Musik Wie machen wir jetzt weiter? Gespräch mit Menschen, die Zukunft denken. Ein gemeinsames Projekt von Movement21 und der Zeitschrift Welterfrauen. Mein Gast heute ist die Direktorin der Diakonie Österreichs, Maria Katharina Moser. Herzlich willkommen. Hallo, danke für die Einladung. Hallo Maria, du bist durch deinen Beruf ja mit sehr vielen verschiedenen Impressionen und auch Eindrücken konfrontiert. Was von dem, was du in letzter Zeit mitbekommen hast, hat dich denn besonders bewegt? Also am allermeisten bewegt hat mich in letzter Zeit definitiv, man merkt gleich, ich wäre ganz aufgeregt, wenn ich daran denke, die Situation in Moria, in dem Hotspot auf der griechischen Insel Lesbos, wo ja das Flüchtlingslager abgebrannt ist, wo Menschen immer noch unversorgt sind und vor allem, wo es immer noch eine Weigerung gibt, Österreichs Menschen aus diesen Lagern zu evakuieren und hier bei uns in Österreich aufzunehmen, um hier faire Asylverfahren durchzuführen. Das ist eine menschenunwürdige Situation mitten in Europa. Wir haben da seit Monaten darauf hingewiesen, dass das zu einer Katastrophe führen kann. Jetzt ist die Katastrophe da und ich finde, jetzt ist wirklich sozusagen die letzte Chance zu handeln, damit die Seele, die Werte, die Menschenwürde Europas dann nicht unter diesen Trümmern von Moria begraben bleiben. Das bewegt mich momentan am allermeisten. Wir haben ja eine eigenartige Situation. Wir sind hier in Österreich sehr geradezu ängstlich besorgt um unsere Gesundheit, fragen jeden Tag nach, welche Regelungen es gibt, was man darf, was man nicht darf. Und auf der anderen Seite gibt es eben die von dir beschriebene Situation in Moria. Ist das irgendwo auch ein Bild unserer Gesellschaft, unserer Welt, unserer Einstellung zur Menschlichkeit? Wie siehst du das? Also für mich persönlich ist immer wichtig, verschiedene soziale Probleme nicht gegeneinander auszuspielen oder Menschen, die in schwierigen Situationen sind, nicht gegeneinander auszuspielen. Auf die Menschen in Moria und die Flüchtlinge dort zu schauen und die Schutzbedürftigen dort zu schauen, heißt nicht, dass wir hier in Österreich nicht auch Probleme hätten, wo wir hinschauen müssen. nicht auch Probleme hätten, wo wir hinschauen müssen. Und natürlich stellt uns die Corona-Situation auch hierzulande vor schwierige soziale Situationen. Also viele Fragestellungen, soziale Fragestellungen, die uns die letzten Jahre begleitet haben, werden jetzt wie durch ein Brennglas noch einmal deutlicher durch die Corona-Situation. Und da ist es mir immer wichtig, dass wir nicht anfangen, irgendwie die einen auf Kosten der anderen zu diskutieren. Also ich glaube, man darf einfach Menschen in schwierigen Situationen und man darf auch verschiedene Sorgen nicht gegeneinander ausspielen. Im Zusammenhang mit Moria hast du gesagt, es geht eigentlich nicht an, dass man das Elend von Menschen zur Abschreckung einsetzt. in Moria die Situation auf den Hotspots so ist, weil man politisch glaubt, wenn Flüchtlinge, die sich noch nicht auf den Weg nach Europa gemacht haben, sehen, wie schrecklich es hier ist, werden sie sozusagen zu Hause bleiben. Also das ist, wenn das wirklich die politische Strategie ist, die dahinter steht, eine Katastrophe. Aber anders kann ich mir inzwischen schon kaum mehr vorstellen. Wir müssen ja sehen, diese Hotspots sind eingerichtet worden, so 2015, 2016, als Übergangslösungen. Also die Idee war, die Menschen kommen, werden registriert und man schaut, dass sie schnell in ein Zulassungsverfahren zum Asylverfahren hineinkommen und wenn sie das dann durchlaufen haben, dann kommen sie in verschiedene europäische Länder, werden sozusagen verteilt in Europa, fair verteilt auch und in verschiedenen europäischen Ländern werden dann die Asylverfahren durchgeführt. Das ist überhaupt nie effektiv geworden. Also man hat wohl die Hotspots eingerichtet, aber für die Menschen, die dort wenige Tage sein sollten, sind das Wochen geworden, Monate geworden, Jahre geworden. Menschen, die haben ein Menschenrecht, ein