Guten Abend im Stifterhaus, meine sehr geehrten Damen und Herren. Mein Name ist Stefan Kögelberger. Es freut mich, Sie so zahlreich begrüßen zu dürfen. Das bislang umfangreichste Buch, das unser heutiger Gast präsentiert hat, umfasste 288 Seiten. Es war ein Erzählband, der mit Die Bar im Freien aus der Unwahrscheinlichkeit der Welt betitelt war und 2012 bei Deutige erschienen ist. Rund 120 kurze Erzählungen fanden sich darin. Die Romane unseres Gastes, mit denen sie in den letzten Jahren eine sehr große Leserinnenschaft gefunden und auch den letzten, man kann so sagen, böswilligen Literaturkritiker überzeugt hat, waren eher schmale Bände. Ich erinnere an die familienbiografische Trilogie Die Bagage, 2020, 160 Seiten, Fatih, 2021, 176 Seiten und Löwenherz 2022.192 Seiten. Wir sehen, sie braucht nicht viele Worte, um das zu sagen, was von Belang ist. Ihr jüngstes Buch trägt nun den Titel Wie die Welt weiterging und ist im Oktober des Vorjahres im Hansa Verlag erschienen. Der Untertitel Geschichten für jeden Tag verrät bereits, dass wir es mit einem Erzählband zu tun haben. Für unseren Gast vollkommen untypisch umfasst dieser Erzählband stattliche 757 Seiten. Es sind aber auch 365 Erzählungen. Und die Autorin ist gewissermaßen so geduldig, dass sie uns ein ganzes Jahr lang Zeit gibt. Das ist sehr freundlich und es ist sehr nachsichtig und verständnisvoll. Und das ist meines Erachtens, ich habe das bereits in der Vergangenheit betont, das Besondere an ihrer Literatur, dieses Verständnis für den Menschen an sich, für seine Schwächen und seine Unvollkommenheit. Ein Verständnis, das dem Urteilen überlegen ist. Ein Verständnis, das zur Zärtlichkeit im Umgang mit allen Figuren führt, selbst mit denjenigen, die uns vordergründig zuerst abstoßen. In einer Erzählung des heute vorzustellenden Buches, die den Titel Das staubige Klavier trägt, schreibt ein Sohn einen Brief an seine Eltern. Und er schreibt, was mit die Quintessenz dieses Verständnisses für alles Menschliche bei unserem heutigen Gast zu sein scheint. Zitat, ich weiß, und ihr wisst das auch, dass ich keinen anderen Menschen aus mir herausschneiden kann, aber trotzdem will ich das Beste versuchen. Zitat Ende. Mit ihrer Literatur lernt man über sich selbst und über seine Mitmenschen und vielleicht ist die hauptsächliche Lektion, so scheint es mir zumindest, jene, anderen gegenüber Nachsicht walten zu lassen. Bitte begrüßen Sie mit mir Monika Helfer im Stifterhaus. Schön, dass du da bist, Monika. Applaus Sie wurde vielfach mit Preisen bedacht, ich möchte nur einige wenige nennen. Den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur 1997, den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2003 und 2011, den Solothurner Literaturpreis 2020, den Schubert Literaturpreis 2021 und zuletzt den Mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus 2024. und zuletzt den Mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus 2024. Zudem wurden ihre Werke mehrmals für den österreichischen und deutschen Literaturpreis nominiert. Die Moderation des heutigen Abends wird Günter Keindlsdorfer übernehmen. Ich darf auch ihn ganz herzlich im Stifterhaus begrüßen. Schön, dass du wieder bei uns bist, Günter. Herzlich willkommen. Willkommen. Günther Keindlsdorfer wurde 1963 in Bad Ischl geboren und wuchs in Wels auf. Seit vielen Jahren ist er jedoch in Wien beheimatet und für verschiedene Fernseh- und Radioanstalten im deutschsprachigen Raum tätig. Der vielseitige Journalist und Literaturkritiker, der unter dem Pseudonym Günter Wels auch als Schriftsteller in Erscheinung tritt, ist außerdem seit 2011 Programmdirektor von Österreichs größter Buchmesse, der Buch Wien. Er wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, beispielsweise 2019 mit dem Elfriede-Grünberg-Preis, der Verdienste gegen Faschismus und Nationalsozialismus ehrt. der Verdienste gegen Faschismus und Nationalsozialismus ehrt. 2023 wurde er von Kolleginnen und Kollegen zum Journalisten des Jahres im Bereich Kulturjournalismus gewählt. Ich wünsche uns einen unterhaltsamen und anregenden Abend mit Günter Keindlstorfer und Monika Helfer und darf die beiden auf die Bühne bitten. Vielen Dank, Stefan. Ja, können Sie uns hören? Es ist heute, glaube ich, ein einmaliges technisches Experiment im Stifterhaus. Erstmals treten hier... Also ich freue mich, dass Sie alle da sind. Ja, ich auch. Wir machen noch einmal einen Soundcheck. Das Experiment ist erstmals heute mit Headset. Sind wir hinten gut zu verstehen? Wunderbar. Also, legen wir los. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Stefan hat es schon angedeutet, es braucht nicht immer 300, 400, 500 Seiten, damit man in interessante, spannende, intensive Lesewelten eintauchen kann. Mitunter tun es auch eineinhalb Seiten. Wenn Sie es nicht glauben, dann lege ich Ihnen das neue Buch von Monika Helfer ans Herz. Genau das wird in diesem Buch demonstriert, dass es, zumindest was den Umfang betrifft, oft gar nicht viel braucht, um wirklich existenzielle, spannende Geschichten zu erzählen. Monika Helfer, dieser Band versammelt, wir haben es schon gehört, 365 kurze Erzählungen, die alle ungefähr eineinhalb Seiten umfassen. Was hat es mit diesen Geschichten auf sich? Einige, lese ich, sind ja entstanden, weil sie eine Kolumne in den Vorarlberger Nachrichten haben. Wie verhält sich das? Ja, ich schaue die Leute an und dann fällt mir eine Geschichte ein. Und ich finde es sehr spannend, einen Charakter in den kurzen Seiten aufzuzeichnen. Also muss ich mich sehr konzentrieren und das macht mir Freude. Sie sagen so einfach, ich schaue mir Leute an. Wo machen Sie das? Im Eiskaffee? Im Zug? Überall. Im Zug, ja. Überall. Leute sind ja überall. Und wie muss man sich das vorstellen? Da sitzen Sie unauffällig und haben große Ohren und machen sich vielleicht ein bisschen Notizen. Nein, das habe ich dann im Kopf. Ich muss immer aufpassen, dass ich die Leute nicht anstarre. Aber ich finde Menschen unglaublich spannend und jeder ist spannend. Und jeder hat eine Geschichte. Das finde ich wirklich aufregend. Manchmal erzählt einer ein paar Sätze und dann mache ich daraus eine Geschichte. Also ich stelle mir das jetzt so vor, Sie fahren mit dem Zug von Hohenems nach Innsbruck, dann hören Sie dort was und merken es sich. Und in Innsbruck dann im Kaffeehaus oder im Hotel, schreiben Sie es nieder. Und so sind auch einige dieser Geschichten entstanden. Und was hat es mit der Kolumne in den Vorarlberger Nachrichten auf sich? Ja, die wollten eigentlich eine politische Kolumne. Und ich habe gesagt, es gibt so viele politische Kolumnen, wenn, dann würde ich eine kleine Geschichte schreiben, wenn sie das möchten. Und dann haben sie gesagt, ja, ich soll es probieren. Und die Leute mögen es auch. Jetzt gebe ich zu, ich bin ein intensiver Zeitungsleser, aber die Vorarlberger Nachrichten stehen jetzt im Moment noch nicht auf meinem täglichen Reset-Pensum. Das ist jetzt auch nicht die Zeitung. Obwohl ich gehört habe, dass Christian Reiner, der langjährige Profil herausgegeben ist, der Kolumnist ist. Ja, die Spezialität dieser Zeitung sind die vielen Kolumnen, die sie haben. Das ist auch ganz interessant, Gaskommentare zu verschiedenen Themen. Und das macht die Zeitung schon die vielen Kolumnen, die sie haben. Das ist auch ganz interessant, Gastkommentare zu verschiedenen Themen und das macht die Zeitung schon interessanter. Und wie oft erscheinen Ihre Geschichten? Einmal in der Woche. Einmal in der Woche, aber schon durchschnittlich, regelmäßig. Und wenn ich das noch fragen darf, ich komme ja auch aus dem Zeitungswesen, man muss sich ja da an ganz klare Längenvorgaben halten. Man kann zwar, ich weiß nicht, wie viele Zeitungszeichen das sind. 2500 ungefähr. Dann kann man