Am 7. Feb. 2024 | 17:30 Uhr
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Abseits der Geschlechterordnung – wie verändern selbstbestimmte Identitäten eine binäre Gesellschaft?

Created at 8. Feb. 2024

1357 Ansichten
by Martin Wassermair

Bei Martin Wassermair waren Conny Felice (Geschäftsführerin HOSI Salzburg) und Jona Moro (Nichtbinäre Schauspielperson) zu Gast.

Live gesendet am Mittwoch, 7. Februar 2024, 17.30 – 18.30 Uhr

Der Stachel im Fleisch CLVII

Noch erscheint es für manche befremdlich, tatsächlich aber steht die Vielfalt von Geschlechteridentitäten mittlerweile außer Zweifel. Folgerichtig verweigern sich immer mehr Menschen im Alltag der jahrhundertelang kaum hinterfragten binären Ordnung, was in der heteronormativen Gesellschaft – angeheizt von aufwiegelnden Abwehrhaltungen in Politik und Medien – nur allzu oft Irritationen, Angst und Vorurteile bis hin zu projiziertem Hass auslöst. Dabei waren Geschlecht und Gender aus sozial-historischer Perspektive immer schon fluid. Binäre Festschreibungen gehen mit Rassismus und Sexismus einher und verstehen sich ebenfalls als eine Herrschaftstechnik der strukturellen Diskriminierung und Unterdrückung. Diese trifft allerdings zunehmend auf Widerspruch, der sich mit der lauter werdenden Forderung verbindet, die Barrieren für Inter*, trans und nichtbinäre Personen endlich zu überwinden und ein Umdenken herbeizuführen, das tiefgreifende Veränderungen nach sich zieht.

Im Mittelpunkt des Gesprächs standen daher u.a. Fragen, wie sich Machtverhältnisse in einer binären Gesellschaftsordnung manifestieren, in welchem Ausmaß konkrete Veränderungen in einem rechtskonservativen Land überhaupt möglich sind und warum die Selbstbestimmung der Geschlechteridentität zur demokratischen Zukunft einen wichtigen Beitrag leistet.

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by Michael Toppel
2 months ago

Ich mag den pragmatischen und strategisch sinnvollen Ansatz, den Conny Felice hier fährt. Ich will aber dennoch zwei Dinge ansprechen, die ich für faktisch Falsch halte, und zu zwei Wortmeldungen etwas sagen.

Die zwei Fehler sind gleich in den ersten 3 Minuten:
(1.) Es ist falsch zu behaupten, dass in Europa eine binäre Geschlechterordnung vorgeherrscht hat. Wir hatten in Europa seit der Einführung des katholischen Priesters immer schon die Möglichkeit für biol. männliche Menschen, aus dem Rollenbild des Mannes auszubrechen. Dieses Beispiel wird nur nicht gerne als solches anerkannt, weil es nicht mit dem Ansatz von Selbst-ID analysierbar ist. Aber das ist kein Manko der Rolle. Auch das thailändische Konzept von "Kathoey" oder der samoanische Begriff "Fa'afafine" sind keine Selbst-ID Konzepte, denn sie ergeben sich dynamisch in ihren jeweiligen Gesellschaften als Fremdzuschreibungen. Sie werde aber dennoch gerne als Beispiele für nicht-binäre Konzepte aus "fremden Kulturen" herangezogen.
(2.) Es ist falsch zu behaupten, dass das Rollenbild des Mannes immer schon fluide war. Es stimmt das sich Charakteristika für Maskulinität stark verändert haben. Aber das soziale Geschlecht "Mann" hat sich in den letzten 4000 Jahren gar nicht verändert. Es wurde immer und wird auch immer noch von Männern verlangt, Vater, Soldat und Beschützer der Schwächeren zu sein. Wir sehen das an der Wehrpflicht, die in Österreich nur für Männer gilt, und der Einstellung in Gefahrensituation, dass Frauen und Kinder zuerst zu retten sind.

