Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zu unserer zweiten Veranstaltung nach einer langen Phase ohne Publikumsveranstaltungen begrüßen. Wir freuen uns sehr, dass diese nun wieder möglich sind. Herzlich willkommen und vielen Dank für Ihre Bereitschaft, die strengen Sicherheitsauflagen in Kauf zu nehmen. Wir wissen, dass es nicht so angenehm ist, 75 Minuten lang eine FFP2-Maske zu tragen. Derzeit sind sie aber noch notwendig und vorgeschrieben. Im Zentrum der heutigen Veranstaltung steht der Residenzverlag und zwei seiner Neuerscheinungen aus dem Frühjahrsprogramm. Ich begrüße für den Verlag sehr herzlich die Leiterin des Literaturprogramms, Jessica Bär. Sie wird die heutige Präsentation moderieren. Herzlich willkommen. Die beiden Bücher, die heute vorgestellt werden, sind die Romane Die Gegenstimme von Thomas Arzt und Du bist dran von Mieze Medusa. Wir freuen uns sehr, dass Mieze Medusa und Thomas Arzt heute zu uns gekommen sind und aus ihren Romanen lesen werden. Ich begrüße beide ebenfalls sehr herzlich. Herzlich willkommen. Applaus lesend werden. Ich begrüße beide ebenfalls sehr herzlich. Herzlich willkommen. Gegründet wurde der Residenzverlag vor 65 Jahren von Wolfgang Schaffler. Im Gelang in den späten 60er Jahren die wichtigsten österreichischen Autorinnen und Autoren seiner Zeit an seinen Verlag zu ziehen, von HC Atman, Thomas Bernhard, Alois Brandstetter, Peter Handke, Franz Innerhofer bis hin zu Peter Rosei, Julian Schutting und Gernot Wolfgruber. Den frühen Jahren des Literaturverlags ist vom Literaturarchiv Salzburg eine Ausstellung gewidmet worden und die wird ab 7. Juli bis 5. Oktober hier bei uns zu sehen sein. Die heutige Veranstaltung ist aber ganz aktuellen Texten gewidmet, dem Romandebüt Thomas Arzt, eines der meistgespielten zeitgenössischen Dramatiker Österreichs zeitgenössischen Dramatiker Österreichs und dem neuen Roman Mieze Medusas, die sich nicht zuletzt als Rapperin und spoken word Performerin auf internationalen Bühnen einen Ruf gemacht hat, aber auch als große Autorin. Ich freue mich auf anregende 75 Minuten und übergebe das Wort an Jessica Bär. Ja, das darf ich runternehmen. Ja, ich freue mich wahnsinnig, Sie auch vonseiten des Residenzverlags begrüßen zu dürfen. Wir haben vorher darüber gesprochen, wir sind alle ein bisschen emotionalisiert heute. Es ist meine erste Veranstaltung mit wirklichem, lebendigem Publikum und es ist das erste Mal, dass ich mit Mieze Medusa und Thomas Arzt gemeinsam hier auftreten darf, dass ich beide live lesen höre. Ich habe beide, die in diesem Frühjahr sind unsere beiden wichtigsten österreichischen Frühjahrstitel. Ich habe beide schon mehrfach online lesen gehört, bei den Wortspielen bei Rund um die Burg, bei den Präsentationen und, und, und. Aber ich habe sie beide noch nicht live lesen gehört, was für mich normalerweise sozusagen bei der Erstpräsentation immer der Abschluss der gemeinsamen Lektoratsarbeit ist, der ist jetzt etwas verzögert und ich freue mich wahnsinnig, dass er gemeinsam hier in Linz stattfinden kann. Also danke sehr, sehr herzlich für die Einladung. Also danke sehr, sehr herzlich für die Einladung. Wir beginnen mit Mieze Medusas Roman, du bist dran. Mieze Medusa heißt im bürgerlichen Leben Doris Mitterbacher und lebt nach Stationen in Linz, als Rapperin und Spoken Word Performerin seit 2002 auf internationalen Bühnen und hat ihren MC-Namen Mieze Medusa in die Prosa mitgenommen. Ihr Debütroman erschien 2008, seitdem hat sie Prosa, Poetry Slam Texte, Tonträger gemeinsam mit ihrem Partner Tender Boy unter dem Titel Mieze mit Usern Tender Boy publiziert, Theaterarbeit, musikalische Projekte verwirklicht und und und. Ihr neuster Roman, Du bist dran, ist wie gesagt im Frühjahr 21 im Residenzverlag erschienen und ich werde, glaube ich, zum Inhalt gar nicht viel sagen. Ich möchte aus einer für mein Gefühl sehr, sehr einfühlsamen Rezension zitieren, und zwar von Sabine Denkscherz, die für das Literaturhaus AT das Buch besprochen hat. Du bist dran, schreibt sie, ist nachgerade ein Motto dafür, dass es immer etwas zu tun gibt, schreibt sie, ist nachgerade ein Motto dafür, dass es immer etwas zu tun gibt, dass Mann und Frau immer an sich arbeiten kann, dass es nie zu spät ist, die Dinge in die Hand zu nehmen, aus Fehlern zu lernen, sich füreinander zuständig zu fühlen und zu erkennen, dass es vielleicht nicht immer so wichtig ist, Recht zu haben. Mieze? Wow, es ist wirklich emotional. Hallo von meiner Seite. Oh mein Gott, mein Leben vor einem Jahr hat so ausgesehen, dass ich, wenn ich auf der Bühne bin, Menschen ins Gesicht schauen darf und sie zurücklächeln. Wie schön, dass Sie alle da sind. Ja, es ist ein spannendes Jahr für uns alle gewesen. Es ist, wird noch ein bisschen spannend bleiben und es ist ganz, ganz, ganz wichtig, dass Sie sich jetzt wieder trauen, am Leben teilzunehmen, dass Sie sich trauen, Veranstaltungen zu gehen, dass Sie sich trauen, Bücher zu lesen und weiter zu empfehlen und vielen, vielen Dank für ihre offenen Ohren. Ich bin in meiner Büchstätte aus Linz, das ist aber ein bisschen gelogen und hier in Linz muss man das präzisieren, ich bin aus Gäunekirchen und freue mich total, das Schöne an diesem ganzen Verschieben ist, dass meine Eltern da sind und das freut mich total, denn das ist jetzt wieder möglich und schön, dass ihr da seid. Ich fange am Anfang an, denn man überlegt sich ja, was ein erstes Kapitel ist. Und sage dazu noch kurz, Du bist dran ist aus der Idee entstanden, dass meine Generation eine spannende Generation ist, denn meine Generation war dabei, als das Internet erfunden wurde. Und es ist, während sehr viele Menschen drinnen vorkommen, letztendlich auch ein Roman über das Internet. Ich habe drei Hauptfiguren. Ich habe eine 18-jährige junge Wienerin, Agnesha. Ich habe eine fast 70-jährige Frau, die Felicitas heißt. Und ich habe einen Eduard in ungefähr meinem Alter, der ein bisschen fürs Internet steht und den ich jetzt aber in der Lesung gar nicht zu Wort kommen lasse, denn im Internet waren wir genug im letzten Jahr. Was ich mir aber überlegt habe dazu ist, was hat sich geändert durch das Internet? Wir sind alle sehr, sehr geübt darin, unsere eigenen Erzählungen über uns selber zu machen. Das heißt, wir erzählen uns in Ich-Perspektive unser Leben, um zu erklären, warum ich drei Hauptfiguren in der Ich-Perspektive habe in diesem Roman. Ich beginne mit Agnesha und in Wien. Essen top, Service verbesserungswürdig. Das Poseidon ist wie Kurzurlaub in der Vorstadt. Wie bringt man die Leute ins Träumen? Man streicht die Wände weiß und hängt ein Fischernetz an die Decke. Die Tischtücher sind aus Papier, die Stühle unbequem, aus Holz und blau gestrichen, wie in der Taverne am Strand. Laut einer Bewertung auf TripAdvisor ist das Essen top, Service verbesserungswürdig. An der Wand hängt die Gitarre, die Nikos manchmal herunternimmt, wenn Vasilis mit seiner Bouzouki vorbeikommt. Griechisch kann ich nicht, mitsingen schon. Bei der Kasse hängt das Foto von Mama mit den Zwillingen. Daneben eins von der Jaja und eins von Nikos Auto, als es neu war. Ich liebe das Poseidon. Wenn Vasilis und Nikos nicht selbst Musik machen, läuft jeden Abend die gleiche Playlist mit griechischer Musik. Die Leute essen und sehen dabei glücklich aus. Am liebsten helfe ich in der Küche. Erstens muss ich dort den Bauch nicht einziehen. Zweitens riecht es gut. Drittens kocht da die Maria. Sie redet viel, während sie arbeitet. Sie erzählt von ihrer Kindheit und von ihren Abenteuern auf Saison. Märchen aus dem Gastgewerbe mit vielen Fröschen und keinem einzigen Prinzen. Ihre Geschichten enden ausnahmslos damit, dass Maria hilflos den Kopf schüttelt und mich anschaut. Du bist aus Wien? Ich