Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Literaturinteressierte, herzlich willkommen im Stifterhaus. Mein Name ist Sarah Pühringer und ich freue mich sehr, Sie heute zu einer Buchpräsentation begrüßen zu dürfen. Wir haben die Ehre, dass heute Katharina Winkler mit ihrem Roman 7 Meilenherz bei uns zu Gast ist. Dieses Werk, das 2024 auf der Shortlist des österreichischen Buchpreises stand, ist letztes Jahr bei Mattes & Seitz erschienen. Bevor wir uns dem Roman näher widmen, lassen Sie mich ein paar Worte zur Autorin sagen. uns dem Roman näher widmen, lassen Sie mich ein paar Worte zur Autorin sagen. Katharina Winkler wurde 1979 in Wien geboren und studierte Germanistik sowie Theaterwissenschaft. 2016 debütierte sie mit dem Roman Blauschmuck, der, so viel sei vorweggenommen, sich ebenfalls mit Gewalterfahrungen einer Frau beschäftigt. Dieser vielfach ausgezeichnete Roman ist in sechs Sprachen übersetzt worden und von international Anerkennung. Ich freue mich sehr, dass sie heute erneut den Weg ins Stifterhaus gefunden hat. Herzlich willkommen Katharina Winkler. Vielen Dank. Guten Abend. Mit sieben Meilen Herz rüttelt Katharina Winkler an einem der drängendsten Tabus unserer Gesellschaft, der sexuellen Gewalt gegen Kinder. Die Autorin schildert das Innenleben eines Mädchens, das in seiner Kindheit sexuellen Übergriffen durch den eigenen Vater ausgesetzt ist. Winkler zeigt mit schmerzlicher Klarheit, wie diese Erfahrungen das gesamte Leben der Protagonistin beeinflussen, von der Kindheit über die Jugend bis ins Erwachsenenalter. Sie verdeutlicht, wie sexuelle Gewalt tief in Körper, Denken und Wahrnehmung sich einschreibt, eine Erfahrung, die sehr oft von Scham und Schweigen umgeben bleibt. Mit sprachlicher Präzision macht Katharina Winkler erfahrbar, was sich eigentlich jeder Beschreibung entzieht. Sie schafft es, uns nicht nur als Lesende, sondern als Zeuginnen in die Geschichte zu ziehen. Eine literarische Auseinandersetzung mit einem solch sensiblen Thema verlangt nicht nur Mut, sondern auch die Fähigkeit, sich fernab von Voyeurismus und Sensationslust zu bewegen. Und genau das gelingt Katharina Winkler. Sie schreibt gegen das Schweigen mit einer Sprache, die zugleich auffüllt sowie berührt und zeigt, wie Literatur den Weg zu gesellschaftlichem Bewusstsein ebnen kann. Bevor wir mit der Lesung beginnen, möchte ich Ihnen auch unsere Moderatorin vorstellen. Herzlich willkommen, Monika Wasik. Monika Wasik hat sich intensiv mit dem Roman Sieben Meilen Herz beschäftigt und dazu auch eine Rezension verfasst. Darin schreibt sie etwa, Zitat, Was an diesem aufwühlenden Buch besonders imponiert, ist die von Winkler kreierte, kunstvolle Kindersprache, mit der das Mädchen sich ihre Welt erklärt. Wobei wir immer mehr wissen, als das Kind mit seinen eigenen Vorstellungs- und Wahrnehmungsräumen, weil wir durch unser Wissen und unsere Erfahrungen die Leerstellen füllen. Das Mädchen hat noch keine Worte, um die sexuelle Gewalt zu benennen. Abschließend noch ein paar Worte zur Moderatorin. Monika Wasik wurde 1960 in Wien geboren. Sie ist Medizinerin, Lyrikerin, Literaturkritikerin und Moderatorin. Monika Wasig wurde 1960 in Wien geboren. Sie ist Medizinerin, Lyrikerin, Literaturkritikerin und Moderatorin. Ihre literarische Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Lise Meitner Literaturpreis 2003 und der Publikumspreis beim Feldkircher Lyrikpreis 2020. Als Mitbegründerin der Poesiegalerie hat sie gemeinsam mit Peter Klar und Udo Karwasser einen wichtigen Raum für die Lyrik-Szene geschaffen. Monika Wasik ist zudem Autorin von mehreren Lyrik-Bänden. Zuletzt ist 2022 Knochenblüten erschienen. Mir bleibt es nur mehr über, das Wort zu übergeben an Monika Wasik. Vielen Dank. zu übergeben an Monika Wasik. Vielen Dank. Vielen Dank, Frau Bühringer, für die herzliche Einleitung dieses Abends. Es wurde jetzt schon viel vorweggenommen, was ich eigentlich hier sagen wollte, aber ich möchte quasi nochmal zurückgehen zum ersten Buch Blauschmuck, das 2016 erschienen ist. Und das Interessante daran ist, dass schon in diesem Buch es um Gewalterfahrungen geht, wie Frau Bühringer schon gesagt hat. Und zwar geht es um die Emanzipation einer jungen kurdischen Frau, deren Leben von Liebe und brutaler Gewalt von Abhängigkeit und Unterdrückung geprägt ist. Und der Hintergrund war eine reale Lebensgeschichte, die Frau Winkler zu einem Roman verarbeitet hat und zwar mit einer wunderbaren poetischen Sprache, dieses Gewaltleben und Leiden verdichtet hat zu einem Stück Literatur, das noch dazu in mehrere Sprachen übersetzt wurde und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Vier Jahre später, 2020, hat sie ein Theaterstück veröffentlicht. Sowohl der Blauschmuck als auch das Theaterstück, sind im Surkamp Verlag erschienen. Das Theaterstück hieß Au revoir, Edith Piaf. Und in diesem Stück hat Winkler das kurze Leben der französischen Sängerin von ihrer Kindheit bis zu ihrem Tod Revue passieren lassen. Und auch Piaf hat, wie man weiß, reichlich Gewalterfahrung an ihrem Leben gehabt und musste zahlreiche Schicksalsschläge meistern. Und nun wieder vier Jahre später erscheint das aktuelle Buch, Sieben Meilen Herz. Hier ist das Setting etwas anders. Es geht um eine Familie aus drei Personen, ein Vater, eine Mutter und deren gemeinsame Tochter. Und es handelt sich um eine der perfidesten Formen der Gewalt, nämlich um sexuelle Gewalt eines Vaters gegen seine Tochter. Sexuelle Gewalt ist ein Tabuthema, über das gesprochen wird, vor allem dann, wenn besonders brutale Formen des Inzests Polizei bekannt werden, medial aufsehen, erregen und verurteilte Täter in der Kriminalstatistik aufscheinen. Ich erinnere an den Fall Fritzl zum Beispiel. Sexuelle Gewalt findet jedoch mitten in unseren Gesellschaften statt und bleibt meist im Verborgenen. Ich habe mir eine Statistik herausgesucht von der Statistik Austria, die 2020 und 2021 im Auftrag von Eurostat und dem Bundeskanzleramt eine Studie herausgegeben hat zu Gewalt gegen Frauen. Und sie haben die Zahlen erhoben. Die Studie kann im Internet nachgelesen werden. Und ich greife nur ganz wenige Punkte heraus. Befragt wurden 18- bis 74-jährige Frauen in Österreich. Von diesen gaben sieben Prozent an, sexuelle Gewalt vor dem Alter von 15 Jahren erlebt zu haben. Im Detail betrachtet, wenn man diese alle unter 15-Jährigen von Gewalt betroffenen Frauen, eigentlich Kinder zu der Zeit, näher sich anschaut, dann sind 13 Prozent beim ersten sexuellen Übergriff unter sechs Jahre alt gewesen, 41 Prozent sechs bis zehn Jahre alt und 45 Prozent 11 bis 15 Jahre alt. Zwei weitere Punkte sind interessant. 95 Prozent der TäterInnen sind männlich und 85 Prozent kamen aus dem Umfeld der Opfer. Das ist die Familie und der erweiterte Familienverband, aber auch das soziale Umfeld, Das ist die Familie und der erweiterte Familienverband, aber auch das soziale Umfeld, Kindergarten, Schule, Kirche. Womit ich gleich zu meiner ersten Frage komme. Liebe Katharina Winkler, wie kam es zu Ihrer Entscheidung, über sexuelle Gewalt zu schreiben. Gab es eine Initialzündung, so wie bei Blauschmuck? Oder war es ein aus anderen Gründen notwendiges Thema? Also es ist nicht so, dass ich diese Themen suche, aber ich gehe mit offenen Augen durchs Leben. Und wenn man das macht, stößt man erschreckend schnell auf solche Geschehnisse. Und dann gibt es schon etwas wie einen kategorischen Imperativ, dass ich das Gefühl habe, ich muss mich den Betroffenen zuwenden oder möchte mich den Betroffenen zuwenden, mich mit ihnen auseinandersetzen. Und in meinem Fall bedeutet eine tiefe Auseinandersetzung dann eben auch, darüber zu schreiben. Und im Grunde ist es schon so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich so einem Geschehen begegne oder einem Menschen, der von sowas betroffen ist, dann ist es immer so, dass ich spüren kann, wie er abgespalten ist mit seinem Erleben, wie schwierig es ist für ihn, dieses Erleben mitzuteilen. Und dann habe ich das Bedürfnis, den Menschen mit seinem Erleben in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen. Und im Prinzip ist es so, dass die Betroffenen eigentlich doppelt zum Opfer werden. Das erste Mal, wenn sie die Gewalterfahrung tatsächlich machen. Und das zweite Mal, wenn wir ihnen, unsere Gesellschaft oder das nahe Umfeld ihnen mit dem Schweigen begegnet. Das heißt, sie empfinden dann wirklich einen Abgrund zwischen sich und den anderen und ein isoliertes Schmerzempfinden verklausuliert sich in meinem Trauma. ganz neu begriffen nochmal in dieser Arbeit an diesem Buch, was es eigentlich bedeutet, zu schweigen. Es gibt ja den Begriff etwas Totschweigen und den gibt es nicht umsonst, weil es tatsächlich so ist, dass wenn ich jemanden nicht sprechen lasse oder wenn ich ihm kein Gehör schenke, sondern nur mit Schweigen begegne, dann ist es im Grunde so, dass ich in seiner Menschlichkeit beraube, weil ich in seiner Freiheit beraube, gänzlich sich einzubringen mit allem, was er ist. Das heißt, er kann immer nur einen Teil von sich präsent sein lassen oder einen Teil der Geschichte, die er hat, einen Teil seiner Biografie und damit auch nur einen Teil seiner eigenen Identität. Und es ist mir einfach aufgefallen, dass wenn man diesen Menschen mit Schweigen begegnet, dann ist es zuerst so, dass die äußere Stimme versiegt und dann aber in der Folge versiegt auch die innere Stimme, das heißt, es wird plötzlich alles in Zweifel gezogen, die eigene Weltwahrnehmung, die eigene Interpretation von Geschehnissen, das eigene Gefühl, die eigene Existenz und dann schwindet im Grunde auch die eigene Identität. Wobei das Schweigen auch von den Opfern ausgeht natürlich, weil sie erst eine Sprache finden müssen, um über diese Erlebnisse und über die Gewalt, die sie erfahren haben, sprechen zu