Wie ist das Publikum? nicht zu reden beginnen. Also ich darf Sie ganz herzlich im Stifterhaus begrüßen. Heute Abend, mein Name ist Stefan Kögelberger. Ich möchte so beginnen. 2016 Johann Wolfgang von Goethe, 2018 Theodor Fontane, 2020 Friedrich Schiller und ab 28. Mai 2025, also ab morgen, Thomas Mann. Ein Kanon kann sich auf vielerlei Weisen bilden. Literaturkritiker und Kritikerinnen können sich den Kopf zerbrechen und in Sachbüchern darlegen, weshalb die eine um jeden Preis gelesen werden sollte, der andere aber vernachlässigt werden kann. Selbst das Stifterhaus, viele von Ihnen werden das wissen, versucht sich in der seit fast 25 Jahren gemeinsam mit der alten Schmiede Wien und dem Literaturhaus Graz betriebenen Reihe Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945 darin einen Kanon herauszuarbeiten. Mit Ende dieses Jahres werden es 100 Bücher sein, die wir als Grundbücher bezeichnen dürfen. Eine andere Form der Kanonisierung eben 2016 Johann Wolfgang von Goethe, 2018 Theodor Fontane, 2020 Friedrich Schiller, 2025 Thomas Mann. Die hier angeführten Jahreszahlen bezeichnen den Aufnahmezeitpunkt in einen Kanon der anderen Art, in einen vermutlich ungleichgewichtigeren und höchstwahrscheinlich langlebigeren. Es handelt sich nämlich um die Erscheinungsjahre der jeweiligen Schriftsteller Playmobilfiguren. In der Produktinformation zu Thomas Manns Figur heißt es unter anderem, Zitat, die Figur ist individuell gestaltet und zeigt Thomas Mann, begleitet in Helmanzug und mit Hut. In der Hand trägt er einen Spazierstock und ein aufgeschlagenes Buch, das eine Seite aus dem Roman Buddenbrooks zeigt. Zitat Ende. Die Altersempfehlung lautet im Übrigen ab vier Jahren. Anlass für das Erscheinen dieser Playmobil-Figur, und ich verspreche, es ist jetzt das letzte Mal, dass ich sie erwähne, für das Erscheinen dieser Playmobil-Figur, und ich verspreche, es ist jetzt das letzte Mal, dass ich sie erwähne, ist freilich dasselbe, aus welchem wir heute Abend hier sind, nämlich der 150. Geburtstag von Thomas Mann. Ein Geburtstag, den wir im Stifterhaus aus mehrerlei Gründen nicht einfach vorüberziehen lassen wollten. Einer davon wäre, dass nicht unbedingt jedem bekannt ist, dass Thomas Mann ein aufmerksamer Leser unseres Genius Lozi gewesen war und hier durchaus Werkkenntnis besaß, wie nicht zuletzt aus seinem Buch Die Entstehung des Dr. Faustus, Roman eines Romans, hervorgeht. Zitat Thomas Mann Außerdem beschäftigte Adalbert Stifter mich wieder einmal aufs Angelegenlichste. Ich las seinen Hage stolz wieder, den Abdias, den Kalkstein, den ich unbeschreiblich eigenartig und von stiller Gewagtheit fand. Thomas Mann konstatierte bereits bei Erscheinen dieses Buches 1949 das Katastrophische bei Stifter mit äußerstem Scharfsinn, Zitat, man hat oft den Gegensatz hervorgekehrt zwischen Stifters blutig selbstmörderischem Ende und der edlen Sanftmut seines Dichtertums. Seltener ist beobachtet worden, dass hinter der stillen, innigen Genauigkeit gerade seiner Naturbetrachtung eine Neigung zum exzessiven, elementarkatastrophalen, pathologischen wirksam ist. Zitat Ende. pathologischen wirksam ist. Zitat Ende. Und zu guter Letzt, um noch ein drittes und letztes Mal ein Zitat zu bemühen, eines, das ein durchaus erfreuliches Urteil eines Dichters über einen anderen darstellt. Zitat Thomas Mann, Stifter ist einer der merkwürdigsten, hintergründigsten, heimlich kühnsten und wunderlich packendsten Erzähler der Weltliteratur, kritisch viel zu wenig ergründet. Zitat Ende. Sie können sich denken, dass wir im Hause Adalbert Stifters dieser Meinung Thomas Manns durchaus viel abgewinnen können. An der, wie Thomas Mann es nennt, kritischen Ergründung unseres Hausherrn arbeiten wir nach wie vor. Genug der Vorrede, lassen Sie mich zu unseren heutigen Gästen kommen. Ich freue mich sehr, dass wir beide Herren für heute Abend gewinnen konnten. Es war sozusagen unsere Wunschkombination. Und ich danke besonders, dass vor allem im Falle unseres heutigen Vortragenden eine äußerst weite Anreise nicht gescheut worden ist. Ich darf Professor Hans Wieskirchen und Burgschauspieler Martin Schwab ganz herzlich im Stifthaus begrüßen. Wie schön, dass Sie hier sind. Hans Wieskirch wurde 1955 in Düsseldorf geboren. Seine Beschäftigung mit Thomas Mann ist, man kann es gar nicht anders sagen, eine lebenslange. So trug seine Promotion, mit der sein Studium der Philosophie und Germanistik in Marburg abschloss, den Titel Zeitgeschichte im Roman zu Thomas Manns Zauberberg und Dr. Faustus. Ab 1991 war er am Buddenbrookhaus in Lübeck tätig, ab 1993 stand er diesem als Leiter vor. Von 2001 bis zu seinem Ruhestandsantritt 2022 war er Direktor der Kulturstiftung Lübecks, was die Leitung aller städtischen Museen der Hansestadt mit einschließt. Nach wie vor ist Hans-Wies-Kirchen Präsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft und Mitherausgeber des Thomas-Mann-Jahrbuchs. Wenig überraschend also, dass in den letzten Jahrzehnten annähernd ein Dutzend Bücher rund um Thomas bzw. die Familie Mann unter seiner Autor- und Herausgeberschaft erschienen sind. Ganz neu ist jenes Buch von Hans Wieskirchen, auf das wir uns heute konzentrieren möchten. Es trägt den Titel Zeit der Magier Heinrich und Thomas Mann 1871 bis 1955 und ist vor rund einem Monat im S. Fischer Verlag erschienen. Neben mehreren Vortragsteilen von Hans Wieskirchen wird Martin Schwab heute aus dem Briefwechsel der beiden Brüder Heinrich und Thomas Mann lesen. Martin Schwab debütierte 1986 am Wiener Burgtheater und wurde 1987 fixes EnsemblemitMitglied an der Burg. Er wurde vielfach mit Auszeichnungen bedacht, unter anderem mit dem Nestreu-Preis im Jahr 2000. 2005 wurde er mit dem Berufstitel Kammerschauspieler bedacht und seit 2009 schließlich darf er sich Ehrenmitglied des Wiener Burgtheaters nennen. Sie sehen, einem anregenden und interessanten Abend im Zeichen Thomas Manns steht nichts im Wege und ich darf die Proponenten des heutigen Abends bitte herausbitten. Vielen Dank. Ja, auch ich sage herzlich Dankeschön für die Einladung und freue mich hier zu sein und will kurz noch erläutern, wie wir den Abend geplant haben. Herr Schwab wird viermal ausgewählte Stücke aus dem Briefwechsel der Brüder Heinrich und Thomas Mann lesen und ich werde vorweg das gleichsam einführen, indem ich das erläutere und einiges aus dem Buch lese, sodass Sie immer vorbereitet werden auf das, was kommt. Die erste Stelle ist, es geht um den frühen Streit der Brüder Mann und ich beginne damit, dass ich Ihnen die Zeit schildere, wie alles begonnen hat, natürlich in Lübeck. Herkunft, Lebenslauf, Unsinn. Aus Jüterburg oder Königsberg stammen die meisten und in irgendeinem Schwarzwald endet man seit je. So hatte Gottfried Ben geschrieben und damit die immer wieder beschworene Bedeutung der Herkunft wichtiger Autoren beiseite gewischt. Was für Jüterburg Bens Geburtsort vielleicht eine gewisse Berechtigung hatte, für Lübeck stimmte es nicht. Diese Stadt in der Heinrich- und Thomas-Mann, der eine 1871 Heinrich-Mann, war ihm immer wichtig, Gründung des Deutschen Reiches und sein Geburtsjahr und 1875 Thomas-Mann geboren wurde, war etwas Besonderes. Denn mit der Reichsgründung 1871 verbundener Aufschwung all die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungsschübe der Moderne kommen im Lübeck des späten 19. Jahrhunderts zunächst kaum an. Die Stadt bleibt Weltwinkel, wie Thomas Mann einmal gesagt hat. Hier nimmt alles einen langsameren Verlauf. Woran lag das? Lübeck lag am Rand und es war sich selbst genug. Letzteres manifestierte sich vor allem in einem Blick zurück auf die große Vergangenheit als führende Hansestadt Europas, als man um 1500 mit Metropolen wie London und Venedig konkurrierte. Davon war vieles erhalten geblieben. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt daher das mittelalterliche Stadtbild immer mehr Bedeutung für die Identität Lübecks. Modernisierung galt nicht als Chance, sondern als Gefahr. Der Vater der Brüder Mann war einer der großen Geschäftsleute in Lübeck und wurde 1877 zum Senator für Wirtschaft gewählt. Später kam noch das Finanzressort dazu. Ohne Übertreibung kann man festhalten, er war nach dem Bürgermeister der mächtigste Politiker in Lübeck. Und das sollte etwas heißen, denn trotz aller Probleme war Lübeck bis 1937 ein eigenständiger Staat und die Position des Vaters, der Brudern kam daher der eines landesministers gleich lübeck war von den drei großen und freien hansestädten allerdings die kleinste bremen und besonders hamburg hatten ihr den rang abgelaufen gegenüber dem hohen mittelalter und der frühen neuzeit als lübeck das haupt der hanse war hatten sich die Verhältnisse verändert. Dennoch war etwas geblieben. Ludwig war zwar klein, aber ein kompletter Staat mit allen erforderlichen Institutionen, mit einem Parlament, Bürgerschaft genannt, einer Regierung, dem sogenannten Senat, einer Börse und Gerichten, vor allem aber mit einem Theater und sogar einer Oper. Für Heinrich und Thomas Mann bedeutete dies, dass sie auf kleinstem Raum eine ganze Welt vor sich hatten. Die daraus resultierende Prägung mied ein Leben lang an bei beiden. Und nur so erklärt sich auch, dass es heute nicht Thema, ein Roman wie Buddenbrooks, der konnte auf diesem Kosmos aufsetzen. Nun ist die Frage, und da komme ich jetzt zum ersten Teil dessen, was wir gleich hören werden, der erste Streit der Brüder Mann von 1903. Da hören wir gleich einige Briefe. Was war nun das Besondere bei den Brüdern Mann? Weswegen sind diese beiden Brüder Söhne eines Kaufmanns? Es war ganz klar, sie gingen ins Gymnasium, sollten die Firma übernehmen. Beide haben die Firma nicht übernommen. Beide haben nie was anderes machen wollen, als Schriftstelle werden zu wollen. Woran lag das? Was machte die beiden Brüder zur Außenseite in Lübeck und darüber hinaus? Bisher hat man vor allem den Blick genommen, dass beide nicht in die Fußstapfen des Vaters treten wollten. Kaufmann sein in Lübeck, das wollten beide nicht. Das ist richtig, weil die