Ja gut, dann lassen Sie uns in den Abend starten. Herzlich willkommen im Stifterhaus, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Literaturinteressierte. Es freut mich sehr, Sie heute Abend hier begrüßen zu dürfen. Ich habe die schöne Aufgabe, Sie kurz in den Abend einzuführen, bevor ich das Wort an unsere Gäste übergebe. So viel sei schon mal vorab verraten, wir haben heute geballte Vorarlberg-Power im Haus. Zuerst möchte ich Sarah Koratle begrüßen, die heute aus ihrem Roman Chimäre lesen wird, erschienen im August 2025 beim Otto-Müller-Verlag. heute da bist. Sarah Kuratle wurde in Bad Ischl geboren, studierte Germanistik und Philosophie und lebt heute in Vorarlberg. Für ihre Lyrik und Prosa wurde sie vielfach ausgezeichnet. In ihrem aktuellen Roman erzählt sie mit poetischer Kraft von der Verflochtenheit allen Lebens und Sterbens. Eine Inselgemeinschaft aus Lehrpersonen und SchülerInnen kämpft um den Erhalt der Artenvielfalt. In hängenden Gärten und lebendigen Zeichnungen versuchen sie das Leben zu retten und selbst nicht unterzugehen. Mit Chimäre legt Sarah Kuratler einen Roman vor, der aktuell nicht nur auf der ORF-Bestenliste steht, sondern die LeserInnen zugleich in eine traumhafte und verstörende Welt mitnimmt. Unser zweiter Gast war zuletzt vor rund drei Jahren hier bei uns im Stifterhaus. Wir freuen uns sehr, dass es auch heute wieder geklappt hat. Bitte begrüßen Sie mit mir Wolfgang Herrmann. Bitte begrüßen Sie mit mir Wolfgang Herrmann. Wolfgang Herrmann wurde in Bregenz geboren, studierte Philosophie und Germanistik in Wien und war anschließend viele Jahre im Ausland unterwegs. Unter anderem war er von 1996 bis 1998 Universitätslektor in Tokio. Heute liest er aus seinem Roman Herr Faustini und die Glatze der Welt, der im Februar bei Milena erschienen ist. Der sechste Band der Erzählreihe führt uns zurück in die Welt des heiter-melancholischen Herrn Faustini. Mit Michael Endes, Jim Knopf unterm Arm, trifft er in einem Bahnhofscafé auf den glatzköpfigen Martin, auf dessen Schulter ein Eichhörnchen namens Luther sitzt. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise auf der Suche nach der gelebten Zeit. Seien sie also gespannt, welche Abenteuer Herr Faustini dieses Mal erleben wird. Nicht aus Vorarlberg, aber ein bekanntes Gesicht, das uns durch den Abend führen wird, ist Sebastian Fasthuber, vielen von Ihnen als Moderator und Kritiker bekannt. Er studiert die vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und schreibt vor allem für die Wiener Stadtzeitung Falter, wo er sich zwischen Musik und Literatur bewegt. Auch dir ein herzliches Willkommen, schön, dass du die Moderation übernimmst und heute hier bist. Damit darf ich das Wort übergeben, wünsche uns allen einen schönen Abend und danke Ihnen für Ihr Kommen. Vielen Dank und guten Abend auch von mir. Der Abend gehört zwei schmalen Büchern, die jedoch beide reich an Welt sind und stilistisch, wie wir jetzt sehen, werden zwar völlig unterschiedlich und im Zugang, aber in beiden gibt es wundersame Begebenheiten, überraschende Begegnungen, Bilder und Metamorphosen, das könnte mir vielleicht so als lose Klammer mitdenken. Ja, wir beginnen, wie gesagt, mit Sarah Kuratle und ihrem Roman Chimäre. Wir werden in der nächsten halben, dreiviertel Stunde mit diesem Buch immer wieder schön ins Staunen, manchmal auch ins Stolpern vielleicht geraten, oder kurz innehalten einfach, denn das vermag die Literatur von Sarah Kuratle. Zum ersten Mal gestolpert bin ich eigentlich schon fast bei der Bezeichnung Roman, denn das ist eigentlich für das, was sie macht, ein Hilfsausdruck oder vielleicht auch nur natürlich ein Ausdruck, den die Verlage sehr schätzen und auf die Bücher draufgeben. Man merkt aber nach der ersten halben Seite Lesung werden Sie merken, dass die Autorin von der Lyrik kommt und immer noch eine sehr lyrische Prosa schreibt. Vielleicht jetzt, um das Ganze umzuwerfen, möchte ich trotzdem mitten in der Einleitung vielleicht schon eine kleine Frage stellen. Du kommst von der Lyrik. Wie bist du ins Prosa-Schreiben, ich sage jetzt bewusst nicht reingerutscht, denn das klingt nach Kleinkriminalität, sondern wie bist du reingeklitten? Das passt vielleicht besser zum Buch, reingeklitten wie in einem Fluss. Wie bist du zur Poser gekommen und wie stehst du zum Roman? Eigentlich hat es bei mir schon mit dem Erzählen angefangen, aber das waren Texte, die nie erschienen sind und das waren Jugendtexte, wo es mir um Figuren ging und wo ich mit eben von ihnen auch erzählen wollte und da aber lange Zeit nicht die rechte Form dafür gefunden habe. Und dann in der Zeit, als ich dann in Graz studiert habe, habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben und mir mit diesen Gedichten mich auch ganz stark einfach mit der Sprache auseinandergesetzt und mit den Möglichkeiten und dann für mich einen Weg gefunden, wie ich eben auch erzählen kann und wie ich auch Geschichten fertig erzählen kann, weil das war mir lange nicht möglich. Also diese Jugendtexte, das waren eigentlich alles so Fragmente und ich wollte da nie weiterschreiben oder dranbleiben und habe dann eben die Gedichte mir da irgendwie so auch einen Zugang geschafft. Ich schreibe nach wie vor Gedichte, aber jetzt bin ich eigentlich wieder mehr dem Erzählen zugewandt und bewege mich jetzt mit den Figuren, halt in dieser lyrisch geprägten Sprache, aber doch sind es immer die Figuren, mit denen ich gehe. Chimäre, das ist ja einesseits ein Trugbild und anderesseits auch ein Mischwesen und das trifft, glaube ich, auch den Zugang zum Schreiben recht gut, also nicht nur als Romantiker, sondern auch als Programm. Ja, dass ich es nicht so gut in der Schublade stecken lasse, das glaube ich schon auch, dass so, ja. Ich habe schon die unterschiedlichsten Bezeichnungen dafür gehört, für genau diese Mischung, dieses Mischwesen. Es ist auf jeden Fall, ich habe gestern versucht, deiner Bekannten das Buch ein bisschen zu beschreiben und es ist nicht leicht. Es ist kein Buch mit einerseits einem linearen oder auch nicht mit einem nicht-linearen Plot, es ist schwer zu verorten, nämlich wo das alles passiert, es wird nicht konkret benannt, wann es passiert, ob wir uns möglicherweise in einer nahen oder auch ferneren Zukunft befinden, ob das jetzt eine Dystopie ist im klassischen Sinne oder nicht, all das wird eigentlich nicht beantwortet. Und es ist oft auch schwer zu sagen, mit welcher Figur man es eigentlich gerade zu tun hat, denn die wandeln sich ja, verwandeln sich, tragen zum Teil verschiedene Namen oder treten auch als andere in Erscheinung. Also kurz gesagt, man kann da nicht durchrasten wie durch einen John-Irving-Roman, es braucht ein langsames Tasten des Lesens, sonst geht man irgendwann in diesen Sätzen verloren, obwohl es eigentlich eine einfache Sprache ist, aber trotzdem... Ja, ich meine, es würde wahrscheinlich auch den Schreibprozess widerspiegeln, also weil ich auch sehr langsam schreibe und wenn ich schreibe, mir die Sätze auch laut vorlese oder laut spreche, sie wiederlese und das vielleicht dann auch auf der anderen Seite jetzt für den Leser oder die Leserin der naheliegende Zugang ist, wahrscheinlich das auch langsam zu lesen. Also es ist ja nicht so ein dickes Buch, aber ich glaube, es ist ein Buch, das trotzdem Zeit braucht, um langsam eben von Seite zu Seite vorzugehen oder von Satz zu Satz eher oder von Wort vor Wort, weil ich tatsächlich auch von Wort oder an jedem Wort sitze oder oder von Satz zu Satz eher oder von Wort vor Wort, weil ich tatsächlich auch von Wort oder an jedem Wort sitze oder an jedem Satz lange, dass das stimmig ist und ich glaube, das ist so dieser Zeitfaktor. Ich habe mich gefreut, dass du vorhin John Irving erwähnt hast. Ich liebe auch das Lektieren mit John Irving. Genau. Es gibt eben eben verschiedene Arten auch des Erzählens. Wir können gleich reinspringen, vielleicht nur kurz erwähnt, das ist immer abwechselnd, nehmen wir quasi die Perspektiven der zwei Hauptfiguren ein. Das ist zum einen Gregor. Jetzt haben wir es kurz umreißen, wir befinden uns auf einer Insel, namenlosen Insel, wo ein Kollege, das nicht näher benannt wird, Pflanzen versucht zu bewahren oder zumindest zu archivieren, zu katalogisieren. Eine männliche Gesellschaft, vielleicht klappen wir das noch aus, da können wir später noch dazu kommen. Da gibt es Schüler und Professoren und dann gibt es Gregor, der auch so ein bisschen ein Mischwesen ist und eigentlich weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe gehört. Und die zweite Figur, das ist Alice, wobei man natürlich merkt, okay, es sind nur Männer auf der Insel, wie kann das sein? Tatsächlich hat sich Alice quasi verkleidet und nennt sich Alois, so tritt sie dort in Erscheinung. Und diesen beiden Figuren steigen wir mal ein in diese Welt, oder? Genau, aus deren Perspektive wird im Wechsel erzählt. Die Abschnitte sind dann auch immer so überschrieben mit Alice oder Gregor. Und der Roman setzt eigentlich an dem Punkt ein, an dem die Figur Alice die Insel verlassen hat. Also sie hat sich dort losgerissen aus verschiedenen Gründen. Den einen Grund hast du schon genannt oder den wesentlichen Grund. Sie konnte auf der Insel eben nicht Alice sein, sondern sie musste sich als Schüler, Student Alois ausgeben. Und Gregor, die andere Figur, ist auf der Insel geblieben und bekommt dann, oder kurz nachdem Alice die Insel verlassen hat, Alice war als Alois ein sehr guter Freund auch für Gregor. Kurz danach taucht eine andere Figur auf, wieder eine Frau. Gregor Ich ging im Fluss meine Hände waschen. Immer, sagte er. Einmal sei er hineingefallen, im Fluss über den See bis zur Insel getrieben, mehr als 700 Kilometer weit. Es grauste mich daheim, es war voller Dreck. Mehrmals täglich sei er zum Fluss gegangen, das letzte Mal vom Schlafen mitten in der Nacht. Die Nächte der Stadt musst du suchen, keine kommt von selbst. Wenn es regnete, habe er versucht, seine Mutter nach draußen zu ziehen, wenn ihre Haare fettig glänzten. Nass oder nachts sehen haarige Waschen aus. Sein Freund Alois, der ihm gegenüber saß, schüttelte den Kopf. Das mit dem Fluss glaube ich dir nicht. Wie