Schönen guten Abend, liebe Damen und Herren, grüße euch liebe Freunde. Ich begrüße euch zur Vorlesestunde im DorfTV und wünsche einen interessanten Abend. Wie ist das Akademische Gymnasium in Salzburg? Mein Name ist Peter Hodiner, ich bin geboren am Neujahrsmorgen 1963 in Salzburg, habe das Akademische Gymnasium, ein humanistisches, altsprachliches Gymnasium in Salzburg besucht, auf das auch Drackel zum Beispiel ging und Karajan, sage ich jetzt nur am Rande. Habe dann in Salzburg an der Universität verschiedene Studien angefangen, Theologie eine Zeit lang, Philosophie, Politikwissenschaft. Dann hat es mich allerdings immer mehr in die Literatur vertragen. Ich habe nie Germanistik studiert, aber ich habe autodidaktisch mehr oder weniger in der Institutsbibliothek, als ich meinen Zivildienst machte, ab 5 Uhr immer am Nachmittag habe ich zwei Stunden lang die Bibliothek von A bis C sozusagen mir erarbeitet und habe dann zum Schreiben angefangen. Bekam 2004 den Rauriser Förderpreis. Von mir gibt es nicht viele Bücher. Es kommt allerdings im Sommer. Mein neues, relativ dickes, es hat fast 500 Seiten, spalierter Farne, Notate bei Fabrik Transit in Wien. Wird also wahrscheinlich Juli oder August erscheinen. Dann gibt es von mir eine Trilogie, Steine und Bausteine, erschienen von 2009 bis 2014 im Avinus Verlag Berlin. Heute ist es Hamburg, Avinus Hamburg. Diese Bände sind immer noch erhältlich. Und den Gedichtband gibt es von mir, Sternschnuppen über Hyrkanien, erschienen 2012 in der Edition Art Science St. Wolfgang Wien. Ich schreibe ja meistens so eine Prosa, die sich zwischen Philosophie und Literatur ansiedelt, wenige Erzählungen. Heute lese ich eine unpublizierte Erzählung. Granate André. Höre. Hör zu. Nie gab es die Zeitschrift Hör zu, weil wir ohne Fernseher damals. Über den Fernseher käme die böse Welt der Ami herein. Er hört nicht. Wir könnten, wir können so nicht, kommen nicht weiter mit ihm. Wir müssten. Die Nachbarn schauen über die Büsche. Wir sind gewohnt sie zu grüßen. Wir können dann nicht mehr einfach gar grundlos damit aufhören, sie zu grüßen. Es war nicht so gut, sie einmal gegrüßt zu haben. Die Neuzuzügler grüßen gleich gar nicht. Schlecht wird über sie deshalb unter den, dem Grußzwang einmal und dann für immer Erlegenen geredet. Sie sind immer ein Thema, die Neuen, die Arroganten. unter denen dem Grußzwang einmal und dann für immer Erlegenen geredet. Sie sind immer ein Thema, die Neuen, die Arroganten. Der Nachbarsbursch, ein Blondschopf namens Eckehardt, bastelt frühmorgens schon an drei Altautos. Dahingehend zeigt sich Begabung. Sozifamilie, die Großeltern, die dort wohnen, hatten es schwer in der NS-Zeit. Kirchgängerin, die Großmutter, doch eine Rote. Meine Großmutter, auch Kirchgängerin, schwarz. Trotzdem kann sie mit der Roten ein paar Worte wechseln. Sie gehen in die Kirche, die Nachbarin muss wohl in eine andere Kirche gehen oder sie ist nur einfach gläubig. Ihr Mann, Eckehards Großvater, hat einen roten, fast violetten Kopf und sieht belämmert aus. Er werkt im Garten täglich, schleppt den Hackstock in die Mitte, ist schwächlich, kann kaum stehen, ihm scheint schwindlig zu sein, seine Arme schütteln immer mehr, immer unkontrollierter, Schüttellähmung. Bald kann er nicht mehr alleine gehen, muss geführt werden von der Frau. Der junge Studienanfänger, der ich damals war, bei den Eltern im Haus verblieben, nach Weggang der