äußeren Fakten dies belegen. Beide machten überhaupt keine Anstalten, weder in der Schule noch in der Ausbildung, sich in den üblichen Bahnen eines Lübecker Kaufmannssohns zu bewegen. Beide fingen zudem früh mit dem Schreiben an und haben das konsequent bis an ihr jeweiliges Lebensende fortgesetzt. Beide über 50 Jahre. Aber die Frage ist auch falsch, wenn man die Antwort so gibt, weil sie die entscheidende Frage nicht beantwortet. Fragt man neu, dann ist es Heinrich Mann, der den Weg weist. Er wusste um das Anderssein, das eigene und das des Bruders, genau Bescheid. Und das hatte mit Literatur, das Anderssein, erst einmal gar nichts zu tun. Am Anfang der literarischen Karriere der Brüder Mann, die werden jetzt vielleicht überrascht sein, stand das Sexuelle. Genauer, eine Sexualität, die nicht den bürgerlichen Normen entsprach. An seinen Freund Evers schreibt Heinrich Mann 1891, ach all die Pläne, ich komme für das Erste zu nichts. Ich denke nur ruckweise, dann ist die Leitung unterbrochen und es schreit wieder der Instinkt dazwischen. Es ist in diesen Sommertagen wieder mal eine krankhafte Sinnlichkeit in mir ausgebrochen, vor der mir selbst bange wird. Ich habe ein horizontales Mädchen gefunden, das ist ideal, dass sich meine Sinne vom weiblichen Körper gemacht haben, so ziemlich verkörpert. Diese üppige Schlankheit reizt mich zu Exzessen und ich habe nicht mal mehr eine einzige von den bewussten Stunden, wo man einsieht, wie schal das alles ist. Es ist mir ohne Unterbrechung in dieser Zeit der Akt, sei das Einzige, was man vom Leben hat. Heinrich Mann wurde von einer extremen Sinnlichkeit geplagt und er wusste nicht recht, merken Sie, damit umzugehen. Er wusste vor allem nicht, wie er sie mit seinen literarischen Ambitionen in einen sinnvollen Zusammenhang bringen konnte. Wie gingen Sex und Schreiben zusammen? Das war sein Problem. Und bei Thomas Mann? Auch bei ihm ist die Besonderheit des Sexuellen der Ausgangspunkt für alles Weitere. Heinrich Mann sieht als erster, dass Thomas Mann ein sexueller Außenseiter ist, der in Lübeck nicht der Norm entspricht, allerdings mit einer gänzlich anderen Orientierung als beim älteren Bruder Heinrich. Als jemand, für den Sexualität, betäterer Sexualität, unhinterfragt in eins gesetzt wird, kann Heinrich Mann die viel offenere sexuelle Orientierung seines Bruders Thomas, die auch die gleichgeschächte Liebe umfasste, die er freilich nie ausgelebt hat, nicht nachvollziehen. So schreibt Heinrich an den Freund Evers in einem Brief von 1890, mein armer Bruder Tommy, lass ihn nur erst in das Alter kommen, wo er unbewacht und bemittelt genug ist, seine Pubertät zum Ausdruck zu bringen. Eine tüchtige Schlafkur mit einem leidenschaftlichen Mädel, das wird ihn kurieren. Dass Heinrich Mann die daraus resultierenden Lebensprobleme Thomas Manns nicht in den Blick bekam, zeigt eine Äußerung über die frühe Lyrik seines Bruders Thomas. Er schreibt an den Freund, da ich gerade beim Kritisieren bin, so möchte ich dir noch ein paar Worte über die Lyrik meines vielversprechenden Bruders sagen, mit der du ja so sehr einverstanden scheinst. Du kannst ihm diese Worte mit Vorsicht beibringen. Bei der Lektüre seiner letzten Gedichte bin ich aus dem peinlichen Gefühl gar nicht herausgekommen, dass mir in ähnlicher Weise nur Platen der Ritter vom heiligen Arsch verursacht hat. Diese weichliche, süßlich-sentimentale Freundschaftslürelei. Ebers hat das ganz sicher an Thomas Mann weitergegeben. Ob mit der nötigen Vorsicht sei dahingestellt. Hier werden frühe Verletzungen sichtbar. Platon war bis ins hohe Alter für Thomas Mann einer der größten deutschen Lyriker. Und Heinrich Manns Ablehnung, die auch mit einer vorurteilsbeladenen Zote über die Homosexualität Platens gesteuert wird, musste ihm rüde und unsentimental vorkommen und ihn empfindlich treffen. Und bei Thomas Mann geht das insofern weiter, dass er gegenüber seinem Freund Otto Grauthoff seine Probleme dann auch geschildert hat, wie das heilig Mann dem Freund Evers gegenüber macht. Er schreibt Thomas Mann, ich sage, du brauchst den Unterleib nicht zu verachten. Du darfst es aber gern. Ich tue es nämlich auch. Ich habe mich in letzter Zeit nahezu zum Asketen entwickelt. Ich schwärme in meinen schönen Stunden für reine ästhetische Sinnlichkeit, für die Sinnlichkeit des Geistes, für den Geist, die Seele, das Gemüte überhaupt. Ich sage, trennen wir den Unterleib von der Liebe und so weiter. Darüber ließen sich Bände reden, aber es ist ein ganz persönlicher Standpunkt, den man nicht zur Philosophie verallgemeinern darf. Sie sehen die Unterschiede zwischen den beiden. Und jetzt hören Sie einen Briefwechsel zwischen den beiden von 1903. Heinrich Mann hat einen Roman geschrieben, die Jagd nach Liebe, in dem von Sexualität sehr viel die Rede ist. Und Thomas Mann ist von diesem Buch ziemlich angepackt, kann man fast sagen, und schreibt seinem Bruder einen Brief und er antwortet ihm darauf. Da kommen diese ganzen Lebensproben mit der beiden zum Ausdruck. und er antwortet ihnen darauf. Da kommen diese ganzen Lebensproben mit der beiden zum Ausdruck. Lieber Heinrich, damit zur Hauptsache, zu deinem Roman. Meine Eindrücke, sie sind nicht gerade sehr angenehm, was Eindrücke ja, aber auch durchaus nicht zu sein brauchen. Es ging nicht gerade behaglich zu bei der Lektüre, was ja aber auch da durchaus nicht nötig ist. Ich habe mich mit dem Buche herumgezaust, es fortgeworfen und wieder aufgenommen, geächtzt, geschimpft und dann auch wieder Tränen in den Augen gehabt. Tagelang bin ich bei dem tiefsten Barometerstand seit 100 Jahren, laut Erklärung der meteorologischen Warte, mit der Pein umhergegangen, die es mir erweckt hat. Nun weiß ich ungefähr, was ich dir zu sagen habe. Dass ich mit deiner literarischen Entwicklung nicht einverstanden bin, muss einmal ausgesprochen werden, am besten jetzt, wo du, soviel ich weiß, nichts Eigenes vorhast. Und auch sonst könnte es dich wohl kaum beirren. Das Vortreffliche in diesem neuen Roman entgeht mir gewiss nicht. Die Schilderung von Nymphenburg, die Automobilfahrt, die Novelle vom Kupferstecher Klotz, Meditation auf der Piazzale mit jenem Wort aller äußersten Hoffnungslosigkeit. Das Leiden selbst interessiert zuletzt nicht mehr. Das sind Dinge, die dir in Deutschland niemand, ganz einfach überhaupt niemand nachmacht. Ich stelle dies voran, dick unterstrichen. Und doch, solche Bücher wie die Jagd nach Liebe liegen meiner Überzeugung nach, die vielleicht nur mein Wunsch ist, nicht allein außerhalb der deutschen Entwicklung, das wäre kein Einwand, sondern auch außerhalb deiner eigenen. Wie erschienst du mir? Wie warst du? Eine vornehme Liebhabernatur, neben der ich mir meinen Lebtag pläbisch, barbarisch und spaßmacherhaft vorgekommen bin, voller Diskretion und Kultur, voller Reserve der Modernität gegenüber. Und in voller Linie historisch begabt, ledig ich jedes Applausbedürfnisses. Und nun? Stattdessen? Stattdessen nun diese verrenkten Scherze, diese wüsten, grellen, hektischen, krampfigen Lästerungen der Wahrheit und Menschlichkeit, diese unwürdigen Grimassen und Purzelbäume, die verzweifelten Attacken auf des Lesers Interesse, alle diese sinnlosen und unanständigen Lügengeschichten. Ich lese sie und kenne dich nicht mehr. Der seelische Erhalt des Werkes, die Sehnsucht aus schwacher Künstlichkeit nach dem Leben, diese Sehnsucht, die sich dem einsamen und sinnlichen Künstler gern als Liebessehnsucht darstellt, wie soll sie rühren, wie überzeugend wirkend, da auch nicht ein Versuch gemacht ist, dem Leben nahezukommen. Alles ist verzerrt, schreiend, übertrieben. Selbst Ute, die eine unsterbliche Figur hätte werden können, ist durch Maßlosigkeit verdorben. Und schließlich fragt man sich, wie du eigentlich dazu kamest, den fernhinwirkenden Possard zu verspotten in einem Buch, dessen Titel lieber lauten sollte, die Jagd nach Wirkung. Lieber Heinrich, ich rede aufrichtig und sage Dinge, die ich längst auf dem Herzen habe. Es ist meiner Einsicht nach die Begierde nach Wirkung, die dich korrumpiert, wenn anders nach diesem Buche wirklich von Verderbnis gesprochen werden muss. Es bleibt die Erotik, will sagen das Sexuelle. Denn Sexualismus ist nicht Erotik. Erotik ist Poesie, ist das, was aus der Tiefe redet, ist das Ungenannte, was allem seinen Schauer, seinen süßen Reiz und sein Geheimnis gibt. Sexualismus ist das Nackte, das Unvergeistigte, das einfach bei Namen genannte. Es wird ein wenig oft bei Namen genannt in der Jagd nach Liebe. Wedekind, wohl der frechste Sexualist der modernen deutschen Literatur, wirkt sympathisch im Vergleich mit diesem Buch. Warum? Weil er dämonischer ist. Man spürt das Unheimliche, das Tiefe, das ewig Zweifelhafte des Geschlechtlichen. Man spürt ein Leiden am Geschlechtlichen. Mit einem Wort, man spürt Leidenschaft. Aber die vollständige sittliche Nonchalance, mit der deine Leute haben sich nur ihre Hände berührt, miteinander umfallen und L'amore machen, kann keinen besseren Menschen ansprechen. Diese schlaffe Brunst in Permanenz, dieser fortwährende Fleischgeruch ermüden, widern an. Es ist zu viel. Zu viel Schenkel, Brüste, Lände, Wade, Fleisch. Und man begreift nicht, wie du jeden Vormittag wieder davon anfangen konntest, nachdem doch gestern bereits ein normaler, ein tribatischer und ein Päderastenaktus stattgefunden hatte. Selbst in der rührenden Szene zwischen Ute und Claude, an des letzteren Sterbebett, dieser Szene, bei der ich weich wurde, bei der ich gerne vergessen hätte. Selbst da muss unvermeidlich Utes Schenkel in Aktion treten. Und ein Schluss war nicht möglich, ohne dass Ute nackt in der Stube umherging. Ich spiele nicht Fra Girolamo, indem ich dies schreibe. Ein Moralist ist das Gegenteil von einem Moralprediger. Ich bin ganz Nietzschianer in diesen Punkten, aber nur Affen und andere Südländer können die Moral überhaupt ignorieren. Wo sie noch nicht einmal Problem, noch nicht Leidenschaft geworden ist, liegt das Land langweiliger Gemeinheit. Ich habe mehr und mehr die Identität von