Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Literaturinteressierte. Mein Name ist Sarah Püringer und ich freue mich sehr, Sie heute hier im Stifterhaus zu zwei Buchpräsentationen begrüßen zu dürfen. Sie haben wahrscheinlich damit gerechnet, dass Sie heute auf der Bühne Andreas Jungwirth sehen werden, den Moderator des heutigen Abends. Er ist leider erkrankt, deswegen werde ich heute die Gespräche führen. Er lässt aber seine besten Grüße ausrichten und bedauert es sehr, dass er trotz intensiver Vorbereitungen heute nicht die Moderation übernehmen kann. Ich darf heute Florian Gantner bei uns begrüßen, der sein Buch Eternal Partner vorstellen wird. Neben mir hat schon Peter Marius Huemer Platz genommen, der aus Die Bibliothekarin lesen wird. Bitte heißen Sie mit mir herzlich willkommen den ersten Autor des heutigen Abends. Lieber Peter, vorab möchte ich noch etwas zu deiner Person sagen. Peter Marius Huemer wurde 1991 in Hagemhausruck geboren und hat Komparatistik an der Universität Wien studiert. Seine literarische Arbeit umfasst vor allem Romane und kürzere Prosatexte, aber auch literaturwissenschaftliche Artikel. Er hat sehr lange Zeit in Wien gelebt. Ich habe gerade erfahren, dass er vor kurzem umgezogen ist und jetzt in Niederösterreich wohnt. Vorab, ich habe dein Buch noch vor den Weihnachtsferien gelesen mit sehr viel Begeisterung und habe auch den Einfallsreichtum sehr bewundert, der in deinem Roman zutage kommt. Ich bin der Meinung, dass heute auch sicher viele von ihnen hier anwesend sind, um einen ersten Einblick in das Buch zu bekommen. Deshalb möchte ich dich zu Beginn bitten, uns mal grob zu schildern, um was es denn in deinem Roman geht. Ja, also grob gesagt handelt es sich bei der Bibliothekarin um eine Dystopie, um eine Schreckensvision der Zukunft. Und zwar in dieser Welt lebt die gesamte Menschheit unterirdisch und aufgeteilt in Abteilungen. Je nachdem, was für eine Aufgabe diese jeweilige Abteilung hat, sind es mehr oder weniger Menschen und in der Bibliothek lebt nur die Bibliothekarin allein und hat die Aufgabe, alle Bücher, die jemals geschrieben wurden oder zumindest alle Bücher, die sie dort retten konnten, zu katalogisieren. Sie soll den ganzen Tag über nur Buchtitel, Autorennamen und so weiter in Listen eintragen und dann wieder schlafen gehen und ihr ganzes Leben lang, bis sie irgendwann abgelöst wird vom nächsten Bibliothekar oder Bibliothekarin. Und sie darf die Sachen nicht lesen, sie könnte die Sachen auch nicht wirklich lesen, weil die Sprache so verfallen ist, dass die meisten Worte, die gar keine Relevanz haben im Untergrund, gar nicht mehr verständlich sind, wie Bahnhof oder was ist ein Bahnhof. Und in dieser Welt lebt sie, bis sie dann fast schon unabsichtlich aus ihrem Rhythmus fällt und sich dann gegen diese Regeln aufzulehnen beginnt. Ja, ich glaube, das ist die perfekte Überleitung für die erste Textpassage. Du hast mir vorab mitgeteilt, dass du die ersten Seiten, glaube ich, lesen möchtest zu Beginn. Ja, ich beginne am Beginn. Perfekt. Wenn ich davon schreibe, jemandem etwas mitgeteilt zu haben, müssen Sie sich dies folgendermaßen vorstellen. Ich verlasse meinen Arbeitsplatz, erhebe mich aus meinem metallenen Stuhl, dessen hinteres linkes Bein kürzer ist als die anderen, steige durch das kreisrunde Loch in der Stahlbetonwand, das ich manchmal Tür nenne, und lasse, während ich mich durch die Dunkelheit taste, stets eine Hand an der Mauer entlangstreifen. Am Ende des Korridors ziehe ich ein Blatt braunen Papiers vom Stapel auf dem schmalen Tischchen, warte darauf, dass der Bewegungsmelder über mir meine Anwesenheit erkennt, den Stromfluss in die Leuchtstoffröhre freigibt, Licht spendet und verfasse eine Handvoll Zeilen in makelloser Handschrift, forme ein Röllchen, schiebe das Röllchen in ein Röhrchen und das Röhrchen in die Mündung eines Rohrs über dem Tisch, wo es verschluckt wird, eingesaugt und verschickt. Wenn ich mir vorstelle, dass es einmal so einfach gewesen sein muss, zu sprechen, mit wem auch immer man auf dieser Welt sprechen wollte, direkt zu sagen, was man sagen wollte, oder schreiben, was einem in den Sinn kam, und diese Botschaft durchs Nichts versenden. was einem in den Sinn kam, und diese Botschaft durchs Nichts versenden. Sprache, die dem Willen gehorcht, die auf die Reise geht und stets ihr Ziel erreicht, ein Wunder. Was am Ende des Rohrs auf meine Nachricht wartet, wer sie entrollt und liest, wusste ich lange nicht. Aber ich bin daran gewöhnt. Die Antworten waren immer gleich, auch daran bin ich gewöhnt. Es ist nicht schlimm. Nun teile ich jedoch Ihnen etwas mit. Und der Prozess könnte mir nicht fremder sein. Befremdlich ist er nicht. Mit dem ersten Wort, dem Wenn, scheint ein Bann von mir abzufallen. Meine Hände krampfen schon, aber der Schmerz verblasst neben der Entdeckung. Vier Zeilen. Mehr hatte ich bisher nicht im Fluss verfasst, ohne zwischen den Wörtern abzusetzen. Rationen, sieben. Wasser, 50 Liter. Toilettenpapier, vier Rollen. Vielen Dank. Steht auf dem Papierstreifen neben diesem Blatt. Ich weiß nicht, warum ich es abschreibe. Aber hier zwischen den anderen Zeilen ist es, so scheint mir, mehr als meine wöchentliche Bestellung. Vielleicht sollte es immer mehr sein. Vielleicht kann ich der Nachricht etwas beifügen, das sie nicht benötigt, einfach um, einfach so. Ich schreibe also darunter. Ich wünsche Ihnen allen eine wunderschöne Woche und beste Gesundheit. Mit Ausrufezeichen. Es durchzuckt mich wie damals, als das Kabel meiner Schreibtischlampe brach und ich mit dem Ellbogen dagegen kam. Also für einen Moment mein Armhaar zu Berge stand und ich, weil ich das Gefühl nicht kannte, weder wusste, woher es kam, noch ob ich schreien sollte. Jetzt denke ich, dass ein Schrei nicht angebracht ist. Ein innerer Schrei sehr wohl. Innerlich schreie ich und jauchze. Wäre der Papierstreifen damit nicht bereits voll, würde ich weiterschreiben. Aber so rolle ich ihn zusammen, stecke ihn in sein Röhrchen und schicke ihn ab. Nicht wirklich. Ich habe es bereits getan. Zwischen jauchze und wehre bin ich aufgestanden und habe das Röhrchen in das Rohr gesteckt und das Rohr hat es eingesaugt wie immer. Mit einem trockenen Schluckgeräusch verschlungen. Ich liebe dieses Schluckgeräusch, wünschte, dass ich es öfter hören könnte. Aber es geziemt sich nicht, mehr Röhrchen zu versenden, als geboten ist. Es ist Papierverschwendung. Und da ich meist auf jedes meiner Röhrchen auch bloß eines zurückbekomme, fürchte ich, dass unnötige Nachrichten nur dazu führen könnten, dass mir irgendwann die Röhrchen ausgehen. Um Papier mache ich mir keine Sorgen. Ich habe so viel davon, dass ich mir sicher bin, niemand könnte es in einer Lebenszeit verbrauchen. Es ist in Kartons kaum größer als die Blätter selbst, an der Wand zur Rechten meines Tisches, die ganze Mauer entlang zweireihig bis unter die Decke gestapelt. Ein Karton enthält 500 Blatt. Ich könnte mir ausrechnen, wie viele Seiten ich also habe. Doch der Gedanke, sie seien unendlich, genügt mir. Sie sehen, ich bin es nicht gewöhnt, etwas mitzuteilen. Ich habe noch nicht einmal richtig angefangen, zu beschreiben, was ich wollte und bin trotzdem bereits vom Thema abgekommen. Ich wollte, habe beschlossen, Ihnen, wer auch immer Sie sein werden, von meiner Arbeit zu berichten, von dem Ort, an dem ich lebe und davon, was sich in den vergangenen Monaten hier zugetragen hat. Ich lebe in Abteilung F23. Wie viele Abteilungen es gibt, weiß ich nicht und ebenso wenig könnte ich Ihnen meine Heimat auf der Landkarte zeigen, obwohl ich Bücher mit Landkarten besitze. Einen Hinweis könnte meine Sprache liefern, ich spreche auf Deutsch, auch wenn ich lange selten gesprochen habe. Ich schreibe Deutsch und Schreiben ist, was ich täglich tue. Von 8 Uhr, jenem 8, das meine Uhr als 8 begreift, bis zu ihrem anderen 8, sitze ich an meinem Schreibtisch und trage die Titel ein, die Erscheinungsdaten, Autorinnen, Autoren, Seitenzahlen, Einbahnzustände und was es sonst noch festzuhalten gibt. Ich schreibe diese Informationen auf Papier, staple die Seiten und loche sie am Abend. Bevor ich meinen Tisch verlasse, sortiere ich die Listen in einen Ordner und wenn der Ordner voll ist, beschrifte ich ihn und schicke ihn ins Archiv. Das ist meine Aufgabe, meine Pflicht. Ich bin eine Bibliothekarin. Bevor ich zur Bibliothekarin wurde, war ich nichts. Es gab mich nicht wirklich. Wenn der letzte Ordner des Tages verschickt ist oder halbvoll auf der Tischplatte verbleibt und meine Uhr 8, das 8 des Abends, anschlägt, verlasse ich den Lichtkegel meiner Leselampe, mache die zuvor beschriebenen Schritte durch die Dunkelheit in den Korridor, warte auf die Leuchtstoffröhre und verlasse den Gang an seinem anderen Ende, wo sich der Durchgang in mein Quartier befindet. Dort steht mein Bett, ein Nachttisch, ein Waschbecken und eine Toilette. Im Vorbeigehen stecke ich meine Hand in das Rohr neben dem Rohr, in das ich meine Röhrchen stecke und hole daraus mein Abendessen. Die Rationen schickt man mir wöchentlich, aber ich lasse das längliche, runde Paket im Rohr und ziehe eine Ration nach der anderen heraus, bis es bis auf Toilettenpapier leer ist. Das spart Platz und ich habe mich daran gewöhnt. Das Abendessen besteht aus 500 Kalorien und schmeckt neutral. Aber es sättigt und mir fehlt an nichts. In den Regalen meiner Bibliothek befinden sich 35 Millionen Bücher. Und wie groß sie ist, weiß ich nicht. Sie ist nicht breit, vielleicht 30 Schritt. Ich habe nie den Versuch gewagt, ihre Länge abzugehen, weil es genügt, einen Hebel zu betätigen und ein mechanischer Greifarm bringt mir das jeweils nächste Buch aus dem Regal. So kommen mir die Bücher entgegen. Noch bin ich beim ersten Regal und werde wohl beim ersten Regal bleiben. Wie viele Bücher ich pro Tag eintrage, variiert, aber vermutlich werde ich sterben, bevor ich auch nur die Hälfte davon geschafft habe. Eins nach dem anderen. Der mechanische Arm hebt sie aus dem Regal über meinen Kopf und legt sie vor mir auf den Tisch. Wenn ich fertig bin, lege ich das Buch genauso zurück, wie es vor mich gelegt wurde, damit der Arm es richtig greifen kann. Er bewegt sich so langsam. Manchmal reizt es mich aufzustehen, selbst die wenigen Metern zu den Büchern zu gehen und mir das nächste zu holen, aber das ist nicht so vorgesehen. Ich habe mich also dagegen entschieden, es zu versuchen. Das Archiv oder der Weg, den meine Ordner dahin nehmen, ist im Übrigen ein Loch in der Wand, eine Klappe und dahinter ein Schacht. Man hört sie nicht aufschlagen. Was auch immer mein Heim verlässt, meine Abteilung, macht kein Geräusch. Nicht einmal die Toilette spült laut genug, um es durch den Deckel richtig zu hören. Bloß ein Murmeln. Und sie spült nur, wenn er geschlossen ist. Das gilt auch für die anderen Abteilungen, vermute ich. Sie hören nur sich selbst und das Schluckgeräusch ihrer Röllchen als Abschiedsgruß. An Abteilung G12 erinnere ich mich nur dunkel. F23 und G12 sind alles, was ich kenne und G12 nicht einmal wirklich. Dort wurde ich geboren. Dort sind rund um eine quadratische Halle Schlafsäle angeordnet. Zelte mit weißen Krankenbetten. Die Zelte sind mit Korridoren aus Plastikplanen verbunden. In einem der Zelte wurde ich geboren und von einer der Schwestern in den Raum zwischen den Zelten gebracht. In ein Kinderbett. Irgendwann kam ich dann in einen der Schlafsäle. Sobald ich denken konnte, starrte ich dort stets auf die Tür, die zurück in die Halle führte. Das hat man mir erzählt. Erinnern kann ich mich natürlich nicht daran. Durch diese Tür durften nur die Schwestern ein und aus gehen. Dahinter der Korridor