Guten Abend im Stifterhaus, meine sehr geehrten Damen und Herren. Freut mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind heute Abend zur Premiere zweier, wie ich finde, äußerst lesenswerter Bücher, die beide erst kürzlich erschienen sind. Zum einen beschäftigen wir uns mit Sandra Weiß' jüngsten Roman, der den Titel Bemühungspflicht trägt und in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen ist. Zum anderen wird es um den Debütroman von Marlene Gölz gehen, der den Titel Himmelfahrt trägt. Er ist bei Septime erschienen. Ich darf beide Autorinnen ganz herzlich willkommen heißen. Schön, dass Sie heute Abend hier sind, Sandra Weiß und Marlene Gölz. Die beiden Romane vereint nach meinem Dafürhalten mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Warum sage ich das? Inhaltlich folgen wir in Himmelfahrt von Marlene Gölz, einer Frau mittleren Alters, an den Ort ihres Aufwachsens und beobachten ihre Versuche, sich selbst darüber im Klaren zu werden, wie alles so kommen konnte, wie es eben gekommen ist, wie sie und einige andere aus Jugendtagen schließlich an diesem Punkt in ihrem Leben gekommen sind. Sandra Weiß hingegen führt uns in ihrem Roman Bemühungspflicht hinein in die Welt eines Langzeitarbeitslosen Mannes, den immer wieder erlebte Niederlagen und stetige Ablehnung, aber auch sein eigenes Fehlverhalten in einen Negativstrudel getrieben haben, aus dem er nicht mehr herauszufinden vermag. Wie gesagt, auf den ersten Blick verhandeln die beiden Bücher recht gegensätzliche oder zumindest unterschiedliche Welten. Gemeinsam haben sie jedoch, dass sie beide von einer Innerlichkeit erzählen, einem Innenleben der Protagonistinnen, das mitunter nicht so recht zur Außenwelt passen will. Beide erzählen jeweils auf ihre Art vom individuellen Wahrnehmen von Ereignissen und Umständen und zeigen dabei immer wieder, dass dieses individuelle Wahrnehmen eben nur sehr begrenzt mit dem sich tatsächlich Zutragenden korrespondiert. Die Wirklichkeit und das Erleben derselben sind eben nie deckungsgleich, könnte man sagen, oder aber etwas programmatischer formuliert. Die Welt und das Ich, das Ich und die Welt und warum gehen die beiden so oft nicht zusammen? Aber sie werden sich selbst ein Bild machen können. Ein paar kurze biografische Eckpunkte zu unseren heutigen Gästen. Marlene Gölz wurde in Linz geboren, sie studierte Kunstgeschichte in Wien und Berlin und veröffentlichte zahlreich in Anthologien und Literaturzeitschriften. zahlreich in Anthologien und Literaturzeitschriften. Neben dem Literaturpreis der Akademie Graz 2018 wurde sie mit dem Marianne von Willemmer Frauenliteraturpreis der Stadt Linz 2017 ausgezeichnet. Zudem erhielt sie mehrere Stipendien für ihr literarisches, aber auch für ihr bildkünstlerisches Schaffen. Sie ist Mitglied der Grazer Autorinnen-Autorenversammlung. Sandra Weiß wurde in Klagenfurt geboren. Sie absolvierte ein Studium der sozialen Arbeit in Wien. Neben mehreren Stipendien für ihr schriftstellerisches Werk erhielt sie 2015 für ihren Debütroman das grenzenlose und, erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt, den Literaturförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung. Ihr zweiter Roman, Delilah, erschien 2020 im Janin Verlag. Für die Moderation des heutigen Abends wird eine der veritabelsten Stimmen zur Gegenwartsliteratur in Österreich verantwortlich zeichnen. Ich darf auch unseren Moderator ganz herzlich begrüßen. Herzlich willkommen, Stefan Gmünder. Schön, dass du wieder bei uns bist. Applaus Applaus Applaus Stefan Gmünder, geboren 1965, wurde 2021 mit dem Staatspreis für Literaturkritik der Republik Österreich bedacht. Er ist seit vielen Jahren Literaturkritiker und Literaturredakteur für unter anderem die Tageszeitung der Standard oder die Literaturzeitschrift Volltext. Zudem war er mehrere Jahre Juror beim Ingeborg Bachmann-Preis in Klagenfurt. 2024 erschien von ihm im Braumüller Verlag der Essay über Alfred Gubrans Iliade. Das war es auch schon von meiner Seite. Ich wünsche uns einen interessanten Abend und darf Stefan Gründer und Sandra Weiß auf die Bühne bitten. Oder nur Stefan Gründer. Das macht sie euch aus. Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie da sind. Es ist mir eine sehr große Ehre und Freude, hier sein zu dürfen. Und Stefan hat es vorhin erwähnt, er hat das Wort Wahrheit oder unser Ringen mit der Wahrheit über das geredet. Und ich glaube, das Gute an der Literatur ist, dass sie nie die Geschichte erzählt, sie erzählt eine Geschichte. Und diese Fokussierung auf diese eine Geschichte kann doch etwas extrem Verbindendes haben. Ich werde später noch darüber reden und somit die Literatur auch zu einem Zeichen gegen diese Nationen und Gruppen definierenden Narrative sein, weil sie vom Individuum handelt. Wir haben uns den Abend so vorgestellt, ich werde eine kleine Einleitung machen, dann liest Sandra Weiss, Wiedereinleitung, dann liest Marlene Gölz und am Schluss reden wir noch zusammen. Die Einleitungen sind mir ein bisschen lang geraten, ich wollte sie eigentlich kürzer machen. Ich werde dafür versuchen, möglichst schnell zu reden, was für einen Schweizer gar so keine geringe Herausforderung ist. Es sind etwa viereinhalb Minuten. In einem Interview im Jahr 2021 beantwortete Sandra Weiss die Frage, was in dieser Zeit besonders wichtig sei, so, ich zitiere, keine Politik und keinen Virus zwischen die Beziehungen kommen zu lassen. Was zählt, ist die Verbindung, nicht das Trennende. Wir brauchen eine Art generelle Akzeptanz, dass jeder anders mit Angst umgeht Zitat Ende. einander in Kontakt zu bleiben, ist die Literatur, weil sie von Ängsten, Sehnsüchten, dem Sein in der Welt und einer Hoffnung auf ein gutes Ende trotz allem spricht, die uns alle miteinander verbindet. Das kann Literatur, wie der Autor Albert Camus schrieb, zu einem Sammelpunkt in Katastrophenzeiten machen. Ich weiß nicht, ob Sandra Weiss-Camus, der sein Schreiben der Freiheit, dem Schmerz des Menschen und dem Anrennen gegen gesellschaftliches Schweigen verpflichtet sei, schätzt. Was ich aber weiß, ist, dass sie gesellschaftliche Themen aufnimmt, in die sich die deutschsprachige Literatur selten vorwagt. Erst recht nicht in der Dringlichkeit, im Stil, in der Form, wie sie es in Bemühungspflicht tut. Erzählt ist der Roman in Präsenz und in elf von 22 kurzen Kapiteln in der Du-Form, der verbindendsten, die größte Nähe herstellenden Erzählperspektive, die Sprache bietet. Sie wird selten angewandt, weil sie die Gefahr der Überidentifizierung mit oder auch Abstoßung von der Figur birgt. Das Du in diesem Roman ist Manfred Gruber, ein Mann, der sich an der Schwelle zum 60. Jahr befindet. Es wäre übertrieben, ihn als einfache Persönlichkeit zu bezeichnen oder einen, der viele Aktien an der Spaßgesellschaft hält. Vielmehr handelt es sich bei ihm um einen Beschwerten, einen in der Ehe gescheiterten, machohaften Vater, ehemaligen Trinker, als querulant verschrienen Nachbar und um einen Sozialhilfeempfänger, der ihm von der Mutter geerbten Haus, die er bis zum Tod pflegte, am Rand einer mittelgroßen Stadt lebt. Schon in wenigen Sätzen tickt in diesem Buch, das von vier Montagen im April 2019 und einem 1. Mai handelt, eine Uhr oder ein Countdown. Denn eingeschobene Kapitel, in denen Grubers Nachbarn für eine Sendung über ihn befragt werden, deuten bald darauf hin, dass etwas passieren wird. Was sei hier nicht verraten? Nur so viel. Alles beginnt, dass die 760 Euro Sozialhilfe am 8. April nicht auf Grubers Konto eingelangt sind, obwohl er alle Auflagen erfüllt, zehn Bewerbungen geschrieben und auch sonst dem bürokratischen Wortungetüm Bemühungspflicht nachgekommen ist. Zu tun hat das Ausbleiben des Geldes auch mit Melanie Ranf, einer neuen Sachbearbeiterin in der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft, die seinen Fall neu aufrollt und als Alleinerzieherin selbst in prekären Verhältnissen lebt und vielleicht gerade deswegen kaum Verständnis für Gruber aufbringt, den sie für arbeitsunwillig hält. Nach und nach erfahren wir in diesem Roman von Grubers Leben vom schwierigen Verhältnis