können. Weil ein Kind kann das eigentlich meistens nicht. Ich habe in einem Interview gehört, dass Sie recherchiert haben, indem Sie Gewaltopfer, also Opfer sexueller Gewalt interviewt haben. Die haben sich alle gleich geöffnet? Nein, also natürlich ist es so, dass man sagen muss, man denkt, ich habe das so oft gehört, die Betroffenen wollen ja nicht sprechen. Und da gibt es ein ganz großes Missverständnis, nämlich, dass man immer denkt, wo kein Erzähler, dort kann kein Zuhörer sein, aber es ist eigentlich umgekehrt. Wo kein Zuhörer ist, dort kann kein Erzähler sein. Zuerst kommt das Zuhören. Zuerst muss man einen Raum schaffen, der das Vertrauen gibt, dass sich eine Geschichte auch offenbaren kann. Und das war für mich ein einschneidendes oder ein prägsames Erlebnis. Und ich wurde auch oft gefragt, wo ich denn die Menschen gefunden habe, denen sowas passiert. Leider ist es überhaupt nicht schwer, Menschen zu finden, die sowas geschehen ist. Also ich denke, die Zahlen vom Statistik-Austria sagt eigentlich eh alles. Sieben Prozent aller Frauen zwischen 18 und 74 geben an, dass sie sexuelle Gewalt erlebt haben. Das heißt, man müsste ihnen eigentlich begegnen. Das heißt, genau das ist genau der Punkt. Wenn ich offen genug dafür bin und wenn ich bereit bin zuzuhören, dann begegnen mir auch irrsinnig viele Menschen, die darüber sprechen wollen. Und das Zweite ist, was mir noch eingefallen ist, zu dem, was Sie gesagt haben, dass die natürlich keine Sprache haben. Das stimmt. Die Betroffenen selbst haben keine Sprache und deshalb ist es ja die Aufgabe von Literatur, eine Sprache zu finden. Das finde ich eine der fundamentalen Aufgaben von Literatur ist es, eine Sprache zu suchen und zu finden oder zu entwickeln dort, wo wir Sprache dringend brauchen. Und an dieser Stelle brauchen wir Sprache ganz dringend. Eine Frage, die zwar offenbar jetzt wegführt direkt von dem, was Sie gesagt haben. Mir ist aufgefallen, dass der Roman nicht im Surkamp Verlag erschienen ist, sondern bei Mathes und Seitz, ein toller deutscher Verlag. Wollen Sie darüber reden? Wollen Sie ein paar Worte dazu sagen? Oder eher nicht? Nein, da kann ich schon drüber reden, aber ich glaube, das würde jetzt, also vielleicht im Anschluss, das können wir im Anschluss gerne machen. Das ist jetzt nicht das Hauptthema, glaube ich. Im ersten Teil des Romans steht das kleine Mädchen im Mittelpunkt und aus dieser Ich-Perspektive des kleinen Mädchens wird der Text entwickelt. Und damit wir einen ersten Eindruck davon bekommen, würde ich Sie bitten, uns einmal ein paar Passagen vorzulesen. Gerne. Wenn ich auf der Schaukel sitze, schubst Papa mich an. Maikiefer flieg, flieg, flieg. Ich fliege höher und höher. Ich werfe den Kopf in den Nacken und sehe den Himmel. Mit jedem Schubs stößt mich Papa weiter hinauf. Mit den Zehenspitzen kann ich die Wolken berühren. Ich habe keine Angst. Papa hat mich reingesteckt in Mamas Bauch. Dort bin ich gewachsen, wie in einem Ei. Dann bin ich geschlüpft. Seither lebe ich unter Papas Fittich. Papa war schon immer da. Fittig. Papa war schon immer da. Papa wird nie sterben. Das hat er mir versprochen. Papa wird immer da sein. Immer da. Für mich. Immer da. Wie das Muttermal auf meinem Kinn. Papa hat große Hände, die mich auffangen. Am Ende der Rutsche, wenn ich vom Beckenrand springe, wenn ich stolpere auf dem Weg ins Tal. Papa hat einen weichen Hals und eine breite Brust und einen dicken Bauch zum Kuscheln. Papa sagt, wenn ich auf seinem Bauch liege, sehe ich aus wie ein Küken. Ich schaukle auf Papas Bauch wie auf Wellen. Papas Herz schlägt laut und sein Atem pfeift mich in den Schlaf. Mein Papa ist der beste Papa der Welt. Mein Papa kennt Drachen und weiß sie zu bändigen. Er war in Hexenhäusern und kennt geheime Rezepte und Zaubersprüche. Er weiß, wo die Schlangen wohnen. Er hat Aschenputtel den goldenen Schuh angezogen. Er kennt die sieben Zwerge mit Namen und Schneewittchen. Mein Papa hat Dornröschen geweckt. Mein Papa weiß, wo man Einhörner findet. Mein Papa kann sich groß machen und hart und alles durchdringen. Oder so klein, dass er durch Schlüssellöcher schlüpfen kann. Papa hat eine Tarnkappe. Wenn die Monster kommen, sind wir unsichtbar. Papa kann alles. Papa weiß alles. Papa kennt die Sterne und den Mond. Er weiß, wo der große Wagen leuchtet, der Skorpion und der Orion. Er weiß, wie die Bienen den Honig machen und die Hornissen ihr Nest. Er weiß, wie man den Hund des Nachbarn in die Flucht schlägt, wie man Spatzen aufzieht, die aus dem Nest ihr Nest. Er weiß, wie man den Hund des Nachbarn in die Flucht schlägt, wie man Spatzen aufzieht, die aus dem Nest gefallen sind. Er weiß, woher der Wind weht und wann der Regen kommt. Er weiß, wie man sich vor Blitzen schützt. Er hat keine Angst vor Donner. Er weiß, wie man Feuer am Grill macht und wie man es löscht. Er weiß, welche Pilze man essen darf. Er weiß, ob ich Fieber habe und er kann Zaubertee kochen. Er weiß, was Pilze man essen darf. Er weiß, ob ich Fieber habe und er kann Zaubertee kochen. Er weiß, was bei Bauchweh hilft und bei Halsweh. Er weiß, was meine Brust braucht, meine Nase, mein Hals, mein Herz und meine Zauberritze. Meine Brust braucht ein warmes Unterhemd, mein Hals heiße Milch mit Honig, mein Herz seine Liebe und meine Zauberritze seine Hand. Man muss mit ihr spielen, sagt Papa. Sie muss geküsst und gestreichelt werden, damit ich ruhig schlafen kann. Was machen die Hände? Schau zu, schau gut zu. Sie streicheln und streicheln und finden Karu. Was machen die Finger? Schau zu, schau gut zu. Sie kitzeln und kitzeln und geben Karu. Papa und ich bewahren das Geheimnis. Weil wir so geheim sind, wird alles andere fremd. Die Küche, der Garten, die Berge. Mama weiß nichts, die Nachbarkinder, die Kinder in der Schule, die Lehrerin, der Gemüsehändler, niemand weiß davon. Onkel und Tanten, die Cousinen, die schwarz-weißen Tasten am Klavier, die Rosen im Garten, nichts und niemand. Die Glocken läuten, selbst Christus am Kreuz weiß nichts. Ahnungslos ringt der Regen ins Fass. Niemand weiß, wer ich bin. Niemand weiß, wer ich bin. Niemand weiß, wer Papa ist. Wenn ich einen Schritt mache, einen Fuß vor den anderen setze und dabei meine Beine öffne, einen Spalt, habe ich das Gefühl, etwas will in mein Loch. Der Löffel, die Gabel, das Messer, die Schere, der Bleistift, ein Ast, Spielzeug, Werkzeug, der Zaunpfahl. Ich mache keine großen Schritte mehr. Ich mache nur noch kleine. Es wird immer früher spät. Ich soll ins Bett, schlafen, träumen. Einmal wünscht sich Papa meinen Schlaf lebendig, lebendiger und wach. Einmal wünscht sich Papa meinen Schlaf wie tot. Es ist besser, wenn ich tot bin. Dann spüre ich nichts. Ich weiß nicht, wie ich in die Schule gekommen bin. Ich trage Kleider, die ich nie angezogen habe, einen Zopf, der nie geflochten wurde. In meinem Hausaufgabenheft steht die Hausaufgabe, obwohl ich sie nie gemacht habe. In Schönschrift, wie Zauberei. Es gibt Löcher in der Zeit, in die ich falle, wie Alice, nur ohne Wunderland. So muss es sein. Immer fehlt ein Stück Zeit. Dann weiß ich nicht, was ich gegessen habe. Habe ich gesprochen? Geweint? Gelacht? Habe ich mein Spielzeug verschenkt? Ich weiß es nicht. Zeigst du mir deine Hausaufgabe? Ich krame nach meinem Heft. Hast du sie denn gemacht? Ich weiß es nicht. Ich sehe mal nach. Vielleicht sind sie ins Heft gezaubert. Ich habe einen blauen Fleck am Schienbein. Er sieht aus wie ein Herz. Ich weiß nicht, wie es dazu kam. Ein Luftzug streift über mein Bett. Tür auf, Tür zu, lautlose Schritte, Papas Geruch. Papa setzt sich auf mein Bett. Daunen knistern. Papa atmet ruhig. Papa riecht gut. Er beugt sich über mich, schlägt die Decke zurück. Mit seinen Fingerspitzen schiebt er mein Nachthemd hoch. Ganz lange küsst er meinen Bauch, verlangsamt der Zeit. Ich bewege mich nicht und lasse meine Augen geschlossen. Papa will geheim bleiben, unbemerkt, wie die Zahnfee oder das Christkind. Ich bin ein braves Mädchen und rege mich nicht. Karlsson vom Dach fliegt zu mir ins Zimmer und schwirrt bis an die Zimmerdecke. Er schnappt sich die Kekse und setzt sich auf meine Handfläche, erzählt von anderen fliegenden Karlsons, von denen niemand weiß. Er will mir einen Propeller auf den Rücken schneiden und mit mir hinausfliegen durch das Fenster aus dem Haus, aus dem Dorf und weiter über den Fluss und den Wald und über die Berge. Wenn ich müde werde, verschwindet Karlsson, weil es ihn nur gibt, wenn ich in mir ausdenke. Wenn ich in mir nicht ausdenke, gibt es ihn nicht. Wenn er nicht da ist, habe ich mir nicht ausgedacht, dass er kommt. Wenn er kommt, habe ich mir ausgedacht, dass er kommt. Papa winkt mich ins Schlafzimmer. Ich darf die gläserne Ballerina sehen. Sie steht auf dem Nachttisch, wunderhell, neben Mamas Schlaftabletten. Sie trägt ein rosa Tüllkleid und Spitzenschuhe. Papa lässt die Ballerina tanzen. Sie dreht sich im Kreis mit gestreckten Armen und erhobenem Kopf. Ich muss ganz leise sein, damit man die Musik gut hört. Glöckchenklang, Schwanensee. Still muss ich sitzen und reglos, denn die Tänzerin aus Glas bricht bei der kleinsten Bewegung. Das ist kein Kinderspiel. Hast du Papa lieb? Ja. Ich bin ein großes Mädchen, sagt Papa. Größer als letzten Sommer. Größer als die Nachbarmädchen. Ich kann schon viel. Papa sagt, ich bin gut unterwegs. Papa sagt, er traut mir alles zu. Ich kann die Uhr lesen, fast immer richtig. Ich kenne die Namen der Wochentage und alle Monate. Nur Juni und Juli verwechsel ich manchmal, aber beide sind im Sommer. Ich kann Rollschuh laufen, auch bergab. Ich kann eine Schleife binden. Ich kann alleine meine Pyjama anziehen, alleine Zähne putzen und Papas Horn reiben. Ich kann Vögel malen und Schnecken mit Wasserfarben und Kreide. Ich kann gut zeichnen. Ich kann meinen Namen schreiben und das Geheimnis bewahren. Ich kann mir 46 Regenbogenpony-Namen merken. Ich bin ein großes Mädchen. Das zeigen die Striche am Türrahmen. 