Was ist dein aktuelles Buch heißt Onkel Emrech, Untertitel Grubergeschichten. Das ist mein erster Ausflug in die Welt der Prosa gewesen. Und bis jetzt hat es nur im Sinne von ausschließlich Gedichtbände von mir gegeben. Ich habe ja auch vorgehabt, wieder zu Lyrik zurückzukehren. Aber die Tatsache, dass es mir so großen Spaß gemacht hat, dieses Buch zu schreiben und die vielen positiven Rückmeldungen haben mich dazu bewogen, an einem zweiten Band zu arbeiten und den Epilog dieses zweiten Bandes möchte ich Ihnen vorlesen. Mittelwert heißen Gruber im Internat und es ist noch nicht ganz fertig, muss sicher noch zwei, dreimal überarbeitet werden, aber ich denke, man kann es schon vorlesen. Gruber am Balkon. Gruber saß in Antalya auf dem Balkon seines Zimmers im vierten Stock des Hotels Lara, einer traditionellen Absteige für billige Reiseausmaus in die Türkei. Viele Grundreisen nach Kappadokien oder in den Südwesten des Landes nehmen hier ihren Anfang. Er genoss den Blick auf das stürmische Meer, dessen braune Wellen den kleinen Sandstrand des Hotels fast zur Gänze überschwemmten. Wilde Wolkentürme verhiesen für die nächsten Tage nichts Gutes. Gruber hatte trotz des Schlechtwetters Hemd und Schuhe ausgezogen. Ein Unterleibchen verhinderte das schweißbedingte Festkleben am Plastiksessel. Die Beine waren auf einem zweiten Stuhl hochgelagert und die Whiskeyflasche war aufgeschraubt. Kober pflegte auf Auslandsreisen im Duty-Free-Shop irischen Whiskey zu kaufen, für die Verdauung, morgens und abends ein Schlückchen, nichts Unangenehmeres als Reisediarrhoe. Mit 50 brauche ich diese Ausreden nicht mehr, dachte Gruber. Ich liebe den Black Bush und stehe dazu. Gegen den drohenden Durchfall hatte er zusätzlich einen Liter Fernet Branca mitgenommen, diesen köstlichen italienischen Bitterlikör. Man kann nie vorsichtig genug sein. Gruber stöpselte sich die Kopfhörer Man kann nie vorsichtig genug sein. Guerillo an. Ich bin stets guten Moods, dachte Gruber und schmutzelte. In the Mood, Glenn Miller war das gewesen, nicht? Er konzentrierte sich darauf, nicht zu inhalieren, schwer genug für einen zur Sucht neigenden Menschen. Ein Flugzeug donnerte knapp über das Hoteldach hinweg. Gruber schenkte nach. über das Hoteldach hinweg. Gruber schenkte nach. Er war erst vor einer halben Stunde von einem Spaziergang zurückgekommen, hatte eine vom Balkon aus idyllisch anmutende Halbinsel zu Fuß erreichen wollen, aber der Zugang war überall versperrt gewesen. Militärisches Gelände, bewaffnete Wachposten, nicht wirklich Grubers Geschmack. Außerdem war er zu warm angezogen und zu hektisch unterwegs gewesen. Von Lustwandeln keine Spur. Ich renne herum wie ein Verrückter, sinnierte Gruber. Je gelassener ich sein will, desto unruhiger werde ich. Und eine fette Sau bin ich auch. Ja, Gruber befand sich in einer heftigen Lebenskrise. Tatsächlich hatte er vor knapp 30 Kilogramm Sport studiert, sich aber besonders in den letzten Jahren ziemlich gehen lassen. Er war adipös geworden, kurzatmig, ständig müde und er transpirierte übermäßig stark. Mit anderen Menschen wollte er nichts mehr zu tun haben, außer mit denen, die ihm vertraut waren, die ihn nahmen, wie er eben war. Hier oben aber auf dem kleinen Balkon fühlte er sich wohl. Vier Quadratmeter Sicherheit, Rückendeckung, keine