Problem der Wortmeldung von Conny Felice in Minute 11-13:
Ich halte es für sehr problematisch Homosexualität und Geschlechtsidentität zu trennen. Es ist zwar richtig, dass Homosexualität und Transsexualität etwas anderes ist. Aber das soziale Geschlecht, d.h. das Gender, ist keine Selbst-ID sondern ergibt sich aus der Disposition des Individuums in der Gesellschaft, die multifaktoriell beeinflusst ist. Und damit ist eigentlich kein biol. männlicher Mensch per se ein Mann, wenn er Homosexuell ist. (Das folgt übrigens dem Konzept "Fa'afafine".) Wir kennen alle das Phänomen, dass gerade junge Schwule leichter mit biol. weiblichen Menschen Freundschaften schließen und sich teilweise auch z.B. im Turnunterricht wohler bei den Mädchen fühlen würden. Das liegt nicht nur an der Ablehnung oder der Angst vor Übergriffe durch Heterosexuelle, sondern auch an den Vorlieben für die Sportarten, die in den Gruppen von den Schülern selbst gewünscht werden. Diese Fakten werden von jenen Schwulen, die in einer patriarchalen Gesellschaft den Status als „richtiger Mann“ nicht einbüßen wollen, nicht gern gehört. Es gibt hier einen Schulterschluss der masc4masc Schwulen mit den Trans-Aktivisten, die sich die Genderrollen aufzuteilen versuchen. Die einen bekommen bestätigt, dass sie eh „richtige Männer“ und die anderen das sie eh „echte Frauen“ sind. Es sind die femininen Schwulen und Butch-Lesben, die hier auf der Strecke bleiben. Nicht nur begrifflich, sondern auch Realpolitisch. Ich habe das Thema Wehrpflicht schon angesprochen. Bei diesem Thema trifft der Wunsch von maskulinen Schwulen, nicht ausgemustert zu werden, mit dem Interesse von trans Frauen, als Frauen zu gelten, zusammen. Feminine Schwule kommen dabei aber unter die Räder, weil sie sich entweder als trans Einstufen lassen müssen oder als Männer eingezogen werden. Aber es wird wohl jedem einleuchten, dass viele feminine Schwule nicht in Militär gehören, und es auch keinen Grund gibt, sie in einer patriarchalen Gesellschaft die Pflichten von an das Männerbild angepasste Personen übernehmen zu lassen.

Problem mit der Wortmeldung Jona Moro bei Minute 35:
Sie* vermischt eigentlich über das ganze Gespräch hinweg biologische Fakten mit Geschlechtsidentität, obwohl sie* ein paar Minuten vorher meint, sie* wolle das getrennt halten. Aber an dieser Stelle stört es mich ganz besonders. Weil ob der Staat für den Geschlechtseintrag, das biologische Geschlecht oder ein soziales Geschlecht heranzieht, sagt nichts darüber aus, ob es das jeweils andere gibt. Wenn der Staat das biologische Geschlecht heranzieht, was in verschiedenen Situationen schon auch Sinn macht (z.B. äußerliche Merkmale bei der Identifikation am Flughafen), dann spricht das einer Person nicht ab, auch nicht-binär sein zu können. Denn das hatten wir ja schon einmal. Der Staat hat ja Schwule über Jahrzehnte hinweg als nicht-Männer betrachten und sie aus dem Wehrdienst ausgemustert und dennoch hatte das keine Auswirkungen auf die Vermerkung im Melderegister, dass die Person ein biologisch männliches Geschlecht hat. Aus der Geschlechterrolle „Mann“ herauszufallen war nie ein Widerspruch zum Melderegister und es muss auch jetzt keiner sein. (Wie das in diversen Zeitabschnitten abhängig von der Möglichkeit für Frauen, überhaupt Soldatin zu werden, oder mit Untauglichkeit aus gesundheitlichen/psychischen Gründen argumentiert wurde, ist für die Frage der Trennung von Sex im Pass und Gender in der Gesellschaft nicht wichtig.) Und Martin Wassermair spricht das Thema ja gleich danach selbst an, wenn er auf den Turnunterricht verweist. Die Frage des Turnunterrichts hat ja überhaupt nichts mit einer transgender Geschlechtsidentität zu tun, egal ob diese nun trans oder nicht-binär ist. Denn auch feminine Schwule würden lieber mit den Mädchen Volleyball spielen als mit dem Buben Fußball und dürfen das in vielen Schulen auch ohne, dass sich die Frage überhaupt stellt, ob sie nun rechtlich als Mädchen/Frauen gellten können oder nicht.