Moral und Geist begriffen und verehre ein Wort Börnes, das mir eine unsterbliche Wahrheit zu enthalten scheint. Die Menschen, sagt er, wären geistreicher, wenn sie sittlicher wären. Ich bin zu Ende. Manches ist härter herausgekommen, als es beabsichtigt war. Und ich würde den Brief wohl mildern kopieren, wenn mich nicht fortwährend eine Art Schreibkrampf belästigte. Magst du die Epistel also lesen, wie sie ist? Du wirst mich, denke ich, nicht missverstehen. Ich bin, weiß Gott, von Geburt kein Pamphletist und muss gelitten haben, um ein paar Seiten zu schreiben, wie auch nur diese hier. Auch sollst du mir nicht naives Vertrauen in die Richtigkeit des eigenen Urteils vorwerfen. Ich bin durchaus nicht ohne Zweifel. Vielleicht, wenn du diesen Brief auch bewahrst und er kommt dereinst ans Tageslicht. Vielleicht werden sich spätere Leute einmal über den Töffel von einem jüngeren Bruder amüsieren, der deine Größe sogar nicht zu schätzen wusste. Vielleicht. Ein angenehmes Weihnachtsfest und ein fruchtbares neues Jahr, dein Tommy. Lieber Tommy, jede schlechte Kritik richtet in mir zunächst Verheerungen an. Dein Brief übergoss mich beim ersten Lesen heiß und kalt. Ich kam mir ertappt vor, entlarvt, unmöglich gemacht. Das alles, weil der Brief gut geschrieben ist. Jetzt habe ich ja die mir geläufige Rechtfertigung meiner selbst, die du für einen Augenblick über den Haufen geworfen hattest, wieder aufgerichtet. Trotzdem gebe ich dir in der Beurteilung meines Buches und des Eindrucks, den es machen muss, noch jetzt zum großen Teil recht. recht. Was ich besser weiß, ist erstens, warum ich es geschrieben habe. Und dann kann ich in Betreff dessen, was uns gemeinsam angeht, mehrere deiner Gedächtnislücken ausfüllen und ein paar Gedankenfehler von dir berichtigen. Du fasst meine Anfänge falsch auf. Darum siehst du mich auch heute falsch. Ich bin bis gegen mein 27. Jahr nur ein latenter Künstler gewesen. Bis zu diesem Lebensjahr, demselben, in dem du aufgrund mehrerer Werke zur Stellung und Wohlhabenheit gelangt bist, habe ich nichts als ein unbeträchtliches Novellenbändchen geschrieben. Mein Hauptinteresse war und ist es noch heute nur in anderer Weise die Frau. Ich habe mir mit einer Navität, die du scheinst es verkannt hast, solange es irgend ging, nur meiner Sündlichkeit gelebt. ging nur meiner Sündlichkeit gelebt. Da sich meine Sinne draußen im Leben betätigen, durfte ich mit mir selbst der gelassene Liebhaber sein. Bei der Frau bin ich innerlich mehr zu Hause, sehr zu Hause. Hier bringt es mich keinen Augenblick aus dem Gleichgewicht, wenn man mich anzweifelt. Die unliterarische Anerkennung von ein paar Kennern und Frauen ist hier meinem Selbstbewusstsein zu Hilfe gekommen. Von der Literatur erwarte ich dabei nichts. Sie ist in Deutschland vorwiegend männlich. In den romanischen Literaturen ist die Bürgersfrau, welche Lächerlichkeiten und welche Traurigkeiten in dieser Koppelung von Worten. Eine eingefangene und vor eine Droschke gespannte Tigerin. In der deutschen Literatur ist sie ein richtiger Droschkengaul. Denke an dich. Du hast bisher eine einzige Frau um ihrer selbst willen und ausführlich dargestellt, Toni Buddenbrook. Die Figur ist ausgezeichnet als Trägerin von Bürgertum und Familie. Ich brauche nichts zu beteuern, dass alle ihre kleinen Echtheiten und der Stil des Hauses, in dem sie gedacht ist, sie unanfechtbar machen. Aber sehen wir sie einmal nicht als weibliche Buddenbrook als Bürgerin an, sondern als Toni, als Frau. Die Toni kennt nur die Firma, lässt sich ihr zuliebe verheiraten, behauptet nur, wenn es sich um sie handelt, einige Persönlichkeit. Um ihrer Jugendliebe willen hat sie keine. Alle sexuelle Energie ist sauber herausgeschnitten. Ich kann mich höchstens damit entschuldigen, dass ich allein ohne Zusammenhang mit einer heimischen Literatur bin und dass ich auf einem Seitenpfad neben den romanischen Literaten herlaufen muss. Ich kann leicht zu Fall kommen und leicht zu weit vorspringen. Statt Einsicht in die Zusammenhänge in mir und meinem Werk, bietest du mir nackte prinzipielle Ablehnung. Gelegentlich eines von dir veröffentlichten Aufsatzes, man glaubte ihn gegen mich gerichtet, aber in bewusster Weise war es sicher nicht, schrieb jemand, der mir wohl will, er würde diesen Fanatismus bei einem durch Einsamkeit Verbitterten begreifen, nicht aber bei dir, dem so viel Weihrauch verbrannt wird wie kaum einem gleichaltrigen Künstler. Nun sehe ich wohl ein, ich als der Liberale habe es leicht, auch dich gelten zu lassen. Wenn es nicht Überzeugung wäre, wäre es Anstandspflicht. Der Moralist, ich weiß nicht, ob er der Gegensatz zum Moralprediger ist, aber in der Enge des Urteils muss er es ihm wohl gleich tun. Ich bitte dich nur, dich zu erinnern, dass du auch nicht immer warst wie heute, dass du in deinen ersten literarischen Zeiten die moderne künstlerische Darstellungsweise in Anspruch genommen hast, mir gegenüber, der ich aufgrund der Wahlverwandtschaften und Bourgets für direkte Analyse war, also eigentlich der größeren Geistigkeit gegenüber. eigentlich der größeren Geistigkeit gegenüber. Heute verfichst du sie. Auch ich habe alle Aussprüche von dir im Kopf. Du sagtest einmal, ich bin ja so viel weniger intelligent als du. Du fühltest dich als der Künstler. Lass es geschehen, dass wir es heute beide sind und dass wir auch von Geistigkeit ungefähr gleich viel haben. Deine Intelligenz ist enger und tiefer, meine verbreitet sich. Aber beruhige dich, ich werde niemals ein ganz geistloses Buch schreiben. Ich werde nur trachten, den Geist des Buches in Körperlichkeit fester einzuhüllen, als du es neuerdings für richtig hältst. Die Possen sind nicht um ihrer selbst willen da. Du hast schwerlich zu befürchten, dass deine Irrtümer über mich später hin ans Licht der Welt kommen. Bei einem Vernünftler und mit Bewusstsein Einsamen gleich mir erweckt der Gedanke an den Nachruhm nur geringes Interesse. Ich habe hier von dem, was ich bin, etwas auszudrücken versucht, nicht damit irgendwann einmal Leute es lesen, die es wenig angeht, sondern damit jetzt einer der Seltenen, die mir gesetzt ist, scheint ihnen der Mühe wert, näher kommen könnten, den Weg weniger leicht verfehlt. Mit herzlichen Gruß, dein Heinrich. Liebe Heinrich, meine kurz abschließenden Zeilen von neulich waren aufrichtig gut gemeint, denn sie stellten den Eindruck dar, dir, den ich an menschlicher Vornehmheit, an seelischer Reinheit und Klarheit mir so weit überlegen weiß, über alle Irrungen und Wirrungen hinweg energisch die Hand zu reichen. Oft kommt jetzt das Gespräch auf dich bei Löhrs, wo ich zweimal die Woche zu Mittag esse. Wir sitzen dann und machen alle drei sehr ernste, fast leidende Gesichter. Jeder sagt ein halbwegs gescheites Sprüchlein über dich für und wieder. Und dann tritt stummes Grübeln ein. Endlich sage ich, der Fall Heinrich ist nämlich ein Fall, über den ich stundenlang nachdenken kann. Ich auch, sagt Lula. Ich auch, sagt Löhr. Und wiederum nach einer Pause sage ich mit orakelhafter Betonung, dass er uns allen so viel zu schaffen macht, beweist, dass er mehr ist als wir alle. Dies ist wortgetreu wiedergegeben und zeigt meine Überheblichkeit im frechsten Lichte. Du weißt nicht, wie hoch ich dich halte. Weißt nicht, dass, wenn ich auf dich schimpfe, ich es doch immer nur unter der stillschweigenden Voraussetzung tue, dass neben dir so leicht nichts anderes in Betracht kommt. Es ist ein altes, lübiger Senatorssohn-Vorurteil von mir, ein hochmütiger Hansiateninstinkt, mit dem ich mich, glaube ich, schon manchmal komisch gemacht habe, dass im Vergleich mit uns eigentlich alles Übrige minderwertig ist. Überheblich? Nein. Mag ich es der gesamten Kollegenschaft gegenüber sein, dir gegenüber bin ich es gewiss nicht. Aber freilich bist du wieder zu streng, wenn du Würde und Bescheidenheit von mir verlangst. Ich habe weder das eine noch das andere, bin zu pathologisch und zu kindisch, zu sehr Künstler, um es zu haben. Du bist anders. Wollen wir nun schließen? Ich denke, wir täten gut, unserem Verhältnisse Zeit zu lassen, sich auszureifen. Es ist ja so, wie es ist, gewiss nichts Definitives. Wir stehen knapp diesseits und jenseits der 30 in einem Alter also, wo man leicht für Ethos hält, was bloß Pathos ist und immer geneigt ist, an die Ewigkeit seines Zustandes zu glauben. Herzlichen Grüß, dein Tommy. Lieber Tommy, also ja, schließen wir nun. Jetzt tue ich es gern. Und das heutige soll dir nur danken. Dein Brief hat mich bewegt und mich ziemlich reumütig gestimmt. Solche Sachen also wie eure Familienberatungen über mich mussten einmal gesagt werden, damit ich nach den vorausgegangenen Briefen von dir und Lula wieder eine richtige Vorstellung bekam von eurer Stellung zu mir. Ich danke dir und fasse dein Wort. Ich sei mehr als du selbstverständlich als das auf, was es ist, Besorgnis, mich zu verkennen. Der Wunsch, einen starken Bruder zu haben, über den niemand mit Recht die Achseln zuckt und die Anfeuerung, die du dir jetzt erteilst, um im Wettbewerb mit mir zu wachsen. um im Wettbewerb mit mir zu wachsen. Im Übrigen fühlst du wohl, dass du selbst eine geschlossenere, trotz alles pathologischen, doch geglücktere Persönlichkeit bist als ich. Ich bin gespalten und entwurzelt, glaube es. Alles Peinliche bei mir kommt daher. Nur daher. Nicht von dem Künstlertum an sich. Vor allem wendest du auf mich deine eigene, selbst erlebte Definition des Künstlers an, was nicht geht. Wir haben darüber schon früher verhandelt, aber du bleibst hartnäckig bei der Vorstellung vom christlichen Künstler als dem einzig Möglichen. hartnäckig bei der Vorstellung vom christlichen Künstler als dem einzig Möglichen. Ich greife zu dem, was ich gerade unter der Hand habe, um dir eine andere Form von Künstlertum zu zeigen. Ja, besten Dank. Ich glaube, da ist deutlich gewordene Differenz. Die Konkurrenz, das muss man natürlich auch verstehen, zwei Brüder aus Lübeck, die beide nie was anderes vorhaben, als Schriftsteller werden zu wollen. Dass da Konkurrenz da