beiden älteren Brüder, lässt in Gedanken Wut ab gegen den armen alten Nachbarsmann. Er setzt, wenn die Eltern fortgegangen sind, sich an den Ehrbar und hämmert den Nachbarn tot. Es ist ein kakophoner Gewittersturm, der sich gegen den Schwachen entlädt. Man hört es durch die großen Wohnzimmerfenster hinaus auf die Straße, wo er gerade von der Frau vorbeigeführt wird. Man hört das Klavier wüten durch die Scheiben, die immer geputzt sind. Es wird im Hause oft geputzt. Immer tiefer möchte der Spieler den Alten mit den gorilla-haft hängenden, schlotternden Armen in die Zerrüttung und Krankheit hineinspielen, bis er ihn getötet hätte. Er fühlt sich zugleich schuldig, absolut böse, doch ohne jede Reue sond sich in der eigenen Bösartigkeit, wenn sie das wüssten. Wieder hatte der hintere, der östliche Nachbar, ein altes Juss- Skript um ihm, dem Studiosus, über den Zaun gereicht. Dr. Franz Kurz. Dr. Franz Kurz, der oft mit dem Rasenmäher sein langes Grundstück entlang fährt, auf dem noch immer nur ein Wochenendhaus steht, während alle rundherum längst ihre soliden Einfamilienhäuser gebaut haben, hat zeitlebens nie gearbeitet, nicht mehr arbeiten können, wie gesagt wird, weil ihn das Jus-Studium in Wien damals in den 1930er Jahren in der Voranschlusszeit nervlich zerrüttet hätte. Jedoch mit Herr Doktor kann er gegrüßt werden und seine demente Frau Fanny, die noch immer langes schwarzes Haar trägt und ein südlicher Typus ist, liebt ihn direkt abgöttisch und serviert ihm brunnengekühlte, bei dieser Hitze allerköstlichste Fruchtsäfte, auch dem Studiosus manchmal über den Zaun. Dann wieder verschwindet sie einfach so, was beängstigt, der Mann sucht sie verzweifelt in der ganzen Stadt und findet sie schlussendlich verloren an den Schießbuden des Kirchtags. Einmal standen ihre Schuhe am Fluss, die Wasserrettung wurde verständigt, Boote fuhren den Fluss auf und ab. Barfüßig kam sie zum Kreisler, diesem Sadisten, der sie ständig unterbrach mit »Wie meinen?« Sie fand nicht mehr heim und verstellte ihm den Geschäftseingang. Er schubste sie vor die Tür. Sie wartete draußen, klopfte zuerst zaghaft, dann immer heftiger, immer mehr entgeistert. Wenn sie nicht aufhöre und wenn sie weiter mit ihrer Stupsnase an der Scheibe klebe und diese mit ihren Erdfingern vertrecke, hole er sofort die Polizei. Es war auch die Polizei, die sie zu Dr. Franz Kurs schließlich zurückbrachte, obwohl das Kreislerei-Grundstück an Dr. Franz Kursens Grundstück grenzte. Der sadistische Gigolo, der nichts anderes zum Geschäftsgang beitrug, als an der Kasse zu sitzen und mit der Kundschaft maliziös zu scherzen, während die Frau und die Schwiegermutter die Hauptarbeit leisteten, hätte mit seinem Ford Capri ohne weiteres die Fanny zum Mann zurückbringen können. Sie am Arm zu führen war unter der Würde des Hawaii-Hemdträgers. Wie weit der Herr Studiosus schon mit dem Juststudium sei, fragte der alte Doktor bei der Rechte denselben. Nun beginnt das dritte Semester. Das dritte schon? Da werde er doch bald römisch recht ablegen. Hier habe er noch ein altes Skriptum eines einst berühmt gewesenen Wiener Rechtslehrers. Engzeilig beschriebene Schreibmaschinenpapier, Durchschläge vergilbt, zerfranst an den Rändern, rot und blau mit Farbstift unterstrichen. Jedes Wort, eine Sticker doppelt, dreifach, dann wieder ein Halbsatz dünner, schließlich der Begriff Pater Familias, doppelt und dreifach rot, eingekreist. Nur