Wie machen wir jetzt weiter? Gespräche mit Menschen, die Zukunft denken, ein gemeinsames Projekt von Movement 21 und der Zeitschrift Welt der Frauen. Mein Gast heute ist Frau Doktorin Alexandra Föderl-Schmidt. Hallo, guten Tag, guten Morgen. Alexandra, einen schönen guten Morgen. Ich fange mal in der Vergangenheit an. Du warst im Frühling, als die Corona-Pandemie so an Fahrt aufgenommen hat, noch Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Israel. Israel hat am Anfang so als Vorbild für Österreich gegolten, für die Maßnahmen, hat aber danach dann noch einmal eine eher schwierige Phase erlebt. Aus deiner Sicht, was könnte man aus dieser Vorgangsweise lernen? Was war das Problem? Also Israel hat tatsächlich sehr, sehr rasch reagiert und danach haben sich auch viele gerichtet. Auch in Österreich hat Kanzler Kurz ja mehrfach auf das Beispiel Israel verwiesen. Dann ist etwas geschehen, was man hierzulande wahrscheinlich geschickter gemacht hat. In Israel hat man Mitte Mai alles geöffnet auf einen Schlag. Das heißt alle Schulen, alle Geschäfte, alle Restaurants. Und Premier Netanyahu hat es mit dem Rat verbunden, macht jetzt einen drauf. Und das haben die Israelis wörtlich genommen. Und gerade auch die Schulen haben sich dann als Hotspot herausgestellt und es wurden dann 177 Schulen wieder geschlossen. Und dann war es eben sehr, sehr schwierig, diese zweite Welle, die mit großer Wucht herangerollt ist, zu stoppen, weil natürlich die Wirtschaft extrem darunter gelitten hat. Das Land ist abgeschottet. Man darf bis heute nicht einreisen. Also auch im September ist es so, dass die Grenzen weiterhin geschlossen sind für Ausländer. Und die zweite Welle war eine viel heftigere als die erste. Und die Zahlen stiegen über 2009 Faktionen pro Tag. Und von der Größe her ist Israel ja vergleichbar mit Österreich, also etwa 9 Millionen Einwohner. Und das war schon ziemlich heftig. Du bist jetzt in Deutschland als stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung. Wenn man die deutschen Diskussionen verfolgt, dann wird dort sehr viel intensiver als in Österreich über das Grundrechtethema diskutiert. Und jetzt wieder mit steigenden Fallzahlen die Frage nach Demonstrationen, nach öffentlichen Kundgebungen wird dort viel, viel intensiver geführt. Wie siehst du diese Diskussionen? Wo muss man da als Gesellschaft entlang diskutieren, um beiden Ansprüchen, einerseits eine Pandemie einzudämmen und andererseits Freiheits- und Bürgerrechte nicht zu beschränken, um da einen guten Weg zu finden? Die Herangehensweise in Deutschland war von vornherein eine andere. Wahrscheinlich auch darin begründet, dass die Bundeskanzlerin eine Naturwissenschaftlerin ist und auch sehr stark sich auf wissenschaftlichen Rat bezogen hat. Das heißt, eigentlich haben die tägliche Kommunikation vor allem Wissenschaftler geführt. vor allem Wissenschaftler geführt, das Robert-Koch-Institut und Experten wie Christian Trossen haben ja auch eine große Popularität und auch eine große öffentliche Resonanz genossen in dieser Zeit. Und die Politik, insbesondere auch Frau Merkel, haben sich sehr zurückgehalten. Und etwas, was in Deutschland immer sehr grundsätzlich diskutiert wird, ist dieses Problem um Versammlungsfreiheit versus Gesundheitsschutz. Also es zeigt sich jetzt daran, dass man diskutiert, ob man eben die Großdemonstrationen, die geplant sind, gegen die Einschränkungen, die es noch immer gibt und die auch strenger sind derzeit als in Österreich. Ob man das Verfassungsgebot höher hängen soll, was die Versammlungsfreiheit betrifft oder ob der Gesundheitsschutz vorgeht. Und das wird in Deutschland sehr grundsätzlich diskutiert. Und Frau Merkel hat eben gesagt, das ist eine Zumutung für die Demokratie, was wir machen, diese Einschränkung der Bürger, der Freiheitsrechte, aber es ist notwendig. sehr stark auch mit dem Argument Angst. Also allen, glaube