bist du auf die Insel gekommen? Er wollte mehr wissen. Im Fluss, natürlich im Fluss, wehrte Gregor ab. Es wird Abend, ist schon Nacht, dunkel, als Gregor über Stufen aus dem Kolleg hinabsteigt, dann hinauf durch die hängenden Gärten in schwere Luft. Blind findet er sich zurecht, kennt die Pflanzen, die Wege dazwischen inwendig, auswendig sowieso. Mit bloßen Händen tastet er Beete ab, spürt, sind sie zu feucht, zu trocken? Ist die Erde warm wie seine Stirn? Ob er es mehr braucht? Manchmal taucht Krieger seinen Arm bis zum Ellbogen in die Erde oder in die Bewässerungskanäle ins Wasser aus dem See. Ruhe findet er nicht. Ein letztes Mal schaue ich nach, sagt er sich. Während die anderen, glaubt er, schlafen, geht er die Gärten ab, gießt, wo nötig Wasser nach. Am Nachthemd treibt er seine erdigen Hände trocken, sauber, schläft im Bett unter der Decke, später nackt. Die Gräser Staudenbäume hat Gregor über die Jahre vermessen, sie auf Papier gezeichnet. Alois, sein Freund, übermalte seine Zeichnungen. Pass auf, du übermalst die Enden, wo sie aufhören. Danach dazwischen ist Luft, nicht viel mehr, sagte er. Alois antwortete, diese Enden gibt es nicht, das weißt du selbst. Im Ganzen sind die Gärten eine Pflanze, selbst die Welt. Aber was wisse er alles schon von der Welt auf einer Insel? Finger schließen sich am Gregors Handgelenke, kreisen auf den Spitzen über seine Handflächen. Wer bist du, flüstert Gregor. Leiser hört er von den Nachtkerzengewächsen her die Stimme. Du könntest mich vermessen, wie du auch die Pflanzen vermisst. Die Nacht sei zu dunkel, er trage kein Maßband bei sich. Das glaube ich dir nicht. Wie ist meine Haut, ihre Farbe? Er sehe wenig. Ich weiß nicht, jetzt ist sie grau, wie meine auch. Zuerst vermisst er die Hände unterm Strauch. Wie lang die Finger, wie breit das Handgelenk Dann die Arme, die Schultern Auch die Brust, sie ist nackt Bring mir Kleider nächste Nacht, ein langes Hemd Sonst friere ich Alice Der Schnee überraschte sie friere ich. Alice Der Schnee überraschte sie. Auf der Insel war es längst Frühling, grün, grau, als sie im Stillen aufbrach. Sie dachte, das ist am Festland gleich, grün oder grau, dabei ist es weiß, selbst bei Nacht, selbst der See scheint an den Ufern gefroren, bläulich-weiß. Alice ist überrascht, wie kalt ihre Füße jeden Abend sind. Über Tag vergisst sie beim Gehen, spürt in der rauen Luft bloß Nase und Wangen zwischen Stirnband und Schal. Sie würde Gregor jetzt zustimmen, der Wind ist ein Graus. Ihr nicht erinnern, wo kommen die Samen hin ohne Wind, was würde aus den Gärten der Welt? Solche Sätze brachten sie auf der Insel ins Stocken. Auch früher, da war ihre Welt eine Wohnung. Alice bückt sich, studiert, wie sich Tierspuren verschiedener Art im Schnee kreuzen, wie die Arten aneinanderhängen, zusammenleben, wie es anders nicht geht. Die Spuren werden weniger, hört ihre alten Lehrer sagen, das Bild werde eintönig, weniger gemustert. Unter der Erde ist es gleich, sagte Gregor, ein Ohr am Boden der Gärten, es ist still, früher hörte ich Musik. Sie zwickt ihn in den Arm. Du bist mit deinen Ohren woanders. Für die Nächte am See vor der Flussmündung gibt es Holzhütten über Eis und Wasser. Sie sind verlassen, niemals leer. Schmale Stege führen zu den Türen, die meist einen Spalt offen stehen. Kalt ist es drinnen wie draußen, die Fenster sitzen locker. Durch Ritzen im Fußboden streckt Alice ihre Finger ins Freie. Zuerst sucht sie warme Socken, dann letzte Vorräte Kirschmarmelade Sie kratzt die Schimmelkruste ab, grün und grau Taucht einen Löffel, den sie findet, tief ins kirschrote Glas Luis, sagt sie dann Sie versucht sich zu erinnern, ob Kirschen in der Wohnung, ob ihre Arme bis zum Baum im Innenhof reichten. War es überhaupt ein Kirschbaum? Wie hoch wird sein Baum? Gregor wüsste es. Alice spricht zu sich selbst, spricht anders als auf der Insel. Seit der Fahrt über den See klingt ihre Stimme verstellt, vielleicht spricht Luis so ähnlich. Alice erinnert sich nicht. An die Marmelade schon, an Luis Stimme nicht. Sie setzt sich vor das größte Fenster. Schnee fällt als löchriger Vorhang hinterm Glas, versperrt mit der staubigen Stehlampe den Ausblick vom Fenster. Schnee fällt als löcheriger Vorhang hinterm Glas, versperrt mit der staubigen Stehlampe den Ausblick vom Fensterbrett. Wann hört als wäre Alice eingeschlafen im Wasser. Der Holzboden und seine Spalten ließen es zu, dass von unten Wasser, ein Fisch, vielleicht eine Schlange. Aber der See ist gefroren, sagt sie sich laut. Aufgewacht von ihrem eigenen Husten, klopft sie auf Holz und Eis zwischen Hütte und See auf ihre Brust. Bis es aufhört, das Träumen, das Husten. Ich bin allein, die Fische schwimmen ohne mich. Anders kennt sie es nicht. Vögel flogen, Alice schaute vom Fensterbrett in der Wohnung lange Tage in den Innenhof. Auf der Insel war sie freier. Die Vögel aber flogen weiter. Es gibt mehr, das wusste sie, versteckt in der Wohnung. Es zieht mich weg, flüsterte sie jahrelter in den Gärten. Das sagst du nur, sagte Gregor, meinte, es war ja nicht ernst mit dem Schwimmen, dem Alleinsein. Tage, eigentlich Jahre, saß sie fest. Ich bin Alice, Das war sie meistens bloß für sich. Den Mantel lässt sie hängen, steigt durchs Fenster aufs Eis. Sie will, wenn sie nicht einbricht, zu diesem Baum im See, zur Hälfte in der Luft. Halb Wasser, halb Wind. Eine Chimäre, das will sie auch sein, wenn sie auftaucht, ein Vogel, absinkt, ein Fisch. Gregor seine Hände wäscht, seine Füße, dann gehören sie eine Zeit lang wieder ihm. Für sich allein sagt er es auf, meine Hände. Sie waren es nicht, als er zu klein, sich zu wehren mit Händen, mit Füßen, meine Füße. Er zu klein, sich zu wehren, mit Händen, mit Füßen. Meine Füße. Im See am Ufer der Insel wäscht er den Dreck ab. Jahre, Kindheit, Jugend. Der Fluss war nicht lang genug. Den Rest dieses Körpers bedeckt er mit Kleidern. Nachts mit einer Decke, als wäre weiße Wolle ein Schutz oder ein weißes Platz. Der Junge war ein anderer. Gregor ist der See näher als seine Mutter, wäre der See ein Meer, er könnte sie vergessen, wie sie traurig war, als Flaschen trank, ihn warten ließ. ihn warten ließ. Es täte nicht mehr weh. Es wäre, glaubt er, um sie beide weniger schuld. Der See ist zu klein. Schwimmen, ist er sich sicher, hat er mühelos verlernt. Als er hinter sich die Tür seines Zimmers spürte er Gegendruck. Ich schlafe nicht mehr gut. Ohne Knicke im Maßband, er hätte geglaubt, du bist weg, nicht echt. Das hier sei eine Insel der Pflanzen, das Kolleg ein Ort nur für Männer eigentlich. Die Frau sagt, ich gehöre nicht dazu. Das sei sie gewohnt. Aber ich habe das Recht auf ein Bett, das Recht zu lernen. Sie bezahle dafür, zieht aus ihren Haaren ein Säckchen, Samen, jeder anders. Samen sammle ich, seit ich von dieser Insel weiß. Gregoras Hände am Lichtschalter hält sie ihn ab. Lass es dunkel, ich muss schlafen. Sie gähnt, schau sie dir morgen an. Figuren erfunden, aber die unglaubliche Leistung stelle ich mir vor, die lernt man im weiteren Lauf der Lektüre noch besser kennen, diese Insel und auch die Landschaften, durch die sich Alice Alois dann zurück wieder wegbewegt, das ist so unglaublich, einerseits nicht zu verorten, aber trotzdem stark beschrieben, du hast die ganze Welt eigentlich erfunden, also in diesem Buch von knapp 150 Seiten ist unglaublich viel drinnen. Hast du mit dieser Welt begonnen oder waren es die beiden Figuren? Es waren, glaube ich, schon die Figuren mit der Welt. Ich bin jetzt vor kurzem auch gefragt worden, wann genau die Arbeit am Buch begonnen hat oder die Idee kam. Und dann habe ich mich wieder erinnert, das war eigentlich noch, bevor ich mein Debüt Greta und Janis geschrieben hatte, war ich auf Besuch bei meiner Schwester, die damals im Unterengadin gelebt hat und musste auf sie warten. Und im Unterengadin gibt es noch so ganz diese Trockenwiesen, diese artenreichen Trockenwiesen und da ist mir diese Idee gekommen, als ich auch diese Vielfalt gesehen habe und dieses ineinander Verwachsene, da war ein Stück von dieser Welt da, also ein Stück von dieser chimären Welt, auch wenn das hier eine, eben hast du es schon genannt, eine Wasserwelt ist, also alles bewegt sich entlang von Flüssen, die immer wieder auch, oder der alte Fluss auch über die Ufer tritt, diese Moore, die es dort auch gibt. Regio ist auf dieser Insel. Das war dann wieder eine Landschaft, die ich auch kennengelernt hatte, in der Wirklichkeit auch, also in Vorarlberg, als ich da viel unterwegs war am Rhein, bei der Rheinmündung. Und das auch sehr eindrücklich war, diese Landschaft, in der ich selbst ja auch nicht aufgewachsen bin. Manchmal hilft dieser Blick auch und diese Eindrücke habe ich alle gesammelt, das war eben über Jahre hinweg dann auch oder ich habe dann auch Greta und Janis geschrieben und zu dem Zeitpunkt, als ich dann mit Chimäre begonnen hatte und auch mich auf den Weg gemacht hatte, auf den Weg von Alice und Gregor, da waren die Eindrücke da und trotzdem konnte ich sie dann auch wieder verwandeln oder sie wieder auch etwas anderes wieder aus ihnen machen. Also kein Abbild eben dieser Rheinmündung oder dieser Landschaft. Das war alles wichtig für mich und ich habe mich auch stark, und ich habe viel Recherche betrieben, in Büchern gelesen über Flüsse, über auch Flussbegradigungen, über diese Landschaftsformen. Und doch in dem Moment, wo ich dann wirklich am Text gesessen habe und da mich so Wort für Wort auch weiter bewegt habe, da habe ich mich recht frei gefühlt, da auch zu erfinden und diese Landschaft sich auch immer wieder verwandeln zu lassen und da andere Landschaften sich auch einbringen lassen. Man hat die realen Vorbilder absolut nicht vor Augen. Es ist für mich eine komplett fremde Welt. Und trotzdem ist es so wichtig für mich, überhaupt die Recherche. Wenn ich mich informiert habe über Naturgeschichte oder Menschheitsgeschichte eingelesen habe, dann ist es dann eigentlich, weder bei Greta und Janis so, noch jetzt bei Chimera, dass ich das dann, diese Details aufgenommen, diese Informationsdetails, aber doch waren sie so der Grund, auf dem ich auch so diese Welt schaffen konnte oder auch da hineinspüren könnte, wie