so könne man Jus lernen, meinte Dr. Franz Kurs gönnerisch, indem man Zeile für Zeile, Wort für Wort unterstreiche, nur so käme der Stoff ins Gehirn schließlich hinein. Dr. Franz Kurs wirkte, solange die Demenzfahndys sich noch in Grenzen gehalten hatte, recht erholt. In kurzer Hose, rasenmähend, mit nacktem Oberkörper, wohlbeleibt. Nicht fett war seine Haut, braun gebrannt, noch immer dichtes weißes Haar. Für einen 70-Jährigen stellte er eine Wonne von einem sanguinischen Mann dar, der Akademiker war seiner Erscheinung anzusehen. Fanny und er machten noch Liebe im Wochenendhaus. Wann die beiden nur konnten, fuhren sie aus dem Benediktinenthal mit ihren Rädern zu dieser geräumigen Holzhütte. Daheim bei ihnen war es ärmlich und muffig. Es war ein schimmliges Elendsloch. Schmucklos, der Student, der einmal eine Schachtel mit Weihnachtsgebäck dort abgab, hatte derlei noch nie gesehen. Der Dr. Franz Kurs war zeitlebens kein Verdiener gewesen und wohl auch die Fanny nicht, die hauptsächlich nur lieb sein konnte. Dr. Franz Kurs trieb zum Studium an. Der Studios war säumig erlass statt römisch recht in stifters und rabes werken nun meldete er die begegnung mit dem doktor franz kurs der doch immer nun meidete er die begegnung mit dem doktor franz kurs der doch immer nach dem juristischen studien fortschritt fragte vom großen dielen fenster aus konnte der studiosus den rasen mehreren altakademiker sehen wie Die Dielen-Treppe zu seinem Dachzimmerchen, damit der Doktor seine Anwesenheit nicht bemerke. Von gleich vier Nachbarseiten her wurde nach dem Studienfortschritt gefragt. Nicht nur von vier Personen, von denen die in Justsachen kompetenteste besagter Dr. Franz Kurs gewesen war, sondern man müsste nachzählen, vom hinteren östlichen Grundstück, also wie gesagt, beginnen wir nochmals von vorn, Dr. Franz Kurs, vom westlichen die alte Frau Eis, deren Tochter und ihr Sohn Eckehardt, der alte Odo mit der Schüttellähmung fragte nie, vom Südlichen die gesamte Familie Naderer, die immer stolz war, eine promovierte Tochter zu haben, und zwar aus allerkleinsten Arbeiterverhältnissen heraus, in Geschichte promovierte, vom nördlichen, viel stattlicheren Besitztum aus Mutter und Tochter Griepenkerl, was in Summe schon neun den Studenten nach seinem Studium ausfragende Nachbarsleute ergab. Am bedrängendsten indessen war es im Elternhaus selbst, wo die Eltern dem Studenten zusetzten, doch endlich Fortschritte zu machen. Wer von all den Fragenden arbeitete wirklich? Selbst die promovierte Historikerin unvorteilhaften, acne-narbigen Aussehens konnte sich nach zwei Jahren als Mittelschullehrerin nicht halten und begoss an den Vormittagen nur ihre Heilpflanzen im elterlichen Garten. Eckehard bastelte an Autos und suchte immerhin einen Job nach absolvieren des Poly. Er suchte noch, die Kopierer kamen auf, er werde in den Kopiergerätehandel einsteigen. Lediglich seine Mutter, die jüngere Eis mit dem rotblonden Pferdeschwanz, eine herbe, strenge, im Urlaub viel reisende Person, arbeitete in einem Künstlerbedarfsfachgeschäft, alle anderen waren entweder in Pension oder hatten nie gearbeitet. Was diese alle nicht hinderte, den Studiosus, der sie zu grüßen gewohnt war, wann immer sie ihm begegneten, sogleich nach dem Studienverlauf und seinen Berufszielen auszufragen, wobei er entweder vage ausweichende oder dann immer mehr lügenhafte Antworten gab. Sein Jus Studium war