ich, ist ja auch noch im Ohr, was Kanzler Kurz gesagt hat. Jeder wird irgendjemanden kennen, der durch Corona getötet worden ist. Also die Politik in Deutschland hält sich ein Stück weit zurück. Und ein anderer Unterschied ist, es ist sehr, sehr stark regional und föderal auch strukturierte Maßnahmen. Also Bayern hat mit die schärfsten Maßnahmen verhängt, während die östlichen Bundesländer, die auch viel, viel weniger von Corona betroffen sind, viel weichere Maßnahmen im Moment zumindest vorgegeben hat für ihre Bürger. Siehst du aus einer politischen Beobachterinnenperspektive, dass die Grundrechte tatsächlich gefährdet in unseren mitteleuropäischen Regionen? Ich glaube, solange man sich auch dessen bewusst ist, was man hier tut, und diese Debatte wurde in Deutschland intensiv geführt, auch natürlich mit Blick auf die Vergangenheit. Ist es zulässig, diese Einschränkungen für eine begrenzte Zeit vorzunehmen? Ich glaube, es ist wichtig, sich auch immer bewusst zu machen, dass das zeitlich begrenzt ist, dass man sich immer wieder auch die Zeit nimmt, dann zu schauen, was kann man aufheben, was ist noch notwendig. Und das ist eigentlich in Deutschland geschehen. Und auch die parlamentarische Kontrolle ist ein sehr wesentliches Merkmal. Also in Österreich hat man schon den Eindruck als Beobachterin, dass die Regierung eigentlich alles vorgibt. dass die Regierung eigentlich alles vorgibt. Und in Deutschland ist es ein viel stärkeres Abwiegen und eben auch ein Austarieren auf verschiedenen Ebenen. Also die Wissenschaftler teilen ihre Meinung auch öffentlich mit. Das wird auch sehr öffentlich diskutiert. Die Regierung gibt Einschätzungen ab und eben auch die sehr starke Rolle der Bundesländer und der Ministerpräsidenten. Und in dieser Gemengelage ist einfach auch viel mehr Raum für Diskussionen. Also nicht nur, dass die Dinge vorgegeben werden, es wird auch diskutiert. Wie siehst du denn da die Rolle der Medien, denen, die sehr kritisch den Maßnahmen gegenüberstehen, kommt immer wieder der Verdacht, dass die Medien da das Spiel der Hysterie sozusagen mitspielen und zu wenig objektiv informieren. Wie ist das aus deiner Perspektive einzuschätzen? Also in Deutschland gibt es jetzt zwei Studien, die den Medien vorwerfen, zu wenig kritisch vorgegangen zu sein und zu sehr quasi zu Verlauberungsmedien geworden zu sein. Ich glaube schon, dass sich auch die Medien im Rückblick fragen müssen, haben wir genug Fragen gestellt? Haben wir auch den kritischen Debatten genügend Raum gegeben? Ich glaube, das ist eine Debatte, die es wert ist, auch im Nachhinein geführt zu werden, um auch aus dieser Krise, in der wir alle sehr viel lernen, auch etwas für unser eigenes Tun mitzunehmen und vielleicht Dinge auch besser zu machen. Ein guter Teil dieser kritischen Debatte hat sich ja dann ins Netz verlagert, in Online-Foren, die dann allerdings ja nicht journalistisch moderiert waren. Aber es stellt sich ja auch die Frage, was wird sich im Bereich der Digitalisierung aufgrund dieser Pandemie- Erfahrungen tun? Und im Kontext von Medien auch, wird es da eine noch stärkere Ablösung durch die digitalen Foren geben, dessen, was wir jetzt als Journalismus kennen? Ich glaube, dass man diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beantworten kann. Und ich glaube auch, dass man unterscheiden muss zwischen seriösen Debatten und Verschwörungstheorien, die jetzt erst recht ihre Blütezeit erlebt haben. Und die Frage ist, was wird sich wie weiterentwickeln? Was wird wie Raum bekommen, auch in den traditionellen Medien? Und wie nehmen wir auch diese Debatten, diese Streitkultur auch auf. Ich meine, bei den Gegendemonstrationen zeigt sich schon auch eine sehr, wie soll man sagen, eine sehr obskure Mischung eigentlich von Menschen. Aber deren Anliegen ist ein legitimes, zu diskutieren, zu infrage stellen, ob diese Maßnahmen gerechtfertigt sind, ob