mit seiner Mutter und einem unguten Vater von seiner Lehre der Arbeit am Bau und davon, wie er für sich und seine Familie ein Haus baute, überfordert war und nach einem nicht selbstverschuldeten Unfall der Körper- und Geistversehrte Familie Sohn, Haus, Arbeit, Zuversicht und den Lebenswillen verlor. Durch neue Auflagen, die sogenannte grundbücherliche Sicherstellung des Grundstückes, drohte er nun nach fünf Jahren seine Sozialhilfe zu verlieren und das geerbte Haus, wenn er nicht arbeiten geht. Er versucht es, erfolglos, auch weil er körperlich angeschlagen ist, aber nicht angeschlagen genug, um als nicht arbeitsfähig zu gelten. Er möchte, um es nicht zu verlieren, dem Sohn das Haus überschreiben, der zu Recht nicht viel von seinem Vater hält und ablehnt. Gruber ist nicht bereit, das alles hinzunehmen und fasst einen Plan. Bemühungspflicht führt durch die Du-Form sehr direkt in die Verzweiflung und das Ausgeliefertsein Grubers. Doch Sandra Weiss arbeitet in das Buch immer wieder distanzierende Passagen ein, etwa die erwähnten Gespräche mit Nachbarn, Szenen aus einem Job, den Gruber anzunehmen versucht, und die Reflexionen einer Sozialarbeiterin, die sich nicht als Verwaltungsorgan versteht, sondern als ein Gegenüber, ein Ich, das in Gruber mehr sieht als nur einen Verwaltungsakt. Aus ihrer Perspektive ist der Roman, der sehr grundsätzlich ökonomische Themen aufnimmt, in Teilen geschrieben. Vor fast 100 Jahren, 1932, in einer Zeit der Ungewissheit und Spaltung, in der festgefügtes ins Wanken geriet Kriegsrhetorik zunahm, die Industrie kriselte und viele ihre Arbeit verloren, untersuchten Marie Jahoda und Paul Lasarsfeld in einer Studie die Auswirkungen langanhaltender Arbeitslosigkeit. Paul Lasersfeld in einer Studie die Auswirkungen langanhaltender Arbeitslosigkeit. Sie kamen zum Schluss, dass Arbeitslosigkeit und Deklassierung bei den davon Betroffenen nicht zur Revolution, sondern zur Resignation führt und zur Isolation, die entweder in Entropie, der völligen inneren Auflösung mündet, oder in Radikalisierung. Und das auf allen Seiten. Auch das ist ein Thema, das in diesem Roman, der aufs Ganze geht und alles wagt, anklingt. Begrüßen Sie bitte Sandra Weiss mit einem tosenden Applaus. Applaus Vielen Dank für die sehr schöne Vorstellung. Ich freue mich sehr. Ich beginne nicht am Anfang. Am Anfang sitzt er in der Küche und hält es nicht mehr aus. Und dann geht er in den Supermarkt und dort bemerkt er, dass er kein Geld mehr auf dem Konto hat. Und er muss leider den Orangensaft, den frisch gepressten, wieder zurückstellen. Und dementsprechend ärgerlich ist er auch schon. Wir befinden uns jetzt am Bahnhofvorplatz, weil dort hat der Supermarkt sehr früh schon geöffnet. Bahnhofvorplatz. Die Leute müssen alle irgendwo hin. Jeder hat etwas zu tun, irgendwo, wo er oder sie nicht zu Hause ist. Wie von einer Königin fremdgesteuerte Ameisen gehen die Arbeiten und lassen sich verarschen. Du hast nichts zu tun. Du musst nirgendwo hin. Deswegen bleibst du stehen. Mitten auf dem Platz, mitten unter den Leuten. Der Regen trommelt auf deine Kapuze. Du schaust mit gebeugtem Nacken unter ihr hervor. Die gehen jeden Tag dieselben Wege zur selben Uhrzeit. Legte man einen Morgen über den anderen, ergebe es immer dasselbe Raster. Und die bemerken das nicht. Die bemerken nicht, wie gesteuert sie sich verhalten. Dieselbe beige Jacke begegnet demselben Anzug jeden Morgen in der Mitte des Platzes. Derselbe Song in den Kopfhörern plärrt von Minute 222 bis Minute 253 in denselben Teenager-Kopf. Du stehst im Regen und fühlst dich schwer. Du bist der Einzige, der nicht jeden Morgen hier an derselben Stelle steht. Du stehst hier, weil du dich fragst, warum du den Orangensaft nicht bezahlen konntest. Du bist ein Hindernis. Die Leute machen einen Bogen um dich und werden schneller, um den Zeitverlust beim Bogenmachen wieder einzuholen. Du kennst dieses Bild, du hast es auf ServusTV gesehen, in einer Dokumentation über das Universum. Als seist du ein schwarzes Loch, dem man nicht zu nahe kommen dürfe, um wegen der Schwerkraft nicht hineingezogen zu werden Passierten die Leute dich zu nah, überschritten sie dein Ereignishorizont, fielen sie in deine Welt und kämen nie wieder heraus Aus der Welt, in der Orangensäfte nicht bezahlt werden können Du denkst, Geld ist das einzige von Gewicht, das einen leichter werden lässt. Du ziehst einen Semmel aus dem Sack, öffnest die Butter, bemerkst, dass du kein Messer dabei hast, deswegen schärfst du dir mit dem Fingernagel einen Kringel von der Butter. Dein Sinn spürt einen Blick oder zwei. Du siehst dich nicht um. Du bist es unangenehm gewohnt, beobachtet zu werden. Geht dich nichts an. Sollen sie schauen. Du legst den Kringel auf die Semmel und beißt ab. Es schmeckt. Buttersemmeln schmecken dir sehr gut. Du fragst dich, warum du den Orangensaft nicht bezahlen konntest. Heute ist Montag, der 8. April. Das Geld müsste bereits überwiesen sein. Du ermahnst dich jetzt nicht darüber nachzudenken. Zuerst solltest du die Buttersemmel genießen. Du schabst dir noch einen Kringel von der Butter. Buttersäppeln schmecken dir sehr gut, also konzentrierst du dich auf den Genuss. Ein Orangensaft würde gut dazu passen. Wenn du das Geld am zweiten Montag im Monat nicht auf deinem Konto isst, wird es auch nicht am zweiten Dienstag oder am zweiten Mittwoch auf dem Konto sein. Irgendetwas ist schief gelaufen. Irgendetwas hat mit der Überweisung nicht geklappt. Du glaubst, du hast den Antrag zeitgerecht abgegeben. Hast alle Bewerbungen abgegeben. Hast alle Termine wahrgenommen. Du suchst nach dem Grund, aber du findest keinen. Du beißt von der Semmel ab. Planst zur Bank zu gehen, um den Kontostand zu prüfen. Vielleicht musst du dann zur Behörde. Vielleicht fehlen Unterlagen. Irgendeinen Fehler musst du gemacht haben, sonst wäre das Geld bereits auf deinem Konto. Nein, du hast sicher keinen Fehler gemacht. Du bist genau, viel genauer als die Behörde. Die hat dir den Scheiß eingebrockt. Die Beamten haben den Fehler gemacht, du bist dir sicher. Lauter Unfähige dort, die sich keinen Haxen ausreißen würden für Leute wie dich. Du nimmst den letzten Bissen Buttersämmel zu dir und bemerkst, den guten Geschmack hast du versäumt und die verdammte Behörde ist daran schuld. Da es heute wahnsinnig viel regnet, nimmt der Gruber den Bus zur Behörde. Er hat jetzt mittlerweile gecheckt in der Bank, er hat wirklich kein Geld bekommen. Du steigst in die Linie 3, fünf Stationen sind es nur, bei der zweiten steigt ein Kontrolleur ein. Du bemerkst ihn zuerst nicht, weil du aus dem Fenster siehst und den Frühverkehr beobachtest, der tödlich sein kann. Sonst wärst du ausgestiegen, klar. Adrenalin schießt dir ins Gehirn, als er dich nach der Fahrkarte fragt. Du hast keine. Schließlich konntest du dir auch keinen Orangensaft leisten. Du versuchst dem Kontrolleur zu erklären, dass du keine Fahrkarte gelöst hast, weil du kein Geld auf dem Konto hast, da die Behörde nicht überwiesen hat und du jetzt zur Behörde fahren musst, um das zu bereinigen. Du erklärst ihm, dass es nicht deine Schuld ist, keine Fahrkarte zu haben für eine Fahrt, die du nicht machen müsstest, hättest du das Geld der Behörde auf dem Konto. Hättest du das Geld der Behörde auf dem Konto, hättest du natürlich eine Fahrkarte gekauft, beziehungsweise hättest du gar keine Busfahrt antreten müssen. Dem Kontrolleur in Warnweste ist das egal. Für ihn zählt nur, dass du im Bus sitzt und keine Fahrkarte gelöst hast. Er fragt dich nach dem Ausweis, damit er deine Kontaktdaten aufschreiben kann, damit er dir eine Verwaltungsstrafe ausstellen kann. Wenn du die Strafe gleich zahlen würdest, würde sie geringer ausfallen, sagt der Kontrolleur. Du wirst etwas laut, als du ihn fragst, ob er dir nicht zugehört hätte, ob er nicht verstanden hätte, dass du kein Geld hast, weil die Beamten ihren Job nicht machen. Der Beamte meint, du solltest dich beruhigen. Du seist ruhig, insistierst du gereizt. Ausweis, befiehlt der Kontrolleur. Und nun spürst du Wiederblicke. Du spürst Blicke im Rücken, an der Wange, an den Schuhen. Du