Der neue Spielfilm „Poor Things“ des griechischen Absurd-Wave Regisseurs Yorgos Lanthimos ist endlich da – und die Rezeption ist extrem positiv. Der Film wird als wahrlich feministisch gefeiert, scheinbar ein künstlerischer Barbie-Film, der seine Message subtiler vermittelt als Greta Gerwig in ihrem Werk.

Poor Things basiert auf dem gleichnamigen Roman von Alasdair Gray und liest sich ein wenig wie eine feministische Version der Frankenstein Geschichte von Mary Shelley. Die Protagonistin Bella, wunderbar verkörpert von Emma Stone, lebt beim Doktor Archibald McCandles, der von Willem Dafoe gespielt wird. Für Bella ist er eine Vaterfigur, die sie mit dem Namen Gott anspricht. Bella weiß nicht, dass sie das Resultat eines grausamen Experiments ist, doch als der reiche Dandy Duncan Wedderburn auftaucht, begibt sie sich auf eine Reise, bei der sie sowohl die Welt als auch sich selbst besser kennenlernt…

Meine Meinung: Vieles gelingt Lanthimos in seinem neuen Werk hervorragend. Vor allem das Set und Kostüm-Design zeichnen Poor Things aus; die Fülle an Farben, Stoffen und Schnitten könnten das Publikum sehr viel länger als zwei Stunden unterhalten. Und auch an Charme und Humor mangelt es nicht; Poor Things ist ein überraschend witziger, herrlich absurder Film, der auch viel mit visueller Comedy spielt – für mich eine Wonne.

Doch unterm Strich ist dies in meinen Augen schlichtweg kein feministisches Werk, sondern eine vertane Chance. Denn Poor Things hätte eine Menge Potential für eine empowernde, erfrischende Coming of Age Geschichte gehabt, die vor allem zeigt, dass man nicht als Frau geboren, sondern zu einer gemacht wird.

Denn die Grundidee des Films – Vorsicht, kleiner Spoiler-, ist wirklich nicht schlecht: Bella sieht zwar aus wie eine erwachsene Frau, doch trägt das Gehirn eines Babys in sich. So kann das Publikum ihr praktisch beim Aufwachsen zusehen. Und hier wurde wirklich viel liegengelassen: Wie gern hätte ich einen Film gesehen, in dem eine junge, unkonventionelle Protagonistin langsam versteht, was ihr von dem Mann angetan wurde, den sie Vater und Gott nennt. Ein Film, in dem ein Mädchen ihre Handlungsfähigkeit und Autonomie entdeckt, und sich zu einer mündigen, selbstbestimmten Frau entwickelt. Ein Film, der die politische und philosophische Entwicklung sowie den Intellekt der Protagonistin mindestens genau so sehr schätzt wie ihre Fähigkeit, Sex zu haben.
Wie schön wäre es gewesen, nicht nur zu beobachten, wie Bella das masturbieren entdeckt, sondern auch, wie sie mit ihrer Periode und ihrer Körperbehaarung umgeht.

Hier wäre so viel Raum gewesen, auch in einem schrägen, schrillen Film noch die Erfahrungen vieler junger Mädchen und Frauen widerzuspiegeln.

Stattdessen verbringen wir einen wirklich beträchtlichen Teil des Films damit, Bella in verschiedenen Positionen beim penetrativen Sex zuzusehen. Dabei wird der Körper der Protagonistin selbst nie richtig erforscht; sie bleibt schlicht ein dekoratives, ästhetisches Objekt. Auch hier hätte es die Möglichkeit gegeben, ganz verschiedene Arten von Lust, Körperlichkeit und Intimität einzufangen. Stattdessen scheint Lanthimos nur zwei Arten von Sex zu kennen: Hart und penetrativ mit Männern - und sanfter Oralsex mit Frauen. Von letzterem sehen wir allerdings auch nur eine einzige Einstellung, die aus sicherer Distanz aufgenommen wurde.

Die Kamera verkörpert bei Poor Things also absolut den männlichen Blick und unterminiert so jeden feministischen Anspruch, den der Film auf der inhaltlichen Ebene haben mag.

Verfasst von Vivian Grabowski am 08.02.2024.