Ich möchte Sie herzlich zur heutigen Veranstaltung begrüßen. Heute Abend werden zwei Neuerscheinungen aus dem Otto Müller Verlag, der Verleger Arno Gleifel ist anwesend, worüber wir uns sehr freuen, bei uns im Stifterhaus vorgestellt. Nämlich der Debütroman der Autorin Sarah Kuratle, Greta und Janis, vor acht oder in 100 Jahren, und der Roman in sechs Geschichten, vom Lügen und vom Träumen, von Birgit Müller-Wieland. Ich begrüße Birgit Müller-Wieland und Sarah Kuratle sehr herzlich. Herzlich willkommen. Die Einführungen zu den beiden Büchern wird der Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler und selbst Autor beim Otto-Müller-Verlag Dr. Christian Schacherreiter halten. Ich begrüße ihn ebenfalls sehr herzlich. Applaus Beide Autorinnen wurden bereits für ein Buchprojekt mit dem Adelbert-Stifter-Stipendium ausgezeichnet, worüber wir uns besonders freuen. Birgit Müller-Wieland 2002 für den Roman Das Neapolitanische Bett erschienen ist der Roman 2005 und im Frühjahr 2006 hat Frau Müller-Wieland ihn bei uns auch präsentiert, wie sie überhaupt bereits wiederholt die Male bei uns im Stifterhaus zu Gast war. Sarah Kuratle erhielt das Albert-Stifter-Stipendium 2018 für eben ihren Debütroman Greta und Janis. Aus diesem Grund erfolgte der Erstabdruck des Anfangs des Romans auch in unserer Literaturzeitschrift Die Rampe, und zwar in der Rampe 1.19. Das erste Heft der Rampe ist jedes Jahr den im Vorjahr mit einem Literaturpreis ausgezeichneten oberösterreichischen Autorinnen und Autoren gewidmet. Wir freuen uns, dass Birgit Müller-Wieland und Sarah Koratle heute gemeinsam bei uns zu Gast sind. Beide haben ein großes Nahverhältnis zur Lyrik, Schreiben und veröffentlichen Gedichte. Sarah Koratle sagte einmal in einem Interview an Literatur, interessiere sie, dass sie uns, Zitat, sachte mit Feinheiten, feinfühliger und flexibler zurücklassen kann. Beide Romane, die heute vorgestellt werden, vermögen das. Beide Romane, die heute vorgestellt werden, vermögen das. Mehr über Greta und Janis vor acht oder in 100 Jahren und vom Lügen und vom Träumen. Sechs Roman in sechs Geschichten werden wir nun in den folgenden ungefähr 75 Minuten erfahren. Ich wünsche uns einen anregenden Abend und bitte Sarah Queratle und Christian Schacherreiter auf die Bühne. Ja, einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Literaturfreunde. Ja, einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Literaturfreunde. Ich werde jetzt keinen Vortrag über dieses schöne Buch Greta und Jannis halten, sondern mit Sarah Köratle darüber sprechen. Das ist ein Debütroman. Es ist naheliegend, dass man da zuerst einmal ein bisschen auch in die Biografie der Autorin hineinleuchtet, wie es zu diesem Debütroman überhaupt gekommen ist. Wann hast du denn gewusst, ich werde Autorin? Das ist schwer zu sagen. Also der Wunsch, Autorin zu sein, der ist schon recht alt. Das geht zurück, glaube ich, in meine Schuljahre, als ich so ungefähr zehn, elf, zwölf Jahre alt war. Aber ich habe so lange einfach kein Ende für meine Geschichten gefunden, die ich da so erzählt habe und die ich so aufgeschrieben habe. erzählt habe und die ich so aufgeschrieben habe. Also ich hatte die Angewohnheit, immer wieder neue Notizbücher anzufangen und neue Bücher, Büchlein anzufangen für meine neuen Geschichten, weil die alten konnte ich irgendwie nicht fertig schreiben. Und das hat mich dann schon ein bisschen ernüchtert. Und ich habe mir dann gedacht, na, ich schaffe das nicht. Und jetzt mache ich mal die Matura und dann nach der Matura habe ich ein Jahr Zeit. In meiner Ernsthaftigkeit habe ich das auch wirklich ernst gemeint. Ein Jahr habe ich Zeit und da muss eine Geschichte jetzt mal fertig werden. Und das ist mir natürlich nicht gelungen. Und ich bin dann nach Graz gegangen zum Studieren und habe viel gelesen. Und irgendwie gab es dann bei der Germanistik ein Seminar, da mussten wir auch Gedichte schreiben. Und dann habe ich einfach angefangen, Gedichte zu schreiben. Nicht nur dieses eine für das Seminar, sondern immer mehr, immer andere wieder. Und da habe ich dann eigentlich auch die Sprache entwickelt, um meine Geschichten zu erzählen. Also da ist es mir auf einmal gelungen. Geschichten zu erzählen. Also da ist es mir auf einmal gelungen. Wobei ja der Vorteil, sagen wir, des Gedichts gegenüber der Geschichte ist, man braucht keinen Schluss. Das ist dir also entgegengekommen. Obwohl ja in der Moderne es eh auch nicht mehr üblich ist, einen richtigen Schluss zu schreiben. Sonst wirkt man ja trivial meistens. Oder irgend sowas in dieser Art. Das heißt, die Form löst sich sowieso auf, aber so einfach ist das Ganze natürlich nicht. Und natürlich merkt man deinen Roman oder überhaupt deinen Text in einer großen Form, will nun der hohe Sprachbewusstsein an, das war prägend. Das heißt, du gehörst also eigentlich auch zu den Autoren, die sagen, das Studium der Germanistik, der Literaturwissenschaft, das hat mir schon noch was gebracht für mein eigenes Schreiben, weil man hört das manchmal ja auch umgekehrt. Auf jeden Fall. Also ich hatte da in Graz wirklich die Möglichkeit, mich sehr viel mit Texten auseinanderzusetzen, mit Personen, die auch so an Literatur interessiert sind wie ich. Also da war dann nicht nur quasi die erste Reihe voll dabei, sondern eigentlich vor allem im Masterstudium dann wirklich alle und dieses intensive Analysieren und darüber nachdenken, was diese Geschichte uns hier erzählt. Und ich finde ja ehrlich gesagt, das Lesen ist eine sehr kreative Leistung. Also was man da Zusammenhänge sehen kann. Und jeder kennt wieder andere Aspekte. Und ich finde diesen Austausch über Literatur sehr bereichernd. Und habe da sicher auch viel mitgenommen und viel gelernt, dann für das eigene Erzählen. Ja, kommen wir zu deinem Buch, zu deinem ersten Roman. Mich interessiert auch immer sehr beim Lesen, weil du gesagt hast, dieses intensive Lesen und überall entsteht so in den Köpfen was Eigenes, wobei natürlich dann auf den Kopf auch ein bisschen ankommt, gibt es von Tucholsky, glaube ich, irgend so ein schönes Zitat, wenn ein Buch und ein Kopf zusammentreffen und es klingt hohl, muss nicht immer das Buch daran schuld sein. Soll es ja auch gehen. Ja, also die Räume. Also jede Geschichte braucht ja irgendwie meistens einen Art Handlungsraum. Und bei den Autorinnen und Autoren ist aber das sehr unterschiedlich, wie sie mit dem Raum umgehen. Für manche ist das gerade so irgendwie Hintergrund. Bei dir ist das deutlich mehr. Und das verbindet vielleicht diese beiden Autorinnen, die heute bei uns sind, weil der Raum auch bei Birgit Müller-Wieland einer besonderen Gestaltung unterliegt. Und das Interessante ist jetzt das, wir werden heute noch Literatur sehen, die sehr stark auf die Großstadt auch Bezug nimmt, als Erfahrungs- und Handlungsraum. Hier ist es sozusagen das Gegenteil. und Handlungsraum. Hier ist es sozusagen das Gegenteil. Also du hast deine Handlung sehr bewusst nicht nur sozusagen in die Provinz versetzt, aufs Land versetzt, sondern du machst einen Extremraum eigentlich daraus. Habe ich das richtig gelesen oder klingt es hohl? Ja, tatsächlich ist es ein Extremraum. Also der Großteil der Handlung spielt im letzten Dorf im Gebirge und das ist weit weg von jeder Großstadt und überhaupt von jeder Stadt. Es gibt eigentlich nur eine Stadt in diesem Roman und das habe ich auch bewusst so gewählt, weil ich einen Ort gebraucht habe auch für meine Geschichte, an den nicht so viele Menschen rankommen. Also wo von außen, wo der Blick von außen eigentlich fehlt und wo gewisse Ordnungen und Regeln sich auf eine Art und Weise verfestigen können, wie das nur dort möglich ist, wo wenig gefragt wird und wenig hinterfragt wird. Also die Ordnung im letzten Dorf im