in meine Geburtswelt. Da lag ich in meinem Bett, startete zur Tür und eine der Schwestern, sie hatte keinen Namen, denke ich, saß an meinem Bett. Es war Abend, weil die Uhr sagte, dass es Abend war, und ich fragte sie, woher all die neuen Kinder kämen. Sie sagte, sie kämen aus der großen Halle, wo sie zur Welt kämen, und dann in Kinderbetten rund um die Zelte schliefen, bis sie groß genug seien, um zu uns zu kommen. G12 war viel kleiner als F23, aber trotzdem habe ich dort mehr gesehen. Es war nicht dunkel, sondern immer hell, sogar wenn wir schlafen sollten. Erst konnte ich kaum einschlafen, als ich in die Bibliothek kam, in mein stockfinsteres Quartier, das aber nur finster ist, wenn ich möchte, dass es finster ist. Mein Quartier gehorcht mir und meiner Hand, die wann sie will an der Schnur über meinem Polster ziehen kann. Schon wird es hell. Ob das jeder Erwachsene kann? Das meiste von G12 habe ich schon vergessen. Nur an den Schlafsaal kann ich mich erinnern und an die Schwester, die über ihn herrschte. Das Klassenzimmer betraten wir jeden Tag, aber davon sehe ich, wenn ich die Augen schließe, heute nur bloß noch einen Tisch. Den Tisch des Lehrers, das gesprungene Glöckchen darauf, die Tafel und höre die Stimme der anderen. Auch an die Lehrbücher erinnere ich mich gut. Zuerst lernte ich lesen, dann schreiben, wie es sich gehört. Und dann ein wenig rechnen. Und weil ich eine so schöne Handschrift hatte, wurde ich Bibliothekarin. Nein, ich war Bibliothekarin und man hat es erst mit meiner Handschrift herausgefunden. Wie hätte man es sonst auch vorher wissen sollen? Aber ich will eigentlich nicht von G12 berichten. Sollte es mir noch einmal passieren, entschuldige ich mich. Dabei fällt mir auf, dass ich beinahe alles erzählt habe, was es über F23 zu wissen gibt, wie es aussieht, was ich dort tue und alles und alles. Aber es fühlt sich nicht so an. Wie kommt das? Ich bin keine gute Erzählerin. Das muss der Grund sein. Wenn nicht, komme ich noch darauf, was ich vergessen habe. Ich komme darauf. Nur Geduld. Also vorneweg, deine Protagonistin ist ungefähr 35 Jahre alt, also im Buch selbst feiert sie ihren 35. Geburtstag und ist in dieser Abteilung F23 seit ihrem 15. Lebensjahr, also genau 20 Jahre und mehr als die Hälfte ihres Lebens. Wir haben jetzt die erste Passage gehört und Themen sind einerseits Isolation, andererseits auch Sprachlosigkeit. Und sie möchte sich von dieser Sprachlosigkeit befreien, indem sie eben, wie du vorher schon erwähnt hast, Register anfertigt oder eben dann auch im weiteren Verlauf aus den Büchern vorlesen zu beginnt. Und auch, weil sie die LeserInnen, also jetzt uns, direkt anspricht und von ihrer Tätigkeit eben berichtet. Meine Frage an dich, was ist der Auslöser dafür? Sie hat ja eigentlich mehr als die Hälfte ihres Lebens in dieser Routine gelebt. Der Auslöser ist in diesem Fall ein Zufall, ein zufälliger Impuls, der einen einmal von seinem Weg abbringt und man merkt, dass man nicht sofort stirbt, wenn man vom Weg abkommt. Es ist eine Überziehung ihrer Pausenzeit. Sie hat eine halbe Stunde Pause mittags und sie bleibt unabsichtlich ein paar Minuten zu lang weg von ihrem Tisch und ist in Panik vorher, weil sie merkt, sie schafft es nicht rechtzeitig zum Tisch zurück und hat Angst, dass irgendwas Schlimmes passiert, eine Strafe auf sie herunterkommt. Und als das nicht passiert, also diese Gewissheit, dass etwas außerhalb der Pflicht existiert, die braucht es und sie kann es zumindest nicht selbst erarbeiten, sondern muss vom Zufall darauf gestoßen werden. Ja, also ich habe das auch bei der Lektüre gemerkt, dass diese Sorge von den Konsequenzen auf einen selbst übergeht. Als Leserin jetzt in meinem Fall habe ich dann auf diese Konsequenzen gewartet, die dann eigentlich doch ausbleiben, diese großen Folgen. Zumindest Konsequenzen, wie man sie sich vorstellt. Also, dass die Polizei klopft und einen mitnimmt oder dass man nichts mehr zu essen bekommt. Oder diese Strafen, die man sich auszumalen beginnt. Auch wenn man es liest, kann man ja spekulieren, was für Strafen da möglich wären. Aber das ist ja nicht der Punkt der meisten Regeln. Die Androhung von Strafe ist ja mächtiger oft als die Strafe selbst. Also Sprache spielt für die Bibliothekarin eine sehr große Rolle. Also sie ist für sie von großer Bedeutung. Sie fertigt sich sozusagen in ihrem kleinen Kosmos dann ein System an, wie sie mit anderen kommunizieren kann, weil es ja eigentlich bislang, diese 20 Jahre, sehr einseitig war, von Hierarchie geprägt und über dieses Rohrpostsystem stattgefunden hat. Wieso hast du dich denn genau für dieses Rohrpostsystem entschieden? Ich glaube, das war einfach, ich glaube, ich habe irgendeinen Film gesehen, einen alten Film, wo sie ein Rohrpostsystem in einem Büro gehabt haben. Und es war ein kleines, dunkles, graues Büro und da hat er immer diese Dinge gefüllt und verschickt. Und das hat eigentlich gar nicht so vor langer Zeit gespielt. Und es gibt es ja heute noch irgendwo Rohrpostsysteme. Es hat mich fasziniert, wie es wäre, wenn man immer mit begrenztem Platz an jemanden schickt und nicht weiß, wer das ist. Also ein hausinternes Internet oder Intranet. Das war einfach ein faszinierendes Bild für mich. Und dann habe ich, weil aus anderen Dingen die Idee für dieses Buch entstanden ist, habe ich das dann eingebaut. Das funktioniert dann auch gut mit den Essenslieferungen. Genau, ich habe dann auch geschaut, wie groß so ein Rohr ist. Ich habe dann recherchiert, wie große Dinge man da reinstecken kann und ob man Essen so verpacken kann. Das sollte funktionieren. Probiert habe ich es nicht. Ja, und diese Bedeutung von Sprache, also mir ist dann Ludwig Wittgenstein in den Kopf gekommen mit die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Jetzt wollte ich dich fragen, was bedeutet denn Sprache für dich persönlich? wollte ich dich fragen, was bedeutet dann Sprache für dich persönlich? Jedes Mal, wenn ich irgendwas Neues oder einen neuen Gedanken oder eine neue Idee habe oder mit einer sowas konfrontiert werde, dann habe ich irgendwie die Angewohnheit, dass ich mich irgendwo hinsetze und versuche das in zwei, drei meiner eigenen Sätze zu geben, in meinen eigenen Worten, ohne Fachbegriffe oder irgendwas. Und dann mache ich das Gleiche nochmal auf Englisch, damit ich weiß, ob es auch übertragbar ist. Und dann bin ich draufgekommen, ganz oft wüsste ich gar nicht, wie ich etwas beschreibe. Das ist, weil es mehr um das Gefühl geht, das die Information auslöst, und dann gar nicht mehr so sehr um die einzelnen, um die Beschreibung der Information. Und dann arbeite ich oft daran, meistens nicht, meistens sage ich, okay, dann nicht, aber manchmal arbeite ich dann daran, dass ich das ausformulieren kann und wenn einem die Worte fehlen, ist das für mich, ist es ein Anlass zur Freude fast, dann kann ich die Worte finden. Wenn ich aber an die Bibliothekarin denke, die diese Worte gar nicht haben kann, weil sie kann nirgends nachschlagen, selbst wenn sie wo nachschlägt, können sie vielleicht auch die Informationen im Nachschlagewerk nicht verstehen. Und dann habe ich mir gedacht, es wäre so wichtig, aus der Lehre heraus, wenn man alle Informationen der Welt hat, aber keinen Kontext dafür, sich das zusammenzubauen. Und erst dann kann man überhaupt irgendwas verstehen, wenn man das aussprechen kann. Ich denke gerade an die Stelle in deinem Roman, wo sie versucht, das Konzept des Himmels zu erfassen, weil sie hat ihr ganzes Leben lang den Himmel noch nicht gesehen und da fängt es bei ihr schon an, dass sie sich das erstmal aneignen muss, was eigentlich ein Himmel ist, was das bedeutet. Genau, und das funktioniert wie gesagt nur durch Kontext dessen, was man schon weiß und deshalb ist es ja auch so anstrengend und langwierig, weil es ja begrenzt ist, Vokabular anhand von Worten, die dann daneben stehen oder in einem Buch finden muss und langsam zusammenbauen können. Und ich weiß gar nicht, ob sie das Konzept von Himmel jemals versteht, weil ich glaube, das beschreibe ich gar nicht, nur dass sie sich fragt, was es ist, weil ein Bahnhof ist, glaube ich, leichter als der Himmel. Auf jeden Fall, ja. Genau, und jetzt in deiner ersten Textpassage, die Abteilung F23 wurde mit all ihren Aufgaben ungefähr auf zweieinhalb Seiten von dir beschrieben und vorgelesen. Würdest du sagen, dass diese Abteilung mehr ein Zuhause oder mehr ein Gefängnis ist und hat sie mehr mit Sicherheit oder Kontrolle zu tun? Ein Gefängnis ist sie sicher nicht. Sie ist vielleicht ein Gefängnis, aber für sie, für die Bibliothekarin, kann es kein Gefängnis sein, weil ein Gefängnis kann nur im Gegensatz zu etwas anderem sein. Eine Gefangenschaft im Gegensatz zu etwas anderem sein. Gefangenschaft im Gegensatz zu Freiheit und wenn beides kein Begriff sind, dann muss es ein Zuhause sein, der Ort, an dem sie ist, an dem sie schläft und wo sie auch gewissermaßen Kontrolle ausübt über manche Dinge wie ihr Lichtschnur oder sowas. Und auch Sicherheit ist in dem Fall kein Begriff, weil es keine Gefahren gibt. Der Begriff für Gefahren, das weiß ich gar nicht, was es sein soll. Also Gefahr geht von der gleichen Quelle aus wie Sicherheit. Weil es ist immer die ihr zugeordnete Pflicht, die sie erfüllen muss. Und die einzige Gefahr, die sie sich vorstellen kann, ist die Strafe für das Nicht-Erfüllen. Die, die sie füttern, sind auch die, die sie bestrafen können. Wie auch immer das sein mag. Genau, und diese Strafe bleibt dann eben weitgehend aus, als sie einmal die Pausenzeit überzieht und dann beginnt sozusagen ihr Aufstand, ihre innere Rebellion. Ich würde dich bitten, dass du uns jetzt noch die zweite Textpassage vorliest, die du vorbereitet hast. Ein Geräusch, kaum ein Geräusch, nicht laut genug, so genannt zu werden. Ein streichendes Klopfen oder seichte Atemstöße. So anders als der Klang meiner eigenen Schritte, meines eigenen Atems und fern dem Sirren der Leuchtstoffröhre im Korridor. Wie die Ankunft tausender winziger Rohrpostbriefe wiederholte es sich unregelmäßig. Zum ersten Mal in Tagen zwang mich das Kaumgeräusch, meine neuen Listen beiseite zu legen, in Tagen zwang mich das Kaumgeräusch, meine neuen Listen beiseite zu legen, das dritte Buch zuzuschlagen und nach seinem Ursprung zu forschen. Ein erster Hinweis fand sich bereits im Aufblicken, ein flüchtiger Schatten, der durch die Peripherie meines Sichtfells huschte, zur Tür hinaus. Ich folgte dem, was ich noch für eine Täuschung hielt und glaubte gerade noch einen Blick erhascht zu haben. Das Geräusch war fort und ich überdeckte es mit meinen Schritten. Oder ich überdeckte es mit meinen Schritten. Weiter in die Bibliothek und instinktiv an den Tisch verfolgte ich das Fremde. Ich hielt inne, den Atem an und da war es wieder. Anders, unterbrochen von kaum merklich lauterem Schlagen. Ein Schlagen war es nicht ganz, aber selbst heute fehlen mir die richtigen Worte dafür. Der Schatten schoss über die Tischplatte und durchschlug meinen eigenen. Hinter mir. Zwischen dem Licht der Lampe und mir. Nein, jetzt sah ich es. Ein Tier umschwirrte die Leuchtstoffröhre. Flügelschläge, hektisch und wippend. Ein Tier umschwirrte die Leuchtstoffröhre, Flügelschläge, hektisch und wippend. Ein Falter. Das Insekt stieß gegen das Glas vor dem Gas im Inneren. Immer wieder stieß es dagegen, prallte zurück, beschrieb einen Kreis, holte Schwung und tat es erneut. Immer wenn es dem Schirm oder der Röhre zu nahe kam, schlugen oder strichen seine Flügel gegen das Hindernis und erzeugten jenes Geräusch, das lautere der beiden. Dann kehrte es zurück zu seinem hauchenden Flattern. Ich legte meinen Kopf