Das Fotokunstprojekt Sein von Iris und Erik Diewaldhagen setzt sich mit den Themen Identität, Sichtbarkeit und Akzeptanz queerer Menschen auseinander. Dazu wurden zwölf Personen in drei verschiedenen Porträts festgehalten. Ein Kopfporträt, ein Körperporträt und die Darstellung der Personen so, wie sie sich am wohlsten fühlen. Also der Darstellung ihres wirklichen Seins. Die Bilder wurden mit einer 160 Jahren alten Holzkamera auf Glasplatten gefertigt, einem sogenannten Collodium-Verfahren. Jede Aufnahme wurde aufwendig in einer der Regenbogenfarben entwickelt. Die Ausstellung fordert die Betrachtenden heraus, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welcher Körper gehört zu welchem Kopf und somit auch mit der Komplexität von Identität. Ergänzt werden die Fotografien durch persönliche Zitate der Porträtierten, die tiefe Einblicke in ihre Erfahrungen, Herausforderungen mit Diskriminierung und Selbstfindungsprozesse geben. Dies wurde zusätzlich festgehalten in einem Buch, welches parallel zum Kunstprojekt entstanden ist. Was mich besonders daran interessiert hat, ist das Spannungsverhältnis und die Paradoxie, welche in der Hervorhebung, also der zur Schaustellung von zwölf Personen im Rahmen einer Ausstellung aufgrund von ihrer Queerness geschieht. Gleichzeitig wird dadurch der Anspruch erhoben, dass diese Personen eben nicht besonders sind und Menschen wie alle anderen auch. Sichtbar gemacht zu werden, bedeutet hier, sie sind Teil einer Minderheit, die Aufmerksamkeit verdient. Aber wird mit dieser Sichtbarkeit nicht zugleich eine Andersartigkeit betont, die man eigentlich überwinden will? Vielleicht liegt der eigentliche Fortschritt genau darin, diese Paradoxie auszuhalten. Sichtbarkeit ist politisch notwendig, gerade in Zeiten wachsender Intoleranz. Doch sie sollte nicht das Ziel sein, sondern ein Übergang. Um ein neues Normal zu schaffen, muss man zuerst das benennen, das diskutieren, das sichtbar machen, was in weiterer Folge normal werden soll. Und ich denke, in dieser Phase befinden wir uns gerade. Was wäre, wenn wir die Ausstellung Sein nicht als ein Herausstellen im Sinne der Besonderheit lesen, sondern als Einladung, das Normale neu zu denken? sondern als Einladung, das Normale neu zu denken. Nicht als das, was Mehrheiten definieren, sondern als ein offenes Spektrum des menschlichen Seins. Damit beschäftigt sich auch das Queer Curating, welches an einen feministischen Grundsatz aus den 1970er Jahren anknüpft, das Private ist politisch, das Öffentliche ist persönlich politisch. Das heißt auch, Kunsthäuser, Ausstellungen und künstlerisch-kulturelle Kontexte neu denken und aufzubrechen. Es heißt, Alternativen fühlen, Dringlichkeiten wahrnehmen und normalisierte Diskriminierung zeigen und aufzudecken. Diese Macht haben KuratorInnen, aber auch Museen, welche sich nicht nur als PräsentatorInnen verstehen sollten, sondern als Orte von Widersprüche und aber auch Verwindungen. Von Diskursen, Austragungsorte, in denen Dinge mit Dinge, Dinge mit Betrachtenden und Betrachtenden mit Betrachtenden in Beziehung treten und Bewusstsein geschaffen werden soll. Denn so, wie bisher die Kunstgeschichte falsch angenommen hat, Kunst ist nie eindeutig. Zum Projekt SEIN ist ein kurzer Beitrag von der Pressekonferenz entstanden, welcher ihr auch auf unserer Homepage nachsehen könnt. Wer mehr zum Projekt erfahren will, dem kann ich nur die Ausstellung empfehlen, aber auch unter www.collodium.at slash sein kann man nachsehen. Und wer mehr zum Queer-Courating erfahren will, dann kann ich nur das gleichnamige Buch von Beatrice Miersch ans Herz legen.