Gebirge, die ist sehr streng und eigentlich profitieren da nur die Erstgeborenen in den Familien und trotzdem wird sie weitergetragen von allen anderen. Ja, im Laufe des Romans kommt dann eben jemand hinzu. Ja, klar. Das ist jetzt, ja, diese Frage, also die Menschen, die in diesem Raum sind. Also das ist ganz hinten, man muss schon wissen, das ist das letzte Dorf und dann ist es auch noch das letzte Haus in diesem Tal. Also das habe ich mit Extrempositionierung gemeint im literarischen Raum und das Leben in diesem Dorf. Das Interessante ist, dass man merkt, du kennst soziale Strukturen des Landlebens, des Dorflebens ganz gut. Das wirkt nicht befremdlich oder künstlich oder sonst irgendwas. Trotzdem schreibst du keinen sozialen Realismus eigentlich. Es ist mehr ein Märchen. Ja, aber es ist trotzdem nicht sozusagen eine völlig eigene Teufel, die mit der Realität überhaupt nichts zu tun hätte. Das kann man auch nicht sagen. Nein, es sind schon so grundlegende Konflikte, die ich aber mehr oder weniger einfach verwandelt aufgenommen habe in das Buch. Also es gibt, das ist vielleicht vergleichbar mit den Tieren, die es im Buch gibt, es gibt Tiere, zum Beispiel den Luchs, den kennen wir alle auch, aber in meinem Buch hat er noch Hörner, also er hat dann nochmal was Zusätzliches bekommen und so ist es vielleicht auch mit diesen, ich habe sie alle ein bisschen verwandelt, die Figuren, aber auch diese Konflikte, sie sind ein bisschen anders, ein bisschen märchenhaft, aber eigentlich auch sehr wirklich. Ja, und es gibt ja auch so einiges Mythisches. Da gibt es einen Apfelbaum, der irgendwie eine besondere, fast magische Qualität entwickelt. Und daraus entsteht für mich, und das hat mir so gut gefallen, also einerseits meint man, man ist in einem realen sozialen Handlungsraum oder in einem Naturraum eben auch. Auf der anderen Seite hebst du das so ein bisschen ins Märchenhafte. Liest du gerne Handke? Ja, also den späten Handke. Ja, den späten, meine ich. Ja, ja, ja. Da sehe ich das nämlich so ein bisschen ähnlich, also dieses Anliegen jetzt. Nicht, dass das kopiert wäre, aber es ist ein ähnlicher Zugang zu der erzählten Welt. So, da leben jetzt Menschen, von denen du erzählst. Du wirst zunächst einmal einen Ausschnitt lesen. Vielleicht soll man dem Publikum ein bisschen was über diejenigen Menschen erzählen, wo das jetzt wichtig ist, dass man das versteht, einen ersten Ausschnitt. Ja, dann würde ich, glaube ich, mit den titelgebenden Figuren anfangen. Also Greta und Janis, diese zwei, die sind miteinander aufgewachsen und die waren sich immer schon sehr nahe. aufgewachsen und die waren sich immer schon sehr nahe. Also sie waren Nachbarskinder und sind gemeinsam zur Schule gegangen. Greta ist ein bisschen älter. Und es gab dann auch den Tag, an dem Janis Greta gefragt hat, ob sie denn nicht seine Schwester sein möchte oder ob er nicht ihr Bruder sein darf. Und sie hat dann Ja gesagt. Und die beiden werden älter und kommen sich dann in der Jugend eigentlich noch näher. Das ist vielleicht so viel, wie ich jetzt zu diesen beiden sagen möchte. Und dann gibt es eben im letzten Dorf diese Art Familie, die Greta dort findet. Also der Janis, der zieht in die Stadt und die Greta eben in das letzte Dorf und dort hat sie die Tante Severine, das ist wirklich ihre Tante, ihre Großtante nämlich und diese küf nicht alle Eltern sein, das ist ein Privileg von den Erstgeborenen. Und es gibt Kinder, die da weggegeben werden. Und Tante Severine ist eine Frau, die sich um diese kümmert und Greta hilft ihr. Dann gibt es noch den Cornelio vielleicht. Da müssen wir, glaube ich, gar nichts vorweg sagen. Muss man nicht unbedingt, können wir auch nachher noch zu sprechen kommen. Bei der Tante Severine, die ich sehr mag übrigens, also das ist eine sehr interessante Frauenfigur, da habe ich mir zuerst gedacht, aha, jetzt hat sie da einen, diese Sarah Kuratle, ich habe dich ja damals noch nicht gekannt, da hat sie jetzt ein Häuschen, so irgendwie ganz hinten im Tal und da wohnt die alte Tante Severine drinnen, das wird so eine Art Hexenhausgeschichte jetzt. Genau das wird es nicht. Es ist keine Hexenhausgeschichte und wenn, dann eine ganz ganz andere. Und die Tante Severine ist auch keine Hexe. Ja eben eben. Das würde ja hauptsächlich dazugehören. Sehr streng ist und vielleicht ist sie da eine Katze. Es gibt so gewisse Motive, die vielleicht sie damit verbinden. Aber sie ist eine wunderbare Frau eigentlich, die Dante Severine. Schon, nicht? Ja, sie nimmt die Kinder auf. Ja, und kümmert sich nach bestem Wissen und Gewissen kümmert sie sich um sie. Gut, können wir einsteigen? Ja, bitte. Also ich fange mit dem Anfang des Romans an und nehme Sie da mit auf eine Winterreise, die Greta durchs Gebirge macht. Also ich habe ja schon gesagt, Janis lebt in der Stadt und Kreta in diesem letzten Dorf und nach einem Besuch bei Janis macht sie sich dann also wieder auf den Weg zurück und trifft dort auf den schon kurz erwähnten Cornelio. Wie sich herausstellen wird, ist es der neue Nachbar im letzten Dorf im Gebirge. Ihre Hand Schmal ist sie, stark ihr Druck Finger, die seine Finger umarmen Seinen Handrücken aufrichten Während Schnee die Stufen des Zuges befällt Leuchtend liegen bleibt Das Gesicht der Frau, die jetzt mit ihrer zweiten Hand an seinem Unterarm herauffährt, treffen einzelne Flocken, verfangen sich oder zerlaufen zwischen Haut und Haaren länger als schulterlang. Gestützt tritt Cornelio ins Freie hinab, findet unter seinen Sohlen zuerst weichen, dann harten Grund. Es kommt ihm so vor, als ob, das war danke für ihre Hilfe. Leise, gern. Schnee auf ihren Lippen, keine Worte mehr, von überall her sich verdichtendes Gestöber, sprühender Winter. verdichtendes Gestöber sprühender Winter. Im kleinen Warteraum des Bahnhofs zählt ihm eine einsamtickende Wand nur die Zeit im Stillen vor. Durch an ihren Rändern glanzvoll beschlagene Fenster sieht Cornelio die Frau draußen zuerst stirn gegen Sturm, dann wieder in die andere Richtung gepeitscht, wird sie sogar langsamer. Sie ist sehr schmal und blass, wie in den Mantel gefallen, kam sie ihm vor, als sie seine Hand und seinen Arm hielt. Sie trägt keine Mütze am Kopf. Warum lässt sie ihren grauen schal flattern ihre haare wild in der luft ein paar jahre ist es her und einer hohlen bettdecke schwer schliefer wirklich greta lag wach einen winternacht himmel lang so, so groß wie das Fenster, das sie mit ihren Blicken durchs Dunkle abtastete. Immer wieder drückte sie ihre Stirn auf die harten Knie, die Fersen an ihre Schenkel, wie zur Schale. Eine harte Nuss wird sie heute noch genannt. Streckte sie ihren Arm aus, berührte sie Janis am Schulterblatt. Es hob und senkte sich wie über Wellen, unruhiges Träumen. Seine Locken schienen ihr ohne Licht zu glänzen. Aber an mir, was ist Gold an mir? Schau mich an, fragte sie am Morgen. Was ist nicht Gold an dir und uns? Seine Antwort, erschrocken, auf einmal blass. Janis, du verklärst alles. Der Wind scheucht den Schnee auf, verweht ihn über die Zugstrecke zwischen Stadt und Gebirge. Ab dem Punkt, wo die alten Gleise tief begraben liegen, übersetzt der alte Postbus zwischen Bergen den Landstrich. An seiner Windschutzscheibe haften blinde Flecken ein schwarz-grauer Schwarm. Vögel sollten besser landen, sich an die Bäume halten. Schnell fährt der Busfahrer, als stimmte er seine Fahrt auf klare Sicht ab, wie es sie vielleicht gestern gab oder an anderen Tagen. Ob es der Bus bis ins letzte Dorf im Gebirge schafft, so oder so wird es spät, bis Greta heimkäme. Trotz Rückenweh wird Tante Severine allein mit Flora den Stall machen. Die kleine Melina kann die Schafe und Ziegen zwar schon melken, läuft aber lieber zum weißen Esel, eine Handvoll Heu, versteckte Blätter, ihren Ring