nicke. Du bist in Wien geboren? Ich nicke wieder. Du hast nie woanders gewohnt? Ich nicke ein drittes Mal. Dann kannst du dir gar nicht vorstellen, wie es zugeht auf der Welt. Es gibt eine Welt außerhalb von Wien. Hast du keinen Fernseher? Doch? Dann schalt ihn ein. Da siehst du, was auf der Welt passiert. Plötzlich steckt Nikos seinen Kopf durch die Schwingtür. Er nickt Maria zu, sie hebt den Kochlöffel. Agnesha, komm raus, ich brauch dich im Service. Ich brauche Agnesha auch, oder soll ich die ganzen Zwiebeln alleine schneiden? In einer halben Stunde. Jetzt schaut Nikos mich an, bis ich nicke. Eine halbe Stunde später habe ich die zwei Teller Moussaka in der Hand. Ich springe für Janis ein. Janis heißt eigentlich Rado und ist aus Rumänien. Er ist unser Kellner. Früher war er am Bau und hat sonst alles Mögliche gemacht, um Geld zu verdienen. Nikos ist großzügig im Geben von ersten Chancen. Niemand verlangt, dass hier nur Griechen arbeiten. Rado nimmt man den Griechen ab. Er ist einsilbig und spricht mit einem Akzent, der schwer einzuordnen ist. Warum wir Rado Janis nennen? Die Kellner wechseln oft. Warum wir Rado Janis nennen? Die Kellner wechseln oft. Wer Tisch 5 bis 12 bedient, heißt Janis. Das erleichtert die Arbeit. Außer heute, da macht sich Janis Tische beuge, die Tischdecken glatt streiche oder die Decke auflege. Nein, Mama, ich bin nicht schwanger. Ja, Mama, ich bin schon wieder dicker geworden. Ich laufe zwischen den Tischen hin und her. Manchmal muss ich mich seitlich drehen und den Bauch einziehen, um zwischen den Stühlen durchzukommen. Später wird Mama das kommentieren. Ich bin total verschwitzt. Wenn Mama im Service ist, hat der Diensthabende Janis mehr Zeit. Heute bin das ich. Das Poseidon ist ganz schön voll. Ich schmeiße ein paar Eiswürfel in meine abgestandene Cola, ziehe Cola-Wasser durch den Strohhalm und werfe einen wütenden Blick in Mamas Richtung. Eine Freundin von früher lehnt neben Mama an der Bar. Ich gebe Maria die Bestellungen durch. Sie deutet auf zwei dampfende Teller, zweimal Lamp für Tisch drei. Auch Maria ist ziemlich verschwitzt. Das ist der Tisch von der Mama. Ich weiß, aber Maria verdreht die Augen und deutet auf die beiden, die sich an der Bar gut unterhalten. Mama hat Zeit gefunden, den Lippenstift aufzufrischen. Ich renne mit Satsiki zum Ess-Ecktisch mit dem verliebten Pärchen. Hoffentlich hat sich Maria mit dem Knoblauch zurückgehalten. Ich renne mit Satsiki zum Ecktisch mit dem verliebten Pärchen. Hoffentlich hat sich Maria mit dem Knoblauch zurückgehalten. Ich renne zurück, nehme die beiden Teller mit dem Lamm, renne zu Tisch drei, Mamas Tisch und wieder zurück. Schon wieder stehen drei Teller mit dampfendem Essen da. Der Herr, der sich im Eck alleine durch die Speisekarte isst, winkt mir. Er will noch ein Bier, schon verstanden, aber kann nicht die Mama? Sein Blick bleibt so lange in meinem Oberkörper hängen, dass ich an mir runterschaue, ob die Knöpfe der Bluse noch dran sind. Er bemerkt meinen Blick und zieht die Augenbrauen hoch. Als ich das Bier vor ihm auf den Tisch stelle, tätschelt er meinen Unterarm und murmelt, na stell dich nicht so an, ich schau dir schon nichts weg. Auf dem Rückweg schleiche ich extra in Mamas Nähe vorbei, weiß nicht mehr, was ich machen soll. Eleni ist ein kluges Mädchen, das wird schon mit dem Gymnasium, aber wenn nicht? Mamas Freundin fängt meinen Blick auf und unterbricht sich. Sie lächelt mir zu. Mama dreht sich um. Als sie mich sieht, friert ihr Lächeln ein, sie mustert mich. Dann bewegt sie ihr Kinn Richtung Toiletten. Das heißt, mach dich frisch, Mädchen. Ich stelle das Tablett mit den Getränken vor ihr ab und murmle die Tischnummer. Soll sie doch auch mal ein paar Schritte machen. Die Klotür kracht, als ich sie hinter mir zufallen lasse. Ich setze mich angezogen auf die Klobrille und atme durch. Im Nacken unter den Haaren schwitze ich. Ich wische mich mit Klopapier ab. Beim Händewaschen vermeide ich den Blick in den Spiegel. Was soll da schon zu sehen sein, außer mein rotes Gesicht? Rund, rot und groß. Manchmal sehe ich mich selbst nicht mehr vor lauter Backen. Mit drei Tellern schiebe ich mich zwischen den Tischen hindurch, bleibe mit der Hüfte an einer Stuhllehne hängen und verliere fast eine Portion Souflaki. Ich habe oft Schwierigkeiten damit zu wissen, wo ich aufhöre und wo die Welt anfängt. Der Stuhl kracht auf den Boden und das ganze Lokal starrt mich an. Ich sehe den Leuten an, was sie denken. Kein Wunder bei dem Fettarsch. Mir wird immer heißer. Wieder komme ich bei Mama vorbei. Sie dreht mir den Rücken zu. Nikos hat schon wieder gejammert, wie eng die Wohnung ist. Wir haben überhaupt keinen Platz mehr. Vielleicht hätte ich den Satz gar nicht auf mich bezogen, wenn Mamas Freundin nicht so erschrocken geschaut hätte. Hat sich Nikos über mich beschwert, ausgerechnet heute, wo ich in der Küche und im Service aushelfe? Wie ferngesteuert renne ich in die Küche. Maria brät konzentriert Fleisch an, sie dreht mir den Rücken zu. Ich schnappe mir die Fettschwarte, die auf einem abservierten Teller liegen geblieben ist und stopfe sie mir in den Mund. Das Fett ist kalt, ich kaue. Meine Lippen sind noch ölig, als sich Maria nach mir umdreht. Was machst du da? Kümmere dich um deinen Scheiß. Sie drückt mir ohne Vorwarnung einen heißen Teller mit Moussaka in die Hand. Die Hitze brennt auf meiner Haut. Frag deine Mutter, wer das will und schleicht dich aus meiner Küche. Ich bin schon fast bei der Tür raus, als mich Maria zurückruft und wischt ihr den Mund ab. Geh in den Arsch. Beim Rausgehen weiß ich schon, dass ich mich morgen bei Maria entschuldigen werde. Bei Mama nicht, denke ich mir noch. Dann knall ich das Moussakat dem verdutzten Gast vor die Nase und renne aus dem Lokal. Soll sie doch schauen, wie viel Platz sie plötzlich hat, wenn ich weg bin. Ich schaffe zwei Blöcke in dem hoppenden Laufschritt, den ich mir angewöhnt habe, seit ich mir so schwer damit tue, gleichzeitig zu laufen und zu atmen. Es dauert ewig, bis ich das Haus erreiche, in dem wir wohnen. Dort hocke ich mich keuchend auf eine Stufe vor der Haustür. Es riecht nach Hundeklo. Das hier ist Otterkring. Da kannst du auf der Straße einfach losheulen. Niemand wird dich fragen, was los ist. Ich heule vor mich hin. Irgendwann ist mir kalt. Dann schleiche ich heim in die Wohnung in mein Zimmer. Beim Ausziehen bemerke ich, dass in meinem Nacken ein Stück Klopapier klebt. Ich beiße mir vor Wut auf die Faust. Diaja schläft schon. Wenn ich Glück habe, hat sie ein Schlafmittel genommen. Wenn ich Pech habe, wacht sie von meinem Weinen auf und verlangt eine Erklärung. Als ich im Bett liege, drehen sich Lichtflecken in meinen geschlossenen Augen. Neben mir atmet Diaja. Dobro mit Käse. Mama und ich wohnen in einer schattigen Nebenstraße in Otterkring. Ich liebe Otterkring. Hier ist immer was los. Radfahrer schreien den Autos hinterher, die ihnen die Vorfahrt nehmen. Die Autos hupen zurück. Hier gehen die Leute in Hausschlappen vor die Tür, die Semmeln heißen Sesamkringel und alles ist Dobro. Dobro mit Käse zum Hupen zurück. Hier gehen die Leute in Hausschlappen vor die Tür, die Semmeln heißen Sesamkringel und alles ist Dobro. Dobro mit Käse zum Hupen-Dobro. Im Sommer pumpen Autos die Musik bei offenem Fenster in die Luft. Im Winter bleiben die Fenster zu, dafür wird das Autoradio lauter gedreht. Das Haus, in dem ich wohne, ist ein Altbau mit hohen Räumen. Im Erdgeschoss riecht es nach Keller, weiter oben nach Essen. Unsere Wohnung liegt im ersten Stock. Sie gehört Nikos. Wenn man in die Wohnung kommt, sieht man im Gang erstmal nur Schuhe. Der Balkon ist schon voll, wenn Nikos rausgeht, um eine zu rauchen. Neben der Wohnküche liegt das