8.12.14.2.11.4.28.6.2.8.19.19. 19.9. Ich werde immer größer. Während ich male, während ich Purzelbaum übe, während ich Sammelkarten sortiere und meine Zähne putze, während ich einen Regenwurm zertrete und Kekse esse, während ich Kastanien sammle und einen Schatten werfe, während ich Katzen streichle und Papas Horn reibe, während ich Treppen steige und Schleifen binde, während ich lüge und singe und das Geheimnis bewahre, während ich Rosen gieße und mich die Biene sticht, wachse ich vor mich hin. Die Welt geht mich nichts an, sagt Papa. Es gibt Dinge auf der Welt, sagt Papa, die sind so schrecklich, dass er sie mir nicht erzählen kann. Durch die Vorhänge des Kinderzimmers scheint die Sonntagmorgensonne wie eine Orange. Vogelgezwitscher, Schattentanz der Kirschbaumäste. Papa ist wie Karlsson. Wenn er nachts kommt, habe ich mir ausgedacht, dass er kommt. Ich habe es mir ausgedacht, dass er kommt. Ich habe es mir ausgedacht. Ich habe es mir ausgedacht. So muss es sein. So muss es sein. So ist es. Ja, so muss es sein. So muss es sein. So ist es. Ja, so muss es sein. Du sollst Gott loben. Du sollst den Tag des Herrn heiligen. Mama ist Tischmutter. Mittwochs kommen vier Kinder zum Kommunionsunterricht. Mittwochs lernen wir das christliche Zusammensein. Heute lernen wir die Nächstenliebe. Wir malen mit Filzstiften das letzte Abendmahl. Wir basteln einen Heiligenschein aus Alufolie und kleben ihn Jesus auf den Kopf. Wir teilen den Umhang des heiligen Martin mit der Bastelschere. Mit Himbeersirup verwandeln wir Wasser in Wein. Wir singen das Lied von der Brotvermehrung. Wir malen Blumengirlanden um die Gebote und heften sie ab. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht Ehe brechen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht lügen, du sollst nicht begehren deines nächsten Gut. In der Schule zeigen wir unsere Hefte der Religionslehrerin. Wir bekommen im nächsten Liebe eine Eins. Du siehst ja aus wie eine kleine Braut, sagt Papa. Ich starre auf die brennende Kerze in meiner Hand und warte. Die erste Reihe bilden wir Mädchen, die zweite die Jungen. Mein Kleid ist aus weißer Spitze. Wir Mädchen tragen Kränze auf dem Kopf. Unser Haar ist gewaschen, gekämmt und geflochten. Wir tragen Schuhe mit Riemchen und weiße Jäckchen. Ich habe Gänhaut die kirche ist kalt der kälteste ort der welt ich habe keine spitzenhandschuhe wie andere mädchen aber wie alle einen weißen schleier im haar der priester tritt vor mich hin taucht seine dicken wurstfinger in die goldene schale und hält den leib christi empor ich begräige mich, wie Mama es mir im Kommunionsunterricht gezeigt hat. Der Priester schiebt den Leib Christi in meinen Mund und legt ihn auf meine Zunge. Der Leib Christi schmeckt fahl, saft und kraftlos, wie Papier. Er klebt am Gaumann. Ich versuche zu schlucken, ich habe Angst zu husten. Ich darf die Andacht nicht stören. Die ganze Reihe der Mädchen wirkt am Leib Christi. Auch die Jungen hinter uns in ihren Anzügen. Würstchensuppe, Rindsouladen mit Reis, Schnitzel, Kartoffelsalat, Pommes mit Ketchup. An großen Tischen sitzen kleine Bräute, Familien in Hemd und Krawatte und eleganten Kleidern. Die Wirtin bringt Schokopudding und heiße Liebe, lautes Lachen aus breiten Hälsen und dicken Bäuchen. Kleine Geschwister krabbeln durch Lärm, Ketchupflecken. Niemand hat sich am Leib Christi verschluckt. Alles ist gut gegangen, alle sind bei gutem Appetit. Ich löffle die heiße Liebe, sie schmeckt. Ich will mehr Himbeeren. Genug für heute, sagt Papa. Papas Hals ist breit, Papas Bauch ist dick. Papas Gelächter vermischt sich mit dem Gelächter der anderen. Papa passt gut dazu. Er schüttelt Hände, lächelt und lacht, schmunzelt und winkt. Papa ruft zu anderen Tischen, beugt sich zu den Nachbarn und stützt sich auf fremde Stuhllehnern. Papa steht hinter Männern, die Hände auf ihren Schultern. Papa hilft aus Mänteln, hebt das Glas, stößt an. Papa singt und trinkt mit den anderen im Takt. Papa bestellt, Papa bezahlt, Papa beschwipst, Papa betrunken, Papa feiert meine Erstkommunion. Ich bin stolz auf mich. Ich habe mich auf das Stichwort hin niedergekniet und habe mich auf das Stichwort hin erhoben. Ich bin auf der richtigen Seite zum Altar geschritten und habe in einer Reihe gestanden. Ich habe den Leib Christi geschluckt und mein Kleid hat keinen Wachsfleck. Ich habe heiße Liebe und eine extra Portion Himbeeren im Bauch. Papa hat nachgegeben. Ich bin müde. Ich will gehen. Ich lege den Kopf auf meine Hände und schließe die Augen. Papa tippt mir auf die Schulter. Komm, Schatz. Mama bleibt am Tisch der Nachbarn sitzen. An Papas Hand gehe ich im weißen Kleid nach Hause. Der Tüll juckt. Meine Schuhe drücken. Die letzten Meter vor unserem Haus nimmt mich Papa auf den Arm. Er trägt mich über die Schwelle, die Stufen hinauf, bis in mein Zimmer. Er legt mich in mein Bett. Er riecht nach Alkohol. Er nimmt mir die weißen Rosen aus den Haaren, die welken Blätter. Er zieht mir die Schuhe aus, weg mit dem Tüll, Zungenschlag, Schnapsstimme, Sturmstimme. Am nächsten Tag haben wir frei, wir spielen Verstecken, die Nachbarskinder und ich. Ich hocke unter Ästen im Gebüsch und höre das Geschrei der anderen. Ich bin vom Erdboden verschluckt. Niemand sieht mich. Niemand weiß. Ich hoffe, ich bleibe für immer verborgen. Ich bin mucksmäuschenstill und bleibe unentdeckt. Ich habe längst gewonnen, als in der Dämmerung die Erwachsenen nach mir rufen. Meine Glieder sind starr wie mein Mund. Ich pinkele durch die Hose in den Staub. Über mir teilen sich die Äste. Mäuschen? Papa findet mich immer. Ich ziehe die Mütze tief in die Stirn, die Kapuze darüber, den Schal bis über die Nasenspitze. Unter meiner Daunenjacke trage ich das Geheimnis. Noch verbergen mich der Nebel, der über der Straße hängt, und die Dunkelheit. Ich fürchte mich vor dem Licht, vor der Wärme im Klassenzimmer, die mir die Mütze vom Kopf und den Schal vom Hals nimmt. Ich fürchte mich vor der Lehrerin. Ich fürchte mich vor den Mitschülern. Ich fürchte mich vor den Freundinnen, vor Fragen und Berührungen. Ich fürchte mich vor der Turnstunde. Ich will nicht barfuß laufen. Ich will nicht auf den Balken balancieren, die Arme zur Seite gestreckt, die Brust heraus. Ich will nicht grazil aussehen. Ich will gar nicht aussehen. Ich will nicht, will nicht, ich will nicht, dass mich der Boden berührt, die Sprossenwand, der Reifen. Ich will nicht auf der Matte liegen, nicht auf dem Bauch, nicht auf dem Rücken. Ich will nicht atmen, nicht tanzen und mich zur Musik bewegen. Ich will mich gar nicht bewegen. Ich will nicht, will nicht, ich will mich nicht über die Reckstange beugen. Ich kann nicht in die Schule gehen. Ich kann nicht ein Kind unter vielen sein. Ich muss die Schule schwänzen. Am Zebrastreifen bleibe ich stehen. Ich kehre um, zurück nach Hause. Meine Schulschwänzerin, sagt Papa und hält meine Nase zwischen seinen Fingern. Meine Sonne, sagt er, bist du, mein Engel, mein Herz, mein Bauch, mein Po. Er fasst mit beiden Händen meine Backen, er schlingt seine Arme um meine Schenkel und fädelt sich zwischen meine Beine. Mit der Nasenspitze kitzelt und reibt er mich. Der wilde Wein stürmt unsere Hauswand hoch bis an mein Kinderzimmerfenster. Die Brennnesseln halten den hinteren Teil unseres Gartens besetzt. Dort zu spielen ist jetzt unmöglich. Heidelbeeren fallen von den Sträuchern. Die Vögel picken sie auf. Manche verschimmeln, weil niemand sie isst. In Papas Augen bin ich schön. An Papas Brust bin ich Prinzessin. In seinem Arm bin ich ein Stern, das blaue vom Himmel. Hellrot, Knallrot, Dunkelrot. Ich forme für Mama Herzen aus Knete und brenne sie im Backrohr. Ich presse Plastikperlen in eine Herzform. Ich sch für Mama Herzen aus Knete und brenne sie im Backrohr. Ich presse Plastikperlen in eine Herzform. Ich schmelze sie mit dem Bügeleisen. Ich schneide mit der Kinderschere Herzen aus Tonpapier. Ich hänge alle auf die Vorhangstange über der Terrassentüre, damit sie tanzen. Ich suche Mama. Sie sollen jetzt meine Herzen sehen. Mama schläft im Ohrensessel. Ich setze mich auf ihren Schoß. Ihre Bewegungen sind steif, wie eine Puppe, mit der man lange nicht gespielt hat. Ein Spielzeug mit schwacher Batterie. Nur wenn man an ihr zerrt, steht Mama auf. Ich schmiege mich an ihre Brust. Mama ist kühl. Ihre Arme sind hart. Sie riecht seltsam. Anders als früher. Hat Papa dich ins Bett gebracht? Mama sieht mich an. Er hat mir eine Geschichte erzählt. Mama streicht mir übers Haar. Gut, sagt sie, das ist lieb von Papa. Würde ich Mama erzählen, wie lieb mich Papa hat, würde Mama auf der Stelle sterben, sagt Papa. Ihr Herz würde aufhören zu schlagen. Meine Herzen würden über der Terrassentüre tanzen und Mamas Herz würde nicht mehr schlagen. Papa geht nach oben, ich gehe nach unten. Geht er die Treppen runter, gehe ich sie rauf. Ist Papa im Bad, bin ich im Garten. Kommt er in die Küche, bin ich schon im Bad. Geht er in den Garten, bin ich im Flur. Krereuzt er den Flur, werfe ich mich aufs Sofa, setzt er sich aufs Sofa, gehe ich in mein Zimmer, ich lasse mich nirgendwo nieder, zumindest nicht lange, denn ich bin auf der Hut. Nur abends, gehe Zähne putzen und ab ins Bett, bin ich festgenagelt. bin ich festgenagelt. Ich mag den Friedhof am Schulweg, die roten Grabkerzen, die eisernen Engel, die Blumen auf den Greibern. Ich gehe vorsichtig über den Kies. Niemand darf die Totenruhe stören. Tot sein heißt unangetastet sein. Wer lebt, wird angefasst. Ich kann doch Minus rechnen und Plus. Ich kann doch multiplizieren und dividieren und Bruch rechnen. Ich kann berechnen, wie viel Äpfel der Nachbar A im Garten hat und wie viel Äpfel Nachbar B im Schubkarren. Wie viel Äpfel Nachbar