nach den ersten beiden Semestern versackt, nun tickte die Uhr, er war angezählt, strauchelte. Uhr, er war angezählt, strauchelte. Nicht besser machte die Sache, den ebenfalls just studierenden Jungen Granatirovic, dem säumigen Jüngling, beizugesellen wie einen Nachhilfelehrer. Granatirovic stammte aus einer Steuerberaterfamilie. Sein Großvater mütterlicherseits hatte die in der Stadt berühmten Granatirovic-Villen gebaut, diese ganze Reihe von Villen am Quai, in denen Anwälte und Notare ihre Kanzleien haben. Gebäude, die nach außen zwar spektakulär aussahen, ihnen aber enttäuschten. Steuerberater Lennart Granatirovic unterstützte seinen Sohn André beim Studium nach Kräften. Ja, er begann nun selbst, sich in neuere juristische Rechtsmaterien einzuarbeiten und besuchte mit dem Sohn zusammen Lehrveranstaltungen an der Uni. Inzwischen traten die beiden Granatirovice, die Granaten, wurden sie sowohl etwas spöttischer, aber dabei auch anerkennend genannt, sogar schon zusammen zur mündlichen Prüfung bei einem Professor an. Vater und Sohn bildeten eine Lerngemeinschaft und die Mutter des Säumigen meinte, es wäre kein Schaden, denselbigen als drittes Rad an den so erfolgreichen Granatenkarren dranzuhängen. André hatte die Mutter des Säumigen zur Volksschullehrerin gehabt, er war ihr nur als ein durchschnittlicher, jedoch höflicher und sich durch besondere sportliche Frische auszeichnender Schüler in Erinnerung geblieben. und sich durch besondere sportliche Frische auszeichnender Schüler in Erinnerung geblieben. Jetzt, da er sein Juststudium schwungvoll aufgenommen hatte, war er zugleich schon zur Berühmtheit des Sportteils geworden. Staatsmeister im Hürdenlauf, nichts lag also näher, als den Sohn unter die Fittiche der zielstrebigen Granatirovic zu schubsen. Wie ein Schlag traf den Säumling das Du, mit dem André auf einmal seine des Säumlings Eltern anredete, ganz so, als hätte er nun einen zusätzlichen Bruder bekommen. André die Granate fiel mit der Tür ins Haus, wie leicht er jede Hürde zu nehmen verstand. Man konnte gar nicht schauen, wie schnell, schon war die Du-Form hergestellt. Es kostete André nicht die geringste Mühe, sofort seine ehemalige, um 40 Jahre ältere Lehrerin und deren gleichfalls um 40 Jahre älteren Mann ebenfalls Schulrat zu duzen. André Granate bot man nicht das Du-Wort an, er duzte spontan aus sich heraus. Die älteren Leute hier waren sperrig, spießig, sie duzten für gewöhnlich nicht, hatten keine Freunde, grüßten einander desto eifriger, fragten die immer gleichen Fragen nach den Schul- und Studienfortschritten der Junioren, den Krankheiten, schließlich Todeskrankheiten der Senioren. Eine Embolie hier, ein Herzinfarkt dort, ein Schlagerl hüben, ein Röcheln drüben. Die Rettung fuhr durch die Gasse, alle schauten hinter den Gardinen hervor, groß war jedes Mal die Aufregung, wenn ein Polizeiauto langsam durch die Gasse fuhr, was höchstens alle paar Jahre mal geschah. Granate André übersprang all die Hürden umständlicher Kleinhäusler-Existenzen mit jugendlicher Leichtigkeit. Er war zur Stelle, er war bereit, sofort überall anzupacken. Darin ganz das Gegenteil des Säumlings. Wie wenn er schon immer zu dessen Familie gehört hätte, redete er dessen doch für gewöhnlich reservierten Eltern zugleich mit ihren Vornamen an. Sie ließen es sich gefallen, was den Säumling wunderte. Sie lächelten sogar befriedigt darüber, hatten sie doch unverhofft