Radikale Inklusion! Das fordert die Journalistin Hannah Wahl im Gespräch mit Martin Wassermair über Behinderung, Teilhabe und Parallelwelten in der Sendung „Wassermair sucht den Notausgang“. 

Zuerst, was genau versteht man unter Inklusion? Wahl definiert Inklusion als den Zustand der Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit aller Menschen, unabhängig von Behinderung. Diese Situation ist aber bei weitem noch keine Realität, weshalb Wahl in ihrem Buch „Radikale Inklusion- ein Plädoyer für mehr Gerechtigkeit“ das aktuelle System radikal neu denken will. Dabei behandelt sie außerdem die Problematik, ob ein inklusives Leben im Kapitalismus und Neoliberalismus überhaupt umgesetzt werden kann.

„Licht ins Dunkel“, die alljährliche Spendenaktion des ORF, ist für Wahl ein bevormundendes Format, das Menschen mit Behinderung nicht auf Augenhöhe begegnet. Diese Sichtweise auf Behinderung, als etwas per se Mangelhaftes und Leidvolles sei aber in der Normgesellschaft dominant. Die Mehrheit sei der Meinung, dass Menschen mit Behinderung sich anpassen oder geheilt werden sollten, beobachtet Wahl. Konträr zu dieser Idee steht das Konzept, dass Menschen erst durch Barrieren in ihrer Umwelt in der Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt werden. Treppen ohne Rampen oder die fehlende Übersetzung in Österreichische Gebärdensprache nennt Wahl als Paradebeispiel für solche Barrieren. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat sich ausgehend von diesem Ansatz zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderung verpflichtet. Österreich wurde vom UN-Fachausschuss für die Umsetzung dieser Konvention bei der Staatenprüfung 2023 kritisiert.

Die Aussonderung von Menschen mit Behinderung habe bereits eine lange Geschichte in Österreich, die in den grausamen Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus gipfelte, erklärt Wahl. Aber auch heute noch würden Menschen mit Behinderung durch Institutionen wie Heime, heilpädagogische Kindergärten, Sonderschulen und Werkstätten in Parallelwelten gedrängt werden. In diesen sogenannten „Schonräumen“ seien Menschen mit Behinderung einer größeren Gefahr von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Wahl ist davon überzeugt, dass besonders Pflegeheime nicht mit den Menschenrechten vereinbar seien und verboten werden müssten. Ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung könne durch „Persönliche Assistenz“ in der Schule, Arbeit und Freizeit gewährleistet werden. Diese Unterstützungsleistung sollte für mehr Autonomie und Selbstbestimmtheit im alltäglichen Leben sorgen.

Das zentrale Problem der Sonderschulen sei, dass Absolvent*innen oft große Schwierigkeiten hätten, am allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Arbeit in Behindertenwerkstätten werde wiederum sehr schlecht bezahlt und erfahre wenig Wertschätzung in der Gesellschaft. Die Lösung, so betont Wahl, sei dagegen nicht, alle Kinder mit Behinderung in Regelschulen zu setzen. Vielmehr müsse man kapitalistische Leitungskonzepte überdenken und sich überlegen, wie eine neue Form des gemeinsamen Lernens stattfinden könnte. 

Um ein schönes Leben für alle sicherstellen zu können und Berührungsängste abzubauen, dürften beeinträchtigte Personen nicht länger in Parallelwelten abgeschoben werden. Wahl zeichnet eine Utopie, in der Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam in Nachbarschaften leben, in der Schule lernen und ihre Freizeit verbringen. 

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Verfasst von Claudia Hagenauer am 09.03.2024