ziehst den Ausweis hervor und fügst dich. Während der Kontrolleur deinen Namen notiert, überlegst du, ob du Fahrkartenkontrolleur sein könntest. Du magst keine Warnwesten, das wäre das erste Hindernis. Die kommt dir so vor, als würde die Dienstleistung Kontrolle boomen. Fahrkartenkontrolleur sein könntest. Du magst keine Warnwesten, das wäre das erste Hindernis. Die kommt dir so vor, als würde die Dienstleistung Kontrolle boomen. Alles Mögliche wird kontrolliert. Fahrkarten, Führerscheine, Bauvorschriften, Lebensmittellagerung und Transport, Parkscheine, Müllentsorgung und so weiter. Nur die Behörde wird nicht kontrolliert, ob sie zeitgerecht das Geld auszahlt. Jedenfalls wäre es dir als Fahrkartenkontrolleur lieb, wenn alle Passagiere eine Fahrkarte hätten. Es wäre dir unangenehm, die Namen und Adressen von Schwarzfahrern aufzuschreiben, wie der Kontrolleur gerade Gruber und Hänselstraße aufschreibt. Du glaubst, du würdest es nicht schaffen, ruhig zu bleiben. Du würdest es nicht schaffen, dem halbstarken Jugendlichen keine Ohrfeige zu verpassen, wenn er einziger Trost ist das, dass er bis zur vierten Station gebraucht hat, um dich zu notieren, also hast du nur noch eine Station zu gehen. Als du auf die Straße trittst, schmatzt dein Fuß in der angesogenen Sohle. Das Bußgeld wirst du nicht zahlen. Du hast es noch nie gezahlt. Du hast schon so viele Anzeigen wegen Schwarzfahren, auf die eine kommt es auch nicht an. Und jetzt würde ich noch kurz den Behördengang skizzieren. Er landet jetzt bei der Behörde. Du kennst den Weg Richtung Sozialabteilung. Die haben Sie vor kurzem umgebaut. Früher bestand sie aus einigen Büros und in jedes Büro konntest du eintreten, am besten gleich bei deiner persönlichen Sachbearbeiterin. Jetzt sind alle Büros verriegelt und nur eine Tür offen. Gleich nach der Tür haben sie einen Tresen aufgestellt und eine Plexiglasscheibe installiert mit einer Durchreiche. Es würden Sozialhilfeempfänger eine Krankheit sein, die sich über die Luft überträgt. Eine Sachbearbeiterin ist jetzt zuständig für alle persönlichen Anliegen der Sozialhilfeempfänger. Dementsprechend ist die Schlange lang. Ein bisschen kommt es dir so vor, als rollten ein paar Orangen über eine Schneise direkt an ein in Kunststoff gefasstes Messer. Dir gefällt der Umbau nicht. Angeblich haben sie umgebaut, weil jemand randaliert hat. Das hat sicher der Herzog Junior II. angeordnet. Es kommt vor, dass sich die Antragsteller ungerecht behandelt fühlen. Angeblich hat sich der Hochgatterer ungerecht behandelt gefühlt und deswegen einen Stuhl auf einen Aktenkasten geschleudert, direkt an der Sachbearbeiterin vorbei. Jemand hat die Polizei gerufen und der Hochgatterer wurde abgeführt, ein Betretungsverbot wurde ihm ausgesprochen. Die Sachbearbeiterin hat dann den Umbau angeregt, sonst würde sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Angeblich hat sie psychische Probleme wegen des Vorfalls bekommen. scheinen. Angeblich hat sie psychische Probleme wegen des Vorfalls bekommen. Du kennst den Hochgatterer, du traust ihm zu, Stühle zu werfen, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Der Hochgatterer hat selbst psychische Probleme. Er hat schon mehrmals um die Pension angesucht, deswegen hat er sie nicht bekommen. Du weißt nicht genau, welche psychischen Probleme arbeitsunfähig machen. Für dich wäre es in Ordnung, wenn beide, die Sachbearbeiterin und der Hochgatterer, für immer zu Hause blieben. Du weißt nicht genau, ob die Sachbearbeiterin, die gerade hinter dem Tresen steht, die Sachbearbeiterin ist, die die psychischen Probleme hat. Jedenfalls nimmt sie gerade eine durch die Durchreiche gerufene Sozialversicherungsnummer auf, um am Computer ein Anliegen eines Kunden zu bearbeiten. Neuerdings nennen sie die Sozialhilfeempfänger und Antragsteller Kunden. Du weißt nicht genau, wie es dazu gekommen ist. Als Kunde fühlst du dich nicht. In anderen Institutionen wirst du oft Klient genannt. Es ist genauso an der Realität vorbei. Niemand hat sich je für dich eingesetzt. Das ist Maskerade. Die Berater beraten vorwiegend dahingehend, dir die Regeln zu erklären und Land und angeblich Steuerzahlern. Deine Interessen sind ihnen egal. Vor allem bei der Behörde solltest du Partei genannt werden, wie es gang und gäbe war. Du bist eine Partei. Du hast ein rechtliches Interesse und willst auch so behandelt werden und nicht als Kunde oder Klient. Der Kunde vorne in der Schlange hat seinen Bewerbungskurs hingeschmissen, dir steigt deine Gänsehaut auf, das hast du auch schon hinter dir, das Kurs verweigern. Du weißt, wie die Sache ausgehen wird, du wirst gesperrt von jeglichem Geldbezug für sechs Wochen mindestens, da kannst du noch so viel jammern, Einsprüche und Beschwerdebriefe verfassen, wie unnütz dieser Kurs ist. Und wenn du vom Geldbezug gesperrt bist, musst du Glück haben, keine Gasrechnung bezahlen oder mit dem Bus irgendwo hinfahren zu müssen, genug Essensvorräte gehortet zu haben und schnell eine Arbeit zu finden. Die meisten haben Pech. Du nicht. Du bist vorbereitet auf solche Szenarien. Im Grunde würdest du mit dem Ersparten, das du zu Hause in der Bargelddose sammelst, noch ein paar Wochen über die Runden kommen. Du bist kein Geldverschwender, du bist Sparer. Du bist von deiner Mutter gut erzogen worden, doch es geht dir ums Prinzip. Dir steht die Sozialhilfe zu und beharrst auf dein Recht. Du stehst in der Schlange und wartest. Eigentlich hättest du Besseres zu tun. Dir fällt gerade nichts ein, aber es ergibt sich immer etwas. Ein Spaziergang, eine Gartenarbeit oder ein Besuch bei deiner Mutter. Irgendwas ergibt sich immer, aber jetzt stehst du in der Schlange und wartest, bis du drankommst. Der Kunde vor dir ist dran und der wird recht schnell abgewickelt, etwas zu schnell. Er muss nur ein paar Unterlagen übergeben. Du hast dir deine Sätze noch nicht zurechtgelegt, deswegen sagst du jetzt der Sachbearbeiterin auch etwas sehr Dummes. auch etwas sehr Dummes. Mein Geld wurde noch nicht überwiesen. Dieses Mein hättest du dir sparen können. Du siehst es am Blitzen in ihren Augen. Du weißt doch, dass du hier als Bittsteller auftreten musst, egal wie schwer es dir fällt. Du wirst eben nicht als Partei wahrgenommen, sondern als armer Trottel, der von Geld lebt, das ihm angeblich nicht zusteht. Niemand will einen Sozialhilfeempfänger, der Forderungen stellt. Die Bearbeiterin reagiert zynisch. Die Sozialhilfe ist bereits an die Leistungsberechtigten ausgezahlt worden. Wenn du die Sozialhilfe noch nicht überwiesen bekommen hättest, hättest du wohl keinen Anspruch, erklärt sie. Du hast diese Sachbearbeiterin hier noch nie gesehen, normalerweise wirst du erkannt als jahrelanger Kunde. Der Herr Gruber rufen die Bearbeiter dann in ihrem Blick keine Freude, sondern Tadel. Davon lässt du dich nicht beirren und es ist dir lieber als nicht erkannt zu werden und alles 2000 Mal erklären zu müssen. werden und alles 2000 Mal erklären zu müssen. Diese ist neu und kennt dich nicht, aber du versuchst ruhig zu bleiben und das Richtige zu sagen, um dir nicht noch weitere Probleme einzuhandeln. Deswegen stellst du bemüht ruhig klar, du hast selten Probleme bei der Auszahlung in den letzten drei Jahren gehabt. Du hast den Neuantrag fristgerecht eingebracht, du hast alle Termine beim AMS und bei den sozialen Institutionen absolviert und du glaubst, nein, du seist dir sicher, auch die mindestens zehn Bewerbungen pro Monat abgegeben zu haben. Ob sie nachsehen könne, woran es denn liege, du seist dir keiner Schuld bewusst. Dazu ist sie bereit, sie fragt dich nach der Sozialversicherungsnummer. Du rufst sie durch die Durchreiche. Die Beamtin gibt die Zahlen in den Computer ein, klickt sich durch deine Akte und ruft laut, dass der Antrag noch nicht fertig bearbeitet sei. Das weißt du selbst, sonst hättest du das Geld bereits auf dem Konto, aber du bleibst ruhig. Du habest ihn schon vor sechs Wochen abgegeben, berichtest du. Warum das denn so lange dauere? Sie meint, sie sei in einem Verzug, es sei nicht möglich, die Flut an Anträgen zeitgerecht zu bearbeiten. Sie kneift