Teil am Studienerfolg Andrés, den der eigene Sohn nicht einbrachte. Granate André war ihnen zum lieberen Sohn schon geworden. Der eigene wurde zu einem männlichen Aschenputtel degradiert, das man mehrere Male rufen musste, bevor es aus seinem Zimmerchen widerwillig hervorkroch. Unten hatte sich der andere schon breit gemacht, die sehnigen Leichtathletenbeine lässig abspreizend. Sogar Alkohol hatten sie ihm eingegossen, die sie doch strikteste Abstinenzler waren und selbst mit Trinkwasser geizten, das zum Essen aus kleinen Gläsern getrunken wurde. Der Säumling aber hielt, wenn er nach Hause kam, den Mund fünf Minuten unter die Wasserleitung, sich mit dem kalten Strahl aufzutanken. Seit Jahren schon kam er heim, eilt er sogleich mit blödsinnig aufgerissenem Maul ins Bad zur Tränke hin. Mit Blumen kam Granate, auch trug er immer ein sauberes Hemd. Er war in allem der bessere Sohn, der vorbildhafte, sozusagen Adoptivbruder. Wie den Säumling in die Lerngemeinschaft bringen, das war der eigentliche Punkt der ersten Konferenzen zwischen den Säumlingseltern und Granate, über den Kopf des meist im Zimmer verschanzten Säumlings hinweg, der bei den Unterhandlungen besser in Absentu sich hielt. Lernpläne wurden entwickelt, nur musste der Säumling, dies kranke, lebensmüde Saumtier, mit der Distel zu allererst hervorgelockt und überlistet werden. Nicht nur wurde dem Säumling der Lebensunterhalt hinten hineingesteckt, zwar nicht in Gestalt von Barem, dafür in Naturalien, sondern sogar Pläne zu seinem Fortkommen. Für seine weitere Karriere nahmen mittlerweile konkretere Gestalt an. Strafrecht war der nächste Brocken. Strafrecht sei nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Strafrecht zu lernen bedürfte eisernster Konsequenz. Es sei eine Haupthürde, meinte der Hürdenläufer. Diesmal fuhr sogar Vater Leonard Granate mit seinem silbernen Audi vor. Die Nachhilfe am säumigen Sohn würde Geld kosten. Vor allem müsste der einmal lernen, dass im Leben nichts gratis zu haben sei. Das sei die wichtigste Lektion. Den Hahn abdrehen. Der Satzfetzen drang zum Zimmerchen des Beängstigten hinauf. Auch die jüngere Eis musste von drüben hin zugekommen sein. Sie rief genau, was ich immer schon sage. Ich, der Säumige, hörte es, im verwichsten Laken wälzte mich zur Seite. Tagelang hatte ich mich nicht mehr rasiert, unter dem Bett lagerten Pornohefte, die ich mir nachts aus Altpapiercontainern geholt hatte. Dort unten, in unserem mit Antiquitäten vollgestellten Wohnzimmer, ereignete sich ein in meinem Namen zu meinem Wohle veranstalteter Menschenauflauf. Vater ist heute gestorben, hörte ich die Eis sagen. Er ist erlöst. Die Schüttellähmung war nicht mehr anzuschauen. Ich wünsche Beileid, meine Mutter. Beileid, murmelte mein Vater und sagte dann noch, ach, das ging aber jetzt schnell. Was mit uns im Alter sein wird, wissen wir noch nicht, meine Mutter wieder. Zwei Söhne sind aus dem Haus, der dritte tut nicht weiter. Wer uns einmal pflegen wird? Was weniger eine Frage war, als eine in betretenes Schweigen abbrechende Ratlosigkeit. Wenn er mit dem Studium nicht weiter tut, die Eis, er ist ja auch im Unterschied zu meinem Eckehardt nicht praktisch. Die Tür meines Zimmers einen Spalt geöffnet, konnte ich jetzt jedes Wort unten vernehmen. Mir war die Rolle des künftigen Elternpflegers zubedacht worden, mir, der ich mich nicht einmal selbst pflegte. Bartstoppeln standen