unliebsamen Überraschungen. Die Kassette war zu Ende gespielt, Gruber legte den Walkman auf den Fliesenboden und verschränkte die Arme im Nacken. Wieder dröhnte ein Jet über das Hotel, das direkt in der Einflugschneise des neuen Flughafens lag. Nach ein paar Gläsern Whisky würden ihm die Flugzeuge egal sein. Außerdem war er nicht auf Urlaub, um sich über irgendetwas aufzuregen. In der nächsten Stunde wurde es rasch dunkel und kühl. Gruber überwand das angenehme Gefühl der Trägheit, das sich in ihm breitgemacht hatte, erhob sich und ging ins Zimmer, um einen Pullover anzuziehen. Als er wieder den Balkon betrat, fiel ihm auf, dass die ersten Sterne zu sehen waren. Gruber hatte sich eine Zeit lang mit Astronomie beschäftigt und war neugierig, welche Sternbilder er etwas später erkennen würde. Im Westen war ein schöner Sichelmond zu sehen und nicht weit davon entfernt ein hell leuchtender Stern. Sieh an, sieh an, dachte Gruber, die türkische Flagge am Himmel, allerdings seitenverkehrt. Und der Stern müsste eigentlich ein Planet sein, die Venus vielleicht. Er erinnerte sich, dass ihm türkische Schüler von dieser seltenen Konstellation erzählt hatten. Welch erhebender Moment, dachte Kruober, ich werde ein Rauchopfer darbringen und bei der Gelegenheit noch einmal nachschinden. Ergriffen lehnte er am Gelände und starrte in die Nacht hinaus. Wieso redet man eigentlich immer vom türkischen Halbmond? Also alles was recht ist, aber ein Halbmond ist das nicht. Vom Meer her ernährten sich zwei größer werdenden Lichtquellen. Oje, sie kommen, grinste Gruber. Mit etwas Verzögerung realisierte er, dass die zur Landung ansetzenden Flugzeuge mittlerweile ihre Scheinwerfer eingeschaltet hatten. In einem seitlichen Abstand von wenigen Metern verschwanden die beiden grellen Lichtkegel hinter der Dachkante. Augenblicklich erinnerte sich Grub an eine Deutschschularbeit, die sein Freund Samuel in der sechsten Klasse Gymnasium verfasst hatte. Er hatte geschrieben, dass seine Großmutter mit dem Fahrrad regelmäßig eine Disco am Rande der Stadt aufsuchen würde. Einmal sei sie spät nach Mitternacht vom Tanzen erregt und glücklich nach Hause gefahren und es seien ihr zwei Lichtkegel entgegengekommen. Sie habe gedacht, zwei Motorradfahrer würden die Gunst der Stunde, sprich die geringe Verkehrsdichte dazu nutzen, nebeneinander zu fahren. In ihrer aufgeregten Stimmung und in ihrer Ausgelassenheit habe sie sich den Spaß erlaubt, zwischen den beiden Bikern durchzufahren. Leider seien es aber nicht, wie sie fälschlich angenommen hatte, zwei Motorräder gewesen, sondern ein Lastkraftwagen, und so hätte sie ihr tragisches Ende gefunden. Der Professor, ein strenger Mann, fragte Samuel, ob er denn über Nacht wahnsinnig geworden sei und was er sich dabei denke, so einen pietätlosen Blödsinn abzuliefern. Er beurteilte die Arbeit negativ. Trotzdem glaubte Gruber damals hinter der Hornbrille des erzürnten Germanisten, ein verstecktes Schmunzeln erkannt zu haben. Brille des erzürnten Germanisten, ein verstecktes Schmunzeln erkannt zu haben. Gruber hatte genug. Er zog sich aus, legte sich ohne zu duschen ins Bett und versank in einer Wolke aus Alkohol und Erinnerungen an seine Internatszeit. Im Zehn-Minuten-Takt krachten die Flugzeuge über das Hotel, als flögen sie direkt durch das Zimmer.