es vielleicht auch anders sein kann oder der Ausgangspunkt fürs Schreiben und dann auch fürs Verwandeln, was das Schreiben für mich immer auch ist. Kollege Ronald Pohl hat im Standard eine wunderbare und sehr begeisterte Rezension geschrieben, das Buch ist und da kommt auch der Begriff Climate Fiction vor. Das ist ein bisschen so ein Modelabel in der Literatur fast. Kannst du mit dem Begriff irgendwas anfangen? Es geht ja schon im Buch auch sehr stark um die Zerstörung der Natur, um die Begradigung eines Flusses. Da gehen ganze Dörfer mitsamt den Bewohnern unter. Ja, auch die Sonne ist Thema. Die Sonne, die stückweise auch zerfällt, das ist auch für die Figuren schon mittlerweile sichtbar, dass es nur noch so ein Ring ist, die Sonne, soviel auch zu diesem Climate Fiction Stichwort. Ich sehe da schon Bewegungspunkte, aber nicht nur, also auch wenn ich nur beim Thema bleiben würde und mich sowieso jetzt auch nicht in erster Linie thematisch oder das Buch nicht in erster Linie thematisch zunehmen würde, ist trotzdem zusätzlich zu Climate Fiction eben das große Thema oder das noch größere, das Artenthema, die Artenvielfalt. Und ich glaube, wie wir es auch oft in der Debatte erleben, ist so Thema Biodiversität oder auch der Artenschwund, ist ein bisschen im Schatten vom Klimawandel, obwohl es eigentlich auch ein eigenständiges Problem und Thema ist und in Chimär eigentlich auch das Hauptthema, das dabei eben nicht als ein großes gesellschaftspolitisches auftritt, sondern, oder das auch ist, aber auch ein sehr privates und auch sehr persönliches, weil es eben total in das Leben eingreift von diesen Figuren. Genau, sie haben da unterschiedliche Zugänge, die sie auch als konträre Personen dann auch ausweisen. Alice zeichnet die Pflanzen quasi, um sie zu bewahren, und Gregor züchtet sie eigentlich noch nicht. Ich spreche mir das eigentlich französisch aus, dieses Café Marronkraut, das sie da immer wieder so ein bisschen rätselhaft durch das Buch durchzieht. Da gab es auch ein reales Vorbild, also diesen Kaffee Marronbaum, ein Baum, den ein Gärtner von den Kew Gardens noch so in letzter Sekunde gerettet hat vom Aussterben. Zufällig die Entdeckung und dann auch noch durch seine Fähigkeit die Möglichkeit dann nochmal Vorpflanzung zu schaffen. Was mich fasziniert hat, ich hatte dieses Buch von diesem Gärtner, Carlos Magdalena heißt er, gelesen und habe das eben aufgenommen, diese Pflanze und auch diese Wertschätzung für diese eine Art, die verloren geht. Weil es ja oft so ist, oder wie es wie Artenschwund auch passiert, ist ja ganz vielfach so, dass wir gar nicht mitbekommen, all die Arten, die verloren gehen und das so unbemerkt passiert auch, weil wir vieles noch gar nicht kennen und da eben so ein besonderes Beispiel auch herauszunehmen und ich hatte dann auch überlegt, wie nenne ich diese Pflanze, die eben so ein reales Vorbild hat und habe sie dann Kaffee-Maron-Kraut bewusst eben auch in Anlehnung an diesen Kaffee-Maron-Baum bewusst auch den Bezug gesetzt. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich deine Frage ganz beantwortet habe. Diese Insel ist ja ein Ort, der der Vielfalt der Pflanzen gewidmet ist, interessanterweise aber nicht der Vielfalt der Menschen. Es gibt in dem Buch, wie in guter Literatur es üblich ist und sein soll, keine Erklärungen dafür. Es gibt keine Frauen natürlich, aber sie keine Erklärungen dafür. Es gibt keine Frauen natürlich, aber sie schleichen sich ein. Es kommt dann noch eine zweite Frau, die sogenannte Ortlose und es wird auch gemunkelt hinter vorgehaltener Hand, dass eigentlich die erste Direktorin des Kollegs eine Frau gewesen sein soll. Erzähl mal ein bisschen was über diese Konstruktion. Also diese Gesellschaft, die sich da eben um den Art der Pflanzen kümmert auf der Insel, das sind eben, vordergründig gesehen sind es nur Männer. Sie sollen sich quasi diesem Pflanzen ganz widmen, das soll keine Zeit und auch kein Raum sein für noch etwas anderes oder für eine Familie. Das ist ein Konstrukt, wie wir es ja auch aus einem anderen Kontext in der Wirklichkeit auch kennen. Tatsache ist eben, dass es Frauen gibt auf der Insel, also eben die Alice, das wird gemunkelt auch über die Direktorin, und die aber mehr oder weniger auch geduldet werden als talentierte Personen dort. Aber ich will jetzt gar nicht so viel verraten. Die Alice hatte das Gefühl, sie ist jetzt auf dieser Insel Alice und eigentlich weiß nur sie selber Bescheid. Sie ist der Alice, sie wurde dort weggebracht, von ihrer Mutter musste dort sein und das ist so ihr Geheimnis und auch mit dem sie dann hadert und stellt sich dann im Laufe des Romans aber auch ein bisschen heraus, dass das nicht für alle ein Geheimnis war. Gleichzeitig, wer ist sie eigentlich wirklich? Das ist ja die große Frage. Sie ist jetzt in diese Rolle hineingesteckt worden, also sie musste alles sein, um dort eben wirken zu können, als Schüler und dann auch als Student, war auch sehr talentiert, hat sich dann losgerissen an einem Punkt, darf jetzt da oder irrt durch diese Wasserlabyrinthe und darf jetzt eigentlich sozusagen sein, wer sie ist und findet dann aber die Antwort darauf gar nicht so einfach und klar und eindeutig, wie sie sich das vorgestellt hatte. Wie eben auch schon der Begriff Chimär oder der Titel auch aussagt, geht da vieles ineinander über und auch dieses Begriffs Mann und Frau, das so viel Deutlichkeit auch verspricht oder vielleicht auch Abgrenzung, das greift ja auch nicht ganz. Und auch die Grenzen zwischen Mensch und anderen Lebenswesen. Also sie merkt, sie ist da so auch hin- und hergerissen zwischen dem Menschen, der sie so sein will, auch in ihrer Besonderheit, und dann aber auch diesem großen Verlangen, mit anderen Menschen in Beziehung zu kommen, nach der Umarmung, vielleicht auch in sie überzugehen, also dieses Verschmelzen, in diesem Spannungsfeld bewegt sie sich dann. Ich finde es großartig, wie auf so eine sehr eigene poetische Art dann doch Zeitthemen, die viele beschäftigen, ob man es Identität, Gender nennt oder eben Klimawandel, aber auf so eine eben komplett eigene, lyrische Art drinnen sind, wie du das verwandelt und verhandelt hast in dem Buch, großartig, das ist keine Frage, einfach nur eine Bemerkung. Und das sind eben so, du hast gesagt, es kann sein, wer sie ist, sei, wer du scheinen möchtest, dieser Satz, den man aufgeschrieben hat, den man sehr gut gefallen hat. Was wünschst du dir für Leserinnen und Leser? Es gibt ja dann doch immer wieder so kleine Geheimnisse aufzudecken im Buch. Muss man dem nachgehen oder kann man sich einfach nur der Sprache dann einmal hingeben? Ich glaube, ich würde da gar keine Vorgaben machen wollen. Ich finde es eben schön, wenn man oder wenn sich jemand da die Zeit auch nimmt und da wirklich einzutauchen, also eben auch in diese Sprache so hineinzufinden und dann mit der Sprache auch in die Geschichte, weil das voneinander eben unablösbar ist. Und um den Figuren auch wirklich nahe zu kommen, musste ich selber auch diese Sprache finden und diese Worte nehmen. Ich glaube, es ist auch dann wichtig, so an den Worten auch dran zu bleiben als Leserinnen und als Leser. Vielleicht wirklich die Zeit zu nehmen und vielleicht auch mal einen Satz laut zu lesen. Das ist vielleicht ungewöhnlich. Ich weiß nicht, ob jemand hier ist, der auch laut vorliest. Das ist auch eine Praxis, die heute hier stattfindet, in dem Rahmen, aber auf dem privaten ganz selten. Oder eher noch im Kontext Kinder, dass man Kinder noch vorliest. Aber ich finde es auch schön, um einen Text kennenzulernen, dass es laute lesen oder auch in der Vorstellung hören zu lesen. Also wie man den Text auch hören würde. Ja, das fände ich schön, wenn das so, weil eigentlich der Text für mich auch davon lebt, dass er laut wird. Entweder Vorstellung laut wird oder wirklich laut ist. Also die Vorstellung, dass der in anderen Häusern von Ihnen oder von anderen Menschen dann wirklich auch laut ist, das fände ich schön. Ich hatte auch das Gefühl bei Chimera, auch bei Gretel und Janis ähnlich, erst in dem Moment, als ich ihn auch für ein Publikum lesen konnte, mit der ersten Buchpräsentation, war er so wirklich draußen. Also zuerst war er einfach da für mich. Ich habe ihn ja immer laut gelesen. Er war da für mich oder vielleicht auch für Personen in meinem Umfeld, die ihn schon gehört haben, aber sonst war er nicht wirklich da. Er war zwar im Buchhandel und manche Besprechungen, aber so richtig da war er, als ich ihn laut lesen konnte, auch für sein Publikum. Dann war er wirklich draußen. Das ist die perfekte Überleitung, auf das er nochmal wirklich zum Leben ins Leben kommt, der Text. Wir springen jetzt relativ weit nach vorne. Ich habe jetzt noch eine Alice-Passage vorbereitet. Sie ist ja eben, sie hat sich von der Insel gelöst, ist dann dort in dieser labyrinthischen Wasserwelt unterwegs auf dem Festland und bleibt dort nicht lange alleine. Sie trifft auf einen anderen Reisenden einen älteren Mann mit dem Namen Max und lernt von ihm das Schwimmen. Und an einem Tag ist sie dann auch so weit, dass sie durch den neuen Fluss und durch den alten Fluss, der neue ist der mit Deich und Graben versehene Fluss, dass sie da durchschwimmt. Und erst durch den alten, dann durch den neuen, um zu sehen, was eigentlich auf der anderen Seite vom neuen Fluss liegt. Das wollte sie schon länger wissen. Und sie sieht dann dort so eine schier endlose Weite von Feldern mit übergroßem Gemüse, also Obst, Gemüse und in strahlenden Farben. Und sie ist völlig fasziniert von diesen perfekten Oberflächen. Sie kommen ihr zumindest perfekt vor und sie pflückt dann dort einen Apfel. Und der andere Reisende, Max, der ist ihr gefolgt. Warum isst du ihn nicht? Max war ja also nachgekommen. Den Apfel in der Hand dreht sie sich zu ihm um. Sie runzelte die Stirn. Ich glaube, er ist zu schön. Ist nur Farbe, Form, nichts will alles mehr. Das wäre es bei anderen ja selbst gleich. Am meisten gefällt dir ein Körper von außen. Oder als inneres Bild, als Bild oder Bewegung, nur die Oberfläche. Wenn sie könnte, würde Alice aussteigen, aus sich heraus. Sommer und Fieber. Max neben Alice in der Hängematte Er