C für seinen Apfelkuchen braucht. Ich nehme die Finger zu Hilfe, zähle von vorne bis hinten und noch einmal zurück. Ich habe zehn Finger, zwei Hände. Ich bin nicht gut in Mathe. Ich bin nicht gut genug. Ich bin nicht gut. Ich bin nicht gut. Mein Kopf ist zu klein. Ich bin zu klein. Ich kann das nicht verstehen. Ich kann das nicht verstehen. Ich kann das nicht verstehen. Ich kann das nicht verstehen, ich kann das nicht verstehen, ich kann das nicht, ich kann nicht. Ich möchte heute mit euch über Belästigung sprechen, über sexuelle Belästigung. Niemand darf euch anfassen, wenn ihr das nicht wollt. Ich schlage meine Federmappe auf und ziehe die Buntstifte aus den Gummihalterungen. Ich habe elf Buntstifte. Gelb, grün, rot, orange, braun, schwarz, rosa, lila, hellblau, dunkelblau und Aprikot. Niemand hat das Recht dazu. Mit Aprikot male ich immer die Haut. Kinder dürfen Nein sagen. Ich beginne zu spitzen. Fast alle sind stumpf, vor allem Aprikot. Ich stecke den Stift in das metallene Spitzerloch und beginne zu drehen. Ich hoble einen langen, dünnen Hautstreifen in die Federmatte. Die Stimme der Lehrerin ist jetzt leiser und sanfter als in Mathematik. Übergriff. Ich spitze auch die Spitzen, spitze alle Spitzen, spitze sie noch einmal. Spitz gelb ist Spitz, grün ist Spitz, rot ist Spitz, orange ist Spitz, braun ist Spitz, rosa ist Spitz, lila ist Spitz, hellblau ist Spitz,kelblau, ist spitzunaprikot. Missbrauch. Schwarz. Als das Schwarz verschwindet, sehe ich die Gesichter der Kinder wie hinter Wasserwellen. Das Gesicht der Lehrerin ist blass. Der Boden unter mir ist kalt. Die Lehrerin hat sich über mich gebeugt. Die Lehrerin richtet mich auf. Die Lehrerin hält mir einen Plastikbecher mit Wasser an die Lippen. Ein Kind öffnet ein Fenster. Papa ist da. Siehst du, das kommt, weil du nie richtig frühstückst. Papa hebt mich hoch. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals. Er trägt mich aus der Klasse, aus der Schule, trägt mich nach Hause, trägt mich zurück in mein Bett. Mit dem silbernen Brieföffner ritze ich meinen Unterarm. Nur leicht, ganz leicht. ritze ich meinen Unterarm. Nur leicht, ganz leicht. Sei nicht zu dünnhäutig, sagt Mama. Nicht zu dünnhäutig. Du bist zu dünnhäutig. Nur leicht, nur leicht. Ich ritze stärker, ritze stark. Blut läuft über meinen Handrücken. Tropft, tropft, tropft. Papa sagt, ich bin sein Fleisch und Blut. Vielleicht bin ich mehr sein Blut als sein Fleisch. Nein, ich bin mehr sein Fleisch als sein Blut. Hauptsächlich bin ich sein Fleisch. Mama hat recht. Ich bin zu dünnhäutig, zu einsehbar, zu durchsichtig. Kann jeder meine Gedanken lesen? Kann jeder in mein Herz sehen? Sieht jeder bis in meine Eingeweide? Sieht jeder meine Scham? Ich will mit mir unter tausend Decken stecken. Wolle, Baumwolle, Alpaka, Daunen und Polyester, gestrickt und gehäkelkariert und geblümt. Verwöhntes Mädchen, sagt Mama. Prinzessin auf der Erbse. Mein Gesicht ist fiebrig rot. Die Haare kleben an der Stirn. Ich will tief in die Matratze sinken, untergehen, verschwinden, damit keiner mich findet. 37 Grad hat mein Körper. Dann 38, 39, 40, 40, 1, 40, 2. Papa hat den Arzt gerufen. Er hört meine Brust ab, mein Herz, meine Lungen. Nichts Besorgniserregendes. 20 Tropfen dreimal täglich, das senkt das Fieber. Papa setzt sich zu mir ans Bett und zieht mir die Decke bis ans Kinn, stopft sie unter meine Beine, als wäre uns damit für alle Zeit geholfen. Morgen früh bist du wieder gesund. Papa verabreicht mir 20holfen. Morgen früh bist du wieder gesund. Papa verabreicht mir 20 Tropfen. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Ich bin nackt und voll Dreck. Alles im Zimmer spricht darüber. Der Tisch, der Stuhl, der Staub in der Ecke, die Keksdose, die Stifte, das zerknüllte Blatt, Wände und Fenster. Die Dinge klagen mich an. Ich halte mir die Ohren zu. Ich halte meinen Kopf fest, damit er nicht vom Körper fällt, wie eine faule Frucht vom toten Ast. Alles voll Dreck. Ekel vor meiner Decke, vor meinem Kissen, vor meiner Haut, vor meinem Haar. Ein Fiebertraum. Ein Traum. Es ist nur ein Traum. Papas Hand auf der Wange, Hand auf der Brust. Alle Dinge reden. Hörst du nicht? Papas Kuss auf den Mund. Mein Haar klebt an der Stirn. Das Kissen ist nass. Mich ekelt. Voll Dreck, voll Dreck., hörst du nicht? Sch, sch, sch, Papas Kuss auf den Mund. Mein Haar klebt an der Stirn, das Kissen ist nass, mich ekelt. Voll Dreck, voll Dreck, hörst du nicht? Sch, sch, sch, du fantasierst, das ist nur ein schlechter Traum. Manchmal weiß ich nicht, wie mir geschieht. Was mir geschehen ist. Was mir geschehen wird. Die Stelle im Kopf, die das weiß, ist leer. Die, die das wissen sollte, die Stelle. Ich weiß nur Bescheid, wenn ich nicht danach frage. Wenn ich doch danach frage, weiß ich nicht mehr Bescheid. Ich habe Angst, dass das Schwarze wiederkommt. Schnecke, Hund und Monster. Ich spiele Schattenspiele. Ich baue eine Höhle unter der Daunendecke. Ich habe gebetet und kann trotzdem nicht schlafen. Ich summe, ich singe, ich reime, ich zähle Schafe. Sie springen einzeln in Gruppen. Ich will meinen Papa. Ohne Mäuschen, ohne Einhorn, ohne Wundersaft. Nur streicheln und halten, nur träulen und kitzeln, ich will seine Hand auf meiner Stirn, ich will in den Schlaf gewiegt werden und ein Gute-Nacht-Lied. Kommt Papa, kommt er nicht, kommt er, kommt er nicht, kommt er, kommt er nicht, Papa kommt, wenn Mama müde ist, Papa kommt, wenn Mama traurig ist, Papa kommt, wenn Mama krank ist, Papa kommt, wenn Mama ausgeht. Papa kommt, wenn Mama krank ist. Papa kommt, Schafe springen. Vielleicht hat Papa recht. Man muss mich streicheln und mit mir spielen, damit ich ruhig schlafen kann. Ich bin, ich bin, ich weiß nicht wer. Dreh mich hin und dreh mich her, dreh mich her und dreh mich hin. Denn ich weiß nicht, wer ich bin. Ich bin schuld. Mein Haar ist zu lang und zu weich. Meine Augen sind zu groß, zu glänzend. Meine Zähne sind zu weiß. Meine Haut ist zu zart. Mein Nachthemd zu kurz. Meine Stimme zu hell. Mein Lachen zu hoch. Meine Füße sind schuld. Die Zähne sind schuld. Wie mein Haar und mein ganzer Körper. Wie alles, was ich bin. Ich bin schuld. 146 Zentimeter, 34 Kilogramm. Die Brüste wachsen und werden spitz. Täglich wächst die Schuld, die ich bin. Ich höre auf zu essen. Ich wasche mich nicht. Ich will mein Haar nicht kämmern. Ich bleibe im Bett. Ich will meine Augen nicht öffnen. Ich sollte einfach tot sein. Das ist die Lösung für Papa, Mama und mich. Tot sein, damit ich nichts mehr spüre. Tot sein, einfach tot sein. Das ist die Lösung. das ist die Lösung. So traurig bin ich lange genug. Ich wachse, wachse, wachse. Meine Gliedmaßen treiben aus, meine Schenkel werden fest, meine Füße werden größer, meine Finger lang, meine Brüste rund mit spitzen Brustwarzen, Landschaftsverformung, Berge entstehen, Gipfel, neue Täler. Ich werde ein anderes Land. Darin leben keine Elfen und Feen. Ich glaube nicht mehr an Hexen und an Zauberei. Papa ist kein Drachentöter. Er war nie in Hexenhäusern, kennt keine geheimen Rezepte, keine Zaubersprüche. Niemals hat er Aschenpudel den goldenen Schuh angezogen. Er ist weder Schneewittchen begegnet, noch den sieben Zwergen. Niemals hat er Dornröschen geweckt. Er weiß nur, wo Schlangen wohnen. Ich bin keine Prinzessin. Ich bin nicht Rapunzel. Niemand klettert an meinem Zopf hoch und dann in mein Bett. Das Einhorn rief ich nie. Das Mäuschenspiel ist lächerlich. Die Zauberspucke, die Wackelwackelzehen. Ich schneide mein Haar. Am Fliesenboden liegt mein Kinderzopf. Papas Hand dreht mir keine Locke mehr. Ich wachse, wachse, wachse. Eine Nacht wird kommen, die wendet das Blatt. Ich bin nicht dein Engel, nicht dein Herz, nicht deine Seele. Ich bin nicht dein Leben, ich bin nicht dein Glück. Papa ist blass wie frisch gefallener Schnee. Sein Lächeln sucht mein Erbarmen. Seine Fingersogen halte ich. Ich schüttle Papas Finger ab wie Ungeziefer. Ich schüttle mir Papa aus dem Kopf. Schüttle mir Papa vom Hals. Schüttle, schüttle, schüttle. Ich schüttle mir Papa vom Herzen. Schüttle mir Papa aus den Augen. Schüttle mir Papa aus dem Sinn. Ich schüttle mir Papa vom Leib. Ich will nicht, ich will nicht, ich will das nicht mehr. Schüttelfrost. Ekel. Scham. Papa ist weg. Ich stecke mit mir tief unter der Decke, damit mich niemand weinern hört. Wachse. Wachse. Wachse, wachse, wachse. Die Zeit hat mich großgezogen. Das Kinderbett ist endlich zu klein. Auf meinen Schenkeln wächst der Flügeflaum. Mein Haar spriest, verbirgt meine Zauberritze. Das Mäuseversteck unter den Achseln behaart. Meine Füße sind riesig, sie stinken nach Schweiß. Papa kam nie mehr an mein Bett. Sieben Meilen Stiefel tragen mich bald aus dem Dorf, aus dem Tal. Sieben Meilen Hände versetzen bald alle Berge. Mir wächst ein Sieben Meilen Herz. Das war eine rasante Fahrt durch die Entwicklung eines Kindes vom Alter von fünf Jahren bis schätzumativ 13, 14, wo man schon gesehen hat, wie unterschiedlich die Tonalität ist. Am Anfang das Kind noch viel mehr mit diesen Kindermotiven verhaftet, am Ende gefügig und gehorsam und am Ende die Rebellierende, die sich trotzdem nach Liebe ihres Vaters sehnt. Und das Ganze ist ja ziemlich perfide vom Vater, von dem die Gewalt ausgeht, weil er sich ihr so zärtlich zuwendet und auch eine kindergerechte Sprache wählt. Ein paar Sachen haben wir gehört, ich weiß jetzt nicht genau, ob ich die richtigen wiedergebe, den Zauberstab und die Zauberritze. Vom Einhorn ist die Rede, von Mäuschenspielen und vom Wundersaft. Und das Interessante ist das, was man auch immer wieder hört von Betroffenen, Und das Interessante ist das, was man auch immer wieder hört von Betroffenen, dass die Väter oder die Männer, die sexuelle Gewalt aushüben, meistens Vorzeigeväter sind oder oft Vorzeigeväter sind, gut in den gesellschaftlichen Rahmen passen, wie