Keine Fahrt ins Blaue. Ein Beitrag von Otto Tremetzberger. Veröffentlicht in der Seuchenkolumne von Armin Thurnher, 4.2.2025 In der Medienbranche selbst, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, hat kaum jemand über „Medienfreiheit“ gesprochen. Offenbar in der Annahme, dass der heimische Journalismus ohnehin schon alles abdecke, was man als öffentliche und veröffentlichte Meinung für notwendig hielt. Außerhalb der Juristerei schienen Begriffe wie „Freie Meinungsäußerung“ und „Medienvielfalt“ geradezu punziert, linksextreme Kampfbegriffe, ein Tabu, über das man nicht reden wollte und brauchte. Weltanschaulich geprägte Ignoranz und journalistischer Hochmut gingen Hand in Hand. „Ja, wo kämen wir denn hin, wenn jeder …“ Diesen und sehr ähnlichen Vorbehalten bin ich in Gesprächen mit Politik, Verwaltung und Medienschaffenden in den letzten 25 Jahren begegnet, wenn es darum ging, bessere Rahmenbedingungen für „Alternative Medien“ zu verhandeln. „Alternative Medien?“. Darunter verstand man keineswegs immer AUF1, RT und FPÖ TV, sondern „Freie Radios“, „Community TV“ und eine Hand voll kleiner, unabhängiger, gemeinnütziger Printprodukte, deren Gemeinsamkeit darin bestand, dass man ihnen nicht über den Weg traute. Aber am Ende waren es nicht die „Freien Radios“, sondern Meta, X und andere, die mit ihrem radikalen Verständnis von „Open Access“ die Büchse der Pandora öffneten.Der Traum von der Freien Meinung ist zum Alptraum geworden. Heute dominieren rechte und rechtextreme Blogs, misogyne MAGA-Podcaster und selbsternannte „Free Speech Absolutisten“ wie Elon Musk die Debatte über „Freie Meinung“. Vor diesem Scherbenhaufen stehen wir, wenn wir heute im Vorhof einer FPÖ-ÖVP Bundesregierung über das hohe Gut „Medien- und Meinungsvielfalt“ reden. In der Welt von Elon Musk, Joe Rogan, Alice Weidel und Herbert Kickl ist „Freie Meinung“ keine Ergänzung im pluralen Meinungsangebot, sondern ein Frontalangriff: gegen Qualitätsjournalismus, gegen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, gegen Alles, das eine andere Meinung vertritt als sie selbst. Man kann nur hoffen, dass Christian Stocker und Alexander Van der Bellen in ihren diplomatischen Botschaften an das FPÖ-Koalitionsverhandlungsteam explizit auch deshalb ausnahmsweise von „Freien Medien“ sprechen, weil es endlich wieder darum geht, Begriffe wie diese vom Rand zurück „in die Mitte“ zu holen. Denn mit Freiheit und Pluralität argumentieren heute hauptsächlich deren Gegner. Die österreichische Medienlandschaft hat ihre Eigenheiten. Dazu zählt bei der Vergabe von Förderungen und Inseraten der Grundsatz, irgendwie und möglichst „Alle“ zu bedienen. Teilen und Herrschen. Auch über politisches Lagerdenken hinaus. In Österreich gilt „exxpressTV“ als förderwürdig, „heute“ bei manchen schon als Qualitätszeitung und Radioprogramme, die zwischen Möbelhausreklame, den gefühlten 37 Hits der 80er und 90er stündlich und in ungefähr 90 Sekunden das Wichtigste vom Tag bringen, als „positiver Beitrag zur Meinungsvielfalt“. Über Verwerfungen sieht man in der Regel hinweg, bis diese nicht verschwinden, sondern sich strukturell einwachsen. Außerdem gilt offenbar der Grundsatz: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie viele Jahre war eigentlich die Rede von einem medienkritischen Magazin im ORF, bis man dann endlich einmal im Monat „Doublecheck“ auf Ö1 zusammenbrachte? Viel zu oft und viel zu lange hat man die Medienkritik den Nischen und vor allem den Falschen überlassen und sich den „Marktplatz der Meinungen“ schöngeredet.Anlässe zur Empörung gab und gibt es genug. Die Verhaberung von Medien und Politik. Inseratenkorruption. Der Unmut darüber, wer überhaupt und welche Themen medial Gehör finden und worüber man noch reden oder berichten kann, darf und soll: Auch dieses