war zu krank um am Boden, sie nahm ihn zu sich auf den Baum An ihrer Schulter spürt sie Nadeln Seinen Bart, den heißen Atem, ein Feuer unter ihrer Haut Als sie ihm die schweißnassen Kleider auszieht, gibt sein Körper nach, ohne aufzuwachen. Dabei streifen ihre Handgelenke, ihre Fingerspitzen über drahtige Haare auf Max' Brust, Bauch oder bei seinen Hüften. Alice weiß es nicht mehr, sie macht schnell die Augen zu, wendet jetzt die Decke und klettert hinab. Über den Riesenfeldern fiel der Regen auch bunt. Max verfiel in Panik. Sie rannten, kletterten, schwammen wie um ihr Leben oder um seines. In der Nacht begann er zu fiebern. War es dieser künstliche Regen, der Dünger? fragte Alice. Er schüttelte den Kopf. Es sind die Mücken am alten Fluss, er hielt inne. Aber die Regenwürmer? Die Vögel? Er redete wie er werte zu trinken und zu essen ab. und zu essen ab. Um seinen Körper die Decke verschwitzt, regennass steht Max vorher in ihren frischen Kleidern. Erstmals seit Tagen ist er auf den Beinen wieder ein Gegenüber. Seine Wangen sind bläulich, die Augenlider violett. Seine Falten haben sich verästelt. Beide setzen sie sich, wo die Erde schon feucht ist. Zwischen ihnen der Stein ist gedeckt mit Fisch und Algen. Aus ihrer Tasche holt Alice den roten Apfel vom Feld, bietet ihn an, bittet, Max, du musst etwas essen. Er nickt, beißt ins Fleisch, in seiner Hand noch den Apfel, legt er sich auf den Rücken, schläft im Regen ein. Angespannt nimmt Alice wahr, wie die seit Tagen unverändert rote, glatte Kugel abweicht von dem Mann, der sie hält. Wie anders sie sind oder waren. Dazwischen mehr als ein Leben, das Sterben. Unsterblich wirkte der Apfel. Seit dem Biss liegt er offen, wie verwundert, in der Welt. Die Stirn ist heiß, wie sie heiß war, als ihre Hand auf Max lag. Sein Fieber ist ihres geworden. Oder es ist der Sommer, die Mücken. Sie schlägt um sich, Max am Boden, alles mit dem Apfel in der Hängematte. Auf ihrem Schoß dreht sie die rote Kugel, bis der Biss nicht dann kurz sichtbar wieder ist. Flüstert sie. Schön rundum. Sie schmeckt daran. Zwischen ihren Schenkeln rutscht der Apfel tiefer, steckt fest. Gegen die Naht ihrer Leinenhose drückt sie ihn an der Seite, wo sein, wo ihr Mund war. Die Lippen, Zähne, die Zunge eines Älteren, eines jungen Menschen. Unter einer ihrer Hände löst sich der Apfel, rollt auf und ab, über Knochen eine Leere, die weh tut. Alice fährt zusammen, rasch wirft ihre andere Hand den Apfel vom Baum auf den Boden. Wie früh als Kind spürt sie den Kopf im Nacken, die Tropfen bis zum Hals. Gehen wir, der Fluss tritt über seine Ufer. Sie schluckt, steigt hinunter. Wohin? Ein Haus unter ein Dach, die Stadt liege ja Wochen, Monate entfernt. Entlang eines Labyrinths von Wasserwegen sinken ihre Schritte in eine triefende Landschaft. Früher fuhren hier Fischer auf Flachkinnen, erzählt Max, zeigt, wie aus alten Netzen Moos wächst. Pflanzen vermodern hier mit Fischen, mit Krebsen. Wo die Erde mehr nachgibt als sonst, glaubt Alice, in ein Loch zu kippen. Kurz wird ihr schwarz vor Augen. Dann grüne Blätter verdecken den Mann von Schritt zu Schritt wie verrückt, geht er ihr voraus. Bäume springen nach rechts, wenn er links sich hält. Alice schwankt, geht in die Hocke wie ein Frosch. Sie weiß nicht, ob ihr heiß oder kalt, ob es ihr Schweiß, ihr Fieber ist oder das Wetter in ihrem Gesicht. Die Beine sind taub, die Hände auf den Knien glühen im Dunkeln. Alice, die Stimme ist nahe, ein Knistern in ihrem Ohr. Gregor, bist du das? Dann hast du das Schwimmen also nicht verlernt. Gegen den Strom hat er sie eingeholt. Sie waschen ihre Hände. Ihm ist es ernst, sie lacht. Gregor? Schwimmt er weiter ohne sie? Alice, Max, bist du das? Kommt sich an, hinter Max nicht zurückzufallen. Statt einer Lampe leuchtet in seiner Hand ein Vogel. Es sieht aus, als hielten seine Finger ihn an den Federn. Grün, gelb um den Hals. Ein rot-oranger Kopf. kopf was sie den älteren mann sagen fürchten menschen am meisten am wenigsten habe wasser einen sinn für ordnung es sei gegen identität tradition unbegradigt ohne deich und Graben sind Flüsse ein freies Spiel. Er lächelt. Den Vögeln ist das ziemlich gleich. Alice nickt. Ich glaube, den Fischen auch. Vielen Dank für die Lesung und das Gespräch. Man merkt, es ist einfach lyrische Erzählkunst. Ich möchte nichts gegen John Irving sagen. Es ist lustigerweise gestern, glaube ich, eine Aussendung gekommen, dass ein neuer Roman von ihm erscheinen wird. Gut zu wissen. Dein Buch, in dem richtigen Tempo gelesen gibt, genauso lang aus und nimmt weniger Platz im Regal weg als seine tausend Seiten. Ja, vielen Dank für das schöne Gespräch. Vielen Dank, Sarah. Dann mache ich jetzt Platz. Und ich darf Wolfgang Herrmann und seinen Herrn Faustini zu mir bitten. Jetzt ist ein kleiner oder auch großer Bruch. Nach dieser Expedition auf eine Insel irgendwo schwer fassbar, betreten wir nun die kleine oder vielleicht auch nur scheinbar kleine Welt des Herrn Faustini. Er ist als Held dieser Bücher längst in Serie gegangen, vor fast 20 Jahren, 2006 ist das erste Buch erschienen, Herr Faustini verreist und der neue Roman ist nun eben schon der sechste Band mit ihm und trägt den schönen Titel Herr Faustini und die Glatze der Welt. Jetzt wird mir auch bewusst, warum ich als Moderator angefragt wurde und nicht Christian Schacherreiter, der im Publikum sitzt. Es beginnt so, es ist das Anfangsbild, er sitzt vor dem Fernseher abends und sieht einen Herrn in die Kamera, sprechen die Theorie, dass immer jüngere Männer Glatzen bekommen würden und das würde damit zusammenhängen, dass immer größere Flächen gerodet oder verwüstet werden. Da hat man sogar einen kleinen Bezug zum Buch von Sarah Kuratle. Das ist nur die Eingangsszene und der Titel. Mit Herrn Faustini spaziert man durch die Welt und betrachtet sie durch seine Augen. Und man kann sagen, im Kleinen und in der näheren Umgebung ist ja eh schon fast alles angelegt, was die große Welt bieten würde. Also man muss quasi nur vor die Haustüre treten und findet ganz vieles vor. Angesiedelt ist das Ganze in einem Dorf am Bodensee, dort flaniert er herum, betritt ausnahmsweise wieder einmal die Kirche oder geht ins Bahnhofscafé. Es begegnet Menschen, die Wolfgang Hermann trefflich porträtiert, und es werden Szenen von Begegnungen geschildert. Unter anderem, das ist die zweite Hauptfigur im Buch, kann man glaube ich sagen, ein trauriger Glatzkopf namens Martin mit einem Eichhörnchen, das ihn treu begleitet. Ja, Herr Faustini wäre noch nicht gern ein heiterer, vielleicht ein wenig naiv erscheinender Mensch, der das Gute will und das Positive sucht, dabei aber auch einen gewissen Hang zur Melancholie in sich trägt. Die meines Erachtens diesen Büchern eingeschriebene Botschaft war wahrscheinlich vor 20 Jahren schon gültig und ist es heute mehr denn je. Es geht darum, wie man durchs Leben geht und schaut, wie man den einzelnen Menschen sieht und begegnet, jeden Menschen mit seinem Leid, mit seiner Freude, die er in sich trägt, wahrzunehmen und wie man einander begegnet und zugewandt ist. Es sind, da wird das, glaube ich, missverstanden, vielleicht, es sind keine irgendwie putzigen Bücher, im Grunde ist es auch beinharte Protestliteratur gegen die Zerstörung der Natur, gegen den Raubtierkapitalismus und, und, und. Allerdings ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Freude und leiser, schelmischer Ironie. Damit, glaube ich, können wir den Herrn Faustini wieder aus seinem Haus schicken oder in sein Haus hineinblicken. aus seinem Haus schicken oder in sein Haus hineinblicken. Herzlichen Dank, Sebastian Fasthuber. Und ganz herzlichen Dank an das ganze Team des Stifterhauses, an Frau Püringer und Marlene Gölz und Herrn Kögelberger für die Einladung hierher. Ich freue mich sehr. Kögelberger für die Einladung her, freue mich sehr. Und ja, ich lese Ihnen eine kleine Stelle aus dem Anfang des Buches vor. Herr Faustini sah im Fernsehen, wie riesige Fellgreifer in Alaska Bäume umklammerten, Fellgreifer in Alaska Bäume umklammerten, absägten, entasteten, schälten und zerkleinerten, als wären sie Zahnstocher. Herrn Faustini beschlicht dabei ein mulmiges Gefühl. Diese mächtigen Bäume hatten mehr als ein Menschenleben lang ihren Schatten auf den Waldboden im fernen Alaska geworfen, um nun im Minutentakt zu verschwinden. Herr Faustini glaubte, den Aufschrei der Erde zu spüren, der diese Maschinen ihre Kinder entrissen. Er richtete sich so ruckartig in seinem Ohrensessel auf, dass der Kater von seinem Schoß sprang. Herr Faustini hatte den Gedanken der alten Naturreligionen, die Erde sei als Ganzes ein Lebewesen, schon immer anziehend gefunden. Denn wer die Erde als Spenderin allen Lebens, als Mutter verehrte, der fügte ihr nicht solche Verletzungen zu, wie der moderne Mensch es tat. Herr Faustini schaltete den Fernseher aus und trat auf die Terrasse. Der Kater strich durch den Garten, blieb stehen, drehte sich um und miaute, als würde er Herrn Faustini auffordern, es ihm gleich zu tun. Der Garten lag in Dunkelheit. Dorthin folgte Herr Faustini jetzt dem Kater, der durch die Hecke kroch, um seine nächtliche Inspektionsrunde anzutreten. Viel Herr Faustini legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Sommernachthimmel. Die Tage der Perseiden rückten näher und tatsächlich glühte schon die erste quer über den Himmel. Für Herrn Faustini, der süchtig nach den klaren, lauen Sommernächten war, war nicht Weihnachten oder Silvester der Höhepunkt des Jahres. Es waren die Perseidennächte mit ihren lautlos über das Firmament sausenden, feuerschweifend verglühender kometen ach unendlichkeit herr faustini hatte vor vielen jahren einer bekannten bei einem nachtspaziergang in den bergen während der perseiden nächte die sternschnuppen gezeigt die alle augenblicke übers firmament rasten er hatte geschwärmt von diesem schauspiel während seine Begleiterin mit jeder Sternschnuppe übellauniger geworden war. Auf Herrn Faustinis Frage, ob es ihr gut ginge, hatte sie erwidert, sie ertrage den Blick in die Unendlichkeit des Universums nicht, weshalb sie üblicherweise Nachtspaziergänge unter wolkenlosem Himmel meide. Wolkenlosem Himmel