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Welt-Bilder | 06.1 | Das Welt-Bild des frühen und hohen Mittelalters II - 20.11.2012

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by dorftv

Univ. Prof. Dr. Walter Ötsch
Vorlesung „Themen und Theorien der Kulturwissenschaften I“ an der Johannes Kepler Universität Linz im Wintersemester 2012

6. Stunde – Teil 1, 20.11.2012
Das Welt-Bild des frühen und hohen Mittelalters II

3. Das Leib-Konzept

Kulturelle Konzepte von Objekte im Zusammenhang mit Konzepten des Subjekts
Leib = ein offenes Gebilde im Stoffwechsel mit der Natur
Das Beispiel der Hildegard von Bingen (1098-1179)

In ihrer Medizin können wir nicht nach endogenen und exogenen Krankheitsursachen unterscheiden.
Der Mensch ist qua Leib in die Natur geordnet. Der Leib bezeichnet die Natur. Denn die Schöpfung ist so eingerichtet, dass der Leib und die Natur in einem ‚physischen‘ Rapport stehen.

„Gefühle „sind „Atmosphären“ „außen“.
Der Mensch ist kein als „Gegenüber der Natur“
Der Körper als Zeichen : ein stummes Entziffern der Anatomie des Kosmos, die in der Medizin zur Sprache kommt.
Die vier Elemente bilden die compositio corporis humani.
Das ewig Bewegte der Natur ist der Grund für die innere und äußere Unruhe des Menschen
Die Elemente sind hier im Sinne der griechischen physis entwickelt: als das Wachsende und Erblühende.
Ihr Wort dafür ist bei Hildegard viriditas – ‚das Grün, ‚die Frische‘, treffend mit ‚Grünkraft‘ übersetzt.
Der Smaragd sei deshalb so wertvoll, weil er grün ist.
Der gesunde Leib hat viriditas.
Die vier Elemente in einem gesunden Leib.
Hildegard beschreibt eine fast symbiotische Beziehung des Menschen mit seiner Umwelt.

4. Die Lehre von den vier Elementen

Empedokles: das Konzept eines Dings/Gegenstand
alle Elemente werden zu einer Tetrade (Vierheit) zusammengefügt und in einen Prozess der Verwandlungen und des Stoffwechsels gesetzt.
Seither bildet die Vier-Elementenlehre für 2300 Jahre die Basis der Naturphilosophie, sowie der Medizin, Anthropologie, Landschaftsästhetik und der elementenbezogenen Techniken.
Ein Fühl-Konzept: Die vier Elemente besitzen vier Urqualitäten: trocken (fest), kalt, feucht (flüssig) und heiß. Jedem Element kommen zwei Urqualitäten zu.
Ihre inneren Spannungen münden in vier Schichten. Jedes Element bezieht seine Identität aus der Anziehung und Abstoßung der anderen.
Ein Sphären-Modell der 4 Elemente mit 4 natürlichen Orten.
Jedes Element wird von den anderen in Schach gehalten durch Sympathie und Anziehung (+) sowie Antipathie und Abstoßung (-)