Schlafzimmer von Mama und Nikos. Dann kommen die Zimmer von Dimitris und Eleni, den Zwillingen und das Zimmer mit dem Schrank, in dem alles Platz haben muss, was für das feuchte Kellerabteil zu schade ist. Ich habe kein eigenes Zimmer. Ich hatte kurz eines, jetzt schlafe ich bei der Jaja. Das ist griechisch für Oma und wird so ausgesprochen, Jaja. Mein altes Zimmer hat jetzt Eleni. Ich schlafe nicht mehr im gleichen Zimmer wie Dimitris. Ich bin ein Mädchen und Mädchen schlafen nicht im gleichen Zimmer wie Dimitris, hat sie erklärt, als sie von einem Schulausflug zurückkam, bei dem sie nicht mit Dimitris und ihrer besten Freundin in einem Zimmer schlafen durfte. Dimitris ist dein Bruder und natürlich schläfst du im gleichen Zimmer, hat meine Mutter geantwortet und Nikos hat zustimmend gebrummt. Aber Eleni ist wie meine Mutter. Es ist schwer auszuhalten, wenn sie Streit mit dir hat. Zu mir ist die Jaja meistens freundlich, zu Mama nicht. Sie hat sich mit unserer Gegenwart abgefunden. Sie liebt Eleni und Dimitris ausdauernd und auf eine großzügige Art und Weise, die schlecht für die Zähne ist. Ich glaube schon, dass die Jaja uns mag. Es ist nur so, dass sie sich von Mama überrumpelt gefühlt hat. Fast 14 Jahre ist es her, dass Mama sich besonders sorgfältig zurechtgemacht hat. Ich war damals fünf. Alt genug, um für ein paar Stunden am Abend alleine zu bleiben. Mama hat das dunkelgraue Seidenkleid angezogen, das sie im Internet bestellt und von dem sie die Etiketten nur ganz vorsichtig abgelöst hat, damit sie es in der nächsten Woche wieder zurückschicken kann. Ihre Hand hat ein bisschen gezittert, als sie die Lippen nachgezogen hat. Wünsch mir Glück, Agnesha, wünsch uns Glück, hat sie geflüstert und dabei ihr Spiegelbild fixiert, als könnte sie darin die Zukunft sehen. Als sie heimgekommen ist, war das Kleid zerdrückt und hatte Rotweinflecken. Aber das sei egal, meinte sie mit einer Stimme, die zitterte wie vorher ihre Hand beim Schminken. Eine Woche später sind wir bei Nikos eingezogen. Mamas Bauch wuchs und wuchs. Monate später und nach einem genauen Blick auf die Zwillinge vergaß sogar die Jaja auf einem Vaterschaftstest zu bestehen. Vor Nikos sind wir oft umgezogen. Mama war aus Stein und ich irgendwie daran schuld. Meine Mama liebte einen Mann und hoffte, mit einem Kind würde daraus eine Familie. Der Mann suchte nachher einen Blick auf mich das Weite. Nicht, dass Mama mich nicht lieben wollte. Doch ich hatte schon in den ersten Wochen alle Erwartungen enttäuscht. Der Mann war weg, das Kind war da, an Spaziergänge war nicht zu denken. Als ich angefangen habe zu schreiben bei diesem Roman, dachte ich, ich würde, nachdem ich jetzt doch schon ziemlich lange in Wien lebe, einen Wien-Roman schreiben. Und was hat die Figur gemacht? Fast als erstes, sie ist aus Wien oboscht, also weggezogen und tatsächlich in ein Dorf gezogen, das Prokandala heißt. Gezogen, sie geht dahin, um Geld zu verdienen, Tourismus. Und mir hat die Idee gefallen, dem nachzugehen, wie eine Wienerin, die Wien nie verlassen hat, das Land sieht. So im Prinzip so. Österreich ist ja nicht nur Wien. We know. Aber es gibt Menschen, die sind in Wien geboren und kommen dann auf ein Dorf und denken sich, was ist das? Und das habe ich versucht ein bisschen darzustellen. Und wer ist schon in diesem Dorf, das ich erfunden habe, das heißt Bruck an der Laar, da ist Felicitas. Felicitas ist eben, wie gesagt, fast 70, sie ist rebellisch, sie ist immer noch gerne, sie ist an der Revolution interessiert, aber mit Revolution meint sie, dass Menschen konstruktiv gemeinsam daran arbeiten, dass die Welt besser wird. Und sie ist der Meinung, mit ihren 69, fast 70 Jahren, dass die Welt diese Verbesserung nötig hat. Und ich glaube, damit hat die Felicitas zu 100 Prozent recht. Wenn auch nicht immer mit den Mitteln, die sie anwendet. Und in diesem Moment wird sie 70, das Kapitel heißt, das Leben ist Gegenwart. Und in diesem Moment wird sie 70, das Kapitel heißt Das Leben ist Gegenwart. Manchmal in der Früh im Bett, wenn mein Körper schlafwarm ist und noch keine Signale der Abnutzung sendet, erreiche ich ein gleißendes Glück der Zufriedenheit. Dann gehe ich ins Badezimmer. Im Spiegel sehe ich nicht mein Kindergesicht, sondern erschrecke vor der Frau, die meinen Blick erwidert. Ich sehne mich nicht danach, wieder jung zu sein. Aber ich will unversehrte Knie und von einem Apfel einfach abbeißen können. Ich wünsche mir Nachrichten aus der Ferne. Abgesehen davon habe ich Frieden gemacht mit dem, was war und dem, was ist. Ach, Frieden, ein großes Wort. Wir schießen nicht mehr scharf. Mit dem Frühstück habe ich mir heute besondere Mühe gegeben, je ein weichgekochtes Ei für Hermann und mich. Die Hühner, die sie gelegt haben, kenne ich persönlich. Frisches Brot, der Honig, den ich auf die Butter träufle, ist vom letzten Urlaub, Griechenland. Er riecht nach Erholung. Und weil im Alter die Geschmacksnerven nicht mehr so streng zwischen süß und bekannt unterscheiden, hole ich auch gleich noch die besonders guten Oliven vom gleichen Urlaub. Hermann sitzt mir gegenüber und lässt er sich schmecken. Das Telefon läutet. Hermann kümmert sich drum. Kurz darauf steht er mit dem Hörer in der Hand vor mir. Für dich, meine Liebe. Hallo Mama. Hallo Lea. Wie geht es dir? Gut, danke. Alles Gute zum Geburtstag, auch von Daniel, Baptist und Christophin. Ich wünsche dir für das kommende Jahr Gesundheit und Zufriedenheit und dass deine Wünsche in Erfüllung gehen. Pass auf, was du dir wünschst. Mama, jetzt fang nicht schon wieder damit an. Du weißt, dass für uns zurzeit eine so weite Reise nicht in Frage kommt. Es ist einfach nicht möglich. Wenn man nichts Nettes sagen kann, soll man schweigen. Mein Schweigen macht Lea nervös. Jedenfalls Mama, Daniel und die Kinder können dir nicht selber gratulieren, weil es eh der Zeitunterschied ist. Sie sind im Bett, bei uns ist sie ja mitten in der Nacht. Wie spät ist es jetzt bei euch? Als wüsste sie es nicht. Bei Lea ist es sechs Stunden früher, also wirklich mitten in der Nacht. Warum sie wohl wach liegt? Ich reiße mich zusammen und frage nach meinen Enkelkindern, Schule, Pläne, Gesundheit. Es bricht mir das Herz, dass wir uns darüber hinaus so gar nichts zu sagen haben. Mein Geschenk ist auf dem Weg, sagt Lea. Als mir das Smalltalk zu viel wird, sage ich, die Verbindung ist schlecht. Leas Stimme ist strenger, sie sagt, es gibt seit 20 Jahren keine Probleme mehr mit der Sprachqualität, stell dich nicht so an, Mama. Ich verstehe, dass sie sich ärgert. Das Problem ist nur, dass Lea nie versteht, wenn ich mich ärgere. Ich freue mich immer, wenn sie sich meldet, aber es macht mich wahnsinnig, dass sie nur anruft, wenn sie muss. Wieder ist es Lea, die das Schweigen unterbricht. Ich wollte dich fragen, wie geht es dir wirklich, also gesundheitlich? Hast du das irgendwo gelesen, dass du mich das ab dem 70. Geburtstag fragen musst? Mama. Danach rüsten wir beide ab. Man könnte sagen, wir geben uns Mühe. Aber ehrlich gesagt, die Belanglosigkeiten, die wir austauschen, sind auch nur eine andere Art von Streit. Das Muttersein ist mir nicht gelungen. Es gab einen Mann, ich nenne ihn nur den Ex-Mann. Es gab die Idee, anders zu leben. Wir waren so viele. Wir wollten keine Kleinfamilien, wir wollten eine andere Welt. Also haben wir zusammen gewohnt, gekocht und geschlafen. Plötzlich war ich schwanger und das, obwohl die Pille ja inzwischen erfunden worden war. Mit starken Nebenwirkungen und wir wollten doch in Einklang leben mit unseren Körpern. Wir haben uns Kinder als kleine, fertige Menschen vorgestellt. Wie so oft haben wir damit weder wirklich recht gehabt, noch lagen wir falsch. Was hätte ich sagen sollen damals zu meinem Kind, dass