Ich lese aus Mord in Linz, erstes Kapitel. Zuletzt. Niemand wusste von uns. Ich stand auf der Plattform des Aussichtsturms, der hinter B etwa 50 Meter hoch aus dem Hochwald ragt, wartete auf sie, schloss die Augen und sah sie, spürte sie, hörte ihr Lachen. In mir war Freude, denn unsere Geschichte war unmöglich, aber seit drei Wochen die Wirklichkeit ihres und meines Lebens. Wir trafen uns nicht zum ersten Mal hier oben, wo wir schon viele Stunden uns gemeinsam aus allem Fortträumen verbracht hatten, vor dem Ausblick über den Wald, der die sanften Wellen dieser Landschaft über die Landesgrenze hinaus bis an den Horizont bedeckte. Viel zu früh da genoss ich jede Sekunde des Wartens, bis sie auf dem Parkplatz unter mir halten, aussteigen, mir einen Blick zuwenden und zu mir heraufeilen würde. Ich saß mit meinem Walkman auf der Bank auf der Spitze des Turms, Mit meinem Walkman auf der Bank auf der Spitze des Turms hörte Miles Davis im Ohr und flog mit dieser Musik über den Wald hinaus, hinein in das, was ich mir unter Unendlichkeit vorstellte. Doch dann sah ich, wie zum ausgemachten Zeitpunkt einer dieser klobigen Mercedes-Geländewagen unten hielt. Die Tür neben dem Fahrersitz ging auf und nicht sie, sondern ihr Ehemann, der nicht nur von Bildern auf Wahlplakaten und aus dem Regionalfernsehen kannten, stieg aus. Seine Füße steckten in Haarfelsschuhen, an seinem massigen Körper hing ein waldgrüner Umhang, ein Jägerhut, den tatsächlich ein Gamsbart zierte, saß auf seinem Kopf. Vollendung des Widerwärtigen, dachte ich, oben stehend. Er sah herauf zu mir, grinste, nickte mir zu, bevor er sich auf den Weg nach oben machte, schnaufend, mit vielen Pausen in immer kürzeren Abständen innehaltend. Als er mir gegenüberstand, schwitzte er, aber triumph war in seinem Gesicht, als er sagte, du wartest vergeblich, sie wird nicht kommen. Er sah schwer atmend zu Boden, lachte plötzlich schallend, als er sagte, sie wird nie wieder zu dir, bei und mit dir kommen. Eure Geschichte ist aus und vorbei, dafür habe ich gesorgt. Ich erschrak. Er setzte sich auf die Bank, grinste wieder. Keine Angst, ich denke nicht daran, mir wegen so einer Schlampe die Hände schmutzig zu machen. Ich bin hier, um dir einen Auftrag zu erteilen. Er zeigte dabei mit Begeisterung ein Gesicht auf die Mappe, die er sich unter seinem Arm geklemmt hatte. Beim Wegschauen sah ich, wie dick dieser Mann war. Die Fingernägel seiner roten Arbeiterhände waren nicht sorgfältig geputzt. Ich dachte daran, dass diese Hände ihren nackten Körper berührt, dass diese Hände sie geschlagen hatte und dass jetzt dieser Ehemann vor Tatkraftstrotzen rotwangig und mit vollen Lippen vor mir saß. Ein Politiker jener Partei, deren Namen ich mich seit Jahren weigerte auszusprechen. Bürgermeister von Laching, klang nach Komödie, aber in mir war kein Lachen, sondern Zorn. Meine Freunde waren Lehrer, Schriftsteller, Filmemacher und Journalisten. Ich hätte keine Sekunde mit so jemandem geredet und blieb nur, weil er unser Treffen irgendwie herausgefunden und ich mit ihr ausgemacht hatte, mit ihrem Mann einmal über die Scheidungsmodalitäten zu reden. Alleine. Sie lebte längst getrennt von ihm bei einer Freundin. Außerdem war diese Gestalt nicht jemand, vor dem ich dann nach vorn gelaufen wäre. Erwartet hatte ich eine Besprechung der juristischen Lage, doch da sagte er, wir sind keine dieser Altparteien, sondern eine Bewegung. Aber wir haben ein völlig falsches Image. Gegen dieses Unrecht möchte ich etwas unternehmen, um zu erreichen, dass wir am 29. März für die breite Masse der Wähler interessant werden, wählbar und auch für jene, die sich von unserem falschen Image abschrecken lassen. Er lenkte sich zurück, sah mir ins Gesicht und sagte, eine Erneuerung der Gesellschaft ohne Gott ist für mich nicht denkbar. Pfaffen, die sich beim Zeitgeist anbieten, mag ich so wenig wie Migranten, die unsere Werte nicht akzeptieren. Aber das darf man in unserem Land nicht laut sagen, dank der links-linken Medienjagdgesellschaft, die versucht, den Ruf unseres allzu früh verstorbenen großen Parteiführers in den Schmutz zu ziehen. Was will diese lächerliche Figur von mir? Ich sah ihn kopfschüttelnd an und sagte, dass mich seine Partei noch weniger als