noch ein bisschen schwindeln, komprimieren und es gehen 2700 rein. Aber es gibt sozusagen eine ganz klare Längenbegrenzung. Man soll es nicht über drei, soll es nicht sein. Und ist das für Sie mehr Fluch oder mehr Segen? Segen. Weil? Ich finde es einfach gut, wenn ich kurz sein kann. Das zwingt Sie auch ein bisschen dazu. Ja, genau. Okay. Und wir haben uns Folgendes überlegt. Monika Helfer wird insgesamt zwölf dieser kurzen Geschichten vorlesen, wird uns aber ein bisschen portionieren, weil schon jede einzelne ist durchaus auch in sich, hat Org, sogar die eine oder andere Schicht ist richtig Org, wie man sagt. Wir haben es auf drei Blöcke aufgeteilt und ich würde vorschlagen, Monika Helfer, dass Sie uns einmal schon die ersten vier Texte vorlesen. Und wir werden dazwischen immer ein bisschen über das Gelesene dann planen. Also gut. Ich muss heute einmal Wasser. Zum Beispiel gleich in der ersten Geschichte ist es ein bisschen verrucht. Ja, schon. Erotischer Verstand. Ein Mann in den mittleren Jahren sagte zu seiner Frau, die er seit Längerem kannte, er würde nichts lieber tun, als mit ihr ins Bett zu gehen, weil sie so einen erotischen Verstand habe. Die Frau erschrak und dachte, das sagt er, weil mein Aussehen nichts hergibt. Mein Mund ist zu schmal, meine Augen zu eng. Wie sonst könnte man einen Verstand erotisch finden? Sie schaut ihn befremdlich an, aber er lässt nicht locker und weil sie miteinander unter der Decke lagen, forderte er sie auf, mit ihm ein Sprechtuell zu veranstalten. Das hieß, er würde etwas sagen und gleich würde sie einstimmen, eine kluge Antwort geben und in der Antwort gleich eine Frage einschließen, die ihn anspornen sollte. Was ist die Bürde deines Lebens, wenn es nicht Geld ist und wenn es nicht Krankheit ist? Es ist aber Geld, sagte der Mann und streichelte dabei ihre Hüften, die eckig waren. Eigentlich ist es die Beschaffung von Geld, das Geldverdienen Und habe ich nicht genug davon, werde ich krank Liegt es daran, dass du eine Familie hast, von der du mir natürlich nichts erzählen musst Aber die dich einsprach, Geld zu verdienen Wie war, sagte der Mann und rieb es eine Fussel an den Nieren Wie war, hätte ich meine Frau nicht und hätte ich meine Kinder nicht Könnte ich ein freies Leben führen. Wieso hast du dich entschieden, unfrei zu sein, fragte die Frau, wo du doch hättest wissen können, dass Geld bei mehreren Personen ein Problem werden kann. Du hast so liebe kleine Füße, weißt du das, sagte der Mann. Und hat eine Frau große Füße? Zu große, sagte der Mann, so große, dass sie meine schwarze Lackschuhe tragen kann und sie trägt sie auch, wenn ich sie nicht trage, was mich ärgert. Man kann seiner angeheirateten Frau nicht verbieten, familiäre Sachen zu tragen. Damit musst du dich abfinden. Ich überlege mir allen Ernstes, sagte der Mann, sie zu verlassen. Die Kinder sind beinahe erwachsen und haben ihre eigenen Gedanken. Und, fragte sie, hat deine Frau nicht auch eigene Gedanken? Selbstsüchtige Gedanken, sagte der Mann, das sind nicht wirklich eigene Gedanken, weil sie nämlich einen Zweiten beschädigen. Sprichst du von den wirklichen Jun, fragte die Frau und sie schmiegte sich an seine warme Schulter, oder sprichst du von Jun im übertragenen Sinn? Ich rede von meinem Kummer, der mich mühebe macht und dem ich gerne auskommen möchte. Wie sollte das gehen, fragte die Frau. Hast du eine Idee? möchte. Wie sollte das gehen, fragte die Frau. Hast du eine Idee? Die Idee bist du, sagte der Mann. Die Idee wärst du, solltest du damit einverstanden sein. Dann küssen sie sich und es wurde draußen schon hell. Wo war jetzt das? Seite 276. 266. Danke, danke. Danke. Die moralische Verpflichtung. Ein Mann verließ sein Schlafzimmer durch das offene Fenster. Ein Mann verließ sein Schlafzimmer durch das offene Fenster, ja schwebte eine Weile im Freien in der Höhe des zweiten Stockwerks und kehrte dann wieder ins Zimmer zurück. Langsam, lautlos, seine Frau saß auf der Bettkante und zückte sich in den Arm. Da schien ihr eine angemessene Reaktion. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie einfach nur geschrien. Aber es ging nicht nur nach ihr. Nicht in so einem Fall. Bei etwas ganz sogar Unmöglichem, so glaubte sie sich zu erinnern, zückte man sich in den Arm. Endlich einmal handelte sie nach einer Redensart. Ihr Mann schwebte waagerecht mit dem Kopf voran durch das Fenster herein. Sein Körper war ganz steif und er lächelte. Mach das bitte noch einmal, sagte die Frau leise. Ich kann es nämlich nicht glauben und halte es für etwas ganz und gar Unmögliches. Das wundert mich nicht, sagte der Mann. Ich konnte es zuerst auch nicht glauben. Können das andere auch, fragte die Frau. Nicht, dass ich wüsste, sagte der Mann. Das kann also nur du. Es scheint so. Endlich, sagte der Mann. Das kannst also nur du. Es scheint so. Endlich, sagte die Frau. Und sie sagte es ohne Bitterkeit, ohne Sarkasmus oder gerade Zynismus. Sie sagte es voll Bewunderung. Endlich kannst etwas nur du. Und sie wollte, dass ich es noch einmal zeige. Da schwebte der Mann zum zweiten Mal zum Fenster hinaus, blieb draußen auf Sichtweise in der Luft stehen. Es war Nacht und hätte er sich auch nur einen Meter in Richtung des Stadtparks weiter bewegt, die Dunkelheit hätte ihn verschluckt. Er lächelte seiner Frau zu. Erst vor kurzem war er von einer Reise in den Orient zurückgekommen. Über einen Monat war er geblieben. Er hatte einen unbezahlten Fortbildungsurlaub genommen, war aber der Meinung gewesen, ein Kurs in den vier Wänden irgendeines Instituts könne ihm nicht helfen. Helfen könne ihm nur das Vorbild des Lebens. Im Orient, mehrere geografische Angaben macht er nicht, habe er sich eine übernatürliche Fähigkeit durch intensives Meditieren angeeignet. Eine asketisch-psychologische Technik nannte er es. Eine eigentlich unaussprechliche Leistung. Nur mit seiner Frau sprach er darüber. Sie schubt vor, er solle dieses Schauspiel in Anwesenheit von Freunden wiederholen. Bei sich dachte sie nämlich, es kann nicht sein, es ist ganz und gar unmöglich, also braucht es Zeugen. Sonst ist es wahrscheinlicher, dass ich verrückt bin. Die Sorge um sich selbst geht vor, wenn er tatsächlich schweben kann, wie Jesus, halt eben waagerecht und nicht aufrecht, wie dieser über den See Genesaret. Und dann gibt es keinen Grund zur Sorge, dann kann er es halt. Und ich bin die Frau eines außergewöhnlichen Mannes. Daran wäre nichts, was einem Sorgen bereiten müsste. Das wollte der Mann aber nicht, seine Kunst vor anderen präsentieren wollte er nicht, nur für sie allein wollte er es tun, nur für seine Frau. Sag es keinem, bat er, wenn du willst, mache ich es jeden Abend vor dem Einschlafen, aber nur für dich, nur du sollst es sehen. Besteht nicht eine Verpflichtung der Welt zu zeigen, was man kann? fragte sie. Was für eine Verpflichtung? fragte er zurück. Eine moralische zum Beispiel, sagte sie. Die Frau konnte die Geschichte nicht für sich behalten, das ist verständlich. Und sie erzählte es ihrer Schwester davon und die Schwester erzählte es ihrem Mann. Auch das ist verständlich, finde ich. Die Frau kam in Bedrängnis, weil ihr weder Schwester noch Schwager glaubten. Und so leistete sie einen Jura für ihr Leben, dass die Geschichte wahr sei. Aber trotzdem glaubte man ihr nicht. Die Frau dachte, wenn er es nicht kann, mein Mann und ich, mir alles nur ein Wille, dann bin ich nachweislich verrückt. Dann wird mich niemand für den geleisteten Schwur zur Verantwortung ziehen. Sie sagte zu ihrem Mann, du machst mich unglücklich, weißt du das? Warum mache ich dich unglücklich, fragte er, weil ich nicht glauben kann, was ganz und gar unmöglich ist. Wenn ich es dir aber jeden Abend vorführe, wirst du dich daran gewöhnen, sagte er. An so etwas kann