man zum Beispiel bei der Erstkommunionsszene gesehen hat, die gerahmt ist von einem, du siehst aus wie eine Braut, und dann trägt er sie über die Schwelle, wenn er sie nach Hause bringt. Nun hört man irrsinnig viel vom Vater, und die Mutter kommt eigentlich fast überhaupt nicht vor. Und daher frage ich mich, wo ist die Mutter und welche Rolle spielt sie? Und welche Rolle spielt sie? Ja, also die Mutter ist die erste und wichtigste Verdrängerin, würde ich sagen, die am nächsten dran ist. Und das ist eben ein gutes Beispiel dafür, dass es wahnsinnig schwierig ist, klare Sätze zu sprechen, zu finden, zu formulieren, wo man wirklich sagen kann, die sind einfach richtig und sind wahr. Weil die Mutter oftmals sagt, ich wusste es nicht. Die Frage ist, was bedeutet Wissen? Also spürbar muss es jedenfalls sein, ahnen. Das sind alles fließende Übergänge. Dann kommt einfach temporär was ins Bewusstsein, was aber dann wieder verdrängt wird. Und ja, aus diesem Grund, das ist extrem oft und extrem häufig der Fall. Und die Verdrängung ist halt gigantisch. Also das habe ich wirklich erlebt in der Recherche, dass die Verdrängung eine Kraft hat, die ich eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Man muss natürlich auch fragen, welche Mutter kann sich vorstellen, dass der Vater sich am Kind vergeht. Da gehört schon viel Vorstellungskraft dazu. Ja, das ist sehr... Entschuldigung, noch dazu, wo er ja sagt, sag ja deiner Mutter nichts, weil sobald sie etwas erfährt, wird sie einen Herzinfarkt kriegen, wird umfallen und wird tot sein. Das heißt, die Angst, die Mutter zu verlieren, auch wenn da nicht viel Mutterbeziehung ist, ist ständig präsent. Absolut. Das ist vollkommen richtig und sie ist ein gutes Beispiel dafür, was einfach die Gesellschaft auch macht. Das Tabu entsteht ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern das Tabu hat ja eine ganz große, entscheidende Funktion und das ist, den Schmerz zu binden. Also dieses erlebende oder dieses Geschehen von sexueller Gewalt in der Familie oder grundsätzlich, aber eben vor allem in der Familie, bedeutet einen derartigen Schmerz, so groß vom Ausmaß, aber auch so groß von der Vielfältigkeit her und so groß von der Komplexität, dass man einfach mit einem Abwehrmechanismus reagiert, mit einem Schutzmechanismus. Und dieser Schutzmechanismus ist eben die Verdrängung, ist das Schweigen und ist das Tabu. Und deshalb ist es auch so schwer, das aufzubrechen, weil in diesem Tabu ist ja dieser ganze Schmerz gebunden. Und trotzdem ist es einfach so, dass uns als Gesellschaft nichts anderes übrig bleibt, als dieses Tabu aufzubrechen, wenn wir wollen, dass der Status Quo sich ändert. Und das ist ja das Verrückte, dass der Status Quo, ich glaube, es gibt niemanden, der den Status Quo für ich weiß nicht, der den halten möchte oder für berechtigte Achte. Alle sagen, der Status Quo muss sich ändern, aber es ist noch nicht so, dass uns klar geworden ist, dass es wirklich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, das zu verändern, indem wir eine Atmosphäre schaffen, in der darüber gesprochen wird und das bedeutet dann auch in der Folge, dass eine Sensibilisierung eintreten kann und dass wir beginnen können, Signale zu erkennen und dass wir dann in der Folge auch beginnen können, damit umzugehen und sich sozusagen entgegengesetzt dieser Kultur des Vertuschens und Verdrängens sich ein Ethos der Einmischung etablieren kann. Und den brauchen wir ganz dringend. Die Einmischung findet hier insofern statt, als die Aufklärungsstunde über sexuelle Übergriffe stattfindet, dass sie sich durch einen Ohnmachtsanfall entzieht. Aber davor gibt es auch schon eine Szene, wo die Volksschullehrerin sie fragt, ob irgendetwas los ist. Das hat aber keine weiteren Konsequenzen, aber in dieser Szene sieht man sehr gut, in irgendeiner Szene kommt es sehr gut zum Tragen, dass sie eigentlich nicht ständig über das reden will oder über solche Dinge reden will. Das heißt, sie blockt von sich aus ab, sie hat einerseits die Sprache nicht und andererseits wieder, reden wird ihr nichts helfen. Nein, reden ist das Einzige, was hilft. Nur, es ist einfach nicht so leicht zu reden und das muss begleitet werden und das ist ein Prozess und ich kann nicht einmal fragen, ein Kind, ist alles okay? Aha, es ist alles okay, dann war es das. Das ist das, was die Betroffenen immer erzählen, dass die Betroffenen, denen es gelungen ist, in der Kindheit schon einen Ausweg zu finden, sowohl bei sexueller Gewalt wie bei Gewalt grundsätzlich, da war das immer in der Erzählung, dass oft eine Lehrerin oder von der Schule eine Person dran geblieben ist. Die fragt dann nicht einmal, die fragt auch nicht zweimal und auch nicht dreimal, sondern die bleibt einfach an dem Kind dran über Wochen, über Monate, bis es endlich den Moment gibt, dass das Kind sich irgendwie öffnet und dann wird in einigen Fällen, mit denen ich jetzt gesprochen habe, wurde dann eine Psychologin beigezogen. Und die Psychologin hat das dann oft ermöglicht, dass das Gespräch wirklich zustande kommt. Wobei ich aus meiner Erfahrung, ich habe 20 Jahre als Ärztin an Schulen, sagen muss, es ist wahnsinnig schwierig, gegen die Eltern eine Psychologin beizuziehen zum Beispiel, weil die müssen einverstanden sein. Das heißt, die Lehrerin, ich habe sehr viele Lehrerinnen erlebt, die den Verdacht hatten. Wie oft er sich bewahrheitet hat, ich habe keine Statistik darüber geführt, aber ich weiß, dass das immer wieder Thema war. hatte ich aber keine Statistik darüber geführt, aber ich weiß, dass das immer wieder Thema war. Es scheitert ja auch an der Verschlagenheit der Väter, weil in dem Moment, wo sie mitkriegen, dass da irgendwas im Busch ist, wird das Kind abgemeldet und im nächsten Bundesland, sie ziehen einfach nach Niederösterreich oder nach Oberösterreich oder wohin auch immer. Also ich war in Wien Schulärztin. Und wenn da nicht die Lehrerin quasi den Tipp weitergibt, dann wird es in die dritte Schule abgemeldet. Das heißt, in dem Moment, wo ich die Psychologin nicht einfach so holen kann, sondern die Eltern müssen unterschreiben, dass sie einverstanden sind, dann müsste man lügen und müsste sagen, ja, wir die Leistungen nachlassen. Das geht alles auf dem Rücken des Kindes. Also ich will nur sagen, so einfach ist es leider Gottes nicht. Weil es so nicht so einfach ist, deshalb ist die Situation ja so, wie sie ist. Nur die Situation, so wie sie ist, wollen wir ja nicht halten. Also müssen wir uns überlegen, wie können wir die Strukturen verändern. Was uns auffällt, das ist ein harter Schnitt jetzt, was mir aufgefallen ist oder was auch in diesem rhythmischen Vortrag schön aufgefallen ist, ist die Sprache. Es ist eine knappe, lyrische Sprache, die es immer wieder durchsetzt mit Kindergedichten, Kinderliedern, Auszählreimen. Man findet Figuren und Zitate aus Märchen zum Beispiel. Wir haben Aschenbuttel und Rapunzel gehabt. Und den kleinen Däumling natürlich, der immer wieder im Buch vorkommt aus der Sammlung von Ludwig Bechstein. Aber auch aktuelle Kinderliteratur oder relativ rezente Literatur, dem Karlsson vom Dach von der Astrid Lindring oder Mira Lobes, das kleine Ich bin Ich. Ich. Das ist sehr schön, wie das verzahnt ist, weil das dem Kind ja auch hilft. Die Sprache hat es und das hat sie offenbar immer wieder gehört, vom Vater nehme ich mal an. Und in dieser Form schafft sie es, manches auszusprechen auch. Das ist sehr schön. Danke. Ja, also vielen Dank. Es war mir ganz wichtig, dass ich das eben in einer Kindersprache erzähle, beziehungsweise dass ich das aus der Innenperspektive des Kindes erzähle. Es war für mich die einzige Möglichkeit, dem wirklich nahe zu kommen, weil erstens mal wollte ich keinen Blick von außen zulassen, keine Form von Voyeurismus zulassen, sondern wirklich nur dem Leser die Möglichkeit geben, das von innen heraus zu erleben. Und ich habe einfach das Gefühl, dass es so ganz entscheidend ist, wenn wir über dieses Thema sprechen, dann meistens in Zahlen, Daten, Fakten, Statistiken oder vielleicht noch Schlagzeilen oder Erzählungen von Prozessen. Etwas, was halt den Boulevard und den Voyeurismus bedient. Das wird meistens geschehen und das ist hier Gott sei Dank nicht geschehen, sondern da gibt es eine ganz eigene Sprache, die dem Kind die Kinderperspektive ausdrückt. Die ganze Not, die wir dann im weiteren Verlauf gesehen haben, von anfangs das brave Mädchen, das volksame, gehorsame Mädchen, am Schluss die Aufbrausende, die sich ritzt und den Vater ablehnt, endlich. Ja, also es ist für mich, das ist eben für mich deshalb so entscheidend, dass man das aus der Innenperspektive mit dieser Sprache wirklich erlebt, dass man dem Kind so nah wie möglich kommt, damit man wirklich begreift, was es bedeutet. Weil eben unsere ganze Auseinandersetzung, wenn sie stattfindet, immer noch eine sehr objektive von außen ist, die aber nicht wirklich klar macht und uns nicht spüren lässt und nachempfinden lässt und keine Empathie erzeugt mit den Betroffenen. Und das ist aber die Voraussetzung dafür, dass wir wirklich erspüren, was es bedeutet, dass wir es begreifen und dann auch eine Sensibilisierung stattfinden kann, dass wir lernen können, Zeichen zu sehen oder ins Gespräch gehen zu können mit Menschen. Zur Sprache, darf ich mal kurz den einen Zettel aufhören? Ich weiß nicht, ob man das hinten sieht. Ich weiß nicht, ob man das hinten sieht. Es ist nicht so wie ein normaler Roman, eine normale Erzählung, dass im Blocksatz von links nach rechts der Text läuft, sondern es sind lauter kurze Sätze oder es sind lauter Schnipseln, die eigentlich auch der kindlichen Denkweise entsprechen. Und im Vortrag haben wir diese Atemlosigkeit gehört, vor allem wenn sie sich in Rage redet. Das wird dadurch auch sehr befördert und passt auch zu den