Lieber Martin, ich habe dich jetzt hier ins Studio gelockt und wir sitzen hier als DorfTV-KollegInnen. Aber du arbeitest nicht nur bei DorfTV, sondern auch bei Reporter ohne Grenzen als Generalsekretär Österreichs, hast in der Vergangenheit aber auch schon historische Aufarbeitungsarbeit geleistet. Warum sage ich das? Wir wollen heute über die Rolle der Medien sprechen in Verbindung mit Erinnerungskultur, Geschichtspolitik, also all deine Erfahrungsbereiche sozusagen vereinen. Vielleicht magst du uns zu Beginn ganz kurz ein bisschen näher erklären, woran du so gearbeitet hast. Naja, ich habe ein abgeschlossenes Studium der Politik und Zeitgeschichte. Ich habe an der Universität Wien studiert, das Studium damit erfolgreich beendet im Jahr 1996. Und ich habe mich damals schon sehr, sehr viel für die Zusammenhänge interessiert, wie eigentlich eine Gesellschaft sich ihrer eigenen Vergangenheit erinnert, beziehungsweise welche Interessen sich darin manifestieren und vor allem auch inwieweit Politik Vergangenheit und die Erzählungen von Vergangenheit für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Da muss ich dazu sagen, dass ich komme aus einer Zeit, sehr stark sozialisiert in den 1980er Jahren, wo das eine große Rolle gespielt hat. Da nenne ich jetzt nur zwei Beispiele. Im Jahr 1988 gab es natürlich diese große Aufregung rund um die Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten. Da spielte ja quasi seine SS-Vergangenheit eine international viel beachtete und diskutierte Rolle. Dann natürlich auch ab 86 der Aufstieg Jörg Heiders, der ja quasi sozusagen auch die nationalsozialistische Vergangenheit oder die Ursprünge seiner eigenen Partei dazu genutzt hat oder auch so geframed hat, dass es seiner eigenen Partei zu einem Stimmenzugewinn verhilft. Das fiel auch in Österreich auf einen fruchtbaren Boden und das hat mich sehr geprägt und ich habe mir damals schon gedacht, ich möchte da auch eine aktive Rolle spielen, mich auch einmengen und bei diesem Ringen in der Frage, wer erzählt eigentlich welche Geschichte und wer verfügt über welche Macht, letztlich Geschichtserzählungen auch in einer Staatsräson zu verordnen. Das ist etwas, was mich bis heute natürlich beschäftigt und das fließt auch so rein in meine unterschiedlichen Tätigkeiten, sei es als leitender Politikredakteur bei einem TV-Sender wie DorfTV, aber natürlich auch im Zusammenhang mit Reporter ohne Grenzen, einer NGO, die sich ja seit der Gründung maßgeblich beschäftigt mit Fragen von Demokratie, Pressefreiheit und Medienvielfalt. Würdest du sagen, es geht um die Deutungshoheit über die Geschichte? Es geht immer um die Deutungshoheit der Geschichte. Das ist vielleicht sehr, sehr vielen Menschen jetzt mal so gar nicht bewusst, das kann man ihnen auch nicht übel nehmen, weil sie müssen sich ja nicht für alles und dann auch im Detail interessieren. Aber natürlich spielt eine wesentliche Rolle, auch so wie wir uns wahrnehmen als Staat oder auch in unserer eigenen nationalen Identität, spielt eine wichtige Rolle, wo denn unsere Wurzeln liegen, woher wir kommen. Und gerade hier in Österreich haben wir eine sehr bewegte, sehr reichhaltige Geschichte, die gar nicht so sehr in einer Erzählung zusammenzufassen ist. Im Fachbegriff nennt man das die sogenannte Mastererzählung, das ist das, was national verordnet wird. wo vieles multipler geworden ist, wo heute trotz aller Schwierigkeiten, die wir in der Frage der Sicherstellung von Demokratie haben, dass es immer mehr Menschen gibt, auch mit unterschiedlichsten Hintergründen, die selber auch mitwirken wollen oder auch Einfluss nehmen wollen in der Frage, was erinnern wir eigentlich. Und das ist schon eine spannende Sache, wobei natürlich gerade, weil wir hier im Studio von DorfTV sitzen, es super spannend ist, diese Sichtweisen auch sozusagen vor der Kamera einem größeren Publikum bekannt zu machen und damit auch sozusagen Diskurse anzuregen. Aber diese