SEIN - Zwischen Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit Das Foto-Kunst-Projekt „SEIN“ von Iris und Erik Diewald-Hagen, setzt sich mit den Themen Identität, Sichtbarkeit und Akzeptanz queerer Menschen auseinander. Zwölf Personen wurden in drei verschiedenen Porträts festgehalten: ein Kopfporträt, ein Körperporträt und die Darstellung der Personen, so wie sie sich am wohlsten fühlen. Die Bilder wurden mit einer 160 Jahre alten Holzkamera auf Glasplatten gefertigt, einem sog. Kollodium. Jede Aufnahme wurde aufwendig in einer der Regenbogenfarben entwickelt. Die Ausstellung fordert die Betrachter*innen heraus, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: „Welcher Körper gehört zu welchem Kopf?“ und somit mit der Komplexität von Identität. Ergänzt werden die Fotografien durch persönliche Zitate der Porträtierten, die tiefe Einblicke in ihre Erfahrungen, Herausforderungen mit Diskriminierung und Selbstfindungsprozesse geben. Zusätzlich festgehalten in einem Buch, welches parallel zum Kunst-Projekt entstand. Die Ausstellung wird noch bis zum 22.Juni 2025 im Foyer des alten Rathaus in Linz zu sehen sein und dann ab 24.Juni ins OK – offenes Kulturhaus in Linz weiterwandern. Was mich besonders daran interessiert hat, ist das Spannungsverhältnis und die Paradoxie, welche in der Hervorhebung / der „Zurschaustellung“ im Rahmen einer Ausstellung von 12 Personen, aufgrund von ihrer „Queernes“. Gleichzeitig wird der Anspruch erhoben, dass diese Personen eben nicht besonders sind, sondern Menschen, wie alle anderen. Sichtbar gemacht zu werden bedeutet hier: Sie sind Teil einer Minderheit, die Aufmerksamkeit verdient. Aber: Wird mit dieser Sichtbarkeit nicht zugleich eine Andersartigkeit betont, die man eigentlich überwinden will? Vielleicht liegt der eigentliche Fortschritt darin, genau diese Paradoxie auszuhalten. Sichtbarkeit ist politisch notwendig, gerade in Zeiten wachsender Intoleranz. Doch sie sollte nicht das Ziel sein, sondern ein Übergang. Eine Zwischenform – wie ein Rhizom, das sich verzweigt, aber keine feste Mitte braucht. Um ein „neues Normal“ zu schaffen, muss man zuerst das benennen, das diskutieren, das sichtbar machen, was in weiterer Folge normal werden soll. Und ich denke, in dieser Phase befinden wir uns gerade. Was wäre, wenn wir die Ausstellung SEIN nicht als ein „Herausstellen“ im Sinne der Besonderheit lesen, sondern als Einladung, das Normale neu zu denken? Nicht als das, was Mehrheiten definieren – sondern als ein offenes Spektrum menschlichen Seins. Damit beschäftigt sich auch das „Queer Curating“, welches an den feministischen Grundsatz aus den 1970er Jahren anknüpft: „Das Private ist politisch“ und „Das Öffentliche ist persönlich politisch“. Das heißt auch Kunsthäuser, Ausstellung und künstlerisch, kulturelle Kontexte neu denken und aufbrechen. Es heißt Alternativen fühlen, Dringlichkeiten war nehmen und normalisierte Diskriminierungen aufdecken. Auch feste und konservative Wissensvorstellungen aufgrund ethischer, geschlechtlicher, sexueller oder weiterer sozio-kultureller, stereotyper Kategorien, die auch in der Kunstgeschichte dominieren, benennen und darzustellen. Diese Macht haben Kurator*innen aber auch Museen, welche sich nicht nur als Präsentator*innen verstehen sollten, sondern als Orte von Widersprüche und Verbindungen, von Diskursen, Austragungsorte, in denen Dinge mit Dinge, Dinge mit Betrachtenden und Betrachtenden mit Betrachtenden in Beziehung treten und Bewusstsein geschaffen wird. Denn, so wie bisher die Kunstgeschichte falsch angenommen hat - Kunst ist nie eindeutig. Zum Projekt „Sein“ ist ein kurzer Beitrag zur Pressekonferenz entstanden, welche ihr auf unserer Homepage nachsehen könnt. Wer mehr zum Projekt erfahren will kann unter www.kollodium.at/sein/ nachschauen. Und wer mehr zum Queer Curating erfahren will, dem kann ich nur das gleichnamige Buch von Beatrice Miersch empfehlen: https://search-lbo.obvsg.at/primo-explore/fulldisplay?docid=LBO_alma5178235830004508&context=L&vid=LBO&lang=de_DE&search_scope=default_scope&adaptor=Local%20Search%20Engine&isFrbr=true&tab=default_tab&query=any,contains,Queer%20Curating%20%E2%80%93%20Zum%20Moment%20kuratorischer%20St%C3%B6rung&offset=0 Verfasst von Marie Jahn am 22.5.2025