Menschenrecht auf ein faires Asylverfahren. Der hat sich sehr schnell verflüchtigt und man hat zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Menschen mitten in Europa, Griechenland ist in Europa, ist in der EU, in einer menschenunwürdigen Situation leben. Du redest von Europa, auch die Sozialorganisationen kennen eine europäische Perspektive, sind auch europaweit organisiert. Sozialorganisationen wie die Diakonie verstehen sich immer auch als Anwälte und Anwältinnen, das hast du ja gerade auch in deinem Statement deutlich gemacht. Warum werden diese europäischen Zusammenschlüsse der Sozialorganisationen nicht effektiv in dieser Situation? Naja, hier geht es klar um eine politische Verantwortung. Sozialorganisationen sind nicht diejenigen, die auf einer rechtlichen Ebene für ein gesamteuropäisches Asylsystem zum Beispiel sorgen könnten. Das ist nie zustande gekommen. Was wir tun können, auch auf einer europäischen Ebene, ist unsere Stimme zu erheben und was wir auch tun können, ist unsere internationalen Kontakte zu nutzen. Als Diakonie sind wir auch tätig in der Katastrophenhilfe, auch in der Entwicklungszusammenarbeit haben da unsere Partner vor Ort. Wir haben auch in Griechenland auf Lesbos unsere Partner vor Ort, unterstützen die jetzt, damit sie lokal wiederum Menschen unterstützen können. Und wie wir seit kurzem wissen, hat ja auch das offizielle Österreich Hilfsgüter hingeschickt nach Griechenland. Die stehen herum in irgendeiner Lagerhalle in Athen und sind nie bis zu den Menschen gekommen. Also ich glaube, in diesen Beispielen sieht man, wie tragfähig tatsächlich auch die europäischen Netzwerke, die Sozialorganisationen, das sind wir als Diakonie, das ist aber auch die Caritas, das ist auch das Rote Kreuz, das ist auch Ärzte ohne Grenzen. Also unsere Netzwerke sind in der Tat in diesem Punkt wirklich sehr effizient und sorgen dafür, dass die Hilfe zu den Menschen kommt. Und gleichzeitig sagen wir, das kann nur eine Übergangshilfe sein. Es ist einfach notwendig, eine langfristige Lösung zu suchen, das Elend nicht zu perpetuieren. Und deswegen müssen die Menschen dringend evakuiert und auf verschiedene europäische Länder verteilt werden, damit hier eben faire Asylverfahren durchgeführt werden können. Du hast schon gesagt, man sollte Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. Bleiben wir kurz in Österreich. Wir erleben ja da jetzt auch doch eine Phase der Ängstlichkeit, die daraus entsteht, dass wir nicht wirklich abschätzen können, wie wird die Situation beispielsweise im Frühjahr sein, wie wird die wirtschaftliche Situation sein und was wird sich daraus auch an sozialen Problemen entwickeln. Was erwartest du als Diakoniedirektorin? Mit welcher Situation werden wir voraussichtlich im Frühling nächsten Jahres konfrontiert sein? Mit welcher Situation werden wir voraussichtlich im Frühling nächsten Jahres konfrontiert sein? Also wir sehen jetzt schon in unseren Beratungsstellen und auch in den Einrichtungen, wo wir Menschen einladen, bei uns zu essen, die sich Essen schwer leisten können oder nicht ausreichend leisten können. Wir sehen jetzt schon, dass hier der Bedarf gestiegen ist. Das hängt zusammen mit der gestiegenen Arbeitslosigkeit. Und wir wissen ja, dass die Nettoersatzrate bei 55 Prozent liegt. Also Arbeitslosigkeit bedeutet immer einen Einkommensverlust. Wir sehen das in unseren Beratungsstellen. Es kommen Menschen in Beratungsstellen, die sich davor nicht gedacht hätten, mal Sozialberatung zu brauchen. die sich davor nicht gedacht hätten, mal Sozialberatung zu brauchen. Also die soziale Problematik geht jetzt schon in die Mittelschicht hinein. Wir befürchten, dass das, weil das Frühjahr nach dem Frühjahr gefragt wurde, im Frühjahr schlimmer werden wird, weil im Frühjahr dann diejenigen, die im März arbeitslos geworden sind oder April arbeitslos geworden sind, für die ist die Zeit der Arbeitslose dann vorbei. Die kommen dann in eine Notstandshilfe. Das ist noch einmal weniger Geld. Und was eine ganz wichtige