schief, um mir eine Frage zu stellen. Ich blieb still. Obwohl ich noch nie so ein Geschöpf gesehen hatte, wusste ich, dass es nicht antworten konnte. Wie hatte es seinen Weg in meine Heimat gefunden? Wie war es eingedrungen? Wie hatte es die undurchdringliche Luftschleuse überwunden? und meine Gedanken mit ihm kreisten, sank seine Flugbahn, beschrieb das Tier eine gewählte Spirale hinab und landete auf dem Rücken eines meiner achtlos auf den Boden geworfenen Bücher. Dort verstummten die Flügel, legten sich flach über den Körper des Insekts und es verharrte. Insekt, schrieb ich, und Flügel, dahinter ein Fragezeichen, darunter die gesamte Seite frei. Noch eine Aufgabe, ein neues Register, ein Bestiarium. Ungeachtet aller Leerstellen, die noch in den Listen klafften, nahm ich bereits gelesene Bücher zur Hand, um sie nach geflügeltem Kleinsttier zu untersuchen. Vieles, das ich für fern meiner Realität gehalten hatte, hatte ich aus Zeitgründen ausgespart. Dazu gehörten Tiere, Hunde, Katzen, Pferde und alles Leben, dessen Unmenschlichkeit ich mir gewiss war. Vor allem auch, weil es mir erschien, dass die Auftritte solcher Kreaturen oft Hand in Hand mit deren Beschreibung gingen. Sie brachten ihren eigenen Kontext mit sich, ihre Form. Sie erklärten sich mir und meine Listen waren Listen des völlig Fremdens, obwohl sie es nicht bleiben sollten. Schnell fand ich die geschriebene Entsprechung der Eindringlinge, ein Falter, ein Tier, dem Schmetterling näher verwandt als anderen Insekten, das braun und grau durch die Geschichte flog und in der Luft wippte wie meiner. Er tat es nun wieder. Er war vom Einband aufgeflogen, hatte eine Stunde lang in meinem Rücken die Lampe umkreist, mir sein wirres Streichen und Klopfen geschenkt, ein Geschenk war es für mich, die ich nur selten etwas hören durfte, und war zu guter Letzt zwischen den Regalen in die Ferne der Bibliothek verschwunden. zu guter Letzt zwischen den Regalen in die Ferne der Bibliothek verschwunden. Ich vermisste ihn, und er wog bereits, eine Weile nicht zu lesen oder eine Stunde Schlaf zu opfern, um ihm nach hinten zu folgen, als er sich anschlich und zu meinem Schreck im Schein der Schreibtischlampe landete. Ohne darüber nachzudenken, begann ich mit dem Tier zu sprechen und erschrak noch mehr als über seine Landung, wie schwer mir meine Sprache fiel. Ein Gruß und eine Frage brachte ich über die Lippen. Dann las ich weiter. Da, ein Insekt in den Zeilen. Wespe, hieß es, und überfiel ein Gartenfest. Die Gäste fluchten, bedeckten ihre Gläser, schlugen um sich und wurden gebissen. Ob auch der Falter beißen konnte? Er sah so friedlich aus, weich und träge. Er würde mich nicht beißen. Falter, sagte ich, Falter, du tust mir nichts. Die Kreatur war sich meiner Anwesenheit ganz sicher nicht bewusst, wie sie nun da saß und sich nicht reckte. Am nächsten Morgen war der Falter gestorben. Er hatte sich leblos auf den Einband des Buches gelegt, auf das Bild einer Ozeanwelle, auf den Rücken, als sei er plötzlich in Erstarrung aus lebendigem Flug gefallen, aufgeschlagen, so sanft, dass er nicht einmal mehr vom gepressten Pappmaché abgeprallt war, um womöglich vom Buch herunter und auf dem kalten Metall des Schreibtisches zur Ruhe zu kommen. Ich hob das Tier mit beiden Händen vom Einband, als wäre es ein Schluck Wasser. Dann nahm ich eines seiner Flügelchen zwischen zwei Finger und hielt den Falter ins Licht. Er sah aus, wie er auch am Vortag ausgesehen hatte. Hätte er nicht auf dem Rücken gelegen, hätte ich sein Verhalten für eine Rast gehalten. So beerdigte ich ihn. In einer ausgewaschenen Konservendose. Verschloss sie, so gut es ging, mit Toilettenpapier und warf die Dose in den Schacht hinter der Klappe, die ich schon seit Tagen nicht mehr geöffnet hatte. Ich war wieder allein. allein. Allein sein, schrieb ich. Allein. Nur ein Mensch. Nein, ich strich es durch. Nur ein Lebewesen oder Kreatur, schrieb ich. Ich ließ den Rest der Zeilen für weitere Synonyme frei. Dann las ich weiter. Die Gäste waren im Inneren des Hauses verschwunden. Ein Wespenschwarm war über das Fest hergefallen. Es juckte, es brannte, es biss. Die Wunden wurden verarztet und es wurde geflucht. Geflucht, Fluch, Flüche, schrieb ich. Worte des Ärgers. Jemand beschwerte sich über den Gebrauch von Schimpfworten. Schimpfworte, schrieb ich also. Worte, die man nicht gebrauchen soll. Und in Klammern, wer entscheidet? Fuck. Verdammt. Scheiße. Dummes Arschtier, sagte ich zu mir selbst und dem toten Falter in Gedanken hinterher. Es fühlte sich gut an. Ich wollte ihn nicht verletzen. Ich wollte ihn nicht beschimpfen. Er war ja tot. Und ich nicht. Und mir war nichts Schlimmes passiert, außer wieder allein zu sein. Das war schlimm. Das erste, das je in meinem Leben schlimm gewesen war, weil unerwartet, weil gegen meinen Willen. Ich hatte schließlich noch nicht lange einen Willen, der es nicht mir bewusst war. Nähe jetzt persönlich kennen. Seit langer Zeit ist er wieder ein Lebewesen, zwar kein Mensch, aber ein Falter, den sie eben in ihrer Abteilung willkommen heißt, der aber dann leider auch sehr schnell stirbt. Wie verändert sich denn diese Begegnung mit dem Falter? Wie verändert es die Wahrnehmung deiner Protagonistin und wieso hast du denn genau einen Falter gewählt? Ich habe einen Falter gewählt, weil ich ein Tier gebraucht habe, das groß genug ist, um bei einer Lampe herumzufliegen und Geräusche zu machen. Das ist aber speziell der Falter. Und die Idee von einem Insekt, von einem Ding, dass das auch schnell sterben kann, dass das sozusagen im Schnelldurchlauf die ganze, von Nähe bis Verlust durchspielen kann. Und es geht aber nicht so sehr um den Verlust, weil sie ihn ja auch nur sehr kurz gehabt hat. Es geht vielmehr darum, dass sie erkennt, dass man sich über Dinge, die außerhalb der eigenen Entscheidungskraft oder Handlungskraft liegen, ärgern kann. Dass es etwas Schlimmes sein kann, was einem von außen passiert, nicht wie zuvor die Regeln der Welt bestimmen, wie man sich verhält. Und es bringt nichts, sich darüber zu ärgern, weil so ist es halt. Und dann kommt der Falter und stirbt. Und so ist es auch einfach halt, dass Insekten sterben. kommt der Falter und stirbt. Und so ist es auch einfach halt, dass Insekten sterben, aber sie in Kombination mit dem Gartenfest, wo Leute ihren Unmut zum Ausdruck bringen, lernt sie, dass das Gefühl, das man bekommt, wenn einem etwas passiert, dass man das ausdrücken kann, dass man auch, wenn es außerhalb der eigenen Möglichkeiten liegt, dass es nicht bedeutet, dass man mit allem zufrieden sein muss. Also wieder eine Art und Weise, wie sie das Konzept von Sprache erweitert dann. Genau. Und zwar in diesem Fall ein bisschen mehr um Selbstkommunikation, also Kommunikation mit sich selbst, nicht so sehr mit anderen, dass Sprache nur etwas ist, um mitzuteilen, sondern auch um sich selber etwas mitzuteilen. Auch sie spricht mit dem Falter, obwohl er es nicht hören kann natürlich, aber sie tut es, um sich selbst zu beschwichtigen, dass er ja nichts tut. Und an dieser Stelle, es wirkt ja nicht zufällig gewählt, dass es genau an ihrem Geburtstag passiert. Was war da deine Intention? Das ist der markierte Zeitübergang, der zwar nicht am Anfang ihrer Rebellion steht, aber fast am Anfang, in dem Fall ist es Selbsterkenntnis und am Anfang ist es mit ihrem 15. Geburtstag die Erkenntnis, dass sie Bibliothekarin wird. Dass man mit dem gewissen Tag, den man ziemlich zufällig markiert, den sie auch zufällig markiert, weil sie wahrscheinlich gar nicht weiß, ob es wirklich ihr Geburtstag ist, aber dass von Markierungen, auch wenn sie zufällig gewählt sind, auch eine Wachstumsbedeutung ausgehen kann, wenn man sich selber dafür entscheidet. Genau, also sie hat keinen Kalender zur Verfügung oder so. Also sie nimmt an, dass sie eben an diesem Tag den 35. Geburtstag hat. Ich glaube, in ihrer Abteilung hängt zwar eine Uhr, weil sie immer von 8 bis 8 Uhr arbeitet, aber als ein Kalender steht ihr in diesem Sinne nicht zur Verfügung. Genau, und es kommen ja Insekten in unterschiedlicher Form vor in dieser Passage, Wespen, dann eben der Falter. Es ist ja auch dieses Konzept des Schwarms, das du da aufgreifst. Genau, Schwarm kommt dann später vor, dass sie versucht, den Schwarm zu erklären. Ja, es ist, dass man sich über den Schwarm zu erklären. Ja, es ist, dass man sich über die Wespen ärgern kann, erlaubt ihr zu verstehen, dass sie sich über das Verhalten, das Todesverhalten des Falters ärgern kann. Und das ist auch wieder ein stetiger Aufbau der Idee von Gefahr, dass die Gefahr von außen kommen kann, dass die Gefahr gar keinen Willen braucht. Die Wespen sagen jetzt nicht, ich will, dass die Menschen in Gefahr bringen, verkiere kann, dass die Gefahr gar keinen Willen braucht. Die Wespen sagen jetzt nicht, ich will, dass die Menschen in Gefahr bringen, verkiere sie, sondern die folgen ihren Regeln. Und es gibt die Variationen, dass ich zu verstehen beginne, wie Tiere oder wie die Natur funktionieren kann. In dieser Passage war es eben die Begegnung mit dem Falter. In der nächsten Passage kommt es zu einer weiteren Begegnung. Würde ich gleich überleiten. Da habe ich noch eine kurze Passage zum Schluss. Und zwar ist einiges weiter im Buch, schon über der Hälfte. Und zwar hat sie mittlerweile in einem versteckten Kämmerchen ein altes Funkgerät gefunden. Sie versteht nicht ganz, wie ein Funkgerät funktioniert und auch nicht, warum es durch die Betonwände funken kann. vielleicht zu einer Zeit, als noch nicht klar war, dass die Abteilungen isoliert sein sollen. Und sie hat versucht, hinauszufunken, weil sie weiß, sie hat Lautsprecher in den Ecken ihrer Räume, aus denen nichts kommt, aber sie glaubt, vielleicht könnte sie kommunizieren mit anderen Abteilungen. Die können vielleicht nicht zurückkommunizieren, aber sie versucht, Kontakt aufzunehmen und dieses Funkgerät in Gang zu bringen. aufzunehmen und dieses Funkgerät in Gang zu bringen. Und viele, viele Tage versucht sie alle Frequenzen durch und liest Dinge hinein und dann kommt dieser Tag. Also sie weiß bereits, dass man sie hört, weil Rohrpostnachrichten gekommen sind, sie soll bitte Ruhe geben. Aber jetzt ist der nächste Schritt. 105 Nachrichten. Ich öffnete keine davon, stellte mir vor, sie alle enthielten Danksagungen, schickte sie aber auch nicht zurück. Stattdessen legte ich sie hinter die Leselampe in den Schatten und sprach ins Mikrofon. Hallo, sagte ich und hören Sie mich? Nichts. Und dann ein Knistern. Auf das Knistern folgte wieder nichts und ich drückte die Taste, sagte Hallo und hören Sie mich? Knistern und dann ein Flüstern. Worte so schwach, dass ich nichts davon ausmachen konnte. Wiederholen Sie das bitte etwas lauter. Knistern, dann schwere Atemzüge. Sprechen Sie bitte laut in das Mikrofon und halten Sie die Taste gedrückt. Wieder das Atmen und dann, hier spricht H43. Können Sie mich hören? Es war die Stimme eines Mannes, alt oder jung. Er klang nicht wie der Lehrer, aber auch nicht wie die Kinder. Seine Stimme war zierlich, hauchdünn und zitterte, doch in den tiefsten Tonlagen durch die Laute. Ich höre Sie, sagte ich. Wer hört mich sonst noch? fragte H43. Niemand, wenn ich die Technik richtig verstanden habe. fragte H43. Niemand, wenn ich die Technik richtig verstanden habe. Können Sie das wiederholen? Niemand, sagte ich, und anstatt zu sprechen, seufzte H43 tief ins Mikrofon. Eine Pause, das Knistern, dann. Sie sind die Bibliothekarin aus F23? Wer sollte ich sonst sein? Erkennen Sie meine Stimme nicht? Natürlich erkenne ich Ihre Stimme. Ich frage bloß, um sicher zu gehen. Ich habe seit Jahren keine Stimme mehr gehört. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und in meinem Hals verengten sich alle Muskeln. Ein Moment lang blieb mir die Luft weg und als H43 zu schluchzen begann, gab es auch für mich kein Halten mehr. Wir weinten abwechselnd in unsere Mikrofone, ohne Worte über die Lippen zu bringen. Tränen und Rotz rannen in klebrigen Strömen über mein Gesicht, in meinen Mund, über mein Kinn und tropften mir auf die Brust. Erst als wir erschöpft waren und keine Tränen mehr übrig hatten, unsere Lippen spröde waren und die Augen brannten, verstummten wir, bevor die Worte zu uns zurückkehrten. Zuerst sprach H43. Liegt es im Rahmen Ihrer Pflicht, mich zu kontaktieren? Ich hatte genug vom Lügen. Nein. Das dachte ich mir. Haben Sie keine Angst? Ich fürchte mich, aber ich fürchte mich schon so lange, dass es keinen Unterschied mehr macht. Was ist Ihre Pflicht? Ich vermute, Sie sollten gar nicht aus Ihren Büchern vorlesen. Habe ich recht? Und Sie sollten Ihr Funkgerät nicht aktivieren. Sie sollten nicht mit mir sprechen. Und Sie sollten mir keine Nachrichten weiterleiten. Ich weiß. Fürchten Sie sich nicht? Ich fürchte mich jeden Tag. Ich fürchte mich nicht mehr, nur manchmal. Was ist Ihre Pflicht, wiederholte H43, die unbeantwortete Frage. Meine Pflicht. Ich stehe um 7 Uhr auf, um 8 Uhr setze ich mich an meinen Tisch und betätige den Hebel. Der Arm legt ein Buch auf den Tisch. Ich sehe mir das Buch an und fülle die Liste aus. Ich betätige den Hebel erneut. Der Arm greift sich das Buch und stellt es zurück. Ich betätige den Hebel erneut. Wenn der Ordner voll ist, stehe ich auf und werfe ihn in die Klappe. Ich nehme einen neuen Ordner aus einer der Truhen neben der Klappe. Jedes neue Blatt Papier versehe ich mit einem Raster und mache daraus eine Liste nach Vorlage derer, die ich soeben ausgefüllt hatte. Ich lese niemals mehr als notwendig. Das ist meine Arbeit bis 8 Uhr abends. Um 1 Uhr darf ich eine halbe Stunde pausieren und etwas essen. Und was ist Ihre Pflicht? H43 räusperte sich hörbar. Meine Pflicht. Ich stehe um 6 Uhr auf. Um 7 leere ich alle Röhrchen aus den Containern unter den 700 Röhren, die in den Sortierzimmern aus und sortiere sie nach Themenbereich. In einen Korb die Versorgungsbestellungen, in einen Korb die Notfallreparaturen und in einem Korb alles andere. Die Versorgungsbestellungen stecke ich in Röhre Nummer 1, um sie an N1 weiterzuleiten. Die Notfallreparaturen stecke ich in Röhre Nummer 6, um sie an L22 weiterzuleiten. Die sonstigen Röhrchen entleere ich, vernichte die Röllchen und werfe die leeren Röhrchen in den dafür vorgesehenen Container. Wenn diese Arbeit erledigt ist, notiere ich die Menge und Herkunft aller sonstigen Röhrchen, schreibe die Informationen auf ein Röllchen, stecke es in ein Röllchen und das Röllchen in Rohr 100. Keine Pausen. und das Röhrchen in Rohr 100. Keine Pausen. Also missachten sie ihre Pflicht, genauso wie ich. Nicht genauso wie sie, nur ein wenig. Aber das ist genug oder zu viel. So habe ich auch angefangen, nur ein wenig. Ich fürchte mich. Es hat keinen Sinn, sich zu fürchten. Es ist ja schon zu spät, es ungeschehen zu machen. Ich fürchte mich trotzdem. Und ich freue michchehen zu machen. Ich fürchte mich trotzdem. Und ich freue mich. Ich freue mich auch und fürchte mich dabei, weil ich mich nicht freuen sollte. Ich finde, wir sollten uns freuen. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, was Sie finden. Für mich ist es wichtig. Aber wer sind Sie? Ich bin die Bibliothekarin von F23 und ich habe entschieden, mich zu freuen. Sie können das auch. Aber ich fürchte mich. Lassen Sie sich Zeit. Wie viel Zeit habe ich denn? Ich weiß nicht. Ich missachte meine Pflicht schon länger und mir ist nichts passiert. Eine Minute lang rührte sich nichts am anderen Ende. H43 war stumm. Vielleicht war er aufgestanden, vielleicht vor Angst umgekippt. Aber ich wollte ihn nicht drängen und wartete geduldig. Was lesen Sie uns morgen vor? fragte er schließlich. Das Buch, das ich gestern begonnen habe. Ich habe nicht viel davon verstanden. In dem Buch geht es um Bücher? Scheint so. Und um jene, die Sie schreiben. Aber nicht wirklich. Das Buch ist viel fantastischer als die davor. Es geht um jene, die Bücher schreiben hätten können, wäre ihre Welt real. Glauben Sie, es gibt eine Abteilung, wo Bücher geschrieben werden? Das könnte sein, aber ich glaube nicht. Wie viele Bücher gibt es in F23? Über 35 Millionen. Haben Sie sie gezählt? Nein, das hat mir der Lehrer erzählt, bevor man mich in F23? Über 35 Millionen. Haben Sie sie gezählt? Nein, das hat mir der Lehrer erzählt, bevor man mich nach F23 gebracht hat. Schade, dass es so lange dauert, ein Buch vorzulesen. Immer wenn Sie ein neues beginnen, hoffe ich, das Ende zu erfahren. Aber irgendwann werden Sie nicht mehr lesen. Und irgendwann werde ich nicht mehr zuhören. Dann kenne ich das Ende nicht. Sie haben recht. Ich werde nicht alle Bücher fertig vorlesen können. Aber ich bin noch nicht alt. Ich habe noch Zeit. Ich bin auch nicht alt. Sehen Sie, wir haben Zeit. Ich gehe nun zu Bett. Wir können morgen weiterreden. Um sieben? Ja, gerne, um sieben. Es war wieder still in der Bibliothek. Und es war wieder still in der Kommunikationsabteilung. Meine Augen brannten. Ich hatte, ohne es zu merken, die ganze Zeit über geweint und war erschöpft. Du hast mir die Passagen zur Vorbereitung vorab geschickt und ich war sehr froh, dass du diese Passage gewählt hast, weil ich die sehr eindrücklich auch fand beim Lesen. Ich habe mir das Zitat notiert während der Lektüre. Ich habe seit Jahren keine Stimme mehr gehört. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und in meinem Hals verengten sich die Muskeln. Ein Moment blieb mir die Luft weg und als H43 zu schluchzen begann, gab es auch für mich kein Halten mehr. Wir weinten abwechselnd in unsere Mikrofone. Also diese Passage ist voller Emotionen, voller Freude. begann, gab es auch für mich kein Halten mehr. Wir weinten abwechselnd in unsere Mikrofone. Also diese Passage ist voller Emotionen, voller Freude. Gleichzeitig sprechen die beiden auch über ihre Angst und wie sich ihre Angst unterscheidet. Was würdest du zu der Beziehung der beiden sagen und wie ist das für den Roman ausschlaggebend? Also für die Bibliothekarin ist H43, würde ich sagen, eine Projektionsfläche und gleichzeitig ein, also er repräsentiert die Hoffnung, dass sie ihre neue Freiheit möglicherweise teilen kann. und er ist nach ihrer ganzen Kommunikation, die sie das Buch lang einseitig hat mit der Welt, ist er endlich jemand, der Antwort gibt. Gleichzeitig ist sie aber nicht, weil sie nicht gewöhnt ist, Antwort zu erhalten, ist sie nicht sehr einfühlsam oft, wenn er irgendeine andere Meinung äußert wie sie, und sie hat das Gefühl, sie weiß viel mehr, sie hat die Welt ja jetzt schon ein bisschen erfahren, wie das funktioniert. Sie sagt mir einfach, na dann mach halt das, dann mach halt das, dann sei halt so, dann denk halt so. Und es fehlt ihr an, sie muss Empathie aufbauen lernen. Weil es geht bei euch in der Kommunikation zuerst mal um Informationsaustausch, aber dann geht es auch um Emotionsaustausch und Emotionsaustausch ist nur über die Stimme oder vor allem über die Stimme, zumindest über die Möglichkeit einer Stimme möglich. Das funktioniert nicht so gut über die kurzen Textnachrichten in den Röhrchen, vor allem wenn man nicht privat reden kann, sondern immer jeder alles lesen könnte. Genau, in Textnachrichten in den Röhrchen, vor allem, wenn man nicht privat reden kann, sondern immer jeder alles lesen könnte. Genau, in Textnachrichten kommt ja auch Kritik teilweise, dass manche Passagen aus den Büchern nicht verstanden werden oder so, und dass sie das bitte nochmal erklären sollen oder so. Genau, und dass sie, wie es immer auch ist, dass die Leute ihre eigene Welt in Gefahr sehen, wenn jemand, der eigentlich nicht mit ihnen zu tun hat, sich nicht an die Regeln hält, ist sehr viel Zorn und Wut wird geboren daraus, dass man Angst hat, mitbestraft zu werden. Genau. Ja, danke schön für deine Lesung. Wir kommen jetzt zu einem anderen gesellschaftlichen Experiment. Florian Gantner wagt in seinem Roman Eternal Partner ein neues Geschäftsmodell zu entwerfen, das wir so bislang nicht kennen. Ich darf mich jetzt bei dir bitte bedanken und dich, Florian Gantner, auf der Bühne begrüßen. Guten Abend. Guten Abend. Guten Abend, hallo. Genau, es ist ja so, dass Peter eine Rezension auch zu deinem Roman geschrieben hat. Er schreibt, in Gandners neuen Roman regiert die Dienstleistung. Wenn Computer und Maschinen immer größere Teile der Arbeitswelt übernehmen, bleibt einer beschäftigungsbasierten Gesellschaft wenig anders über, als neue Märkte zu erschließen. Wir freuen uns jetzt mehr über diese neuen Märkte zu erfahren und worum es konkret in deinem Roman geht. Du hast mir mitgeteilt, dass auch du mit dem Beginn starten wirst. Die erste Passage sind die ersten Seiten. Ich werde jetzt zur Handlung und zu den Details vorab nichts Genaueres sagen, möchte aber auch deine Person noch näher vorstellen. Florian Gantner wurde 1980 in Neukirchen am Großvenetiker geboren und hat Komparatistik in Innsbruck, St. Ethien und Wien studiert. Er hat eine Lehrtätigkeit an der University of Jordan in Amman und der University of Reading in Großbritannien übernommen und lebt nun als freier Schriftsteller in Wien. Florian Gantner wurde mit zahlreichen literarischen Preisen und Auszeichnungen geehrt, darunter der Theodor-Körner-Preis 2014, der Rauriser Förderungspreis 2018, sowie der Hauptpreis der Florianer Biennale für Literatur 2018. Seit 2019 ist er Intendant des Festivals Literatur findet Land. Ja, ich darf dich jetzt bitten, direkt in den Roman zu starten und mit der Lesung zu beginnen. Ja, danke. Eigentlich muss man, glaube ich, eh nichts mehr erklären, weil ich fange eh am Anfang an, beziehungsweise eine halbe Seite lasse ich aus, einfach so. Im Spiegel des Aufzugs kontrolliert er seine Erscheinung. Er hebt die Arme nur ein wenig, er ist nicht allein. Schweißflecken in den Achseln. Weshalb zieht Krohn in einem so heißen Tag auch ein dunkelblaues Hemd an? Aber um ehrlich zu sein, hat sich Krohn bei Vorstellungsgesprächen schon heftigere Schnitze erlaubt. Etwa bei dem Termin, den ihm sein Sachbearbeiter zuschanzte, nachdem er wieder einmal leise an der Echtheit von Crohns Ambitionen bei der Arbeitssuche gezweifelt hatte. Schnell war klar, dass die Firmenphilosophie der eigenen gründlich widersprach. Was er stillschweigend hätte akzeptieren können, wäre die Bezahlung angemessen gewesen. Und wäre da nicht dieser Schnösel gewesen, halb so alt wie Krohn, aber im Glauben doppelt so viel von der Welt verstanden zu haben. Der Personaler hatte nach wenigen Sätzen Krohns die Notbremse gezogen und erklärt, dass das Interview von seiner Seite beendet sei. Kron atmet einmal tief durch und klopft. Die Personalerin von Eternal Partners winkt ihn herein. Bevor er aber den Stuhl erreicht, bremst sie ihn mit erhobener Handfläche. Kurz stehenbleiben und natürliche Haltung einnehmen, bitte. Kron glaubt zu fühlen, wie er von Sensoren abgetastet wird. Danke. Die Personalerin blickt auf den Stuhl, eine Aufforderung sich hinzusetzen, und konzentriert sich wieder auf den Monitor. Sie sitzt hinter einem Glasschreibtisch, in dessen Platte eine Tastatur eingelassen ist. Ihr dunkelbraunes Haar trägt sie zu einem Dutt hochgesteckt. Ihre weiße Bluse ist makellos. Mit dem Zeigefinger streicht sie über das Display und Krohn hört ein Geräusch, das an das ratternde Rädchen einer Computermaus erinnern soll. Es holpert im schnellen Takt. Offensichtlich