ich mich nicht gewöhnen, rief sie. Siehst du das nicht ein? Sie bat ihren Mann, wenigstens ihre Schwester als Zeugin einladen zu dürfen. So lange bat sie, bis er einwilligte. Ich verstehe dich ja, sagte er. Du glaubst, du könntest verrückt sein. Danke, sagte sie und schmiede sich an ihn und dachte, ich habe einen Mann, der a. Verständnis hat und b. imstande ist, etwas ganz und gar Unmögliches zu leisten. Die Schwester brachte ihren Mann mit, das war nicht so vereinbart. Der Schwager sollte im Wohnzimmer warten, er sollte nicht Zeuge sein, das gehe vor, es nur die unmittelbare Familie etwas an. Die Frau hatte ihr bestes Kleid angezogen, sie fühlte sich erhaben und ihr Mann war ebenfalls fein gekleidet. Zu schwer allerdings durfte seine Kleidung nicht wiegen, deshalb trug er nur seinen Seidenmorgenmantel mit den aufgestickten Kreuzen. Die Schwestern saßen auf der Bettkante und flüsterten miteinander. Der Mann verlangte Stillschweigen. Er öffnete das Fenster, sprang hinaus und die beiden hörten, wie er auf den Steinplatten aufschlug. rannte die Treppen hinauf und fand den Mann tot. Einen Meter von ihm entfernt lag seine Perücke. Der Schwager hatte gar nicht gewusst, dass er ein Glatzkopf gewesen war. Du bist schuld, weinte die Frau und machte der Schwester Vorwürfe. Wenn du mich nicht gezwungen hättest, würde mein lieber Mann noch leben. Was ist mit der Frau weiter geschehen? Sie hat sich gefasst und wieder geheiratet und wieder einen merkwürdigen Menschen, der könne angeblich mit Tieren sprechen. Iron Man Der Mann, den ich Iron Man nenne, hat schweres Töch gemacht. Er wachte auf und konnte sich nicht bewegen. Seine linke Seite fühlte sich taubern. Er holte sich aus dem Bett und griff nach dem Telefonbuch. Nervenarzt, dachte er sich, wird der Richtige sein. Er ließ sich einen Termin geben. In zwei Wochen, dachte er sich, wird der Richtige sein. Er ließ sich einen Termin geben. In zwei Wochen, sagte die Sprechstundenhilfe. Das geht nicht, sagte er. Ich brauche sofort einen Termin. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Er schleppte sich in die Garage, zu seinem Auto und fuhr zum Nervenarzt. Vor halbem Liegengrad, dass er durch die Windschutzscheibe sehen konnte. Wie ich das geschafft habe, frage nicht, aber es ging. Der Mensch ist zäh und kann unmenschlich viel aushalten. So gesehen ist der Mensch ein Unmensch. Oberer Halswirbel stellte der Nervenarzt fest und bohrte mit langen, dünnen Nadeln in den linken Arm des eisernen Mannes in entspanntem und angespanntem Zustand. Frag nicht, sagte Iron Man, wie das zum Beispiel eine kleine Frau aushalten könnte. Frage nicht, er schließlich war groß und stattlich. Nach dieser Folter ging es ihm besser, halbwegs. Er konnte nicht schlafen und ging in die Wohnung. Er wollte sich ausruhen, legte sich ins Bett, nickte kurz ein und dachte, er habe stundenlang geschlafen. Es war im Dezember und knapp vor Weihnachten. Iron Man hatte keine Frau. Er hatte Frauen gehabt, er hatte vier Kinder. Für die hat er zu bezahlen. Er wollte keine fixe Frau mehr haben. Er bekam hohes Fieber und schwitzte das Bett durch. Wenn ich gesund bin, werde ich das alles entsorgen, dachte er. Die Wäsche samt dem Bett. Er schleppte sich zum Arzt und der diagnostizierte Lungenentzündung und wollte ihn ins Krankenhaus einlassen. Aramain ging nicht ins Krankenhaus. Er besorgte sich in der Apotheke Medikamente und legte sich auf das frisch überzogene Sofa. Einen Tag vor Weihnachten rief seine Schwester an. Sie wollte ihn für den Heiligen Abend einladen. Iron Man hasste Familienfeier und ließ sich für diese Nacht ins Spital einweisen. Am nächsten Tag marschierte er auf eigene Gefahr aus dem Spital und legte sich zu Hause wieder in das Klammerbett. Das Sofa war noch klammer. Die Medikamente senkten sein Fieber, aber der Körper schmerzte. An Silvester zog er sich über den Pyjama den Wintermantel an und gönnte sich aus seiner Spiritusensammlung den besten Champagner. Der wäre dafür bestimmt gewesen, falls doch eine Frau. Er trank die Flasche in großer Eile, war aber leider nicht betrunken. Er war schließlich ein starker Mann und aus Trinken gewohnt. Er zog seine Hose an und stieg barfuß in die Winterstiefel. Er wollte ein Lokal aufsuchen und sich betrinken, fand aber keines, das geöffnet hatte, und merkte schon, dass ihn die Schwäche niederdrückte. Er schaffte es bis nach Hause und wartete die Genesung ab. Nach zwei Wochen fühlte er sich halbwegs wie ein Mensch und schwor sich, nächstes Jahr ich, dieselbe Zeit ich, in ein warmes Land fliegen und erst wieder zurückkommen, wenn alles vorbei ist. Ich bin der Eisenmann. Der Mann im Wohnmobil Es war da ein Mann in abgetragenen Hosen und einem alten Parka, der saß in seinem Wohnmobil und dachte, gleich werde ich mir Fiaja braten und sie dann mit Weißbrot essen. Zu trinken hatte gerade noch ein Bier. Das würde nicht reichen. Also dachte der Mann, jetzt gehe ich Bier einkaufen und dann esse ich die Eier. Einkaufen aber wo? Es war in einem Gebiet, das er nicht kannte, an der kanadischen Grenze, irgendwo. Man hatte ihn vor Bären gewandt. Er würde zu Fuß gehen, das Wohnmobil absperren. Lange ging er, sah Licht und ging dem Licht nach über eine Wiese. Da merkte er, dass der Boden weich wurde. Sumpf. Er hörte Geschrei. Hilfe, Hilfe. Ein Wohnmobil stand zehn Meter entfernt. Es war im Sumpf stecken geblieben. Hilfe, rief die Frau, die mit einem Fuß im Sumpf steckte. Der Mann rief zurück in seinem gebrochenen Englisch, warten Sie, ich komme mit meinem Wohnmobil und ziehe Sie heraus. Ich habe alles, was man dazu braucht. Er war stolz, dass er immer alles hatte. Auf dem Rückweg beeilte er sich. Er hatte seinen Hunger vergessen, startete sein Wohnmobil und fuhr zur Stelle, wo Hilfe gebraucht wurde. Er holte sein Abschleppseil und warf es der Frau zu. Eine andere Frau saß am Steuer. Er befestigte das Ende des Seils an einem Haken unter der Stoßstange. Die Frau tat dasselbe mit dem anderen Ende. Der Mann fuhr vorsichtig, bis das Seil sich spannte. Er legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung schleifen. Ganz vorsichtig, ganz vorsichtig. Es war gelungen. Als beide Wohnmobile auf der trockenen Straße standen, ging der Mann aus seinem Gefährt und ging zu den Frauen. Sie waren bewaffnet. Jetzt, wo ich ihnen geholfen habe, wollen sie mich erschießen, rief der Mann in Schulenglisch und lachte. Also zwei Frauen, eine ältere, eine jüngere. Die ältere gefiel ihm besser, sie war drall und das mochte er. Zwei Amerikanerinnen. Sie trugen beide lange Röcke mit Stiefeln und Fransenjacken und perlenbestickte Stirnbänder. Der Mann war nervös und versuchte seine lässige Tour. Er probierte alle Späße durch, die er kannte und erzählte seinen besten Witz. Zwei Männer beschließen, Hitler zu ermorden. Wer ist Hitler, unterbrach ihn die jüngere Frau. Blamier mich nicht, sagte die ältere Frau. Lass ihn erzählen. Also warum sagt mir keiner, wer Hitler ist, sagte die jüngere. Hitler war ein Massenmörder, sagte der Mann. Also lebt er nicht mehr, sagte die Jüngere. Lass ihn den Witz erzählen, sagte die Ältere. Der Mann fürchtete um seine Pointe. Wenn die eine so blöd war und nicht einmal Hitler kannte, was sollte er da weiter erzählen? Also sagte er, die Attentäter warsten mit geladenen Pistolen auf Hitler und er kam nicht. Er kam einfach nicht. Da sagte der eine Attentäter zu dem anderen, es wird ihm doch hoffentlich nichts passiert sein. Der Witz ist fertig, sagte der Mann, weil die Frauen nicht lachten. Wollen Sie einen Whisky, sagte die Ältere, wir müssen auf unseren Retter anstoßen. Vielleicht will er etwas, sagte die Jüngere. Was soll ich wollen, sagte der Mann, mit dir rede ich nicht, sagte die Jüngere. Ich habe auch dich gerettet, sagt du etwas, wandte er sich