ist, ist klar. Gleichzeitig aber auch in diesem wunderbaren Zitat mit dem Anseatenvorurteil gibt es doch eine Gemeinsamkeit und die zieht sich eben auch durch. Aber in den folgenden Jahren bleiben natürlich Differenzen da. Denken Sie an den Professor Unrath, den Heinrich Mann 1905 schreibt und an den Untertan, der 1914 fertig wird. Nehmen Sie dagegen Heinrich-Thomas-Manns-Werk, Königliche Hoheit, völlig andere Art und Weise des Schreibens. Und gegen Ende der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wird das aber doch insofern klar, das will ich deutlich betonen, dass sie beide wieder sehr nah beieinander sind. Das zeigt sich in einem sehr interessanten Beispiel, König Jeroheit, Thomas Manns Roman verfilmt und sein zweiter Roman. Die Korrekturfahren gehen auch an Heinrich Mann. Also Thomas Mann lässt seinen Bruder Korrektur lesen bei einem Buch, was noch gar nicht erschienen ist. Das macht man nur, wenn man großes Vertrauen hat eben auch. Und er hat ihm durchaus auch Hinweise gegeben, was er besser machen kann. Also das zeigt, es gibt eine Nähe. Diese Nähe wird allerdings dann auf den Prüfstand gestellt und zerbricht mit dem Jahr 1914. Der Erste Weltkrieg bricht aus. Die meisten deutschen Intellektuellen, auch Thomas Mann, sind für diesen Krieg, als eine Art Kulturkrieg gegen das böse England und böse Frankreich. Und nur ganz wenige, und zu denen hört Heinrich Mann, sind von Anfang an gegen diesen Krieg und sehen auch das Problem dabei. Und das ist ein radikaler Bruch, der dann erfolgt. Dieser Bruch wehrte bis 1922, von Ende 1914 auch. In dieser Zeit gab es keinen persönlichen Kontakt, obwohl beide in München wohnten. keinen persönlichen Kontakt, obwohl beide in München wohnten. Mehrmals berichtet Thomas Mann vor Veranstaltungen, in denen beide teilnahmen und bei denen er peinlichst darauf bedacht war, weit weg vom Bruder zu sein. Wir können nur darüber spekulieren, wann das alles begann, aber es muss Ende Oktober, Anfang November gewesen sein. Auslöser mögen die Gedanken im Krieg ein Text von Thomas Mann gewesen sein. Über das letzte Treffen der Brüder in Heinrich Manns Wohnung in der Leopoldstraße in München gibt es einen Bericht von Agnes Speyer-Ullmann, der Schwägerin Jakob Wassermanns. Sie schreibt, Thomas war auch da. Erregteste politische Diskussion, Kriegsereinandersetzung, Heinrich pro französisch, mein Mann und Thomas pro deutsch. Heftigste Bekämpfung der Meinung schließlich, Bruch mit dem Bruder, von diesem Tag an nie mehr gesprochen, nicht einmal auf der Straße gegrüßt. Das war der Grund. Thomas Mann hatte versucht, sein Ich zu stabilisieren und war in ein neues politisches Fahrwasser geraten. Im Spätsommer 1914 bekundete er seine Kriegsbegeisterung in mehreren rasch aufeinanderfolgenden Publikationen. Er sprach sich im Gegensatz zu seinem demokratisch orientierten Bruder für unser soziales Kaisertum aus und deutete den Krieg wie die meisten deutschen Schriftsteller als Befreiung, wie selbstverständlich davon ausgehend, dass das deutsche Reich den Sieg davontragen werde. Und er belässt es nicht dabei, sondern schreckt auch vor einer direkten Kriegspropaganda nicht zurück. In Gute Feldpost vom November 1912 heißt es schlicht und einfach, es gibt nur einen wirklich ehrenhaften Platz heute und es ist der vor dem Feind. Vom Ironiker Thomas Mann ist in diesen Tagen absolut nichts zu hören. Im Gegenteil, er wird zu einem der Wortführer der Kriegsagitatoren. Zitat, dies war die intellektuelle Auffassung des Krieges, dass er ein Befreiungskrieg und ein Freiheitskrieg sei, ein Krieg gegen äußere Einschnürung und gegen innere Verdüstung, schreibt er. Das Recht ist bei Deutschland, heißt es in einem anderen Text. Das ist eine apodiktische Position, die er trotz Vordant und Stellungskrieg, trotz zunehmender Kriegsmüdigkeit in Deutschland, trotz der ab 1917 auch für das eigene Familienleben der Manns deutlich werdenden Einschränkungen im alltäglichen Leben, Essen, alles wird teuer und schwierig zu besorgen, beibehalten sollte. Man muss es in aller Deutlichkeit formulieren, Thomas Mann stimmte in den allgemeinen Chor der Kriegsbegeisterten ein. Er ging, pointiert formuliert, der Propaganda der Reichsleitung und später der obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff unkritisch auf den Leim. Dieser Autor, den was Ironische und Ambivalente zu dem gemacht hätte, was er war und auch ist noch, fiel in der Eindeutigkeit der politischen Haltung zurück, die er heute noch verwundert. Heinrich hingegen war wie gesagt die Ausnahme. Er stimmte nicht in die allgemein dominierenden Hurra-Patriotismus ein. Er schweigt vielmehr in den frühen Tagen der Kriegsbegeisterung. Viktor Mann, der jüngere Bruder von Heinrich und Thomas Mann, beschreibt die Situation sehr treffend. Der Bruder schreibt, Heinrich war in diesem seit Tagen um mich wirbelnden Sturm an Begeisterung, Zorn, Hingabe und Opfermut der erste, an dem ich nichts als Trauer spürte. Thomas war sehr ernst, aber von der Heilung des Volkes stark beeindruckt. Heinrichs Position wurde glänzend deutlich in einem Essay, der im November 1915 in den weißen Blättern in der neutralen Schweiz erscheint. Um die Zensur zu unterlaufen, war Heinrich Manns Solar-Essay vor allem auf der ersten Wahrnehmungsebene ein biografischer Text über den französischen Schriftsteller und engagierten Intellektuellen Émile Solar. Heinrich projiziert jedoch auch die Kritik am deutschen Kaiserreich unter Willi II. in das Napoleon, Napoleons III., unter dem Solar litt. Und da schreibt er einen Satz, ein Reich, das einzig auf Gewalt bestanden hat und nicht auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, ein Reich, in dem nur befohlen und gehorcht, verdient und ausgebeutet, des Menschen aber nie geachtet ward, kann nicht siegen und zöge es aus mit übermenschlicher Macht, nicht so verteilt die Geschichte ihren Preis. Das war über das Frankreich von 1871 gesprochen, konnte aber auch als Beschreibung der aktuellen historischen Situation gelesen werden. Entsprechend prophezeite er den Untergang des Deutschen Kaiserreiches und sieht hellsichtig, dass die Demokratie am Ende das Geschenk der Niederlage sein wird. So sollte es ja kommen mit der Weimarer Republik. Dies auch als Entgegnung auf Thomas Manns Gedanken im Kriege zu lesen, der höhnte, wie jemand glauben könne, Thomas Mann, dass Deutschland durch eine Niederlage zu revolutionieren, zu demokratisieren sei. So ist es ja dann genau gekommen, da irrt er sich. Wenn man nur diese beiden kurzen Sätze liest und sie stehen für Positionen, die die beiden vielfach variiert in diesen Jahren geäußert haben, dann muss man in aller Deutlichkeit konstatieren, Heinrichmanns Haltung erlaubte ihm einen analytischen, weitsichtigen Blick, der von der Geschichte exakt bestätigt werden sollte ab 1918. Und Thomas Mann lag vollkommen falsch mit seiner Ansicht, dass eine Niederlage undenkbar sei. Und das wiederum machte das Gespräch zwischen den beiden so schwierig und macht es auch schwierig, sich wieder zu versöhnen. Heinrich Mann machte einen Versuch, Thomas Mann lehnt ab. Wir hören das jetzt. Versuch einer Versöhnung nach 14 Jahren, lieber Tommy. Dein Artikel im Berliner Tageblatt wurde in meiner Gegenwart verlesen. Ich weiß nicht, ob es den anderen Hörern auffiel. Mir selbst schien es, als sei er in einzelnen Abschnitten an mich gerichtet, fast wie ein Brief. Daher glaube ich, dir antworten zu müssen, wenn auch ohne den Umweg über die Presse und nur zu dem einen Zweck, um dir zu sagen, wie unberechtigt der Vorwurf des Bruderhasses ist. In meinen öffentlichen Kundgebungen kommt kein Ich vor und daher auch kein Bruder. Sie sind in das Weite gerichtet, sehen ab. Wenigstens will ich es so von mir, meinem Bürgerlichen, meinem Vorteil oder Nachteil und gelten allein einer Idee. Liebe zur Menschheit, politisch gesprochen europäische Demokratie, ist allerdings die Liebe einer Idee. Wer aber sein Herz so sehr in die Weite hat erheben können, wird es des Öfteren auch im Engen erwiesen haben. Güte von Mensch zu Mensch verlangt das Stück, für das ich dem Verfasser Demel sogleich nach dem Anhören der Generalprobe meine wärmste Sympathie dargeboten habe. Ich weiß, dass ich im Lauf des Lebens von dieser Güte einiges gewonnen habe und kenne Fälle, in denen ich sie öfter gewährte als empfing. Dein ganzes Werk ist von mir begleitet worden, mit dem besten Willen es zu verstehen und mitzufühlen. Die Gegnerschaft deines Geistes kannte ich von jeher und wenn deine extreme Stellungnahme im Krieg dich selbst verwundert hat, für mich war sie vorauszusehen. Dieses Wissen hat mich nicht gehindert, dein Werk oftmals zu lieben, noch öfter in es einzudringen, wiederholt es öffentlich zu rühmen oder zu verteidigen und dich, wenn du an dir zweifeltest, zu trösten wie einen jüngeren Bruder. Bekam ich von dem allen fast nichts zurück. Ich habe es mich nicht verdriesen lassen. Ich wusste, um sicher zu stehen, brauchst du die Selbstbeschränkung, sogar die Abwehr des Anderen. Und so habe ich auch deine Angriffe, sie reichen von Zeiten eines Blattes namens Freistadt bis in dein jüngstes Buch noch immer ohne große Mühe verwunden. Verwunden und nicht vergolten. Oder erst dann ein einziges Mal vergolten, als es nicht mehr um Persönliches ging, nicht mehr um literarische Vorliebe oder geistige Rechthaberei, sondern um die allgemeinste Not und Gefahr. In meinem Zola, betitelten Protest, war es, dass ich gegen die auftrat, die sich, so musste ich es ansehen, vordrängten, um zu schaden. Nicht gegen dich nur, gegen eine Legion. Anstatt der Legion sind es heute nur noch einige Verzweifelte. Du selbst schreibst wehmütig und dein letztes Argument wäre nur der Vorwurf des Bruderhasses? Ich kann dir beteuern, wenn ich beweise, dass er mich nicht trifft. Nie aus solchem Gefühl habe ich gehandelt und habe ihm gerade entgegen gehandelt, als ich Annäherung suchte, sogar in der Zeit, als es hoffnungslos schien. Unsere Mitteilung von der Geburt unseres Kindes wurde nicht gut aufgenommen. Vielleicht