von der Straße. Ist das Gold, Greta, der Ring? Greta nickte, es ist Gold wert, darauf kommt es an. Im nächsten Jahr wird Greta dem Mädchen zeigen, wie sie das geschnittene Gras zusammenreicht, Heumännchen formt, wie sie mit Gänseblümchen Ringe anstecken, Margeriten fröhlich um das Kreuz an ihrer Kette binden kann. Das gefällt Tante Severine, glaub mir. In der Schule werde sie auch auffallen. Das tue ich sowieso, Greta. Zwei Tage weg vom Hof und Greta vermisst den Geruch von der Backstube, den frischen Broten, einem Butterzopf, den sie heimlich in schwarzem Kaffee tunkt, wenn sie keines der Kinder beobachtet. in schwarzem Kaffee tunkt, wenn sie keines der Kinder beobachtet. Schmatzend und schlürfend genießt sie dann die vollgesaugten Brocken im Mund. Wie das aussieht, Greta, beschwert sich Tante Severine manchmal. Sie sieht aus wie Janis beim Frühstück. Janis, ich fahre schon heute. Er sagte nichts. Damals, vor Jahren, lieh ihr für den Weg zum Bahnhof einen Schirm, den Greta nie mehr zurückgab. Selten regnet es in den Bergen, aber es regnet so stark wie sonst nirgends, betonen Flora und Melina jedes Mal stolz. Wie sonst nirgends, mit Kapuzen und Stiefeln in den grauen Pützen. Greta selbst unter Janis altem Schirm, ihre Haare so nass, als stünde sie auf dem Kopf, unten ein See Regentropfen. Wie Janis beim Frühstück sehe ich aus, darum konnte ich ihn ja nicht heiraten, es grauste mir selbst. Darauf Tante Severine, Gott sei Dank, ich brauche dich, bei den Mädchen am Hof in der Backstube. Nach acht Jahren trägt der Apfelbaum diesen Winter wieder Früchte. Im Garten all die goldenen Kugeln könnten sie sich den Weihnachtsschmuck eigentlich sparen. Im Frühling hatte Tante Severine eine Flasche meiner Blüte am Baum gestülpt für die Zierfrucht im Schnaps. Sonst seien die goldenen Äpfel ja giftig wie Vogelbeeren. Außer die Apfelkerne, die schmeckten Melina und mir sehr, widersprach Flora. Vor acht Jahren stibitzten die zwei Mädchen ein paar Kerne aus dem Gärfass. Sie hatten Glück. Es war ein Wunder, erklärte sich Tante Severine. Zwei Reihen vor Kreta sitzt der Mann mit dem Verband im Bus. Angeschnallt. Auf dem Kopf einen Hut, ein zweiter hängt von seinem Koffer, ein dritter an seiner Lehne. Verziert sind sie alle mit bunten Federn. Es fehlen die Schneckenhäuser, überlegt Greta bei sich. Die Luxohrpinsel, die getrockneten Bienen, das richtige Gefieder, dann wäre es ein wundersamer Hut. Vielleicht. Eindrucksvoll mit Hut gleicht der Mann den Erstgeborenen im letzten Dorf im Gebirge. Als er sich zu Greta umdreht, trifft sie zwischen den Sitzen auf seinen schüchternen Blick. Cornelia und Greta kommen jetzt beide im letzten Dorf im Gebirge an. Und Greta macht sich zu Fuß auf zum wirklich letzten Haus im Gebirge. Und Cornelia, der ja verletzt ist, der lässt sich bis vor die Tür bringen. Also der braucht einen Chauffeur. Und er findet einen Chauffeur in dem Busfahrer, der, wie ich vorher gelesen habe, sehr wild fährt. Aber ja, immerhin hat er jetzt einen Chauffeur. Vor acht oder in 100 Jahren. Es wäre nicht viel anders. Der Sonneneinfall am 21. Dezember zwischen See, Bergrücken und Wäldchen ein schmaler Streifen, auf dem das kleine Haus sitzt. Da ist es, sagt Cornelio. Im Kalender fängt der Winter an, fängt die Nacht an zu weichen, Schnee zu härten, viele Wassertropfen in der Luft an den Zweigen. Schnee zu härten, viele Wassertropfen in der Luft an den Zweigen. Kalter Nebel um den See vereist, unzählige Nadeln, Riesenleise, letzte Blätter, die am Boden brechen. Bizar, murmelte er in Erinnerung an laute Schritte inmitten von Rauhreif. Bizar, finden Sie nicht auch? Bizar ist das richtige Wort dafür. Der Fahrer nickt. Wird schon so sein. So, nicht viel anders, ob vor acht oder in 100 Jahren. Mit einem der letzten Zündhölzer macht Cornelio die Kerze am Tisch, rasch noch die Zeitung zwischen Holzscheiten im Ofen an. Zwei Fingernägel an den Spitzen angesenkt, war er zu langsam. Das wird ihm wieder passieren, immer wieder, bis sein Bein verheilt ist. Im Winter gefallen ihm zwei Sorten Tee gemischt, heute ein Lindenblütensäckchen und ein Teeei mit Minze. Von Frühling bis Herbst wild wuchernd. An Nägeln in der Wand hängen schon die Hüte und Kappen befiedert, darunter ein Hut mit knittriger Krampe aus Stroh. Sein Vater sammelte Hüte, mit ihnen seine Erfahrungen. Was ich nicht unter einen Hut bringe, das nehme ich auf die Kappe, sagte er oft, und das nicht so sehr beeindrucke wie ein Hut. Eine Kruste aus Reif überzieht Gretas Umweg durch den Nebel. Auf dem Häuschen mit dem Mantel aus mosigen, teils fauligen Schindeln liegt ein bisschen Sonne, Licht. An den Fenstern rissige Vorhänge, hinter die Flora und Melina einmal schauen wollten. Bitte, bitte, von mir aus, erlaubte es Greta. Es wohnt ja niemand mehr im Haus, dann schaut halt nach. Melina lief als erste zu Greta zurück, ihren Mund offen vor Schreck. Auf einmal taucht jetzt ein Hut hinterm Fensterglas, jemand auf den sonst so verlassenen Brettern auf, eigentlich fast verlassen, wir sahen eine Maus. Es war ein Siebenschläfer. Besser der Flora, ihre kleine Schwester aus. Unter der letzten Straßenlaterne im Dorf vor der Tür des Häuschens erkennt Greta den Mann vom Zug. Sie wohnen ja auch am Dorfrand. Dann sind wir wohl Nachbarn jetzt. Dann sind wir wohl Nachbarn jetzt. Es ist ein Versteck, wohin sie sich aufgemacht habe. Er könne mitkommen. Kommen Sie ruhig mit. Dann schaut Greta nachdenklich auf seinen Verband. Mit den Krücken kann ich gut gehen, über Stock und Stein, versichert er. Ob er seinen Fotoapparat mitnehmen dürfe, es sei ja immerhin ein Versteck. Aber kein Geheimnis, nehmen Sie ihn ruhig mit. Können wir uns eigentlich du sagen? Ich heiße Greta. Cornelio, also mit ganzem Namen heißt du Margareta? Nein, bloß Greta. Ehe sie weg vom Kiesweg laufen, geben sich die Mädchen immer Küsschen mit ihrem Nasen, weil es doch ein Versteck ist. Wer die Losung kennt, darf dem Steinmännchenweg folgen, hatte Greta festgelegt. Folgen, hatte Greta festgelegt. Für einen Moment überlegt sie, ob sie ihren neuen Nachbarn einweihen oder ihn doch nicht mitnehmen sollte. Dann schüttelt sie den Kopf und hakt sich bei ihm ein. Sieh also, du brauchst mich jetzt, Cornelio, glaub mir, aber eine Krücke ist genug. An ihrer Seite vorbei an dem Strommast, der mit seinem verbündeten Silbergrau die Landschaft durchschneidet, fotografiert Cornelio die Rinde der ersten großen Bäume. Ein bisschen rötlich, wie angerostet, stellt er fest. Im Winter in diesem immer dämmerigen Stück Gras und Wald seien hell und dunkel sowieso wichtiger als die Farben. Das sei im Dorf nicht viel anders. Darum bloß mit Bleistift. Magst du es trotzdem? fragte Melina einmal. Greta gefiel dieser Zeichnung, wie jede des Mädchens. Nicht bloß grau fände ich trotzdem schön, worauf Melina die Baumstämme rot schraffierte. Als sie nach ein paar Metern zwischen Bäumen krachend auf die bereifte Wiese kommen, geht der neue Nachbar einen Schritt vor ihr trotz Verband auf die Knie. Nachbar einen Schritt vor ihr trotz Verband auf die Knie. Durchs Viereck, das Cornelius Kopf, seine Schulter, Ober- und Unterarm aufspannen, schaut sie, indem sie ihren eigenen Oberkörper nach vorne lehnt, gleichsam unter seinem Blickwinkel, auf den schönsten Platz der Welt. Eine alte Fichte gibt dem Holzbänkchen Rückendeckung. Um es herumragen Reste Schilf, das nicht abgeschnitten wurde. Weiße Eisbärte tragende Rohre, höher als Kinder, Erwachsene, Greta. Unter den Latten vertrocknet graues Stroh. Mit seinen bloßen Fingern möchte Cornelio die breite Sitzfläche bis zur Lehne hinauf abschaben. Das bringt nichts, hält in die Nachbarn ab, breitet ihren grauen Schal auf der Bank aus. Für ein paar Minuten ist das genug. Bloß nicht zurücklehnen. Genau in die Mitte setzt