sie mir ihre Entscheidung mitteilte, denn Lea sagte nichts, sie teilte es mit. Mit diesem bürokratischen Blick, von dem ich mich bis heute frage, wo sie ihn gelernt hat. Ihr Vater habe doch vor, wegzugehen und sie wolle mit. Was hätte ich denn machen sollen? Sagen, wo sie ihn gelernt hat. Ihr Vater habe doch vor, wegzugehen und sie wolle mit. Was hätte ich denn machen sollen? Sagen, dass sie bei mir bleiben muss? Also ist der Ex-Mann mit Lea im Schlepptau abgezogen. Zuerst nach Israel in einen Kibbutz, dann nach Australien. Dort konnte man eine Zeit lang unkompliziert auf Schafharmen Geld verdienen. Lange Zeit habe ich gehofft, dass zumindest Lea diese Welt über den Kopf wächst und sie zurück zu mir nach Wien kommt. Das ist nie passiert. Irgendwann sind sie in der Karibik gelandet. Dort hat der Ex-Mann eine neue Familie gegründet. Lea ist groß geworden. Heute lebt Lea mit Mann und Kindern in der Nähe von Spanish Town in Jamaika. Diese tiefe Verbundenheit zwischen Mutter und Kind, von der allerorts erzählt wird, ach was. Wir sind soziale Wesen, gar nicht unähnlich den Gänsekindern, die den Gummistiefeln von Konrad Lorenz-Emsig hinterherwatscheln. Zur Mutter taugt, was in der Nähe ist. Die Mutter in der Ferne, die kommt zurecht. War ich zu stolz? Zu arm für stundenlange Telefonate? Damals war ein Ferngespräch ein Statussymbol, heute schreibt meine Tochter pünktlich zu den Feiertagen, die mir nichts bedeuten. Sie ruft an, wenn ich Geburtstag habe. Ich schicke Geschenke und vergesse nicht auf die Geburtstage und Feste meiner Enkelkinder. Manchmal skypen wir. Jetzt, wo das Reden nichts mehr kostet, fällt erst auf, wie wenig wir uns zu sagen haben. Baptiste, mein Enkel. Ein ernsthafter, braungebrannter junger Mann, der eine etwas rätselhafte Verehrung für Franz Kafka hegt. Eine Vorliebe, die ich ermutige. Prag hat auch ohne Kafka eine große Anziehungskraft und wenn man viele Stunden geflogen ist, um Prag zu sehen, dann, so denkt sich die Großmutter, die im Nachbarland in einem Dorf lebt, dann kann man ja wohl auch bei der Großmutter vorbeischauen. Es gibt noch einen Trabanten, der in meiner Familienaufstellung kreist. Christophin, Leas Tochter, von der Lea behauptet, dass sie mir ähnelt. Das sagt sie vor allem dann, wenn sie Ärger mit Christophin hat. Ich habe es auch nicht leicht mit ihr. Sie hasst Europa, das lässt sie mich spüren. Noch schlimmer als eine Oma in Österreich wäre eine britische Oma. Den Brexit begrüßt sie aus Rache. Christophin will die alte Dame isoliert sehen, in unsplendid isolation. Sie hat eine sture Absolutheit, ja vielleicht hat Lea recht, wenn sie da an mich denkt. Stunden habe ich über der Schreibmaschine verbracht, unbezahlte Arbeit für die Revolution. Ein kleines Kinderheim, die ganze WG voll mit Konflikten, ein Kindsvater, der, lassen wir das, einen Halbtagesjob in einer Abtreibungsklinik, weil dein Körper, deine Entscheidung. Kopierer gab es noch nicht, Matrizern waren nicht frei zugänglich und der Staat hat schon gewusst, warum ihm die Kontrolle der Vervielfältigungstechniken wichtig war. Also habe ich getippt, Flugblätter, Manifeste von anderen verfasst, Artikel, die Dissertation des Kindsvaters, die er nie abgegeben hat, weil er lieber dem Proletariat zugehörig sein wollte und dann ist er gegangen. Mögest du in spannenden Zeiten leben, eine chinesische Verwünschung. Apropos China, bei Mao habe ich mich getäuscht. Der hat rückblickend betrachtet meine Begeisterung nicht verdient. Aber oft getäuscht habe ich mich nicht. Man könnte schon auf mich hören, wenn man wollte, aber wem soll ich davon erzählen? Ich gehe Hermann suchen, ich brauche Ablenkung. Hermann sitzt vor dem Fernseher und schaut einen der Fast and Furious Filme. Das lenkt mich jetzt auch nicht von Christophin ab, meine Enkelin mag Europa nicht, Hollywoodkino aber schon. Sie gibt mit ihrer Lektüre von Claude McKay und Angela Davis an und rennt trotzdem jedes Mal ins Kino, wenn Vin Diesel mit schnellen Autos durch wechselnde Stadtkulissen saust. Zu ihrem letzten Geburtstag habe ich ihr eine schöne Ausgabe von Angela Davis Schriften geschickt. Das Cover hat so eine Jugendstilschrift, die mich an Wien erinnert. Wie gereizt sie reagiert hat am Telefon, als ich zu ihr sagte, dass Angela Davis Europa gemocht hat, zumindest Frankreich. Weil ohne Adorno, Horkheimer oder Karl Marx keine Angela Davis. Und das wäre doch ein gemeinsamer Grundstein, auf den man aufbauen könnte. Denn, dass die Oma ihren Karl Marx gelesen hat, das darf man der Oma bitteschön schon glauben. Ich setze mich zu Hermann aufs Sofa und rede so oft dazwischen, dass er irgendwann resigniert den Ton leise dreht. Seinen verärgerten Blick kann er sich sparen. Bei diesen Filmen steht die visuelle Komponente ja wohl ohnehin im Vordergrund. Vin Diesel fliegt gerade in einen Wolkenkratzer in Dubai mit dem Auto, versteht sich. Hermann steht auf und geht zur Schrankwand, öffnet eine Tür und nimmt ein Packerl raus. Du hast gedacht, ich hätte deinen Geburtstag vergessen? Hast du das Geschenk auf Vorrat da drin oder hast du wirklich dran gedacht? Dass du immer so schlecht gelaunt bist, wenn Lea anruft. Er drückt mir das Geschenk in die Hand und lächelt im sicheren Wissen um seine Unwiderstehlichkeit. Aus der Küche holt er eine Flasche Prosecco. Sekt vertragen wir nicht mehr und Champagner ist keiner im Haus. Er schenkt uns ein und ich packe sein Geschenk aus. Es ist ein Seidentuch in diesen grellen Farben, die nur sehr jungen und sehr alten Frauen wirklich stehen. Es ist wunderschön. Hermann schaut zufrieden. Er hilft mir, das Tuch zu drapieren. Auf dich, Felicitas. Dann prostet er dem Fernseher zu, Vin Diesel lächelt zurück. Salud la familia. Dankeschön. So, ich darf Ihnen jetzt den zweiten Autor des Abends vorstellen und wir werden nachher zu dritt ein kleines Gespräch führen, solange eben Ihre Bereitschaft hält, diese FFP2-Masken zu ertragen. Aber jetzt erst einmal zur zweiten Lesung. Ich stelle Ihnen Thomas Arzt vor. Thomas Arzt hat im Frühjahr im Residenzverlag seinen Debütroman Die Gegenstimme veröffentlicht. Thomas Arzt ist 1983immparts von 2011 im Schauspielhaus Wien zu den, wie schon gesagt, meistgespielten zeitgenössischen Dramatikern Österreichs. Er hat zahlreiche Publikumserfolge am Theater gefeiert und war zu Festivals in New York, Buenos Aires und Kiew eingeladen, aber auch in Wien, Graz, Heidelberg und Berlin zu sehen. Bevor es zu diesem Roman kam, hat Thomas Arzt immer wieder auch Kurzprosa verfasst und so haben wir uns kennengelernt. Ich kannte die Kurzprosa, ich kannte die Theaterstücke und habe das gemacht, was Lektorinnen manchmal tun, wenn sie sehr begeistert sind. Ich habe das gemacht, was Lektorinnen manchmal tun, wenn sie sehr begeistert sind. Ich habe ihn einfach angequatscht, ob er nicht mal eine längere Prosa verfassen möchte. Und dann gab es tatsächlich einen Stoff, der ihn umgetrieben hat, aber für das Theater irgendwie sich nicht eignen wollte. und aus diesem Stoff ist dann, zwei Jahre später etwa, die Gegenstimme entstanden. Die Gegenstimme, ich fasse es vielleicht ganz, ganz kurz zusammen mit den Worten von Erich Hackel, der eine hymnische Rezension, auf die man wirklich stolz sein kann als Debütautor, zu dem Roman verfasst hat. Erich Hackel schreibt, am 10. April 1938, einen knappen Monat nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, sollte der Anschluss Österreichs an Nazideutschland durch eine Volksabstimmung nachträglich legitimiert werden. Von diesem Tag und wie ihn eine Ortschaft im oberösterreichischen Kremstal begeht, erzählt Thomas Arzt mit großer Bravour und man weiß gar nicht, was man mehr bewundern soll. Seine Menschenkenntnis, sein Sachwissen, seine Fähigkeit, sich in das