an die Ältere, die eh nur die ganze Zeit geschaut hatte. Vielleicht willst du ja wirklich etwas, sagte die Ältere. Jeder will etwas, sagte der Mann. Was willst du zum Beispiel? Was willst du zum Beispiel? Dich könnte ich wollen. Und? Verschwinde, sagte die Jüngere. Da drehte sich der Mann um, setzte sich in sein Wohnmobil und fuhr ab und hielt noch ein paar Meilen an und bret sich zwei Spiegeleier und trank ein Bier. Für Whisky war da ihm der Tag noch zu jung. Monika Helfer, jetzt habe ich doch die Hoffnung, dass Sie mir und uns ein bisschen Einblick in Ihre Werkstatt gewähren, wenn wir uns diese letzte Geschichte anschauen. Sie spielt offenbar in Kanada oder in Nordamerika und die Geschichte ist so schräg, dass man sich, habe ich gedacht, so etwas kann man sich doch nicht ausdenken. Ja, Teile davon hat man mir erzählt, das stimmt. Es war ein Mann in einem Wohnmobil, der hat zwei Frauen im Sumpf getroffen. Das war die Information, die ich hatte. Also lustige Gesellschaft, einer kommt zurück aus einer Kanada-Reise und erzählt diese Geschichte. Und dann macht es bei Ihnen schon klingt. Und dann habe ich mir gedacht, wie macht er das? Er hätte ja Interesse an den Frauen, aber eine ist ihm zu dumm, die andere will er doch nicht. Und dann habe ich mir gedacht, ich versuche eine Geschichte, so in der Art. Ich fand sie großartig. Und dann würde ich gerne noch zur ersten Geschichte mit dem erotischen Verstand, auf das würde ich gerne noch zu sprechen kommen. Sie sind ja mit allen Wassern gewaschen als Schriftstellerin. Dieses offene Ende. Also er offenbart sich, also er macht der Frau ein Angebot und dann schreiben sie zwei Sätze, dann küssen sie sich und draußen wird es hell. Ja, da kann sich jeder... Und man geht zwei zusammen. Wenn sie wollen. Wissen Sie den Ausgang der Geschichte? Also natürlich offenes Ende, funktioniert immer gut, ist super, tut uns zum Denken an, Regen und zum Nachhallen. Nein, ich glaube eigentlich nicht, dass es funktioniert, weil der wird nicht von seiner Frau weggehen. Und diese Geschichte, muss ich sagen, da war ich dann im Lokal und habe Männern zugehört, die von Frauen geredet haben, die erotische Geschichten erzählen können. Und das würden sie interessant finden, aber die meisten Frauen seien ja dumm. Und dann habe ich mir gedacht, ich möchte so eine Geschichte schreiben. Aber es ist ja jeder Ausgang denkbar. Ja, jeder. Sie gehen eher davon aus, dass die nicht zusammenkommen. Ja, weil die meisten Männer doch bei ihren Frauen bleiben. Ja, das sagt man so, ja. Es wird auch gut sein, oder? Ja, absolut. Aber es ist auch denkbar, dass es was wird. Sie lassen es offen. Ich habe mir dann gedacht, man wird dann auch so zum Spintisieren angeregt, ich habe mir dann gedacht, es sind verschiedene Ausgänge möglich, es kann auch sein, dass die Affäre ein Jahr weitergeht und dann endet. Das ist eigentlich der wahrscheinlichste Ausgang. Ja, glaube ich auch. Aber dann habe mir ich gedacht, vielleicht gibt es irgendwo eine imaginäre Welt, in der alle möglichen Ausgänge spielen und ein Eigenleben weiterführen. Eine schöne Idee. Eine schöne Idee, oder? Also eine imaginäre Welt möglicher Geschichten enden. Sehr schön. Vielleicht eine Romanidee. Ja. Ich schenke es Ihnen. Wir müssen auch aufpassen heute Abend oder uns geschmeidig tun. Das ist eine super Idee. Wir müssen auch aufpassen heute Abend oder uns geschmeidig tun. So beide. Vielleicht beobachten Sie uns auch heute beim Signieren noch und lassen sich auch hier anregen und kriegen noch drei, vier Geschichten geschenkt. Wäre eh in Ihrem Sinn. Ja, absolut. Reden wir noch über die, wie man es lesen kann oder soll, dieses Buch. Ich habe gehört, in dem Band sind 365 Geschichten versammelt. Es gibt aber noch viel, viel mehr. Ja, ich hätte noch viel mehr. Es ist einfach so, ich meine, ich schreibe einfach gerne so kurze Geschichten und dann muss man auswählen. Es sind ja nicht alle gut. Nein, das kann man nicht sagen. Und dann, was ich jetzt gut finde, auch nicht jeden Tag das Gleiche. Und dann suche ich jetzt gut finde, auch nicht jeden Tag das Gleiche, dann suche ich so viele aus und dann wird es ein Buch. Aber es gibt insgesamt um die tausend. Ja, gibt es sicher. Und Sie schreiben die auch, wenn Sie nicht nächsten, wann ist die Abgabe bei den Vorarlberger Nachrichten? Mittwoch. Mittwoch. Sie schreiben auch, wenn Sie nichts abgeben müssen. Weil es Ihnen ein Bedürfnis ist, Freude macht. Weil es mir Spaß macht, ja, Freude macht. Und ich frage einfach so, ist das schwer? Also für mich ist es nicht schwer, nein. Es fällt mir leicht und darum denke ich, manchmal ist doch nicht alles gut, wenn es mir so leicht fällt. Wie lange brauchen Sie für so einen Text? 20 Minuten. Wirklich? Das hätte ich nicht geglaubt. Halt so schnell ich schreibe. Nein, ich schreibe im Computer. Und wie viele Überarbeitungsgänge gibt es dann noch? Also wenn ich ehrlich bin, fast nichts. Neulich war Kollege Dirk Steermann, wo er Radiosendung, wo er so Ähnliches behauptet hat, seine Romane, schreibt er einfach schnell einmal so runter, angeblich schaut er es gar nicht mehr an, gibt es dann gleich dem Lektorat und die machen den Rest. Was für Erfahrungen haben Sie mit, ist es ein bundesdeutsches Lektorat oder wie funktioniert da die Zusammenarbeit? Ja, also bei dem Buch ist fast überhaupt nicht lektoriert worden, weil die Geschichten sind so kurz und die haben die gelesen und haben gesagt, die lassen wir so. Das ist bei einem Roman ganz anders. Ich würde nie einen unlektorierten Roman abgeben. Da ist einfach die Gefahr, dass die Handlung irgendwie schiefläuft oder dass etwas falsch ist. Aber da kann man nichts falsch machen in zwei Seiten. Und die Geschichten funktionieren, finde ich, ja auch genau durch diese Beiläufigkeit. Man spürt kein großes Kunstwollen. Und genau deshalb, so ist es mir gegangen, finde ich, zünden die so gut. Ja, man hat schon manchmal eine Idee und denkt mal, bei der zweiten Geschichte habe ich so einen Mann kennengelernt, der so unglaublich von sich eingenommen war. Und dann habe ich mir gedacht, wenn ich dem eine Geschichte widmen würde, und dann ist es die geworden, der eine, der so übersinnliche sich denkt, dass er alles kann halt. Dann lassen Sie ihn zerschellen am Straßenpflaster, Ihre kleinen Rachen. Dann würde ich vorschlagen, kommen wir zum Mittenteil. Vier weitere Geschichten. Die Treppe heißt die erste. Die Treppe. Eleonore erzählte mir vom schlimmsten Tag. Bis dahin hatte sie gedacht, das Leben gehöre ihr. Ich war ein Mädchen, immer zu Späßen aufgelegt. Ich ging noch in die Schule und kam ich abends nach Hause, wartete meine Mama mit Innigkeit. Am Tisch wollten sie alle, meine Eltern, meine drei Brüder, dass ich ihnen erzähle. Sie wussten, ich würde Kleines groß machen, übertreiben, was unbedeutend war. Nie war mir und meiner Familie Schlimmes geschehen. So dachten wir, ist es uns gegeben. Zu meinem Studium fuhr ich in die Großstadt. Da musste ich schon Abstriche machen. Ich war nicht mehr wichtig. Es gab einfach zu viele Leute. Ich mühte mich mit meinem Studium ab, hatte wenig Freunde, was mich zweifeln ließ. Die Männer nahmen mich kaum wahr, obwohl man mir immer geheißen hat, ich wäre eine Schönheit, feurige Augen. Solche gab es viele. Ich war zu dick. Zu Hause war immer meine Figur gelobt worden. So oft es ging, fuhr ich zu meinen Eltern. Sie fanden mich sehr schlecht aus. Hätte abgenommen und sei so blass, ob ich zu meinen Eltern. Sie fanden, ich sähe schlecht aus, hätte abgenommen und sei so blass. Ob ich denn nichts esse? Es stimmte, ich schränkte mich ein, so gut ich es aushielt, hatte schon etliches an Gewicht verloren. Eine Kollegin zeigte mir, wie man sich vorteilhaft schminkt. Ich sah in den Spiegel und war mir fremd. Einmal