sie sich. Vielleicht, weil sie häufig allein herkommt. Es gab Pläne, da eine Straße zu bauen oder Schiene zu verlegen. Cornelio wundert sich. Das Bänkchen gefällt mir sehr, wirklich, so geschwungen, aber ich scheitere mir, an diesem Ort einen Zug vorzustellen, fügt er hinzu. Nach einem Räuspern, sagt Greta, weißt du, ich male mir manchmal einen Zug aus. Wie früher am Bahnhof geht sie jetzt vor der Bank auf und ab. Manchmal warte ich hartnäckig darauf, dass jemand ankommt. Sie seufzt. Wieder lässt sie sich auf die Bank fallen, jetzt aber am Rand. In der Mitte zwischen ihnen beiden ein freier Platz. Schweigsam sitzen sie auf dem Schal, die Füße im Schnee, im rückenden Wald so nah, dass er in einem Baumstamm seinen Kopf anlehnen könnte. Was von den Tagen bei Janis erwarten, wusste Greta selbst nicht. Unendlich viel Schnee, schrieb er ihr vor Jahren. Die Stadt gleichsam, bloß für sie beide, so richten wir es uns ein, Greta. Als Greta in die Bahnhofshalle einfuhr, sah sie ihn auf einer erhöhten Bank warten. Ich musste einen späteren Zug nehmen und konnte dir nicht mehr Bescheid geben Aber Janis, bist du denn die ganze Zeit über draußen gesessen? Schuhe, Hose, Mantel voller Schnee, den es zu ihm und das Vordachgebiet haben musste Janis zuckte mit den Schultern Es geht mir nicht wie den Kutschern Sie fahren den ganzen Tag über im Schneefall Er klopfte die Flocken von seinen Kleidern. Das ist nicht viel. Während sie noch nickte, kam sie ihm näher, bis sich endlich ihre Nasen berührten, aus dem Nicken ein Wippen wurde, ein Schaukeln ihrer Köpfe, bis die harte Kälte abfiel wie eine zweite Haut. Noch einmal dort würde sie ihn auf die Lippen, die Wangen weich küssen, neben den Augen, wo überall sein Lächeln lag, sein Herz. Du trägst sein Herz wie ein Kind im Gesichtsausdruck. Weißt du das? Würde sie sagen, wären sie an diesem farblosen Wintertag ein graues Liebespaar geworden. Am Abend hätte sie seinen goldenen Lockenkopf an ihre Brust und Schulter gezogen, statt sich rauszureden. Es gibt für mich nicht bloß dich, nicht bloß dich und mich. Es ist nicht so leicht. Was sei so schwer daran? Sie konnte es ihm nicht sagen. Kaum mehr als ein Jahr später heiratete Janis. Greta zog vom vorletzten ins letzte Dorf im Gebirge. Sie hilft dort ihrer Großtante, Tante Severine, mit den Kindern, fühlt sich ein bisschen erwachsener seither. Alle Besuche bei Janis sind jetzt ein Geheimnis. Jede Begegnung zunächst eine Zurückhaltung. Plus eins, bitte sag mir, Janis, deine Frau wollte dich, war das alles? Zögerlich antwortete er, vielleicht, das ist viel. Greta nimmt das Gespräch mit dem Nachbarn Cornelio wieder auf. Zum Glück fährt da kein Zug, es sähe trostlos aus, es gäbe ja keine Haltestelle. Niemand würde im Schilf aussteigen. Der Schal wird langsam feucht, lässt Greta aufspringen und übers weiße Feld zum Bach stapfen, der den Grund in Grundstücke teilt, von Stromleitungen überspannt, manchmal von Kinderbeinen. Aber nicht im Frühling, wenn das Gras wächst, nicht im Sommer, schärfte Tante Severine den Mädchen ein. Sonst gibt es wieder Probleme mit dem Pächter, ein böser Mensch, besprach sie mit Greta, Flora und Melina schon im Bett. Hast du Gott heute heute schon gedankt dass du keinen mann hast selbst tante severine täglich nein aber ich werde es noch machen stimmt greta dann zögerlich ein sie hastet jetzt zum neuen nachbarn zurück warte du brauchst mich ja cor Cornelio. Führt ihn wie eins der Kinder achtsam am Arm zum Wasser. Von ihren zwei Händen zittert bloß noch eine. Im Zentrum steht letztlich das Motiv der verbotenen Liebe. Es ist in gewisser Weise auch ein Adoleszenzroman. Es geht immer mal wieder um zwei junge Menschen, um körperliche Selbstwahrnehmung in dieser beginnenden Geschlechtsreife und so weiter. Und überhaupt ist die sinnliche Wahrnehmung sehr wichtig für den Text. Also die Sinnlichkeit, das Gerochene, das Geschmeckte, das Gespürte, das ist sehr bildgebend für deine Sprache, habe ich den Eindruck. Das hat auch ein bisschen was mit der lyrischen Komponente in deinem Werk zu tun? Ich denke schon. Also gerade bei den Gedichten ist ja der Fokus sehr stark, also bei meinen Gedichten war es immer sehr stark darauf, auch eine Stimmung zu erzeugen, eine Atmosphäre durch Melodie, durch Klang, aber auch durch diese ganzen sinnlichen Eindrücke, die sich dann die Leserinnen vorstellen sollten. Und das habe ich auch bei diesem Erzählen oder fürs Erzählen eigentlich übernommen. Also die Stimmung oder die Atmosphäre ist so das Zentrale für mich beim Schreiben. Und man merkt das natürlich auch bis in das Detail der Formulierung hinein. Mir ist also eine Stelle neben anderen aufgefallen, wo du schreibst, schwarz wartet der Vogel zwischen den breiten, blassgrünen Blättern der Pestwurz dicht über dem Boden, als wandle er durch einen Klee-Teich. Wenn man das jetzt linguistisch ein bisschen auseinandernehmen würde, was man jetzt nicht tun, keine Angst, also dann würde man da finden, Assonanz, Alliteration, auch von der Rhythmusgebung her, Trocheisch, Taktüllisch, also wie im Hexameter,, fast wie ein klassischer Vers sozusagen. Ich nehme an, da fließen bei dir Prosa und lyrische Gestaltung im Sprachlichen zusammen, nicht? Ja, sie sind sich sehr nahe. Ich habe jetzt in den Roman auch zwei Gedichte einfließen lassen. Also an dieser Stelle, die du vorgelesritten, aber wir wollen deinen Abschnitt mit einem kurzen weiteren Auszug aus deinem Buch beenden. Und dann kommen wir zu Birgit Müller-Wiland. Also es gibt innerhalb vom Roman mehrere Rückblenden, die eben die Vorgeschichte von Greta und Janis erzählen. Und eine von diesen Rückblenden werde ich jetzt vorlesen. Es wird eben etwas komplizierter für Greta und Janis, als sie erwachsen werden. Janis lebt dann schon in der Stadt und Greta noch im Dorf. Sie sind eigentlich fast nur noch über Briefe miteinander in Kontakt. Ist es Fantasie, dass Greta die Minze schmeckt in dem Moment, dass sie die Hütte aufschließt? Die Hütte gehört nicht ihr. Der Schlüssel gehört in sein Versteck zwischen die Holzscheite, aber die Minze schmeckt so gut da drin, aufgerieben zwischen ihren Lippen und seinen. Janis wird, wenn sie sich küssen, sie vom Küssen ihm schreibt, schreibt er, werde ich immer rot, Greta. Ist das Fantasie, dass sie die Minze schmeckt? Ihr Mund ist leer. Greta stellt sich vom Spiegel auf, raucht die halbe Zigarette, die ihr Janis in den Umschlag gesteckt hat. Sie schmeckt anders, wenn du nicht da bist. Warum kommst du nicht? Es ist heißer Sommer. Sie trage die weiße Bluse mit gezacktem Kragen, wie bei ihrem ersten Mal, gegen den Spiegel gedrückt. Antwortet sie auf seinen Brief ein paar Sätze, die ihr einfallen, dann fahre ich halt zu dir. Der geschmückte Hut gehört nicht uns, aber gehört auf deinen Kopf, wenn Janis mit Greta schläft, also kommt er mit mir zu dir in die Stadt. Greta nimmt den Hut vom Haken über dem Spiegel, setzt ihn auf mit feuerroten Federn, aufgenähten Bienen, Luxorpinseln und Schneckenhäusern verziert. Kurios finde ich ihn, auch dass mir Mutter nicht sagen kann, was das für ein Hut ist. Der Hut ist kurios, findest du nicht auch? Stachelte sie Janis an, der zurückwich. Ich muss ja nicht alles wissen, Greta. Es fühlt sich schön und gut an, ihn zu tragen, das weiß ich. Als Kind im letzten Dorfengebirge wünschte sich Gretas Mutter lange, ich wünschte mir so, diesen Hut einmal zu tragen. Aber Tante Severine ließ sie nicht. Später habe ich ihn doch einmal aufgesetzt. Da lebte sie schon im vorletzten Dorf, danach nicht, nein, nie mehr. Fast ein Jahr ist es her, seit sich Janis und Greta gesehen haben, zum Abschied vor seiner langen Reise in die große Stadt. Dort musst du dich fein anziehen, glaube ich, fragt sie sich, glättet den gezackten Kragen ihrer Bluse die Falten ihres Rocks. Janis besucht das Gymnasium, das sei mehr als eine Schule, darauf beharrte sein Naturkundelehrer. Du wirst in die Welt hineinkriechen können, versprach Herr Janis, die Taschen voller Steine und Käfer. War es Einbildung, dass Greta beim Abschied am Bahnhof über Janis Oberlippe ein Kratzen spürte? Wächst ihm ein Bart inzwischen? In welche Welt kriecht er, während sie im Teig feststeckt? Wie schon ihre Mutter, Großtante, Urgroßmutter, riecht sie jeden Tag wie Lebkuchen, kommt ihr vor. Sie wartete am Bahnhof am Anfang der Sommerferien vergeblich. Es ist heißer Sommer, Janis, und du sitzt in dunklen Räumen. Er antwortete, wir sind den ganzen Tag draußen am Sammeln und Schwitzen. War es Einbildung oder klang seine Stimme tiefer, als sie telefonierten? Janis ist noch nicht 16. 