die Augen zusammen, um entziffern zu können, was da noch steht. Außerdem zweifelt die Behörde an ihrem Bemühen, die soziale Notlage überwinden zu wollen. Wiebte, wir glauben, sie halten sich nicht an die Bemühungspflicht. Du traust deinen Ohren nicht. Du hältst dich an die Regeln, an die Gesetze, an jede einzelne strunzdumme Auflage. Die Behörde hat deine Mitwirkung verdammt noch mal nicht anzuzweifeln. Die Bearbeiterin kommt wieder an den Tresen und sagt, es werde noch eine Auflage überprüft, dann werde der Bescheid in den nächsten Tagen fertiggestellt. Du kochst innerlich. Wer hat das angeordnet? Haben es die Herzogs auf dich abgesehen? Du bemerkst steigende Hitze in Wangen und Stirn. Du schluckst. Und noch einmal schluckst du, um den Ärger zu unterdrücken, der sich über die Kehle Luft machen möchte. Du darfst nicht der Hochgatterer werden. Du darfst hier nicht randalieren. Ein Betretungsverbot würde alles verkomplizieren. Du darfst hier nicht laut werden, du brauchst nicht noch mehr Probleme mit diesen Idioten. Stattdessen fragst du zischend, wann das Geld auf dem Konto sein werde. Und die Bearbeiterin seufzt, weil sie solche Fragen enervieren. Du siehst ihr an, wie abstoßend du auf sie wirkst. Sie sagt, das werde schon noch eine Weile dauern. Du könntest dich doch in der Zwischenzeit um eine Arbeit bemühen. Bleib ruhig, ermahnst du dich selbst. Der Herzog Junior II. hat Schuld, nicht die neue Bearbeiterin. Du überlegst dir, was das Richtige sein kann, was du sagen könntest und kommst zu dem Schluss, es gibt nichts Richtiges zu sagen. Du bist müde. Also sagst du Danke. Es kommt dir eher schwer über die Lippen. Vielen Dank. Applaudissements. Vielen Dank für die Lesung, Sandra Weiss. Wir kommen jetzt zu deinem Debüt, Marlene. Du hast ja viel in Zeitschriften geschrieben, in Anthologien und so weiter. Wie ist das Gefühl, jetzt mit dem ersten Buch gerade hier zu sein? Es ist in jedem Fall was anderes, einen Roman zu schreiben als Erzählungen oder was Kürzeres. Und ja, es ist noch ein bisschen unwirklich fast. Alles beginnt in Marlene Gölz' Roman Himmelfahrt mit einem Ende, nämlich der Bärtigung von Melanie Blum. Melanie war Friseurin und für die Gegend, aus der sie stammt, die Handlung ist am Land irgendwo in der Nähe von Linz angesiedelt, ein wenig zu aufgedonnert, ein wenig zu laut, ein bisschen zu unangepasst. Man könnte auch sagen, es handelt sich bei ihr um eine Außenseiterin, die Erwartungshaltungen brach, es nicht so machen wollte wie alle anderen und in einem feinen Gespinst aus Träumen und Sehnsüchten lebte, in dem Liebesfilme und Musiktexte realer waren als das wirkliche Leben. Derlei kann einem schnell den Ruf einbringen, verrückt zu sein, arrogant oder nicht lebensfähig. Doch stimmt das? Das ist nur eine der zahlreichen existenziellen Fragen, um die sich dieses Buch spiralförmig dreht. Erzählt ist der Roman in der Sie- und Vergangenheitsform aus der Perspektive Karos. Sie ist noch nicht alt, aber auch nicht mehr ganz jung, so wie Melanie, die seit Kindstagen ihre beste Freundin war, obwohl die beiden sich zuletzt wenig gesehen haben. Denn im Gegensatz zu Melanie ist Caro weggegangen, hat ihre Herkunft und ihren Nachnamen durch Heirat hinter sich gelassen und sich als Übersetzerin, Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines Mannes, der gut verdient, in Wien ein neues, komfortables, ein vermeintlich richtiges Leben aufgebaut. Neben der Beerdigung Melanies gibt es indes weitere Gründe für Caro für einige Tage bei ihrer Mutter zu wohnen, denn die Wiener Wohnung muss wegen Baupfusch saniert werden. Zudem sind die zwei und vier Jahre alten Söhne am Land besser im Zaum zu halten als in der Stadt. Caro wird durch diese Rückkehr nicht nur mit ihrer Herkunft, der Vergangenheit, dem Aufwachsen mit Melanie sowie ersten Lieben, jugendlicher Leichtigkeit und dem Tod ihres Vaters damals bei einem Arbeitsunfall konfrontiert, sondern auch mit einer möglichen Zukunft. Denn bald tauchen Fragen auf. War Melanies Tod wirklich ein Unfall? Sie ist auf einer geraden Strecke, die sie gut kannte, mit hoher Geschwindigkeit in einen Baum geprallt. Und wie sieht es eigentlich mit Karos Leben aus? Ist sie zufrieden? Soll das alles gewesen sein? Wie geht es mit ihrem Mann André weiter, der sie betrügt und in ihrem Leben durch Abwesenheit glänzt? Und warum war sie, Karo, in den letzten Jahren nur mehr mit dem Optimieren der Wohnung, von Urlauben, Kontakten und ihrer Arbeit als Übersetzerin beschäftigt. Sie beschließt sich, auf die Spuren von Melanies letzten Jahren zu heften. Es wird auch eine Spurensuche in Karos eigenen Leben, von dem sie spürt, dass es an einen Kipppunkt angelangt ist, der ein Aufräumen und Abschließen erfordert, vielleicht auch ein Loslassen. und abschließender fordert, vielleicht auch ein Loslassen. Wie das alles ausgeht, sei hier nicht verraten gesagt, aber es sei, dass dieser Roman weit wuchtiger und spannender ist, als sich diese Einleitung anhört oder als es sich über dessen Inhalt andeuten ließe. Denn all die gerade angetippten Themen und inneren Prozesse Karos werden in diesem Roman nicht mechanisch abgewickelt, sondern sie entstehen über Sprache und das Erzählen organisch, indem die Autorin scheinbar lose Erzählfäden aufnimmt und sie miteinander verwebt. Wichtig, es spielt sich in diesem Roman auch in der Stille, in Zwischenräumen, in präzisen Beobachtungen ab. In 19 kurzen Kapiteln, oder besser gesagt Episoden, lässt Marlene Gölz in einer präzisen, ruhigen Sprache, unter deren Oberfläche allerdings Lava fließt, nicht nur die Konturen gleich mehr erleben, sondern auch einer Gesellschaft aufleuchten, die zwar vieles hat, aber die wesentliche Dinge aus den Augen zu verlieren droht. Dieser Roman, der auch ein Buch über Nähe und Distanz, gespürte Enge, ersehnte Weite, sowie Bilder ist, die wir uns von anderen und uns selbst machen, lässt eine Atmosphäre entstehen, die lange nachwirkt und sich in der Leserin, im Leser nach der Lektüre weiter öffnet, wie eine japanische Papierblume im Wasser. Schnörkellos, dicht und schön ist dieser Roman, obwohl er in Teilen vom Tod handelt, aber in vielen Passagen von dessen genau im Gegenteil. Literatur dient, wie der Autor Urs Wiedemeyer einmal schrieb, selbst wenn sie vom Tod handelt, dem Leben, sie ermutigt uns dazu, gerade weil unser Dasein so brüchig und flüchtig ist. Auch daran erinnert dieser Roman. Einen tosenden Applaus bitte auch für Marlene Gölz. Ja, vielen Dank, Stefan Gmünder, für die schöne Einführung. Danke fürs Kommen. Ich beginne mit dem Anfang und springe dann ein bisschen und dazwischen werde ich ein bisschen was erörtern, wobei es meist eigentlich nur um Bilder geht oder um die Sprache vielleicht. Rückblickend ist es, als hätte alles so kommen müssen, als wäre zumindest dieses eine Leben vorgezeichnet gewesen. Man nennt das Karma, oder? Hatte es nicht immer schon einen Knall gehabt, dieses dicke Mädchen, dem jede Strumpfhose zu eng war, das mit fünf Jahren über den Wolken trällerte und sich in dem einen Sommer Ende der 80er die immer gleichen Szenen aus Dirty Dancing auf Video ansah? Während die anderen Mädchen ins Freibad gingen und sich von echten Buben ins Wasser werfen ließen, hockte Melanie daheim mit Limonade und Chips, sang Hungry Eyes und war Hals über Kopf verliebt in Patrick Swayze, über den sie auch später nichts kommen ließ. Dass er doch keine so gute Partie gewesen wäre, dämmerte Melanie erst vor ein paar Jahren, als Swayze an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Da hatte sie aber selbst nicht mehr lange zu leben. Am Tag von Melanies Beerdigung war es sehr heiß. Die Buben wollten ins Freibad gehen und Caro versuchte erst gar nicht, sie zum Mitkommen auf den Friedhof zu überreden. Als alles gepackt war und sie mit ihrer Mutter endlich losfuhren, versperrte Caro die Haustür, ging in die Küche und goss sich den Rest Filterkaffee vom Frühstück in die Keramiktasse Wie jeden Morgen trank Caro ihren Kaffee im Stehen, sie überflog die Fernsehzeitschrift, die auf der Arbeitsfläche lag, nahm den letzten lauwarmen Schluck und ging hinauf