Gedichten, die dann drinnen sind. Wackel, wackel, zehn und so weiter und so fort. Sehr eindrücklich, ja. Ja, die poetische Sprache, das kann ich vielleicht noch sagen, das war für mich ganz wichtig. Das hat natürlich erstens einmal damit zu tun, dass es meine Sprache ist. Die Poesie ist mir einfach sehr nahe und ist mir sehr wichtig. Und meine Art zu erzählen. Aber es gibt viele Gründe, warum ich die Poesie so in den Vordergrund rücke oder warum sie mein Mittel ist. warum ich die Poesie so in den Vordergrund rücke oder warum sie mein Mittel ist. Die Poesie ist für mich immer eine Möglichkeit, selbst wenn ich vom Abgrund erzähle, die Lebensfreude oder die Lebenskraft und den Glauben an das Leben aufrechtzuerhalten und präsent zu halten. um an das Leben aufrecht zu erhalten und präsent zu halten. Einerseits gebe ich diese Sprache meiner Figur, also ich bette sie sozusagen in der Poesie, das ist irgendwie für mich eine Art liebevoller Umgang mit der Figur, die sowas erleben muss. Es ist sicher auch so, dass die Poesie auch mich dabei unterstützt, mich damit so tief auseinanderzusetzen. Und ich hoffe, dass sie auch den Leser in der Auseinandersetzung unterstützt. Und es ist für mich immer so, dass in dem Augenblick, in dem auf der einen Seite eben die Poesie, also der Glaube an das Leben, die Lebenskraft und die Schönheit erspürbar ist und im selben Augenblick der Abgrund und die Schönheit erspürbar ist und im selben Augenblick der Abgrund und die Ruhe, die Ruhegewalt. Das ist der Moment, in dem sich die ganze Dimension des Lebens aufspannt und in dem einfach deutlich wird, dass sozusagen die Poesie und die Schönheit neben der Ruhegewalt bestehen kann und auch besteht, ohne diese Gewalt zu verleugnen, aber auch ohne sich ihr unterwerfen zu müssen. Und das ist eigentlich eine frohe Botschaft, die ich sozusagen immer wieder erlebe und die für mich ganz entscheidend ist. Ich habe da immer dieses Bild von einer Hinrichtung auf einer Blumenwiese. Das ist total verrückt. Es findet beides im selben Augenblick statt. Das ist das Leben. Und das eine relativiert das andere in keiner Weise. Also es ist weder so, dass die Blumen weniger blühen und weniger schön sind wegen dieser Hinrichtung, noch ist die Hinrichtung weniger schrecklich. Und das sind für mich dann immer diese Momente, wie Kafka sagt, die Poesie ist die Axt für das gefrorene Meer in uns. Also es ist auch eine Möglichkeit, den Menschen zu öffnen. Die Kunst ist immer eine Emanzipationsbewegung für mich auch. Es ist immer die Befreiung von Konventionen, die Befreiung von Gedankenmustern und Gedankenkonstrukten, vorgefertigten und von vorgefertigter Sprache. Und die Poesie ist sozusagen für mich das, was die größte Freiheit in sich birgt, was jenseits der Konvention liegt. Und das Leben offenbart sich dort auch am direktesten jenseits unserer Konstrukte sozusagen. Also irgendwie der Verlust des Koordinatensystems ist im Grunde die Voraussetzung für Poesie und erscheint mir auch als die Voraussetzung, dem Leben wirklich direkt zu begegnen. Ja, wobei, es ist ja hier das Schöne und das Schüre nebeneinander. Sie redet davon, dass sie tot sein will und dann gibt es doch Freude und dann gibt es doch den Genuss. Das sage ich ja. Und dann ist es je wieder abbrechend, ich wollte es nur nochmal sagen. Und dann ist es je wieder abbrechend. Ich wollte es nur noch mal sagen. Die sexuellen Übergriffe, haben wir schon gehört, enden ungefähr mit der Pubertät. Aber es ist klar, dass sie eigentlich nie enden werden und weitergehen werden und weiter schwelen werden. Nicht die Übergriffe, sondern die Folgen dieser Übergriffe. Und das können wir im nächsten Abschnitt auch sehr plastisch sehen, wo die junge Frau dann das Elternhaus verlässt. Bitte. Eine neue Stadt an einem neuen Fluss, neue Berge, neue Gipfel, neues Tal. Ich bin neu, ich sehe es im neuen Spiegel. Neuer Dächerglanz, neues Glockengeläut. Neu sind die Straßen, breit, voll Verkehr. Neu sind die Brötchen in der Bäckerei. Fenkel statt Kümmel, Anis statt Zimt. Neues Brot liegt auf neuen, glänzenden Tellern aus dem Möbelhaus. Meter Adlerhorst. Ein Gaubenfenster, Blick in den Hof und in einen quadratischen Himmel. Sogar der Himmel ist neu, sein Grau. Die Wolken sind regenschwer und ziehen schneller als anderswo. Fertigpaket, ausgeblichen, eine Küche, in der man kochen könnte, ein Tisch für Freunde, ein Bett für zwei. Ich trage rot gefärbtes Haar, Sneakers und lässige T-Shirts und Jeans. Ich trage Lippenstift auf meinen Lippen, Rouge auf den Wangen, Schwarz auf den Wimpern. Ich bin schön und ich fürchte mich nicht. Ich laufe auf hochhackigen Schuhen die Straße hinauf und hinunter. Ich bin eine Frau, ich bin erwachsen und klug, gebildet, charmant, ich bin gut unterwegs. Das Universitätslogo habe ich auf die Tasche genäht. In der Tasche Pfefferspray und Trillerpfeife. Man weiß ja nie. Ich bin Teil der Universität. Meine Patrikkelnummer ist siebenstellig. A97 063 61. Meine Zukunft hat eine Nummer. Sieben Ziffern öffnen mir die Tür in ein anderes Leben. Nur die Steintreppe zum Eingang der Universität ist schwer zu erklimmern am ersten Tag. Das Entree ist aus Marmor. Ich blättere durch das Vorlesungsverzeichnis wie durch ein Telefonbuch. Ich weiß nicht, was ich suche. A6.78, B985, F678.8 oder Z944. Alles hört sich gut an, verheißungsvoll. Hinter jeder Zahl steckt eine Chance. Ich hetze aus dem Vorlesungssaal im Erdgeschoss in den Seminarraum auf der dritten Etage, dann wieder zurück. Ich sitze auf Bänken, Stühlen, Tischen und Stufen, treibe im Gedränge auf den Fluren. Ich stehe in Schlangen. Von Sekretariat zu Sekretariat suche ich meinen Weg in die Zukunft. Wer eine Zukunft hat, hat schon gewonnen. A67.8B985F6778Z944. Ich wechsle die Fakultäten wie Schuhe. Das Vorlesungsverzeichnis ist mein Ziffernrausch. Ich fresse mich durch die Seiten. Neon macht hervoran. Neongelb ist meine Zukunft. Nichts soll unversucht bleiben. Nichts soll unter den Tisch fallen. Ich bin A9706361. Ich setze mich auf das Katapult der Bildung und will hinausgeschleudert werden ins Leben. In den Beruf. In den Erfolg, mit sieben Meilenstiefeln. Denk sieben Meilen Kopf, denk, schlag sieben Meilen Herz. Ich will nie wieder schief leben. Ich schaue nach vorn, nur nach vorn, niemals zurück. Ich trage Scheuklappen wie Pferde vor einem Karren. Ich spanne mich ein. Ich ziehe mich auf einen neuen Weg. Nach vorn, nach vorn, nach vorn. Kein Ausruhen, keine Müdigkeit vorschützen. Nach vorn, nach vorn, nach vorn. Ich gehe mir selbst voran. Ich bin Kutscher und Pferd. Niemals läutet mich mein Wecker aus dem Schlaf. Ich sehe der Zeit schon früh morgens ins Auge. Ich bin immer zwischen Tür und Angel. Ich ruhe nicht. Ich muss mein Leben finden. Seminar, Vorlesung, Praktikum, Bus oder Bahn. Ich stopfe meine Tage voll, bis sie bersten. Und abends dann Tanz. Carpe diem. Ich tanze in Kellern und alten Fabriken, in gläsernen Kuben, ich tanze direkt vor der Bassbox, ich will Rhythmus im Blut, die Nächste sind grell, Stroboskoplichter wie Wetterleuchten. Carpe diem. Hoch über allem hängt im Atrium die Schmiedeeisene Uhr. Alles unterliegt ihrem Ticken. Der Studentenschwarm strömt, treibt auf, Carpe diem. Länder beschrieben, jeder Student hat einen Plan, Schedules, Dispos, Dates und Termine, Zeitfenster und To-Do-Lists. Jeder lebt im Koordinatensystem. Ich bin nicht allein. Ich habe hunderte Kollegen. Ich bin normal. Ich bin erwachsen und stark. Ich schwimme im Strom. Ich kenne das Koordinatensystem. Im Osten geht die Sonne auf, im Süden steigt sie hoch hinauf, im Westen geht sie unter. Ich weiß, in welchem Café man den besten Cappuccino trinkt, in welchem den besten Latte Macchiato mit Hafer oder Mandelmilch, wo wann die Happy Hour startet. Ich sitze auf bunten Metallstühlen, ich trage Sneakers in der passenden Farbe, beschwere mich über die Öffnungszeiten des Sekretariats, die Menge des Lernstoffs im Pro-Seminar, über die Monotonie der Vorlesung eines Professors. Happy Hour. Ich bin Teil des Studentenschwarms. Ich bin wie sie. Gute Laune, Gespräche quer über die Tische. Stimmengewirr. Wenn das Lächeln auf den Lippen nicht reicht, lache ich mit im Chor. Ich zeige die Zähne und werfe den Kopf in den Nacken. Happy Hour. Ich sammle Telefonnummern, speichere sie, stecke sie in die Tasche. 20, 30, 128. Ich frage, ich nehme, ich tausche, tippe meine Kontakte in fremde Geräte. Wie eine Beute nehme ich die neuen Kontakte mit in den Adlerhorst. Ich sammle Freunde wie Sammelkarten. Ich habe 148 neue Freunde. Ich lese die Liste, verschiebe Namen von oben nach unten, von unten nach oben. Schmücke sie mit Sternchen und Herzen, lösche Namen, schreibe neue dazu. Ich bin Teil des Schwarms, nicht allein, nicht allein. Ich bin wie Sie, ich bin normal. Ich habe eine Adresse und ein Studentenkonto bei der Bank. Ich habe eine Telefonnummer und eine Steuernummer, eine Kranken- und eine Sozialversicherungsnummer. Ich habe ein Abonnement für das Universitätsmagazin, eine Kundenkarte im Kleiderladen und im Supermarkt. Ich sammle Bonuspunkte und Treuemarken. Ich bin verzeichnet beim Einwohnermeldeamt. Ich bin gut unterwegs. Ich wache auf in fremden Betten. Die Räume sind hoch oder nieder, die Bettdecken fleckig. Auf dem Boden liegen zerknitterte Kleider. Von der Wand lachen fremde Menschen, mit Eis in der Hand oder Bier, mit Hund, Barfuß am Strand, Sonnenuntergang, Kussmund. Auf dem Küchentisch vertrocknet Rosmarin. Mein Körper ist nackt und taub. Mein Kopf ist leer, als hätte jemand meinen Verstand und meine Gefühle verschleppt. Guten Morgen. Seine Stimme ist heiser. Ich gehe ins Bad. Die Frau im Spiegel ist mir fremd, wie die Menschen auf den Fotos. Fremde Zahnbürste, fremdes Rasierwasser. Ich erinnere mich an nichts. Ich fasse mir ins Gesicht, an meinen Hals, meine Arme, meine Beine, meinen