16 bist du erst, wenn du endlich heimkommst. Oder Greta zu ihm fährt. Erst dann werde ich 18, wenn wir endlich zusammen feiern. Samt Hut mit Federn, Bienen, Luxorpinseln und Schneckenhäusern, samt weißer Bluse mit gezacktem Kragen. Kurios wird das ausschauen, wie im Karneval verkleidet. Furios wird es ausschauen, wie im Karneval verkleidet. Als gäbe es etwas zu verbergen, wenn sie sich lieben. Ja schon, da ist das Muttermal auf deiner Wange, Greta. Es bringt mich sonst ganz durcheinander. So besonders finde er es. Wann immer sie erröte, habe sie eine Mohnwange. Es ist heißer Sommer und Greta sitzt am kühlen Boden dieser Holzhütte, die nicht ihr gehört. Sie greift unter ihren Rock, trocken, ihre Finger feucht. Aber nicht jetzt, es hat noch nie nicht da, sagt Greta laut. Sie hat nie viel empfunden, wenn es ihre Hände waren. Aber jetzt, da, sagt sie leise, bestimmt. Langsam geht sie in die Hocke, klemmt ihre Faust zwischen ihre Schenkel, reibt mit den Knien auf den Boden, bis ihr die Finger zuströmen, wie kleine Fische, Fühler einer Schnecke. Greta sperrt ab, steckt den Schlüssel zwischen die Holzscheite. Letzten Sommer wollten sie die Hütte diesen Sommer neu streichen. Ganz in Rot war der Plan. Sie und Janis, ein rosa-rotes Liebespaar mit Pinseln in Händen. Mit alten Kleidern hätte sich Janis anfangs verkleidet, als könnte seine Haut sich rot, als dürfte sie nicht. W wäre sie zu kräftig, die rote Farbe. Aber unsere Wangen sind auch rot, sagte sie, dann hätte er seine mit Händen bedeckt, nicht bedacht, dass Greta ihn jetzt küssen und an die rote Wand drängen würde. Schon immer wehrte sich Janis, wenn sie ihn schminken wollte, aber es ist doch Karneval. Dann gehe halt als Janis mit den Schafen. Dann tat Greta es ihm gleich, schnitt ihre langen Haare zu einem kurzen Wirbel ab, strich ihre Lippen frommwehrrot. Du siehst trotzdem ganz anders aus, Greta. Nicht ganz, anders halt, fand sie. Unsere Lippen sind gleich jetzt. So kurz waren ihre Haare sogar ein bisschen lockig um ihre Stirn. Um die Hütte herum blüht kein Klatschmond mehr. Das sei halt so beim Mond, er blühe woandersanders, jedes Jahr anders, wo keine Minze wächst, dieses Jahr woanders. Vor zwei Jahren gab es da viel Mohn und Minze. Im Wind reißen sich die Schatten von den Bäumen los, wie Hasen, die übers Feld springen, wie eine Herde Schafe gegen den Wind. Dabei sind sie selbst der Wind. Inmitten der Schatten kommt Greta die Luft kühler vor, sie geht schneller. Auf dem Weg zurück, mit dem Hut aus der Hütte geschmückt, fühlt sie sich irgendwie selbstbewusster, als müsste sie fliegen und könnte von allen überall gesehen werden. Wenn sie jetzt spreche, würde sie laut singen, eindrucksvoll. Sarah, ich muss ein bisschen auf die Uhr schauen. Ja, jetzt ist gleich. Als Moderator muss man auf die Halbzeit achten. Wahrscheinlich liegt es an meiner überstandenen Kälte, dass ich ein bisschen länger brauche. Mehr Pausen. Zum ersten Mal richtet sie sich selbst. Sie macht die Augen zu. Ach so, ja. Ich hatte sie Augen zu. Ach so, ja. Ich hatte sie nicht zu. Okay, gut. Der war gelungen jetzt. 1 zu 0 für dich. Keine Frage. Ja, danke dir herzlich für deine Lesung. Birgit, bitte. Ja, meine Damen und Herren, wir haben es heute mit zwei Büchern, die beide auf ihre Art etwas Besonderes sind, von der Schreibweise her, von der Bauform her. Und wir werden dann gleich sehen, was das Besondere an deinem neuen Buch ist für diejenigen, die mit Birgit Müller-Wieland noch nicht so Bekanntschaft gemacht haben. Du bist an sich eine gebürtige Oberösterreicherin, geboren in Schwanenstadt. Ja, genau, in Schwanenstadt geboren. Birgit Müller-Wieland hat dann in Salzburg also auch Germanistik studiert, Literaturwissenschaft, hast dich auf Literaturwissenschaft spezialisiert, über Peter Weiß deine Dissertation geschrieben. Und du bist, in deiner Biografie ist auffällig das Großstädtische. Du hast lange in Berlin gelebt dann, elf Jahre glaube ich. Lebst jetzt seit einiger Zeit schon in München, also einer anderen deutschen Großstadt. Und ich glaube, wir werden heute noch darauf kommen, dass dieser Erfahrungsraum deine Literatur natürlich auch auf ganz besondere Art und Weise prägt. Dazu werden wir dann noch Beispiele uns anschauen. Die umfangreiche Publikationsliste von Birgit Müller-Wieland umfasst Erzählprosa, umfasst Essays, Lyrik und auch Libretti. Du hast zur Musik über deinen Mann hauptsächlich eine starke Bindung auch. Ja, die neueste, die jüngste Publikation von Birgit Müller-Wieland, vom Lügen und vom Träumen. Und es ist in diesem Fall naheliegend, nicht nur über die Inhalte zunächst einmal zu reden, sondern zugleich auch mit der Bauform zu beginnen. Denn im Untertitel oder dem Untertitel kann man es schon entnehmen. Es handelt sich um einen Roman in sechs Geschichten. Als dieses Bauprinzip ein bisschen plastischer wird, möchte ich ein bisschen erklären, wie du die Zusammenhänge der Figuren und auch dadurch einzelner Handlungselemente konstruierst, obwohl da eigentlich jede Geschichte auch für sich stehen könnte. Man müsste sie nicht zwangsläufig miteinander verbinden. Es entsteht natürlich aber eine ganz besondere Spannung in diesem Text dadurch, dass eine Verbindung hergestellt wird. Ich hoffe, da ist jetzt nichts falsch. Du darfst das sonst sofort korrigieren, wenn ich da jetzt irgendeinen Zusammenhang falsch hergestellt habe. Also die erste Geschichte ist eine Paargeschichte, spielt im Berlin, Handlungsraum Berlin. In München. Ah ja, es spielt eigentlich in München. Sechster fängt schon an, die Sache. Es spielt eigentlich in München, sondern Berlin ist dann eher, ja, ist schon klar. Ja, ist schon klar. Salome und Hannes, Geschichte einer für Salome unerwarteten Trennung nach einer eigentlich langjährigen Partnerschaft, für die man eine Art Sicherheit doch annehmen konnte, obwohl man weiß, so ganz funktioniert dieser Traum nie, sozusagen. dieser Traum nie, sozusagen. Also damit beginnt es. Dann rückt die Frau in den Mittelpunkt, in der Geschichte 2, wegen der Hannes seine Frau verlässt, Doreen oder Doreen, ich weiß nicht mehr. Doreen. Doreen, ja. Diese Frau, die ist hauptberuflich Krankenschwester, ist aber auch eine wackere Trompeterin. Und die ist, und das ist jetzt der politische Bezugspunkt, mit ihrer Familie aus der DDR gekommen noch, also als die DDR noch existiert hatte. Und sie hat eine traumatisierende Vorgeschichte. Also diese Frau rückt jetzt in der zweiten Geschichte in den Mittelpunkt. Und dann hat dieser Hannes einen Cousin, der heißt Clemens, und der ist verheiratet und der ist mit seiner, also aufgrund seiner Tätigkeit als Maschinenbauer in seiner Firma in Hanoi. Ja, schau, was ich da alles richtig sage. Wunderbar. Aber ich glaube, das ist sehr verwirrend mittlerweile. Naja, ich will das eh nicht überstrapazieren, diese ganze Sache. Ich will nur bewusst machen, es sind sechs Geschichten, die jede für sich eigene Geschichte erzählt, sechs Geschichten, die jede für sich