„Es gibt jüdisches Leben in Linz und es ist uns ganz wichtig, dass das sichtbar wird!“ - so Julius Stieber, Kultur – und Bildungsdirektor der Stadt Linz. Er und Verena Wagner, Evangelische Theologin und Historikerin, waren bei Martin Wassermair in einer weiteren Ausgabe von „Der Stachel im Fleisch“ zu Gast im Studio. 

Solange Antisemitismus, in der Gesellschaft eine Rolle spielt, solange - und darüber hinaus - muss man diesen thematisieren und davor mahnen. Gedenken an die jüdischen Opfer des NS-Regimes, aber auch an die vielfältige Geschichte der israelitischen Kultusgemeinde in Linz aktiv erinnern und deren Bedeutung für das Zusammenleben, gerade in der Gegenwart, immer wieder aufzeigen, ist wichtig!

Die jüdische Gemeinde in Oberösterreich ist bis heute sehr klein. Wagner, als Autorin mehrerer Bücher zur jüdischen Geschichte in Linz und Oberösterreich, gab einen groben Überblick über das jüdische Leben in Linz: Bereits im 19. Jahrhundert (während der Habsburger Monarchie) war Antisemitismus in der Bevölkerung stark vertreten. Linz war ein früher „Hotspot“ verschiedenster rechtsextremen und -radikalen Parteien. In den damaligen Zeitschriften / Flugblättern wurde beispielsweise schon über Boykotte gegen Geschäfte geschrieben. Diese waren in Zentrumsnähe (von Urfahr über die Lederergasse, bis letztendlich zur Landstraße) angesiedelt. Ghettos gab es keine. 

Nach dem 1. Weltkrieg stieg Antisemitismus noch weiter an ¹. Eine Bewegung dagegen war der Zionismus (das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat ²), welcher sich in Linz um 1918 durchgesetzt hat. Zionismus ging hauptsächlich von Studenten aus. Nach dem Krieg haben sich junge Menschen weniger gehört und unterdrückt gefühlt. Somit hat man versucht mit zionistischen Jugendvereinen entgegen zu wirken. Zwar aus Südböhmen und der Orthodoxie kommend, war aber die damalige jüdische Gemeinde in Linz sehr liberal. Juden* haben sich in das Bürgerturm „hochgearbeitet“, hatten liberale Rabbiner und waren eigentlich sehr assimiliert. 

Der Gemeinderatsbeschluss 1996 sei, für Stieber, eine Signalwirkung für ganz Österreich gewesen, da in Linz der erste Synagoge - Neubau nach 1945 verwirklicht wurde und somit ein Hinweis, dass den damaligen verantwortlichen Linzer Politiker*innen das jüdische Leben wichtig war. Bis zum heutigen Tag, gibt es Bemühungen im Bezug auf das „Erinnern“. Nach langem Überlegen, konnte sich die Stadt darauf einigen, wie auch Erinnern im öffentlichen (Stadt-)Raum aussehen kann. Die Realisierung von Stolpersteinen (im Boden verlegte Gedenksteine) wurde verworfen, da diese kein „Erinnern auf Augenhöhe“ darstellen. Alternativ dazu gibt nun 22, überall in Linz verteilte, Messing-Stele, die mit Klingeln und Namen der jüdischen Opfer versehen sind. Man kann bei den jüdischen Opfern metaphorisch anklingeln ob im negativ-mahnenden (die Gestapo kommt, klingelt an und holt jemanden ab) oder im positiven (Leuten, ob jemand „zu Hause“ ist) Sinn. Also ein Erinnern, das mehrere Sinne anspricht. 

Zur Eröffnung dieser Stele konnten, dank Wagners Arbeit, Verwandte und Nachkommen jüdischer Opfer, Vertriebene und Zeitzeug*innen eingeladen werden, wodurch wieder eine Vernetzung und die Sichtbarkeit von, mit und unter Juden* stattgefunden hat. Bis 2025 sind noch weitere Stele geplant. Die Stadt Linz versucht das jüdische Leben sichtbarer zu machen und aktives Erinnern an die Gräueltaten des NS-Regimes auf viele Arten zu vermitteln. Stieber nennt, die Vermittlung in Schulen durch Synagogenbesuche, Veranstaltungen an der Volkshochschule oder Workshops. Zusätzlich wurde auch im Jahr 2023 eine spezifische Aufarbeitung und Erforschung der NS-Verfolgung von homosexuellen Personen in Linz, beschlossen. Siehe dazu auch hier! 

Dennoch hat Bildung einen rationalen Anspruch, wenn es um die Vermittlung von Rassismus geht, welcher dem Antisemitismus übergeordnet ist. Antisemitismus ist übersetzt Judenhass und somit eine irrationale Hassideologie, der man nur bedingt mit rationalen Mitteln entgegenwirken kann. Die allgemeine Herausforderung sei, die Gesellschaft generell vor Radikalismus zu bewahren – so Stieber.

Verfasst von Marie-Therese Jahn am 22.11.2023

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Weiterführende Links:
¹ https://www.annefrank.org/de/themen/antisemitismus/warum-hasste-hitler-die-juden/  
² https://www.annefrank.org/de/themen/antisemitismus/sind-alle-juden-zionisten/   

"Wir wollen ein jüdisches Leben in Sicherheit!" - Gedenken an 85 Jahre Reichspogromnacht in Linz - https://dorftv.at/video/43408 
Solidarität mit Israel - Chor der Großen Synagoge Jerusalem in Linz - https://dorftv.at/video/43329