Literatur im Café Literatur im Café. Als ich das Schloss zum ersten Mal betrat, war ich 21 oder 22 Jahre alt, hatte eine Lyrik und dann auch noch den Pädagogikpreis der Gegenwart für meine Hausarbeit in der Erziehungswissenschaft gewonnen und sah zwischen Biedermeier Sofa und Goldrandgeschirr im sogenannten Besprechungszimmer auf einem Samtsessel sitzend, die Frau Direktorin lustig und quirlig mit Brille und den Herrn Rektor voll größter Ruhe, die Serviette falten und die zwei Mädels, eine mit einer etwas ausladenderen Figur, aber auch viel zwischendurch nacktem, es muss wohl der Sommertermin gewesen sein, die andere mir zugewandt, ich bin die Iris, zwei Lyriker liegen im Bett und vereinigen sich, steigen hinab zum Geschlechtergeliebten, wir sehen uns an, wir sagen uns Dunkles. Nein, lieber Freund, so funktioniert das nicht. Und so kam es nie zu einer derartigen Vereinigung. Wohl aber zu vielen Besuchen und Auftritten im Café des Bildungshauses. Suchen und Auftritten im Café des Bildungshauses. Wenn der weißhaarige Seidensticker mit leiser, aber bestimmter Stimme analysierte oder auch die Literaturkritikerin der Welser Zeitung, eine sehr feinsinnige ältere Dame, war das Ambiente des Marmorsaales, der auch so etwas wie ein literarisches Spiegelkabinett darstellte, akustisch wie optisch in sich stimmig. Zugegeben, es waren und verblieben im Publikum zumeist mehrheitlich Frauen, die sich nach Kaffee und vor allem den ebenfalls kostenlosen, köstlichen Mehlspeisen sehnten und abgesehen von Iris Gerte und Frau Direktor, die dezidiert literarisch nicht schrieb, sehr unterschiedlich literarisch begabte VorleserInnen ihrer Arbeiten. Und das bildete auch den Grund für die auf die vorgetragenen Texte folgenden Nachbesprechungen bzw. deren eigentlichen Zweck des Cafés bzw. dessen Mehrwert. Die ebenso kontroversiell wie auch immer wieder verbindlich geführte Auseinandersetzung mit Literatur, wie ich sie mir heute noch vorstelle, sowohl auf den Tagungen der Gruppe 47 und später, wie im Fernsehen bis heute mitzuverfolgen, beispielsweise beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Nur, dass im Café keine Preise verliehen, wohl aber Anerkennung oder Vernichtung. Und nicht selten beides ausgesprochen wurden. Und dass die AutorInnen sich jederzeit zu ihren Texten äußern durften. Dafür verantwortlich war Professor Magister Horgescheck, dessen Horrorcheck mich und andere arrivierte Besucherinnen mit den Jahren meist belustigte, ebenso wie er die gewogenen Kaffee- und Mehlspeisgäste empfindlich störte, Betroffene kränkte, beleidigte und mitunter beinahe zum Weinen brachte. Horischeks erklärteste Fans aber waren seine mitgereisten SchülerInnen aus dem benachbarten Gymnasium. War das jetzt Literatur oder keine Literatur? Und warum? lautete die zumeist nach jeder Erstlesung gestellte Einstiegsfrage des Deutschlehrers. Und wer, sei es, weil er selber schon schrieb und sich daher für Wie-man-Schreibe interessierte, oder sei es bloß als begeisterter Literaturabnehmer-Leser, wusste jetzt sofort, wie das nächstfällige Urteil ausfiel. Oder bloß Schulaufsatz. Ob von gewisser Reife oder doch noch unfertig. Ja, aber vielleicht von noch verborgener oder noch ungewiss, ob zu entfaltender Qualität. Oder ganz einfach banal bis mitunter grottenschlecht. Also von, warum müssen Sie sich denn unbedingt in Worte fassen, wenn ihnen doch ein jeder Satz bzw. Vers misslingt? Bis zu einer weiteren Fülle an Bewertungen. Warhorischek, gut gelaunt, meint ja gelegentlich zwar, ein Schulaufsatz sei beileibe nichts Verwerfliches und werde ja auch mitunter mit sehr gut beurteilt. Aber ein seriöses literarisches Schaffenwollen sei doch unbedingt zu begleiten von einer gewissen Kenntnis an Grammatik. Von Orthographie war damals übrigens nie die Rede. Sie konnte bei allen vorausgesetzt werden. Auch, und darin waren alle sich einig, außer mancher der sogenannten Autorinnen, schade es grundsätzlich nicht, literarische Vorbilder durch Lesen literarischer Texte zu studieren, wobei natürlich auch Manier bzw. Manierismus drohe. Aber Nachgemachtes und Eigenständiges konnte einer wie Horischek ohnehin von Weitem erkennen. Dazu braucht er ja nicht einmal seine Lesebrille. Und fast alle lachten. Vom literarischen Markt war vorerst keine Rede. Dem widmete sich Professor Seidensticker erst in seinem Vorwort zur sechsten Anthologie 1992, der letzten, in welcher er als Herausgeber fungierte. Nach seinem Rückzug aus Altersgründen übernahm Iris seine Agenten und die Gestaltung des Cafés gelangte in die Hände einer von sich selbst so bezeichneten Hobbypoetin, die in erster Linie durch Klavierspielen versuchte, ihre Haushaltskasse aufzubessern. So wurde aus dem Café schließlich ein musikalischer Salon mit Literaturbegleitung. Eine letzte Anthologie erschien um die Jahrtausendwende. Ein ambitionierter Welser Autor und Jungverleger nahm sie in seine Reihe panglos auf. Die damalige Frau Direktor Iris und Gerti leben noch. Der Dr. Seidensticker hat bei der Literatur wohlwollend betrachtend und meine literarischen Anfänge sehr gelobt. Der Horischek, ebenso bereits verstorben, aber einmal im Vorbeigehen, als wir schon Deutschlehrerkollegen waren und Gertis Musical landesweit von jeder singenden Volksschulklasse aufgeführt wurde, mir gegenüber gemeint. Jetzt hat die Gertschi ihre wahre Bestimmung gefunden. Kinderbuch-Librettistin. Thank you.