Ich habe eine etwas ältere Geschichte mitgebracht. Ich war in den letzten Monaten, Jahren immer wieder mit Menschen konfrontiert, die eine niederschmetternde medizinische Diagnose bekommen haben. Und da fragt man sich irgendwann einmal, wie würde denn ich reagieren? Mit Schockstarre, mit Verzweiflung oder mit kohlschwarzem Humor. Grabgeflüster. an. Dieses Modell ist leider ein Unikat, erklärte er. Normalerweise hätte ich nun sofort Abstand vom Kauf genommen und der Frau den Vortritt gelassen, denn ich bin nach altmodischen Regeln erzogen worden. Doch in meinem Leben war schon lange nichts mehr normal und ich wollte diesen Sarg. An den Rändern war ein seltsames Muster eingraviert, das mich an Runen erinnerte. Gerade diese geheimnisvollen Zeichen Warnes, die mich so faszinierten. Vielleicht würden sie ja böse Geister vom Leichen am Fern halten. Oder zumindest die Würmer. Ich schaute zu der Frau hinüber und las in ihrem Gesicht, dass auch sie nicht einfach verzichten würde. Also ging ich um den Sarg herum und streckte ihr die Hand hin. Sie sah gut aus, hatte kurzes brünettes Haar, feine Züge und ein hinreißendes Lächeln, das allerdings müde wirkte. Die Frau war etwa in meinem Alter und sehr hager, fast schon zu hager. Weit hinten in ihren blauen Augen schimmerte eine tiefe Traurigkeit und ich begriff, dass sie den Sarg nicht für einen verstorbenen Verwandten haben wollte, sondern für sich selbst. Genau wie ich. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, sagte ich. Wer von uns zuerst stirbt, bekommt den Sarg. Sie war nicht überrascht. Offenbar hatte auch sie die kleinen versteckten Zeichen an mir wahrgenommen, die auf eine unheilbare Krankheit hindeuteten. einem versteckten Zeichen an mir wahrgenommen, die auf eine unheilbare Krankheit hindeuteten. Wenn man nur noch wenig Leben übrig hat, wurden die Sinne schärfer und man lernte genau hinzuschauen. Sie zögerte einen Moment, dann ergriff sie meine Hand und nickte. Wir gaben dem Verkäufer unseren Namen und Adressen und verließen den Laden. Draußen auf der Straße sahen wir uns ein wenig ratlos an. Die Frau gefiel mir ausgesprochen gut. Wäre sie nicht so dünn gewesen, hätte ich sie als atemberaubend bezeichnet. Ich gab mir einen Ruck. Da wir jetzt auf gewisse Weise Geschäftspartner sind, könnten wir uns doch ein wenig näher kennenlernen. Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen? fragte ich. Sie sah mich durchdringend an und nickte dann. Wenig später saßen wir uns an einem kleinen Tisch gegenüber. Wie lange haben Sie noch? fragte sie mich direkt und ungeniert. Sie wollen wohl herausfinden, wie gut Ihre Chancen auf den Sarg sind, sagte ich lächelnd. Sie schmunzelte und nickte. Zwei Monate, antwortete ich schließlich und plötzlich klang meine Stimme sehr brüchig. Ich auch, antwortete sie überrascht und grinste. Das wird ein enges Rennen. Ich schaute sie an. Trotz ihres nahen Todes hatte die Frau weder ihren Humor noch ihre Lebensfreude verloren. Ich fand sie bezaubernd und mir schoss unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, dass ich vor dem Ende gern noch einmal Sex gehabt hätte. Plötzlich griff sie über den Tisch und nahm meine Hand. Ich habe keine Zeit mehr für lange Vorreden. Ich bin ungebunden. Wenn du das auch bist, könnten wir zu mir gehen, sagte sie. Ich schluckte, aber dann lächelte ich. Sie hatte ja recht. Zeit war ein Luxus, war für uns Luxus. Wir mussten jeden Augenblick nutzen. Ich rief den Kellner und zahlte. Wir gingen zu ihr und sie führte mich direkt ins Schlafzimmer. Dort reichte sie mir plötzlich sehr förmlich die Hand. Bevor wir miteinander ins Bett gehen, sollten wir uns doch offiziell vorstellen, sagte sie. Ich heiße Hanna. Ich beugte mich vor und drückte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Wenn schon förmlich, dann richtig. Ich bin Tom, sagte ich und ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie zog sich den Bulli über den Kopf und grinste schon wieder, doch diesmal bitter. Wir