Maßnahme war am Anfang der Krise, war, dass Schulden bei Strom und Gas oder Strom- und Gasrechnungen gestundet worden sind, dass die Logierungen ausgesetzt worden sind. Das kommt jetzt alles an ein Ende. Also da erwarten wir auch schon für die nächsten Monate, dass sich die Situation in Bezug auf Wohnungslosigkeit, in Bezug auf die Leistbarkeit von Strom und Gas, also diesen ganz basalen Dingen, dass sich das in den nächsten Monaten verschärfen wird. Aus deiner Sicht, wenn du dieses Szenario vor dir hast, wir erleben ja eine ganze Reihe von Maßnahmen, die von politischer Seite initiiert werden. Fehlt da irgendetwas an Maßnahmen? Also wir sehen schon zum einen, dass der Sozialstaat hält, dass der Sozialstaat hilft, ohne die sozialstaatlichen Maßnahmen, die gesetzt worden sind. Also dass zum Beispiel die Notstandshilfe temporär aufgestockt worden ist, wäre das alles viel schlimmer noch oder eine zusätzliche Familienbeihilfe auch ausbezahlt wurde, wäre es noch schwieriger. Das waren erste temporäre Maßnahmen. Die Frage ist, wie können diese Maßnahmen weitergezogen werden? Und man muss sagen, ein großes Problem ist, dass diese Corona-Situation mit erhöhter Arbeitslosigkeit und den ganzen sozialen Folgeproblematiken zusammentrifft, mit der Umsetzung der Sozialhilfe neu. Die ersten Bundesländer haben das schon gemacht. Manche Bundesländer stehen in ihren Ausführungsgesetzen noch aus. Also die arbeiten noch nach dem Mindestsicherungssystem, wie wir es davor hatten. Und wenn die Sozialhilfe neu fertig umgesetzt ist, die ja keine Mindestsicherung mehr kennt, das Mindeste nicht mehr absichert, sondern nach oben hin deckelt, dann wird sich für die Menschen in den unteren 20 Prozent des Einkommens und dann noch einmal in den untersten 5 Prozent die Situation massiv verschlechtern. massiv verschlechtern. Also wir haben hier ein schwieriges Zusammentreffen von Sozialhilfe neu und eben der Corona-Problematik. Darf ich ja noch ein anderes Themenfeld kurz ansprechen? Du bist auch Pfarrerin der Evangelischen Kirche. Jetzt hat es ja immer geheißen, die Not lehrt Beten. Also die Menschen wenden sich verstärkt der Kirche zu. Momentan erleben wir das überhaupt nicht. Ändert sich da auch gerade etwas? Also die Corona-Krise betrifft, so würde ich es einmal sagen, unsere Gemeinden, unsere Pfarrgemeinden mitten ins Herz, weil Teilnehmerzahlen bei Gottesdiensten beschränkt werden müssen. Einige Wochen und Monate lang wurde überhaupt nur digital Gottesdienst gefeiert. Runden fallen aus, eine Situation, die sicher für Senioren besonders schwierig ist, aber auch für die Kinder, auch für die Kinder- und Jugendarbeit. Also das gemeinschaftliche Leben ist massiv betroffen. Ich denke, das trifft die Pfarrgemeinden mitten ins Herz und stellt sie vor eine sehr schwierige Situation. Da fehlt Menschen in unseren Gemeinden ganz viel. Das ist das, was ich hauptsächlich beobachte. Und wir haben schon gesehen, dass zum Höhepunkt der Corona-Situation, wo auch viele Menschen zu Hause waren, das Bedürfnis nach Trost, das Bedürfnis nach Sinn, das Bedürfnis nach Inhalten und gottesdienstlicher Begleitung auch recht hoch war. Wir wissen das vor allem aus den Programmen des ORF auch, dass da die Religionsprogramme sehr viel gesehen wurden. Also ob die Not beten lernt, das sagt man ja oft so ein bisschen despektierlich, so nach dem Motto, diese Leute sollten doch überhaupt beten. Warum beten sie nur in der Not? Aber das Glaube und das religiöse Praxis, was uns in Krisensituationen stärken kann und unsere Resilienz stärkt, also unsere Fähigkeit damit zurechtzukommen, das denke ich, können wir durchaus beobachten, auch im Sinne dessen, dass Menschen diese Angebote nachfragen. Jetzt könnte man sagen, da ist irgendwo eine Scherenentwicklung zugange. Auf der einen Seite wird es einen verstärkten Bedarf geben, dass wir sozial sichern, dass wir ein Sensorium haben für Menschen, die da wirklich dann gravierende Probleme bekommen. Auf der anderen Seite ist Gemeinschaftsleben stark eingeschränkt und Gemeinschaftsleben