am Bahnhof, ich kam gerade von meinem Heimerdorf, war bepackt mit Essen, alles in meinem Koffer. Redete mich ein Mann an, der würde mir gern helfen. Der Koffer sei zu schwer für mich. Er sah mich freundlich an und mir wurde ganz heiß. Ich erlaubte ihm seine Begleitung. Wir gingen zügig zum Stadthaus, in dem ich eine kleine Wohnung hatte. An der Haustür bedankte ich mich. Er aber sagte, hier sieht es aus, als gäbe es keinen Lift. Er hatte recht. Das Haus war über 100 Jahre alt. Ich wohnte im fünften Stock und musste zu Fuß die vielen Stufen hinauf. Er ging hinauf, die Treppen mit mir und meinem Koffer. Wieder bedankte ich mich vor der Tür. Er stellte den Koffer ab und saß ich um. Er fand es hübsch, die Fenster mit Blick auf den Dom. Ich reichte ihm meine heiße Hand. Da zog er mich an sich und ließ mich nicht mehr los. Ich schwitzte. Ich dachte, ich rieche nach Schweiß. So schämte ich mich. Erst dann fuhr die Angst in mich. Er warf mich aufs Bett, zerrte mich an den Herrn. Ich wehrte mich. Der Mann war nicht schwer und so gelang es mir, ihn vom Bett zu werfen. Ich rannte in ihn hinein, wie wir es als Kinder zum Spaß gemacht hatten. Verloren hatte, wer umgestoßen worden war. Es gelang mir, ihn vor die Tür zu treiben. Die Treppe war sehr steil und mir ist es heute noch ein Rätsel, wie es mir beschieden war, in ihn unterzustoßen. Ich hörte, wie er aufschlug. Mir trug das Herz. Ich habe es nicht geschafft, nach unten zu gehen. Ich hörte nichts, schloss die Tür ab, setzte mich aufs Bett und so blieb ich drei Tage. Was war mit dem Mann geschehen? War er tot? Nie habe ich es erfahren. Immer wieder bilde ich mir ein. Ich sehe ein Gesicht und es ist das dieses Mannes. Das Feuer. Sie konnten sich an keinen Streit ihrer Eltern erinnern. Die alte Frau rauchte seit ihrem 17. Lebensjahr Kette, ihr Mann eventuell nach dem Essen. Er wünschte sich innerlich, seine Frau möge aufhören, aber sie schaffte es nicht. Einmal hat er schüchtern gefragt, ob es eine Überlebung wert wäre, von den Zigaretten zu lassen, wegen der Gesundheit. Gleichzeitig wusste er, dass sie es nicht konnte. So ließ er es ihm. Selten war der Professor außer Haus. Seine Frau liebte es zu nähen, obwohl sie es nicht besonders gut konnte. Ihr Gefühl ist, wenn die Stoffe bei jedem Stich über ihre Knie rutschten. Sie nähte nur von Hand mit der rechten. In der linken hielt sie eine Zigarette. Ihr Nähzimmer war zugenebelt, denn sie hatte es nicht gern, wenn das Fenster offen stand. An dem unglücklichen Tag ließ sie wieder nähen und rauchen in ihrem Zimmer. Da hörte sie das Telefon läuten. Die Schranktür stand offen und sie stopfte den Stoff hinein und lief die Treppen hinunter. Es war ihr Mann, der mitteilte, er käme heute etwas später. Er habe einen Freund getroffen. Als die Frau in ihr Nähzimmer zurückkam, sah sie, dass es aus dem Schrank rauchte. Sie hatte aus Versehen ihre Zigarette mit dem Stoff in den Schrank gestopft. Sie holte den Bettvorleger und warf ihn in das Feuer, aber da brannte es nur umso mehr, weil wahrscheinlich Synthetik dabei war. Sie rief die Feuerwehr und wartete am Fenster. Lange kam sie nicht, sodass sie ein zweites Mal telefonierte. Im Netzimmer brannte das Licht erloben. Vor der Feuerwehr kam die Polizei, die den Rauch gemeldet bekommen hatte. Gleichzeitig fuhr das Taxi mit ihrem Mann vor. Er wusste es sofort. Seine Frau saß zitternd vor den Stufen des Hauses. Der Mann nahm sie an seine Schulter und gemeinsam schauten sie auf den brennenden Dachstuhl. Er mahnte nicht, er weinte ein wenig. Bitte, sag es, Bitte, sag es, rief seine Frau, sag es, damit ich mich nicht so schuldig fühlen muss. Der Professor mahnte nicht. Sie hörte mit dem Rauchen auf, aber ihr Mann wusste, dass sie wie ein Schulmädchen in die Waschküche ging, um eben dort zu rauchen. Ihre vier Mädchen trafen sich zum Tee und konnten sich nicht darüber einigen, ob das Schweigen des Vaters edelmütig war oder eine Strafe. Was ist mit ihrem Schmuck? fragte die Jüngste. Ich wette, den hat sie ins Feuer geworfen, um Sühne zu tun, sagte die Zweite. Die Dritte, auch den Rubin, die Vierte, da gibt es nichts mehr, was glänzt. Auf dem Gehsteig. Der junge Mann saß auf dem Gehsteig, bereit zum Abholen. Er hatte bei sich zwei Gepäckstücke, eine Bohrmaschine und einen etwas größeren Koffer, seine Habseligkeiten. Es war ihm nicht schwer gefallen, sich von seiner Mutter zu verabschieden. Sie hatte ihm den Eindruck vermittelt, dass ihr sein Umzug nur recht wäre. Drei ihrer ausgewaschenen Handtücher hatte es ihm gerichtet, ein Essbesteck, Teller, Tasse. Nicht vom schönen Geschirr. Ihm dachte sie, sei das eher alles nicht wichtig. Als das Auto vor ihm stehen blieb, stand er auf und schaute auf sein Elternhaus zurück. Niemand winkte ihm. Seine Freundin war im Auto, eine kleine Zarte, und ihr Vater saß am Steuer. So wenig nur hast du, fragte die Freundin. Du kannst dann viel von mir haben. Die Mama hat mir noch Marmelade mitgegeben, fertig gekochtes indisches Huhn, tiefgefroren. Wenn wir in Wien sind, ist es aufgetaut. Dann mache ich nur noch Salat dazu. Isst du auch mit Papa? Wenn ich darf, gern, sagte ihr Vater. Aber vielleicht wollt ihr ja lieber allein sein. Wollen wir lieber allein sein, sagte die junge Frau und küsste ihren Freund auf den Mund. Hast du deine CDsammlung mitgenommen? Was für eine CDsammlung? Ich habe doch keine CDsammlung. Ich habe lediglich gesagt, dass ich früher oder später eine CDsammlung haben werde. Ach so, sagte die junge Frau. Magst du nicht reden oder rede ich dir zu viel, fragte sie weiter. Er sagte, no problem. Lange war es still im fahrenden Auto. Da fragte der Vater, ich habe gehört, dass du eine Ausbildung mit Auszeitung bestanden hast. Welche Ausbildung, fragte der junge Mann und zu seiner Freundin, die sich auf die Lippen biss, sagte er, hey Mann, was erzählst du da für einen Scheiß? Das gefiel dem Vater nicht. Er liebte seine Tochter nämlich sehr und das Herz tat ihm weh, wenn er sich vorstellte, dass so der künftige Ton sein würde. Bei der Raststätte holte sich der junge Mann Zigaretten. Der Vater nützte die Zeit und sagte zu seiner Tochter, willst du denn nicht wieder mit uns, mit mir nach Hause kommen? Wir können ein halbes Jahr später fahren. Ich finde es nicht schön, wenn er dich so behandelt. Misch dich da nicht ein, sagte die Tochter. Vergiss nicht, dass ich erwachsen bin. Und, flüsterte der Vater, bist du denn gar nicht mehr meine Königin Moos? Aber sicher doch, Papst, sicher doch. Darf man rauchen im Motor? fragte der junge Mann. Nicht gern, sagte der Vater. Aber ja, sagte die Tochter. Der junge Mann öffnete das Fenster und rauchte zum Fenster. Ist doch okay, Papa. Je näher Wien kam, umso schwerer wurde das Gemüt des Vaters. Er fuhr jetzt langsamer, als müsste er jede Minute noch auskosten. Fahr ein bisschen schneller, bat die Tochter. Ich muss noch Salat kaufen und Putzmittel. Ich will in der Nacht gleich zu putzen anfangen. Wenn dann alles schön ist, Papa, kommst du mit der Mama und wir machen uns einen schönen Abend. Ist das okay für dich? 74. 74. 