Bauch. Ich suche ein Gefühl, irgendein Gefühl, irgendein Gefühl, irgendeines. Nichts. Ich suche, ich kneife meine Brustwarzen, fasse mich an, greife mir zwischen die Beine. Nichts, nichts, leblos. Als steckte ich in einem Wintermantel, wattiert. Der Mann hinter der Badezimmertüre ist mir fremd wie die Frau im Spiegel. Er ruft, er fragt, er klopft. Ich esse Zahnpasta. Er öffnet die Türe. Er stellt sich neben die fremde Frau und legt seine Hand auf den Wintermantel. Ich muss los, sage ich. Du schmeckst nach Zahnpasta, sagt er und steckt seine Zunge in meinen Mund. Seine Hände greifen in den Wintermantel. Ich lasse ihn gewähren und warte, ob vielleicht er etwas findet, auf den Brustspitzen oder zwischen den Beinern, etwas Verborgenes, irgendein Gefühl, irgendein Gefühl, irgendeines. Nichts. Der Mann durchpflügt den Wintermantel, durchlöchert ihn und ergießt sich. Ich will gerade stehen, Kopf hoch. Ich muss los. Ich greife nach meinen Sachen. Ich will nicht vertrocknen wie der Rosmarin auf dem Küchentisch. Die Tür fällt ins Schloss. Körpergedränge. Arm an Arm, Hüfte an Hüfte. Die Bahn ist voll. Es mischt sich Atem, es mischt sich Geruch, Wärme, Dunst, Stimmengewirr. Kein Fenster geöffnet. Zeitungsgeflatter. Mittendrin ein Akkordeonspielerer, kein Platz für seine Töne, kein Platz für seinen Gestank. Ich sehe zwei Mädchen im Streit, die eine hat das Haarband der anderen, die Mutter schlichtet. Ich sehe Menschen, die in Taschen kramen oder vor sich hindämmern, Kopfhörer im Ohr, Menschen, die in das Schwarz des Tunnels starren. Mein Haar ist unfressiert, meine Kleider zerknittert. Mein Schuhband ist offen. Hätte ich bleiben sollen? Zumindest fürs Frühstück. Scham. Schmerz. Ich füge mich in das Holpern der Bahn. Wie eine Tasche im Gepäckfach. Ich bin müde. Augen zu. Ich gähne. Der nächste Halt ist meiner. Ich schiebe mich durch die Menge ins Freie. Auf dem Bahnsteig sehe ich der Bahn nach, bis sie verschwindet. Ich steige die Treppe hinauf in den Adlerhorst, schlage die Tür hinter mir zu, ziehe mich aus, stelle mich unter die Dusche, drehe das Wasser warm, heiß, heißer, heißer, heißer, bis meine Haut rote Flecken bildet. Ich spüre endlich, ich spüre, endlich. Ich bin nicht taub, ich bin nicht tot, ich ging nur kurz verloren. Ich trockne mich ab, hülle mich in ein Handtuch und lege mich in mein Bett. Schlafen, schlafen, schlafen, bis die Flecken verschwinden. Schlafen. Ich warte auf haltende Züge. Als einer kommt, laufe ich los. Der Halt ist nur kurz. 120 Sekunden. Durch die Fensterscheiben inspiziere ich die Gepäckfläche. Ich suche mich, irgendwo muss ich liegen. 90 Sekunden, ich schreite alle Waggons ab. 60 Sekunden, die Scheiben spiegeln, sie sind verschmiert. 40, ich bin nicht da. 30, nirgendwo, nirgendwo. Zurückbleiben, bitte Türen schließen. Der Zug rollt davon. Auf der Anzeigetafel, ihr Zug kommt nie. Die Züge sind in alle Richtungen davongefahren. Vielleicht hat mich ein Zug ans Meer getragen. in den Osten, Richtung Sonnenuntergang. Vielleicht steige ich aus dem Gepäckfach direkt in die Wellen. Vielleicht kehre ich wieder. Vielleicht bin ich für immer dahin. 18 Stunden Schlaf. Wo bin ich? Ich brauche mich für meinen Weg in die Zukunft. Ich könnte eine Fahndung aufgeben. Ich müsste kein Phantombild erstellen. Ich muss mich nicht beschreiben. Ich werde den Polizisten sagen, sehen Sie mich an, so sehe ich aus, so bin ich verloren. Nur jünger, noch als Kind. Als Mädchen. Merkmale, Besonderheiten? Ein Muttermal auf dem Kinn. Wie lange ich mich vermisse. Seit Monaten. Vielleicht seit Jahren. Ich habe kein Zeitgefühl. Vielleicht hocke ich unter den Ästen im Gebüsch. Vielleicht bin ich wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht sitze ich auf dem Bett und sehe der gläsernen Ballerina beim Tanzen zu. Die Stelle im Kopf, die das weiß, ist leer. Ein Kommilitone, der das Tablett vor seinem Herzen trägt, möchte sich zu mir setzen. Darf ich? Ich nicke. Er stellt das Tablett auf den Tisch, beladen mit Tellern, Gläsern und klapperndem Besteck, wirft seinen Rucksack, die Jacke nass, den Regen, die Wolken, das draußen, neben mich auf die Bank. Ich rutsche zur Seite. Ich lächle, nur vorn auf den Lippen, nicht hinten im Herz. Sein Haar ist voll, seine Schultern sind breit, seine Zähne sind kräftig und weiß. Er spricht geschwind frischen Wind auf den Tisch. Er hat Strände im Kopf, Wellenritte, Länder jenseits der Ozeane. Seine Haut riecht nach Sonnencreme. Er lässt mich von seinem Essen kosten. Fleisch mit frischem Gemüse. Mit seiner Serviette tupft er mir den Saft von den Lippen wie von einer offenen Wunde. Wie unter einem Glassturz höre ich nur noch seine Stimme. Er ist ein Wellenreiter, ein Eisbrecher, ein Siebenmeilenherzensbrecher. Er reicht mir Wasser, ich trinke. mit wasserblauen Augen fixiert er mich. Er ist ein Schlangenbeschwörer, ein Drachentöter. Er zieht mich unter den Ästen des Gebüschs hervor und verweist meine Vergangenheit auf ihren Platz. Er fordert mich auf zum Tanz. Ich sehe nicht mehr der Ballerina zu. Ich drehe mich selbst. Er ist das Tor in meine Zukunft. Er ist ein Prinz auf einem weißen Pferd. Ich springe auf, keine Widerrede, ich will ein Leben im Galopp. Du kommst ins Mädchenland an meiner Hand, mein Prinz, ins Märchenland. Meine Taschen sind gefüllt, in meine Taschen greift er seine Hände. Sie heben meinen Wintermantel wie Flügel, darunter bin ich nackt und weiß. Ich lebe wieder mit Jahreszeiten, der Frühling ist da. Wir sind Neugeborene, wir betreten unbetretenes Land. In seinem Arm bin ich sicher, endlich, endlich. Sein Atem weht meine Vergangenheit aus dem Turm, weit und für immer fort. Universität, Studium und Stadt, Freunde bedeuten nichts mehr. Nichts bedeuten Familie, Heimat und Dorf, Berge und Tal. Alles deutet auf ihn. Ich will an seiner Brust liegen, nichts hören, nur sein Herz, nichts einatmen, nur seinen Geruch. Ich will den Brillenabdruck auf seiner Nase erforschen, den Schweiß in seinem Haaransatz. Ich will seine Fußsohlen auf meiner Wange spüren und seine Füße küssen. Ich will, dass er mich betritt, mein Leben, meine Fantasie. Tagelang bleiben wir im Dornröschenturm, als gäbe es keine Treppe, keinen Weg nach unten, mein Leben, meine Fantasie. Tagelang bleiben wir im Dornröschenturm, als gäbe es keine Treppe, keinen Weg nach unten, nur das Gaubenfenster in den Himmel. Ich schlafe traumlos und tief, erschöpft sind Körper und Herz. Die Liebe rollt über uns hinweg, Glück ohne Rücksicht. In ihr verbrennt alles. Barfuß gehe ich durch das Fegefeuer, werde rein und neu. Nackt sitzen wir an dem Tisch für Freunde und leuchten. Nachts auf dieser Erde. Ich werde Mutter sein. Der Prinz wird das Brot bringen. Ich werde nichts tun, außer mein Kind lieben. Ich werde das Kind stillen, ich werde es wiegen, streicheln und wärmern. Die Geburt wird meine Neugeburt. Ich werde mit dem Kinderwagen durch den Park fahren, mit Windeln, Fläschchen und Sandspielzeug. Der Prinz wird in den Park kommen, das Kind aus dem Wagen heben wie eine Trophäe. Er wird es auf die Rutsche setzen und auffangen mit seinen warmen Armen. Er wird dem Kind Märchen erzäh wie eine Trophäe. Er wird es auf die Rutsche setzen und auffangen mit seinen warmen Armen. Er wird dem Kind Märchen erzählen und Lieder vorsingen. Er wird es schaukeln. Maikäfer, flieg, flieg, flieg. Er wird ihm alles erklären. Sonne, Mond und Sterne. Wo der große Wagen leuchtet. Wo Skorpion und Orion. Er wird es bei Gewitter auf den Arm nehmen und es wird sich in seinem Hals vergraben. Keine Angst, wird er sagen, mein Ein und Mein Alles. Keine Angst. Unser Leben ist ein Fest. La vita e bella, sagt mein Prinz. Ich trage ein weißes Kleid mit Blumen, enge Taille, weiter Rock, darunter einen Petticoat aus den 50er Jahren. Du bist schön, sagt mein Prinz, la vita e bella. Rosenblüte, Rosenduft, eine Rose im Haar, Sommerfest im Park. Eine Tanzfläche, Musik, die Köpfe im Nacken, die Münder offen, Lust und Lachen, light me up, butterflies, Campari, Negroni, Paloma, Lavender, Spritz. Ich treffe Freunde, habe die Farben ihrer Sterne vergessen, ihre Namen. Wir prosten uns zu. Bald leuchten dort oben die Sterne und unten, da leuchten wir. Der Tüll kratzt, meine Schuhe drücken, meine Knie sind weich, der Boden schwankt. Mein Prinz küsst mich und drückt mich an sich. Sag mal, du kannst ja kaum noch stehen. Stimmt nicht. Ich wanke, er lacht. Mein Licht geht aus, wir gehen nach Hause. Rabimmel, rabammel, rabumm. Ja, ja, ja, Schatz, ist gut. Wir steigen ins Taxi. Am Arm meines Prinzen quäle ich mich 8000 Stufen den Turm hinauf. Für das letzte Stück Treppe hebt er mich auf seinen Arm, trägt mich die Stufen hinauf über die Schwelle. Er legt mich aufs Bett. Er riecht nach Alkohol. Der Prinz nimmt mir die Rose aus den Haaren. Die welken Blätter verheddern sich. Es ziebt. Er zieht mir die Schuhe aus. Weg mit dem Tüll. Zungenschlag, Schnapsstimme, Sturmstimme. Luft. Ich springe auf, plötzlich ernüchtert, kann kaum atmen. Stürze zum Fenster. Luft, Luft, Luft. Schurmstimme, Luft. Ich springe auf, plötzlich ernüchtert, kann kaum atmen, stürze zum Fenster, Luft, Luft, Luft, schwarz vor Augen, Luft. Ich steige über den Tisch auf das Fensterbrett, Luft, Luft, ich kriege keine Luft, ich muss raus, raus. Der Prinz stürzt auf mich und reißt mich zurück. Was machst du? Stürzt nüchtern auch er. Wir fallen zu Boden, er greift nach mir, hält mich mit seinen Armen gefangen, ich kann nicht atmen. Ich schüttle ihn mir vom Leib, schüttle ihn ab wie Ungeziefer, schüttle, schüttle, schüttle, Papa aus dem Kopf, Papa vom Hals, schüttle ihn mir vom Leib, schüttle ihn ab wie ungeziefer. Schüttle, schüttle, schüttle. Papa aus dem Kopf, Papa vom Hals. Schüttle, schüttle, schüttle. Schüttle Papa aus den Augen, schüttle Papa aus dem Sinn. Ich schüttle mir Papa aus dem Herzen. Ich