überfliegt sie die Gewöhnlichkeiten in seinem Lebenslauf. Der Rhythmus wird langsamer, aus dem Rattern ein träges Klicken, sie ist bei der letzten Arbeitsstelle angelangt. Ein Moment beklemmender Stille, das Klicken ist ins Lebenslaufloch gestürzt, auf ewig verloren. stürzt auf ewig verloren. Krohn sieht an den wandernden Augäpfeln der Personalerin, wie sie die beschäftigungslosen Jahre zusammenrechnet. Dann die unverhoffte Wiederkehr des Klickens. Der Lebenslauf wird geschlossen, der Zeigefinger eingefahren, um ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Augenkontakt und ein bemühtes Lächeln. Aus einer Schublade holt sie einen Schnellhefter hervor. Die Mappe enthält ein Blatt Papier. Krohn erkennt sein Bewerbungsschreiben. Ausgedruckt. Die Firma Eternal Partners kommuniziert, dass sie zum einen jede einzelne Bewerbung ernst nimmt, ein Schnellhefter pro Bewerber, und zum anderen alte Usancen pflegt. Wie viele Unternehmen haben heute noch Drucker, geschweige denn Schnellhefter? Sie sind also auf der Suche nach einer Herausforderung. Anton Krohn ist auf der Suche nach einer Einkommensquelle, nickt aber. Die Personalerin wendet sich wieder dem Bildschirm zu, tippt ihn an. Bis zuletzt waren sie Assistent in der Datenerfassung. Bis zuletzt ist gut, schmeichelhaft. Weshalb also nicht einen Einblick in die Welt der Datenerfassung gewähren? Ich habe ein Verzeichnis so lange mit Daten gefüttert, bis der Computer eine unbestechliche Systematik erkannt hat, wodurch ich nicht mehr benötigt wurde. Mit jeder Eingabe habe ich mich einen Schritt weit ausgelöscht. Absurd, finden Sie nicht? Die Mimik der Personalerin verrät wenig Verständnis für den hinter der Datenerfassung steckenden Wahnwitz, eher eine tiefliegende Gleichgültigkeit gegenüber Crohn's Vita. Da entdeckt sie etwas in seinem Bewerbungsschreiben. Hier steht, dass ihre Frau bei uns gearbeitet hat. Crohn nickt. Womit ich mir die Erläuterungen unserer Leitlinien sparen kann, sagt sie, und wendet sich erneut dem Monitor zu. Ich weiß natürlich, was meine Frau so gemacht hat, man redet schließlich miteinander. Das ist ein wenig ruppig geraten. Du bist im Vorstellungsgespräch Krohn, wie wär's mit einer Prise von diesem altmodischen Charme, den du mal besessen hast, erinnerst du dich? Die Frau macht es einem aber auch nicht gerade leicht, scheint jedoch nicht verärgert über Crohns Antwort. Im Gegenteil, sie fordert ihn auf, ein wenig von sich zu erzählen. Crohn berichtet von seinem Studium Sprachwissenschaft, das er erfolgreich abgeschlossen hat. Nur nicht erfolgreich genug, um in die Forschung zu gehen und sonst sah er für einen Linguisten auf dem Arbeitsmarkt auch nicht allzu rosig aus. sah für einen Linguisten auf dem Arbeitsmarkt auch nicht allzu rosig aus. Zwei Jahre als Essenszusteller beim Hilfswerk, Assistent für einen Rollstuhlfahrer, eine Zeit lang hat er gekellnert. Aber da stehe ohnehin alles im Lebenslauf. Letztlich hat er eben eine Anstellung bei der Datenerfassung gefunden, was zwar keine allzu große intellektuelle Herausforderung mit sich brachte, die unübersehbaren Vorteile waren aber nicht zu leugnen. Flexible Zeiteinteilung, anständige Entlohnung. Und dann sagt Krohn etwas, das man normalerweise nicht in einem Vorstellungsgespräch sagt. Doch irgendwie ist er gerade in der Stimmung für Offenheit. Er erklärt, dass er sich auf den Vorteilen vielleicht ein wenig ausgeruht habe, denn jetzt stehe er da mit einer Ausbildung, die ihm nichts bringe und jahrelanger Berufserfahrung in einem Feld, das abgemäht sei. Können Sie den letzten Satz noch einmal wiederholen, im gleichen Wortlaut und achten Sie auf die Intonation. Jetzt stehe ich da mit einer Ausbildung, die mir nichts bringt und jahrelanger Berufserfahrung in einem Feld, das abgemäht ist. Die Personalerin nickt zufrieden und tippt auf den Monitor. Ich denke, sie werden bald von uns hören. Die demografischen Fakten sind nun mal so, dass an Männern in ihrem Alter am meisten Bedarf besteht. ihrem Alter am meisten Bedarf besteht. Kron hat seine Probleme damit, sich geschmeichelt zu fühlen, in einem bestimmten Lebensalter zu sein, will ihm nicht recht als Verdienst erscheinen. Er beobachtet, wie ein Fingertipp der Personalerin einen Metallarm aus einer Wandvertiefung fahren lässt, an dessen Ende sich eine schwarze Scheibe befindet. Sie richtet die Scheibe aus, bis sie sich in Höhe von Kronens Gesicht befindet. Und jetzt schauen Sie bitte noch hier hinein. Sie erhebt sich, streckt ihm die Hand entgegen. Damit wären wir für heute fertig und verabschiedet sich mit einem kräftigen Händedruck. Ich springe vor, wie Sie sehen wahrscheinlich. Drei. Sie stehen vor den Pyramiden. Kron führt die Flasche an den Mund und trinkt, wobei ihm die Blicke des Pärchens bei den Bodenwellen nicht entgehen. Er verkneift sich, ihnen zuzubrosten, stellt das Bier ins Gras und postiert sich. Ralf spielt den Kommentator. Schon verlässt der Ball seinen Ruhepunkt und rollt an den ersten beiden Pyramiden vorbei, überquert problemlos die rote Linie, streift das dritte Hindernis idealtypisch, um das festgelegte Ziel zu erreichen. Bravo! Er pfeift anerkennend, während Krohn die Faust ballt und zu den beiden auf Bahn 2 hinüber grinst. Bier und Miniaturgolf sind kompatibel, der Beweis ein weiteres Mal erbracht. Ralf und Krohn ziehen weiter zu Bahn 4 im Fachjargon Mittelkreis. Eine der Bahnen, die Krohn weniger liegt. Wenn man nicht mit dem ersten Schlag einlocht und der Ball über den Hügel rollt, kann es böse enden. Ralf zeigt keine Ehrfurcht vor dem Mittelkreis. Er plappert unbekümmert weiter. Dank Automatisierung ist die Arbeit sowieso überflüssig geworden. Im Grunde existiert sie nur noch zum Selbstzweck. Die Leute müssen beschäftigt werden, um nicht auf blöde Gedanken zu kommen. Bloß wie, wenn die Notwendigkeit fehlt? Vielleicht sollten wir es wie die alten Ägypter machen. Er zeigt mit dem Schläger zur vorherigen Bahn, Pyramiden bauen. Die Pharaonen hatten damit ein perfektes Beschäftigungsprogramm. Sind die Leute beschäftigt, fehlt ihnen Zeit und Energie zum Aufmucken. Aber was wäre eine zeitgemäße Entsprechung für derartige Monumentalbauten? was wäre eine zeitgemäße Entsprechung für derartige Monumentalbauten? Die Anhäufung an Dienstleistungen, denkt Krohn. Ein Berg an Dienstleistern und alle erledigen sie Jobs, die bis vor ein paar Jahren als solche nicht existierten. Man hat den Nachbarn das Kind von der Schule abgeholt oder ist für sie einkaufen gegangen. Alles unter den Schlagworten gute Nachbarschaft oder Freundschaftsdienst. Nur noch eine Frage der Zeit, bis alles davon bei Strafe verboten ist. unter den Schlagworten gute Nachbarschaft oder Freundschaftsdienst. Nur noch eine Frage der Zeit, bis alles davon bei Strafe verboten ist. Aber besser nichts sagen, bei Ralf verhält es sich genauso. Auch er gehört zu jenen, für die eine Arbeit konstruiert wurde. Als die wandelnde Zeitschrift besuchte er von Montag bis Freitag die Pflegeheime, um sehschwachen alten Menschen aus der Tageszeitung vorzulesen. Vor nicht allzu langer Zeit sind Menschen freiwillig ins Altersheim, um dort zu lesen. Aber wehe, jemand kommt auf die Idee, das aus freien Stücken zu tun. Gleich ist die Rede von weggenommenen Arbeitsplätzen. Ralf schlägt den Ball, der geradewegs ins Loch rollt. Sie sind heute in Form, könnte ein beachtliches Ergebnis werden. Ich finde es in Ordnung, dass du dich bei Eternal Partners beworben hast, sagt Ralf. Du gibst jemandem etwas, wenn es auch nur ein gutes Gefühl ist. Die Arbeit ist nicht sinnlos. Das ist doch das Wichtigste, oder? Das wäre mein letzter Job sinnstiftend gewesen, kontert Krohn. Ich war Datensammler und nicht Notfallarzt. Wenn ich im Bürosessel kurz die Augen zumachte, musste nicht gleich jemand verbluten. Ob der Job sinnvoll ist, ist mir völlig egal. Ich gehe da rein, um mit möglichst viel Geld wieder rauszukommen. Ralf lacht. Na, wenn du das so nicht ansiehst, bist du bei Eternal Partners gut aufgehoben. Einsame alte Damen mit viel Geld, davon gibt es schon ein paar. Kron schlägt den Ball. Während er über den Faserzement am Loch vorbei und den Hügel wieder hinabrollt, sagt Ralf, ist dir mal aufgefallen, dass Menschen, die für die Gesellschaft Nützliches tun, meistens schlecht verdienen? Krohn legt den Ball ein weiteres Mal auf das Abschlagfeld und stellt eine imaginäre Liste nützlicher Berufe zusammen. Der Ball landet im Loch, Krohn fischt ihn heraus und wiegt ihn in seiner Hand. Da hast du wohl recht, man sieht Sozialarbeiter selten im SUV zur Arbeit fahren oder eine Pflegerin ihre 18-karätige Breitling abnehmen, bevor sie ins Badewasser greift. Ihr blockiert die Bahn, hört Kron jemanden neben sich knurren. Sie machen Platz für das Pärchen und setzen sich auf die Bank im Schatten. Bekommen sie es mit Minigolfkriegern zu tun, die mit ihren Pater und Balltasche Loch um Loch erobern, räumen sie kampflos das Feld. Sie trinken Bier und sehen den beiden zu, wie sie den Mittelkreis bezwingen und das Hochplateau einnehmen. Jetzt könnten wir reden. Genau, jetzt reden wir. Dankeschön für die Lesung der ersten beiden Passagen. Wir haben jetzt deinen Protagonisten Anton Krohn besser kennengelernt und auch seinen Freund Ralf. Du entwirfst dieses Geschäftsmodell, dass Personen verstorbene Menschen ersetzen. In der zweiten Szene am Minigolfplatz geht es ja ganz stark um das Konzept der Arbeit und dass gewisse Freundschaftsdienste jetzt Dienstleistungen sind. Also dass Jobs von anderen übernommen werden, weil diese beispielsweise nicht mehr ausgeführt werden wollen oder können. Und Krohn macht das auch. Also er übt den Job aus, weil Arno Wilfing gestorben ist. Der war CEO einer großen Firma und die Motivation dahinter sind Geldsorgen, generelle Sorgen. Was würdest du sagen, was motiviert ihn dazu, diese Arbeit auszuführen? Er hatte lange keine Arbeit. Er hatte eine Frau daheim, die lange krank war. Und er ist durch diese tiefe Tal der Arbeitslosigkeit mit Frust, Depression und so weiter durchgegangen und hat sich eigentlich lange gewehrt aus Gründen, weil er diese Arbeit einfach idiotisch fand eigentlich. Aber irgendwann hat er sich gedacht, okay, ja, probiere ich es halt. Und ja, das habe ich jetzt nicht gelesen, aber wird halt genommen und ja. Persönlich stelle ich mir das sehr schwierig vor, eine verstorbene Person ersetzen zu können. Welche Ressourcen braucht man da? Also was für ein Typ ist dieser Anton Krohn, dass er diesen Job überhaupt ausführen kann? Das lese ich auch nicht. Natürlich geht es hauptsächlich um Äußeres. Ich habe es zufällig rausnotiert. Also er wird ja abgetastet von verschiedenen Sensoren, wie er fühlt. Die Sache ist, es muss irgendwo, die Ähnlichkeit muss zwischen 70 und 90 Prozent sein. Zu ähnlich will man ja dem Toten nicht sein, weil es wäre dann irgendwie gruselig für die Hinterbliebenen, weil man hat dann plötzlich ein Duplikat da. Man weiß ja, dass der Partner tot ist. Man will ja dann kein 1 zu 1 Duplikat, aber man möchte doch erinnert werden und es geht dann doch immer so um kleine Rituale, die diese Menschen wieder beleben wollen. Bei der Witwe, was es bei unserer Witwe, Frau Wilfing, ist, werde ich später noch lesen, oft ist es zum Beispiel, die Ehefrau kocht ein gemeinsames Lieblingsessen und serviert es und das war es. Einmal in der Woche. Kron ist, wie gesagt, abgemessen worden. Sein Gesicht ist zu 78 Prozent gleich. Die Statur ist 90 Prozent gleich. Der Wortschatz 79 Prozent. Intonation 72 Prozent. Also er ist insgesamt über diesen 70 Prozent, die Vermittelbarkeit garantieren. Habe ich jetzt deine Frage beantwortet? Ja, was für eine Person er ist. Was für eine Person