Romanpersonal hineinzuversetzen und es gleichzeitig von außen zu betrachten oder die Kunstsprache, in der es denken und reden lässt. Von all dem werden Sie sich jetzt selbst überzeugen können. Ich bitte deine Lesung. Schönen guten Abend, schön, dass Sie hier sind. sind. Also ich bin sehr froh, dass das Buch jetzt da ist und dass es im richtigen Verlag gelandet ist und dass es sich gut anfühlt. Das ist die Geschichte des Bruders meiner Großmutter. Das ist auch die Geschichte eines Dorfes und seiner Bewohner und die Geschichte eines Tages, die 24 Stunden des 10. April 1938. Und ich springe heute eher nach hinten, wo wir nicht den Protagonisten jetzt begegnen, dem Bruder meiner Großmutter. Das müssen Sie dann selber lesen. Hier sitzt ein Gemeindemitarbeiter im Wirtshaus nachgetaner Arbeit. Die Volksabstimmung ist Geschichte tatsächlich. Und es ist Gewissheit, dass in diesem Dorf jedenfalls 1153 Menschen für Adolf Hitler gestimmt haben. Das sind jene Menschen, die zugelassen waren zur Wahl. Also viele durften nicht wählen, viele saßen im Gefängnis. Wie auch immer, in diesem Dorf sind es 1153, die für den Anschluss waren. Scheinbar gab es eine Gegenstimme und eine ungültige. Und wir hören nun aus der Perspektive von dem Gemeindemitarbeiter, wie die Stimmung im Dorf ist. Hockt der Hubert Seppl, hockt der Seppl in der Weinstube, im Kloster qualmte Zigaretten um ihn eingezwängt, vom stämmigen Bauch vom Tischler Gallinger von der anderen Seite der Eckbank schiebt sich der Förster lang herein, vollkommen in seinem eigenen Schweiß aufgelöst ist der Förster, zerschlissene Ärmel bis rauf, über die Ellbogen, auch die Wangen aufgeschlitzt. Was hat er getrieben? Lacht, aber trotz äußerlicher Zerstörtheit, in einem sonderbaren Glück, so denkt's der Seppl. Na, Seppl, sagt der Lang, was für ein Tag. Und er knallt mit der Faust auf den alten Holztisch, ein paar Gläser ruckelt's, steckt sich noch eine Zigarette an, die er sich vom Gallinger schnort, legt seinen Schweißschädel unangenehm rüber, bläst den Rauch aus dem Maul und als wäre es die Predigt des Tages, verlautbart der Förster, heute geht keiner vor Mitternacht zu Haus. Jetzt erst merkt der Seppl, dass der lang immer runterknallende Faust eine Fleischfliege zerfetzt hat. Die klebt nun in Einzelteilen vor ihm auf Bierdeckel und Tischkante. Mit einem sorglosen Wisch verschwindet das kleine Massaker. Unterm Tisch fällt in den Dreck am groben Steinboden. Weiß Seppl. Und dem lang seine Hand, mit der er eben den Fliegenkadaver beseitigt hat, fährt rüber, mit dir ist's halt immer eine Hetz. Sagt's und schenkt ihm nach. Und der Seppel schnauft leis in sich rein, von der Gegenseite dem Gallinger seinen Bauch in verstärkter Vehemenz spüren, der Seppel will weg. Dreimal schon hat er angesetzt, dass er sich aufrichtet, um den Heimweg anzutreten. Immer hat ihn wer zurückgehalten, gesai nicht so. Und wieder ist ihm das Glas gefüllt worden, einmal vom Gemeindesekretär Krumm, der vis-à-vis von ihm vor einer Armada an Schnapsgläsern ins Delirium gefallen ist. Dann vom Edelbauer, der dieses Schnapsglasregiment bestellt und bezahlt hat, weil so jung kämen wir nicht mehr zusammen. Und wieder hat man sich zubrosten müssen. Der Lang fuchtelt aufdringlich vor dem Seppl seine Nase. Dieser will sich erneut erheben. Lasst mich raus, aber grob reißt man ihn zurück. Heute wird gefeiert, Seppl. Da hockt sich zu allem Überdruss noch der Gotthard dazu, ins schmale Eck, wo er in seiner Zwickmühle steckt. Und auch der Gotthard, der redseligste unter den Klosterpatris, fasst dem Seppl auf die Schulterpartie mit demselben sonderbaren Glücksausdruck in der Priesterfratze wieder lang. Echt schön, Seppl, was? Das heult alles so fröhlich. Echt schön, Seppl, was? Das heult alles so fröhlich. Ja, schön, wiederholt es der Seppl in einem Automatismus. Auch wenn er es gar nicht sagen wollte, auch wenn er es gar nicht fühlt, diese um sich greifende, taumelnde Glückseligkeit. Er würde jetzt gern losbrüllen. Schon viel zu lang dauert ihm dieser Tag. Erst die Stunden, in denen reih um reih die Leute in die Gemeindestube reingedrängt sind, in einem Stolz, mancher fiebrig vor nationalsozialistischem Eifer, andere mit Besorgnis und in seltsamer Still und einige, aber sie waren in der Minderheit mit geheimer Furcht. So geheim, dass sie keinem wirklich aufgefallen ist. Nur dem Seppl, der da ein Auge dafür hat. Alle haben sie ihre Stimme abgegeben, die meisten ganz offen. Direkt vor der Kommission haben ihr Kreuz im größeren Kreis eingetragen. Und der Seppl hat einem jeden und einer jeden die Wahlplakette angeheftet, damit weithin sichtbar gewesen ist, wer es schon erledigt hat, die Wahlpflichtigkeit, und wer noch nicht. Im Tragen der Plakette sind es dann alle vor ihm zu einer Meng verschwommen. Und die Sorge ist verschwunden, auch die Furcht im Einheitsstolz. Nur der Seppl ist trauriger geworden. Dann ist es losgegangen mit der Auszählung. Da hat er Stimmzettel für Stimmzettel aus dem Kuvert holen müssen. Konzentrier dich, hat er sich immer wieder selbst ermahnt. Bist du nicht dumm, Seppl? Das ist keine Stimme auf den falschen Stapel. Wobei er bald erkannt hat, dass der eine Stapel gewachsen und gewachsen ist, während der andere, für den der Seppl extra den Platz freigeräumt hat, noch gar nicht vorhanden war. Völlig inexistent das andere und in der Übermacht nur das eine. Vielleicht haben wir uns verschaut, hat der Seppl mehr und mehr gedacht, hat kontrolliert, ob bei dem einen oder dem nächsten Stimmzettel nicht vielleicht doch das Kreuz im kleineren Kreis gelandet ist. Es sind ja auch eine Handvoll Leute in der Wahlkabine verschwunden. So ist es ja nicht gewesen. Man weiß ja nicht von allen alles. Kein vollends offenes Buch, der Mensch, den er über die Jahre doch studiert hat. Erkennen Sie allesamt die Leute hier im Ort, Geheimnisträger, Gesichter rätselhafter Möglichkeitsrest? Sind Sie alle denn wirklich dafür gewesen? Aber jedes Mal hat er feststellen müssen, der Seppelt, dass sich hier niemand verschaut hat. Und es, so muss er sich unterm Strich eingestehen, nirgends auch nur ein Anlass für ein Verschauen vorhanden gewesen ist. Im Gegenteil, am Ende eine ernüchternde Klarheit. Auch wenn es in Verschiedenheit gekommen waren die Leute ins Gemeindeamt, vereinheitlicht sind sie wieder hinausgefallen ins Dorf, das hat nun ein anderes. Dem Seppl sind mit jeder ausgezählten Stimme mehr die Tränen geschossen. Was hast denn, hat die Hanni ihn gefragt, sie hat Kuchen gebracht. Ist nur aus einer Freude raus, hat er sie angelogen. Ist nur aus einer Freude raus, hat er sie angelogen. Aber ist doch gar nichts, schmeckt's nicht. Doch, ist gut, Hanni, alles gut. Er hat reingestarrt, in den Gugelhupf rumgestochert. Muss zu einer Kraft kommen, Seppl, hat die Hanni nicht nachgegeben. Den ganzen Tag so im Amt, ja, so ein ganzer Tag. Und auch er hat sich reinverstrickt mit jeder Lügmehr. Dieser Tag hat nicht nur eine Sortierung der Wahlzettel ergeben, es haben sich die Leute in ihrer Gesamtheit umsortiert. Und wenn er sich das Dorf nun ausdenkt, auf einer übergroßen Waage oder auf der Spitze von einem Berg auf der Kremsmauer droben, wie es versucht, das Dorf nicht zu stürzen in Zeiten wie diesen, wie es hin und her sich wacheln lässt von politischen Stürmen, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Gegenwart verwischt, Vergangenheit fegt drüber. Seppl, bist ja nicht blöd. Dann ist mit diesem Tag in seinem kleinen Dorf eine Radikalität sichtbar geworden. Es kippt ihm das Bild. Wieder ein Ja, hat der Krumm gerufen. Und wieder ein Ja. Und der Edelbauer hat die Ja-Stimmen auf dem übergroßen Haufen versammelt. Und der Nagel hat gelacht, eine Flasche Schnaps spendiert. Auch wenn es gegen die