mir ab, einige Wunden darunter hatten sich in infektiösem Lauffeuer verbreitet, weil ich mich kürzlich mit einer rostigen Klinge rasiert hatte. So konnte ich mich unten nicht sehen lassen, auch wenn nach mir gleich gerufen wurde. Auch tagelang konnte ich mit diesem Ausschlag nicht an die Uni gehen. Es ist ein Kreuz, die Mutter. Wir sagen ihm ja immer, reden ihm zu, täglich sagen wir zu ihm, wer uns einmal pflegen soll. Er ist doch kaum erst 20, so Lennart Granate, hat das Leben vor sich und sie beide sind Gott sei es gedankt rüstig. André musste einen Handstand gemacht oder ein Rad geschlagen haben, weil alle auf einmal A riefen, ja applaudierten. Gellns, das ist schon was anderes, Lennart, Senior Granate, das Leben muss weitergehen. Jetzt ist auch noch die Pfanne vom Dr. Franz Kurs wieder schon zwei Tage abgängig, warf die Eis so nebenbei hin. Na geh, mein Vater. Der arme alte Doktor, die Mutter. Er ist so abgemagert, eingefallen jetzt. Er ist nicht mehr der Alte. Das nimmt ihn mit. Ich dachte an die guten Fruchtsäfte, Himbeer, Holler, Kirsch. Ich mochte die Fanny von allen Nachbarn am meisten. Den Dr. Franzkurs hatte ich so lange gemocht, als er mir nicht mit den Skripten von Arno Schnee kam. Jetzt miede ich ihn und war sogar froh, dass er von der immer dementeren Gattin in Trab gehalten und von meinem Problemfall abgelenkt wurde. Im Unterschied zum verstorbenen Parkinson-Kranken hasste ich ihn nicht, sondern sah mit Mitleid, wie er körperlich verfiel, am Stock ging, längst war der Rasenmäher eingemottet, Gras und Gestrüpp wucherten das Grundstück zu. An dem alten Odo hatte ich, zwar nur in Gedanken und am Klavier, den Druck, der auf mir lastete und sich täglich immer mehr steigerte, abgelassen. Wie in noch wildem Denken befangen, verschmollt sich kausal seinen Tod mit meiner symbolischen Tötungsorgie an den Tasten, hielt telepathisches Töten nicht nur für möglich, sondern fühlte mich als Mörder Odos. Auch wer in Gedanken oder Worten tötet, wer auch seinen Bruder nur hasst, ist ein Mörder, hieß es in der Bibel, wo auch stand, wir seien Mörder von Anbeginn. Ich versuchte, mich im Bett liegend von den Stimmen unten abzulenken, wobei ich mich mit dem Bleistift in der Hand dazu zwang, das wilde Denken des Strukturalisten Claude Lévi-Strauss ein paar Seiten zumindest weiterzulesen, was selbstverständlich schon wieder nicht zum juristischen Studienprogramm gehörte. Ich kratzte mich am Hoden, der Schwanz würde mir bleiben. Wenn alles strick gerissen, hatte ich den Schwanz. Der Levi Strauß ließ sich bei spannender Titulatur langweilig an. Man kann nicht gut solche Werke lesen, wenn es drunten brennt. Mehr Zimmerpflanze als Mensch, Mann schon gar nicht, es wäre lachhaft gewesen, mich Mann oder wenigstens Jungmann zu nennen, hielt ich stundenlang verkrampft am Stuhl erhockend, des Öfteren ein philosophisches Werk in Händen, immer die schwierigsten dieser Werke, während die Mutter rund um meinen Stuhl herum den Boden aufwischte, mit dem Mop rücksichtslos gegen die Stuhlbeine schlagend. Für meine Mutter ergab ich noch lange kein Pflegekapital. Sie würde mich schon noch hindirigieren, die künftige Elternpflegerolle als die meine anzuerkennen. Sie nannte mich ständig Sau. Meine Lektüren, Flausen, die man dir noch austreibt. Bei jedem Buch, mit dem sie mich antraf, sofort die Frage, brauchst du das für das Studium? Die Verhältnisse waren enger, als ich