will nicht, ich will nicht, ich will das nicht mehr. Schüttelfrost. Ekel. Scham. Dass Schwarz kommt. Ich rege mich nicht. Die Nacht nimmt kein Ende. Am nächsten Morgen sind wir aus dem Himmel gefallen, als hätte Amor uns höchstpersönlich zertreten. Der Rosenduft ging in der Nacht verloren, der Turm ist wieder Mansarde. Der Prinz steht vor mir und will in mein Eis. Er kennt die Kälte nicht. Er ahnt nicht, dass er die Kälte nicht besteht. Ich trage den Wintermantel. Ich kann mich nicht erklären. Nicht die Liebe, nicht den Krieg. Danke sehr. ausgewählt. Es ist interessant, dass der Vater in jeder dieser Beziehungen drinnen sitzt. Es gibt, es werden Szenen wachgerufen in Form von Flashbacks, wo er dann, das hat man hier sehr schön gesehen, auch von ihrem Anziehen her und vom Alkoholtunst, den der Prinz oder der Mann halt hat. Gibt es den der Prinz oder der Mann halt hat, gibt es, und über allem schwebt dann trotzdem immer noch die Frage nach der Schuld. Wie wir schon im ersten Teil gehört haben, sie hat den Herr imaginiert, den Vater, und denkt, sie ist schuld daran. In diesem zweiten Teil kommt dann die Frage, wo sie irgendwann zu sich kommt und sagt, ich muss ihn endlich Täter nennen. Das haben sie nicht vorgelesen, aber das ist die Zeit schon sofort geschritten. Und ist in einer emotionalen Situation, wo sie eigentlich zwar weiß, ich muss ihn Täter nennen an den Vater, der auch verhindert, dass sie ein Verhältnis zu einem Mann aufbauen kann. Und andererseits weiß sie genau, wenn sie diesen Vater Täter nennt, dann gibt es keinen Papa mehr. Dann ist der Papa quasi für sie gestorben. Und sie schließt diese Überlegung mit dem bemerkenswerten Satz, ich kann nicht aufhören, meinen Papa zu lieben. Das finde ich ein sehr spannendes, eine sehr spannende Konklusion eigentlich, weil genau darum geht es. Dass man nicht weiß, dass man als Kind einfach nicht lernt, eine andere Beziehung zu Eltern aufzubauen. Und daher auch nicht zu einem Partner eine Beziehung aufbauen kann. Ja, also deshalb war es mir auch wichtig, diesen zweiten Teil zu schreiben, nicht nur in der Kindheit zu verharren, sondern dass es einfach deutlich wird, dass sich so eine Gewalterfahrung einschreibt in den Menschen, in seine Wahrnehmung von Welt, in die Wahrnehmung von sich selber, in die eigene Emotion, in die eigene Angst, in die eigene Sinnsucht, in jede Form von Interpretation von Beziehungen oder Geschehen. Also es ist einfach der ganze Mensch davon erfasst. Und es kommen hier auch die Fassadstücke aus den Kindergeschichten, Kindererzählungen, Kinderliedern, Volksliedern wieder vor, aber sie haben eine ganz andere Funktion hier, weil sie sind viel weniger. Und das klingt so wie das Echo aus der Kindheit. Aber es ist keine Hilfe mehr. Es hilft ja nicht, sich besser auszudrücken. Ja, es ist einfach, das zeigt einfach sozusagen, oder daran wird einfach deutlich, wie tief das in ihr verankert ist. Ja. Daran wird einfach deutlich, wie tief das in ihr verankert ist. Da die Zeit schon so weit fortgeschritten ist, schaue ich mal hoffnungsfroh ins Publikum und frage, ob irgendjemand von Ihnen eine Frage stellen möchte oder eine Anmerkung hat, die er gerne jetzt loswerden will. Wir haben ein Handmikrofon, falls Sie einfach nur die Hand heben, dann kann man das Mikrofon weitergeben. Ich möchte noch eine Frage stellen, und zwar zu der Anfangsphase, wo das Kind diese Gedächtnislücken hat. Haben Sie das in den Gesprächen? Das heißt, diese Verdrängung unbewusst setzt schon so früh ein, dass das bei dem Kind mit fünf, sechs, sieben Jahren schon zum Ausdruck kommt. Ja, das ist mir erzählt worden von diesen Gedächtnislücken. Und die fallen in dieses Vergessen, eigentlich wie ein alter Mensch. Ja, das ist die Form der Verdrängung einfach, die sich der Raum greift. Danke. Dort hinten. Mir gefällt die Sprache und die Melodie sehr gut. Das ist sehr eindringlich und für mich sehr spannend und interessant zu lesen und zu hören. Und zur Moderatorin ein Satz. Zur Moderatorin ein Satz. Sie haben zuerst gesagt, es wurden Statistiken gemacht, wo die Frauen und Mädchen von 7 bis 80 befragt wurden. 18 bis 74. 80 bis 74 und das sagt alles. Sie haben aber vergessen, dass die Hälfte der Menschheit aus Männern besteht und wenn auch sehr wenige Burschen sexuell missbraucht oder Gewalt gegen sie verübt wird, müssen die und die Statistik von diesen auch erwähnt werden? Die wurden, soweit ich mich erinnere, nicht erwähnt. Aber es ist klar, dass es die natürlich auch gibt. Aber der Hauptteil sind Frauen und Mädchen. Danke für die Lesung. Ich kann das Buch auch schon selber lesen, aber es ist schön, es noch einmal zu hören zu bekommen. Eine Frage, die mich bewegt, das Ganze starker Tobak, schwer zu ertragen. Aus Ihrer Forschung sozusagen in der Vorbereitung auf dieses Buch sind Ihnen auch Fälle bekannt geworden, also Fälle, wo sich die befreien konnten. Das wäre für mich sehr hilfreich, jetzt zu wissen, dass man nicht nur in dieser Depression stecken bleibt und sagt, okay, wenn jetzt nicht irgendeine aufmerksame Schriftstellerin kommt, dann wird da nie was passieren. Ja, glücklicherweise kann ich das mit Ja beantworten. Also es ist wirklich total beeindruckend, dass es ein ganz großes Panorama dann gibt, wie diese Leben weitergehen. Also es gibt von der Destruktion über die Autodestruktion bis zum glücklichen Familienleben, gibt es alles drinnen. Was allerdings niemals vorgekommen ist, ist, dass es so eine Verdrängung ist, dass es nie wiederkommt. Auch das glückliche Familienleben ist meistens dann so temporär oder von Phasen durchbrochen, wo es einfach wieder hochkommt. Aber es kann dann immer wieder stabilisiert werden und kann immer wieder lange glückliche Phasen geben. Gibt es noch eine Frage vom Publikum? Ich wollte vielleicht noch sagen, weil Sie das angesprochen haben mit dem Täter, der Vater und der Täter. Es ist natürlich insofern so schwierig, auch für die Gesellschaft darüber zu reden, weil es eben so wahnsinnig komplex ist und weil es sich entzieht, dieser Binarität, die wir so gerne haben, um die Sachen einzuordnen. Es ist eben nicht damit getan, zu sagen, es ist der Täter und damit ist alles dann geklärt, sondern es bleibt eben ein bisschen komplex. Und für die Betroffenen ist es so, dass sie sagen, es wäre ihnen für sie ganz entscheidend, dass wir erkennen und akzeptieren, dass es etwas ist, was in unserer Gesellschaft stattfindet. Weil sie haben oft das Gefühl, dass wir das so nach außen drängen, an den Rand drängen, dass wir das so nach außen drängen, an den Rand drängen, dass sie das Gefühl haben, sie sprechen sozusagen wie Außerirdische oder aus dem Jenseits. Und das sind sie aber nicht, sondern sie erleben etwas, was in der Mitte unserer Gesellschaft tagtäglich stattfindet. Und sie wollen sich nicht als Außerirdische sehen oder aus dem Jenseits sprechen, sondern sie wollen aus unserer Mitte sprechen. Und die Voraussetzung dafür, dass das möglich ist, wäre, dass es uns gelingt, sozusagen eine Selbstverständlichkeit im Umgang damit zu entwickeln, die nicht verharmlost natürlich und nicht relativiert, aber dass wir es nicht diabolisieren und nicht dämonisieren. Es ist leider nichts Teuflisches, sondern es ist leider etwas Menschliches. Es ist nicht human, aber es ist menschlich. Und vielleicht jetzt, weil Sie doch gefragt haben nach einem positiven Ausblick, möchte ich dazu auch noch sagen, die Kraft, die die Gesellschaft hat, die ihr immer nennt, das ist ja gigantisch. Und es ist uns schon so vieles gelungen. Auch gelungen über Dinge zu sprechen. Noch vor wenigen Jahrzehnten sind ja Menschen vom Kirchturm gesprungen, weil sie ein uneheliches Kind empfangen haben oder eine andere sexuelle Ausrichtung hatten oder Gewalt in der Beziehung erfahren haben und das Gefühl hatten, es gibt keine Möglichkeit, sich zu trennen. Wir haben über all diese Dinge sprechen gelernt und wir haben in der Folge gelernt, damit umzugehen. Und wir werden auch über sexuelle Gewalt in der Familie sprechen lernen. Und die Kinderschutzzentren sagen, der erste Schritt ist eben, es für möglich zu halten, auch wenn wir es nicht wollen. Und der zweite Schritt ist, es in der eigenen Familie für möglich zu halten. Dann ist uns schon eine große Sensibilität gegeben und dann sind wir schon bereit, Zeichen wahrzunehmen und einen guten Schritt gegangen auf dem Weg. Das war ein hoffnungsvolles Schlusswort. Danke Katharina Winkler. Ich darf das Wort an die Frau Pöringer noch einmal übergeben. Also von meiner Seite auch einen herzlichen Dank an Katharina Winkler für die Lesung und Monika Wasik für das Gespräch. Herzlichen Dank. Ich möchte Sie auch noch auf den Büchertisch hinweisen, der sich hinten am Ausgang befindet. Bitte schauen Sie dort vorbei, dort können Sie das Werk Siebenmeilenherz erwerben. Ich bin mir auch sicher, dass Katharina Winkler das Werk signieren wird. Ich werde die Gelegenheit dann auch nutzen. Und ich möchte Sie auch einladen, uns nächsten Dienstag um 19.30 Uhr wieder im Stifterhaus zu besuchen, wenn wir den Adalbert-Stifter-Gedenktag begehen. Gerhard Seilinger wird einen Vortrag zu Herbert Eisenreich und seiner Korrektur des Stifterbildes halten. Andreas Pöringer liest aus Stifters Werken. Und außerdem startet am 27. Jänner unser Literaturcafé, bei dem Neuerscheinungen in gemütlicher Runde diskutiert werden. Anmeldungen nimmt meine Kollegin Sandra Malitz entgegen. Für alle, die selbst schreiben, auf unserer Homepage und auf dem schwarzen Brett befindet sich nun die Ausschreibung für die Literaturzeitschrift Die Rampe. Wer gerne Texte einreichen möchte, kann sich dort informieren. Das war es von meiner Seite. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise, einen schönen Abend und freue mich, Sie bald wieder hier bei uns im Stifthaus zu sehen. Auf Wiedersehen.