in den ersten Stock, wo sich ihr Jugendzimmer befand und ging hinauf in den ersten Stock, wo sich ihr Jugendzimmer befand. Es war nur noch an wenigen Tagen im Jahr bewohnt und hatte nach und nach den Charakter eines Abstellraums angenommen. Mit verschränkten Armen blickte sich Caro um. In einer Ecke stapelten sich Bananenschachteln, oben auf ein vergilbter Lampenschirm, den niemand mehr je benutzen würde. Tote Fliegen auf der Fensterbank. Und obwohl sie erst am Vorabend angekommen waren, hatten ihre beiden Kinder schon alle Kisten umgekippt und das alte Spielzeug im Zimmer verstreut. Caro wusste nicht, was sie tun sollte. Jeder Handgriff wäre banal gewesen. Sie hätte aufräumen können oder ihre E-Mails checken, aber sie tat nichts dergleichen. Jeder Gegenstand, ihr Körper, ihre Bewegungen, es war ihr, als hätte sie nichts damit zu tun. Von draußen hörte sie den Hahn der Nachbarn krähen. Umziehen, sie musste sich umziehen. Caro nahm ihr langes schwarzes Sommerkleid aus dem Schrank und las den mit rotem Lack quer über die Türen aufgepinselten Schriftzug. Man zieht sich an, um irgendwann ganz nackt zu sein. Sie senkte den Kopf und griff sich an die Stirn. Die Erinnerungen an ihre Jugend beschämten sie immer noch. Weil Karos Vater damals ungefragt einen Schrank in Birkenfurnier um 890 Schilling für sie gekauft und ihre Freundin Melanie beim Betreten von Karos Zimmer, Gottes der hässlich, gerufen hatte, hatten die Mädchen beschlossen, den Schrank zu bemalen. Melanie, gerade am Beginn ihrer unglücklichen Lehrlingslaufbahn als Friseurin im örtlichen Salon Uli, war schon immer die modebewusstere von beiden und hatte sofort dieses Vivien Westwood Zitat parat, das sie wie alles von Westwood extrem cool fand und doch perfekt auf einen Kleiderschrank passen würde. Man zieht sich an, um irgendwann ganz nackt zu sein. Darunter hatten sie Hungry Eyes und Summer of Love 1994 geschrieben. Summer of Love, meine Güte, was hat Vivienne Westwood denn mit dieser Schnulze und dem Summer of Love zu tun? Wie bescheuert, murmelte Caro, die sich ihrer häufiger werdenden Selbstgespräche nicht bewusst war. Im Nachhinein könnte man sagen, postmodern, voll am Puls der Zeit. Aber was wussten sie damals schon, 1994? In dem Jahr hatte Caro zum ersten Mal Sex, ihre Katze war gestorben und Kurt Cobain hat sich erschossen, genau an ihrem Geburtstag. Zu ihrer Garagenparty kamen ein paar von der Schule mit schwarzer Trauerbinde um den Arm und Melanie lachte sie aus. Trotzdem schwor sie an dem Abend, ihren Sohn sollte sie je einen haben, Kurt zu nennen. Aber Melanie hat nie Kinder bekommen. einen haben, Kurt zu nennen. Aber Melanie hat nie Kinder bekommen. Nach dem Tod von Kurt Cobain saßen noch mehr Jugendliche mit fettigen, halblangen Haaren, Karohemden und Chucks auf den Granitblöcken, schauten den Matchbox-großen Autos im Tal hinterher, tranken Bier und rauchten Tuian. Dabei spielten sie, auch wenn das nie jemand ausgesprochen hätte, sie wären in einer Vorstadt von London, New York oder Seattle. Der Kubin-Style war der Dorfjugend sehr entgegengekommen. Den Buben, weil sie nichts falsch machen konnten und den Mädchen, weil sie ihren weiblichen Formen noch misstrauten. Finanziell gesehen waren sogar die Eltern glücklich mit dem Outfit. Nur Melanie, die auch optisch ihren 80er-Jahre-Fimmel nie wirklich abgelegt hatte, fiel aus der Reihe. Sie tat nicht nur so, als wäre sie woanders, sie war woanders. Sie hatte Ahnung vom richtigen Leben und das richtige Leben, es spielte im Film. Caro zieht sich dann um, wird abgeholt von ihrer Freundin und sie fahren zum Begräbnis. Jetzt sitzen sie in der Kirche. Aus den Boxen erklang Ave Maria. Das kann schon was, das Ave Maria, flüsterte sie Sarah zu. Und dann dachte Caro daran, dass sie zum Glück keine Wimperntusche aufgetragen hatte und begann zu weinen. Um sich wieder einzukriegen, kramte sie in ihrer Handtasche nach dem stumm geschalteten Handy. Ihre Kinder mit ihrer Mutter im Freibad, hoffentlich war alles in Ordnung. Auf dem rechten Seitenaltar, nicht weit weg, eine Statue des einzigen Heiligen, den Karo kannte, der heilige Florian mit dem Wasserkübel in der Hand. Nur Kraft seiner Gebete konnte er Feuer löschen, hieß es. Melanie hatte doch auch geglaubt. Nicht an Gott, aber an alles Mögliche, an die Liebe etwa. Sie hatte immer irgendjemanden innig geliebt, oft jahrelang, ohne dass etwas passiert wäre. Fürs Zauber hatte sie sich gekauft Feuersprühe, Kesselglühe, wobei die Rezepte für Suppen und Tinkturen nicht einfach herzustellen waren. Man brauchte dafür Fledermausflügel, Fliegenpilze, Einhornhaare, Hühnerkrallen und viele Vollmondnächte. Einmal hatte Melanie Caro gefragt, meinst du der Zauber funktioniert statt mit einer Hühnerkralle auch mit einer Vogelkralle? Im Garten liegt ein toter Vogel. Caro hatte früher immer gedacht, das wäre alles ein Schmäh, ein Riesenspaß. Dass Melanie wirklich daran geglaubt hatte, dämmerte ihr erst nach und nach. Und auch, dass sie längst nicht mehr wusste, was Melanie eigentlich so alles getrieben hatte. Dann lassen wir dieses Begräbnis mal hinter uns. Sie bleibt bei ihrer Mutter, sie bleibt den ganzen Sommer in diesem Dorf und will sich mit Tom verabreden, eine Jugendliebe von ihr oder die Liebe. Und sie geht hinunter in den Ort und das wird hier beschrieben. Der Rauch von gegrilltem Zug durch die Straße, der Platz lebendiger als gewöhnlich, Feierabend und vielleicht, weil aufgrund von Reisewarnungen viele auf Urlaube verzichteten. Es gab keinen Grund, wer über den Platz zu spazieren, dachte Caro, die weder vorhatte, sich allein in die Pizzeria noch in den mit Kunstrasen ausgelegten Gastgarten vom Kirchenwirt zu setzen oder Todesanzeigen und Parteiwerbungen von letzten Weihnachten in den Schaukästen zu lesen. Aber was sollte sie sonst tun? Sie hatte kein Ziel. Die Gäste des Lokals würden sich fragen, wer sie denn sei, sicher eine aus der Stadt oder auch nicht und niemand fragte sich ihr irgendetwas. Und dann begann der Heimurgelspieler auf dem Kunstrasen auch noch Purple Rain zu singen. Die größte Enttäuschung ever, wenn es nach Melanie ging. Verspricht alles dieses Lied, aber hält nichts. Der will dich gar nicht, der tut nur so. Eine Rauchwolke aus Purpur legte sich über den Platz und nahm Caro die Luft zum Atmen. Sie machte kehrt und ging denselben Weg, den sie gekommen war, wieder zurück. Prince im Ohr, war nicht sogar eine Pantonefarbe nach ihm benannt worden? Manchmal war die morsche, von Flechten überzogene Holzbank unter der Linde von der Dorfjugend besetzt. Aber nicht an dem Tag. Caro hatte Glück. Sie strich über das vor langer Zeit in die Lehne geritzte CT. Niemand ritzte noch, oder doch oder doch setzte sich öffnete die bierdose und hatte für einen kurzen moment das gefühl alles richtig zu machen ich brauche kein mehr sagte sie beim blick hinunter ins tal zu nobody der neben mir saß ihr genügte die weite am horizont sind eine gruppe zu brennen der der Kampf der Sonne gegen ihr untergehen. Orange Schlieren durchzogen das gleißende Licht und mischten sich mit lila Wolken, die sie meinte, wie Zuckerwatte, die der Wind davongetragen hatte, vom Himmel zupfen zu können. Wie Wolken wohl schmecken? In jedem Fall würde sie zu den Bläulichen greifen, orange und gelb würden ihr durch die Finger rinnen. Caro schloss die Augen, nur um festzustellen, dass sich das Abendrot bereits im nächsten Moment verändert hatte. Verrückt werden, das wäre nicht schwer, dachte sie. Aber auch, dass das Geheimnis darin läge, so etwas nicht denken zu dürfen, sonst wäre das mit dem Verrücktwerden vorbei, ehe es richtig begonnen hat. Sie griff nach den Wolken und steckte sich eine in den Mund. Ihre Handtasche vibrierte und kurz flackerte etwas in Caro auf. Es war aber nicht mehr als ein, sorry, bin gerade erst rein, heute geht es leider nicht. Sie griff zur Zigarettenpackung eine Geste des Widerstands. Rauchen verursacht Herzanfälle stand darauf, sowie die Nummer von einem Rauchfreitelefon. Vielleicht würden die mit ihr reden. Kurz lachte sie auf, zündete sich eine an und erinnerte sich ihm nur daran, wie Schwindel