meide. Nur seinet und ihrer guten Bekanntschaft wegen habe sie die Einladung zum Perseidenspaziergang angenommen, denn eigentlich hasse sie Spaziergänge unter wolkenlosem Nachthimmel. Sie machten ihr Angst, und zwar nicht, weil die Nacht im Allgemeinen ihr Angst mache, vielmehr sei es der Blick ins Universum, der ihr unerträglich sei. Herr Faustini entschuldigte sich dafür, dass er sie, ohne an die Folgen zu denken, in die Perseiden-Nacht auf den Berg mitgenommen habe. Er habe angenommen, eine solche Nacht der tausend Sternschnuppen würde ihren Gefallen finden. Nicht im geringsten, erwiderte die Bekannte schroff. Herr Faustini ersparte sich ein Aha oder so so oder weshalb. Er sagte gar nichts. Von selbst sagte die Bekannte schließlich mit leicht belegter Stimme, der Blick ins Universum sei für sie unerträglich, denn er zeige ihr, wie klein und nichtig ihr Leben sei. Diese Vorstellung mache ihr Angst und auf Angst reagiere sie nun einmal mit Wut. Das sei die wohl gesündeste Reaktion darauf. Ob er, Herr Faustini, das nicht auch so sehe? Gewiss, gewiss, hat der Herr Faustini gemeint, er sehe das genauso, wobei er das nur aus Höflichkeit behauptete. In Wirklichkeit war er beunruhigt über den Geisteszustand seiner Bekannten, die er in dieser lange zurückliegenden Nacht so rasch wie möglich vom Berg herunter und nach Hause vor ihre Tür gebracht und sich fluchtartig aus dem Staub gemacht hatte. Er hatte keine Minute von der wertvollen Perseiden-Nacht verlieren wollen. So mochte es sein, dass er gegen seinen Höflichkeitskodex verstoßen und seine Bekannte ratlos zurückgelassen hatte. Jedenfalls fand er damals, als er später in der Stille der magischen Nacht allein am Seeufer stand, sein Gleichgewicht wieder. Von seiner Bekannten hörte er freilich nie wieder ein Sterbenswort. Als Herr Faustini zurück ins Haus trat, brauchte er ein wenig Lärm. Er schaltete den Fernseher ein. Gerade in diesem Moment sagte einer, der aussah, wie man sich einen weisen Mann vorstellte, die um sich greifende frühzeitige Glatzenbildung junger Männer hänge ursächlich mit der Rodung und Verwüstung weiter Flächen unseres Planeten zusammen. Die Ähnlichkeit einer Glatze mit der entblößten, vergewaltigten Erde liege doch auf der Hand. Wer sehen könne, der sehe genau hin. Die Erde räche sich, indem sie die jungen Männer früh ihres Kopfhaars beraube, Sinnbild der geschundenen, kahlgeschlagenen Erde. Herr Faustini ging rasch ins Badezimmer, neigte vor dem Spiegel seinen Kopf und betastete ihn, teilte mit beiden Händen eine Locke und forschte nach Spuren des Haarausfalls. Gott sei Dank sah sein Kopf noch nicht aus wie die geschundenen Wälder Alaskas. Aber hatte der weise Mann nicht gesagt, die Rache der geschundenen Erde treffe vor allem junge Männer, aus denen sie Glatzköpfe mache? Nun, Herr Faustini war kein junger Mann mehr. Und ob ihn die Weltglatze in seinem Alter, in seinem stillen Haus, in der Abgeschiedenheit noch finden würde? Selbst wenn, der Kater würde sich an Herrn Faustinis neuer Glatze nicht stören. Musste man sich die Menschheit der Zukunft als Glatze vorstellen? Musste man sich die Menschheit der Zukunft als Glatze vorstellen? In letzter Zeit ging Herr Faustini nur noch selten in die Dorfbücherei. Nicht, weil er die Lust am Lesen verloren hatte. Nein, Herr Faustini ertappte sich sogar dabei, wie er Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, mit Genuss wieder las. Satz für Satz, Bild für Bild spazierte er durch Lebens- und Lesebilder aus seiner Kindheit. Mit Jim Knopf reiste Herr Faustini mühelos durch die Zeit, er genoss es Seite für Seite. Im Laufe der Jahre hatte er die Dorfbücherei regelmäßig frequentiert, hatte auch dann und wann nicht für sein Alter vorgesehene Bücher ausgeliehen und sich wie ein Kind aufs Lesen und Wiederlesen gefreut. Die Leiterin der Bücherei, Fräulein Ingrid, grüßte ihn je nach Wind und Wetter einmal mit lieblichem Lächeln, ein andermal mit kurzem Kinnrecken. An trüben Tagen, oder woran mochte es sonst liegen, drehte sie ihm beharrlich den Rücken zu, wofür Herr Faustini Verständnis hatte, denn wer war an trüben Tagen schon immer guter Laune. Mit den Jahren prüfte Herr Faustini, ehe er zur Dorfbücherei aufbrach, den Himmel nach Gewitterfronten, Wetterstürzen und anderem Ungemach, um schon im Vorhinein Fräulein Ingrids Laune abschätzen zu können. Doch manchmal gab es das Paradoxon der umgekehrten Wirkung der Witterung auf Fräulein Ingrid. Herr Faustini betrat in Erwartung von Fräulein Ingrid einmal mehr, wie Luft behandelt zu werden, die Dorfbücherei, als sie ihn mit einem freundlichen, beinahe liebenswerten Lächeln begrüßte. Herr Faustini grüßte begeistert mit seinem freundlichsten Lächeln zurück. Auf das Wetter war also kein Verlass, denn es standen schwere, dunkle Wolken über der Dorfbücherei, die jeden Augenblick darauf abregnen konnten. Sollten sie nur, denn Herr Faustini und Fräulein Ingrid waren geborgen im Trockenen und noch dazu hatte Fräulein Ingrid Herrn Faustini so freundlich begrüßt wie schon sehr lange nicht mehr, möglicherweise sogar noch nie. Am Wetter lag es also nicht. War Fräulein Ingrid verliebt? Herr Faustini suchte in ihrem Gesicht nach Spuren einer erfüllten Liebe. Er konnte aber keine entdecken, denn erstens wusste er nicht, wie solche Spuren aussahen und zweitens gab es in Fräulein Ingrids Gesicht keinerlei Spuren von irgendetwas zu sehen. Es sei denn, sie nahm einmal ihre Brille ab, was selten vorkam. denn sie nahm einmal ihre Brille ab, was selten vorkam. Bei einer dieser seltenen Gelegenheiten hatte Herr Faustini den Abdruck der Brille auf Fräulein Ingrids Nase gesehen, doch das war alles, was er je an Spuren in ihrem Gesicht gefunden hatte. Mochte Fräulein Ingrid verliebt sein oder nicht, woran hätte Herr Faustini das schon erkennen können? Sie hätte vielleicht eine neue Brille getragen, eine rote womöglich, anstelle der immer gleichen schwarzen, die ihrem Gesicht etwas Hartes verlieh. Er überlegte bereits des Längeren, ob er Fräulein Ingrid zu einem anderen Modell raten dürfte, das ihre Gesichtszüge weicher gestalten würde als ihre kalte, schwarze, bilberte Karsbrille. Doch er hütete sich davor, sie darauf anzusprechen, aus Furcht für den Rest seines Lebens mit dem Anblick ihres ihm demonstrativ zugekehrten Rückens vorlieb zu nehmen. Das wollte er nicht riskieren, schließlich war die kleine Dorfbücherei einer seiner bewährten Unterschlüpfe, wenn er sich in seiner Weltgegend verloren fühlte. Fürs Verlorenfühlen gab es in dieser Weltgegend reichlich Gründe. Kein Wunder bei dem vielen Wetterfühligen, denen er hier begegnete. Herr Faustini strich, noch immer erwärmt von Fräulein Ingrids freundlicher Begrüßung durch die Gänge zwischen den Buchregalen. Er suchte nicht nach Katalog, vielmehr schlich er wie ein Spürhund durch die Bibliothek, nahm ein Buch aus dem Regal, schnupperte daran, las Titel und Name des Autors oder der Autorin, schlug es auf, las die ersten Sätze und wenn er eine Art von Hauch spürte, irgendetwas, das man mit dem Aufblühen einer inneren Blume vergleichen könnte, nahm er das Buch und setzte sich damit an einen Lesetisch. So zumindest lief die Eroberung eines neuen Buchs bei Herrn Faustini in der Vorstellung ab, denn eigentlich war ihm dergleichen noch nie widerfahren, das mit der inneren Blume nämlich. Aber er stellte es sich vor und schon wurde ihm angenehm warm in der Magengrube. Da sah er einen Namen auf einem Buchrücken, den er vor noch nicht langer Zeit in Zusammenhang mit einem deutschen Buchpreis gehört hatte. Er nahm das Buch aus dem Regal, schlug es auf und wollte sich nun gerne von dessen Zauber verführen und seine innere Blume zum Blühen bringen lassen. Er las den ersten Satz. Es ist hart, immer für andere, für mich nicht. Denn ich bin es einfach, der Beste. Und zwar immer. Eigentlich war das nicht nur ein Satz. Wie viele Sätze waren das? Waren das überhaupt Sätze? Heute würde es nichts werden mit dem Erblühen der inneren Blume, nicht mit diesem Buch. Herr Faustini stellte es zurück an seinen Platz. Eigentlich hatte er Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, zurückgeben wollen, doch nun, nach dem unverdaulichen Satz des lobgepriesenen Buchs, beschloss er, das geliebte Kinderbuch noch einmal zu lesen. Er verabschiedete sich mit seinem freundlichsten Lächeln von Fräulein Ingrid, die ihn ebenso freundlich entließ, obgleich noch immer schwere schwarze Wolken über der Dorfbibliothek treuten. Draußen vor der Tür lenkte er seinen Schritt aus Gewohnheit heimwärts, als er mit einem Mal das Ticken der Küchenuhr hörte. Nein, dieses Ticken wollte er jetzt nicht hören, so kehrte er um und wandte sich Bahnhofwärts. Im Bahnhofscafé würde er Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ein weiteres Mal lesen, ohne die Küchenuhr zu hören. Zwar würden ihn Leute vom Lesen abhalten, aber sie würden ihn ans Leben heranbringen. Wer weiß, ob er auf die Fragen eines, der nicht weiter wusste, vielleicht eine Antwort hätte. Er dachte an eine Art Stammplatz, von dem sich herumsprach, dass Herr Faustini dort anzutreffen war. Vielleicht würde eine stille Institution aus ihm werden, jemand, der Dinge wüsste oder zumindest irgendwie ins Lot bringen könnte. Naja, so träumte Herr Faustini eben vor sich hin, denn es gab und gibt graue Nachmittage, an denen in dieser Gegend der Welt und nicht nur in dieser das Leben nicht von der Stelle rückt, wo alle Uhren dahin zu siechen scheinen, wo das Tropfen eines schadhaften Wasserhahns das einzige Lebenszeichen weit und breit ist. An solchen Nachmittagen sollte niemand alleine sein. Das Land, in dem Lukas, der Lokomotivführer, lebte, hieß Lummerland und war nur sehr klein. So begann Herr Faustini, das geliebte Kinderbuch noch einmal von vorn zu lesen. Und siehe da, die Blume in seinem Innern begann endlich zu blühen. Soweit dieser erste Abschnitt. Ein Lob des Lesens und ein Lob des Lesens in Gesellschaft, könnte man sagen. Und ein subtiler Seitenhebauf. Nominierte Buchpreis Prosa. Man darf natürlich die Figur niemals gleichsetzen mit dem Autor, aber diese Art zu lesen, dass man doch irgendwie einen Zauber sucht, verbindet dich das mit dem Faustini? Ja, für