wahrhaben wollte. In der Jugend hat man meist noch mehr Kraft, sich in Fantasien wegzuheben. So las ich gerne in Ernst Jüngers Büchlein Afrikanische Spiele, wie der Schüler im Tomatenhaus abseits der Familie über Abenteuerromanen saß. Jünger warf den Schulranzen über die Mauer und schiefte sich nach Nordafrika ein, um sich bei der Fremdenlegion zu bewerben. Die Rückholaktion durch seinen angesehenen Vater erwies sich als umständlich. Bald würde der Erste Weltkrieg ausbrechen, in dessen Stahlgewittern Ernst als Kriegsfreiwilliger sich bewerten sollte. Für mich stand ein solcher Ausweg nicht zur Verfügung, zudem war ich friedensbewegt. Trotz unschöner Magien, die ich hinsichtlich des armen Odo entfaltete, ließ ich mir von niemandem, auch den Professoren der Uni, nicht meinen Pazifismus nehmen, den ich wie der Hund seinen Kauknochen zähnefletschend verteidigte, als Besitztum meiner sonst kaum noch definierten Identität. Ich wollte mir nicht sagen lassen, dass ich unten war, dass es bei meinen pensionierten Pflichtschullehrersleuten denkbar eng und kleinbürgerlich zuging. Ohne viel dabei zu denken, wählte ich immer die KPÖ, weil ich annahm, dass dies meinem Milieu am meisten missfallen würde. Durch Lesen von allerlei Büchern sog ich mich mit anderen Sphären voll, wie eine Zecke füllte ich mich mit dem Fremdblut der großen Werke an. Dieses schwammhaft aufgenommene Fremddenken, diese künstlerischen und philosophischen Fremdleistungen installierte ich in meinem Kopf, der damals mit einem außergewöhnlichen Gedächtnis ausgestattet war. Unter Kollegen meiner Schicht wirkte ich wie ein Mensch, der in großen Zügen denkt und lebt. Bei Begegnungen mit der Oberschicht wurde ich kleinlaut und war hinter meine Grenzen auf einem ganz schmalen Streifen aus Furcht und Zittern sowie Heuchelei zurückgedrängt. Dass ich unten war, dass ich erst noch viele Kämpfe zu bestehen hätte, bevor ich ordentlich in Ruhe meine Bücher studieren durfte, verdrängte ich, indem ich mich immer tiefer in diese Bücher, die mir die Eltern wegreißen wollten, hineinvergrub. Ich las ständig im Gegenwind, es wurde von den Meinen verneint, was ich tat. Ich baute meine Welt auf, die mir von der anderen Seite wieder abgetragen und eingetreten und eingerissen wurde. Die Meinen wollten mich als einen anderen. Granate André hätte mir doch ein Vorbild sein können. Dass ich ihr Sohn war, André nicht, hatten sie schließlich vergessen. Mit großem Elternstolz nahmen sie teil an Andrés Studienruhm. Gar zu drei akademischen Titeln sollte er es bringen. Längst hat er die väterliche Kanzlei übernommen, ein zusätzliches Haus für seine Familie zum Elternhaus hinzugebaut. Mit eigenen Händen, aus eigener Kraft. Zur Lerngemeinschaft war es nie gekommen. André ging in unserem Elternhaus ein und aus. Er feierte Weihnachten mit den Meinen ohne mich. Er zeigte ihnen alle seine Zeugnisse, schließlich Diplome vor und bekam von ihnen Taschengeld. André an. André wiederum tat es auch für mich. Er war wirklich im Gegensatz zu meinen echten Brüdern etwas wie ein stiller, überlegener Bruder geworden, der an meiner Stadt meine von mir vernachlässigten und enttäuschten Eltern mit Erfolgen fütterte. Er schlüpfte so vollkommen in die ursprünglich mir zubedacht gewesene Rolle, ohne je mich zu Dank zu verpflichten. Wenn ich ihn heute sehe, weiche ich ihn besser aus und verhalte mich so als würde ich ihn nicht kennen ja schönen