Clara Gallists (dey/deren), Miriam Hie (sie/ihr) und Gitti Vasicek (sie/ihr) reflektieren mit Moderatorin Julia Pühringer die Konsequenzen der #MeToo-Bewegung, analysieren die Faktoren, die zu Machtmissbrauch in der Kulturbranche führen und geben Tipps für den Umgang mit übergriffigem Verhalten am Arbeitsplatz. 
Clara Gallistl (dey/deren) ist als Geschäftsführung von vera*, der Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch, Belästigung und Gewalt in Kunst und Kultur tätig. Miriam Hie (sie/ihr) ist Schauspielerin, Kabarettistin, Autorin und Moderatorin und Gitti Vacisek (sie/ihr)
Vizerektorin der Kunstuniversität Linz, Künstlerin und Aktivistin. Moderatorin Julia Pühringer arbeitet als Journalistin und Filmkritikerin. 

Alle geladenen Gäst*innen sind der Meinung, dass die #MeToo-Bewegung, in deren Zuge angestoßen durch den Weinstein-Skandal eine Reihe einflussreicher und berühmter Männer in Hollywood wegen sexuellem Missbrauch angeklagt wurden, definitiv einen Wandel in der Szene bewirkt hat. Vasicek zufolge sei die Branche „aus dem Dornröschen-Schlummer“ erwacht, sodass sich nun zunehmend Organisationen und Strukturen bilden würden, die sich der Aufarbeitung und Prävention des übergriffigen Verhaltens widmen. Vera* ist eine von diesen Organisationen – und ohne „#MeToo" hätte es vera* gar nicht gegeben, so Gallists. Auch Hie berichtet von ihren persönlichen Erfahrungen und stellt eine klare Verbesserung fest. 
Trotzdem seien lang etablierte Machtstrukturen schwer zu brechen. Insbesondere der Genie-Kult, der oftmals um männliche Künstler, vor allem Regisseure und Intendanten, existiert, erschwere den konsequenten Umgang mit übergriffigem Verhalten enorm. 
Obwohl sexistische Männer in der Kulturbranche keineswegs besser arbeiten als alle anderen gebe es oft große Hemmungen, sie zu feuern, da sie noch immer als unverzichtbar für die Produktion wahrgenommen werden, so Hie. Gallists schließt sich an und hofft, dass sich die Dynamik bald soweit gedreht hat, dass das Einstellen und Halten von Tätern als produktionsgefährdend wahrgenommen wird. Eine Person im Team zu halten, wegen der ständig andere Mitarbeitende kündigen, sei schließlich auch schlicht unökonomisch. 

Gallists berichtet außerdem von deren Erfahrungen als Geschäftsleitung von vera*. Die Vertrauensstelle widmet sich sowohl der Ausarbeitung von Präventionskonzepten sowie der Ausbildung von Vertrauenspersonen, die im Kunst- und Kulturbereich tätig sind. Allein im ersten Jahr habe das Team mit über 90 Betroffenen zusammengearbeitet, berichtet Gallists. Außerdem sei die Ausarbeitung eines Workshop-Angebots zur Rechtslage im Kunst- und Kulturbetrieb geplant, um das Erstatten von Anzeigen zu erleichtern. 
Dey fassen die verschiedenen Faktoren, die gerade in diesem Arbeitsbereich zu übergriffigem sexualisiertem Verhalten führen, zusammen. Ein Grundproblem liege darin, dass das Arbeitskontingent oftmals völlig unklar sei und die Grenzen zwischen beruflichem und privatem Kontext komplett verschwimmen. Es sei zum Beispiel nicht ungewöhnlich, Mitarbeitende zu sich nach Hause einzuladen und nach einer Probe noch in eine Bar zu gehen. Wenn dann die genaue Arbeitsstundenanzahl nicht festgelegt ist, wird die Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit praktisch unmöglich, da Mitarbeitende kaum sagen können, ob sie ihr Kontingent an einem gewissen Tag bereits erfüllt haben. So seien die hierarchischen Machtstrukturen durchgängig unterschwellig vorhanden. 
Dazu käme der Geltungsdrang der Täter sowie ihr Bedürfnis nach Machtausübung. Betreffende Männer, so Gallists, wollen oftmals über andere Personen verfügen, ihnen Vorschriften machen und Kontrolle ausüben. Die Grenzen zwischen physischer und psychischer Gewalt verlaufen also fließend. 
Gallists betont, dass es bei der Unterstützung und der Arbeit mit Betroffenen nie darum geht, gewisse Bezeichnungen wie physische oder psychische Gewalt zu identifizieren. Stattdessen sei die Aufgabe der vera*-Berater*innen, den Betroffenen dabei zu helfen, die Situation für sich einzuordnen und ihre Handlungsfähigkeit wieder zu erlangen. Die Betroffenen sollen sich gehört und gesehen fühlen, so Gallists, und selbst entscheiden, ob sie Anzeige erstatten möchten oder nicht. 

Ein weiterer Sachverhalt, der den Schutz vor Gewalt und Grenzüberschreitungen erschwert, ist Moderatorin Pühringer zufolge der sehr begrenzte Informationsaustausch zwischen älteren und jüngeren Frauen in der Kulturbranche. Theoretisch hätten erfahrenere Mitarbeiterinnen vielleicht die Möglichkeit, jüngere Kolleginnen zumindest zu warnen, doch aufgrund der geringen Anzahl an Frauenrollen in vielen Produktionen sei dies nur schwer möglich. 
Gallists warnt jedoch explizit vor zu ausführlichem Austausch unter Mitarbeiterinnen, da sonst in einem eventuelle Gerichtsprozess schnell der Vorwurf der Verleumdung geäußert würde. 
Sie rät ebenfalls davon ab, Gerüchte am Arbeitsplatz weiterzuverbreiten. Am besten sei es, mit betroffenen Personen direkt zu kommunizieren und die eigene Unterstützung anzubieten. Essentiell sei dabei, die Wünsche der Betroffenen zu respektieren und nicht stellvertretend für diese Personen zu handeln. Der erste Schritt jedoch müsse immer das Dokumentieren der Vorfälle sein, sodass man notfalls vor Gericht auf Protokolle und Beweismittel zurückgreifen kann. 

Verfasst von Vivian Grabowski am 27.01.2024. 

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