74. Böse Zeichen. Der Mittagstisch. Der Mittagstisch. Ja, ist 156, genau. Jetzt. Der Mittagstisch. Jeder Tag begann mit einer Prüfung, die der Sohn bestehen würde. Er wusste es. Nicht bestehen. Nicht bestehen würde. Also, Moment. Moment. nicht bestehen würde. Also, Moment. Jeder Tag begann mit einer Prüfung, die der Sohn nicht bestehen würde. Er wusste es und trotzdem war es ihm nicht gestattet, sich davor zu drücken. Der Tisch war gedeckt, weißes, gesticktes Tisch durch servierten Suppentellerbesteck. Seine drei Schwestern saßen bereits auf ihren Stühlen, die Mutter hantierte noch in der Küche. Auf den Vater wurde gewartet. Der Sohn starrte geradeaus, bemüht, ein neutrales Gesicht zu machen. Seine Schwestern wussten, dass sie kein Problem für den Vater waren. Ihm war es gleichgültig, wohin sie sich bewegten, jetzt und in der Zukunft. Nur auf seinen 15-jährigen Sohn lastete die gesamte Erziehung. Der Sohn konnte nur alles falsch machen. Mittlerweile bewegte er sich automatisch, war nicht mehr so penibel darauf bedacht, alles richtig zu machen. Er war die funktionierende Maschine. Die Mutter schöpfte die Suppe, der Vater schlürfte, sagte aber zu seinem Sohn, er solle nicht wagen zu schlürfen. Er bröselte mit dem Brot. Die Mutter hatte sich längst abgewöhnt, Kommentare abzugeben. Es war einfach so, ihr Sohn gehörte nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Sie nahm die Suppenteller weg, tischte Fleisch, Gemüse und Salat auf und der Vater aß wieder so ungehörig, wie es seinem Sohn vorhält. Die Mädchen kauten gelangweilt. Der Vater stand auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie, dass das Maß jetzt voll sei. Sein Sohn solle verschwinden. Er hatte nichts getan, sein Fleisch sauber geschnitten, lautlos geschluckt. Der Sohn erhob sich, sein Gesicht zitterte, er wusste, sein Vater würde nicht handgreiflich werden, das war er nie geworden und fast wünschte sich der Sohn, dass er es würde. Er ging rückwärts, der Stuhl kippte, er rannte zur Veranda hinaus, noch mit Hausschuhen, rannte durch die Nachbarwiese, hinauf auf den Hügel, hinunter zur Straße, hinein in ein Feld, in dem Kühe weideten, er ließ sich ins Gras fallen. Zu Hause ging der Vater aus dem Esszimmer. Die Mutter und die Mädchen räumten den Tisch ab. Eine kehrte unter dem Sitzplatz des Vaters, dort lag der meiste Unrat. Der Vater war in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Er nahm ein Blatt Papier und begann, einen Brief an seinen Sohn zu schreiben. Lieber Sohn, nichts mehr liebe ich auf der Welt als dich. Sei dir gewiss, mein Sohn, meine Erziehung soll dir zu einem guten Leben verhelfen. Du musst mir vertrauen. Magst du auch jetzt nicht verstehen, es ist nur zu deinem Nutzen. Magst du auch jetzt nicht verstehen, es ist nur zu deinem Nutzen. Er griff um sich und Gegenstände vielen zu Boden. Er erschrak. Könnte es sein, dass etwas mit ihm nicht stimmte? Dass er seine Bewegungen nicht mehr kontrollieren konnte? Wenn dem so wäre, müsste er sich aus dem Weg schaften. Das wäre dann alles gewesen. Ein Segen für die Familie. Vielen Dank. Monika Heldt hat gerade diese letzte Geschichte der Mittagstisch, habe ich als eine der stärksten empfunden. Vielleicht auch, weiß ich nicht, als ehemaliger Sohn identifiziert man sich da viel damit. Was mir besonders gut gefällt an dieser Geschichte, und das kommt in einigen Geschichten vor, sind so kleine Irritationen oder völlig überraschende, ein bisschen ins Absurde gehende Wendungen, die diesem Text zum Beispiel einen ganz bestimmten Kick geben. Jetzt muss man sich das nochmal mal vergegenwärtigen, da ist dieser Vater, der ein autoritäres A-Loch ist und seinen Sohn quält. Gut, das versteht man alles, der Sohn läuft weg. Dann geht der Vater ins Zimmer und schreibt eine Liebeserklärung an seinen Sohn. Dann wird ihm sonderbar, dann denkt man sich, aha, muss er jetzt sterben oder hat er einen Schlaganfall. Erklären Sie, wenn ich das fragen darf, erklären Sie mal den Vater, was geht ihm dem vor? Ja, der Vater weiß, dass er sich unmöglich benimmt. Aber er macht es ihm nicht zwanghaft, er kann nicht anders. Also er maltratiert seinen Sohn, die Töchter sind ihm wurscht dass er sich unmöglich benimmt. Aber er macht es ihm nicht zwanghaft, er kann nicht anders. Er maltratiert seinen Sohn, die Töchter sind ihm wurscht. Und er bildet sich ein, etwas aus ihm machen zu wollen, also was Großes, was er selber nicht geworden ist. Und darum quält er ihn so. Und dann merkt er aber doch instinktiv, das ist nicht in Ordnung, was ich da mache. Und vielleicht sieht er mal kurz unter den Tisch, was er selber für eine Sauerei hat. Und dann schreibt er eben diesen Brief. Und dann kommt aber noch eine Irritation. Das sind diese letzten zwei Sätze oder drei Sätze. Also wenn dem so wäre, dass er jetzt irgendeine Krankheit hat, wenn dem so wäre, müsste er sich aus dem Weg schaffen. Das wäre dann alles gewesen. Ein Segen für die Familie. Wer spricht da? Der Mann, der Vater oder die Autorin? Die Familie, denke ich mir. Die Familie spricht da. Und er sieht es aber eigentlich, weiß er das selber, auch der Vater? Vielleicht weiß er es zu einem Teil. er will es natürlich nicht wahrhaben. Der hat ja manchmal am Tag ein gutes Gefühl und dann in der Nacht wieder weiß er, es ist nicht okay, wie er sich benehmt, aber im Grunde genommen wird er sich nicht ändern. Ja, und wenn ich da noch, das ist das letzte Mal, wenn ich da noch fragen darf, wo ist Ihnen diese Geschichte zugeflogen? Solche Geschichten gibt es. Ja, ich weiß. Ich habe so ähnliche Geschichten auch gehört. Und mir ist auch dann irgendwie im Hintergrund der Kafka mit seinem Vater eingefallen, also auch dieses, diese abfruchtbare Angst vor dem Vater und sich nicht trauen, ihm zu entgegnen. Ich weiß nicht, der Sohn hasst ja den Vater auch und traut sich nichts zu sagen. Glauben Sie, hat es solche Vaterfiguren, also wirklich toxische Patriachen, früher mehr gegeben im alten Bürgerl, autoritären Bürgertum, als es das heute gibt? Das gibt es sicher noch. Ja, vielleicht in anderer Ausformung, aber ich glaube nicht, dass es solche Männer nicht mehr gibt. Das wird anders ablaufen. Also dieses geregelte Mittagessen mit Suppe und Hauptspeise, das gibt es ja nicht mehr. Bei ist bei Ihnen nicht, aber halt würden ja alle dann eben die Kinder am Handy und das würde ja... Das wäre eine andere Situation. Aber ich glaube, solche Väter gibt es, solche Mütter gibt es auch, die ihre Kinder anschreiben, wenn sie mit dem Handy spielen während des Essens oder wie immer. Ich habe jetzt gehört, es gibt auch Eltern oder Mütter, die ihre Kinder tracken. Was ist das? Tracken ist, die Tochter ist 15 und geht mit dem Handy weg und die Mama tut daheim schauen, wo sie sich aufregt. Nein. Ja, wirklich. Weil sie sich so Sorgen macht. Und die Tochter weiß, da könnte man jetzt lang reden, aber das wäre auch wieder eine Geschichte eigentlich. Aber da kann man sagen, sie ist auch neugierig. Alles, natürlich. Das ist ja vor. Eine gute Geschichte. Danke. Ja, ja, ist relativ weit verbreitet. Also totale Kontrolle. Wird es bei Erwachsenen auch geben? Ja, bei Männern und Frauen. Eifersüchtige Abgründe tun sich auf. Oder bei Chefs. Vom Martin Walser gibt es den schönen Satz, man kann zu Martin Walser stehen, wie man will. Haben Sie ihn gekannt? Ja. Waren Sie kritisch ihm gegenüber? Er war ja auch Bodensee-Anrainer. Ja, manche Sagen habe habe gerne gehabt, aber nicht alle. Wie, nicht alle? Alle hatte ich nicht gern, seine Bücher. Von den Büchern, ja. Und persönlich haben Sie ihn gekannt? Doch, er war schon, ja. Und war gutes Einvernehmen? Ja, absolut. Ich habe den nicht so oft gesehen, manchmal. Der Walzer hat gesagt, seine sozusagen Ästhetik oder sein Prinzip beim Schreiben wäre, nichts ist so abenteuerlich und so dramatisch wie der ganz normale Alltag. Da hat er recht. Würden Sie das auch unterschreiben? Und es braucht, ich meine, es gibt ja sehr abgründige Texte, wir werden dann auch noch einen im dritten Teil hören. Aber im Prinzip, um einen spannenden Text zu schreiben oder eine gute Geschichte zu schreiben, braucht es nicht unbedingt das außergewöhnliche, nicht dagewesene Ereignis. Man muss eigentlich nichts erfinden, weil alles da ist. Man muss eigentlich nichts erfinden, weil alles da ist. Was empfehlen Sie denn, wie soll man denn dieses Buch lesen? Also das Prinzip ist natürlich Kalendergeschichte für jeden Tag des Jahres. Es liegt eine Geschichte, es liegt am