Ulrike Herrmann über das Ende des Kapitalismus Man kann in einer endlichen Welt nicht unendlich wachsen. Walter Ötsch spricht mit Ulrike Herrmann (Taz-Redakteurin, Autorin von Das Ende des Kapitalismus) über die Geschichte des Industriekapitalismus, dessen inhärenten Wachstumszwang sowie die Klimakatastrophe. Sie präsentiert einen möglichen Weg, um das System zu schrumpfen und den Planeten zu retten, ohne die gesamte Gesellschaft ins Chaos zu stürzen. Da Herrmann in ihrem Buch spezifisch den Industriekapitalismus analysiert, beginnt Ötsch mit der Frage nach dessen Ursprung, den man 1760 in England verorten kann. Damals begann man erstmals, mithilfe von Maschinen Wachstum zu generieren, sodass sich die Gesellschaftsform weg von einer stagnierenden Agrargesellschaft entwickelte. Warum dies ausgerechnet dort zu diesem Zeitpunkt geschah, ist strittig. Herrmann präsentiert die ihr zufolge am breitesten unterstützte Theorie der hohen Löhne. Damals sei der generelle Wohlstand in England hoch gewesen, und menschliche Arbeitskraft teuer. Aufgrund der hohen Löhne für Arbeiter*innen sei es billiger gewesen, Maschinen in den Produktionsprozess einzubinden. Außerdem sei die Energie aufgrund des hohen Kohlevorkommens billig gewesen, wodurch die Industrialisierung ebenfalls vorangetrieben wurde. Darauf erläutert Herrmann den inhärenten Wachstumszwang des Kapitalismus. Ihres Erachtens liegt dieser vor allem im Kreditsystem begründet. Man könne nur Wachstum haben, wenn man Kredite aufnimmt; umgekehrt kann man diesen nur zurückzahlen, wenn das erhoffte Wachstum eintritt. Bleibt es aus, brechen Banken zusammen, Vermögen verliert Wert und „die Krise frisst sich durch das ganze System“. Außerdem werde der Kapitalismus getrieben durch Investitionen in Technik. Unternehmer*innen investieren jedoch nur, wenn sie sich Gewinne erhoffen - und Gewinne seien auf der volkswirtschaftlichen Ebene einfach Wachstum. Bleibt dieses aus, so fehlen die Gewinne und die Investitionen, dies führe zu massiven Jobverlusten in der Maschinengüterindustrie, Fabriken würden pleite gehen – kurz: es würde wieder eine Wirtschaftskrise geben. Einen weiteren wichtigen Punkt sieht Herrmann in der Tatasche, dass sich durch ständigen technischen Fortschritt und durch Investitionen immer mehr Ware pro Arbeitnehmer herstellen lässt. Das heißt, es braucht weniger Beschäftigte, um die gleiche Menge an Gütern herzustellen. Würde die Wirtschaft nicht wachen, hätte man eine technische Arbeitslosigkeit, und dann finge auch die Krise an. Also: Vollbeschäftigung ist im Kapitalismus nur mit Wachstum möglich, so Herrmann. Diese drei Phänomene schaffen gemeinsam einen Wachstumszwang. Das Problem: Unsere Ressourcen auf diesem Planeten sind begrenzt; es ist unmöglich, in einer endlichen Welt unendlich zu wachsen. Herrmann erläutert weiter, weshalb auch grünes Wachstum nicht funktionieren kann. Sie stützt sich dabei stark auf physikalisch-technische Argumente. Das Grundproblem bestehe darin, dass sich Solar- und Windenergie nicht rund um die Uhr beziehen lässt; man müsste enorme Mengen an Strom zwischenspeichern und das sei aufwendig und teuer. Öko-Energie sei natürlich zu begrüßen und zu fördern, doch würde letztendlich niemals ausreichen, um den Energiebedarf des aktuellen Systems zu decken. Und sobald das Wachstum nicht mehr gesichert ist, würden aufgrund der zuvor erläuterten Grundwirkungsweisen des Kapitalismus eine Krise eintreten. Des Weiteren sei es nicht möglich, im kapitalistischen System Energie und Ressourcen tatsächlich zu sparen, da jede verfügbare Ressource in weitere Produktion und Wachstum gesteckt werde. Auch glaubt Herrmann nicht an eine Lösung durch technologischen Fortschritt. Sie sei zwar ein echter Tech-Fan, doch da Deutschland und Österreich bis 2040/2045 klimaneutral sein wollen, sei schlichtweg zu wenig Zeit für eine tiefgreifende technische Revolution. Dies könne man an anderen Erfindungen beobachten; den ersten Computer gab es 1941 und trotzdem wurde in Deutschland während der Corona-Pandemie noch immer gefaxt. Es stellt sich die Frage: Was tun? Wie können wir den Kapitalismus schrumpfen, um das Klima nicht weiter zu belasten, ohne dass Millionen von Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzen und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit einen rechtsradikalen Diktator wählen? Herrmanns Vorschlag bezieht sich auf die britische Wirtschaft im zweiten Weltkrieg. Damals war die Aufrüstung nicht mit Wachstum verbunden, sondern der Konsum musste zugunsten der staatlichen Rüstung schrumpfen. Die britische Wirtschaft sei von 1939 bis 1945 um 27 Prozent gewachsen, aber gleichzeitig habe der Krieg 50 Prozent der Wirtschaftsleistung gefordert. Daher entwickelten die Briten eine demokratische private Planwirtschaft. Nichts wurde verstaatlicht, Eigentümer*innen und Manager konnten weiterhin „machen was sie wollten“, doch der Staat gab vor, was und wie viel produziert wird. Die knappen Güter wurden dann gerecht rationiert; Arme und Reiche bekamen das Gleiche. Dies sei damals trotz der Knappheit recht friedlich vonstatten gegangen, da die Bevölkerung das Gefühl hatte, an einem Strang zu ziehen. Herrmann schlägt nun eine ähnliche Rationierung von CO2 Emissionen pro Kopf pro Jahr vor. Laut Weltklimarat darf eine Person auf der Erde pro Jahr eine Tonne CO2 ausstoßen, da diese Menge von der Umwelt absorbiert werden kann. Herrmann zufolge emittiert Deutschland momentan, je nachdem wie man rechnet, zwischen 7 und 11,2 Tonnen pro Kopf und Jahr. Reiche Menschen jedoch stoßen pro Kopf 20 mal so viel CO2 aus wie die Armen, es herrsche also eine starke hierarchische Ungleichheit. Das heißt, reiche Menschen müssten ihren Lebensstil stark ändern, arme Menschen jedoch kaum. Besonders bei Zunahme von grünen Energiequellen sei es für einkommensschwache Haushalte möglich, mit nur geringen Umstellungen auf das erforderte Maß zu kommen. Das Ziel müsste dabei immer eine ökologische Kreislaufwirtschaft sein. Außerdem weißt Herrmann daraufhin, dass viele Studien zum Thema ökologischer Kapitalismus nicht vertrauenswürdig seien, da es sich dabei um Auftragsforschung handelt. Das heißt, Wissenschaftler*innen werden dafür bezahlt, spezifische Resultate zu erzielen und zu beweisen, dass grünes Wachstum möglich ist. Die vollständige Diskussion findet ihr hier. Verfasst von Vivian Grabowski am 19.09.2023