brauchen übrigens kein Präservativ. Gebärmutterkrebs ist als Verhütungsmethode todsicher, sagt sie. Von diesen Tagen waren wir zusammen. Es mag paradox klingen, aber die nächsten sechs Wochen waren eine gute Zeit. Vielleicht die beste meines Lebens. Trotz des Schattens, der über uns schwebte, trotz der Schmerzen, die kamen und gingen, trotz der Angst, trotz der Bitterkeit, der Verzweiflung und der Depressionen, die uns immer wieder heimsuchten, aber zum Glück nie beide zugleich. So gelang es uns einander immer wieder, den Vorhof der Hölle zu entreißen und aus der Finsternis hinauszuführen in das kümmerliche, aber gerade deswegen so kostbare Licht eines verwehrenden Lebens. Wir hatten auch viel Spaß zusammen. Wenn man dem Tod so nahe ist, kann man Dinge tun, die man sich vorher nicht erlaubt hätte. Vor allem darf man makaber sein. Also fotografierten wir uns, schickten vorher-nachher Bilder an Figurella und schrieben dazu Krebs, die todsichere Methode, um schnell und dauerhaft abzunehmen. Garantiert kein Jojo-Effekt. Da von der Firma keine Reaktion kam, stellten wir die Fotos auf Facebook und ernteten manch humorvolle, aber auch viele verständnislose und sogar zornige Kommentare. Hin und wieder machten wir Ausflüge. Einmal gingen wir an einem Fluss spazieren. Es war sehr heiß und ich zog die Schuhe aus und streckte die Füße ins Wasser. Da gewahrte ich plötzlich eine Bewegung und sah einen kleinen Krebs. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es in unseren Flüssen die noch gab. Kurz entschlossen packte ich ihn und hob ihn vor meine Augen. Mir war plötzlich der Spruch in den Sinn gekommen, dass man Feuer mit Feuer bekämpfen solle. Du musst etwas für mich tun. Du musst meine Krebs auffressen, flüsterte ich dem Tierchen zu, steckte es in den Mund und schluckte ohne zu kauen. Ich spürte einen stechenden Schmerz und befürchtete einen Moment lang, der Krebs habe sich in meiner Speiseröhre festgezwickt. Aber dann rutschte er hinunter. Du wirst sehen, sagte ich zu Hanna. Wenn ich nächste Woche zur Untersuchung gehe, sind all meine Metastasen verschwunden. Dafür sitzt da ein dicker, fetter Flusskrebs in meinem Magen. Sie sah mich kopfschüttelnd an. Du bist verrückt, sagte sie. Ich nickte. Ja, verrückt nach dir, antwortete ich und zog sie zu Boden. Hastig schälten wir uns aus den Kleidern und liebten uns ungeniert am Flussufer. Es war uns gleich, ob jemand kam. Den kleinlichen Anstandsregeln der Gesellschaft füllten wir uns längst im Toben. Wir waren inzwischen beide spindeldür und ich wunderte mich ehrlich gesagt, dass mein Körper noch genug Blut erübrigen konnte, um meinen Penis damit zu füllen. Aber es funktionierte. Und auch meine Libido war tadellos. Wir liebten uns gierig und hart, begleitet von einem eigenartigen Klappern. Weil da so wenig Fleisch war, stießen unsere Beckengnochen ständig aneinander. Und mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass es sich ganz ähnlich anhören musste, wenn es zwei Skelette miteinander trieben. zwei Skelette miteinander trieben. Ich musste kichern und kam aus dem Rhythmus. Der Flusskrebs erfüllte die Hoffnungen, die ich in ihn setzte, übrigens nicht. Aber er brachte uns noch auf eine andere Idee. Ein paar Tage später gingen wir in ein Fischerrestaurant. Wenn schon der Krebs unser Leben fraß, dann, so hatten wir beschlossen, wollten wir als Vergeltung so viele seiner Namensvettern wie nur möglich mit uns nehmen. Also verschlangen wir an diesem Abend Unmengen von Krebsen. Da wir natürlich wussten, dass die armen Tierchen nichts für uns allein konnten, schmeckte die Rache allerdings ein wenig schal und die Busse folgte umgehend. Danach kotzten wir alle Krebse wieder aus. Unser beider Zustand war schon so erbärmlich, dass diese Orgie das pure Gift für unser Körper war. Dennoch bereuten wir sie nicht. Wir saßen beide mit einem Kübel auf dem Boden und wenn wir uns nicht gerade übergaben, dann lachten wir. Ich habe den Wettstreit um den Sarg verloren. Dankeschön.