eigene Geschichte erzählt, aber die über die Figuren und einzelne Handlungselemente dann sehr raffiniert miteinander verknüpft sind. Es sollte also deine Qualität, deine handwerklichen Qualitäten auch in den Mittelpunkt drücken, irgendwie, dass ich das so am Anfang sage. Ja, sprechen wir über ein paar Aspekte noch dieser Geschichte, bevor du uns dann auch daraus vorlesen wirst. Fangen wir vielleicht auch ein bisschen mit den Räumen an. Ich habe es immer mit diesen Räumen. Jetzt habe ich eine Frage an dich. Also München, Berlin, das kennst du beides ziemlich gut. Und man hat den Eindruck, dort wo du eine Geschichte ansiedelst, dass irgendwie der Raum auch mitprägt. Das heißt, wenn du eine Geschichte erzählst, würde die anders verlaufen, ob du sie in München oder in Berlin spielen lässt? Blöde Frage, Herr Bisslop. Also, das ist schwierig, weil es da zu differenzieren, weil es zwei Städte sind, in denen ich gelebt habe und lebe. Vielleicht möchte ich die Frage so beantworten. Es gibt in diesem Buch auch einen Abschnitt, den ich auch lesen möchte, über Havanna. Und Havanna kenne ich nicht, im Gegensatz zu Hanoi. Und ich will das eigentlich nicht über etwas schreiben, wo ich noch nie war. Aber nachdem ich mit Kuba-begeisterten Frauen zehn Jahre in einer Wohngemeinschaft war, habe ich aus erster Hand sehr vieles mitbekommen. Insofern habe ich mir das zugetraut dann. Und die waren auch an dem Text lektorinnenhaft beteiligt, wenn ich irgendeinen Blödsinn geschrieben habe. Oder ich kann nicht Spanisch, also es sind so spanische Floskeln drinnen, die ich dann durch sie also reintun konnte. Diese Sache mit Kuba, das wollte ich ohnehin ein bisschen ansprechen, auch nämlich im folgenden Zusammenhang. Der politische Kontext ist für deine Geschichten immer auch irgendwie wichtig, manchmal wirklich handlungsbestimmend, wie in der einen Geschichte, die du uns auch vorlesen wirst dann, aber bei Kuba ist es ja auch so, das ist in, weil du sagst, zu Kuba begeisterten Frauen. Kuba war ja in bestimmten Milieus lange Zeit so ein bisschen ein Mythos immer auch, der die Realität allerdings ziemlich heftig überlagert hat. Hast du diese Erfahrung gemacht? Ich glaube, das schwingt nämlich in deinem Havanna-Text ein bisschen mit auch. Ja, also Ausgangspunkt ist ja auch, dass ich die DDR in den 80er Jahren ganz gut kennengelernt habe durch Austauschprogramme mit den Universitäten Salzburg-Rostock. Das ist ja immer wieder interessant, weil in Deutschland gab es diese, in Westdeutschland, diese Programme nicht. Und als Österreicherin hat man ja in der DDR studieren können und reisen können und so weiter und Kontakte pflegen, weil Österreich als neutrales Land ja Wirtschaftsbeziehungen hatte, sehr enge und so weiter, im Gegensatz zu der BRD, der Alten. Und deswegen ist es kurios, dass Leute meiner Generation nicht diese Erfahrungen gemacht haben in der Bundesrepublik, wie ich als Österreicherin. Und ich bin natürlich mit einer Begeisterung per se dort hingefahren, Sozialismus, also da war ich 18 Jahre alt. Und das schaue ich mir jetzt an und bin natürlich ernüchtert wieder zurückgekehrt, aber habe natürlich zu den Menschen dort, die ich da getroffen habe, also den Kontakt gehalten. gehalten. Und Hanoi und Havanna spielen deswegen eine Rolle, weil beide Staaten ja sogenannte sozialistische Bruderstaaten waren. Und ja, auch in den 80er Jahren, auch schon in den 70er Jahren, viele Leute von Vietnam und Kuba abgeworben wurden oder als Arbeitskräfte in die DDR geholt wurden. Und das wurde immer so auch als völkerfreundschaftliches Anliegen der DDR verkauft. Das Gegenteil war der Fall. Das waren wirklich ganz schlimme Zustände eigentlich. Und es wurde auch verschwiegen, dass es da Pogrome gab, dass Kubaner vor allem, auch vietnamesische Menschen zu Tode kamen oder verletzt wurden durch aufgeheizte Mobs. Ja, also diese narzisstischen Umtriebe in der DDR, die durften natürlich nicht sein. Diese narzisstischen Umtriebe in der DDR, die durften natürlich nicht sein. Und es gab auch Interventionen von Castro und die Toten wurden sofort irgendwie weggeschafft und so weiter. Also ganz schlimme Zustände. Sie sind unter den Teppich gekehrt worden. Das war natürlich für die DDR, die ja sozusagen einen antifaschistischen Gründungsmythos hatte, aber das war eben auch wieder ein Beschäftigung mit der DDR-Geschichte merkt man, dass die in Österreich eigentlich keine sonderliche Rolle spielt. Da geht es mehr um Balkan vielleicht und Osteuropa und solche Dinge. Während also bis jetzt, das merkt man ja immer wieder auch, also nicht nur bei deinem Buch, sondern bei Büchern westdeutscher Autoren auch oder auch ostdeutscher Autoren natürlich umso mehr, dieses Thema immer noch nicht ausgestanden ist, sogar bis in den Fernsehkrimi hinein, merkt man es. Also ich schaue keine Krimis, da kann ich nicht mitreden, aber wenn man in Deutschland lebt, ist es einfach so naheliegend, sich damit zu beschäftigen, gerade jetzt, also die Bundestagswahlergebnisse in Sachsen und Thüringen, dass die AfD da stärkste Kraft geworden ist, das ist ein Erbe dieser Zeit. Und weil sich immer die Leute fragen, wie gibt es denn das, dass in der Osten so Faschistoid unterwegs ist. Das ist das Erbe der DDR, wenn man das nicht begreift, dass da ein staatlich verordneter Antifaschismus, aber das Gros der Leute, die aus dem Krieg gekommen sind und so weiter und so fort. Brecht war das schon in den frühen 50er Jahren bewusst, dass da eine gewisse Verlogenheit da ist. Wenn man die Bukowa-Elegien von ihm liest, da kommt das ganz deutlich zum Ausdruck, dass der Faschismus natürlich jetzt nicht weg ist, weil sich dieses Land sozialistisch nennt. Nein, der hat das ganz klar natürlich erkannt, hat natürlich versucht, da irgendwie dagegen zu halten. Er ist ja dann auch Mitte der 50er Jahre gestorben, schon 1956, glaube ich. Gut, aber gehen wir vom Politischen vielleicht noch ein bisschen ins Private, um das es ja auch immer wieder uns sogar vorangeht, weil natürlich die Einzelfigur mit ihrem privaten Thema im Vordergrund steht. Ich habe mir da das Stichwort aufgeschrieben, Ambivalenz und Unzuverlässigkeit von Gefühlen. Das scheint mir ein Thema zu sein, das immer mal wiederkehrt bei dir, bei deinen Figuren und in den Figurenbeziehungen vor allen Dingen zueinander. Es beschäftigt dich, so siehst du den Menschen. Ja, absolut. Absolut. Beispiele sehen dann dafür. Ein Buch, das mehrmals erwähnt wird in deinem Buch, Irmtraut Morgner, für dich eine wichtige Autorin gewesen? Ja, also wenn man heute den Namen Irmtraut Morgner nennt, dann reagieren die Menschen etwas ratlos und das ist furchtbar. Ältere Herren wie ich nicht. Okay, gut. Aber es gibt so viele unglaublich tolle, hervorragende, grandiose Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die einfach vergessen werden, die einfach keine Rolle mehr spielen und die in ihrer Zeit aber erstens einmal die Seele gefüllt haben, im Diskurs, im Intellektuellen ganz, ganz stark vertreten waren. Und dann, nach 20 Jahren, liest die niemand mehr und kennt die niemand mehr. Irmtraut Morgner ist so eine. Und sie hat auf so eine wunderbare humoristische Weise die DDR hops genommen, aber nicht auf eine flapsige Art, sondern sie hat wirklich mit einem Fundus an literaturwissenschaftlichem Wissen, und Geistesgeschichte der Welt einbezogen in ihre Auseinandersetzung mit der DDR-Wirklichkeit als alleinerziehende Mutter. Das ist ganz wichtig, dass das so der Grund ist. Sie sagte auch immer, man kann als alleinerziehende Mutter eigentlich nur kurze Stücke schreiben. Der Alltag gibt nichts anderes her. Die großen Romane, die Zauberberge, In der Alltag gibt nichts anderes her. Die großen Romane, die Zauberberge, die können die Herren schreiben, die irgendwie