Ich mache es mir einfach und lese euch die ersten drei Seiten meines letzten Romans vor. Ich sah das leichte Blau des Himmels und das schwere Blau der See, aufgeknöpfte Hemden und hautenge Röcke, balancierte auf dem Malecon zwischen gischt umspülten Felsen und einer vierspurigen Straße, während hoch über mir ein Pelikan in der Luft zu stehen schien, hörte das dumpfe Tuten eines Frachters, das die ganze Bucht erfüllte, und für einen Moment verstummten die kläffenden Hunde. und für einen Moment verstummten die kläffenden Hunde. So lange hatte ich über den Begriff der Seele gelacht, bis in meiner Hand die Hand meiner toten Mutter lag, noch nicht kalt, doch schon zu kühl. Ich strich mit meinem Daumen über ein Netz aus feinen Falten, über das Relief der Venen, die Fingerknöchel, vergilbte Nägel. Die Heizung klackte, irgendwo knisterte ein Radio. Ich saß an einem weißen Bett, übernächtigt und verschwitzt, drückte diese reglose Hand und bat jemanden um Verzeihung, der nicht mehr da war. Mein Vater stand am Fenster mit dem Rücken zu mir. Ich hoffte, dass er weinte, doch ich glaubte es nicht. Nach seinem Anruf hatte ich meine Reise sofort abgebrochen, den Fahrer eines ausgebuchten Busses bestochen, damit er mich im Gang kauern ließ, um so schnell wie möglich von der Schweinebucht zurück nach Havanna zu gelangen, war in Madrid in eine andere Maschine umgestiegen, nach der Landung zum Zug gerannt, ohne auf meinen Koffer zu warten und hätten nicht an diesem Tag tausende Menschen in der Innenstadt protestiert und das Taxi zu einem Umweg gezwungen, wäre ich vermutlich rechtzeitig gekommen. Mit sonnengeröteten Schultern stand ich auf dem Platz der Revolution, der riesig war und schattenlos und menschenleer, schloss die Augen und summte eine Melodie in das Diktiergerät. Westlich des Prado zerstampfte man mit Mörser und Schale Malanga für die Säuglinge, knattete auf blank polierten Mopeds durch schmutzige Straßen, verkaufte den Touristen Eintrittskarten für ein Salsa-Festival, das niemals stattfinden würde. Ein Song von Sepultura lockte mich in eine Bar. Ich trank Daikiri nach Daikiri auf der Dachterrasse, nichts ahnend vom Durchfall am nächsten Tag, sah den kleinen Wagen steil gekippt und das W der Cassiopeia als M. Ich hätte daran denken können, wer mich gelehrt hatte, diese Sternbilder zu sehen, wer mir gezeigt hatte, wo links ist und wo rechts, wer mir beigebracht hatte, meinen Namen zu schreiben, die Uhr zu lesen, eine Terz zu treffen, Wer mir geholfen hatte, meinen Namen zu schreiben, die Uhr zu lesen, eine Terz zu treffen? Wer mir mein erstes Instrument geschenkt hatte, ein Glockenspiel mit Klangstäben in den Farben des Regenbogens? Wer mir nach dem Adventkranz singen demonstriert hatte, dass man mit dem Finger durch die Flamme fahren kann, ohne Schaden zu nehmen? Wer mir geholfen hatte, jedem Stoff, die ein Löwenzahnblatt als Krawatte an die Brust zu heften. Wer mir Ronja Räubertochter vorgelesen hatte, bis Wildtruden in den Zimmerecken hockten. Auf der anderen Seite des Atlantiks hatte ich selten an meine Mutter gedacht. Umschwirrt von Bienen stieg ich hinab in eine Höhle und entdeckte im Schein der Taschenlampe ein Pferdeskelett, ein unterirdisches Rinnsaal und Blumen, die kein Sonnenlicht zu brauchen schienen. Ich tagträumte von Ogriden, ebenso schwachsinnigen wie boshaften Kreaturen, die in dieser Dunkelheit hausten, keine Lieder kannten. Als ich wieder ins Freie kletterte, sah ich drei Männer mit ausgefransten Strohhüten ein Ochsengespann antreiben. Sie schrien heisere Befehle und schlugen mit der flachen Hand gegen die Flanken weißer Rinder, die mühten sich über ein Zuckerrohrfeld. Für mich war der Findling im Pfarrgarten ein Ei gewesen, so alt wie die Welt, und irgendwann würde ein Drache daraus schlüpfen. In meiner Vorstellung brauchte es zwei kräftige Feen, um meine Tafelkreide hochzuheben. Gäbe es keinen Regen, dachte ich, hätten die Fische das Meer längst ausgetrunken. Meine Mutter trocknete mir die Tränen, die ich über die Nüchternheit der Welt vergoss. Ich sah Steinbrocken aus ziegelroten Äckern ragen und eine Mülldeponie, die kein Ende nehmen wollte. Neben der Fahrbahn brannte das Gras. Der Buslenker wich einer herrenlosen Schafherde aus und entgratern im Asphalt. Ich fotografierte die fettigen Flecken auf dem Fenster neben mir, Hinterlassenschaften von Reisenden, die ihre Köpfe an das Glas gelehnt hatten, um zu schlafen oder sich mit offenen Augen in die vorbeirauschenden Bambuswälder zu träumen. Herzlichen Dank.