finden meine heutigen Erklärungen ein besseres Gehör. Das wäre möglich, wenn deine neueste Klage gegen mich von Schmerz diktiert ist. Dann mögest du erfahren, dass du meiner nicht als eines Feindes zu denken brauchst. Heinrich. Liebe Heinrich, dein Brief trifft mich in einem Augenblick, wo es mir physisch unmöglich ist, ihn im eigentlichen Sinne zu beantworten. Ich muss eine 14-tägige Reise antreten, die ich verwünsche und deren Charakter meiner Stimmung wenig angemessen ist, die ich aber nur einmal auf mich genommen habe. Ich frage mich aber auch, ob es einen Sinn hätte, die Gedankenqual zweier Jahre noch einmal in einen Brief zu pressen, der notwendig viel länger ausfallen müsste als der deine. Ich glaube dir aufs Wort, dass du keinen Hass gegen mich empfindest. Nach dem erlösenden Ausbruch des Solaraufsatzes und wie sonst alles für dich steht und liegt zurzeit, hast du gar keinen Grund dazu. Das Wort vom Bruder Hass war auch mehr als ein Symbol für allgemeinere Diskrepanzen in der Psychologie des Husiten. Dass mein Verhalten im Kriege extrem gewesen ist, ist eine Unwahrheit. Das Deine war es, und zwar bis zur vollständigen Abscheulichkeit. Ich habe aber nicht zwei Jahre lang gelitten und gerungen, meine liebsten Pläne vernachlässigt, mich zum künstlerischen Verstummen verurteilt, mich erforscht, mich verglichen und behauptet, um auf einen Brief hin, der begreiflicherweise Triumph atmet, mich nach letzten Argumenten suchend an der Spitze einiger Verzweifelten sieht und schließlich findet. Ich brauchte deiner nicht als eines Feindes zu gedenken, um dir auf diesen in keiner Zeile von etwas anderem als sittliche Geborgenheit und Selbstgerechtigkeit diktierten Brief hin schluchzend an die Brust zu sinken. Was hinter mir liegt, war eine Galerenarbeit. Immerhin danke ich ihr das Bewusstsein, dass ich deiner zelotischen Suade heute weniger hilflos gegenüber stünde, als zu der Zeit, da du mich bis aufs Blut damit peinigen konntest. Mögest du und mögen deinen mich einen Schmarotzer nennen. Die Wahrheit, meine Wahrheit ist, dass ich keiner bin. Ein großer bürgerlicher Künstler, Adalbert Stifter, sagte in einem Brief, meine Bücher sind nicht Dichtungen allein, sondern als sittliche Offenbarungen, als mit strengem Ernste bewahrte menschliche Würde haben sie einen Wert, der länger bleiben wird als der poetische. Ich habe ein Recht, ihm das nachzusprechen. Und Tausende, denen ich Leben half, auch ohne eine Hand auf dem Herzen und die andere in der Luft, den Kontrast sozial zu rezitieren, schien es dieses Recht. Du nicht. Du kannst das Recht und das Ethos meines Lebens nicht sehen, denn du bist mein Bruder. Warum brauchst du niemanden, weder Hauptmann noch Demel, der sogar die deutschen Pferde besang, noch der präventiv-kriegerische Harden, den du jetzt Huldigungenvisiten machst, die Invektiven des Solarartikels auf sich zu beziehen? Warum war er in seiner ganzen reißenden Polemik auf mich eingestellt? Das brüderliche Welterlebnis zwang dich dazu. Demselben Demel, der mir für meinen ersten Kriegsartikel in der Neuen Rundschau aus dem Schützengraben Dank und Glückwunsch sandte, kannst du als Generalprobenintimer wärmste Sympathie darbieten. Und er kann sie annehmen, denn ihr seid zwar sehr verschiedene Geister, aber ihr seid nicht brüderliche Geister. Und darum könnt ihr beide leben. Lasst die Tragödie unserer Brüderlichkeit sich vollenden. Schmerz? Es geht. Man wird hart und stumpf. Thomas, es geht. Man wird hart und stumpf. Seit Carla sich tötete und du fürs Leben mit Lula brachst, ist Trennung für alle Zeitlichkeit ja nichts Neues mehr in unserer Gemeinschaft. Ich habe dieses Leben nicht gemacht. Ich verabscheue es. Man muss zu Ende leben, so gut es geht. Lebe wohl. Thomas. Lieber Tommy, vor solcher Erbitterung müsste ich verstummen und die Trennung für alle Zeitlichkeit so hinnehmen, wie sie geboten wird. Aber ich will nichts versäumen. Ich will dir nach Kräften helfen, die Dinge später, wenn alles vorbei ist, gerechter zu sehen. Auf einen Brief, der nicht zarte Sinnen oder Ähnliches, sondern allein Überhebung verriet, musste ich meiner Frau die entsprechende Antwort diktieren. Aber ich trenne mich niemals vorsätzlich und für immer. Ich lasse es darauf ankommen, ob auch der andere Teil eins das Seine tut, dass man sich wiederfindet. So ist eben die Art meiner zelotischen Leichtlebigkeit. Nicht Auseinandersetzungen wollte ich, nicht einmal auf vier Briefseiten und mit tiefem Bedauernetzungen wollte ich, nicht einmal auf vier Briefseiten. Und mit tiefem Bedauern erfahre ich, dass eine einzige von mir gehörte Meinungsäußerung dich genötigt hat, zwei Jahre lang deine Antwort auszuarbeiten. Du hast, nach allem, was ich sehe, deine Bedeutung in meinem Leben unterschätzt, was das natürliche Gefühl betrifft, und überschätzt hinsichtlich der geistigen Beeinflussung. Die letzte negative Gestalt ist einseitig von dir erlitten worden. Du musst diese Wahrheit schon hinnehmen. Es ist keine bloße Schmähung, wie alle die mehr pathetischen als ethischen Wendungen deines Briefes. Was mich betrifft, ich empfinde mich als durchaus selbstständige Erscheinung. Und mein Welterlebnis ist kein brüderliches, sondern eben das meine. Das stört mich nicht. Beziehe nicht länger mein Leben und Handeln auf dich. Es gilt nicht dir und wäre ohne dich wörtlich dasselbe. Der zweite Satz des Solah hat nichts mit dir zu tun und die wenigen Seiten weiterhin, die auch dich angehen, ständen so oder ähnlich noch da, wenn es nur die anderen gäbe. Von diesen anderen haben manche seither sich eines Besseren besonnen und ich bin wieder ihr Freund. Ich trenne mich niemals vorsätzlich und für immer. niemals vorsätzlich und für immer. Selbstgerechtigkeit? Oh nein! Sondern weit eher das Gemeinschaftsgefühl mit denen, die auch gleich mir es wissen, wie viele wir alle, die Kunst- und Geistesart unserer Generation, es verschuldet haben, dass die Katastrophe kommen konnte. Selbstprüfung, Kampferleben, noch einige neben dir, bin schon bescheidener, aber dann auch Reue und neue Tatkraft, nicht nur eine Behauptung, die so große Umstände nicht verlohnt, nicht nur das Leiden um seiner selbst willen, diese wütende Leidenschaft für das eigene Ich. Dieser Leidenschaft verdankst du einige enge, aber geschlossene Hervorbringungen. Du verdankst ihr zudem die völlige Respektlosigkeit vor allem dir nicht Angemessenen. Eine Verachtung, die locker sitzt wie bei keinem. Kurz, die Unfähigkeit, den wirklichen Ernst eines fremden Lebens je zu erfassen. Um dich her sind belanglose Statisten, die Volk darstellen, wie in deinem Hohen Lied von der königlichen Hoheit. Statisten hätten Schicksal, gar Ethos? Dein eigenes Ethos, wer sagt dir, dass ich es verkannt hätte? Ich habe immer um es gewusst, habe es geachtet als subjektives erlebnis und dich stand es im kunstwerk gestaltet nicht lange behält mit meinem verdacht gegen seinen wert für die menschen vermisse aber auch ich mich eines sittlichen willens wie erscheint es dir? Unter dem Bild eines komödiantischen Prahlhanses und glänzenden Machers. Du Armer. Die Unfähigkeit, ein fremdes Leben ernst zu nehmen, bringt schließlich Ungeheuerlichkeiten hervor. Und so findest du meinen Brief, der eine Gebärde der einfachen Freundlichkeit war. Atme Triumph. Triumph? Worüber? Dass alles gut für mich steht und liegt? Nämlich die Welt in Trümmern und zehn Millionen Leichen unter der Erde? Das ist doch mal eine Rechtfertigung. Das verspricht doch Genugtuung dem Ideologen. Aber ich bin nicht der Mann, Elend und Tod der Völker auf die Liebhabereien meines Geistes zuzuschneiden. Ich nicht. Ich glaube nicht, dass der Sieg irgendeiner Sache noch der Rede wert ist, wo wir Menschen untergehen. Alles, was nach dem letzten, furchtbarsten, das noch bevorsteht, an besserer Menschlichkeit kann errungen werden, wird bitter und traurig schmecken. Ich weiß nicht, ob irgendjemand seinem Mitmenschen Leben helfen kann, nur möge unsere Literatur ihm dann nie zum Sterben verhelfen. Jetzt sterben sie weiter. Vertrauen in eine bessere Zukunft. Du aber, der dafür meine Haltung der vollständigen Abscheulichkeit zeigt, wirst, will Gott es noch einmal, 40 Jahre Zeit haben, dich zu prüfen, wenn ich zu behaupten. Die Stunde kommt, ich will es hoffen, in der du Menschen erblickst, nicht Schatten. Und dann auch mich. Ja, so ist es Gott sei Dank gekommen. Also es ist nicht so geblieben wie Thomas Mann es formuliert, ein absoluter Bruch, sondern es ist so gekommen, dass Thomas Mann nicht zuletzt durch seinen Bruder sich gerade in den 20er Jahren doch immer stärker angenähert hat, dass beide Brüder Mann, da kann ich jetzt nicht darauf eingehen, da müssen Sie vielleicht hier genauer nachlesen, auch sich für diese Demokratie von Weimar eingesetzt haben. Sehr stark, aber wir alle wissen, vergeblich. Und dann kommt das Exil. Heinrich Mann ist einer der Ersten, der Deutschland verlassen muss. Mit einem Regenschirm, hat er beschrieben, mit einem kleinen Koffer ist er nach Straßburg gefahren, um kein Aufsehen zu erregen, nach dem Motto, ich mache keine Fernreise, hat alles zurückgelassen. Sein Konten, sein Haus, seine Wohnung, seine Bibliothek und ist dann weiter nach Nizza und einige Zeiten nach Saint-Éric-sur-Mer, ein berühmter Ort an der französischen Mittelmeerküste und ist nie mehr wieder nach Deutschland zurückgekommen, was er 1933 nicht wusste. ist nie mehr wieder nach Deutschland zurückgekommen, was er 1933 nicht wusste. Bei Thomas Mann, wie immer unterschiedlich, fehlte von Beginn an die Klarheit, die den Bruder auszeichnete. Die Unübersichtlichkeit seiner persönlichen Lebenssituation ist freilich auch besonderen Umständen geschuldet. Er hat 1933, als die Macht übernahm, einen Vortrag über Richard Wagner gehalten. Erst in München, dann zog er weiter. Paris, Amsterdam hielt diesen Vortrag zum 15. Todestag Wagners. Und was in München erst gefeiert wurde, vor der Machtübernahme von Hitler, wurde dann scharf kritisiert. Es war die gesamte intellektuelle Situation in München. Es waren