ist aber sozusagen der Grundkonsens, um auf andere aufmerksam zu werden. Siehst du die soziale Verpflichtung füreinander in unserer Gesellschaft in irgendeiner Form gefährdet? Die soziale Verpflichtung füreinander oder das Einanderwahrnehmen ist zum einen immer etwas, glaube ich, was vielen Menschen sehr am Herzen liegt und zum anderen immer etwas, was immer gefährdet oder immer ein Stück auch fragil ist. Das haben wir vor der Corona-Krise schon gesehen. Wir waren vor Corona schon in einer Situation, wo 17 Prozent der Menschen in Österreich sagen, wenn ich ein Problem habe, weiß ich nicht, habe ich niemanden, an den ich mich wenden kann. Also sich alleine gelassen fühlen, vielleicht auch alleine gelassen sein, Einsamkeit ist ein Problem, das hat es davor schon gegeben, das wird sicher verschärft durch die Corona-Krise. Ich muss sagen, am meisten Sorgen mache ich mir eigentlich um die jungen Menschen, um die Kinder, die Jugendlichen und junge Menschen, die jetzt eigentlich in das Arbeitsleben einsteigen sollten oder vielleicht auch zu studieren beginnen sollten. Das wissen wir auch aus Studien, dass junge Menschen sich besonders isoliert, besonders einsam fühlen, besonders schwer tun, mit der Situation zurechtzukommen. Und da denke ich, wir bestehen am Anfang ihres Lebens. Das wissen wir generell auch aus der sozialen Arbeit. Also je jünger Menschen sind und je mehr soziale Probleme auf sehr junge Menschen einprassen, desto schwieriger wird das oder desto mehr tragen sie sozusagen einen Packerl mit sich durchs Leben. Also ich sehe gerade bei den Jungen wirklich eine schwierige Situation und ich denke, da müssen wir sehr aufmerksam sein und sehr aufmerksam hinschauen. Kurze Frage. Wir fragen, wie machen wir jetzt weiter? Was denkst du, wo müssen wir vor allem weitermachen? Wir müssen an vielen Ecken und Enden weitermachen. Das ist der Blick auf die jungen Menschen, der Blick auf die Frage durch diese ganzen Homeschooling-Sachen, wen lassen wir zurück im Bildungssystem und müssen schauen, welche Kinder und Jugendlichen wir so unterstützen können, dass sie wieder gut den Anschluss finden. Und ich denke auch auf der Seite der alten Menschen, wir stehen in einer Pflegereform. Also dieser Punkt ist ein ganz wichtiger, der uns auch durch Corona noch einmal deutlicher geworden ist. Und über all das, den internationalen Blick, den Blick über den österreichischen Tellerrand hinaus auch nicht zu vergessen. Das sind jetzt viele Fragen, das kann auf den ersten Blick, denkt man sich, hui, das könnte uns jetzt irgendwie auch auch wirklich überfordern, aber ich denke, das sind Themen, die liegen sowieso immer schon auf dem Tisch. Sie werden durch Corona neu formatiert, kriegen ein neues Gesicht. Und ja, also von daher denke ich, ist das Paket ein großes und es ist wirklich wichtig, diese Zusammenhänge auch im Blick zu haben, gerade damit jetzt auch hier für uns in Österreich noch einmal gedacht, nicht eins passiert, dass Generationen gegeneinander ausgespielt werden. Darum ist es so wichtig, sozusagen das ganze Leben, alle Lebenssituationen in den Blick zu nehmen und im Gespräch miteinander zu halten. Vielen Dank, Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich. Jetzt nehmen wir dieses Packerl da einmal an und wir tragen es weiter in einer Woche. Sehen wir uns wieder, wer zuschauen möchte. Ich wollte noch das Wort, habe ich gehört? Ja, ich wollte noch sagen, das Packerl scheint jetzt groß, aber wir haben viel Erfahrung darin, in Österreich zu sehen, dass wir das können, gemeinsam. Das ehrenamtliche, das freiwillige Engagement in Österreich ist traditionell sehr hoch. Wir haben auch 2015 gesehen, was wir alles können. Also ich glaube, wir haben die Ressourcen, wir haben die Kraft und wir haben vor allem das Herz, das auch anzugehen. Vielen Dank noch einmal für diese Präzisierung und für dieses Mutmachen. Ihnen allen danke fürs Zusehen. Wir sehen uns nächste Woche wieder auf diesem Kanal, wenn Sie möchten, bei der Frage, wie machen wir jetzt weiter. Dankeschön.