Nachtkastel. Ich denke, es wäre schön, man kann ja auch zwei von drei lesen, aber manche Leute lesen nicht gerne oder haben keine Zeit und wenn sie eine Geschichte lesen, ist es doch gut. Da hat sie wenigstens irgendwas gelesen. Ich finde, also man kann das natürlich nicht in einem Zug durchlesen, aber ich finde so sechs, fünf, sechs Geschichten kann man gut lesen und dann hat man eben was zum Verarbeiten, dann kann man es ein bisschen liegen lassen, aber ich finde die Form, ich habe es ja schon im Vorgespräch Ihnen eh gesagt, ich finde diese Form wirklich großartig, weil es eine Form des Erzählens ist, die auch in einer großen Tradition steht. Johann Peter Hebel haben alle, glaube ich, im deutschen Unterricht gelernt mit den Kalendergeschichten, Gottfried Keller, Brecht. Also es gibt diese Genre der Kalendergeschichte, gibt es schon. Haben Sie sich da ein bisschen auch in diese Tradition eingereicht? Ja, ich kenne natürlich die Sachen, ja. Und ich meine, es ist einfach gut, einen kurzen Text zu haben und sich mit dem kurz zu befassen. Ein Roman verlangt viel ab und manche Leute haben nicht so viel Zeit. Natürlich das Schöne an einem größeren Roman ist dieses Eintauchen in diese andere Welt. Das kann man hier nur kurz erleben, aber dafür... Ja, Eintauchen des Romanes sind wunderbar. Natürlich kann man ja trotzdem lesen. Ja, genau. Dann würde ich sagen, kommen wir zur dritten Tranche und reden dann noch ein bisschen über Politik, wenn es Ihnen recht ist. Ja, gern. Mama hinuntergefallen. 206, Mama hinuntergefallen. Genau. Das ist eine wirklich abgründige Geschichte. Ein Albtraum. Ja. Was haben Sie für eine... Ich habe geschrieben, Seite 206. Komisch, was ich da gemacht habe. Vielleicht habe ich aber auch die Geschichte verwechselt. Ja, genau, 206. Okay, gleich. Mama hinuntergefallen. Stellen Sie sich ein vierjähriges Kerlchen vor Er schläft auf dem Strohsack mit seiner Mama Zwischen ihnen liegt sein Kasperl Die Mutter ist im Sommer zum Geldverdienen auf der Alpe Sie arbeitet als Senderin Das hat sie schon einmal gemacht Und sie liebt diese Arbeit Die klare Luft, den Geruch von kühn und gemähtem Gras Sie kennt sich gut aus auf dieser Alpe. Überall darf ihr kleiner Sohn sie begleiten. Sie ist stolz, dass er so selbstständig ist. Einmal spazieren die zwei von einer Alpe zu anderen. Der Weg ist schmal. Der Bub geht hinter seiner Mama. Ganz vorsichtig setzt er einen Fuß vor den anderen. Er trägt Bergschuhe mit roten Schuhbändern. Seinen Kasperl hat er in der Hand und schwenkt ihn hin und her. Die Mutter geht vor ihm. Beide tragen einen Rucksack. Sie hat ihm ein Überraschungsei versprochen, wenn er brav ist. Er ist brav. Er ist immer brav. Das bestätigt die Mutter. Deshalb darf er auch überall mit hin. Der Bub schwenkt und schwenkt den Kasperl. Da fliegt er ihm aus dem Arm und fällt den Abhang hinunter. Die Alpe ist ziemlich hoch. Es wachsen nur wenige Tannen. Gleich fängt der Bub zu weinen an, weil er den Kasperl so gern hat. Und jetzt ist er weg. Die Mutter dreht sich nach ihm um, streichelt über sein heißes Gesicht und wischt die Tränen weg. Sein Hut verrutscht und fliegt vom Kopf, aber nur auf den Weg. Keiner bückt sich nach dem Hut. Es ist nur der Hut, aber das mit dem Kasperl ist eine Katastrophe. Die Mutter weiß das. Sie befiehlt ihrem Sohn, auf einer sicheren Stelle Platz zu nehmen und sich nicht zu bewegen. Stelle Platz zu nehmen und sich nicht zu bewegen. Sie wird ihm den Kasperl holen. Vorsichtig steigt die Mutter nach unten, rückwärts, damit sie ihren Sohn noch im Auge hat und mit ihm reden kann. Gleich ist der Kasperl wieder bei dir. Sie hält sich an Wurzeln fest, minkt mit einer Hand dem Kerlchen zu und dann hört man ein Geräusch wie Rutschen, Rutschen und Schleifen. Der Boden ist sehr trocken. Seit Tagen hat es nicht geregnet. Der Bub schaut über den Waldweg nach unten und wartet. Lange wartet er. Die Mutter muss suchen und suchen. Der Kasperl kann ja nicht antworten, weil er nur ausgestopft ist. Hat die Mama selber für ihn gemacht? Schöne Sachen trägt der Kasperl, eine grüne Zipfelmütze. Immer kommt die Mama noch nicht. Der Bub steht langsam auf, trippelt vorsichtig zum Abgang und ruft. Kannst du ihn nicht finden? Wo seid ihr? Er macht eine Pause, ruft wieder, diesmal nur nach der Mama, trippelt weiter auf den Abgang zu. Da sieht er, wie steil es ist. Er ruft, leiser und leiser wimmert und geht den Weg zurück. Er atmet schwer, wie ein alter Mann und schluckt heftig. Hält seine Händchen an den Rucksackremen fest. Er stapft bergaufwärts, findet die Hütte. Sie ist nicht abgesperrt. Er holt einen Stock, das macht er oft, und stößt die Tür auf. Es ist inwendig dunkel. Er kennt sich aus, er geht ins Helle, zum kleinen Fenster, setzt sich auf die Bank, immer noch den Rucksack auf dem Rücken. Ein Stück Käse liegt auf dem Holzteller, kein Messer, er nimmt den Käse mit beiden Händen und schlägt ihn ab, schlägt und schlägt. Man weiß nicht, wie lange das Kerlchen allein in der Küche verbracht hat. Die Mutter ist tot gefunden worden. Gleich war sie nicht tot. Sie ist noch ein Stück gekrochen hinauf. Liebste Tochter, folgenden Brief schreibt Luise K., 79 Jahre alt, ihrer Tochter nach London. Die Tochter lebt in guten Verhältnissen und möchte für ihre Mutter ein Seniorenheim finden, mit eigener Wohnung, eigenen Möbeln, sodass die Mutter sich wie zu Hause fühlt. Sie ist nämlich in ihrer Sehkraft stark eingeschränkt und die Tochter macht sich Sorgen. Sie hat ihren Besuch bereits angekündigt. Liebste Tochter, entschuldige meine große Blogschrift, aber du weißt ja, ich schreibe so gut ich kann. Dieser Brief ist wichtig und du sollst jedes Wort lesen können. Ich weiß deine Großzügigkeit zu schätzen und war bis vor kurzem noch bereit, dein Angebot anzunehmen. Jetzt hat sich aber bei mir Grundlegendes verändert. Ich bitte dich sehr, mich nicht zu verurteilen. Auch für die neue Lebensweise, die ich gewählt habe, würde ich deine finanzielle Hilfe benötigen. Frag endlich an, fang endlich an, sage ich zu mir, rede nicht um den heißen Brei, aber es fällt mir schwer. Du weißt, ich bin oft im Park, ich sitze auf der Bank, unter dem Ginkgo-Baum, den du kennst, seit du ein Kind warst. Sitze also da, schöner Vorfrühling, die Sonne scheint, ich habe mich erdreht angezogen, du weißt, dass ich immer großen Wert auf meinen Ausruf lege. Habe sogar etwas Lippenstift aufgetragen. Ein älterer Herr fragt, ob er sich zu mir setzen darf. Wir kommen ins Gespräch. Er trägt feine Lederhandschuhe und sieht gepflegt aus. Er heißt Bruno. Es ist mir peinlich, dir zu gestehen, dass ich mich in ihn verliebt habe. Und was soll ich sagen? Er ist ich in mich. Es scheint ja festgeschrieben zu sein, dass ich mich in ihn verliebt habe. Und was soll ich sagen, er sich in mich? Es scheint ja festgeschrieben zu sein, dass alte Leute und Liebe nicht zueinander passen. Wir also treffen uns täglich. Er besitzt nur ein winziges Kabinett und so erlaube ich es ihm, dass er zu mir zieht. Er ist so entzückend, ich kann ihn nicht beschreiben, wie fürsorglich, liest mir die Zeitung vor und fragt nach meinen Lieblingsbüchern, liest sie mir vor, nehme ich im Arm, wenn wir spazieren, geht für mich einkaufen, kocht, putzt mit mir zusammen, denk ja nicht, dass er ein Dienstbote ist. Ich habe seit deinem Papa und ich jung waren, und das ist 60 Jahre her, kein solches Glück mehr gehabt. Liebste Tochter, ich bin ein Feigling. Auf die Frage, wer dieser reizende Herr sei, erkläre ich dem Bekannten, er sei mein Bruder. Das hat Bruno wehgetan, aber er hat es mir verziehen. Mein einziges Kind, ich bitte dich ohne Umschweife um Geld, damit wir umziehen können, Bruno und ich, in eine neue Wohnung, in eine eine gegend wo uns niemand kennt Was habe ich jetzt? Das nächste steht Seite 161. Es geschah. Und 3? 