viele Rotarier seines eigenen Clubs, die sich massiv gegen diese Rede ausgesprochen haben und auch gegen Thomas Mann. Und die Kinder, die in Deutschland geblieben waren, haben gesagt, bleib erst mal außerhalb. Klug wie er war, hatte er das Geld seines Nobelpreises von 1929 größtenteils in der Schweiz angelegt, auch weil er schon ahnte, das wird mit der Republik schwierig sein und Thomas Mann blieb in der Schweiz wohnen. Aber im Unterschied zum Bruder Heinrich, der auf der ersten Ausbürgerungsliste schon drauf war, 1933, hat Thomas Mann mehrere Jahre lang versucht, so eine besondere Position einzunehmen. Nicht nach Deutschland zu gehen, aber auch nicht sich offiziell zum Exil zu bekennen, weil er davon ausging, vereinfacht gesagt, ich bin Thomas Mann, ich bin etwas Besonderes. Diese Position war eine Position, die er nicht durchhalten konnte und 1936 wurde er dann eben auch ausgebürgert. Da haben die Kinder, gerade Erika Mann, einen entscheidenden Anteil gehabt. St. Rösser Meer, Nizza und Küstnach, das waren die Orte, die nun der Lebensgrund für die Brudermann wurden. Nach dem gemeinsamen Sommer 1933, da hören wir gleich aus Briefen drüber, in St. Rössermee trennten sich die Wege. Heinrich Mann blieb in Frankreich, in einem Land, das er vor allem über die Bücher von früh an geliebt hatte. Er lebte in der französischen Sprache und verfasste in Frankreich das große, und man muss auch sagen, bleibende Werk seines Exils, die beiden Bände des Henri Catre, 1935 und 1938 erschienen. Die romanische Sprache, das Licht, das Mittelmeer, die ganz speziellen Lebensumstände, das war eine Welt, die ihm nicht fremd, sondern nah war. Das alles fand er in Nizza. Thomas Mann wählte die Schweiz. Es zog ihn trotz der Nähe zur deutschen Grenze und der daraus resultierenden Gefahren, zurück in den deutschen Sprachraum, in die Nähe von Zürich, nach Küstnacht am Zürichsee. Durch neu aufgefundene Briefe, da hören Sie jetzt zwei oder drei von, können wir jetzt nachverfolgen, wie wichtig gerade am frühen Exil eben Heinrich Mann gewesen ist für Thomas Mann. Aufgrund seiner klaren Position konnte er dem Bruder in dieser schwierigen Situation durchaus Rat geben. Sie werden gleich hören, ein ganz anderer Duktus als das, was wir in dem Streit von eben erfahren haben. Lugano Villa Castagnola, lieber Heinrich, warum hören wir nichts voneinander? Dass du nach Frankreich gegangen seist, erfuhren wir in Paris, gerade noch vor unserer Abreise. Jedenfalls war es gut, dich in Sicherheit zu wissen. Wir waren es zufällig auch schon bei Ausbruch der Scheußlichkeiten. Wir reisten am 10. Februar von München ab zu Vorträgen in Amsterdam, Brüssel, Paris. Von da gingen wir programmgemäß nach Arosa, um uns auszuruhen und zu erholen. Nun, daraus ist nichts geworden. Die Unruhe wollte uns zunächst nach Hause treiben und die Koffer waren schon gepackt. Aber die Warnungen, dass ich unfehlbar gefangen gesetzt werden würde, häuften sich und so blieben wir außen. Denn auch Katja würde, wenn sie vorübergehend zur Ordnung der häuslichen Angelegenheiten nach München zurückkehren würde, nach glaubwürdigen Versicherungen der Pass entzogen werden, sodass wir getrennt wären. Wir hatten einen Zwischenaufenthalt in Lenzerheide und sind dann hierher gelandet, wo wir schon fast vier Wochen verbracht haben, die mir neuen landschaftlichen eindrücke ein angenehmes hotel der austausch mit vertrauenswürdigen menschen haben wir über die beängstigungen und nervösen erregungszustände der ersten zeit hinweg geholfen ich bin zu relativer ruhe gekommen und kann etwas arbeiten. Nur bleibt die Zukunft sehr ungewiss. Medi ist bei uns Golo, den wir ins Münchner Haus berufen haben und der seinen Stand aufs Äußerste reduziert hat, sodass es eben doch noch für alle Fälle offen bleibt, hat sie uns gebracht. Bibi ist in seinem Neuberge-Internat ganz wohlgeborgen. Moni, unangefochten in Berlin, wo sie Musik studiert. Die beiden Ältesten haben sich irgendwo an einem kleinen Ort der französischen Rivera zusammengefunden. Aber Katja leidet unter dem Abgeschnittensein von ihren alten Eltern und unsere Entschlüsse wechseln jeden Tag, während sich allerdings allmählich die Überzeugung bei uns befestigt, dass wir nie mehr in das Land dieser Revolution zurückkehren werden, wenn es finanziell nur irgendein zu richten ist. Hierüber schweben Erwägungen und Beratungen. Wir denken daran, den Sommer in Frankreich am Meere zu verbringen und zum Herbst in Basel uns niederzulassen, wo wir freundliche Aufnahme finden würden und das mich durch seine Lage und Überlieferung anzieht. Meine aktuelle Schwierigkeit ist, dass mein Pass zu Anfang dieses Monats abgelaufen ist, dass ich ohne gültigen Ausweis bin und keine Grenze überschreiten kann. Die politische Passstelle in München hat natürlich die Verlängerung versagt. Der deutsche Konsul hier ist ohnmächtig, der Völkerbund konnte nichts tun. In Bern findet man trotz der Empfehlung durch Motta keine formale Handhabe, mich mit der Art von Pass zu versehen, die man nur Staatenlosen ausstellt. Ich weiß noch nicht, wie ich mir aus dieser Klemme helfe. Es wird schließlich nichts anderes übrig bleiben, als dass ich Schweizer werde. Über die deutschen Vorgänge kein Wort. Es war etwas so hundsföttisches in der Weltgeschichte noch nicht da. Die Isolierung ist vollkommener und berechtigter als im Kriege. Die Verachtungen aller Welt grenzenlos. Dennoch denke ich sehr pessimistisch über die Dauer des Regimes. Eine Wiederumwälzung aus moralischen, ideellen Kräften ist leider ganz unwahrscheinlich. Selbst an die Wirklichkeit wirtschaftlicher Fehlschläge glaube ich nicht angesichts einer Macht, die mit idiotischem Raffinement erobert und ausgebaut ist. Nur außenpolitische Katastrophen könnten den Urumsturz bringen, aber den Krieg wird man mit jedem Preis zu vermeiden suchen und kann sich an Friedensliebe viel mehr leisten als jede Republik. Was du denkst und glaubst und welches deine persönlichen Pläne sind, wüsste ich gern. Herzlich, Tommy. Hotel Denise, lieber Tommy, für deinen ausführlichen Brief danke ich dir bestens. Selbstverständlich nehme ich keinen Namen. Deinen Aufsatz über Wagner hatte ich in Europe mit der höchsten Verwunderung gelesen. Was dir damit wieder zusteht, fällt unter das Hauptthema Pöbel gegen Geist. La canaille contre esprit, muss ich jetzt sagen, denn ich werde von französischen Artikeln leben müssen. Und das ist das Grundthema dieser sogenannten Revolution. Es ist so gekommen, dass wir die Aristokraten sind. Wenn es vorüber ist, werden wir uns nicht laben, sondern wer noch da ist, wird überlegen müssen, wie er zum Bolschewismus steht. wie er zum Bolschewismus steht. Denn der ist doch wohl der wahrscheinlichste Nachfolger. Berliner, die hier ankommen, sehen plötzlich um zehn Jahre älter aus. Man selbst wohl auch. An welcher der Küsten Frankreichs wollt ihr im Sommer sein? Ich bin sehr vorsichtig mit dem Geld. Aber wenn irgend möglich, möchte ich dich sehen. Herzlich, Heinrich. Bandol Syomer, lieber Heinrich. Wir haben uns hier gestern auf einige Wochen installiert. Es ist, wenn ich es überschlage, die zehnte Station dieser unserer Reise. Unter Ihnen hat wohl Lugano uns am besten gefallen, aber es war auf die Dauer zu teuer. Seitdem waren wir in Basel, das sich aus ideologischen Gründen zum Ort unserer dauernden Niederlassung für den Herbst bestimmt hatte und wo wir Quartier zu machen versuchten. Aber trotz eifriger Unterstützung durch Ämter und Publikum ist es uns nicht gelungen und die Warnungen mehren sich auch, dass diese Ecke wegen der unmittelbaren Nähe der deutschen Grenze nicht geheuer sei und die Stadt unter starkem Druck stehe. So denken wir jetzt wieder mehr an Zürich. Hier sind wir ja nun nicht allzu weit auseinander. Das Hotel scheint passabel und hat einen Garten, der es von der Autostraße trennt. Das Meer ist nicht so malerisch griechisch wie in Lavandou, wo wir vorher waren, aber das Hinterland bietet Meer. Es wäre schön, wenn du uns besuchtest. Zwar kommen heute Katjas alte Eltern auf ca. 14 Tage hierher, aber das brauchte dich doch nicht zu hindern. Wir sind hier mit den beiden jüngsten Kindern. Erika und Klaus sind mit Freunden nahebei in Sanary. Dort wohnt auch Schickele, Meiergräfe in Saint-Syr. Ein Stoff zum Austausch ist ja kein Mangel. Brieflich sollte man nicht erst anfangen damit. Schreibe eine Karte, ob wir dir ein Zimmer nehmen sollen. Herzlich, Tommy. Hotel de Louvre, Nizza, lieber Tommy. Deine günstigen Eindrücke beruhigen mich und machen mich wirklich glücklich. Dann hast du dort hoffentlich den bestmöglichsten Ersatz für deine Münchner Umwelt und später bekommst du sie selbst zurück, wenn du es willst. Es hat sich herumgesprochen, auch bis hierher, dass die deutsche Verkehrsstockung zwei Jahre dauern wird. Fragt man warum, weiß niemand die Antwort. Aber diese allgemein angenommene Befristung könnte am Ende suggestiv wirken. Schlimm ist nur, dass man nach Ablauf der zwei Jahre den Krieg erwartet. Erwartet. Die schöne Friedensbeteuerung des alten Gratensoldaten Göring. Deutschland und Frankreich haben gar keinen Grund etc. etc. Wozu dann die ganze nationale Erhebung? Sie haben große Angst vor den Folgen. Ihre zweite Garnitur, zum Beispiel Frank II., ist noch nicht im Bilde und kommentiert das germanische Recht, das es nie gegeben hat, so wenig wie die arische Rasse. Er sagt, was dem deutschen Volk, er meint, seiner Bande nützt, ist Recht, was ihm schadet, Unrecht. Das begründet vorweg jeden künftigen Angriff, jede Annexion. Aber auch der Leipziger Prozess ist derart gerechtfertigt. Zwischen dem würdigen Präsidenten und den Sadisten der Konzentrationslager besteht die Gemeinschaft, wie eine schlechte Sache sie herstellt. Leipzig ist die Vorderseite, Oranienburg, Dachau und ähnliche Örtchen sind die hintere Ansicht des selben Gebäudes. Ich bewundere weniger die halbe Anständigkeit, die im Gerichtssaal noch aufrechterhalten wird, als die unausweichliche Verwandtschaft mit dem Lager. Herzliche Wünsche und Grüße dir und den