mich muss Literatur einen Hauch haben, eine Aura. Das heißt, ich muss ein inneres Bild spüren, ich folge diesem Bild und dann kann ich folgen. Aber wenn es keine Bilder gibt, wie so intellektueller, eben ich bin der Beste. Da muss ich nach einem Satz aussteigen als Leser, weil das eben kein Bild ist, kein Hauch, keine Aura. Das heißt da suche ich nach diesem, was da so aufgeht. Und darum oft auch eben in älteren Texten, alten, von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, bis ins 19. Jahrhundert, wo ich, ja, aber gut, das ist ja hier nur ein, das ist natürlich eine Komödie so ein bisschen, das ist hier da. Wie ist denn der Faustini an deinen Schreibtisch getreten, vor 20 Jahren. Erinnerst du dich daran? Ja, gar nicht an den Schreibtisch, sondern bei einem Spaziergang, damals am Bodensee, war der plötzlich vor mir, als Bild irgendwie. Und da habe ich gedacht, also er war so lebendig für mich, dass ich irgendwie ihn begleiten wollte, diese Figur. Weil er war für mich eigentlich auch ein Rettungs-, eigentlich kam er, um mich zu retten. Weil mir ging es damals, ich hatte eine sehr schwierige Zeit damals und das war für mich wie ein inneres Licht, diese Figur. Dann bin ich ihm gefolgt und habe dieses erste Buch geschrieben und gedacht, das war es. Aber er kam dann immer wieder irgendwie. Ich habe andere Dinge geschrieben und plötzlich stand schon wieder der Faustini da. Ich habe andere Dinge geschrieben und plötzlich stand schon wieder der Faustini da. Das muss offensichtlich eine angenehme Verbindung sein, wenn man die so lange aufrechterhält. Es ist interessant, du bist ja aufgewachsen in Vorarlberg, aber lebst schon lange in Wien, vorher andere Stationen, dass er dann doch in dieser Landschaft gekommen ist und dass er ja auch dort verortet ist, letztlich am Bodensee. Ja, gerade weil er ja so eine Figur ist, die immer ein bisschen das Weite sucht und immer die Ruhe. Er hat zwar Sehnsucht nach Begegnungen mit anderen Menschen, aber wenn es ihm zu dicht wird und so, und er ist nicht wirklich eine Großstadtfigur, und darum in einer Gegend, in der es viel, es gibt viel Gegend, ja. Und er begegnet, und alles ist eher einzeln, also er begegnet Einzelnen und nicht Massen von Menschen. Während ich ja früher, vor allem als ich jünger war, habe ich mich eher nach den Großstädten schreibend, eher mit Großstädten auseinandergesetzt. Aber würdest du dem zustimmen, was ich in der Einheitung gesagt habe, dass man eigentlich auch in diesen kleinen Strukturen, und sobald man bei der Tür rausgeht, eigentlich eh alles finden kann, genauso. Da muss man nicht in eine Großstadt gehen. weil man bei der Tür rausgeht eigentlich eh alles finden kann, genauso. Da muss man nicht in eine Großstadt gehen, oder? Man war vielleicht einmal dort oder eine Zeit lang da gelebt, aber man muss nicht ständig dort sein, um irgendwie die Welt erfassen zu können. Nein, das muss man überhaupt nicht. Jetzt ist ja eher durch diesen digitalen Wandel unserer Gesellschaft und so, ist ja das sowieso völlig anders als die Faszination sagt, Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Oder dann eben New York im 20. Jahrhundert. Und heute ist ja eher die Peripherie, ist erstens auch ein Sehnsuchtsort von Leuten, die in der Stadt überfordert sind oder so, die sagen, ich möchte mal zu mir kommen und ich muss mich irgendwie beruhigen draußen auf dem Land. Schön ist halt, wenn man beides haben kann, wenn man aber Faustini ist ja kein realistisch Figur. Wir können beides haben im Buch. Das ist jetzt kein Spoiler, was wir machen. Das zieht ihn dann ungewöhnlich weit für seine Verhältnisse weg. Und die zweite Hälfte mehr oder weniger des Buches ist dann in Wien angesiedelt, also es gibt dann doch auch Stadt. Wie funktioniert das eigentlich, das Schreiben? Weißt du im Vorhinein oder überlegst du dir das im Vorhinein schon konkret, wie sich die Handlung entwickeln wird oder, und das ist meine Vermutung, ist es für dich so überraschend, wie manchmal für den Leser, welche Wege der Faustini einschlägt? dich so überraschend wie manchmal für den Leser, welche Wege der Faustini einschlägt? Ich habe eigentlich zuerst so einen Kern, so einen Nukleus, wo ich sehe, da könnte sich etwas bilden, ein Körper sozusagen könnte da entstehen aus diesem Bild entstehen und dann versuche ich dem zu folgen und hoffe, dass das wächst und dass daraus eben eine Folge werden kann, eine Geschichte, die in Bilderfolgen sich auffächert. sich auffächert, kann aber auch schiefgehen. Weil ich kenne natürlich das Ende nicht, ich habe ja auch keine Botschaft, also ich habe nicht gedacht, ich muss einen Roman über die Abholzung der Wälder schreiben, um Gottes Willen, sondern nur dieses Bild, dieses paradoxe, völlig verrückte Bild, dass da einer im Fernsehen sagt, die Abholzung des Amazonas und so weiter, das bewirkt die Häufigkeit der Glatzen. Das ist natürlich vollkommen absurd. Aber ich fand, es war so ein Anstoß, um irgendwie weiterzugehen. Und dann wird das ja eher eine Liebesgeschichte oder eine Sehnsuchtsgeschichte und auch eine Freundschaftsgeschichte, diesen verlorenen Menschen, den er da in einem ziemlich verlorenen Bahnhofscafé kennenlernt, der ihm eigentlich eine erschütternde Geschichte erzählt. Und er hat das Gefühl, weil Faustini ist ja ein Mensch, der will auch für andere da sein. Und der sagt, ja, wenn du mich brauchst, ich fahre mit. Und so kommen sie nach Wien. wenn du mich brauchst, ich fahre mit. Und so kommen sie nach Wien. Es ist natürlich, wenn die Figur, wir haben es gehört, es ist nicht mehr kein junger Mann mehr, wenn die Figur älter wird, sammelt sich etwas an. Es ist schon auch ein Roman, in dem der Fossini relativ viel zurückblickt, Reisen in die Vergangenheit auch unternimmt, Bilder aus der eigenen Jugend sieht und denen auch wieder folgt. Aber das bleibt wahrscheinlich nicht aus, wenn die Figur auch älter wird mit den Büchern, oder? Ja, bestimmte Straßenecken in Wien, die er da bewusst aufsucht, weil er als Student eben da gelebt hat. Und dann kommen ihm mit diesen Orten, kommen natürlich eine ganze Kette von Erinnerungen, wie er zum ersten Mal in Prag, im damals noch kommunistischen Prag war oder eben im damals noch kommunistischen Ungarn und so. Und das sind ja sehr schräge und verrückte Reiseerinnerungen. Und dann, ja, aber das dreht sich ja dann noch auch in eine sehr schöne Begegnung, die unverhofft irgendwie. Und Faustini ist ja zwar ein sehr liebender Mensch, er liebt, glaube ich, nicht nur das Leben, sondern er sucht Menschen oder hat Sehnsucht nach anderen und in einem sehr offenen, liebevollen, aber er ist ja eigentlich ein sehr einsamer Mensch, der aber nicht eben nur in seinem Sessel sitzen will. Und er ist sehr neugierig und dann kommen auch plötzlich Leute auf ihn zu. Aber die traurige Geschichte ist natürlich, dass von diesem völlig wirklich fast missbrauchten Menschen, den er da kennenlernt und begleitet. Für mich gibt es dann doch irgendwo eine Botschaft, denn er ist traurig, auch Faustini, sagt er mal, er blickt zurück und hat auch teilweise eine traurige Kindheit gehabt, dass aus traurigen Kindern und Menschen, die ein bisschen einsam sind, dass aus traurigen Kindern und Menschen, die ein bisschen einsam sind, auch nicht unbedingt unzufriedene, frustrierte Menschen werden müssen. Ja, genau. Wenn man ein bisschen so wie Faustini auf die Welt blickt. Ja, er hält an diesem Licht fest gegen alle Verzweiflung, gegen alle Wahrscheinlichkeit, dass man rauskommt aus so einer Geschichte wie zum Beispiel dieser Martin, so eine traurige Psychiatriegeschichte, in der er war als Jugendlicher. Und Faustini nimmt das alles mit irgendwie einem leichten Schritt und hilft so auch dem anderen irgendwie wieder ein Stück mehr zum Leben. Noch eine Frage. Diese sechs Bücher jetzt zusammengenommen würden einen schon dicken Roman ergeben, den großen Faustini sozusagen. Aber genau, du schüttelst dich auf, das widerstrebt dir unter den Gepflogenheiten und Überzeugungen als Schriftsteller, oder? Ja, es gibt diesen Faustini-Kosmos irgendwie. Das ist eine eigene kleine Welt, aber eben das ist eine kleine Welt. Und ich kann nicht so tun, als wäre das Krieg und Frieden. Also das wäre unangemessen und aufgeplustert, wenn jetzt, was ich, nur damit sich das besser verkauft oder welche Argumente immer, schreib endlich einen, ich meine, das habe ich natürlich schon oft gehört, diese Aufforderung der Verleger, schreib doch endlich mal einen richtigen Roman, das heißt 300 Seiten oder so, nicht immer diese, ich schreibe das, was die Geschichte für mich formt und ich kann das nicht strecken auf 300. Das wäre, da würde ich einschlafen und die Leser auch. Also schreibe ich lieber zehn kleine, auch wenn das gegen jede Vernunft, aber das ist sowieso gegen jede Vernunft, überhaupt ein Buch zu schreiben. Ist einem sowieso nicht zu helfen. Und der nächste ist ja schon geschrieben, habe ich gehört. Es geht weiter. Es geht weiter, leider. Es geht weiter. Es geht weiter, leider. Ja, also weil irgendwie... Dann gehen wir ins Bahnhofscafé. Okay, noch eine Abschlussstelle. Als Herr Faustini in der Bahnhofshalle stand, spürte er beim Rattern der Rollkoffer, die die Reisenden hinter sich herzogen, wie die Zeit seiner Kindheit in dieser Halle eingeschlossen war. Murmelnd beisammenstehen, nicht weit davon hatten sich die heimischen Säufer eingerichtet, die einen solchen Gestank verbreiteten, dass sich der kleine Herr Faustini fern von ihnen hielt. Er betrachtete ihre rotgesoffenen Gesichter, hörte ihre lallenden Schimpftiraden und drüben am Kiosk, wo die schöne kalte Frau mit den roten Haaren regierte, wo die schöne kalte Frau mit den roten Haaren regierte, kaufte er, wenn er ein paar Groschen dabei hatte, Mannerstollwerk und eine Schwedenbombe. Die Rothaarige betrog ihn meist um eine Münze, doch er war zu verängstigt, um etwas zu sagen. Außerdem schrien und fluchten die Seufer an der Theke so laut, dass ohnehin niemand einen kleinen, verschreckten Jungen gehört hätte. Es gab damals am kleinen Bahnhof einen ganz besonderen Menschen. Er trug stets einen ausgebeulten Anzug, im Mund einen krummen Hund und auf seinem spitzen