Bestimmung, aber was ist die Bestimmung an so einem radikal gekippten Tag? Prost auf den Adolf, Zettel für Zettel ist auf dem einen Stoß gelandet, der Seppl hat es bald zusammenbinden müssen in Blöcken zu je 50 Stimmen. Und aus den getürmten Bündeln ist eine immense Pyramide geworden, bis alles runtergepurzelt ist. Und gemeinsam haben sie diesen Immensheitsausdruck einer Dorfzustimmung dann abgezählt und in Säcke verpackt, wieder ein Jahr. Und der Krumm ist gar nicht mehr mitgekommen im Notieren der Stimme in seiner Liste. So ist es dahin gegangen und es ist draußen schon finster geworden, Da ist, der Seppl hat es befürchtet gehabt, in einem Eck noch ein letzter Rest an Stimmzetteln aufgetaucht, ungeöffnet. Fast hätten sie es übersehen. Der Seppl hat in sich reingemurmelt. Er würde jetzt kurz austreten wollen. Da hat ihn der Nagel zurückgehalten. Gescheiß, jetzt nicht rum. Wir sind ja gleich fertig. Die volle Aufmerksamkeit ist plötzlich auf dem Seppl gelegen, der hätte nämlich die Parzerquetschten, wie es der Krumm benannt hat, nun öffnen sollen. Da hat der Seppl ins erste dieser noch verschlossenen Kuverts geschaut, den gefalteten Bogen rausgefischt, vor sich hingelegt und er hat geschluckt, der Kreis mit dem Ja völlig leer, hat die Augen geschlossen, panisch plötzlich sich halten müssen, er hätte es nicht gedacht, wie sehr es ihn hernehmen könnte, seine eigene Stimme nun in der Hand zu haben. Da ist ihm der Zettel auf den Boden. Er hätte noch nachgreifen wollen, muss sich vorbeugen, mit der einen Hand nach unten fassend, die andere um den Stuhl gekrallt, damit das Gleichgewicht nicht verliert. Da ist seine Stirn böse aufs Tischeck geknallt. Er spürt es bis jetzt noch. So sitzt er, der Seppel, in einer akuten Angst. Blut unterlaufen die Stirn und die Deckenlampe kreist über ihm. Kalter Wind fährt herein. Der Regen von draußen holt ihn zurück. Jemand hat die Tür geöffnet. Eine neue Horde tritt ein, setzt sich die Weinstube. Noch mehr gefüllt mit Gegröle und Gerülpse. Warum ist er überhaupt mitgekommen? Hätte sich ducken sollen, sich fortschleichen. Aber wie willst dich rausziehen, wenn alles um dich im Rausch? Was hast du eigentlich? Fragt der Gallinger nun rüber. Der Seppel saugt ungewollt Gestank und Zigarettenrauch ein. Der Gallinger deutet auf dem Seppel seinen Bluterguss auf der Stirn. Habt ihr geschlägert am Amt oder was? Gar nicht haben wir geschlägert. Fährt ihn der Seppel überraschend aggressiv an. Es fährt aus ihm raus, er kann es gar nicht ändern. Ins Eck gedrängt wie ein Tier, das nun endlich hier flüchten will. Was geht es dich an? Ich meine ja, ich sage nur, konnte der Gallinger irritiert. Bei der Beule da? Ein echter Seppl ist so wild hergegangen. Hat er sogar geheißen, da hat wer reingeschifft in die Wahlkabine. Stimmt das jetzt? Der Seppl reagiert nicht. Fährt nur stumm mit der Handfläche über die leichte Erhebung auf seiner linken Stirnseite. Alles geschwollen und er denkt tief in sich rein, sieht den Augenblick, wie er ans Tischeck donnert, nur weil ihm der Zettel zwischen den Fingern durchgerutscht ist und er nur gehofft hat, niemand kriegt's mit. Aber was denn, Seppl, was soll denn niemand mitkriegen? Was hast denn vertuschen wollen da unterm Gemeindetisch? Jetzt hebt einer an zu einem Lied, nicht lang dauert's und alle stimmen ein. Und in rührseliger Schönheit, die er nicht will, legt sich das Lied in die Herzen aller hier, die inbrünstig nun die Mäuler auftun. Er hält sich die Ohren, will in sein Bett. Oder zu Hanni, die Einzige, die ihm die Welt aussperren kann. Wie geht's dir? Hat die Hanni ihn wieder und wieder gefragt, mit dem Gugelhupf in der Hand. Wie geht's dir wirklich? Aber der Seppl hat nicht geantwortet, hat nach unten geblickt. Die Hanni merkt aber immer, wenn der Seppl aus seiner Verlegenheit raus wegschaut, wo er doch eigentlich viel lieber in ihre Augen blicken würde, aber sich es nicht traut. Also hat sie gesagt, lass uns kurz in die Luft. So sind sie also raus, hinter die Gemeinde. Die Luft hat gut getan. Und oben ist ein Habicht gekreist. Der Seppl hat seinem Flug nachgeschaut, wie der da gelauert hat, über der Klosterwiese, unterhalb von der Gemeinde. Und über dem ganzen Ort ist die Dämmerung hereingebrochen. Da hat erst der Hanni gesagt, nur ihr hat es gesagt. Habt ihn da mitten gemacht. Die Hanni hat ihn erst nicht verstanden. Hat ihn an der Hand genommen, so mild. Die Hanni ist eher mehr für sie als ein guter Freund. So hat es in dem Moment gefühlt und drum hat er sich ihr nochmals anvertraut. Das Kreuz, Hanni. Weil du ja gemeint hast, sollt keinen Blödsinn machen, aber habt ihr nicht gewusst, wo die Blödheit mehr zu finden ist? Auf der einen Seite oder auf der anderen? Weil wenn einer dafür ist, dann läuft der nur mit und fällt hin in diesem Laufen. Aber wenn einer dagegen, dann laufen sie ihm alle dagegen, das haut ihn doch auch nur um. Wo stehst du dann, Hanni, wo? Das haut ihn doch auch nur um. Wo stehst du dann, Hanni? Wo? Sie hat ihn groß angeschaut, geschwiegen, seine Hand plötzlich ganz fest gehalten. Das ist fast weh. Der Habicht ist nach unten gestochen. Hab's also dann in der Mitte gemacht, sagte Seppl den Satz zu Ende. Mein Kreuz. Und in der Wiese ist irgendein Viech zugrund gegangen. Das also ist es gewesen, was er verbergen hat wollen. Die Ungültigkeitsstimmen vom Seppl. In einer Verwechselbarkeit der Guten und der Bösen. Und er also irgendwo dazwischen. Hat nur gehofft, es fällt nicht auf. Er fällt nicht auf. Er, der doch immer jedem ins Auge sticht. Der andere, der Dumme, die Ausnahm, hätte gern versinken wollen in dem Augenblick, als der Nagel sich viel schneller geduckt gehabt hat. Zum am Boden liegenden Stimmzettel ist mit dem Fuß erst darauf der Nagel, schon in der Vorahnung das, was nicht stimmen könnte, dann hat das Papier aufgehoben, aufgefaltet und der Seppl hat es schon gespürt, den Erniedrigungsblick auf ihn, weil es doch für die meisten immer der Seppl gewesen ist. Wenn was Dummes in Gang gesetzt wurde, sicher der Seppel den Kreis nicht getroffen. Was Seppel, hast du mit dem Stift daneben gehauen? Der Seppel, der Depp, der weiß nicht mal, wie man ein Kreuz, soll man dir's zeigen, Geherda, und frisst eine eigene ungültige Stimme. Diese und noch andere Sätze hat er erwartet, als der Nagel sich erhoben und an der Seppelstirn sich das Blut gesammelt hat, aber nichts. Kein Hohn, kein Lachen, keine Gewalt ihm gegenüber, nur die Faust vom Nagel und sein schlichtes Scheiße, das wird dem Hermann nicht gefallen. Alle haben sich weggeduckt. Welche Sau hat die Eier gehabt? Dem Seppel ist's schlagartig leichter geworden. War gar nicht sein Wahlzettel, der da jetzt am Tisch gelegen ist. War ein anderer. Aber wo war seiner? Schreib's auf, krumm, ist der Nagel fortgefahren. Eine Scheiß-Gegenstimme. Die Sau von Bleinfeldner. Danke. Applaus Geht es noch ein bisschen? Okay. Danke euch beiden für die schönen Lesungen. Ich möchte gleich an das unmittelbar anschließen, was du, Thomas, gelesen hast. Der Thomas Arzt hat so ein Interview gegeben, da sind eine Reihe was du, Thomas, gelesen hast. Der Thomas Arzt hat so ein Interview gegeben, da sind eine Reihe von Debutanten und Debutantinnen interviewt worden, zu ihrer Arbeit und zum Verlag und wie sie das mit der Literatur und mit dem Literaturbetrieb so finden und da hat er etwas gesagt, was mich wahnsinnig gefreut hat. Er hat gesagt, also über die Zusammenarbeit, außerdem fand ich es prägend fürs Schreiben, dass wir auch abseits der Textgenese im engeren Sinn ähnliche Anliegen teilen, was etwa das politische Bewusstsein einer Arbeit mit und an der Literatur betrifft. Ich glaube, das politische Bewusstsein für die Arbeit mit und an der Literatur ist in beiden Büchern