, das hängt von vielen Faktoren ab. Aber ich glaube, was wir derzeit lernen und üben, ist, dass wir uns nicht mehr zwischen Optimismus und Pessimismus entscheiden müssen, sondern dass beides in uns gesunden darf. Ein gesunder, kritischer Pessimismus, ein Hinschauen auf die schlechten Umstände, die wir selber geschaffen haben. Und gleichzeitig das Bewahren oder das Suchen oder das Finden von Gründen, optimistisch zu sein und von Gründen, einfach in der Früh aufzustehen. Und wenn das beides nebeneinander und miteinander in unserem Herz leben kann, das eine in der linken Herzkammer und das eine in der rechten oder so irgendwie, oder das eine im Vorhof und das andere in der Hauptkammer, oder das eine im Vorhof und das andere in der Hauptkammer. Ich glaube, dann sind wir gut in der Lage, herzwarm und kraftvoll und mutig in eine Zukunft zu gehen. Das hoffe ich. Vielen Dank, Barbara, für diese ermutigenden Worte zum Schluss. Vielen Dank. Und wenn Sie Antworten auf die Frage, wie machen wir nun weiter, interessieren, dann gibt es in einer Woche auf diesem selben Kanal wieder neue Antworten zu sehen. Danke und einen angenehmen Tag noch.