Ehefrauen haben, die alle Kinder beiseite schaffen. Aber eine Schriftstellerin wie Sie, die muss der Hölle die Zunge rausstrecken. Ja, ob das heute auch noch so ist? Ja, ob das heute auch noch so ist? Ja, okay, fangen wir das nicht an. Fangen wir das nicht an. Naja, Köln hat gerade 910, naja gut, okay. Man merkt bei dir auch natürlich immer wieder diversierte Literaturwissenschaftlerinnen in unterschiedlicher Weise. immer wieder diversierte Literaturwissenschaftlerinnen in unterschiedlicher Weise. Ich möchte aber gerne einen Aspekt, bevor ich dir jetzt dann das Podium überlasse, noch herausholen. Es gibt ein Ortliteraturgespräch in deinem Buch und zwar ein Literaturgespräch über den ersten Satz, das ich sehr spannend finde, weil die ersten Sätze natürlich wirklich immer etwas sehr Wichtiges in einem Roman sind. Jede Autorin, jeder Autor weiß, dass eine gewisse Angst schon von Beginn da ist. Gut, man kann es dann ja noch ändern, Gott sei Dank. Aber dieser erste Satz ist etwas sehr Wichtiges. Ich nehme an, auch für dich. Das Interessante war in diesem buch eigentlich gar nicht weil ich wollte eigentlich so lapidar anfangen irgendwie so passant nicht mit so einem statement satz ja wie ich es mir sonst immer irgendwie versuch ja also das zu kreieren sondern so ein passant und und so dass man so eine Geschichte so reinschleichen kann. Und dann ist eben dieses Spiel zwischen Lili und René, also wer den ersten Satz erkennt. Also sie jonglieren so mit diesen ersten Sätzen der Weltliteratur und derjenige oder diejenige, die dann das nicht mehr weiß, hat verloren und so. Und das finde ich eigentlich ein sehr schönes Spiel. Ja, das ist ein schönes Spiel. Man muss natürlich belesen sein. Das stimmt. Ich habe dir jetzt einen ersten Satz mitgebracht, den ich neulich gelesen habe, der mir sehr gut gefallen hat. Aber ich glaube, du wirst ihn nicht kennen. Mir würde es nur interessieren, ob du ihn auch gut findest. Ja. Der heißt folgendermaßen. Ich interessiere mich auch, ob Sie den gut finden. Als Niki Charlamont ihrem späteren Ehemann Clemens Rubener erstmals begegnete, hätte sie ihm um ein Haar die Fruchtbarkeit geraubt. Ist doch gut, oder? Ist der von dir? Nein, leider nicht. Leider nicht. Er ist wirklich aus diesem Literaturherbst sozusagen als eine Neuerscheinung und zwar aus dem Roman Für ein Leben von Ulrich Wölk ist das. Ich habe ihn neulich gelesen und ich habe ihn als ersten Satz wunderbar gefunden, ganz einfach. Aber um diesen ersten Satz geht es eigentlich jetzt ja nicht. Ich will nur ein bisschen so drüber streuen. Bei dir fängt das anders an. An jenem Abend, der Salomés Leben in ein Davor- und ein Danach teilen würde, zündete sie die beiden weißen Kerzen am Tisch und jene am Silberleuchter auf dem Fensterbrett an, Tisch und jene am Silberleuchter auf dem Fensterbrett an, während Hannes mit dem Geschirrtuch über die Schulter leise vor sich hinpfiff. Finde ich auch sehr gut. Ich überlasse dir jetzt das Podium, liebe Kierke. Danke sehr. Also ich werde aus der Geschichte der Geigenbauer lesen. Die spielt in der DDR und das ist ein Großvater, so kam es mir vor, machte sein ganzes Leben nichts anderes, als eine Geige zu bauen. Vor meiner Geburt war er zwar Maurer gewesen und antifaschistischer Held, wie ich von Mutter wusste, aber auch damals hat er offenbar immer an der Geige gebaut. Es schien mir selbstverständlich zu sein. Solange ich klein war, lebte ich in der Überzeugung, dass der Krieg etwas sei, das zurückgekehrte Männer veranlassen würde, ihre ganze Zeit und Hingabe in den Bau einer Geige zu legen, die niemals fertig wird. In meiner Vorstellung war in allen Nachkriegswohnungen und den halbfertigen Häusern ein Schaben und Fräsen zu hören, ein Schnalzen und Surren und abends das müde, gleichmäßige Geräusch vom Kehren und Abfall wegtragen und schließlich das Geräusch vom Verschließen einer Tür. Lange fiel mir nicht auf, dass die Geige niemals fertig wurde. Ich sah, dass Großvater arbeitete Tag für Tag und dass nichts ihn so aus der Ruhe bringen konnte wie unangemeldeter Besuch oder irgendwelche gesellschaftlichen Verpflichtungen, ein Aufmarsch oder ein Begräbnis, die seine Aufmerksamkeit und Anwesenheit erforderten und die er stumm und sichtbar unbeteiligt über sich ergehen ließ. Auch andere Menschen waren stumm und unbeteiligt bei diesen Anlässen, das sah ich auch an Mutter. Aber Großvater, so empfinde ich das heute, hatte hinter seiner Stummheit eine Sprache. Diese Sprache war wie eine schwere Arbeit in ihm. Manchmal wurde ein Zucken daraus, das unter den Augen begann und sich von den Wangen über den Hals bis in Arme und Beine fortsetzte. Dann leitete ihn Mutter rasch aus dem Friedhof oder von der Straße weg und brachte ihn nach Hause, wo er sich beruhigte und schließlich entspannt geworden zu seiner Geige in die Werkstatt ging. Einmal, mitten in der Nacht, wurde ichn, jämmerliches Klagegeschrei. Auch wenn keiner von den Erwachsenen davon sprach, es gab sie, die Hölle. Das wusste ich von Mike, dem älteren Nachbarsjungen, der eigentlich Michael hieß und mit dem ich immer Indianer und Kaube spielte. Er hatte es in einem geheimen Buch gelesen. Niemand durfte wissen, dass er das Buch am Dachboden gefunden hatte. Unter den Büschen zwischen unseren Höfen erzählte er von Feuerseen und vom Gewinsel der Verdammten darin. In jener Nacht zog ich mir die Decke über den Kopf, aber das half nichts. Wäre Mutter da gewesen, hätte ichche zu kommen, also sie lag am Küchenboden. Sie sah aus, als gäbe es keinen Knochen in ihrem Körper, der nicht gebrochen war. Sie hatte sich noch ins Haus schleppen können, während das Auto oder Motorrad in der Finsternis verschwunden war. Das war Großvaters Erklärung am nächsten Tag. war. Das war Großvaters Erklärung am nächsten Tag. Ein Streifen Mondlicht machte die Fliesen hell. Micha erschrak vor mir. Aber vielleicht war nicht ich es. Vielleicht ist man erschrocken, wenn man stirbt, auch die Tiere. Ich hockte am Boden wie gelähmt, nicht einmal die Ohren konnte ich mir zuhalten. Und als das Singen und Röcheln irgendwann aufgehört hatte, schaffte ich es, mich aufzurappeln und in die Werkstatt hinüberzustolpern. Großvater schnarchte, unter seiner Decke roch es nach Furz und Tabak, schluchzend drängte ich mich an ihn. Am Morgen gab er mir Gartenhandschuhe und eine Schaufel, er half mir beim Graben und gemeinsam legten wir das Bündel Fell, Blut und Knochen in die Erde hinter dem Schuppen. Nimm das, sagte er, es war ein Stück wertvolles Ahornholz. Es war ein Stück wertvolles Ahornholz. Ich schnitzte einen Futternapf und danach einen Fisch. Den Fisch legte ich in den Napf und beides aufs Grab. Fisch hatte es selten gegeben, aber der war ihr am liebsten gewesen. Wie gut, dass Mutter in diesen Tagen weg war. Wie gut, dass sie das Ende von Mietzscher nicht mitbekommen hatte und auch das Begräbnis nicht. Feine Nerven, sagte Großvater manchmal über Mutter, ganz feine Nerven habe sie und deswegen war manches nicht so ihre Sache, gar nicht so ihre Sache. Nicht, dass sie an Mietzscher so besonders hing, sie hatte sie meinetwegen, man kann sagen, ertragen. Ich hatte sie angebettelt, das Kätzchen retten zu dürfen, weil Maiks Vater es sonst im Bach unten ertränkt hätte, so wie die anderen blinden und tauben Würmchen. Unwertes Leben, wie er immer grinste, weg damit. Und Maik und ich spielten Mutprobe, wer länger zuschauen konnte. So war Mutter damals also mit mir rüber zu den Nachbarn und ich durfte mir ein Würmchen aussuchen. Es war schrecklich. Können wir nicht alle nehmen? Es waren sieben. Man sah sie fast nicht unter dem grauen Bauch von Minka, aber ihr Fiepen war zu hören. Ich machte die Augen zu und stupste mit dem Zeigefinger in das Gewusel. Er traf das grau-weiß Gestreifte. Mutter