Kopf einen alten Hut. Es hieß, er warte auf seinen im Krieg verschollenen Sohn. Er ging stets auf den Bahnsteig hin und her und sah mit starrem Blick ins Leere. Er zog einen Fuß nach und er fixierte den kleinen Herrn Faustini auf so unheimliche Weise, dass dieser rasch seine Mannerstollwerk ergriff und über die Gleise und durch ein großes Loch im Maschendrahtzaun davonflitzte. Es war eine eigene Mutprobe, über die Gleise zu flitzen. Wenn Herrn Faustinis Schwester ein Eis vom Bahnhofskiosk wollte, sagte sie, wetten, du schaffst es nicht, in fünf Minuten zum Kiosk und mit einem Eis zurück. Wenn du es schaffst, bekommst du einen ganzen Schilling. Und Herr Faustini flitzte los. Herr Faustini hörte das Rattern der Rollkoffer um ihn jetzt nicht mehr. Er war wieder der kleine Herr Faustini, der mit einer Handvoll Mannerstollwerk in der Hand auf der Bank neben Opa Himmel halt machte. Er saß so gern neben dem alten Mann, der es gut sein ließ und sich einfach nur freute, dass Herr Faustini bei ihm saß. Er bot Opa Himmel ein Stollwerk an, aber Opa Himmel lachte nur und blies den Rauch von seinem krummen Hund aus. Herr Schesfrey, fragte Opa Himmel. Und ja, neben ihm auf seinem Bänkle hatte der kleine Herr Faustini es gut. Gehüllt in den Qualm des krummen Hundes verstand er schon damals, dass dies ein besonderer Augenblick war an der Seite des uralten Opa Himmel, den alle so nannten, weil er eigentlich längst in den Himmel gehörte. Opa Himmel lächelte über seinen Namen. Gott hat mich vergessen, sagte er nuschelnd und paffte an seinem krummen Hund. Ich bleibe nur ein Klele. Nicht lange darauf war Opa Himmels Bänkle verschwunden und er selbst im Himmel. Herr Faustini stand in Gedanken noch in der Wolke des krummen Hundes. Wie lange genau, wen kümmert's? Jedenfalls war es in der Bahnhofshalle jetzt ganz still, die Rollkoffer waren verschwunden. Er ging hinüber zum Bahnhofscafé, um Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, weiterzulesen. Dort schlug er das Buch auf und wollte mit Emma, der Lokomotive, weiter die Insel Lummerland umkreisen, als er einen nicht mehr ganz jungen Glatzkopf in der Ecke sah, auf dessen Schulter ein Eichhörnchen saß. Herr Faustini schaute zur Wirtin hinüber, die in einer Gratiszeitung blätterte und hin und wieder ein Hmm vor sich hin brummte. Das Eichhörnchen auf der Schulter des Glatzkopfes schien sie nicht zu stören. Herr Faustini drehte noch eine Runde mit Emma der Lokomotive, doch er musste immer wieder den Blick heben, um zu sehen, was das Eichhörnchen machte. Der Glatzkopf fütterte es mit einer Nuss, so knabberte es friedlich auf seiner Schulter. Kopf fütterte es mit einer Nuss, so knabberte es friedlich auf seiner Schulter. Als von der Nuss nichts mehr übrig war, umkreiste es in schwindelerregender Geschwindigkeit den Hals des Glatzkopfes. Der trank in aller Ruhe sein Bier. Herr Faustini hatte Probleme, sich auf Emma die Lokomotive in Lummerland zu konzentrieren. Er nippte an seinem Hagebutten-Tee, las eine Zeile, sah hinüber zum kreisenden Eichhörnchen, las dieselbe Zeile noch einmal, nippte wieder an seinem Hagebutten-Tee, sah wieder hinüber zum Eichhörnchen, das jetzt wieder an einer Nuss knabberte, wobei es seine Vorderpfoten so schön zum Mund führte. Herr Faustini überlegte, welches die richtigen Worte waren, die er an das Eichhörnchen und seinen Herrn, den Glatzkopf, richten konnte. Doch der kam ihm zuvor. Ein schönes Buch, das du da liest, sagte der Glatzkopf. Herr Faustini zeigte ihm den Buchtitel. Ich habe dieses Buch geliebt, sagte der nicht mehr ganz junge Mann, wobei sein Eichhörnchen im Kauen der Nuss innehielt. Ich habe mich damals gefragt, was Jim Knopf bei seiner Reise im Paket wohl durch den Kopf gegangen sein mag, weil Lukas, der Lokomotivführer, hat ihn doch per Post zugeschickt bekommen. Stimmt's? Herr Faustini war entzückt, endlich einen Leser dieses wunderbaren Buchs vor sich zu haben. Es hatte sich also gelohnt, Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, zum wiederholten Mal nicht zu Hause, sondern im Bahnhofscafé zu lesen. Das habe ich mich auch gefragt, sagte Herr Faustini, ob es nicht schrecklich beängstigend in dem Paket gewesen sein muss. Und als Jim Knopf 14 wird und der dicke König zu Lukas sagt, es sei kein Platz für einen weiteren Bewohner auf Lummerland, er müsse sich deshalb von der Lokomotive Emma trennen, das ist traurig, das finde ich jedes Mal beim Lesen. Ja, sagte der Glatzkopf, wobei das Eichhörnchen wieder mit dem Kauen innehielt. Das stimmt, so ging es mir auch jedes Mal. Sie haben das Buch auch mehrmals gelesen, fragte Herr Faustini. Mindestens fünfmal, antwortete der Glatzkopf. Und Jim Knopf und die wilde 13 dazu. Erstaunlich, wunderte sich Herr Faustini, die Wahrscheinlichkeit, hier in diesem Café jemanden zu treffen, der dieses Buch auch und sogar mehrmals gelesen hatte, war ziemlich gering. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Faustini. Martin, antwortete der Eichhörnchenmann, setz dich doch zu uns. Herr Faustini fand es reizend, dass der Glatzkopf von sich und dem Eichhörnchen als uns sprach, wie bei einem richtigen Paar, und setzte sich zu den beiden. Darf ich vorstellen? Luther, sagte der Glatzkopf und zeigte auf das Eichhörnchen. Sehr erfreut, Luther, sagte Herr Faustini. Luther, das Eichhörnchen, sah ihn mit seinen tiefbraun glänzenden Augen an, dann begann es wieder zu kauen. Du gefällst mir, sagte Martin unterm Arm. Sie gefallen mir auch, sagte Herr Faustini mit ihrem Luther auf der Schulter. Ich glaube, ich mache hier Stopp, oder? Weil sonst wird es zu lang. Ich hätte noch das nächste Kapitel. Ja, aber ich dachte, es wird vielleicht zu lang. Was sagt das Stifterhaus? Ja, wie spät ist es? Nein, ich habe nur wegen dem Gasthaus und so getan. Weil die Gasthäuser sind ja gnadenlos. Na, weil die Gasthäuser sind ja gnadenlos, oder? Herr Faustini las nach mehreren hagebotten Tees auf Martins Aufforderung aus Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, vor. Sogar die Wirtin des Bahnhofscafés hörte aufmerksam zu. Und auch noch drei andere Gäste, wobei einer davon laut schnarchte. Als Herr Faustini den letzten Satz vorlas, klatschte die Wirtin, sie hieß übrigens Gäste, wobei einer davon laut schnarchte. Als Herr Faustini den letzten Satz vorlas, klatschte die Wirtin, sie hieß übrigens Gerti, das erfuhr Herr Faustini nebenbei, als Martin nach ihr rief, um noch ein Bier zu bestellen und rief, bravo, und fügte hinzu, du liest herrlich vor, möchtest du das nicht öfters machen? Dafür geht der Tee aufs Haus. Gerti setzte sich neben Herrn Faustini und murmelte leise. Ich hätte so gerne einen Papa gehabt, der mir diese Geschichte vorliest. Hat er nie etwas vorgelesen, fragte Martin. Ich habe keinen Papa gehabt, murmelte Gerti. Mama auch nicht. Das tut mir sehr leid, sagte Herr Faustini leise. Bist du ein SOS-Kinderdorfkind, fragte Martin. Du auch? fragte Gerti. Nein, aber ich wäre lieber dort aufgewachsen als bei meinem Vater, antwortete Martin. Herr Faustini und Gerti schwiegen, erschüttert. etwas wie, kein Grund, Trübsal zu blasen, sagte Martin. Das Gute an der Zeit ist, dass sie vergeht. So auch die schlimmen Sachen. Gerti, Martin und Herr Faustini stießen auf die Zeit an, die vergeht. Gerti brachte Martin noch ein Bier. Manchmal ist es auch nicht gut, dass die Zeit vergeht, sagte Martin und starrte in sein Bierglas. Herr Faustini ließ ihm Zeit. Weil mein Vater hielt mich früh schon nicht aus. Er sagte, ich sei nicht normal, man müsse da etwas tun. Und er hatte auch eine Idee. Ein schlauer Psychiater meinte, am besten sei es, man schicke mich nach Wien in die Psychiatrie. Die würden aus mir einen gesunden Menschen machen. Herr Faustini war sprachlos, also nippte er an seinem Hagebutten-Tee. So kam es auch, fuhr Martin fort. Meine Mutter brachte mich mit dem Zug nach Wien. Wie ein Regenschirm gab sie mich in der Psychiatrie ab und fuhr wieder heim. Vater kam natürlich nicht mit, er regelte das per Telefon. Herr Faustini hätte Martin gern bei der Hand genommen, aber dafür kannte er ihn nicht gut genug, also nippte er wieder am Hagebutten-Tee. Man brachte mich in ein uraltes Krankenzimmer mit sechs Betten, dunkel war es in der Bude, düstere Flure, ein Arzt, der wie ein Wiesel ganz nah an der Wand entlang schlich, Pfleger, die einen grob am Arm packten und in einem Rollstuhl in eine andere Abteilung fuhren. Wie alt waren Sie, als Sie dorthin kamen? fragte Herr Forstini. 14 war ich, ein Landei, keine Ahnung von irgendwas, aber in diesem schlimmen Krankenhaus blieb einem nichts anderes übrig, als schnell erwachsen zu werden. Sonst gehst du unter. Aber dann, erzählte Martin, dann kam doch noch die Sonne in mein Leben. Ihr Name war Eveline. Ich traf sie auf dem Flur. Eigentlich durfte sie gar nicht in diese Abteilung, aber sie war neugierig und sie war lebendig. Sie war das Leben selbst. Und so zärtlich. In Martins Augen stand jetzt ein ganz eigener Glanz. Wir trafen uns heimlich. Jede Minute war kostbar. Sie war das Leben. Ohne Eveline hätte ich es nicht geschafft. Was ist aus ihr geworden, fragte Herr Forstini und bereute seine Neugierde schon. Der Glanz in Martins Augen verdunkelte sich. Nach zwei Monaten wurde ich wieder nach Hause geschickt. Was sollten sie auch mit mir anfangen? Ich war nicht verrückt, aber ohne Evelyn wäre ich ein Irrer geworden. Sie stopften mich voll mit irgendwelchen giftigen Tabletten. Ich spülte sie in die Toilette, wenn es ging. Oft zwangen sie mich, das Zeug zu schlucken. Später auf der Toilette wirkte ich es wieder heraus. Martin nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. Sie haben mitbekommen, dass Evelin und ich uns heimlich sehen. Dann war Schluss. Sie haben sie in ihrem Trakt eingesperrt. Ich konnte nicht mehr zu ihr. Bei der Entlassung fragte ich nach ihr, sie sagten mir nichts, auch nicht ihren Nachnamen. Meine Mutter stand irgendwann vor mir und fuhr mit mir mit dem Zug wieder heim. Mein Vater tat so, als sei jetzt wieder alles in Ordnung. Ich galt als geheilt. Wovon eigentlich? Auf jeden Fall habe ich den Alten ab dann nur noch ignoriert. Er schrie, er tobte, er schlug mich. Für mich war der