fragmentierten Wirklichkeiten bringen ja auch sehr viele Herausforderungen mit sich. Gerade wenn wir jetzt über das Erinnern an die Shoah, an den Holocaust, wenn wir darüber zu sprechen kommen, dann sollte es doch eine Erzählung darüber geben und nicht viele verschiedene. Wie geht man damit um? Das ist eine spannende Frage, die auch durchaus ambivalent ist. Einerseits befinden wir uns augenblicklich in einer Realität, wo in Wahrheit von den Tätern dieses unglaublichen Menschheitsverbrechens eigentlich kaum jemand mehr am Leben ist. Aber gleichzeitig haben wir die Situation, dass diejenigen, die diesen Verbrechen zum Opfer gefallen sind, ebenfalls uns heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Und gleichzeitig hat die Menschheit völlig verändert, auch in ihrem Selbstverständnis. Es gäbe heute keine niedergeschriebene Universalität von Menschenrechten hätte es die Shoah nicht gegeben, hätte es nicht diese Erfahrung gegeben, wozu der Mensch eigentlich fähig ist, wenn man ihn nur lässt und wie letztendlich auch Millionen, Abermillionen von Menschen begeistert werden können für den Massenmord. Das muss man sich auch mal vergegenwärtigen. den Massenmord. Das muss man sich auch mal vergegenwärtigen. Und wir stehen natürlich vor der Herausforderung, dass wir dieses mahnende Erinnern wachhalten müssen. Wobei natürlich, es gibt auch in der Geschichte oder in der Geschichtswissenschaften diesen Begriff der Oral History, das umfasst immer jene Generationen, die noch zur Verfügung stehen, um Auskunft zu geben. Da muss man auch immer sehr kritisch sein und sehr skeptisch sein. Aber dennoch, und sobald dieser Punkt erreicht wird, wo auch sozusagen Oral History, etwa im Beispiel der Shoah, als Methodik nicht mehr zur Verfügung stehen kann, dann wird das sozusagen so etwas wie ein Kapitel in den Geschichtsbüchern, so wie heute in den Geschichtsbüchern, so wie heute in den Geschichtsbüchern, beispielsweise in der Geschichtsvermittlung in Schulen über die napoleonischen Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts berichtet wird, dann ist das einfach nur noch ein Kapitel. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir quasi einen anderen Umgang, diese Unmittelbarkeit auch der Erfahrung für uns wachhalten, denn tatsächlich ist es ja in uns drinnen, diese Verbrechen, die Herausforderung, uns dieser Verbrechensgeschichte zu stellen, sie auch aufzuarbeiten, das ist ja ganz tief eingeschrieben in unser aller kollektiven Bewusstsein. Wahrscheinlich wissen das viele noch gar nicht oder sind sich dessen gar nicht bewusst, aber natürlich wirkt das lange nach. Welche Rolle spielen denn Medien, wenn es darum geht, ein kollektives Bewusstsein, wie du es jetzt formuliert hast, aufrecht zu erhalten? Medien bieten Chancen und gleichzeitig große Gefahren. Die Chancen sehe ich darin, dass Medien, natürlich digitale Medienentwicklung, uns heute die Möglichkeiten in die Hände gibt, eine Unmenge von Informationen zu bewahren, zu archivieren, zur Verfügung zu stellen und ein Beispiel zu nennen, es ist das große Glück, dass von den vielen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die die Shoah überlebt haben, es hunderte, tausende, teilweise epische, in einer großen Länge Interviews gibt, die sind digital erhalten. Das heißt, im Grunde kann man das heute jederzeit anschauen, kann auch in der Vermittlung eingesetzt werden. Gleichzeitig natürlich sind wir in einer Medienrealität, wo Menschen so ihre eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten entwickeln. Und da sind natürlich auch Medien sehr, sehr anfällig dahingehend, quasi Gefallen zu finden, wo wir natürlich wieder vor dem Problem stehen, dass sehr schnell sowas eintreten kann wie Trivialisierung. Man warnt auch vor dem Disneyland der Geschichte, dass das alles so entertainisch aufgebaut wird. Wir kennen das ja auch aus Dokumentationen, wo schon fast so Virtual Reality mäßig so Avatare oder was auch