sehr präsent, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Art. Wie ist das mit dem politischen Bewusstsein im Text? Mieze, fangst du an? Darf ich fragen? Naja, in Du bist dran sind tatsächlich alle drei Figuren auf ihre Art und Weise politisch. Ich bin als Autorin nicht mit allen einverstanden. Ich habe Eduard, einen Hacker, der gute Sachen will, aber schlechte Sachen macht. Das ist vielleicht ohnehin die Geschichte des Internets. Und als Autorin sehe ich es hoffentlich relativ ähnlich. Ich weiß gar nicht, wie unpolitisch Schreiben gehen soll, hoffentlich relativ ähnlich. Ich weiß gar nicht, wie unpolitisch Schreiben gehen soll, weil eine Äußerung in Kommunikation mit Menschen, die zuhören, naja, oder? Also da ist, das ist ja Politik. Auch was man über das Private erzählt, es gibt ja aus der Generation der Figur der Felicitas, die eine alte 68er-Generation ist, gibt es ja diesen tollen Spruch, das Private ist politisch. Also auch die Sachen, die man über das Privatleben erzählt, welche Figuren man baut, wie die handeln, wie die interagieren, das ist glaube ich eigentlich, ich weiß nicht, ob das apolitisch geht. Ich mag es gern, wenn etwas über die Welt gesagt wird, vielleicht so. Ist es automatisch politisch, wenn wir etwas über die Welt schreiben? Also ist sozusagen der Bezug auf Gesellschaft oder auf gesellschaftliches Handeln automatisch politisch oder geht es da dann ein Stück weiter, geht es dann da auch um eine Haltung? Ich frage. Also mir geht es um eine Haltung, wenn ich mich festlegen darf. Und die Literatur, die ich lese, hat auch eine Haltung dort, wo sie von sich selbst behauptet, sie ist unpolitisch, aber das glaube ich dann oft nicht. Da geht es dann um eine Art, eben, da will man sich, glaube ich, ein bisschen harmloser stellen, aber wie gesagt, auch das Private ist ja politisch und was ich über die Liebe erzähle, was ich über Familie erzähle, was ich über Freundschaften erzähle, was ich über Geld erzähle, ist eigentlich automatisch politisch, meiner Meinung nach. Bei Landschaftsbeschreibungen halte ich es offen. Da geht das glaube ich tatsächlich ohne Politik. Das ist spannend, weil Stifters Landschaftsbeschreibungen sind durchsetzt eigentlich von dem Kontext, dass er das nach dem Vormärz geschrieben hat, wo quasi diese Abwehr dessen, was in der Welt vorgeht und schauen, was die Flora und Fauna sagt, ja gerade auch wieder extremer politischer Haltung ist. Also es geht immer um den Kontext, oder? Du hast mich da eingangs zitiert. man darüber redet, was kann Literatur, dann kann das sehr viel und sehr viel Verschiedenes sein. Und es gibt sehr aufdringliche Weisen, über die Welt nachzudenken und auch durchaus über moralische Botschaft zu senden oder sehr subtil. Und es kann auch Geschichte ganz leise sein. sehr subtil und es kann auch geschichte ganz ganz ganz leise sein aber wie wir wie ich fand es wichtig dass das hier eine gemeinsame haltung glaube ich reden über texte gefunden wurde bei uns und es geht ja um den literaturbetrieb also du schreibst du mal ein buch und dann entscheidest du dich das gibst du raus einer veröffentlicht was und es geht um den off öffentlichen diskurs und da findet es notwendig glaube dass das immer auch literatur da ist die die die widersprüche sucht und einfach selbst befragen stellt mehr als antworten liefert und zweifeln möglich macht und ja also das was man dann ja aus der Hand gibt, geht ja dann den Leserinnen und Lesern. Und was dann wieder passiert, weiß man ja oft nicht. Und ich freue mich, wenn jemand dann einen Teil dessen mitnimmt, was ein selbstnotwendiger Schienen ist. Und das ist vielleicht dann was, ob das politischer Diskurs ist, aber jedenfalls ein Vertrauen, das man da so reinlegt und jeder andere greift es auf und der Glauben, dass man etwas verändern kann, auch wenn es nur ganz klein passiert. Ja, also weil wir vorher davon gesprochen haben, das ist ein Text automatisch politisch, nur weil er sich auf Gesellschaft bezieht oder ist das eben auch eine Frage der Haltung? Jetzt geht es ja in der Gegenstimme, im in umgebenden Gemeinschaft, eben eine abweichende Haltung. Hätte er nicht eine abweichende Haltung gehabt, Titel geben, die Gegenstimme, das ist ja das, was sozusagen die ganze Handlung in Bewegung setzt. Was hat dich an dieser Geschichte so fasziniert? Also ich erzähle ja den Tag von Karl Bleim-Fellner und damit eine Familiengeschichte und habe eigentlich begonnen für mich persönlich Lücken zu schließen, also eine Recherche zu machen, weil seit ich Kind war, das in der Familie erzählt wurde, der Karl war der einzige im Dorf, der. Aber keiner wusste genau, warum und auch, was hat das ausgelöst an dem Tag selbst, war die Familie in Gefahr, war das riskant, stimmt das überhaupt? Und so habe ich Jahre später jetzt begonnen, in Archive zu gehen, was halt da ist, was man halt finden kann, ins Gemeindearchiv und dann versucht habe, weil er studiert hat in Innsbruck ins Uniarchiv und wie auch immer. Es ist dann so ein Roman geworden und dann für mich ein Anliegen geworden, das vielleicht politisch ist, wie ich im Gemeindearchiv nicht nur das eine Geschichte aufgefunden habe, sondern da gibt es Listen, die wahrscheinlich in vielen Gemeinden in Österreich liegen, wo sie die Menschen eingetragen haben, nach Ende des Krieges, ja, ich war bei der NSDAP, aber ich war nicht beteiligt. Also Entnazifizierungslisten, die wichtig waren, damit man dann wieder im Zivilleben weiterarbeiten kann. Aber mir ging es dann um diese Frage der Beteiligung. Wann beginnt so etwas wie ein Beteiligtsein an einem Regime, das menschenverachtend, kriminell und ja, das bestialisch geendet hat und auch wenn man nicht alles sehen kann und konnte, wollte ich dann also nicht mit einem moralischen Zeigefinger im Nachhinein sagen, du hättest es besser wissen können, sondern aus verschiedensten Perspektiven, unter anderem von Karl und von einem Kind, von einer Bäuerin, von einer Bürgermeisterfrau. Welche Argumente findet jemand, da jetzt Ja zu sagen? Und was ist das Argument von Karl gewesen, Nein zu sagen? da jetzt Ja zu sagen. Und was ist das Argument von Karl gewesen? Nein zu sagen. Und erst wie ich quasi diese Liste gesehen habe, dass es in eine Gemeinschaft geht, die für etwas gestimmt hat, wollte ich daraus wirklich einen Roman machen. Sonst wäre es ein Tagebuch vielleicht geworden. Könnte man sagen, dass das auch das ist, was den Gegenwartsbezug dieses Buchs ausmacht, das, was du jetzt eben beschrieben hast? Naja, es geht ja immer darum, wann beginnt etwas, wo man demokratischen Boden verlässt, wo eine Gesellschaft das, was etabliert ist, irgendwie dann über Bord wirft, ohne es gleich zu ahnen oder zu wissen, wo unterstütze ich etwas, was Unrecht ist. zu wissen, wo unterstütze ich etwas, was Unrecht ist. Auch in Du bist dran, denke ich, geht es ja, ich glaube, das ist in den kurzen Stellen schon ziemlich deutlich herausgekommen, geht es ja ganz stark um die Handlungsoptionen des Einzelnen. Wie groß sind diese Entscheidungsspielräume? Oft einmal sind die nicht wahnsinnig groß, wenn man ein Mädchen ohne Schulabschluss und in einem Abhängigkeitsverhältnis von der Familie ist, wenn einem durch das eigene Alter Grenzen gesetzt sind und, und, und. Die Handlungsoptionen sind oft nicht so groß, aber es gibt sie. Ich glaube, das ist das, was ich zumindest aus diesem Buch immer mitnehme. Egal in welcher Situation, es gibt sie. Und das Zweite, was ich da mitgenommen habe, war die Entscheidung für die Option, die ein gemeinsames Handeln ermöglicht, ist im Zweifelsfall irgendwie die bessere. Ich habe mich in diese Landschaftsbeschreibungen so reingeredet, denn ich glaube, man kann unpolitisch über Landschaften schreiben, aber man kann es