Ofen aus. Ich ging aus dem Haus und kam nicht wieder. Zuerst zur Paketumleitung, dann Briefträger. Und hier bin ich. Freut mich, dich kennenzulernen, Fausti. Ich freue mich auch, sagte Herr Faustini. Danke, dass du mir deine Geschichte erzählt hast. Es tut mir sehr leid, dass du so viel Leid hast erleben müssen. Das Gute an der Zeit ist, begann Martin. Dass sie vergeht, stimmte Herr Faustini mit ein. Prost, rief Martin. Trink doch einmal was Ordentliches. Gerti, rief Martin, ein Bier für Fausti. Bitte ein Glas Weißwein, korrigierte Herr Faustini. Kommt sofort, antwortete Gerti. Luther, das Eichhörnchen, hatte, während Martin seine Geschichte erzählte, still verharrt und nur dann und wann mit seinem Schweif gezuckt. Jetzt, da wieder Bewegung in die Runde kam, kreiste Luther wieder um Martins Hals. Ist gut, Luther, ich weiß, du möchtest hinaus, du warst sehr geduldig, danke. Martin kraulte Luther am Hals. Was meinst du, sagte Martin zu Herrn Faustini gewandt. Wir könnten draußen am See eine Runde gehen, Luther zuliebe. Gerne, antwortete Herr Faustini, nippte an seinem Weinglas und war froh, dass er das saure Zeug nicht austrinken musste. Martin wandte sich dem Ausgang zu, als vertraute er darauf, dass Gerti aufschrieb. Herr Faustini bezahlte ihrer beider Zeche. Gerti drückte mit beiden Händen Herrn Faustinis Hand. Es war echt eine Freude, dich kennenzulernen, Fausti, und danke fürs Vorlesen. Und denk dran, bitte lies jederzeit wieder vor, der Wein geht dann aufs Haus. Am See wehte eine feuchte Brise, Luther lugte aus Martins Jackentasche, zuckte und zog seinen Kopf wieder ein. Martin und Herr Faustini gingen den Uferweg nahe des Klosters Mererau entlang. Herrn Faustini wurde dort meist mulmig in der Magenrube. Er dachte nicht gerne an seine Zeit an der Internatsschule zurück und er sprach auch nicht gern darüber. Auch Herr Faustini war einmal ein trauriges Kind gewesen, das zu Hause nicht viel zu lachen hatte. Er sah in der Erinnerung die scharfen Zähne seines Vaters bedrohlich gegeneinander scharren bei weit aufgerissenem Mund, aus dem Befehle, Anordnungen und Tadel zu hören waren. Ein rauer Ton herrschte in diesem traurigen Haus, in dem Herr Faustini seine Mutter oft weinen sah. Hilflos klammerte er sich an sie, und sie weinten gemeinsam. Aus dem traurigen Haus wurde er im Alter von zehn Jahren in das Klosterinternat verbannt. Willkommen geheißen wurden die Zöglinge von einem Uhu, der sich Pater Ulreich nannte. Bei den Zöglingen hieß er seiner Augenbrauen und seiner gelben Nachtaugen wegen vom ersten Tag an nur der Uhu. Der Uhu zeigte den Zöglingen die Zimmer, wo jeweils zwei von ihnen hausen würden. Jeder Zögling hatte seinen Spind, um seine Habseligkeiten einzuschließen. Der Uhu meinte mit süßlicher Stimme und hellgelbem Blick, sie würden sich hier bestimmt ganz bald so wohlfühlen, dass sie gar nicht mehr weg wollten. auf seiner Pritsche und fühlte nichts. Er wusste, er musste tapfer sein, durfte nicht seine Mama anrufen und sie bitten, ihn aus diesem Gefängnis abzuholen. Er wusste, er musste jetzt ein Großer sein, musste allein zurechtkommen. Wie hatte seine Mutter es nur zulassen können, dass er hier in dieser uralten Klosterschule sein musste? Fremd und unheimlich waren die langen Gänge, fremd die Gerüche, fremd jeder Schritt. Herr Faustini stellte sich auf die Zehenspitzen, versuchte aus den hohen vergitterten Fenstern zu schauen, doch er sah nur den kalten grauen Himmel. Die erste Unterrichtsstunde fand bei Pater Johnny statt. Pater Johnny stand in Mönchstracht hinter dem Katheder und musterte jeden einzelnen Schüler mit dem Blick eines Habichts. Er las die Namensliste vor, jeder Schüler hatte aufzuzeigen und hier zu rufen. Als die Reihe an Herrn Faustini kam und er hier rief, musterte Pater Johnny ihn eindringlich und sagte, was für ein seltsamer Name, wohl italienische Vorfahren, Ciccola. Sei's drum, von jetzt an heißt du bei mir Ringelpiz. Aus den Reihen der Mitschüler ein Kichern, das unter Pater Johnnies Blick augenblicklich verstummte und weiter ging es in der Liste. Als Pater Johnny beim Namen Strasser angelangt war, fügte er verächtlich hinzu, aha, Kinderdorfkind aus Dornbirn. Alle Köpfe drehten sich nach dem kleinen Peter um. Damit war sein Schicksal besiegelt. Der Schwächste war gefunden. Jemand, um den sich keiner kümmern, der niemandem fehlen würde. Jemand, den man fertig machen konnte. Und so war es auch. Ein paar Wochen später kannten schon alle das Ritual. Pater Johnny ließ die Jalousien herunter, im Klassenzimmer wurde es stockdunkel. Er zündete eine Kerze an, die seine Gesichtszüge unheimlich verdeutlichte. Dann spielte er die Melodie aus »Spiel mir das Lied vom Tod ab«. Herr Faustini und seine Mitschüler saßen starr in ihren Bänken. Keiner rührte sich. Als das Lied zu Ende war, begannen die mündlichen Prüfungen. Herr Faustini ging schlotternd nach vorn ans Katheter. Er hatte sich vorbereitet. Pater Johnny war mit Ringelpiz halbwegs zufrieden. Dann kam Peter nach vorne. »Ah, wen haben wir denn da?«, sagte Pater Johnny mit einem genüsslichen Grinsen. Unser Kinderdorfkind. Pater Johnny prüfte Peter hart. Niemand hätte seine Fragen beantworten können. So, so, das Kinderdorfkind weiß es nicht. Es weiß gar nichts. Es ist zu blöd, zu stur, zu dämlich für diese Schule. Pater Johnnies Stimme überschlug sich, er nahm den langen Rohrstock und schlug auf Peter ein. Der wand sich, schrie auf, Pater Johnny schlug nur noch fest dazu. Er schlug so lange, bis der Rohrstock auf Peters Rücken zerbrach. Da winselte Peter wie ein geschundenes Tier. Die Pausenglocke klingelte, Pater Johnny rauschte zur Tür hinaus. Herr Faustini eilte zu Peter und half ihm auf. Peter würde das Schuljahr an dieser Anstalt nicht beenden. Herr Faustini ballte am Uferweg in Martins Begleitung die Faust über der Erinnerung an das, was Pater Johnny getan hatte. Er würde ihn hier und jetzt gerne stellen, aber wer wusste schon, wo er war, ob er noch lebte. Er hatte vor langer Zeit gehört, Pater Johnny sei später, als Herr Faustini längst nicht mehr an dieser Anstalt war, mit einem Schüler in der Badewanne erwischt worden. Man habe ihn dann, wie das in diesem Land üblich war, in ein Kloster im Waldviertel abberufen, weit ab vom Schuss. Eine Strafe, geschweige denn ein Gerichtsverfahren, hatte er nie bekommen. Herr Faustini erwachte wie aus einem dunklen Traum. Neben ihm ging Martin und Luther, blinzelte aus seiner Mandeltasche. Das Gute an der Zeit war, dass sie verging, dachte Herr Faustini. Alles in Ordnung, fragte Martin. Du kamst mir gerade weit weg vor. Das war ich auch, sagte Herr Faustini. Ein paar dunkle Erinnerungen an diesen Ort. Ja, ja, die Pfaffen sind nicht ohne, sagte Martin und lachte. Nach und nach kommen da Sachen an die Oberfläche. Der gottlose Flied, fügte er hinzu, auch wenn niemand ihn jagt. Originalton König Salomo. Dieser Satz gab Herrn Faustini zu denken. War er etwa auf der Flucht und war er gottlos? Das waren unbeantwortbare Fragen. Besser war es, in die dunkelglänzenden Augen Luthers des Eichhörnchens zu schauen. Da ging eine andere Welt auf. Herr Faustini staunte über den Eichhörnchenfreund Martin, so wie er in seiner ausgebleichten Weste daherwatschelte, wer hätte ihm einen hellen Verstand zugetraut. Herr Faustini freute sich auf weitere schöne Überraschungen, die Martin ihm bereiten würde. Man muss sein Selbstbewusstsein unterirdisch entwickeln, dachte Herr Faustini, verborgen vor allen Blicken, nur so kann man sicher sein vor der Welt. Martin hatte es verstanden, sich vor der Welt in Sicherheit zu bringen, so viel Begriff, Herr Faustini, sonst hätte er nicht überlebt. Er war wohl wie auch Herr Faustini ein Meister beim Entwickeln einer eigenen Welt. Und das bedeutet, er war ein Meister in der Kunst des Überlebens. eigenen Welt. Und das bedeutet, er war ein Meister in der Kunst des Überlebens. Entwickle dich im Geheimen, verbirg, was du dir erkämpft hast, so wirst du eines Tages in deiner Stärke leuchten. So dachte Herr Faustini vor sich hin und er schmunzelte dabei, denn offensichtlich hatte der Spruch des Königs Salomo in ihm seine Wirkung getan. Weißt du was, sagte Martin, während Luther, der aus der Manteltasche geklettert war, nun wieder um seinen Hals wieselte. Ich habe so ein Gefühl, sagte er, als wärst du derjenige, mit dem ich mir vorstellen kann, auf die Suche nach Evelyn zu gehen. Einfach so nach Wien fahren, in der alten Psychiatrie anklopfen und nach ihr fragen. Die müssen doch noch Akten von ihr haben. Was meinst du dazu? Herr Faustini war sprachlos. Martin hatte gerade eine Deklaration seines absoluten Vertrauens in Herr Faustini abgegeben oder hatte er sich verhört? Sich Martins Erklärung nur eingebildet wegen der allzu großen Nähe zu seinem ehemaligen Internatsgefängnis? Ich bin sprachlos, lieber Martin, was soll ich sagen, sagte Herr Faustini bei sich selbst. Vielleicht bewegte er auch die Lippen dabei, aber es kam kein Ton heraus. Ich danke dir für dein Vertrauen. Du möchtest mit mir nach Wien fahren, nach deiner Evelyn suchen? Auf, auf, wir brechen auf ins ferne Wien, das ich selbst seit vielen Jahren nicht gesehen habe. Denn auch ich habe eine Geschichte dort, wenn auch keine bedeutende und schon gar keine erschütternde wie du, lieber Martin. Es tut mir furchtbar leid, dass dir so viel Leid angetan wurde dort und wohl auch hier, du tapfere Seele. Was hast du alles mitgemacht? Aber sieh dich an, wie herrlich du jetzt dastehst mit deinem Luther am Hals. Du bist ein Überlebenskünstler, ein Künstler des geheimen Lebens inmitten der grauesten Ödnis. Auf, auf, ja, ich komme mit dir nach Wien, tönet hell ihr Fanfaren. Martin, Luther und ich brechen auf in die Kaiserstadt. Das alles sprach Herr Faustini im Stillen vor sich hin. Als er den Mund öffnete, sagte er, Martin, wenn du mich brauchst bei deiner Spurensuche, bin ich dabei. Ich helfe dir, so gut ich kann. Wann fahren wir los? Du würdest wirklich mitkommen mit mir nach Wien? Ja, sagte Herr Faustini, wenn es dir hilft, komme ich gerne mit. Und im Stillen fügte er hinzu, vielleicht helfe ich damit auch mir selbst, wer weiß. Danke fürs Zuhören. Danke, Frau Kuhn-Hermann.