die Einschränkung von Bürgerrechten in diesem Maße richtig war und auch, ob das zu diesem Zeitpunkt noch gerechtfertigt ist. Und ich fand es sehr spannend und das ist auch ein Unterschied zu Deutschland, dass in Österreich sehr stark jetzt auch der Verfassungsgerichtshof diese Rolle des Kontrolleurs übernommen hat. Und das ist, finde ich, etwas, wo sich auch im Zuge der Gewaltenteilung auch etwas verschoben hat. Also der Parlamentarismus in Deutschland ist ein lebendigerer, als er in Österreich ist. Also da hat die Exekutive im Vergleich zur Legislative ein viel stärkeres Gewicht. Das ist die sogenannte Realverfassung in Österreich. ein viel stärkeres Gewicht. Das ist die sogenannte Realverfassung in Österreich. Und ich fand, dass der Bundesverfassungsgerichtshof mit seinen Erkenntnissen etwas geschafft hat, was in Österreich bisher noch nicht so deutlich gemacht hat, wirklich auch ein Korrektiv zu Regierungsentscheidungen zu sein. hat, eben wirklich auch ein Korrektiv zu Regierungsentscheidungen zu sein. Und auch das, was eben hier zu wenig diskutiert wird, ist das alles gerechtfertigt? Diese Zumutungen der Demokratie in einem demokratischen System, wie es Merkel genannt hat, also diese Diskussion hat in Österreich eigentlich, haben die Verfassungsrichter geführt. Das stimmt. Und die Medien, könnte man auch sagen, waren da etwas zu schwach in ihrer Kontrollfunktion. Ich möchte noch auf eine Ebene gehen, wo du auch sehr viel Expertise hast. Das ist die europäische und internationale Perspektive. diese hast, das ist die europäische und internationale Perspektive. Es scheint so, dass diese Pandemie auch genutzt wird, um da Kräfteverschiebungen umzusetzen. Also wenn man zum Beispiel Amerika und den Austritt aus der WHO oder das Einstellen der Zahlungen zur WHO nimmt, dann die ganze Nicht-Koordination innerhalb der EU mit den Maßnahmen. Was nimmst du da wahr und was erwartest du da in nächster Zeit? Also zum einen war das Reagieren auf EU-Ebene blamabel. Was haben die Staats- und Regierungschefs getan? Sie haben die Grenzen hochgezogen. Also das europäische Projekt ist dadurch erheblich beschädigt worden. Ich selbst bin aufgewachsen, sechs Kilometer von der deutschen Grenze, sieben von der tschechischen Grenze und ich habe mir nie träumen lassen, dass wieder so etwas wie ein eiserner Vorhang vorgeht. Also ich habe mir das selbst angeschaut, da standen Bundesheersoldaten an der Grenze, man konnte nicht rüber nach Deutschland, gleiches an der Grenzstation zu Tschechien. Und ich finde, das ist ein erschreckendes Signal für Europa, für die EU, für diesen Zustand. Und etwas, was man eigentlich gedacht hat, schon erreicht zu haben. Ein großes gemeinsames. Und die Pandemie hat ja alle betroffen. Und jeder hat sich dann auf sich selbst bezogen. Und es hat eine Renationalisierung gegeben. Und das sehe ich als große Gefahr für dieses Einheitsprojekt. Und die Frage ist, wie kann Europa aus dieser Krise, die eine fundamentale ist, sich befreien? Noch dazu, da die Fliehkräfte ja in den vergangenen Jahren zugenommen haben mit Blick auf Staaten wie Ungarn, Polen, wo eben auch die Rechtsstaatlichkeit Schaden erlitten hat und wo sich zeigt, dass Brüssel wenig Einflussmöglichkeiten hat. Und die Frage ist, wie halten wir dieses Projekt Europa zusammen? Und wie gehen wir auch jetzt damit um, dass sich gezeigt hat, dass jeder eigentlich nur auf sich selbst geschaut hat? Und daraus müssten wir lernen, auch mit Blick auf die USA, die diesen Reflex natürlich auch gezeigt hat und sich abgeschottet hat und die unter Präsident Trump einen Trend verstärkt hat, rauszugehen aus den internationalen Organisationen, die Glaubwürdigkeit dieser Organisationen wie der WHO auch zu beschädigen. Und die Frage ist, wie schaffen wir wieder größere Einheiten, größere Gemeinsamkeiten, weil diese Pandemie ja gezeigt hat, das betrifft alle und ein gemeinsames