Massenfest Bestandsaufnahmestatus Covid-19 Nummer 27 am 30. November 2020 Dieser Advent ist das Gegenteil von Adventure, denn Lockdown-Adventures sind rar. Lockdown-Abenteuer finden allenfalls in der Küche statt. Die Küche ist neuerdings der Abenteuerraum der Wohnung. Die letzte Woche bescherte mir folgende Kitchen Adventures. Montag. Im Kampf mit dem Putternusskürbis handle ich mir einen blutigen Daumennagel links ein. Dienstag. Beim Anzünden der großen Gasherdflamme, um die Fischpfanne auf Brattemperatur zu bringen, versenge ich mir die Handrückchenhärchen rechts. Mittwoch. Die Küchenwaagschale entgleitet meiner elanvollen Geschirrtuchbehandlung und entzweit sich am Küchenfliesenboden, der ein Schachbrettmuster hat, und diese Spaltung setzt nämlich vorübergehend matt. Bis Donnerstag. Da mache ich es mir einfach und schmeiße aus Langeweile und mit Absicht unseren schönsten Wasserkrug an die Wand. Er hält stand. Ich bin verärgert über meine Unwucht und räche mich an einer zarten Kaffeetasse. Sie zersplittert vorbildlich dramatisch. Am Freitag stecken zwei Porzellansplitter in meinen Füßen. E einer im Fersenballen links, einer im Zehenballen rechts. Ich weine und denke dabei an Diego Maradona, an Argentinien, die 1980er Jahre und an Neapel sehen und sterben. Ich sterbe nicht, ich zünde eine Kerze an und verbrenne mir am Streichholz die Daumenkuppe rechts. Der linken Daumen freut sich. Ich bin mittlerweile schwer versehrt und nehme mir vor, einen ruhigen Samstag einzulegen. Gegen Mittag öffne ich den Kühlschrank und falle in Ohnmacht. Es werden Eier nach mir geworfen. Eier, Tomaten, Senf, irgendwas in mir denkt noch und erfreut sich am Wort, die Senf werft, dann am Wort, die Senf-Senften werft, dann an der Einladung, Einladung zum Senf-Senften weitwerfen, in Werfen am Hochkönig. Das Röcheln des Radikjus macht meiner Denke ein Ende. Die Butternusskürbis-Reste raten auf die Daumen, auf die Daumen, das sind seine Schwachstellen. Wen sollen wir Schach stellen? Fragen Salami, Pferd und Butterbauern. Daumen gambit, Damen gambit, Amen, Dixit geistert mir durch den leeren Hirnstall. Bin ich ein Ochs, ein Esel und wieso liegt hier eigentlich Stroh rum, frage ich mich. Der Kaffiol blüht auf und wird zum Blumenkohl. Die Sellerieknolle liefert den Karlauer ihres Lebens und sagt, Sellerie, sagt er, Sellerie, so ein Topfen, sagt er, Topfen, und dann wird mir plötzlich alles unklar. Schumakummer überfällt mich. Wird dieser Schumakummer meine Endnummer, frage ich mich. Ein missmutiger Kühlschrankbrommer reißt mich aus meinen existenziellen Gedanken. Der Kühlschrank brodelt bedrohlich, als schickte er sich an, vulkangleich auszubrechen. Es braut sich was zusammen. Bergkäse, Schwaden, Jausenwurst, Schweiß, Tofu, Taffnes. Die Kühlschrankbewohnerinnen und Kühlschrankbewohner verbrüdern und schwestern sich und wollen raus, raus, rausbrechen. Kühlschrankbewohner verbrüdern und schwestern sich und wollen raus, raus, rausbrechen, also aus, aus, aus. Und eine Käse-Gemüse-Fleischmasse ergießt sich über mich und deckt mich zu. Senf bildet das Sahnehäubchen. Ich bin am Küchenfliesenboden, Schachbrettmuster gültig begraben. Ein Tassensplitter bohrt sich in meine Stirn. Mein Körper ist schachmatt, mein Geist ergibt sich den alliierten Käse, Gemüse, Fleisch, Massen, Massen, Massen, Massen, Massen, Massen, Massen, halt es in mir nach und dröhnt es auch aus den Boxen. Massentests, Massentests, Massentests sind das Gebot der Stunde bzw. der nächsten Tage. Endlich würde was zu tun, denke ich mir und komme langsam wieder zu mir. Morgen Sonntag melde ich mich gleich an zum Massentest. Ich werde mich in meine Einserpanier werfen. Man hat ja sonst keine Gelegenheit, sich momentan aufzumascheln und zum Massentest in der Stadthalle pilgern. Allein wir sind noch nicht so weit. Es braucht noch etwas Vorlaufzeit, Vorbereitung, Lernphase. Sind die Massentests womöglich ein Test der Organisationsfähigkeit des Landes? Ist die Mutter aller Massentests womöglich die Zentralmatura? Sind Massenmaßnahmen Gesetze? Ist alles, was mit Masse beginnt, nicht einfach zu viel? Massenauflauf, Massentierhaltung, Massentourismus? Fällt dir nichts Massentauglicheres ein? Nein, was massentauglich ist, ist nicht immer zu viel, nur meistens nichts Besonderes, sagt Markus Köhle am 30.11.2020 in der Montagsdebesche Nummer 27. Danke fürs Zuhören, bis nächste Woche. Habe die Ehre.