Minenfeld und seine Bewirtschaftung hat man zu lange den Falschen überlassen. Zuletzt kursierte die besorgte Stellungnahme aus dem Kreis der Chefredakteure und Chefredakteurinnen. Christian Nusser hat diese in seinem Kommentar auf newsflix.at wohl zurecht „seidenweich“ genannt. Zu spät aber doch hat man eingesehen, dass es besser ist, die Definition von „Medienfreiheit“ nicht den Freiheitlichen zu überlassen. In manchen Leitartikeln schwingt bereits das mulmige Gefühl mit, dass man es doch zu weit getrieben habe. Einige, die aus ihrer Skepsis gegen Klimakleber, Marxisten und Zuckerlkoalitionen bislang wenig Hehl machten, finden sich im Glashaus wieder. Rundum liegen schon die Scherben einer Medienlandschaft in Erwartung des Umbruchs. Am Ende könnte es allen an den Kragen gehen. Aber wenn schon der Standard ein „Scheißblatt“, bürgerliche Tages- und Wochenzeitungen „linke Postillen“ und der ORF ein Propagandamedium sein sollen, was, auf dieser seltsamen Skala, sind dann Radio Orange 94.0 in Wien oder DORFTV in Oberösterreich? In den Freien Radios ist die Erinnerung an „Schwarz-Blau 1“ (2000-2003) noch wach. Die umgehende Kürzung und schließlich Streichung von Förderungen trieb die widerspenstigen Sender beinahe in den Ruin. Medienstaatssekretär Franz Morak, der Kritik auch persönlich übelnahm, riet den Betreibern, ihre Betriebe mangels Zukunft zügig abzuwracken.Man hielt trotzdem durch und 25 Jahre später ist man immer noch da. Sogar gestärkt. Der „Nichtkommerzielle Rundfunk“ und seine Förderung stehen im Gesetz. Der Sektor ist gewachsen und durchaus etabliert. Aktuell sind es 14 Radiosender und 3 Community TVs. Die ehemaligen Exoten sind weitgehend die einzigen noch immer zu 100% eigenständigen Lokal- und Regionalradios, die es in Österreich gibt. Und das mit engagierter Beteiligung von mehr als 3000 Ehrenamtlichen quer durch alle Bundesländer – von den Ballungszentren bis in die Dörfer. Die scheidende Türkis-Grüne Regierung hat die Förderungen für Medien insgesamt deutlich erhöht. Ein Fortschritt. Mächtige Verleger, prekäre Podcaster, kommerzielle Privatsender und auch Freie Radios und Community TVs profitierten. Wie gesagt: In Österreich kommen alle dran. Bis jetzt jedenfalls. Ein Thema, das auf europäischer Ebene zunehmend eine Rolle spielt, ist übrigens die Förderung von „Digital- und Medienkompetenz“. Also zum Beispiel die Fähigkeit, Informationen richtig einzuordnen und Desinformation als solche zu erkennen. Ob die nächste Regierung das auch so sieht. Man hat seine Zweifel. 25 Jahre nach „Schwarz Blau Eins“ und mindestens eine weitere FPÖ Regierungsbeteiligung später, muss man damit rechnen, dass erst recht eine Koalition aus FPÖ & ÖVP nicht nur den ORF, sondern auch die Freien Radios wieder ins Visier nimmt. Eine ganze Säule der österreichischen Radio- und TV-Landschaft stünde damit auf der Kippe. 150 Jobs. Täglich hunderte Stunden lokales redaktionelles Programm.Tausende Sendungen im Monat. Für engagierte Menschen aus der Bevölkerung, NGOs, Kulturvereine, heimische Bands (Stichwort: „Österreichische Musik“), Künstler*innen, Labels und Veranstalter wichtige Plattformen, die das kulturelle & gesellschaftliche Leben in Österreich abbilden und dokumentieren wie sonst niemand. Fallen diese Plattformen weg: Allen genannten Initiativen blieben dann Facebook und X als Öffentlichkeit, schon jetzt nicht die Garanten, sondern zunehmend die Müllplätze der Meinungsfreiheit. Aber reden wir nicht nur über das Streichen von Förderungen und Inseraten und befürchtete Kürzungen im ORF. Es ist an der Zeit, sich ganz grundsätzlich die Diskussion über „Freie Meinungsäußerung“ wieder zurückzuholen.« Otto Tremetzberger Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1492https://www.falter.at/seuchenkolumne/20250204/keine-fahrt-ins-blaue-ein…