Vorgehen wäre notwendig. Und die Frage ist, wer hat diese einigende Kraft? Und für Europa wäre das sogar jetzt eine Chance, auch wieder global eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das wollte ich dich gerade fragen. Siehst du, das hängt ja immer auch sehr stark von gestaltenden Personen ab. Siehst du gestaltende Personen, die da einen Zug entwickeln, das neu aufzustellen, neu zu diskutieren, in neue Strukturen zu bringen? Zu wenig. Es wäre auch eine Chance für die UNO. Mit Guterres gibt es einen Europäer an der Spitze, dem man auch zutrauen könnte, eben mehr von dieser einigenden Kraft zu zeigen. Die Frage ist tatsächlich auch, wie die Wahlen jetzt in Amerika ausgehen. Und wenn Trump sein Werk weiter fortsetzen kann und seinen Weg, dann wird es nicht einfach, um es so zu formulieren. Aber ich glaube, dass das dann auch tatsächlich eine Möglichkeit und eine Chance wäre für Europa, sich stärker mal innerhalb Europas zu verständigen und dann zu versuchen, auf der weltpolitischen Bühne wieder eine stärkere Rolle einzunehmen. Zum Schluss noch eine kurze Frage, wenn du ein Jahr nach vorne blickst, wie werden wir voraussichtlich im Sommer 2021 leben? Puh, das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, dass es tatsächlich einige längerfristige Veränderungen geben wird, die jeder unterschiedlich für sich selbst wahrnehmen wird. Aber ich glaube schon, dass es zumindest drei Entwicklungen geben wird, die uns alle in verschiedenem Ausmaß betreffen. Das eine ist etwas, was man vielleicht als Dezentralisierung bezeichnen könnte. Also die Erkenntnis, dass man nicht jeden Tag ins Büro kommen muss und alle müssen da sein von 9 to 5, was die übliche Arbeitszeit ist, sondern dass auch sowas wie Homeworking möglich ist, unter welchen Bedingungen auch immer. Also die Süddeutsche Zeitung entsteht seit Mitte März völlig dezentral. Also es muss nicht einmal eine einzige Person jetzt in der Redaktion sein und trotzdem funktioniert dieses Werk. Also etwas, was glaube ich uns alle erstaunt, es geht. Und ich glaube, dass man da auch in puncto Flexibilisierung nicht mehr das Rad zurückdrehen kann, sondern da werden jetzt auch neue Arbeitszeitmodelle entstehen. Und da ist auch vieles jetzt sehr rasch in Gang gesetzt worden und vieles sehr rasch ermöglicht worden. Und aus diesen Erfahrungen müssen wir jetzt lernen und dann auch Modelle für die Zukunft entwickeln. Also Dezentralisierung ist, glaube ich, das eine. Das andere ist auch die wieder stärkere Regionalisierung. Also dass uns bewusst ist, dass man nicht unbedingt Fernreisen immer machen muss, sondern dass auch das Naheliegende sehr schön sein kann. Gleiches gilt auch für Nahrungsmittel. Also da glaube ich auch, dass ein stärkerer Trend dahingehend herrscht, dass man sich bewusst ist und das auch wieder stärker nutzt, auch im Nahrungsmittelbereich, was in der Nähe wächst. Also das ist durchaus eine positive Geschichte. Und auch schon so etwas wie eine Stadtflucht. Also das ist auch, glaube ich, damit verbunden. Das merkt man ganz stark in Spanien, wo ganz, ganz viele Menschen in der Küste und in Städten leben. Und der Rest des Landes ist fast entvölkert. Und da gibt es jetzt einen Trend, dass die Immobilienpreise in den verlassensten Dörfern extrem steigen, weil die Menschen sich überlegen, vielleicht ziehe ich doch wieder zurück aufs Land. Und das heißt natürlich dann was für Infrastruktur, Bildungseinrichtungen etc. Also da sind Dinge in Bewegung geraten, auch im positiven Sinn. Danke Alexandra Föderl-Schmidt für diese Einschätzung. Dann sind wir gespannt, wo wir uns im nächsten Jahr treffen werden. In München oder doch in Klaffa. Vielen Dank und einen schönen Tag noch. Ebenfalls. Wir machen wir jetzt weiter. Die nächsten Antworten auf diese Frage können Sie in der kommenden Woche wieder auf diesem Kanal sehen. Vielen Dank und einen angenehmen Tag noch.