Deinen, Heinrich. Lieber Heinrich, längst hätte ich dir geschrieben und dir für deinen Brief gedankt. Aber es gibt so viele Arbeiter, viele Ansprüche, Besuche aus Deutschland. Das Erscheinen eines neuen Buches bringt auch allerlei Trubel mit sich. Und die verdammte Stellung zwischen Deutschland und der Welt, eine Halbheit, die nicht lange haltbar sein wird, zeitigt Affären, zu denen Erklärungen abgegeben, Briefe geschrieben und vervielfältigt werden müssen. Und doch fühle ich täglich deutlicher, dass dies ideelle Interesse, die Verbindung mit meinem deutschen Publikum aufrechtzuerhalten, es ist rein ideell. Denn Geld kann ich nicht bekommen, auf die Dauer nicht zu verteidigen sein wird. Es wird unterliegen von der Notwendigkeit klarer Entscheidungen. Dieser grauenhafte Prozess von Leipzig, diese Hinrichtung junger Kommunisten, die vor Jahr und Tagen in irgendeiner Schlägerei beteiligt waren, bei der ein Nazimann umgekommen ist, diese ganze moralische und geistige Sumpf, das heute Deutschland heißt. Ich habe es noch gestern Beermann wieder am Telefon gesagt. Wenn etwa das größte Justizverbrechen aller Zeiten, wie es in diesen Tagen fast den Anschein hat, sich vollendet und man torker zum Tode verurteilt, so mache ich Schluss und erkläre in der Times oder der Schweizer Presse, dass ich mich lossage von diesem elenden Lande, das sich von Schurken zum Abscheu der Welt machen lässt. Mein alter Freund Bertram schickte mir kürzlich ein Gedichtband, Wartburg, mit der herzlichen Bitte um Heimkehr in die Burg. Die Burg nennt er das. Er wird, wie ich höre, zunächstens hierher kommen, um über den Nationalsozialismus zu sprechen und hat den amtlichen Auftrag erbeten und erhalten, mich zur Rückkehr zu bewegen. Man ist nur in Verlegenheit, welche Stadt man mir zum Aufenthalt offerieren soll. Denn München, das sieht man ja selbst, kommt nicht in Frage. Es regiert dort ein gar zu ungebärtiger Hass gegen mich, dessen Träger hauptsächlich ein Minister namens Himmler sein soll. Man ist damit in Berlin nicht einverstanden. Die Akten unserer schwebenden Finanzangelegenheiten hat jetzt Göppels eingefordert und mein Anwalt ist hingereist. Da darf man neugierig sein, wie die Unterredung mit Bertram ablaufen soll. Wenn er sie wirklich herbeiführt, kann ich mir noch nicht recht vorstellen. Ich werde Mühe haben, vor so viel arm Kondit die Ruhe zu bewahren. Herzlich, Tommy. So, wir nähern uns dem Schluss, dem Ende. Sie merken schon, die beiden sind nah beieinander wieder da. Es ist ein ganz anderer Ton in diesen Briefen. Sie haben in den 30er Jahren sich beide massiv im Kampf gegen Hitler eingesetzt. Das war ein Kampf in Europa. Thomas Mann aus der Schweiz ist dann 1938 in die USA gegangen. Heinrich Mann ist bis 1940 in Frankreich geblieben. Erst als Frankreich besetzt wurde, ist er mit Thomas Manns Hilfe sehr spät dann in die USA gekommen. Und dort passiert Folgendes. Heinrich Mann fasst nie dort Fuß. Das werden wir am Schluss hören, wie die Situation sich zwischen den beiden darstellt. Er lebt von der Unterstützung Thomas Manns, finanziell ideeller Art. Thomas Mann wird zum großen Vertreter des anderen, des besseren Deutschlands, mit vielen Reden, mit einer ungeheuer großen Anzahl von Tourneen, die er gemacht hat. Damals gab es so etwas noch, also vor 15.000 Leuten hat er gesprochen, vor durch die ganzen USA. Da war die Medienkonkurrenz noch nicht so groß und das gesprochene Wort galt noch mehr als heute. Und am Ende stirbt Heinrich Mann 1950 in Kalifornien, wird dort auch begraben. Er wollte eigentlich zurück nach Berlin, das hat sich zerschlagen gehabt durch seinen Tod. Und Walter Ulbricht, den er kannte aus der Volksfront der 30er Jahre, holte ihn 1961, als er sich nicht mehr wehren konnte, mit einem Staatsakt zurück. Und er begräbt ihn auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Thomas Mann bleibt auch nicht in den USA. Das ist interessant. 1952, 1953, als der Kalte Krieg dann ausbricht und nicht mehr das demokratische Amerika von Roosevelt dominierte, den er kannte, der auch zweimal im Weißen Haus besucht hatte, Thomas Mann. gegen die Sowjetunion, hat er immer abgelehnt, Thomas Mann. Mit fast 80 verkauft er für einen schlechten Preis, hat ihn nicht weiter getroffen, hatte Geld genug, sein Haus in Pessifik, Palisades, geht zurück nach Europa und nicht nach Deutschland, denn das hätte die Entscheidung für Ost- oder Westdeutschland, das schreibt er auch genau, bedeutet, das wollte er nicht. Er hat eine Einheit Deutschlands festgehalten, auch damals, als das sehr irreal war. Da gibt es Texte von ihm, die, wenn man heute liest, sehr prophetisch klingen auch. Sondern er geht in die Schweiz, nach Küssenacht, wieder in die Nähe von Zürich und stirbt dort im Jahre 1955. Ich will noch auf einen Aspekt hinweisen, bevor wir eben gleich einen Schlussbriefwechsel hören, einen kurzen, kleinen. eben gleich einen Schlussbriefwechsel hören, einen kurzen, kleinen. Das ist die politische Aktualität im Denken der Brüder Mann, die ich hier auch ausführe. Sie waren beide Menschen, die die Demokratie nur in der Defensive erlebt haben. Die Weimarer Republik war von Anfang an unter extremem Druck und wer sich für sie einsetzte, musste immer für die Demokratie kämpfen, gegen ein Umfeld, in dem die meisten nicht demokratisch agiert haben. Und ab 1939 im Krieg wurde das alles noch viel schlimmer, auch ab 1933. Viele europäische Staaten, erinnert alles ein bisschen an heute, waren nicht mehr demokratisch verfasst. Und ihr Wirken für die Demokratie ist immer ein Wirken aus der Defensive gewesen. Und das macht leider hier diese Geschichte, die ich erzähle, sehr aktuell. Thomas Band schreibt 1939 eine Rede, das Problem der Freiheit, in der sagt er unter anderem, wenn ich sage, der Freiheitsbegriff der Demokratie darf nicht auch die Freiheit umfassen, die Demokratie ums Leben zu bringen. Er darf nicht den Todfeinden der Demokratie freies Wort und freie Hand geben. So werden sie mir antworten, das ist die Selbstaufgabe der Freiheit. Nein, erwidere ich, es ist ihre Selbstbewahrung. Dass man überhaupt hierüber verschiedener Meinung sein kann, zeigt, dass die Freiheit in der Tat etwas wie ein Streitfall, dass sie ein Problem geworden ist. Oder vielmehr, es ist sichtbar geworden, dass sie immer eins war. Die Krise der Demokratie, das ist in Wahrheit eine Krise der Freiheit. Und die Rettung der Demokratie vor dem feindlichen Ansturm, der sie heute bedroht, ist nur möglich durch eine lebensgerechte Lösung des Problems der Freiheit. Das schreibt er 1939 und ich glaube, da braucht man gar nicht groß etwas zu sagen auch. Und ein anderer Aspekt sei noch kurz angeführt. In seinem Roman Dr. Faustus beschreibt er eine Diskussionsrunde der 20er Jahre, ein Salon. Der Grundgestus der anwesenden Wissenschaftler, Juristen und Intellektuellen ist antirepublikanisch. Die Weimarer Republik wird nicht als die Staatsform angesehen, die Deutschland in die Zukunft führen kann. Man sympathisiert da im Roman ganz offen mit den rechten, reaktionären und präfaschistischen Tendenzen. Die Argumente dieser Demokratiegegner sind folgende. Die bürgerliche Tradition, die aus dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts herkomme und an den Werten der Bildung, Aufklärung, Humanität orientiert sei, könne die Probleme der Gegenwart nicht mehr lösen. Die Republik wird explizit als ephemär und für den Sachverhalt von vornherein bedeutungslos, ja als ein schlechter Spaß über die Achsel geworfen. So referiert es der Roman. Dabei argumentieren diese Reaktionären intellektuell auf hohem Niveau. Man habe zu wählen, so sagen sie, zwischen Demokratie und Diktatur. Und da sei die Wahl einfach, denn die Demokratie widerspreche sich innerlich selbst, insofern sie zu ihrer Selbstbehauptung gezwungen sei, die Freiheit, nämlich die ihrer Gegner, einzuschränken, das heißt, sich selbst aufzugeben, das sei ihr Schicksal. Darüber hatte Thomas Mann ja im eben genannten Zitat gesprochen. gesprochen. Angesprochen ist damit das Paradoxon, dass die Demokratie, und das wusste Thomas Mann, die Überzeugung, Normen und gesellschaftlichen Kräfte, die als fortwährender, lebendiger, sich bestimmende Institutionen abspielende Prozess benötigt, nicht erst selbst in diesem Prozess herausbringen kann, sondern die Demokratie muss diese Dinge voraussetzen. Sie braucht Bürger, die die eigene Freiheit nicht isoliert von der Freiheit anderer wahrnehmen und demokratische Errungenschaften wie Toleranz und Meinungsfreiheit nicht heuchlerisch dazu benutzen, sie institutionell auszuhöhlen und in ihrer letzten Konsequenz abzuschaffen. Das Problem des inneren Angriffs auf die Demokratie, die Frage nach demokratischen Garantien und verlässlichen Narrativen, das alles sieht Thomas Mann schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es macht im Politischen seine Modernität und aktuelle Bedeutung aus. Es ist auch seinem Deutschlandbild in Dr. Faustus in der eben geschilderten Diskussionsrunde eingeschrieben. Vor allem aber führt Thomas Manns politische Reflexionsniveau auch dazu, dass er sehr genau sieht, wohin es führt, wenn der Demokratie die Demokraten fehlen, wie es in der ersten Deutschen Republik vor 100 Jahren der Fall war. Das hatte er und Thomas Mann erlebt. Im Zeitalter der Massen, so geht es im Roman Dr. Faustus die Diskussion auf ihren Endpunkt zu, ich zitiere, habe die parlamentarische Diskussion als Mittel politischer Willensbildung ausgedient, schreibt Thomas Mann in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Man müsse einsehen, ich zitiere wieder den Dr. Faustus Roman, dass an ihrer Stelle in Zukunft die Versorgung der Massen mit mythischen Fiktionen zutreten habe, die als primitive Schlachtrufe, die politischen Energien zu entfesseln, zu aktivieren, bestimmt seien. Und noch zugespitzter und mit erschreckender Aktualität formuliert, Ziel von erfolgreicher Politik müsse in Zukunft sein, ich zitiere wieder den Roman, dass populäre oder vielmehr massengerechte Mythen fortan das Vehikel der politischen