er ist. Und wie er diesen Beruf ausüben möchte oder denkt, dass er dafür qualifiziert ist. Möchten ist eine andere Frage. Er beginnt es als etwas zu verdienen. Man muss es nicht zu ernst nehmen, es sind nur ein paar Stunden in der Woche. Es ist gut bezahlt, das sind seine Hauptgründe am Anfang. Und verrate ich jetzt schon, er rutscht natürlich immer weiter hinein, weil auch die Aufträge immer größer werden. Soll ich das jetzt schon verraten oder darf ich alles? Es gibt von der Firma einen Auftrag, der verstorbene CEO hatte einen großen Auftrag mit einer brasilianischen Firma und die wissen nicht, dass der Herr Wilfing, Arno Wilfing und deswegen kommt man auch auf die Ideen, dass man ihn wirklich auch im Beruf reanimiert. Und das heißt, unser Anton ist immer weiter, also nicht nur bei der Witwe dann in dieser Rolle, sondern auch beruflich in dieser Rolle und ist dann plötzlich ein CEO und kommt immer weiter hinein. Er muss dann eben, wie du gerade gesagt hast, beruflich auch diese verstorbene Person sein. Hast du aus diesem Grund einen CEO gewählt oder weil das einfach mit sehr viel Übung einhergehen muss, dass er das dann auch einstudiert, dass er diesen CEO dann gut nehmen kann oder gibt es da andere Gründe dafür? Das ist natürlich für ihn auch eine große Herausforderung, weil er vom Charakter her überhaupt nicht der geborene Manager ist und so weiter. Hat er auch dann Schulungen, die er durchmachen muss und findet aber dann auch Gefallen an dieser Rolle, ist immer mehr in dieser Rolle drin und ein interessanter Gedanke, ich sage jetzt selbst, das ist ein interessanter Gedanke, ein Gedanke in dem Buch ist halt eben auch, der in der Wissenschaft, also ich habe viel zu Arbeitsphilosophie gelesen, wo gesagt wird, je höher man in der Stufenleiter ist, desto weniger kommt es darauf an, was man eigentlich kann, sondern es geht nur mehr um die Performance. Und als CEO bist du natürlich ganz oben und er merkt das natürlich, ich bin jetzt ganz oben und jetzt geht es eigentlich nur mehr darum, dass ich das irgendwie authentisch verkaufe, dass ich der CEO bin. Und er beginnt ziemlich großkotzig aufzutreten, weil der CEO muss ja dann eigentlich nur fragen, okay, wir haben ja ein Problem und er hat dann seinen Personal Assistant und wer hat die Lösung dafür? Und der Personal Assistant ist ja der, der die Sachen weiß und er muss dann eigentlich nur so, okay, dann sagt das dem. Letztendlich muss er nur mehr eine Rolle spielen und das ist natürlich reizvoll. Er sagt dann seiner Frau auch irgendwann, ich hätte schon immer CEO sein sollen. ist natürlich reizvoll. Er sagt dann seiner Frau auch irgendwann, ich hätte schon immer CEO sein sollen. Ja, also dieser Begriff der Performance erscheint mir zentral an einer gewissen Stelle. Du hast ja am Anfang gemeint, dass er diesen Beruf gar nicht ausüben möchte, aber dann möchte er wissen, wie er performt und ob er gut performt. Es geht eigentlich darum, dass einer einen anderen performt. Also es durchzieht eigentlich den ganzen Roman und wer weiß, wer wen performt. Es sind natürlich auch immer Rollen, die wir spielen, auch im Arbeitsumfeld. Und natürlich in der Arbeit bei Eternal Partners, Semtex heißt die Firma, weiß natürlich jeder, dass der Chef gestorben ist und auf einmal ist ein neuer Chef dort, der aber viel lockerer umgeht mit allem, weil er hat ja auch irgendwie nichts zu verlieren, eigentlich, am Anfang. Und natürlich weiß er, dass sie wissen, dass er eine Rolle spielt und das ist natürlich dann ein interessantes, behaupte ich wieder, dass das interessant ist, aber ich fand es ein interessantes Setting. Es ist ein gewisses Netz, das du aufspannst. Also er weiß, dass der performt, der weiß aber dann nicht, dass der andere performt zum Beispiel. Ich würde noch gerne auf den Begriff der Arbeit zurückkommen. Da ist ja in dieser Minigolf-Szene sehr zentral auch. Wie unterscheidet sich denn die Herangehensweise, das Verständnis der Arbeit bei den beiden Freunden? Also Ralf nimmt das natürlich ernst. Ralfs Problem ist eher die zerbrechende Freundschaft, glaube ich, weil plötzlich der andere immer das alles sehr locker gesehen hat und jetzt plötzlich dann im Anzug unterwegs ist und nicht mehr Minigolf spielt, sondern er fängt nach Golfspielen an. Und Ralf hat das immer alles spielerischer gesehen, ist halt auch ein spielerischer Kerl, während Krohn immer mehr in einer Seriosität abdriftet. Und du hast ja schon gesagt, die Übereinstimmung liegt bei ungefähr 78 Prozent. Und er schreibt auch einmal, wo soll ich dann diese 100 Prozent Anton Krohn parken in der Zwischenzeit? Kommt er da nicht in ein ethisches Dilemma und wie handhabt er dieses Dilemma? Das verschwimmt ja dann alles. Was ist work? Was ist life? Es ist natürlich auch, dass das verschwimmt ja dann alles. Was ist Work? Was ist Life? Es gibt überhaupt keine Balance mehr und er muss sich dann auch vielleicht ein bisschen eingestehen, dass er ganz gern bei dieser Witwe, bei dieser nicht richtigen Frau ist, weil die einfach großartig schön, ich beschreibe das, ein schönes Haus hat, während er mit seiner Frau, die eben krank war, jetzt rekonvaleszent, aber und er traut es sich zuerst nicht eingestehen, aber eigentlich genießt er dieses neue Leben dann doch auch. Und dann gibt es natürlich spannende Zwischenwelten, in denen er unterwegs ist, wenn er zum Beispiel jetzt bei der Witwe ist und er kommt von der Arbeit heim und es ist ja eigentlich, er kommt von Semtex, wo er jemanden performt, kommt er in die Freizeit eines anderen hinein und wie gestalte ich die Freizeit eines anderen, weil es für mich eine Arbeit ist, aber die Witwe lässt schon die Sauna an, will man mit einer fremden Frau in die Sauna und so weiter. Es sind viele komplexe Gedanken, die er sich machen muss. Stimmt, also auch neue Kleidung, ein neuer Gang, den er sich aneignet und auch eine neue Persönlichkeit, die dann auch mit neuen Möglichkeiten hergeht. Das ist natürlich auch was, es gibt mehrere Dinge, die ihn immer weiter hinein holen, hineinziehen. Wir haben ja, das werde ich jetzt dann auch lesen, sein Vater war Schneider, ist aber Konkurs gegangen und er bekommt dann diese Anzüge von der Witwe und weiß das natürlich zu schätzen und hat auch ein Gespür dafür. Und das ist so der erste Schritt auch hinein, wo es ihm einfach, wo er es vielleicht zuerst nicht zugibt, aber irgendwie findet er es schon ziemlich gut. Ja, das war eine schöne Brücke. Ich würde sagen, dann fangen wir mit der nächsten Passage an. Gut. Also wir kommen jetzt zum ersten Arbeitstag, beziehungsweise dem Weg dorthin. Nicht schon wieder. Krohn sieht, wie jemand über sein Fahrrad gebeugt daran herumhantiert. Hey, schreit er dem Mann zu, während er mit gestikulierender Hand über die Straße eilt. Nein, nein, lassen Sie das. Der Mann fühlt sich nicht angesprochen, macht ungehindert weiter. Lassen Sie mein Fahrrad in Ruhe, das gehört mir. Erst als er neben ihm angekommen ist, tritt der Mann zurück und plappert los. Die Bremsen nachgezogen, hatten die bitter nötig, in den Reifen war zu wenig Luft. Dann habe ich den Rahmen poliert, aber das gehört zum Service. Wären 20, weil Sie es sind. Nein, nein, winkt Kron ab, tut mir leid. Er löst das Fahrrad vom Ständer. Habe ich nicht bestellt. Dann machen wir 15, weil Sie es sind. Kron fährt los, hinter sich hört er, wie der Reparatur-Freelancer ihm, weil er es ist, ein letztes Angebot nachruft. Kron kontrolliert die Anzeige und drosselt die Motorunterstützung, damit nicht kurz vor dem Ziel der Akku ausgeht. Als er merkt, dass er geradewegs auf die Finkgasse zusteuert, nimmt er dennoch einen Umweg in Kauf. Er trägt es nicht, dort vorbeizufahren, wo einmal die Schneiderei seiner Eltern lag. Früher, als eine Kaffeeküche darin war, fand er es noch tolerierbar. Allerdings wurde das kleine Café von einem Pfandleiher verdrängt und das erinnert doch schmerzhaft an das gescheiterte Familienunternehmen. Die letzten Meter auf der Anzeige nur noch ein Balken. Nach Hause kann er das Rad aber den Hügel hinabrollen lassen. Krohn stellt es vor einer Betonwand ab, die sagt, hier kannst du nicht rein, hier willst du nicht rein. Aber er ist kein Einbrecher, er hat einen Termin. Er läutet an, vermeidet es, ins Kameraauge zurück zu glotzen, mustert stattdessen die Struktur des Betons. Ein Surren, die Metalltür schiebt zur Seite und gibt den Blick auf eine schmale Stiege frei. Die Metalltür schiebt zur Seite und gibt den Blick auf eine schmale Stiege frei. Eine einzige Glühbirne, immerhin in einer schicken Messingfassung, beleuchtet den Aufstieg. Oben angekommen ist es, als würde er aus einem Bunker ans Licht treten. Vor Crohns Füßen fügen sich runde und viereckige Betonplatten zu einem Weg, der von Kiesflächen und vereinzelten Grasflecken mit schmächtigen Bäumen darauf gesäumt ist. Man könnte an Zen-Gärten denken. Wäre da nicht die Rigorosität der Betonwände, die das Ganze umschließen und grohn die Frage auftrennen, ob es so etwas wie Zen-Brutalismus gibt? Er spürt den Impuls, sich dem Haus von Platte zu Platte springen zu nähern, wie beim Tempelhüpfen. Was würde die Frau, die ihn am Ende des Gartens mit verschränkten Armen erwartet, über ihn denken? Er hätte den ersten Eindruck wohl gründlich vermurkst. Frau Wilfing begrüßt ihn mit dem Anflug eines Lächelns und fordert ihn auf, ihr zu folgen. Sie trägt die glatten grauen Haare schulterlang, unter dem Leinenanzug sind ihre schmalen Glieder zu erkennen. Das Innere des Hauses stellt sich als überraschend wohnlich heraus. Die großen Fenster, das helle Holz der Wandschränke, Kronen tippt auf Eichenholz. Der offene Kamin, die daneben stehende Bank, zwar ein Block, dessen Design so zweckorientiert wirkt, das warte man auf die nächste U-Bahn. Einige Sitzkissen laden aber zum Verweilen ein. Die weinroten Vorhänge, der hochflorige Teppich, all das ergibt einen reizvollen Kontrast zur Kälte des Betons. Wie sie sich gut leben hier, muss Kron zugeben. Frau Wilfing bleibt vor einem Kognakfarbenen Ledersofa stehen. Kron hatte einmal Schuhe in der gleichen Farbe und deutet auf die Kleidungsstücke, die darauf ausgebreitet sind. Das ist einer von Arnos Anzügen und ein dazu passendes Hemd. Würden Sie das bitte anziehen? Statur 90 Prozent, fällt Kron ein, dürfte passen. Sie weist ihm den Weg ins Badezimmer, links den Flur entlang die erste Tür zu rechten. Ein Raum in der Größe von Krons Wohnzimmer. Erst hier setzt die Verwirrung ein, den Anzug des toten Wilfing anziehen. Was soll das werden? Kron betrachtet sich im Spiegel, schaltet die Beleuchtung ein, die jedes fehlplatzierte Haar und jedes Hautmal ausstellt. Das Hemd riecht leicht nach Lavendel. Der Anzug ist ein italienisches Fabrikat, Kaschmirwolle in Dunkelbraun, klassisch fallendes Revers. Kron streicht beeindruckt über den Hosenstoff. Frau Wilfing erwartet ihn vor dem Badezimmer. Sie kommentiert sein Erscheinungsbild nicht weiter, stattdessen die neuerliche Aufforderung, ihr zu folgen. Sie gehen den Flur entlang, Rechtsregal aus Eichenholz, auf denen zweigerahmte Fotografien mit Porträts junger Menschen stehen, vermutlich die Wilfinkinder. Links die Fenster, die in den Garten blicken lassen, einige Bäume, dahinter die graue Mauer. Von den Nachbarhäusern ist nichts auszumachen. Sie betreten das hinterste Zimmer, in dem sich nichts weiter als eine mit rotem Samt überzogene Chaiselong befindet und eine Voliere. Krohn fragt sich, ab welcher Größe ein Käfig zur Voliere wird, ist aber sicher, dass es sich hier um Zweiteres handelt. Sie beherbergt zwei Vögel, die durch eine Mittelwand voneinander getrennt sind. Der Vogel in der linken Hälfte hat nichts Außergewöhnliches