verhandelte mit Maiks Vater, dass unser Kätzchen bei Minka bleiben konnte, bis es alt genug war. Und jedes Mal, wenn wir nach drüben gingen, um zu sehen, wie es ihr ging, sagte Mutter leise Mija zu ihr. Und so blieb es bei diesem Namen. Aber es dauerte nicht lange und Mutter begann zu husten und zu schniefen, wenn das Kätzchen auf ihrem Schoß oder ihr Bett sprang. Wir wussten nicht, warum. Bleib mir bloß fern, sagte sie also zu Mietje nach einigen Wochen. Ich werde dir kein Futter mehr geben, das macht Großvater jetzt. Und ich, rief ich. Und du, lachte Mutter und wandte sich nach unten. Und dich versuche ich nicht zu sehr in mein Herz zu lassen. Und Mijer legte das Köpfchen schief, sah sie aus grünen Augen an, mit aufgerichtetem Schwänzchen so, als hätte sie alles verstanden. Der Tod von Mijer bedeutete im Nachhinein das Ende und den Beginn von vielem. Von Maiks Höllengeschichten wollte ich nichts mehr wissen. Wir spielten immer weniger Indianer und Cowboy, weil keiner der Cowboy sein wollte und wir nur ein Indianerkostüm hatten. Meine Zeit in der Werkstatt wurde kürzer, die Schule begann, ich wurde junger Pionier und war stolz auf mein blaues Halstuch. Mit dem Lesen und Schreiben sickerte auch die Erkenntnis ein, dass ich dumm gewesen war. Großvater arbeitete doch nicht seit Urzeiten an einer einzigen Geige. Er musste im Laufe der Jahre viele Geigen gebaut haben. Warum war mir nicht früher aufgefallen, dass die Geigen in unterschiedlichen Braun- und Rottönen ausfielen? Außerdem bemerkte ich, dass er die Geige wegsperrte, sobald er jemanden durch die leicht verschmierten Fenster auf die Werkstatt zukommen sah, die Nachbarin oder den Genossen von der Kreisleitung oder Hallöchen Fritz, der ihn zum Kartenspielen abholte. Kaum hörte er das Quietschen des Gartentürchens zehn Meter vor der Werkstatt, das die Eintretenden verriet, bevor man sie erkennen konnte, öffnete er rasch und geübt den Schrank neben dem Tisch, legte die Geige oder ihre Teile hinein, sperrte zweimal ab und tat so, als schnitze er an einer kleinen Truhe oder feile an einem Schemel herum, an Gegenständen also, die er immer in Greifweite hatte. Es muss niemand wissen, sagte er und zwinkerte mir zu. Weißt du, ist unser Geheimnis. Wie stolz ich war. Was für ein Geheimnis. Mit heißen Wangen streckte ich ihm meine Hand entgegen, feierlich schüttelten wir unsere Hände und noch heute kann ich ihn spüren, diesen warmen, grauen Druck zwischen uns. Aber was passierte mit den fertigen Geigen? Versteckte er sie irgendwo oder warf er sie etwa weg? Zertrümmerte oder verheizte er sie? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich sah ja, mit welcher Liebe er an jedem Holzkörper hing, wie vorsichtig seine klobigen Finger wurden, wenn er über die Maserungen des Holzes strich. Warum spielst du mir nicht etwas vor, bettelte ich. Er sah mich erstaunt an, als hätte ich etwas gefragt, das außerhalb seines Denkens lag. Er blieb einige Zeit stehen, eine Pfeile in der Hand. Er schüttelte nicht einmal den Kopf. Ich wiederholte die Frage. Aus dem Inneren des Großvaters kam ein schweres Atmen. Er hob die Hand vor das Gesicht, als müsste er etwas abwehren. Mit der anderen Hand zog er mich kurz und heftig an sich heran. Ich hörte das Jagen seines Blutes. Begann er zu zucken? Bitte nicht zucken. Voller Scham presste ich meinen Kopf in seinen Bauch. Ich hatte ihm wehgetan, ich hatte etwas falsch gemacht. Und jetzt springen wir nach Havanna. Nie würde sie das Zimmer in Havanna vergessen. Das alte Bett, die von Sprüngen durchzogene gelbliche Decke, die Wand, vor der sich einige Bücher und Papierkram stapelten, der Holzschrank auf der anderen Seite, der sich nicht schließen ließ, der zerschlissene ehemals rote Sessel, in dem René versank, wenn er las. Vom offenen Fenster drang Lärm und Gestank herein, meistens weißgeschlossen, der Vorhang zugezogen, die Außenwelt also gedämpft und vor allem das Surren des ramponierten Ventilators zu hören. René half Lilli, nach drei Tagen die Dusche am Ende des Flurs zu erreichen, wo sie sich von übergebeugt, damit die Verbände an den Füßen nicht nass wurden, wusch. Er brachte ihr Essen, trug sie zur Toilette. Jeden Tag kam Jethunde und sah nach den Wunden. Jedes Mal trug sie andersfarbige Blüten am Kopf, mal lila, mal grüne, mal gelbe. Und mit jedem Besuch sah Lili mehr von Getundes drei Zähnen. Warum tust du dir das alles an? René, der froh war, eine Melone, Bananen, Salat und Eier am Markt ergattert zu haben, sah auf von den Einkäufen. Das wird sich noch herausstellen, antwortete er grinsend. Stundenweise musste er aus dem Haus, er war ja Repasador, Nachhilfelehrer. Das marode Bildungssystem, die üble Bezahlung bewirkte, erzähle er, dass Lehrkräfte in den Tourismus abwanderten oder in den Schwarzmarkt illegaler Nachhilfe. Nur so könnten viele durchkommen. Obwohl er keine Ausbildung dafür hatte, unterrichtete er Deutsch und Englisch. Er lächelte, es sei leicht und genug für ihn allein. Schon viele Jahre lebte er auf Kuba. Das Klima, sagte er. Lilly legte den Kopf schief und meinte, es gebe etliche Gegenden weltweit, die dieses Kriterium erfüllten. René lachte, ja gut, das stimme. Um ehrlich zu sein, sei eine Frau im Spiel gewesen, in der ersten Zeit. Und als das Spiel aus war, sei er schon in die Insel verliebt gewesen. Er habe sich an der Universität eingeschrieben, einen Sprachkurs gemacht, damit er bleiben konnte. Und nun sei er Lehrer, ja, das hätte er auch nicht für möglich gehalten. Dem Bett gegenüber befand sich eine Kommode, auf der Kerzen standen, davor eine Schale aus Porzellan, eine Opferschale. Und was opferst du? fragte Lili. René lachte, ich gieße Rum in die Schale und trinke ihn. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Und was daran ist das Opfer? Es sei eine gute Methode, mit den Toten in Kontakt zu treten, antwortete er so, dass Lilli keine Frage mehr dazu stellte. René hatte sich in Kuba niedergelassen, nachdem seine Mutter in Deutschland an den Folgen eines Radunfalls Jahre später gestorben war. Das erfuhr Lilly in der zweiten Woche. Erst nach ihrem Tod habe er wirklich verstanden, wer sie gewesen war. Und zwar, indem er alle Bücher, die er in ihrer Wohnung finden konnte, gelesen hatte. Naja, fast alle. Irmtraut Morgners Werk war nahezu vollständig in ihrer kleinen Bibliothek vorhanden gewesen. Überall Anmerkungen und Unterstreichungen, jedes Buch ein Füllhorn voller Überraschungen, das weitere Lektüren nach sich zog. Wochenlang sei er versunken gewesen. Es war eine, lächelte René, eine neue Wirklichkeit. Und auch wenn er glaube, dass man einen Menschen nie gänzlich kennenlernen könne, auch sich selbst nicht, sei er seiner Mutter durch die Literatur so nahe gekommen, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Lili spürte etwas, das sie nicht spüren wollte. Etwas Ziehendes, Glühendes. So, wie René über seine Mutter sprach, hätte sie nie über ihre eigene erzählen können. Sie dachte an sie wie ein eigentümlich verwischtes Bild, einen Menschen, den sie nicht greifen konnte. Gut, es war etwas anderes, wenn die Mutter nicht mehr lebte, vielleicht wurde man dann nachsichtiger, aber es war, das fühlte sie, nicht die ganze Wahrheit. Ich habe nicht entsprochen. Was für ein einfacher Satz. Klar und unerbittlich und wahr. Hier in Havanna, beeinträchtigt und abhängig von einem eigentlich unbekannten Mann, weit, weit weg von Hamburg, was im Grunde das Reihenhaus in Poppenbüttel bedeutete, war es plötzlich möglich, diesen Satz zu denken und auszusprechen. Lilly stützte sich auf und betrachtete Renés Gesicht. Vielleicht ist es das, dachte sie. Vielleicht ist es Liebe, wenn man durch jemand anderen unerwartet wahre Sätze denkt. Danke sehr. Ja, ich danke Ihnen fürs Kommen. Kommen Sie gut heim. Applaus