Wie fortschrittlich sind Linz und Oberösterreich eigentlich?

In der finalen Folge der Sendereihe Rührei im Morgengrauen anlässlich der ARS Electronica spricht Moderator Martin Wassermair mit Sabine Pollak (Architektin, Kunstuniversität Linz) und Alfred Weidinger (Wissenschaftlicher Geschäftsführer der OÖ Landes-Kultur GmbH) über Kunst und Kultur in Oberösterreich, Architektur, die Kunst Universität Linz, öffentlichen Raum, KI, Ungehorsam und vieles mehr.

Zunächst ging es um die Stadt Linz und die Frage nach ihrer Provinzialität. Weidinger, der wissenschaftliche Geschäftsführer der Oberösterreichs Landes-Kultur GmbH erläuterte, dass Provinzialität für ihn nichts Negatives sei. Er bezeichnete OÖ als ein „Land der Individualisten“ und sagte, die Menschen würden trotz der mangelnden Gelder für Kulturförderung „großartige Leistungen“ erbringen. Die Kunstuniversität Linz spiele dabei eine entscheidende Rolle, da sie vor allem den geisteswissenschaftlichen Zugang nach OÖ bringe.

Des Weiteren ging es um die umstrittene „Betonwüste“ im Linzer Stadtteil Urfahr, über deren Verwendung schon lange – recht ertraglos - diskutiert wird. Pollak meint, für eine wirkliche Veränderung müssten Linzer*innen mehr Initative zeigen, auf die Straßen gehen und sich laut ihren öffentlichen Raum zurückerobern. Frühere erfolgreiche Hausbesetzungen in Linz hätten gezeigt, dass dies absolut machbar sei, jedoch müsse man dies durch Demonstrationen erzwingen.
Doch auch vonseiten der Stadt wünscht Pollak wünscht sich mehr Initiative: Es brauche mehr öffentliche Plätze, die zu Debatten einladen, sowie mehr Anlaufpunkte für die Linzer*innen, um mit der Stadt ins Gespräch zu kommen.

Auch Weidinger unterstützt die Entwicklung einer öffentlichen guten Debattenkultur. So habe die OÖ Landes-Kultur GmbH beispielsweise der Letzten Generation einen Raum im OK Linz zur Verfügung gestellt. Weidinger betrachtet es als die Aufgabe von Museen und Kultureinrichtungen, komplexe Inhalte zugänglich zu machen, und diese Chance soll auch die Letzte Generation bekommen.

Ihm zufolge sind Debatten sehr viel fruchtbarer am Land als in der Stadt zu führen, da es am Land keine „Empörungskultur“ gebe. Doch auch in größeren Städten wie Berlin und Leipzig, in denen er bisher gearbeitet hat, habe er nie so viele Hasspostings erhalten wie in OÖ. Vor der Eröffnung der Queer Ausstellung im OK Linz habe er sogar Morddrohungen erhalten. Und obwohl er grundsätzlich ein Befürworter eines offenen Diskurses ist, kritisiert er doch, dass Medien, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, Hasskommentare kultivieren und zum Sprachrohr für pure, unproduktive Empörung werden. Es sei mittlerweile vielerorts kaum mehr ein gesunder Diskurs möglich.

Außerdem erläutert Weidinger seine Theorie zur Grunddynamik gesellschaftlicher Entwicklung. Er sagt: Wann immer eine neue Entwicklung auftritt, die von der Gesellschaft als beängstigend und beunruhigend wahrgenommen wird, wird begonnen, Regeln zu machen, um diese einzuhegen. In der Kunstszene zum Beispiel forderten die radikalen Bewegungen der 60er und 70er Jahre das Recht heraus, und somit sind Künstler*innen heute viel eingeschränkter, als sie es damals waren. Daher betrachtet er die neue, digitale Kunst fast als Revolution. Diese digitalen Werke seien inhaltlich intensiver und auch intensiver zu konsumieren und so hofft Weidinger, dass noch viel in diesem Bereich entstehen kann, bevor erneut Regelwerke geschaffen werden. Daher fördere die OÖ Landeskultur GmbH auch spezifisch digitale Kunst so sehr; es handele sich um eine wichtige Ausdrucksform für junge Menschen.

Doch diese Grundthese könne man auch auf das Thema KI anwenden. Im Bereich Künstliche Intelligenz würden gerade viele Regeln gemacht, obwohl man sich gar nicht richtig mit dem Gegenstand selbst auseinandergesetzt habe. Weidinger ist zum Beispiel der Meinung, man bräuchte im Umgang mit KI gerade kreativ-künstlerische Menschen, die tendenziell weniger wie der Mainstream denken, da die Algorithmen im Grunde die konservative Masse repräsentieren würden. Er sagt, KI werde es uns nie abnehmen können, vernetzt zu denken.

Beim Thema KI berichtet Pollak aus ihrem Metier, der Architektur. Dort werde KI schon seit Jahren eingesetzt, um Städte und Häuser zu entwerfen, daher würden gerade neue Bauprojekte immer so gleich aussehen. Pollak beschreibt eine „globale Architektur“, die „Verputzt-Glas-Architektur“. So sehe das Viertel, welches am Linzer Bahnhof entsteht, genauso aus wie das in der Seestadt oder in Bratislava. Die Kreativität der einzelnen Personen, die an diesen Prozessen beteiligt sind, wird „overruled“ von der Ökonomie - das ökonomischste Gebäude würde immer gewinnen.

Trotzdem sieht sie viele Chancen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz, besonders bei der Frage der Ressourcenverteilung im Bauprozess. Pollak betrachtet die Knappheit von Wohnraum als größte stadtplanerische Herausforderung der nächsten Jahre und setzt sich sehr die Reorganisation von Materialien und Raum ein. Bei der Koordination dieses Prozesses könne KI sicherlich helfen, da es darum gehe, große Mengen von Informationen zu bündeln und zu organisieren. Fragen wie „Wo gibt es Material, das nicht gebraucht wird“ und „Wie kann man dieses Material am sinnvollsten einsetzen“ könnten so leichter beantwortet werden.

Verfasst von Vivian Grabowski am 27.09.2023

Hier findet ihr das Gespräch in voller Länge.