an sich, gelb-rot, nicht besonders groß. Anders der Vogel in der rechten Hälfte. Dieser sieht aus wie ein Meerschweinchen, das sich als Vogel tarnt. Wurde der Vogel frisiert? Orfeo und Euridice, stellt Frau Wilfing vor. Die beiden vermissen Arno. Seit er nicht mehr bei uns ist, singt Orfeo nur noch selten. Gron nickt, der singende Orpheus. Orpheus, der Euridice aus dem Totenreich retten will, sich umdreht und sie wieder verliert. So weit, so gut. Aber was ist seine Rolle? Welche Aufgabe soll ihm übertragen werden? Wie passen die Wilfings in den antiken Stoff? Krohn versucht sich zu erinnern, wie der Gott der Unterwelt und seine Frau hießen. Sie sind vorrangig wie ein Vögel hier, Herr Krohn. Doch keine Sorge, ich bin keine verschrobene Alte, die ihr Leben den Haustieren opfert. Es soll auch um meine Bedürfnisse gehen. Arno und ich hatten eine liebgewonnene Tradition. Einmal wöchentlich säuberten wir gemeinsam den Käfig. Die Voliere, korrigiert Krohn gedanklich. Arno arbeitete Tag und Nacht, doch für die gemeinsame Reinigung fand er immer Zeit. Dieses Ritual möchte ich am Leben erhalten, für mich und für die Vögel. Zu bedenken ist allerdings, dass Canaris zu Menschen nur schwer eine Beziehung aufbauen. Mein Plan lautet, dass sie dreimal wöchentlich für eine Stunde in einem von Arnos Anzügen kommen und mit Orfeo und Euridice sprechen. Die Testergebnisse ihrer Firma besagen ja, dass sie Arno nicht nur äußerlich gleichen, sondern auch über ein ähnliches Stimmorgan verfügen. Auch wenn ich davon noch nicht viel hören konnte, versetzt Frau Wilfing. Entschuldigung, normalerweise bin ich nicht so wortkarg. Aber man erhält nun mal selten den Auftrag, mit Vögeln zu konversieren. Ich denke, ich fühle mich ein wenig befangen. Ich erwarte nicht, dass die Vögel Ihnen eine Antwort geben. Sie sollen also nicht konversieren, viel eher monologisieren. Erzählen Sie Orfeo und Eurydice irgendetwas. Keine Sorge, ich werde nicht anwesend sein. Künftig können sie die Befangenheit ablegen. Die Vögel werden ihre Stimme lauschen und allmählich Vertrauen zu ihnen gewinnen. Spätestens in einem Monat erwarte ich, dass sie mir bei der Reinigung zur Hand gehen können. Seit Arno fort ist, singt auch Feo nur noch selten, wiederholt Frau Wilfing. Ihr scheint aufzufallen, dass sie ihr eigenes Echo abgegeben hat. Mit gerunzelter Stirn verlässt sie das Zimmer. Sie geht Richtung Eingangstür. Kron hat Mühe, Schritt zu halten. Vor der Tür dreht sie sich um. Ich werde Ihnen ein paar von Arnos Anzügen zukommen lassen. Diesen hier behalten Sie am besten gleich an. Sie können morgen zur selben Zeit beginnen. Bevor Kron auf das Fahrrad steigt, ist er geistesgegenwärtig genug, die Socke über das rechte Hosenbein zu stülpen. Er lässt das Fahrrad den Hügel hinabrollen, jetzt nicht mehr nur wegen des Akkus, sondern aus einem verpflichtenden Stilbewusstsein. Im Maßanzug geht man nicht, man flaniert. Und sitzt der Anzugträger auf dem Fahrrad, braust er nicht etwa den Berg hinunter, nein, er gleitet hinab. Gleitet sogar doch die Finkgasse. In seiner aktuellen Gemütsverfassung kann nicht einmal mehr der Blick auf einen Pfandleier die Stimmung trüben. Ja, als Kron vorbeifährt, ist ihm ein Moment, als würde er die alte Fassade der Schneiderei sehen. Er stellt das Fahrrad ab und lustwandelt geradewegs in die Wohnung. Von seiner Frau erhält er die erwartete Begrüßung. Alle Achtung, sagt sie, dein Einstand scheint erfolgreich gewesen zu sein. Und dann in Folge gibt es ein paar Kanarie-Monologe, habe ich sie genannt. Ich lese einen davon noch vor. Und über diese, weil er muss ja eine Stunde, ist ja doch ziemlich lang, monologisieren, da erfahren wir praktischerweise einiges aus seinem Vorleben. Meine lieben Vogelfreunde, was haltet ihr von meinem Aufzug? Feiner Zwirn, nicht wahr? Fünf Anzüge hat sie mir geschickt, die werde ich euch die nächsten Tage präsentieren. Aber ihr kennt die ja schon von einem Vogelpapa, oder? Na gut, was besprechen wir heute? Ideen? Vorschläge? Eine Stunde Selbstgespräch. So leicht verdient ist das Geld nun auch wieder nicht. Ich hoffe, ihr schließt mich bald in eure Vogelherzen, damit wir zu erfreulicherem übergehen können. Obwohl, Voliere putzen? teuerlicherem übergehen können, obwohl Voliere putzen. Wisst ihr, gestern bin ich durch mein Viertel gegangen und an einer Telefonzelle vorbeigelaufen. Ein Relikt, aber ich bin alt genug, um noch zu wissen, wie sie benutzt worden sind. Gerade mal drei Querstraßen zu meiner Wohnung steht sie, ist mir aber nie aufgefallen. Und wie ich so zur Telefonzelle zurückschraue, frage ich mich, ob ich Marthas Nummer auswendig kann. Sie hat seit Ewigkeiten die gleiche. Und ich kriege sie wirklich zusammen. Ich schaue zur Zelle und stelle mir vor, dass es eine Zeitmaschine ist. Wenn ich reingehe und Marthas Nummer wähle, reise ich zurück zur Martha von vor 30 Jahren, lange bevor sie einen Gedanken an ihre Blutkörperchen verschwenden hat müssen. Ich selbst würde der Anton sein, der tagsüber im Büro am Computer sitzt, über Kopfhörer Musik hört und irgendwelche Zahlen in die Tastatur tippt. Nachts würde ich mit Marta um die Häuser ziehen. Wir gehen ins Kino, zu Ausstellungseröffnungen, Konzerten. Ich würde in einem Alltag voller Strukturen landen, die mich auffangen würden, was ich früher niemals zugegeben hätte und wenn, dann sicher nicht für gut befunden. Vielleicht hätte ich es einfach ausprobieren sollen, reingehen in die Telefonzelle, Nummer wählen, aber im besten Fall ist das Ding jetzt eine Büchertauschzelle im schlechtesten Pissoir. Man hatte es seit über 20 Jahren meine Frau. Vielleicht erzähle ich euch ein bisschen über sie. Über Martha vor der Krankheit ist ein angenehmerer Gesprächsgegenstand, wie ich finde. Die richtig rosigen Zeiten, als wir uns kennengelernt haben, die ersten Jahre. Als ich sie kennengelernt habe, hat sie als Wingwoman gearbeitet. Nein, das sind keine Frauen mit Flügeln, wo denkt ihr hin, ihr Vögel? Das ist einer dieser Jobs gewesen, der in den Nullerjahren entstanden ist. Als Mann mietest du eine Wingwoman, die für dich in einer Bar oder einem Club den Kontakt zur Wunschfrau herstellt. Die Wingwoman tut so, als wäre sie deine beste Freundin, kommt ins Schwärmen und sobald das Zielobjekt den Köder schluckt, verschwindet sie unauffällig. So habe ich übrigens auch Ralf kennengelernt. Nicht, dass er mir von einer Wingwoman schmackhaft gemacht worden wäre, nein, er ist mit einer Kollegin von Marta liiert gewesen, Laila. Sie ist dann aber mit einem Kunden durchgebrannt und hat bei Ralf damit eine Tradition an tragisch gescheiterten Beziehungen begründet. Als Freund und Minigolf-Partner ist Ralf ja in Ordnung. Der Alltag mit ihm muss aber eine Zumutung sein. Ihr kennt ihn ja noch nicht. Ich versuche ihn mal in aller Kürze zu beschreiben. Ralf ist nicht nur einer, der mit 54 noch raucht, nie aufgehört. Seit ich 14 bin, hat er mal gesagt. Ralf ist auch einer, der die Zigarette mit den Zähnen aus der Packung zieht. Jetzt habt ihr ein Bild, ja? Die Trennungen hat er immer halbwegs gut weggesteckt. Nur die letzte, die hat ihn richtig aus der Bahn geworfen. Selma, ist vor einem halben Jahr gegangen. Das ist die Frau gewesen, mit der Ralf sich hat vorstellen können, alt zu werden. Gemeinsam Bier trinken, einer nach der anderen rauchen, bis zum letzten Zug. Ich habe das Gefühl, seit Selma nicht mehr da ist, sieht er sich schon allein in einem von den Heimen sitzen, die er täglich aufsucht. Er hat Angst, dass sie ihn irgendwann dort behalten. Als Martha so krank gewesen ist, hat mir diese Vorstellung ehrlich gesagt auch Unbehagen bereitet. Das wäre aus mir geworden, aber ja, Martha, sie hat also als Swingwoman gearbeitet. Ich bin ein paar Mal in den Clubs gewesen, um zu beobachten, wie sie eine Wunschfrau eingewickelt hat. Sie hat das unglaublich gut gekonnt. Selbstbewusst an ein Thema anknüpfen, das sie im Vorbeigehen irgendwie aufgeschnappt hat. Und dann den Klienten geschickt in die Erzählung einflechten. Was für ein lustiger Zufall, Fabian. Fabian, komm mal her. Fabian ist auch ein ganz großer Fan von, wer weiß ich, schon in seinem Spiel. Und Martha, die beste Freundin, rein platonisch natürlich, lässt ihn in den schillerndsten Farben glänzen. Da bist du nicht in der Stadt gewesen, sondern auf Dienstreise in L.A. oder doch Hongkong. Was du mir letztens auf dem Klavier vorgespielt hast, war das nicht auch von diesem Komponisten? Ach, von dir selbst. Ja, schön. Und sie ist die Stichwortgeberin Tanzfläche, Tequila, Taxi. Stichwortgeberin, Tanzfläche, Tequila, Taxi. Wo ich darüber rede, merke ich, dass Eternal Partners für Martha eigentlich die logische Entwicklung gewesen ist. Aber in einem gewissen Alter kann man nicht mehr die Kupplerin spielen, ohne dass es eigenartig wirkt. Klingt zynisch, ist es vermutlich auch, aber ich behaupte ja nicht, dass ich noch einen glaubwürdigen Wingman abgeben könnte. Für Eternal Partners hat Martha einige Witwer betreut. Vielleicht war einer dabei, der ungesund für sie gewesen ist. Männer, die ihre Frauen überleben, sind ja irgendwie verdächtig. Da stimmt das Narrativ nicht ganz. Martha hat Leukämie bekommen. Chemo, Strahlentherapie, Antibiotika, Schmerzmittel, dauernde Übelkeit. Sie ist durch die ganze gesamte Leukämie-Hölle gegangen. Während der Therapie ist sie zwischen sich selbst abschreiben und Trotzreaktion getaumelt. Ist nicht leicht gewesen, auch für mich habe ich nur zusehen können. Was will man immer über die Krankheit reden? Die meisten Tage ist sie in ihrer Strickweste durch die Wohnung geschlichen, die Weste um sich geschlungen, dass sie fast zweifach eingehüllt war. Vor zwei Monaten hat sie die letzte Phase positiv hinter sich gebracht. Jetzt geht sie regelmäßig zur Kontrolle, damit es keinen Rückfall gibt. Seit zwei, drei Wochen ist sie ein richtiger Sonnenschein. Es sollte mich ja glücklich machen, wenn sie voller Lebensfreude ist, bloß wirkt es irgendwie unecht, versteht ihr? Aber nach allem, was sie durchgemacht hat, während ich nur daneben stehen konnte, welches Recht habe ich, ihre Stimmung zu beurteilen, geschweige denn zu kritisieren, dass es ihr gut geht? Entschuldigen Sie, ich unterbreche Sie ungern in den Ausführungen, hörte Ingrid Wilfing hinter sich. Krohn fühlt sich ertappt, fragt sich, wie lange die Witwe schon zugehört hat. Ich wollte einfach nur nachsehen, ob sie Fortschritte machen oder ob sie etwas benötigen. Krohn setzt ein Lächeln auf, das ihm nicht gelingen will. Also lässt er es bleiben. Niemand erwartet, dass ein Gespräch mit zwei Kanarienvögeln beglückend ist. Er möchte fragen, was er über Martha mitbekommen hat, weil sie jedoch, dass private Themen tabu sind. So stand es im Vertrag. Er hat mit der Witwe nur über die Wilfing-Vergangenheit zu sprechen. Stattdessen fragt er etwas, das ihn schon seit dem ersten Tag beschäftigt. Weshalb ist zwischen den beiden Vögeln eine Trennwand eingezogen? Eine vorläufige Theorie ist ja, damit Orpheus nicht in Versuchung kommt, nach Eurydike zu sehen und sie endlich aus der Unterwelt befreien kann. Oh, wunderbar, der Mann hat Humor, sie gefallen mir. Frau Wilfing streckt einen Finger zwischen die Gitterstäbe. Auch Theo nähert sich neugierig und beginnt an der Kuppe zu knabbern. Ich fürchte, die Erklärung ist banaler. Das Männchen singt viel weniger, wenn er einen anderen Vogel sieht. Sein Gesang ist ein an Abwesende gerichtetes Lied. Die Witwe schweigt einen Moment und fügt schließlich hinzu, seltsam. So betrachtet musste Orfeo mehr denn je singen. Denn seit Arno weg ist, singt er nur noch selten, liegt roh auf der Zunge. Doch er will es sich mit der Witwe