166. Komisch. Was habe ich da? Geschichte. Nein, ich empfehle dann. Gehen wir gleich zur letzten. Genau. Das haben wir gleich. Was bin ich für ein Botsche da? Jetzt. Da haben Sie doch noch die Fahnen gehabt. Ja, ich weiß, was ich da gemacht habe. Ich weiß, was ich gemacht habe. Wir haben das Problem gleich gelöst. Ich habe immer das und mit der zweiten Zahl verwechselt. Das war mein Fehler. Aber jetzt, Entschuldigung. Jetzt ist es frieren. Frieren, genau. Frieren. Der feuchte Dunst findet den Weg in die Häuser. Die Kälte stiehlt sich hinein, während wir schlafen. Die Kälte ist stumm. Die Kälte ist unsichtbar und geruchlos. Sie haben alles angezogen, was sie an Kleidern besitzen. Unterwäsche, Pullover, Röcke, Hosen, Socken. Drei Paar Socken, vier Paar Socken. Sie kriechen unter die feuchte Decke. Wie kann man sich warm machen? Frauen drängen sich in die Küche. Sie schalten die Herdplatte ein und halten ihre Hände darüber. Eine Frau, ihr Baby. Der Vermieter kommt, schimpft über ihre Verschwendung. Mahn zum Sparen und dreht die Herdplatte auf Null. Kinder schreien, sie haben Rotznasen und verfilzte Haare. Niemand kümmert sich um sie. Das Licht geht an, das Licht geht aus. Es gibt noch Reste vom Rosinenkuchen. Sie streiten sich darum. Einer hat die Rosinen aus dem Kuchen gepickt. Der alte Mann beißt in eine Zwiebel. Es gibt im Keller Kartoffeln. Die müssten weich gekocht werden. Von einer einzigen Kartoffel wird man nicht satt. Sie finden eine Flasche Waske und jeder bekommt einen Schluck. Die dicke Frau mit dem Turban überwacht alle. Kinder dürften auch einen kleinen Schluck nehmen. Davon wird ihnen warm, aber doch nicht von so wenig. Am liebsten würden sie die ganze Flasche austrinken. Draußen hat es zu schneien begonnen. Wenn man Schuhe anzieht, passen nur ein paar Socken, sonst sind die Schuhe zu eng. Wenn es in den Schuhen zu eng ist, friert man noch mehr. Kinder finden Haferflocken und kauen sie roh Sie trinken Wasser Dazu Katzen drücken sich an Hosenbeine Die Gefleckte hat eine Maus gebracht Hört das denn nie auf? Eine Frau sagt zu ihren Nachbarinnen Wenn das alles vorbei ist, lasse ich mir die Haare steinen Ich kann das machen, wenn du eine Schere findest, sagt die Nachbarin Jetzt aber nicht, meine Hände sind steif vor Kälte Ein Kind hat Bauchweh von den Haferflocken. Die Toilette ist verstopft. Wer räumt den Dreck weg? Der Vermieter ist fort und so können sie kurz das Backrohr aufdrehen und sich davor hinsetzen. So wenig Platz. Geh weg, ruft die eine. Ich war noch nicht dran. Sie hören Schritte schnell aus mit dem Backrohr. Wer erfriert zuerst? Wenn morgen zur Mittagszeit die Sonne scheint, können sie sich an die Hauswand drängen, ein wenig aufwärmen. Ich möchte so nicht mehr weiterleben, weint ein Mädchen und ihr wird gesagt, sie soll die Klappe halten. Kinder husten. Eines hebt die schwarze Katze auf und drückt sie an seine Brust. Sie will nicht bleiben. Sie will sich mit der Gefleckten um die Maus streiten. Monika Helfer, es wird nicht gesagt, wo diese letzte Geschichte spielt. Es kann irgendwo in Osteuropa sein, es kann aber auch in einem Ausreisezentrum vielleicht in Österreich sein, wie ein früherer Innenminister diese Einrichtungen einmal genannt hat. Man muss vielleicht davon ausgehen, dass es solche Ausreisezentren in Zukunft vermehrt geben wird in Österreich. in Zukunft vermehrt geben wird in Österreich. Wenn ich mich so in den letzten ein, zwei Wochen umhöre in meinem Freundes-, Bekannten-, Kollegenkreis, höre ich öfter als einmal die Geschichte, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, man wacht in der Früh auf, um halb sechs oder sechs, und mit einem dumpfen, durchaus auch von Angst nicht ganz freien Gefühl, zusammenhängend mit der politischen Situation in Österreich. Wie geht es Ihnen? Ja, das kenne ich gut, dieses Gefühl. Und es ist auch dieser Zynismus, also ein Ausreisezentrum, als ob es sich da um einen Urlaub handeln würde. Das ist so zynisch. abhandeln würde. Das ist so zynisch. Ja, der Volkskanzler steht vor der Tür. Was wird auf uns zukommen? Was wird auf die Kunst- und Kulturszene zukommen? Ja, ich habe da Angst davor. Er hat ja einmal gesagt, er wird auch Listen erstellen, was immer das heißen mag. Also jeder, der ihm nicht gefällt, kann auf der Liste stehen. Und was passiert mit denen, die auf der Liste stehen? Die kommen dann auf eine Liste, die noch dringlicher ist. Und die wird immer kleiner und dann ist es grauenhaft. Ich nehme an, dass Sie auch mit Ihrem Mann über das Thema oder mit Kolleginnen über dieses Thema sprechen. Was soll man tun? Was kann man tun? Ja, man kann Briefe schreiben, sie von allen unterschreiben lassen und sie ihm schicken. Ich glaube, das wird dann nicht so hören. Man kann sie ihm schicken, aber es sind ja auch noch andere Aktionsformen denkbar. Ich weiß jetzt gar nicht, ob Sie sich so als politische Aktivistin sehen. Muss man nicht ein bisschen mehr noch tun? Ich glaube, es würden keine Aufrufe starten, aber muss man nicht mehr? Ja, ich denke schon. Ich bin jetzt alt, aber ich denke mir, man müsste auf die straße gehen natürlich ja so ja auch schon leute ja und aber ich glaube es ist dann wenn man jede woche auf die straße geht einen bestimmten tag dann wird es so eine gewohnt und dann schleift sich das so ab und dann ist es irgendwie glaube ich verfehlt ich weiß nicht nicht. Also man wird sich verschiedene Formen ausdenken müssen. Die Leute haben Angst, dass sie kein Geld mehr kriegen für ihre Sachen, die sie machen in der Kunst. Und die Leute, die kriegen die Rente gekürzt, man kann es überhaupt nicht. Es ist unsäglich. Sie leben ja in Hohürzt, man kann es überhaupt nicht. Das ist unsäglich. Sie leben ja in Hohenems, dort gibt es einen, wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe, einen freiheitlichen Bürgermeister, aber wie, der ist ein bisschen anders? Es gibt einen freiheitlichen, ja, den gibt es immer noch, und das Komische ist, der war eine Zeit lang sehr gut für die Stadt, er hat viel gemacht. Und jetzt aber, wo er die Bösen wieder aus den Löchern kriegt, fühlt er sich wieder stark und ist wieder so richtig FPÖ. Okay. Ja, es ist nur, man hat gewartet, bis wieder die Zeit kommt, wo man marschieren kann. Und der Zeitel hat da halt Kreide gefressen. Ja, natürlich. Jetzt wird wieder marschiert. Ich würde sagen, lassen wir es so stehen. Die Diskussionen werden weitergehen. Ich bin auch sicher, dass es viele verschiedene Formen von Widerstand geben wird. Ich möchte trotzdem ein bisschen optimistisch erschließen. Ich glaube auch in Ihrem Sinne zu sprechen, dass ich der 79-jährigen Dame aus der vorletzten Geschichte, die mit der Tochter in London, dass ich dieser 79-jährigen Dame und dem Bruno noch viele, viele glückliche Jahre wünsche. Ja, das wünsche ich Ihnen auch. Vielen Dank. Danke. Ich darf mich auch im Namen des Stifterhauses ganz herzlich bei Monika Helfer und Günter Keindlstorfer bedanken. Ich hoffe, Sie beehren uns am Dienstag wieder. Da gibt es den Start einer neuen Reihe. Debüts, neue Stimmen aus Österreich. Julia Joost und Max Orawin sind zu Gast und Christine Scheucher wird moderieren. Ganz zum Abschluss darf ich auf den Büchertisch verweisen. Monika Helfer ist gerne bereit zu signieren. Und jetzt wirklich das Allerallerletzte. gerne bereit zu signieren. Und jetzt wirklich das allerallerletzte. Es gibt ein weiteres neues Format des Stifterhauses, das Literaturcafé, ein Buchclub, wo Bücher besprochen werden, die später hier vorgestellt werden. Sie finden Modalitäten zur Anmeldung ebenfalls hinten am Büchertisch, wenn Sie Interesse haben. Einen herzlichen Dank nochmal Ihnen allen fürs Kommen. Kommen Sie gut nach Hause und beehren Sie uns bald wieder. Schönen Abend.