Bewegung sein würden. Fabeln, Wahnbilder, Hirngespinste, die mit Wahrheit, Vernunft, Wissenschaft überhaupt nichts zu tun haben brauchten, um dennoch schöpferrecht zu sein, Leben und Geschichte zu bestimmen und sich damit als dynamische Realität zu erweisen. Wenn man das heute liest, das stockt einem der Atem. Es schockiert, wenn man das in einem Roman aus dem Jahre 1940 liest. Heute würde Thomas Mann wohl von Fake News sprechen und auf die hochproblematische Nutzung der sozialen Medien bei ihrer Verbreitung verweisen. Grundsätzlich beschreibt er aber bereits damals ein gesellschaftliches System, das auf strategisch vorgebrachten Lügen und Verdrehungen aufbaut und verweist damit auf die Trumps und Putins unserer Zeit, die sich erst über die von ihnen ausgenutzten Regeln der Demokratie lustig machen und sie dann wohl abschaffen wollen. Bei dieser Abschaffung der Demokratie ist aber jedes Mittelrecht die unbedingbare Voraussetzung dafür ist, aber stets die Abschaffung der Wahrheit und der Siegeszucht, ich zitiere nochmal Thomas Mann, all der Fabeln, Wahnbilder, Hirngespinste, die mit Wahrheit, Vernunft, Wissenschaft überhaupt nichts zu tun haben. In dieser Analyse, das er abschließend gesagt hat, ehe wir den Schluss hören, waren sich die Burdamann auch vollkommen einig, ich könnte auch eine Reihe Stellen von Thomas von Hanlichmann zitieren, die uns deutlich machen, dass es Menschen gab, die das Problem damals schon gesehen haben. das alles gebracht. Ich glaube, wichtig ist, dass man sagt, solche Positionen müssen immer gebracht werden in doppelter Hinsicht. Einmal, indem man eine analytische Funktion hat, die hat vor allen Dingen Thomas mann gehabt, der die Probleme genau auf den Punkt bringt und bei Heinrich Mann ist es so, dass er eher derjenige war, der bestimmte Werte immer wieder hochgehalten hat. Letztes Zitat von mir, dann hören wir die letzten Briefe. Er schreibt Ende der 30er Jahre, es ist wohl, was Gott in Australien wollte, die Ereignisse sind ganz schlimm, der Zweite Weltkrieg hat begonnen, aber Heinrich Mann sagt, endgültig müssen sie darum nicht sein. Eine endgültige Tatsache ist unser sittliches Bewusstsein, das wir in Jahrtausenden nicht umsonst erworben haben. Eine endgültige Tatsache ist unser sittliches Bewusstsein, das wir in Jahrtausenden nicht umsonst erworben haben. Wir sollen Ereignisse, die des Menschen unwürdig sind, bekämpfen, bis Menschenwürdigere eintreten. Das war sein Credo, das er also die ganze Zeit immer wieder formuliert hat, auch als es in der Wirklichkeit ganz, ganz anders aussah. Und deswegen war Heinrich Mann am Ende auch im Unterschied zu Thomas Mann viel, viel verzweifelter. Da hören wir jetzt von. Lieber Heinrich, wir haben uns lange nicht gesehen. Es scheint, du bist nicht wohl gewesen oder hast Schaden vermeiden wollen, indem du dich bei diesem unfreundlichen Wetter zu Hause hieltest. Sobald dir nach einem Zusammensein zu Sinne ist, lass es uns wissen. Zum neuen Jahr wünschen wir Gesundheit und alles, was sonst etwa vernünftigerweise für diesmal erwünscht und erhofft werden kann. Das heißt, möge es schlecht und recht gehen. Bis man hoffen darf, dass es nur noch recht gehe, werden wir wohl noch ein, zweimal Neujahr begehen müssen. Über Russland ist ein außerordentlich interessantes Buch erschienen, Mission to Moscow, von dem US-Ambassador E. Davis. Es sind vertrauliche Berichte an den Staatssekretär und den Präsidenten, auch Tagebuchstellen aus der Zeit der Prozesse, der Exekutionen in der Roten Armee etc. Ich empfehle es dir sehr. der Roten Armee etc. Ich empfehle es dir sehr. Über das Fest ist unser Häuschen gerappelt voll. Außer Golo und der belebenden Erika ist auch mein Schwager von Berkeley dazu, unser Enkelsöhnchen da, das wir für einige Wochen aus San Francisco mitgebracht haben. Ein reizendes Kind. Seine Gegenwart versetzt uns in junge Tage zurück. Seine Gegenwart versetzt uns in junge Tage zurück. Heute habe ich wieder einmal nach Deutschland gebroadcastet und bin ungewöhnlich ausfallend gegen Schickelgruber geworden. Es tut doch wohl. Nimm mit Nelly unser aller Grüße, herzlich Thomas. Lieber Tommy, deine Wünsche erwidern wir von Herzen. Wir hatten euch telegrafiert, aber das gute Wünschen kann man nicht oft genug, es kommt zu selten. Arbeiten unternehme ich nach und sogar durcheinander, je nachdem sie lohnen. Versprechen gehalten hat es noch keine. Äußersten Falles muss ich den Krieg und die nächsten Folgen des Krieges abwarten. Meine frühesten Bücher wurden mir 15 Jahre nach ihrem Erscheinen bezahlt. Dich versetzt euer kleiner Enkel zurück, mich, die Einsamkeit und Unbedanktheit. Das war alles schon einmal, als ich noch gar nichts hinter mir hatte. Zeit, das war alles schon einmal, als ich noch gar nichts hinter mir hatte. Diese Feststellungen gewähren einige Seelenruhe, bis zu der Einbildung wieder jung zu sein, reichen sie nicht. Was ich dir schulde und wofür ich dir danke, müssen meine Erben begleichen. Gesetz, ich selbst hätte die gelegenheit nicht mehr sie kann in wenigen monaten eintreten gleich oder gar nicht da ich es nicht in der hand habe es handelt der zufall meine erkältung war bald vorbei aber ich weiß dass ihr das haus voll genug habt so wie es euch passt kommen kommen wir gern. Grüße und Dank an Katja, herzlich, Heinrich. Lieber Tommy, du hast mich sehr gerührt. Wohltuend ist das Bewusstsein, dass meine Lage einen anderen, der einzig du sein kannst, so ernst beschäftigt. Beschämt zu sein, verbietet mir unsere natürliche Verbundenheit und auch meine. Lieber sage ich Gottergebenheit als Resignation. Da die Umstände beständig wechseln, würde man vielleicht im falschen Augenblick verzichten. Russland, dieses Land des Schicksals, zeigt mir, dass auch ich nicht auf einmal überflüssig bin. Sie lassen auch, was ich getan habe, zu ihrer großen Sache zu. Wenn sie mir überdies Geld geben, ist es wahrhaftig mehr Auszeichnung als Entgelt und zählt für das Vielfache, bedenkt man, ihre eigene furchtbar gespannte Existenz. Jetzt ist die platte Frage, wie weit die Summe reichen könnte. Bis New York und etwas darüber, ich hoffe es, habe übrigens für die Übersiedlung dieselben Gründe, die du nennst. Allerdings sind von den 750 Dollars, sobald sie eintreffen, mehrere notwendige Zahlungen abzurechnen. Besonders der Zahnarzt. Plötzlich eine lebenswichtige Gestalt. Zu ihm kam ich mit einer ungewöhnlich vorgeschrittenen Züste. Ihre Beseitigung soll nicht genügt haben. Er entfernte sämtliche Spuren meines eigenen Gebisses. Die kahlen Kiefern erwarten nunmehr das Neue. Das ganze Verfahren wird billigst mit 225 Dollar berechnet. Ein harter Schlag. Auf Raten verteilt würde die Forderung auf eine Bank übertragen werden, was die Kosten vermehrt und mich langfristig belastet. Eine Angstpartie, wie ich seit dem Ankauf des Autos weiß. Von dem Auto selbst sind noch 300 Dollar zu zahlen. Vorher darf ich es nicht vor Ort geben. Die beiden Beträge sogleich abgezogen, blieben von den erwarteten 750 nur 225 Dollar. Aber nach der Reise, die im Wagen noch am wenigsten kostet, würde man ihn dort verkaufen und hätten für einige Monate genug. Mehr als einige gesicherte Monate darf ich nicht verlangen. Dennoch wird mir etwas bange von den Fehlschlägen, die in diesem Lande hinter mir, daher möglicherweise auch vor mir liegen. Gerne will ich deine Annahme teilen, an Ort und Stelle zu sein, ist immer schon etwas. Nur bin ich gerade jetzt nicht in der geeignetsten Verfassung, körperlich und in Betreff des unbefangenen Sinnes, womit man auftritt und sich zur Geltung bringt. Indessen ist daran nichts Ungewöhnliches. Sogar die Jugend kennt jetzt dergleichen. Greifbarer hält es mich auf, dass drei unfertige Arbeiten daliegen, dass ich hoffentlich nicht mehr lange ihre Fortführung hinausschieben muss. Wenn der Fall einträte, dass jemand sie erwartet und honoriert, könnte mir davon früher wohl werden. Ich will denn hinreisen und es darauf ankommen lassen, ob der Glücksfall eintritt. Lässt es aber warten, erhebt sich alsbald die Frage, ob ich dich nochmals in Anspruch nehmen darf. Es ist schon hier eine Zumutung. In New York wäre es eine noch größere Ich weiß durchaus, was du dir und den Deinen schuldest Auch das Haus ist berechtigt Auf die Dauer wird nichts daran verloren sein Aber selbst ein, wenn auch staatlicher Lektor sein müssen Und dann den Bruder erhalten sollen Das überschreitet eigentlich den erlaubten Zustand. Ich werde zusehen müssen, dass ich mich durchbringe und dass dein monatlicher Beistand nicht wieder nötig sein wird, nachdem Litilnoff das Geld überwiesen hat. Herrn Leventhoff werde ich danken, sobald ich es bekomme In New York, wenn ich hingelange, werde ich dich noch seltener sehen können Schon hier war es zu selten, obwohl ich immer Zeit hätte Du bist beschäftigt, gewiss mit Leuten obendrein Mich lassen sie in Ruhe, was nichts ausmacht Nur mit dir ist etwas versäumt und nicht mehr nachzuholen Und rein mich lassen sie in Ruhe, was nichts ausmacht. Nur mit dir ist etwas versäumt und nicht mehr nachzuholen. Oder dies wäre eine unzeitgemäßige Vorstellung. Mag sein, dass zuletzt die persönliche Gegenwart zurücktritt hinter die Erinnerungen. Ohne Vorsatz und kaum, dass ich weiß, warum, habe ich plötzlich angefangen, Buttenburg zu lesen. Herzlich, Heinrich. Applaus Applaus in diese Bruderbeziehung Heinrich und Thomas Mann sowie Martin Schwab für eine wirklich grandiose Lesung. Hinten am Büchertisch gibt es das Buch Zeit der Magier zu erwerben. Hans Wieskirchen ist gerne bereit zu signieren. Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Die nächste Möglichkeit gibt es zufälligerweise bei einer Veranstaltung Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945. Da wird am Montag Walter Pieler Lebenssee 1 vorgestellt und ich würde mich freuen, wenn wir uns da wiedersehen. Das Literaturcafé ist offen. Genießen Sie noch ein Getränk oder stellen Sie diesem Herrn alle Fragen zu Thomas Mann, die Sie jemals hatten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Applaus