auch nicht machen. Und das ist in Du bist dran insofern angelegt, als da ja eine Familiengeschichte, auch in der Stelle, die ich gelesen habe, die nicht das Gleiche verstehen, wenn das Wort Wald gesagt wird, weil sie nicht in der gleichen Gegend wohnen. Und du hast vom Vertrauen, dass man den Lesenden entgegenbringt, gesprochen. Und das Vertrauen, das ich in dem Buch habe und hoffe, ist, dass ihr diesen Ich-Erzählungen der drei Figuren entgegensetzt, dass ihr sie lest, dass ihr wisst, die erzählen euch etwas und die sagen Wald, aber was mit Wald gemeint ist, ist für euch spannend zu entschlüsseln. Und das mit dem Handlungsspielraum, darum geht es auf jeden Fall total. Es geht auf jeden Fall um eine digitale Erweiterung des Lebens in dem Sinn, dass was jetzt ein Dorf ist, etwas Neues ist. Also quasi so, wir haben jetzt, Otterkring ist ein Dorf, Bruckanderla ist ein Dorf, aber auch die Netzwerke, die wir haben, Menschen, mit denen wir connected sind, mit denen wir via Internet oder real connected sind, sind auch ein Dorf und wir bauen uns diese Dörfer selber mehr als die Generationen vor uns, weil da war quasi tatsächlich das Dorf wahr, wo dein Körper war. mich die Frage sehr beschäftigt hat, wie kann eine Gemeinschaft und ein gemeinsames Handeln entstehen? Und die Antwort ist, glaube ich, indem man sich nicht aus dem Weg geht. Also die drei Figuren stolpern immer wieder übereinander, bis sie anerkennen müssen, dass sie offensichtlich in einem ähnlichen Fleckerl der Welt rumhängen und daraus dann versuchen, was zu machen. Und die Frage hat mich auf jeden Fall interessiert. Ja, eine Frage möchte ich noch besprechen, dann, glaube ich, erlöse ich sie von ihren Masken. Du hast gesagt, eigentlich lebst du schon so lange in Wien und du wolltest, hast gedacht, der neue Roman wird in Wien spielen und im dritten Kapitel oder im vierten waren wir schon im Wald, im sprichwörtlichen oder im Dorf und in dem Fall nicht im digitalen Dorf. Auch in dem nächsten Text, an dem du ja, wie ich weiß, schreibst, ist diese Frage von Provinz und Stadt, von Stadt und Land, von Zentrum und Peripherie irgendwie ganz, ganz zentral. Was interessiert dich daran? Die große österreichische Erzählung ist, dass wir so ein großes Land mit unüberwindbaren Widersprüchen sind. Jetzt sind wir aber ein extrem kleines Land im Vergleich zur Welt und ich meine, es kommt ein bisschen auf die Richtung drauf an. Wir sind manchmal in zwei Stunden durchs Land durch, manchmal brauchen wir acht oder neun Stunden, aber auch das ist noch nicht groß. Und dieser Mythos interessiert mich. Das hat auch mit meiner Biografie zu tun. Also ich bin ja aus Groner Kirchen, ich habe aber in Innsbruck studiert. Ich bin später nach Wien gegangen. Mein Bruder lebt jetzt in Vorarlberg. Wenn ich meine Eltern noch mal zitieren darf, mein Papa kommt aus Kärnten, die Mama kommt aus der Steiermark. Ich kann in fast jedem Bundesland ein bisschen so tun, als hätte ich, ein bisschen so tun, als wäre die ein bisschen von da. Und diese Tatsache fasziniert mich, dass wir uns diese Erzählung, diese österreichische Erzählung dieser großen Widersprüchlichkeiten, während wir ein kleines Land sind und eigentlich ganz gut miteinander reden können, eigentlich. Und das interessiert mich. Also das finde ich künstlerisch spannend, weil das Mythologien sind, die wir über unsere Heimat erzählen und Mythologien sind einfach spannend. Und wie eine letzte Frage, die Gegenstimme ist ja sehr, sehr stark wirklich verortet. Also die lebt ja davon, dass das Dorf, wie die Mieze sagt, das Dorf ist der Ort, wo du physisch bist, wo du erstmal auch nicht auskannst. Und dieses Nicht-Aus-Können und Einander-Nicht-Aus-Können in diesen auch vielen sehr klaustrophobischen Situationen ist ja sehr zentral für das, was hier passiert. Ist die Gegenstimme ein Dorfroman? Also ist das eine Geschichte, die so in einem urbaneren Setting oder in einem anderen nicht so spielen könnte? Also sagt das wirklich was über Dorfgemeinschaften im engeren Sinne und über Österreich? Also ist das sozusagen, wie wichtig ist die Verortung, die ja so eine große Rolle im Text spielt? Wie wichtig ist die in der Gegenstimme? Ich habe begonnen zu schreiben, da waren die Namen noch, die Namen und der Ort glaube ich benannt und ich habe das dann verallgemeinert und versucht über ein Dorf zu erzählen, das auch woanders sein kann. Ich glaube es geht immer einen Mikrokosmos, wo der Druck einer Gemeinschaft sicher stärker ist als in einem urbanen Umfeld, wo die Wege ganz einmal auseinandergehen. Hier stimmt einer gegen alle und am nächsten Tag muss man sich wieder in die Augen blicken. Bei der Ortstraße. Und jeder weiß, wer es war. Und man muss diesen Blick aushalten. Nur ist jede Stadt in sich auch wieder eine Ansammlung von Dörfern und ganz schnell auch wieder ein Kessel, der überkocht. Und die Solidarität ist wahrscheinlich dann umsetzbar, wenn man über diese stummen Blicke, die einen Angst machen, hinweggeht und auf einen zugeht und fragt, warum hast du das gemacht, Karl? Ah ja, genau. Das ist, glaube ich, die Aufgabe, egal wo du wohnst, dass du diese Zwänge, die ja ganz klein in der Familie beginnen und dann über Dorfgemeinden hinweg, so etwas wie Europa dann auch ausdrückt, sind wir immer der Meinung, dass das die Politik ist, die notwendig ist, damit unser Sicherheitsgefühl einfach bestehen bleibt. unser Sicherheitsgefühl einfach bestehen bleibt damit. Ja, es wird ja immer komplexer, aber wenn man es dann als Dorfgeschichte schreibt, dann hat man das Gefühl, es wäre eigentlich einfach. Dazu finde ich ja auch sehr, sehr spannend, was du erzählt hast, du hast ja aus dem Text, noch bevor er ein Buch war, aus dem Text in deiner Heimatgemeinde, in deinem, in Schlierbach, gelesen. Und das war ja nicht einfach irgendeine Situation, sondern eine sehr öffentliche Situation, die ich spannend fand, wie du das erzählt hast. Naja, plötzlich war mir klar, es ist eine Erzählung über die Menschen, die waren konfrontiert mit einer Geschichte, die anscheinend doch nicht aufgearbeitet war. Also ich bin rangegangen mit dem Gefühl, ich bin die Generation danach. Dieser Tabubruch der 80er Jahre Aufarbeitung von Waldheim und Ächtung von Jelendek und Bern, mit dem muss ich mich nicht mehr auseinandersetzen. Ich erzähle eine sehr private Familiengeschichte, die dann doch irgendwie einen größeren Rahmen hat. Und dann war klar, okay, die Narration, was ist Österreich 1938, die kann man vielleicht im Geschichtsbuch ganz gut abschließen, aber was hat das mit der eigenen Familie zu tun? Das löst dann plötzlich doch wieder mehr aus. Es gab dann plötzlich wieder Erinnerungen von Leuten, es stimmt, so war das bei uns und das stimmt doch gar nicht, dass alle dafür gestimmt haben, so Vermutungen und gut, dass du das jetzt erzählst, wurde mir gespiegelt. Also mit dem hat er nicht gerechnet. Und es ist eigentlich klar, weil bei mir in der Familie gab es immer nur die Erzählung, ja, der Karl war der Einzige, der dagegen gestimmt hat, aber was Nivea erzählt hat, der Uropa und die Uropa haben dafür gestimmt. Weil sonst geht diese Logik der Erzählung gar nicht. Aber was heißt das, wenn der Sohn dann nicht der gleichen Meinung ist? In dieser argen politischen Frage wurde darüber geredet, wie war dieses Schweigen, war es erträglich? Ja, dem wollte ich nachgehen. Und ich glaube, das Schweigen und Verschweigen und Verdrängen zählt immer nur was über heute. Dann nehmen wir das als Schlusswort. Danke euch für Lesung und Gespräch. Danke Ihnen für Ihre Geduld. Es gibt einen Büchertisch. Beide AutorInnen signieren gerne, auch mit Maske. Ich danke Ihnen und wünsche noch einen schönen Abend. Vielen Dank. Ich danke Ihnen und wünsche noch einen schönen Abend.