guten abend Schön, dass du da bist. Sehr interessant, was du uns vorgelesen hast. Manche Autoren behaupten ja, es hat nichts mit ihnen selbst zu tun, was sie schreiben. Das kann man ja von diesem Text nicht behaupten, oder? Nein, kann man nicht behaupten. Allerdings ist es jetzt nicht auch eine realistische Abbildung, sondern es ist hyperrealistisch, es ist etwas natürlich zugespitzt. Aber es entspricht dem seinerzeitigen Empfinden. Das, was in mir sozusagen vorging, ist durch diese Verkürzung und Raffung und Übertreibung, das ist ja das Problem von Thomas Bernhardt und anderen, immer die Frage, was ist Übertreibung, was ist Wahrheit und dass oft die Fiktion dem, was man empfunden hat damals, viel mehr entspricht, als wenn ich jetzt aus dem würde, dass es keinen Menschen interessieren. Da müsste ich da irgendwie diese Zeugnisse oder irgendwas vorlegen, aber es interessiert ja keinen Menschen und deswegen ist es eben gerafft, aber es entspricht meiner Beklemmung. Und diese Beklemmung war eine sich über wirklich viele, viele Jahre hinziehende. Die spürt man auch aus dem Text. Das ist mehr oder weniger ausweglose, was tue ich jetzt? Der eine, der sozusagen der... Fast zu einer Adoption führt das direkt, zu einer symbolischen Adoption. Aber auch die ausgehungerten Eltern, die eigentlich sich ernähren vom Erfolg ihrer Kinder, die sozusagen selber quasi das irgendwie brauchen, und er liefert das, und er empfindet sozusagen indirekt, dass er jetzt meinen Eltern das gibt, was ich ihnen nicht gebe, aber dass meine Eltern das bekommen. Und bei diesem übersehen sie eigentlich, dass das gar nicht ihr Sohn ist. Sie vergessen schließlich, also im Schatten seiner Erfolge kann ich natürlich oben Levi Strauss und Heidegger und was auch immer und Satre lesen. Aber ich habe das nie genossen, dass es so ist. Deswegen steht ja der letzte Satz, wenn ich ihn heute sehe, weiche ich ihn besser aus und verhalte heute sehe, weiche ich ihn besser aus und verhalte mich so, als würde ich ihn nicht kennen. Noch eine Frage, dann müssen wir schon aufhören. Den Mann gibt es also selbst wirklich? Ja, die heißen alle anders. Ja, ja, schon klar. Aber du kennst ihn noch? Ich lese in der Zeitung manchmal von ihm. Und ich sehe ihn auch manchmal auf der Straße. Er hat sich eigentlich relativ gut gehalten. Wir haben eigentlich so viel miteinander nicht zu tun gehabt. Es war diese Phase, wo es ihn fast adoptiert hat. Das ist natürlich eine Übertreibung. Ich habe es hier zugespitzt. Diese Phase war so lange dann nun nicht. Das war ungefähr in meinem sechsten, siebten Semester herum, um diese Zeit. Und mir ging es eigentlich hier, und vor allem habe ich den Text ausgewählt, weil der genau die halbe Stunde, ich glaube, mitgestoppt wurde, aber der hat sich also in der Zeit gehalten. Und den kann man eigentlich lesen und der ist in sich kompakt. Und weil man ja von mir immer wieder sagt, dass ich eigentlich keine geschlossenen Geschichten schreiben kann, sondern immer nur so in Streifen halt so Reflexionen, so aphoristische und Kurzprosa, habe ich mir eben gedacht, lese ich einmal einen kompakten In-Sichter, also der ist ja in sich da auskomponiert. Ja, ich bedanke mich bei dir, ich bedanke mich auch bei Ihnen fürs dabei sein und bei euch natürlich auch und wünsche mir, dass ihr und dass sie in 14 Tagen wieder dabei sind, wenn es wieder heißt auf DORF TV Vorlesestunde. Dankeschön. Danke auch.