Im Zentrum der Ausgabe „Neutralität und Wehrhaftigkeit – wie verteidigt sich Österreich im Ernstfall?“ der Sendereihe „Der Stachel im Fleisch“ steht die Debatte, inwieweit die Neutralität Schutz und Sicherheit bieten kann. Der Präsident der österreichischen Offiziersgesellschaft Erich Cibulka und der Friedensforscher an der Universität Wien Thomas Roithner sprechen mit Moderator Martin Wassermair über aktuelle sicherheitspolitische Fragestellungen. 

Die vermeintliche Gewissheit vieler Österreicher*innen, dass für immer Frieden herrschen würde, hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine stark erschüttert. Darüber, wie mit diesen neu aufgetauchten Bedrohungsszenarien umgegangen werden soll, haben Cibulka und Roithner verschiedene Auffassungen. Der Friedensforscher Roithner fordert ernst gemeinte Verhandlungen mit Russland um einen Waffenstillstand. Er illustriert, dass seit 1945 44 Prozent der Konflikte durch Verhandlungslösungen beigelegt wurden. Dabei sieht Roithner Österreichs Neutralität als wichtiges politisches Instrument zur diplomatischen Vermittlung, um konstruktive, friedenspolitische Beiträge zu leisten. Der Vertreter der Österreichischen Offiziersgesellschaft Cibulka führt aus, dass die Neutralität den Staat nicht schütze, wenn sich international nicht alle an die völkerrechtlichen Spielregeln halten. Zum Beispiel sei Österreich nicht in der Lage den eigenen Luftraum zu kontrollieren, was in der aktuellen Bedrohungslage besonders wichtig sei. Deshalb schlägt er eine ergebnisoffene Diskussion über die sicherheitspolitischen Strukturen und Maßnahmen in Österreich vor. 

Der Grund, warum die Neutralität tief in der rot- weiß- roten Identität verankert sei, sieht der Offizier Cibulka in der Geschichte Österreichs. 1955 verpflichtete sich die Zweite Republik nach zehnjähriger Besatzung der Alliierten zur immerwährenden Neutralität. Der Offizier erklärt diese politische Entscheidung stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Bestrebung, Österreich aus dem Konflikt zwischen den Westmächten und der UdSSR herauszuhalten. Österreich habe zwar eine militärische Neutralität, aber niemals eine Werte-Neutralität. Denn der Staat bekenne sich nichtsdestotrotz vollinhaltlich zu den westlichen Idealen, wie der Demokratie und den Menschenrechten. Seit diese Verpflichtung sich an keinem Krieg zu beteiligen in der Bundesverfassung verankert wurde, herrschte in Österreich für lange Zeit eine Periode des Friedens und wirtschaftlichen Aufschwungs. Cibulka erläutert, dass die Neutralität aufgrund dieser Korrelation so beliebt in der Bevölkerung sei, stellt aber in Frage, ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen Neutralität und Frieden bestehe.

Cibulka kritisiert die Rolle Österreichs als neutraler Staat in der EU. Er formuliert, dass die europäische Gemeinschaft aus gleichberechtigten Partnern bestehe, in der jeder seine Aufgaben und Pflichten habe. Cibulka spricht von Rosinenpicken, wenn Österreich wirtschaftlichen Profit aus der EU ziehe, während es sich aus der Sicherheitspolitik heraushalte. Roithner erwidert, dass Österreich sehr wohl eine Beistandspflicht habe, die es dazu verpflichte, ein in Konflikt geratenes EU-Land mit beispielsweise humanitären Hilfeleistungen zu unterstützen. 

Die aus 2013 stammende österreichische Sicherheitsstrategie wird zurzeit von der Regierung neu erarbeitet, verzögert sich aber bereits um ein Jahr. Der Grund dafür sei laut Cibulka die unterschiedliche Auffassung der Koalitionspartner, wie energiepolitisch mit der Abhängigkeit von Russland umgegangen werden soll. 

Abschließend betont Roithner, dass es aus friedenspolitischer Perspektive essenziell sei, angesichts der Klimakrise Maßnahmen zu ergreifen. Denn es würden bereits heute Kriege um Ressourcen geführt werden und das Potential, dass sich diese Konflikte ausweiten, sei mit dem fortschreitenden Klimawandel hoch. 

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Verfasst von Claudia Hagenauer am 25.04.2024