die Politik im Allgemeinen interessierte. Man liebt dich. Daher wirst du für mich arbeiten und dabei nichts verdienen, sondern mich dafür bezahlen, dass ich nichts über dich sage. Mein Blick war eine Frage. Er klappte seine Mappe auf, die er mir vor mir sitzend entgegenhielt. Ich sah eine aus Fotos und bunten Grafiken bestehende Zeitschrift im Layout und hörte ihn sagen, ich weiß Dinge über dich, von denen du nicht willst, dass sie in der Zeitung steht oder dass dein Chef sie weiß. Der Mann war peinlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, was so jemand von mir wollen könnte. Er sagte, du bist ein kritischer Geist, ein Querdenker und für mich sogar noch interessanter. Ich antwortete, was über mich in der Zeitung steht, ist mir so egal wie mein Chef und mein Job ist das krisensicherste Geschäft der Welt. Als hätte ich geschwiegen, sagte er, du musst zugeben, mein Angebot ist ein spannendes Projekt. Mein Konzept wird dich überzeugen. Meine Mitarbeit bei dieser Zeitschrift, ich stand ihm mit in die Heften geständen Händen gegenüber und ärgerte mich über das Tug, mit dem er mich anredete. Ich trat an das Geländer des aus dicken Rundhölzern gefügten Turms, sah hinaus in die Landschaft und wollte in der unendlichen Schönheit des Waldes verschwinden. Wollte in diesem großen Aufgehen mich darin auflösen und weg und nicht mehr da sein, aber ich musste mit einem dicken und dummen Menschen reden. Der Anblick des Waldes rettete mich. Da stand der neben mir sitzende Mann auf, trat neben mich und drängte mir die aufgeschlappene Mappe von der Seite vor meinen Blick. Ich sah nicht hin. Er gab keine Ruhe, bis ich einen Blick hineinwarf und Namen las von Heimatdichtern, die naiv kitschigen Blödsinn schrieben und von Gemeinden und Landeserklärungen gefördert wurden, worüber ich mich früher als Literatur mich noch interessiert hatte, geärgert hatte. Na, was sagst du? Ich stand neben ihm, roch sein billiges Rasierwasser und sah dieses von ihm blau geschlagene Sicht der Frau vor mir, die ich liebte. Und plötzlich war alles in mir rot vor Zorn. Ich schloss einen Augenblick meine Augen, sah hinaus in die Ferne zum Horizont, atmete über den Wipfel der Bäume des Geheimrats Goethe tief durch, legte in vollendeter Ruhe, so als wollte ich mich nun den ausführlichen Blick tun, um den er mich gebeten hatte, in seine Matte werfen, legte mir einen Arm um seine Schultern, trall dabei hinter ihn und gab ihm einen Tritt, sodass er mit dem Bauch gegen die Brüstung flog. Plötzlich war in mir Kraft, die mich platzen ließ. Ich bügte mich, packte den Überrumpelten an den Füßen, hob sich hoch und warf ihn über das Geländer. So schnell, dass der abstürzende Politiker nicht einmal zum Schreien gekommen war, bevor ich ihn dumpf aufschlagen hörte. Ich trat vor und sah nach unten. Der Bodenbüschel, Sträucher, alles war übersät mit den Blättern der Konzeptmappe. Der Mann lag in der Mitte, ein wenig verrenkt, als würde er auf dem Boden liegend schlafen. Nur der verdrehte Winkel, in dem sein Kopf auf diesem großen Stein lag und in einer rasch ausfließenden Blutlache zu versinken schien, passte nicht zu diesem Eindruck. Ich hatte es eilig, lief die Stiege hinunter und sammelte die Blätter ein, eilte hinauf und sah fünf weitere Seiten aus der Natur läufen, holte sie und machte mich auf den Weg durch den Wald in das Dorf, wo ich mein Auto auf dem Marktplatz geparkt hatte. Nach wenigen Minuten im Laufschritt hörte ich Gesang und Stimmen durch den Wald herauf näher kommen. Schaffte es gerade noch mit einem Sprung in Deckung zu gehen, lag mit angehaltenem Atem hinter einer auf dem Boden liegenden Fichte und hörte, wie zwei Meter neben mir Wandersleute vorbeimarschierten, plötzlich stehen blieben und zu rätseln begannen, wie mächtig wohl die Kraft gewesen sein musste, die hier gewirkt hatte, um diesen Baumriesen zu stürzen. Ich schloss die Augen, hielt den Atem an, als ich hörte, wie er in der Nähe treten wollte, um sich dieses Naturwunder aus der Nähe anzusehen, bis einer, der Durst hatte, zum Weitergehen klängte. Die Schreie und die Aufregung beim Finden des Abgestürzten hörte ich nicht mehr. Auf dem Weg zurück in die Stadt. Mir war heiß. Der Mörder spielt dann mit im Roman. Danke. Thank you.