schmeckt. Der Rauch und die Wolken, der Himmel und sie. Trank die Dose leer und dämpfte nach wenigen Zügen die seit langem erste Zigarette aus. Schummrig war ihr und ein wenig übel. Um keine weitere Nacht zwischen den Buben ihren Platz behaupten zu müssen, legte Caro eine Matratze neben das Doppelbett, in dem ihre Kinder schliefen. Sie hatte in den letzten Jahren viel Zeit darauf verwendet oder verschwendet, je nachdem, die gemeinsame Wohnung in Wien einzurichten. Maßgefertigtes Bücherregal, Lattenrost mit Fiberglasleisten. Jetzt dachte sie, dass sie sich wohl zwischen den Dingen einrichten müsse und noch eine Weile im Provisorium leben würde. Es war ihr, als wäre sie hinausgekickt worden aus dem Spielfeld. Zurück an den Start, Mensch, und ärgere dich nicht. Sie griff zum Handy, legte sich hin und las gleichgültig die Nachrichten, die ihr vorgeschlagen wurden. Dieses grausame Nebeneinander von Nachrichten. Hat jemand einen funktionstüchtigen Staubsauger zu verschenken? Fragte da jemand. Storys, Status, Eigen-PR, Daumen, Herzen, Emojis und Freunde, die man sich kaufen konnte. Nichts war mehr von Bedeutung, es war gleichgültig geworden, ob etwas stattfand oder nicht. Caro hätte Lust gehabt, all ihre Konten zu löschen, würde es aber vermutlich bereuen, sobald sie wieder ein echtes, ein normales Leben führte. Noch einmal ging sie zum Fenster, zog die Vorhänge zur Seite und öffnete die Flügel. Grillenzirpen erfüllte den Raum. Je nach Zirfrequenz hatte Melanie hören können, welche Temperatur es hatte. Je wärmer, desto lauter und schneller der Rhythmus. Die Luft war schwer und drückte nach unten. Das ersehnte Sommergewitter ließ auf sich warten. Ein Seufzer von Vincent. Caro drehte sich zu ihm um, er hatte sich freigestrampelt. Wie jede Nacht deckte sie ihn mit einem dünnen Laken nochmal zu. Als Caro ihr Telefon ausschalten wollte, blinkte noch eine Nachricht auf. Tom, komm doch mal mit den Kindern vorbei, wir haben jetzt Alpakas. Wieder und wieder las sie die Nachricht. Sie sah in die Nacht hinaus, die voller Sterne war, wie Sternenschaum. So viele waren es. Und dachte, das Schönste hier ist der Nachthimmel, immer schon. Und gerade hätte sie nicht gewusst, wo auf der Welt sie lieber wäre, als in diesem Zimmer mit ihren Kindern, dem Mond und den Sternen, den Grillen lauschen, die 32 Grad meldeten. Wenn sie lange genug wach bliebe, würde sie vielleicht noch die Schatten der Fledermäuse sehen. Und jetzt vielleicht noch kurz was. Es war ewig her, dass Caro ein paar Stunden allein in ihrem Elternhaus verbracht hatte und sie entschied, als es mit dem Ausflug in den Wildtierpark so weit war und sie so da saß, das an und für sich überschaubare Kapitel des medizintechnischen Handbuchs, in dem es um Störfälle und Pannen bei Scannern ging, doch nicht zu übersetzen. Sie trank ihren Kaffee im Garten unter dem Essigbaum, dessen samtende Früchte sie zwischen den Fingern zerrieb. Der Blick ins Tal sagte ihr, dass das hier sitzen wichtiger wäre. Caro ging durch den Kopf, dass die Übersetzungen, mit denen am meisten Geld zu machen war, so gut wie nicht gelesen wurden. Das hatte ihr eine Agenturmitarbeiterin bei der letzten Weihnachtsfeier erzählt. Eine Suchmaschine sucht nach bestimmten Schlagwörtern, Todesfall zum Beispiel oder Herzstillstand. Der Gerätehersteller will eigentlich nur wissen, was Sache ist, wenn etwas Schlimmes passiert. Seitdem war Caro bemüht, sich bei Störfällen besonders gewählt auszudrücken, denn das wurde garantiert gelesen. Ansonsten arbeitete sie eigentlich nur für den Quality-Check. Im Haus war es kühl. Die dicken Mauern hielten die Hitze draußen. In manchen Zimmern war Caro seit Jugendtagen nicht mehr gewesen. Sie sollte sie abgehen und mit dem Blick einer Fremden herausfinden, ob es sich hier rein theoretisch leben und arbeiten ließe. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei, wie Kinder, die unerlaubt einen Dachboden betreten. Selbst in Räumen, die kaum genutzt wurden, herrschte Unordnung, und das schon immer. Ich weiß nicht, warum wir das nicht in den Griff bekommen, hatte ihre Mutter oft gesagt. Sonderlich gestört hat sie das jedoch nie. Früh hatte Caro einen Blick für Ordnung und ihr Gegenteil entwickelt. In anderen Garderoben lagen Schuhe nicht verstreut auf dem Boden, sondern standen im Schuhregal. Lagen im Sommer keine Fäustlinge herum und im Winter keine Sandalen. Stand in der Küche kein Wäschekorb und gingen gewiss keine Zahlscheine verloren. Da hatte alles seinen zugewiesenen Platz. Ordnungssystem hieß das später und so, so sollte es in ihrem eigenen Zuhause auch einmal sein. Und das hatte sie auch geschafft. Eine Wohnung in der Ordnung herrschte, wobei ein Herrschte der Herr steckt. Ob der auch Ordnung hielt? Ein Spiegel ihres neuen Selbst. Kaum etwas war Carols Jugendliche peinlicher gewesen als unangekündigter Besuch. Immer hatte sie sich geschämt für ihr Zuhause. Nur Melanie schien in dem Chaos eine gewisse Freiheit gesehen zu haben. Hier durfte gebröselt werden. Caro wollte sich durcharbeiten, systematisch, sich erinnern, entrümpeln, klare Verhältnisse schaffen. Im Herzen des Hauses würde sie beginnen der speisekammer im erdgeschoss in der sich abgelaufene pralinen einmachgläser mit kirschkompott marmeladen und getränke befanden von tanten angesetzte weihnachtsliköre schnapps eine kiste bier und eine ungeöffnete flasche whisky die karo ihrem vater kurz vor seinem tod aus dublin mitgebracht. So teuer war die gewesen. Ich hätte dich ja gern besucht, aber warum ausgerechnet Irland? Das leuchtet mir nicht ein, hatte Caro gesagt, hatte Melanie gesagt. Aber nach der Trennung von Tom hätte Caro nirgends besser hingepasst, als in diese nasse Gegend. Dann fahre ich halt allein, hatte sie zu ihm gesagt. Irland war die Rache, Irland mit seinen Fischerbooten. Doch was sein Sehnsuchtsort gewesen war, war nicht der ihre. Um den Hängeschrank zu öffnen, stieg Caro auf eine Getränkekiste. Blumenvasen in allen Größen befanden sich darin, in dem es roch, als wäre er lange nicht geöffnet worden und die selten benutzten, feingeschliffenen Gläser aus der tschechischen Manufaktur. Karo zögerte kurz, griff dann aber nach einem, wischte es mit dem Finger aus, öffnete den Whisky und schenkte sich ein. schon gefallen. Sie schloss die Tür von innen und setzte sich auf den kalten Boden, roch am Whisky, bis sich ihre Augen an die Stille und die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sie trank zunächst nicht, sondern setzte das Glas so lange an ihre Lippen, bis sie Nadelpikse spürte, Nagelpikse und Blut. Dann leckte sie mit der Zunge über ihre Oberlippe, nahm einen kleinen Schluck und noch einen. Ihr ganzer Körper brannte, zugleich besänfte die Wärme des Whiskys das aufgeregte Pochen in ihr. Einmal waren sie hier drinnen fast erwischt worden. Tom hatte seinen Parker auf dem Fliesenboden ausgebreitet. Mittendrin war Karos Vater, der sich in der Speisekammer hin und wieder einen heimlichen Schluck genehmigte, vorbeigeschlurft. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn er sie bemerkt hätte. Sie hatten den Atem angehalten und dann leise kichernd weitergemacht, sich danach Wein eingeschenkt, so hatten sich die Vorräte nach und nach geleert. Nie war es schöner gewesen als in der Speisekammer. Genau das hatten sie gesucht, mittendrin und doch versteckt. Karos Herz klopfte. Wie lange war das her? Sie stellte das Glas auf den Boden und schlang ihre Arme um die angewinkelten Beine, wie um sich selbst zu umarmen. Mit dem Küssen war das schon schwieriger. Schloss sie die Augen, konnte sie ihn hören. Wie viele Orte hatten sie sich erobert, wie viele hatten sie vergessen? Das Paradies existierte, das war gar keine Frage. Nur wo genau, hätte Caro nicht mehr sagen können. wo es über Jahrhunderte von einer Himmelsrichtung in die andere geschoben wurde. Das Paradies, ein Wanderpokal, bis es irgendwann aus den Darstellungen verschwunden war, weil immer mehr Weltgegenden erforscht worden waren. Bis dahin aber hatten sie an alles geglaubt und sich alles versprochen. Und hier drinnen hat das alles begonnen. Wie zwei Verhungernde waren sie übereinander hergefallen, in der Dunkelheit oder im Schein des surrenden Kühlschranklichts. Wie oft hatten sie sich wieder getroffen, immer wieder, weil sie nicht voneinander lassen konnten. Dankeschön. Vielen Dank, Marlene Gölz. Was ich wenig angesprochen habe oder nicht in der Einleitung, Himmelfahrt ist ein relativ vielschichtiger Titel. Also einerseits hat es mit einem sehr schönen Zitat vom deutschen Schriftsteller Arnold Stadler am Anfang quasi so wie ein Motto zu tun. Andererseits ist natürlich auch Himmelfahrt sich der Dinge und der Welt entheben oder entheben wollen, wie Melanie macht. Und andererseits ist es auch ein Element, weil als die Caro gefragt wird, wie lange bleibst du hier von irgendjemandem am Ort, dann sagt sie, wahrscheinlich bis Himmelfahrt war der Titel, der sehr doch eingängig ist für dich von Anfang an da oder hast du ihn erst relativ spät gefunden? Nein, der kam am Schluss. Eigentlich erst mit Arnold Stadler. Und ich bekam zufällig ein Buch von Birgit van der Beke wieder in die Hand und da heißt es am Anfang kurz vor Himmelfahrt wollten sie durchbrennen oder so. Also das ist ein guter Satz, ein guter erster Satz. Und so ging das dann. Und oft heißt es ja bei Debüts und so, das seien Stoffe, die relativ lange in einem schlummern oder gegärt haben. Ist das auch so bei dir? Ja, den ersten Absatz habe ich vor neun Jahren oder so geschrieben. Also das ist lang gelegen und immer wieder wurde es weitergeschrieben. Also ja, es hat lang gegärt und ich glaube, die Zeit hat mitgeschrieben dann irgendwann mal. dann irgendwann mal. Es sind ja beides auch Bücher über das Vergehen der Zeit oder über die Knappheit der Zeit. Eine Frage an Sandra Weiss. Es ist interessant, du blendest ja zurück in ein paar Monate im Jahr 2019. Einerseits vor der Pandemie, einerseits vor dem Ukraine-Krieg, ein bisschen eine andere Zeit. Wie bist du darauf gekommen, das Buch genau dann anzusiedeln? Einerseits, weil ich kurz zuvor wirklich in diesem Bereich gearbeitet habe und zweitens, weil es damals die Gesetzesänderung gegeben hat. Das heißt, es ist damals dieses Rahmengesetz um die Sozialhilfe entstanden vom Bund und dann mussten sich die Bundesländer danach richten, was da drin steht. Und es ist natürlich alles schlechter geworden. Und mit diesem Bedrohungsszenario, jetzt ist es schon schlimm und es wird nur noch schlimmer, habe ich dann gearbeitet. Ja, und es wird auch immer deutlicher. Eben damals war ja noch Geld, also dann schlussendlich Geld da oder es wurde Geld verteilt. Und jetzt haben wir ja diese zum Teil unsäglichen Minderleister-Diskussionen. Und Peter Turini hat auch mal ein Stück geschrieben vor einigen Jahrzehnten, das genau so heißt. Aber worauf ich hinaus wollte, eigentlich dieser Gruber von dir und die Melanie in deinem Buch, das sind ja Außenseiter in einem gewissen Sinne, aber eigentlich auch sehr ambivalente Außenseiter. selbstbezogen geworden oder gemacht worden. Und bei der Melanie ist man dann im Verlauf deines Romanes, kommen ja auch gewisse Geheimnisse oder gewisse Ambivalenzen, die wir jetzt hier nicht verraten wollen, vor, redet mehr über die, oder sagt uns, wie das ist. Das sind ja sehr fein austarierte und was relativ schwierig ist, man könnte leicht eine Tränendrüsengeschichte machen aus dem Gruber und aus der Melanie, eine Gescheiter, die wirklich nur gekämpft hat und dann quasi verloren. Lange Frage, kurze Antwort. Mir war es schon wichtig, vieles offen zu lassen und auch die Figuren nicht zuzuzementieren mit Zuschreibungen. Die Melanie, ja, vielleicht ist sie gescheitert, sie ist, hatte kein glückliches Ende, aber ich glaube, die hat ihr Leben schon ganz gut gelebt, trotz allem, ja, und ja. Und trotzdem hat man relativ viele Dinge nicht von ihr gewusst, oder jedenfalls die Caro nicht von ihr, die sie rausfindet. Die, also sagen wir es so, es zeigt eine andere Seite, das mit dem Scheitern war falsch ausgedr es so, es zeigt eine andere Seite. Das mit dem Scheitern war falsch ausgedrückt. Aber sie hat eine andere Seite auch. Ja, und es ist ja auch interessant, welche Eigenschaften diese Caro ihr zuschreibt. Diese Caro meint ja, ihr ständig Tipps geben zu müssen. Die sieht sie ja in der Stadt, die soll weg, sie soll irgendwie. Das reicht ihr als Freundin nicht, dass die Friseurin ist irgendwo, sondern die soll irgendwie ans Theater oder zum Film. Und das waren halt irgendwann mal die Ansagen, aber die haben sich irgendwie verflüchtigt. Und in Caro ist dieses Bild noch so fest geblieben. Aber sie ist nicht mitgegangen mit diesen Veränderungen, was sie dann am Schluss so wahnsinnig enttäuscht. Kannst du mehr vom Gruber erzählen? Ist auch interessant, dass es ein Mann ist. Könnte ja eine Frau auch sein. Ja, könnte. Ich glaube, die Frau würde keiner lesen, wenn sie sich so verhält wie der Gruber. Das stimmt, er verhält sich so, wie man es von einem Mann erwarten würde oder befürchten würde von ihm. Aber für mich war das Spannende, weil er wird ja zum Außenseiter gemacht. Und diesen Mechanismus ein bisschen aufzudröseln, dass er doch gleich tickt, wie wir alle, unter Anführungszeichen, dass er genau dasselbe will, dass er dieselben Sehnsüchte und Emotionen hat wie wir, die wir eben Leistungsträger sind. Das war mir so wichtig, also diesen Unterschied eigentlich aufzuheben von der Gesellschaft, der von der Gesellschaft gemacht wird. Genau, und ja auch mit den Leuten, auch mit dem Gruber, was tut, der will ja dann irgendwann auch gar nicht mehr mittun. Der will nicht und ich finde es nachvollziehbar, dass er nicht möchte, mit tun? Der will nicht und ich finde es nachvollziehbar, dass er nicht möchte, weil wenn wir an das denken, was der Grube arbeiten könnte, das würden wir alle nicht arbeiten wollen. Und genau um das ist es mir gegangen. Es ist etwas anderes, Kopfer weit zu machen, als sich jeden Tag in eine Fabrik zu stellen und Verpackungen herzustellen oder Produkte zu verpacken, das ist noch mal schlimmer. Und das würde jeder von uns gesundheitlich wahrscheinlich nicht aushalten. Und das ist dann ein nachvollziehbarer Schritt vom Gruber zu sagen, ich will eigentlich nur meine Ruhe, weil das Geld, das ich mehr verdienen würde, würde ich sowieso nur dem Arzt und dem Physiotherapeuten geben. Das ist auch ein wesentliches Element, weil diese Grube dann gehört am Anfang, es ist nass und so, man will es dann nicht riskieren, nochmal mit dem Bus zu fahren und erwischt zu werden. Ist klatschnass auch, die Schuhe sind natürlich durchlässiger, will sich keine besseren, neueren Leisten. Zudem hat er einen eingewachsenen Nagel und es entzündet sich dann alles diese entzündung ist wie ein feuer das zu lodern begrenzt auch in diesem buch ich glaube du spielst sehr viel mit wahnsinnig schönen subtilen bildern und metaphern ja und vor allem weil der gruber ja der ist zurückgeworfen auf den körper das heißt er er kann nur mit dem Körper arbeiten und wenn dieser Körper nicht funktioniert, dann kann er sich kein Leben mehr leisten. Und diese Körperlichkeit war mir total wichtig herauszustreichen, deswegen auch dieser entzündete Zeh, wo jeder Schritt irgendwo hin, wo man gar nicht hin möchte, einfach wehtut. Oder auch der Rücken. Er denkt ja auch immer Dinge, die eigentlich nicht gedacht werden dürfen. Er fühlt sich komplett deplatziert im Leben und auch mit dem Körper einfach verwundbar. Ständig, die ganze Zeit. Und er wird eigentlich auch zu einer Art verwalteten Mensch. Er ist ein Verwaltungsapparater. Wir haben gehört, glaube ich, ein, zwei Mal, also Sie erwähnen diese Herzog, es gibt einen Herzog Senior, Herzog Junior I und Herzog Junior II. Offenbar läutet die politische Ämter über Generationen weitergehen und die werden für den Gruber sozusagen ein Hassziel natürlich. Also er widert dann eine große Verschwörung. Also man sieht, ich finde das auch sehr interessant, es wird gezeigt und es wird das auch nicht als durchgeknallt, aber man merkt, wie er sich, was ich am Anfang, am Schluss der Einleitung versucht habe zu sagen, man merkt schon, es radikalisiert, dieses Unterworfensein und diese Isolation