immer auf den Bildschirmen herumtanzen, die quasi gezeichnet sind oder sonst irgendwie über eine künstliche Intelligenz entwickelt wurden und sozusagen als handelnde Personen aus der Geschichte uns vorgeführt werden. Das ist zum Teil sehr, sehr problematisch, weil das ist ja quasi nichts anderes als auf der Programmierebene entstanden und hat kaum diesen authentischen Charakter, diese Geschichte, so wie sie sich ereignet oder wie es eigentlich zu vermitteln gilt, tatsächlich zu transportieren. oder wie es eigentlich zu vermitteln gilt, tatsächlich zu transportieren. Glaubst du, hat das etwas mit einer gewissen Ermüdung zu tun, dass man jetzt neue Wege sucht, um zu erinnern, die dann oft nach hinten losgehen oder weil man einen Umgang sucht mit den fragmentierten Wirklichkeiten, dass man Aufmerksamkeit erregt, um an die Geschichte erinnern zu können? um an die Geschichte erinnern zu können? Ich glaube, da gibt es noch einen Schritt davor, dass niemand Gefallen daran hat, zu wissen, dass wir beispielsweise vielfach aus Familien stammen, wo die Großväter oder die Urgroßväter schwere Verbrecher waren. Damals waren sie sich dessen gar nicht bewusst, sie waren ideologisch völlig überzeugt von der Richtigkeit ihres Tuns. Nein, aber das ist natürlich auch ganz schwierig, man sagt, irgendwann will ich davon meine Ruhe haben und es gibt ja auch viele andere Probleme in der Gegenwart, warum sollen wir immer nur in die Vergangenheit schauen. Wir sind da herausgefordert, einen verantwortungsbewussten Umgang damit zu finden und das ist schon auch etwas, was medial sehr schwer erfassbar ist. auch innerhalb der Europäischen Union, Tendenzen in der Politik oder in der politischen Entwicklung, die immer autoritärer werden, nationalistischer werden. Also die rechten, rechtsextremen, rechtskonservativen Parteien haben nach wie vor großen Zulauf, auch bei Wahlen. Und die Programme dieser genannten Parteien fußen ja auch auf einem sehr speziellen Geschichtsverständnis, fußen ja auch auf einem sehr speziellen Geschichtsverständnis, wo quasi das alles dem eigenen nationalistischen Interesse untergeordnet wird. Also wenn wir heute einen Staat haben mit sehr, sehr vielen Minoritäten aus verschiedenen Sprachen, Kulturen, dann ist das selten im Interesse von rechten Parteien, die auch alle abzubilden. Also Donald Trump ist augenblicklich eines der besten Beispiele. Der will ja quasi tatsächlich die Nationalgeschichte der Vereinigten Staaten neu schreiben. Was heißt nicht neu schreiben, sondern er will sie zurückradieren. Er will sozusagen die Vielheit der historischen Erzählungen auf eine reduzieren, als hätte es nie Ureinwohner auf dem Kontinent gegeben, sondern immer nur die weiße Besiedelung, um sozusagen darzulegen, diese White Supremacy, diese weiße Überlegenheit ist sozusagen der Nukleus der amerikanischen Geschichte. Angesichts dieser globalen Entwicklungen könnte man ja schnell verzagen und sagen, wozu überhaupt noch Bemühungen anstellen, um an die Geschichte zu erinnern, die jetzt ganz stark auch in Verbindung steht mit Österreich oder einer österreichischen Verantwortung. Aber was wären denn so deine Lösungsansätze? Wie soll man erinnern? Ich war nie ein Anhänger der historischen Erkenntnisverordnung von oben, also Schulklassen de facto zu zwingen, die Gedenkstätte in Mauthausen aufzusuchen, das ist zu hinterfragen. Ich glaube, dass grundsätzlich vor allem junge Menschen immer Fragen stellen. Die interessieren sich, sie stellen Fragen und sie stellen natürlich auch Fragen zu den historischen Ursprüngen oder Herkünften der Gesellschaft, in der sie leben. Glaubst du, dass man nicht Rahmenbedingungen schaffen muss für sowas? Ja, natürlich, du musst schon Rahmenbedingungen schaffen, du musst Angebote schaffen, sozusagen Informationsangebote schaffen, dass Menschen, wenn die dann sozusagen von ihrer Neugierde so gesteuert sind, dass sie sich umsehen, was gibt es denn für Antworten auf