5. Symbolisches Wahrnehmen

Die Lehre von den 4 Elementen als Ausdruck einer Fühl-Kultur, bei der visuelle Informationen weniger wichtig sind.
Konzept der „äußeren“ und „inneren“ Sinne
Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Berühren (visus, auditus, olfactus, gustus, manus) sind „äußerer“ Natur. Sie werden dem „fleischlichen“ Körper zugesprochen (sensus carnales).
Ihre Leistung ist allerdings beschränkt. Denn, so meint Augustinus: „Die Geheimnisse der Welt oder die Weisheit Gottes vermögen sie nicht zu erkennen„.
Dazu benötige man die „inneren“ Sinne bzw. den „Sinn der Seele“ (sensus animae). Sie wirken in zweifacher Richtung, zu Gott und zur direkt wahrnehmbaren Welt.
Von Gott empfangen sie das „göttliche Licht“. Es erhellt ihr Inneres und befähigt die Vernunft, ewige Wahrheiten zu erkennen.
Dieses Licht wird von einem „inneren Auge“ erfahren
Videre, d.h. Sehen, ist der Oberbegriff für Wahrnehmungen aller Art. Es trifft auf alle fünf Sinne zu.
Ob das „innere Auge“ einen speziellen „inneren Sinn“ oder ihre Gesamtheit bezeichnet, ist umstritten.
Im Wahrnehmen wirken „innere“ und die „äußere“ Sinne zusammen. Ohne das „innere Auge“ wären wir blind. Die Dinge berühren nur die „äußeren Sinne“, die darauf reagieren. Die „inneren Sinne“ sind nur indirekt betroffen, denn das Körperliche (eine nachgeordnete Wirklichkeit) könne nicht auf das Geistige (die eigentliche Wirklichkeit) einwirken (Copleston 1976, S. 37.).
Das „innere Auge“ bemerkt oder beachtet allerdings die Veränderung in den „äußeren“ Sinnen. Die Seele bildet sich daraus ein Urteil, woraus – im letzten Akt dieser Kette – das eigentliche Wahrnehmen erfolgt.
Diese Theorie liefert ein einfaches, abstraktes Schema des Wahrnehmens, allerdings nur in einer allgemeinen oder prinzipiellen Weise. Konkrete Wahrnehmungs-Akte werden nicht erklärt.
Die Theorie kann nicht sagen, welche Ergebnisse ein bestimmter Wahrnehmungs-Akt hervorbringen muss.
Wahrnehmen ist kein operationabler Vorgang.
Wahrnehmungsakte führen zu keinen „objektiven“ Resultaten.
Man kann sie nicht standardisiert festhalten und intersubjektiv-eindeutig weitergeben.
Die Welt kann nicht quantitativ-exakt erkundet werden.
Im berührenden Raum gibt es keine Naturgesetze im neuzeitlichen Sinn.

6. Illustration der These von der Nichtoperationalisierbarkeit des Sehens

(1) „Sachbücher“ ohne visuelle Informationen

Die meisten Kräuterbücher kommen bis zum 12. Jahrhundert ohne Bilder aus.
In vielen illuminierten Handschriften widersprechen sich – so urteilen wir – die Bild- und Textinformationen.
Ein- und dieselbe Abbildung findet sich in einem Buch an verschiedenen Stellen und soll laut Text Unterschiedliches illustrieren (Giesecke 1992, S. 269ff.).
In Pflanzenbüchern wird derselbe Holzschnitt mehrmals verwendet.
Offensichtlich gibt es kein standardisiertes Verfahren zur eindeutigen visuellen Erfassung der Umwelt.
Die Vielfalt der Dinge kann aus diesem Grunde auch nicht durch eindeutige Taxonomien erfasst werden: Man kann nicht eine Eigenschaft oder ein Ordnungssystem aus den Dingen herauslösen und sie als generell für alle Dinge verstehen.
Die großen Enzyklopädien des Mittelalters präsentieren sich als buntes Chaos, mit kuriosen Aneinanderreihungen, sie folgen keinem erkennbaren Muster.

(2) „Unsichtbares“ wahrnehmen?

Hugo von St. Victor meint im 12. Jahrhundert: „Alle sichtbaren Gegenstände sind uns vor Augen gestellt zur Bezeichnung und Erklärung der unsichtbaren Dinge, und sie belehren uns durch das Auge in symbolischer, das heißt in bildlicher Weise.“
Kein theoretisches Verbot, „Unsichtbares“ wahrzunehmen.
Kulturelle Wesen: Gespenster, Kobolde, Elfen, Geister, Teufel und Dämonen

[Frage zu Logik und Magie im Mittelalter]

Das Zeugnis von tausenden visiones .
„Symbolisches“ sehen?

(3) War das periphere Sehen verbreitet?

Aaron Gurjewitsch:

es war nicht üblich, anderen unverwandt ins Gesicht zu blicken.
Die Menschen hätten ein mangelndes Erinnerungsvermögen für visuelle Bilder

http://www.walteroetsch.at/videos-von-vorlesungen/videos-zur-vorlesung-…

Videoproduktion: Alexander Grömmer und JKU
Video auf youtube: http://bit.ly/1VBZcQw

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