auch. Ja, und die haben mich dagegen geschaut. Also es ist tatsächlich radikalisierend. Also wenn man den Grupper begegnet auf der Straße, ist er definitiv sehr rechtsgewandt in seiner Typisierung einfach. genau das zu zeigen, wo noch keine Politik ins Spiel kommt, also noch keine Wahl ins Spiel kommt. Wie kann man sich bewegen in dieser Gesellschaft, wenn man ausgeschlossener ist? Und man merkt diese Radikalisierung, aber eher geht in einen anderen Weg. Und das ist die andere Lösung und das ist auch keine gute Lösung. Aber man hat in diesem Leben eigentlich nur die Wahl, sich selbst zu zerstören oder andere zerstören zu wollen. Und das andere zerstören wollen, das kennen wir zur Genüge. Deswegen wollte ich das andere schreiben. Und es ist auch wichtig, also ich habe gestern mit der Marlene gesprochen, es ist wichtig zu verstehen, das Ende ist ja kein gutes Ende. Es ist tatsächlich so passiert. Also es hat tatsächlich jemand gemacht. Menschen finden Lösungen für ihre bedrohlichen Situationen in dieser Art und Weise. Und ich hoffe, wir haben Ihnen jetzt ganz viel Lust gemacht, das Buch zu lesen. Ich habe jetzt mit Sandra erzählt, wir haben jetzt geredet über den verwalteten Menschen und bei dir, Marlene, ist es zum Teil, wie wir das sagen, der konditionierte Mensch. Also weißt du, auf verschiedene Bilder oder wie es zu sein hat, wie es sein sollte oder auch nicht? Ja, natürlich, wie es zu sein hat, also gerade diese Caro ist ein bisschen Opfer davon. Es hat auch alles viel mit Status zu tun. Sie will ihrer Herkunft irgendwie entkommen. Sie ist vielleicht die erste in der Familie, die studiert. Das sind klassischerweise oft geisteswissenschaftliche Studien, die man dann wählt. Und ist aber dann halt trotzdem nirgends angekommen. Also das ist, sie hat halt versucht so zu sein, wie es erwartet wird oder wie sie es sich von sich erwartet, nach einer Enttäuschung. Und ja, mir war es eigentlich auch wichtig, dieses gesellschaftliches Abbild ein bisschen zu geben. Also mit der Zeit durchschaut man ja die Spiele, die man spielen sollte. Und dann ist die Frage, spielt man mit oder spielt man nicht mit oder man ist wieder zurückgeworfen auf sich. Und die Frage, was will ich eigentlich? Und beide Figuren vereint und das haben sie vielleicht auch mit dem Gruber gemeinsam, dass sie eigentlich selbstständig sein wollen und über sich selbst bestimmen wollen. Der einen fällt es leichter als der anderen, aber ja. Es könnte ja leicht, man kennt das Motiv, jemand kommt zurück, war in der Stadt, auf dem Land, das interessiert dich in keinerlei Art und Weise, jetzt irgendwie eine ländliche Enge der städtischen Weite, es spielt schon eine Rolle, aber nicht so weit wie der Anti-Heimat-Literatur, alles ist schrecklich und alles ist grauenhaft. Dem ist nicht so? Nein, dem ist nicht so, weil ich halte auch diese Zuschreibungen und dieseungen und diese Stadtdiskussionen für völlig überflüssig. Damit geht oft so ein Bevormundetwerden einher und ich mag das selber nicht. woher du kommst, und dann ist es aber dann doch wieder nicht so, ja, in gewissen Bereichen. Da ist eine gewisse Arroganz dann oft auch im Spiel, also empfinde ich so, die viele Jahre lang in der Stadt gelebt hat. Aber nein, ich glaube, man kann überall so sein, wie man ist. Was schön gezeigt ist, aber du hast es auch gelesen, eigentlich müsste man annehmen, es wäre umgekehrt, aber eigentlich kommt ja die Melanie aus sehr gutem Haus. Die Caro eher aus einem Arbeiter, der Vater war Straßenbauer. Und das finde ich auch eine interessante, vielleicht jetzt von der Caro, die eben eher aus diesem Ding stand, dann doch mehr zu wollen, was eine Melanie von Anfang an hatte und es quasi drauf lassen kann. Vielleicht ist sie deshalb auch selbstbewusster, diese Melanie. Sie hat einen anderen Hintergrund. Also eine Unternehmerfamilie, auch wenn dann vieles schiefgelaufen ist, aber die konnte vielleicht von Beginn an ein bisschen mehr so sein, wie sie ist. Sie hatte es nicht nötig vielleicht irgendwo. Und das spielt schon oft mit, dieser Klassismus und Status, was man auch nicht ablegt. Also diesen Stahlgeruch wird man nicht los. Und man tut wahrscheinlich gut daran, das anzunehmen. Annehmen ist ein wichtiges Wort. Es gibt dann beim Gruber, der kriegt nachher Wickel, weil sie quasi, weil sie sagen, er soll arbeiten gehen und gibt es ein sogenanntes Case Management. Ich glaube, ein Jahr, wo er zu einer sehr interessant, zu einer Sozialarbeiterin kommt, die eben eigentlich keine Verwalterin ist und die zum Teil dann auch wirklich als ich in diesem Buch vorkommt. Das ist eine wahnsinnig schöne Figur, die glaube ich vieles auch abfängt und die zum Teil dann auch wirklich als ich in diesem Buch vorkommt, das ist eine wahnsinnig schöne Figur, die glaube ich vieles auch abfängt und die ihn wirklich auch ernst nimmt, die ihm schon einmal geholfen hat mit seiner Mutter. Das versteht ja der Gruber auch nicht, der hat dann keinen Job mehr gehabt, war krank und so und hat wirklich seine Mutter bis zum Tod gepflegt. Dort hat sie ihm geholfen und eigentlich will sie ihm jetzt auch wieder helfen, aber er lässt sich nicht helfen, auch von seiner Kindheitsfreundin, die eigentlich Juristin wäre. Das ist interessant. Ja, also ein gewisser Stolz wahrscheinlich, oder? Also dieser Gruppe. Ja, dann Stolz, ja. Aber es ist mir auch darum gegangen, bei der Sozialarbeiterin zu zeigen, also eigentlich geht es in dem ganzen Buch auch ganz viel um Care-Arbeit und wie man sie erfüllen kann. Es sind ganz viele Frauen dabei, die sich um Kinder kümmern oder sich gerne um Enkel gekümmert hätten. Und es gibt die Sachbearbeiterin, die auch eine Art verwaltende Care-Arbeit macht, indem sie einfach bei der Behörde den Stempel raufgibt, du kriegst Geld oder nicht. Es gibt die Sozialarbeiterin, die ein bisschen näher an den Personen dran hat und der trotzdem fast dazu gezwungen worden wäre, diese Pflege der Mutter aufzugeben, um in eine Arbeit zu gehen und dort Geld zu erwirtschaften, Steuern zu zahlen, damit seine Mutter dann wieder gepflegt werden kann. Und das ist ein schräges System. Das heißt, da beißt sich die Katze in den Schwanz. Das war mir wichtig zu zeigen. Da darf ich dich kurz fragen zu dieser Erzählstimme. Die finde ich extrem interessant. Du sprichst ein Du an, und das wechselt aber manchmal so, wie wenn er mit sich selber sprechen würde. Er sagt sich das ja auch. Hattest du das von Anfang an? Nein, dann hat das Buch erst zu funktionieren begonnen, mit der Erzählstimme. Weil man gleichzeitig sehr nah ist und mit er hat es richtend geklungen, mit ich hat es verwahrlost geklungen und das Du macht die Beziehung spürbar, die da ist und dadurch hat es dann funktionieren können. Hätten Sie noch Fragen? Mag jemand was fragen? Sonst werden die Autorinnen sicher erstens gerne die Bücher signieren, die man hinten kaufen kann und zweitens allfällige Fragen beantworten. Ich glaube, wir sollten das nicht weiter zu Tode reden, aber vielen Dank für Ihre Information, die mir sehr viel... Das Schöne ist, es tauchen immer sehr viele Fragen auf bei Lektüren. Immer und darum ist es, finde ich, immer wahnsinnig schön, die Leute selber befragen zu können. Ich danke Ihnen, dass Sie hier sind. Ich danke euch, dass ihr da seid. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und hoffentlich bis zum nächsten Mal. Vielen Dank. Applaus Vielen Dank den drei Mitwirkenden des heutigen Abends, Stefan Gründer, Marlene Kölz und Sandra Weiß. Ein Abend mit viel Welt, viel Literatur, vielen Fragen. Die Kunst, wie geht das? Das Leben ist lang. Nein, das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Nach diesem Motto, glaube ich, kann man den Abend irgendwie zusammenfassen. Hinten gibt es beide Bücher zu kaufen. Sie sollten nicht rausgehen, ohne das zu tun. Stefan Gründer hat es gesagt, die Autorinnen sind gerne bereit zu signieren. Und ich darf noch darum bitten, dass wir uns alle am Dienstag hier wieder sehen, wenn Richard Wall sein neues Buch präsentiert, die nahe hafte Verzweiflung des Wirklichen. So geht das. Also ich danke Ihnen. Schönen Abend noch.