meine Fragen, die dann auch von ihrer Neugierde so gesteuert sind, dass sie sich umsehen. Was gibt es denn für Antworten auf meine Fragen, die dann auch tatsächlich vorfinden? Natürlich ist das ein gesamtgesellschaftliches Bemühen hier mit Schulen, Eltern, aber natürlich auch viele andere Player etwa im Bereich der Zivilgesellschaft, dass man bei dem eigenen Tun immer auch so etwas wie eine historisch vermittelnde Komponente mit drinnen hat. Also wir bei DorfTV, wenn wir über uns sprechen und unsere Bedeutung oder unseren Zweck referieren, wir referenzieren ja auch nicht ohne Grund immer wieder dann auf Mediengeschichte, aus welchem medienhistorischen Hintergrund hat denn unser Land eigentlich mit dieser Monopolstellung des Rundfunks bis 1998 dann erst ein liberalisierter Rundfunkmarkt, was das eigentlich bedeutet hat, dass tatsächlich hier erstmals so etwas gewährleistet wurde wie Meinungsvielfalt, die sich abbilden kann in verschiedensten medialen Angeboten. Das ist auch eine historische Erzählung und das ist unsere Aufgabe und das gilt es natürlich auch beispielsweise dann zu vermitteln, wenn etwa Menschenrechte immer öfter in Frage gestellt werden. Warum sind Menschenrechte in unserer Geschichte so bedeutsam? Gleichzeitig muss man sagen, wer hat denn die Menschenrechte ins Leben gerufen und eingesetzt und wer wurde quasi bewusst nicht daran beteiligt? Der halbe globale Süden, der betrachtet eigentlich Menschenrechte als koloniales Instrument der Unterdrückung. Auch das muss man erzählen. Es gibt so verschiedene Sichtweisen und verschiedene Fragestellungen, die alle irgendwie zusammenhören. Und verstehe ich dich richtig, dass du sagst, das Erinnern an die Vergangenheit hat auch immer etwas mit unserer Gegenwart zu tun? Also im Grunde können wir unsere Gegenwart ohne irgendwie über unsere Vergangenheit Bescheid zu wissen, können wir gar nicht verstehen. Wie, nochmal die konkrete Frage, gedenkt man am besten an den Holocaust, ohne sich Lehrerfloskeln oder Lehrer-Hola-Rituale zu bedienen? Ich glaube, nochmal mit Schwerpunkt auf junge Menschen, du brauchst Personen, du brauchst Bezugspunkte. Darum war die Figur der Anne Frank natürlich oder ist weiterhin von größter Bedeutung, weil junge Menschen sich mit Anne Frank, die dann später in Auschwitz ermordet wurde, natürlich identifizieren können. Anne Frank in ihrer Zeit, die Geschichten aus ihrem Leben sind gar nicht so weit entfernt von den Geschichten der Jugendlichen heute in ihrem Leben. Und da geht es immer auch so, Jugendkonflikt Geschichten der Jugendlichen heute in ihrem Leben. Und da geht es immer auch so um Jugendkonflikte mit der Erwachsenenwelt und so weiter. Und dann plötzlich wird sie ermordet. Und da kann man dann schon daran erinnern, es gibt hunderttausende solcher Geschichten, die auch rauszufiltern. Das Problem in der Vermittlung der Shoah war ja immer diese unglaubliche Menge der Ermordeten. Sechs Millionen, das ist so abstrakt. Greifbar wird es erst dann, wenn du jedem Menschen unter diesen sechs Millionen eine Geschichte gibst, eine Erzählung gibst. Die haben dort gelebt, an diesem Haus, die sind dort zum Bäcker gegangen, war dort in der Schule, ist dort verprügelt worden oder der Vater musste an diesem Gehsteig die Pflastersteine putzen. Oder der Vater musste an diesem Gehsteig die Pflastersteine putzen. Diese Geschichten gehen nahe, dürfen nicht trivialisiert werden, um da nicht so eine Hollywood-Schaukel daraus zu machen, sondern braucht diese Rückkopplung, einerseits die emotionale Wahrnehmungsebene zu erreichen, aber gleichzeitig die Sachlichkeit auch zu respektieren und zu bewahren. Und beides zusammen, ich glaube, das kann schon gelingen. Also ich fasse zum Abschluss zusammen, Erinnerungskultur sollte passieren mit genügend Bezügen zur Gegenwart und mit dem Faktor Identifikation zum eigenen Leben. Das ist auf jeden Fall ein probates Mittel, es so zu versuchen. Danke sehr, Martin. Bitte.