nicht verzuhen. Vor wenigen Augenblicken hat sie ihm noch Humor attestiert. Von wunderbarem Sarkasmus war nicht die Rede. Danke. Ja, auch wir waren ja vorher im Kontakt. Und da hast du erwähnt, dass du diesen Kanarienmonolog das erste Mal bei einer Veranstaltung bist. Ja, ich variiere ein bisschen, weil es sind ja vier, glaube ich. Jetzt ist es zu dem gekommen. Ein bisschen Herausforderung. Okay, es ist ja so, dass sich Anton Krohn den Vögeln gegenüber in dieser Passage sehr öffnet und ihm seine Lebensgeschichte auf eine Art und Weise präsentiert. Er reist zurück in seine Vergangenheit, in ein glücklicheres Leben und berichtet eben auch von der Krankheit seiner Frau und plötzlich kommt die Witwe herein und dann plötzlich sind solche intime Gespräche nicht mehr möglich. Das stelle ich mir sehr schwierig vor, wie man mit dem umgeht, wenn man sich dann nicht öffnen kann und eigentlich ständig verstellen muss. Ja, natürlich, diese Situation ist auch besonders, weil die Vögel reden ja nicht zurück, wie wir wissen. Und es ist ja auch schon der dritte Kanarie-Monolog. In den ersten zwei ist er noch ein bisschen bedeckter und redet von irgendwas. Und vorher will er sowieso irgendwie eine Fremdsprache lernen, denkt er sich als erstes und denkt sich, er wird Vokabeln aufsagen und so weiter. Aber es ist eine lange Zeit, eine ganze Stunde irgendwas zu reden und es wird dann immer mehr. Normalerweise in der Arbeit geht es ja in dieser Arbeit für Eternal Partners, wenn man jetzt zum Beispiel nur kochen müsste eine Stunde, wäre es wahrscheinlich nicht so schwer, nur über die Witwe zu reden und, na, was haben Sie heute gemacht und so weiter. Aber wenn er gerade schon dabei ist, sein Herz zu öffnen, zwei Kanariefögeln und plötzlich gestoppt wird, ist das natürlich dann schwieriger, damit aufzuhören. Wir erfahren auch, dass seine Frau früher als Wingwoman gearbeitet hat und dann zu Eternal Partners gewechselt ist. Das wird, glaube ich, als logische Konsequenz beschrieben. Ja, sozusagen. Jetzt führen beide eigentlich oder haben beide irgendwann mal in ihrem Leben denselben Job ausgeübt, der auf eine gewisse Art und Weise ja auch professionell intime Beziehungen fördert. Wie beeinflusst das dann die Beziehung zwischen den beiden? Seine Frau Martha war besser im Abgrenzen, professioneller als er, gibt ihm am Anfang auch Tipps und so weiter, das will er aber nicht hören, er nimmt es so auf die lockere Art, er denkt sich, ja, leicht verdientes Geld. Sie driften ja immer weiter auseinander im Laufe des Buchs, weil er Sachen erkennt, also ich habe jetzt nur vorgelesen, dass sie sehr fröhlich ist in letzter Zeit und er kann sich das nicht ganz erklären und will es sich auch nicht erklären. So eine gewisse Art und Weise von Selbstschutz wahrscheinlich auch. Und deswegen haben sie heute auch immer weniger Kontakt eigentlich, weil seine Frau quasi ihre letzte Zeit genießt und auch mehr unternimmt und er mehr arbeitet. Also sie hat mehr Life, er hat mehr Work und deswegen sehen sie sie fast nicht mehr. Da habe ich mir auch ein Zitat notiert von Martha, die sagt, gegen Ende des Romans, ich nutze die Zeit, darauf habe ich früher etwas vergessen. Also die beiden nutzen dann eigentlich ihre Zeit auf unterschiedliche Art und Weise, obwohl es eigentlich in diesem Moment darauf ankommen würde, gemeinsam das Leben zu führen. Das ist natürlich die tragische Grundidee dahinter. Wie verbringen wir unsere Zeit? Was ist Arbeit natürlich? Wie verbringen wir unsere Zeit? Was ist Arbeit natürlich? Wie verbringen wir unsere Zeit? Ab wann ist etwas Arbeit? Wie wird das definiert dann auch? Wie wird Arbeit definiert? Es sind jetzt einige Dienstleisterjobs vorgekommen. Die gibt es auch, mehr oder weniger in der gleichen Form. Ich habe einfach das Rädchen einiger Jobs weitergedreht. Ja, faszinierend. Also diese Eternal Partner in Japan gibt es so Firmen, die diese Sachen Menschen vermitteln. Mich hat es beim Lesen ein bisschen an eine Serie erinnert. Also das könnte ich mir auch für Filmen sehr gut vorstellen. Ja, wenn du Budget hast. Serie erinnert. Also das könnte ich mir auch für Filme sehr gut vorstellen. Ja, wenn du Budget hast. Aber glaubst du, dass dieses Konzept jetzt nicht nur in Japan mal Realität wird, sondern auch in ein paar Jahren bei uns? Kannst du dir das vorstellen? Ich kann mir einiges vorstellen. Also viele Sachen, zum Beispiel was auch einmal kurz erwähnt wird, dass man die Kinder nicht mehr von Nachbarn abholen lassen darf. Ich habe vor zehn Jahren in England gelebt, zwei Jahre. Und da war es auch so, Freunde von uns hatten Kinder und haben die manchmal von Nachbarn abholen lassen und haben dann Probleme bekommen von einer Firma, die das professionell anbietet. Also so Entwicklungen gibt es schon in England. Japan sind in gewissen arbeitsethischen Richtungen weiter schon. Das gibt es alles schon. Ich habe jetzt nur so ein bisschen weiter gedreht manchmal. Das Ganze ein bisschen überspitzt dann wahrscheinlich auch. Satirisch. Und diese Trennwand zwischen den Vögeln erscheint mir auch sehr zentral. Kannst du uns da noch ein bisschen etwas genau dazu sagen, was dein Gedanke dabei war, dass du das auch immer wieder in deinen Roman einbaust? Also ich möchte es nicht so sehr ins Symbolische, aber ich glaube, das lasse ich Ihnen jetzt. Es gibt einfach diese Partner, die Sachen nicht sehen wollen voneinander. Aber ich kann sagen, ich habe das wirklich recherchiert. Kanarienvögel singen wirklich mehr, wenn sie sich nicht sehen. Und ich habe dafür telefoniert mit dem oberösterreichischen Präsidenten der Kanarienzüchtverein. Ihr ist nicht zufällig hier? Ich wohne in Windisch-Gasten, ich hätte ihn eigentlich kontaktieren können, aber ich möchte mir nichts auf... Also so viel um Vögel geht es ja auch nicht. Ich habe lustigerweise im Internet, habe ich zu Kanarienvögel recherchiert und eine Nummer gefunden und dort angerufen, war gleich beim Präsidenten von Oberösterreich und habe mir das alles so absegnen lassen, also die Kanariengeschichten, die haben Hand und Fuß, das ist so mit Kanarienvögeln. Die reden nicht zurück, sie singen mehr, wenn sie sie nicht sehen, knabbern an Fingern. Ich habe auch, keine Ahnung, was sie zum Fressen bekommen, das muss er dann auch so ein bisschen machen und so weiter. Und sie sind ein bisschen menschenscheu, also er braucht da schon ein paar Sitzungen, bis er endlich die Voliere putzen darf. Ich bin auch keine Expertin auf diesem Gebiet, aber während der Lektüre habe ich dann auch mal eingegeben auf Google, wieso diese trennen waren. Also was ist der Sinn dahinter? Und ja, das hat mich dann doch in so einen Reflexionsprozess gebracht. Und diese frisierten Kanaris gibt es natürlich schon wirklich mehr schweinhaft aus. Da gibt es ganz viele. Genau, ich wollte noch auf dieses intime Gespräch zu den Vögeln und ein bisschen mehr eingehen. Dann kommt ja die Witwe und unterbricht dieses Gespräch. An welche Grenzen stößt denn Anton Krohn in seiner Performance, in seiner Rolle, in der er aufgeht? Inwiefern kann er da tatsächlich Beziehungen, professionelle, intime, professionelle Beziehungen aufbauen? Es werden ja vor allem von der Witwe auch sukzessive Grenzen überschritten. Man kommt dann mit der Zeit auch drauf, was sie retrospektiv noch alles gemacht hat und so weiter. Und für Krohn ist es halt so, ja, mein Gott, mache ich halt das auch noch. Beim CEO sieht er halt nur so diese Zahl, die ihm rüber geschoben wird und okay, ein bisschen CEO spielen und er liest die Zahl und so, okay, mache ich halt das auch noch, obwohl es natürlich alles völlig absurd ist und er das alles relativ leichtfüßig, er kommt ja, wie gesagt, und ich wollte auch einsteigen mit einem leicht euphorisierten Gron. Also ich wollte nicht zeigen, wie er jetzt in diesem Jammertal ist aus Arbeitslosigkeit, sondern jemand, der, juhu, ich habe jetzt wieder einen Job, auch wenn das nur ein paar Stunden sind, aber es ist kein schlechter Verdienst. Und es wird halt immer absurder, aber er denkt sich, ja okay, aber dann mache ich das auch noch und mache das auch noch. Und dann ist er bei der Witwe daheim und dann mischt sie so einen Cocktail und ist schon gut und wer darf schon in der Arbeit trinken? Auch ist nicht so schlecht. Sie fahren dann auf Urlaub, er fragt dann seine Frau, ob er auf Urlaub fahren darf. Und es sind natürlich alles zwischenmenschlich ganz schwierige Situationen. Und er hadert schon oft damit, aber er lässt sich halt immer weiter reinziehen. Und es ist halt so ein Fünf-Sterne-Spa in Frankreich. Wann hat man schon so ein Fünf-Sterne-Spa und darf mit der Witwe Cocktails trinken? Er versucht dann noch getrennte Schlafzimmer irgendwie zu verhandeln, dann ist das auch nicht sicher. Also es ist halt immer so ein, man lässt sich halt, und so ist es halt in der Arbeitswelt eigentlich auch ein bisschen. Ich habe ja auch viele verschiedene Jobs gemacht. Das heißt dann, ja, machst du das auch noch schnell? Und so, okay, macht man halt das. Man hinterfragt es ja nicht. Da denkt man sich, ja, das geht auch noch. Ja, machen wir das. Und es wird halt ein bisschen viel dann am Ende. Ja, es geht kontinuierlich um das Überschreiten von Grenzen, auch zum Beispiel in dieser Avocado-Szene mit dem Vorfall der Avocado. Ja, zum Abschluss jetzt noch eine persönliche Frage. Wie oft beschäftigst du dich mit der Frage, könnte ich jemand anders sein? Das ist eine interessant gute Frage, Danke, noch eine gute Frage. Weil ich bin irgendwie draufgekommen, ich habe jetzt schon ein paar Bücher geschrieben und eigentlich ist das ein Thema, das bei mir immer wieder auftaucht. Und wahrscheinlich beschäftigt mich sehr diese Frage. Und es ist ja wirklich so, wir sind ja dauernd, ich bin jetzt in einer anderen Rolle, als sobald ich da unten bin und mit dem Lädel da Bier trinken gehe, bin ich auch wieder in einer anderen Rolle. Und wenn ich da ankomme, dann gehe ich heim zum Kind, bin der Vater und dann bin ich da seriöser Schriftsteller vor Dings. Es ist ja so, dass wir immer Rollen spielen. Es ist ein Thema, das mich auch sehr interessiert. Ja, dann vielen Dank für die spannenden Einblicke, lieber Florian. Herzlichen Dank auch nochmal an dich, Peter, für das Gespräch und die Lesung. Danke, Herr und Sarah, die so kurzfristig eingesprungen ist als Moderatorin. Wer Lust hat und noch tiefer eintauchen möchte in die Bücher, kann die Bücher hinten erwerben am Büchertisch, der heute von meiner Kollegin Sandra Malitz betreut wird und von der Buchhandlung Fürstlberger kuratiert wurde. Es ist auch so, dass sich die beiden Autoren bereit erklärt haben, die Werke zu signieren. Also ich werde dann auch noch die Chance nutzen und mein Buch signieren lassen. Ich möchte Sie auch noch darauf hinweisen, dass es jetzt im Stifterhaus einen Leseclub gibt, der mit 27.1. startet. Ansprechpartnerin ist ebenfalls meine Kollegin Sandra Maletz. Also es geht darum, dass wir vier Termine jeweils anbieten, zwei dazu, um Bücher auszuwählen und zwei, um eben ins Gespräch zu kommen und über diese Bücher zu diskutieren. Diese Bücher werden so ausgewählt, dass der Autor oder die Autorin dann auch bei uns im Haus zu Gast ist. Also man kann dann auch noch in den Austausch kommen. Wer Interesse hat, Ansprechpartnerin ist meine Kollegin. Ich hoffe, Sie haben den Abend genossen und ich lade Sie auch herzlich ein, uns nächsten Montag um 19.30 Uhr wieder zu besuchen. Dann ist die Gruppe Neue Mundart zu Gast. Hannes Decker, Hans-Dieter Meiringer und Leopold Schöllhuber werden lesen, Engelbert Lasinger übernimmt die Moderation. Ich bedanke mich bei Ihnen und wünsche Ihnen eine angenehme Heimreise.